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VI.
Mamsell Laura.

Es war heller Morgen, als er erwachte.

Er sah nach seiner Uhr; sie zeigte wenige Minuten vor acht.

Er sprang aus dem Bett.

Das Geräusch war an der Gangthür seiner Wohnstube.

Es war noch da.

»Die alte Magd! Ich hatte zu sieben Uhr den Kaffee bestellt. Sie will mich wecken.«

Er kleidete sich rasch an, ging in die Wohnstube, öffnete die Gangthür.

Die alte Magd stand davor.

»Es ist schon acht, Herr Criminalrath.«

»Ich weiß es.«

»Darf ich Ihnen Ihren Kaffee bringen?«

»Ich bitte darum.«

Die Magd ging.

Er vollendete seine Toilette. Er durfte sein neues Amt nicht zu spät antreten.

Die Magd brachte ihm seinen Kaffee.

Er mußte wieder bewundern, wie zierlich das Kaffeebrett arrangirt war. Die alte Magd konnte keinen Theil daran haben.

Sie war schon wieder fort, als er sie darnach fragen wollte.

Gleich darauf wurde wieder an seine Thür geklopft, leise, und ohne daß er Jemanden hatte kommen gehört.

»Der alte Gefangenwärter,« dachte er, »der schon in dem Gange war.«

»Herein!« rief er.

In das Zimmer trat wieder ein weibliches Wesen.

Aber es war nicht wieder die alte Magd.

Eine feine, schlanke, jugendliche Frauengestalt stand vor ihm, mit reichem aschblonden Haar, mit hellen, leuchtenden Augen, mit einem Grübchen in dem runden Kinn, mit Grübchen in den frischen Wangen; das junge reizende Gesicht voll Schelmerei, bei allem dem mit dem Anstande einer Dame, und doch wieder mit dem einfachen Wesen und so auch in der einfachen Hauskleidung einer Bürgerstochter.

»Alle Wetter, hat der alte Hartmann doch eine Tochter? Ah, und das ist die Ordnerin da unten bei dem Alten und auch hier oben bei dem blasirten Herrn von Detting, und – ja, ja, wie konnte der fatiguirte, hysterische Herr mit der Hexe hier lange zusammenbleiben? Und –?«

Waren die Betrachtungen und Fragen ihm auch in weniger als einer Secunde durch den Kopf geflogen, er hatte keine Zeit mehr zu weiteren.

Er war überrascht aufgesprungen.

Die Schöne vor ihm war über und über roth geworden.

»Ich bitte um Entschuldigung, daß ich Sie störe,« sagte sie.

Es war die melodische Stimme, die er am Abend in seinem Schlafgemache gehört hatte; gestern nur leise; die nicht mehr unterdrückte Stimme hatte jetzt einen so wunderbar bezaubernden Klang.

Wie sie die Worte gesprochen hatte, war ihr Erröthen verschwunden, und die Grübchen des reizenden Gesichtes lachten und die hellen Augen lachten mit, und ehe er ihr etwas erwidern konnte, sprach sie weiter:

»Aber ein wenig tragen Sie selbst die Schuld. Sie hatten sich so fest eingeschlossen, alle drei Thüren nach dem Gange –«

Der Criminalrath war jetzt über und über roth. Und das junge Mädchen – oder Dame, oder wofür man sie sonst mochte ansehen wollen – fuhr lächelnd fort:

»Alle drei Thüren nach dem Gange, daß Niemand zu Ihnen hinein konnte, auch ich nicht in dieses Zimmer, und da konnte ich hier denn nicht ordnen, bevor Sie aufgestanden waren, und in Ordnung muß das Zimmer doch sein, wenn Jemand zu Ihnen kommt.«

Und während sie noch sprach, war sie schon mit dem Aufräumen beschäftigt; jedes Buch wurde grade gestellt, jeder Stuhl auf seinen rechten Platz gerückt, jedes Papierschnitzelchen vom Fußboden aufgehoben, jedes Stäubchen mit dem sauberen schneeweißen Staubtuche beseitigt. Und das ging Alles so flink und zierlich, und die feinen weißen Hände bewegten sich so leicht und anmuthig, und jede Bewegung der ganzen feinen, schmiegsamen Gestalt war so graziös, und sie hatte dabei Zeit, auch nach etwas Anderem zu sehen, nach ihm, dem jungen Criminalrath, mit ihren hellen Augen, die so ungenirt neugierig ihn anblickten und dann so ungenirt schelmisch vor sich hinlachten.

Adalbert Huber mußte seine Augen niederschlagen; dem alten Hartmann, der eigentlich Niemanden anzusehen schien, und der alten Magd, die ihn nur scheu von der Seite hatte betrachten können, hatte er wohl voll und forschend in die Augen geblickt, nur vor diesem jungen schelmischen Dinge mußte er den Blick niederschlagen, und er sah doch so gern schönen Frauen in die Augen; seine Braut hatte ihn gar davor gewarnt, und ein schönes Frauenbild hatte er hier vor sich, und die Warnung seiner Braut that es wahrhaftig nicht; er dachte nicht an sie; er dachte an etwas Anderes.

»Sie lacht mich aus. Sie weiß, daß der blasirte Bursch mir von dem Spuk erzählt hat. Sie fand alle drei Thüren verschlossen. Sie hält mich für feige!«

Er ärgerte sich, und ärgerlich sagte er:

»Aber was ärgere ich mich über eine kokette, übermüthige Kammerkatze! Was anderes kann sie denn sein? Eine Nichte oder Muhme des Alten, die, Gott weiß wo und wie, sich in der Welt herumgetrieben hat, und nun, Gott weiß warum, hier in diesem verborgenen Neste bei ihm ein Unterkommen suchen mußte.«

Dann mußte er sie doch wieder ansehen, wie sie so flink und graziös und schön war.

Sie war mit ihrer Arbeit fertig.

Das Zimmer war wie ein Schmuckkästchen. Ihre Augen flogen noch umher, ob doch noch irgend ein Stäubchen zu entdecken sei. Sie fand nichts.

Sie trat zu dem Criminalrath.

»Was will sie von mir?«

»Der Herr Sekretär Weber läßt gehorsamst anfragen, ob er dem Herrn Criminalrath hier seine Aufwartung machen, oder ob er Sie in den Bureaus empfangen soll?«

»Wo sind die Bureaus?« fragte der Criminalrath.

»Unten, und wenn Sie nicht vorziehen, von dem alten Herrn hingeführt zu werden, so stehe ich Ihnen gern zu Diensten.«

Sie sprach die Worte mit reizender Freundlichkeit und Zuvorkommenheit.

»Das ist eine durchtriebene Kokette,« sagte sich der Criminalrath »Aber – ich will es doch mit ihr aufnehmen. Meint sie auch, ich hätte vor dem Spuk Angst gehabt, sie soll sehen, daß ich mich vor ihr nicht fürchte.«

»Führen Sie mich hin, mein –. Wie darf ich Sie nennen?«

»Ich heiße Laura.«

»Ich muß also Mamsell Laura zu, Ihnen sagen?«

Sie rümpfte ein wenig ihre feine Nase; ihre Augen blickten wieder ein wenig schelmisch.

»Hm ja, Sie erweisen mir viel Ehre.«

Sie knixte höflich.

»Wie die beste Kammerzofe,« sagte sich der Criminalrath.

Er verließ mit ihr das Zimmer.

»Sie sind,« fragte er sie im Gehen, »eine Verwandte des Gefangenwärters Hartmann?«

»Seine Muhme.«

»Sind Sie schon lange hier?«

»Seit ungefähr vierzehn Tagen.«

Sie sprach es etwas zögernd.

»Hm,« sagte sich der Criminalrath, »nur vierzehn Tage hat mein Herr Vorgänger es mit ihr aushalten können?«

»Sie führen Ihrem Onkel die Wirthschaft?« fragte er seine Begleiterin wieder.

»Der alten Christine wurde es allein zu schwer,« antwortete sie.

Sie hatten die Bureaus erreicht.

Sie befanden sich in einem Gange, gegenüber dem, in welchem die Wohnung des alten Hartmann lag.

»Hier!« sagte Mamsell Laura.

Er trat in das Zimmer, vor dem sie standen.

Es war das Arbeitszimmer des Dirigenten der Behörde, also jetzt das seinige.

Der älteste Sekretär der Behörde stand darin, in schwarzem Frack und weißer Halsbinde, den Hut in der Hand, seinen neuen Chef zu empfangen, dessen Ankunft der alte Hartmann dem gesammten Beamtenpersonal angekündigt hatte.

In einem Nebenzimmer warteten die übrigen: Beamten. Der Sekretär stellte sie dem neuen Dirigenten vor.

Es waren eben meist alte und altgediente »Subalternbeamte« und »Unterbediente«, wohl meist »zwölf Jahre gediente Unterofficiere«.

Dem Criminalrath fielen nur zwei auf, der alte Hartmann, den er schon kannte, und dessen finsteres, kaltes und unbewegliches Gesicht er jetzt bei hellem Tage erst recht darauf ansehen mußte, ob man ihm trauen könne, und ein hübscher, schlanker Mann in mittleren Jahren, mit dem ansprechendsten, offensten und ehrlichsten Gesichte von der Welt, den der alte Sekretär ihm als den, zugleich zur besonderen Dienstleistung bei dem Herrn Criminalrath bestimmten Gerichtsdiener Braun vorstellte, vor dem allein unter den sämmtlichen Beamten der Herr von Detting ihn gewarnt hatte.

Der Criminalrath zuckte unwillkürlich auf, als der Sekretär den Namen nannte.



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