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O Santa Maria
Madre di Dio
Prega, per noi peccatori
Adesso e al ora
Della nostra morte.
Canzonetta romana.
Edmund!«
»Natalie?«
»Du bist verstimmt, was fehlt Dir?«
»Nichts, ein kleiner Anflug von Melancholie,« sagte der junge Mann, indem er ein Buch aus der Hand legte.
»Du willst mich täuschen, glaubst Du, daß es Dir gelingen kann? Lieber Freund, wir sind zu lange mit einander verheirathet, als daß mir eine Falte Deines Gesichtes fremd sein sollte; nein, nein, es muß etwas Bedeutendes sein, daß Dich bedrückt, Du bist nicht der Mann, den Kleines zu verdrießen vermöchte.«
»Ich habe so eben eine alte traurige Geschichte gelesen. ›Ein gebrochenes Herz,‹ so heißt sie.«
»Ein gebrochenes Herz! Wie das, mein Freund?« fragte die Gattin.
»Ein Mann, den seine Frau verläßt, weil die Priester ihrer Kirche ihn als einen Unseligen ausgestoßen haben, stirbt in Verzweiflung über diese Trennung.« –
»Wie? Und das bekümmert Dich? Warum?«
»Warum? Ich weiß es selbst nicht. Mein Gemüth ist seit einiger Zeit sehr verdüstert.«
»Und weswegen, lieber Edmund? Du erschreckst mich. Was kann Dich betrüben? Du bist reich, Deine Geldangelegenheiten sind geregelt, in bester Ordnung; Du hast Freunde, diese Freunde versichern mir, Deine Häuslichkeit mache Dich glücklich, Du liebst Deine Gattin noch immer, wie am ersten Tage Deiner Verbindung – Du selbst hast es mir oft genug gesagt; Du hast Kinder, an denen Dein Herz hängt, und die es verdienen, daß wir ihnen unsere ganze Liebe widmen; was fehlt also zu Deinem Glücke, wer ist es, lieber Freund, der Dir Sorge und Kummer macht?«
»Du, Natalie!«
»Ich? wie ist das möglich! Mein Gott, auf welche Weise ich? Ich sinne vergebens nach, Deine Gedanken zu errathen.« –
»Du liebst mich und unsere Kinder, das ist wahr, Natalie, aber die erste Bedingung einer glücklichen Ehe, gegenseitiges Vertrauen, verläßt uns bereits; ich bin nicht mehr, wie früher, Dein einziger Freund.«
»Edmund!«
»Täusche Dich nicht selbst, Natalie. Wir haben schon einmal davon gesprochen, vor einiger Zeit. Damals gabst Du mir Recht, Du versöhntest mich mit einem Kusse, und versprachst mir, meine Warnungen nicht zu vergessen; seit meiner Reise, die mich einige Wochen vom Hause hielt, ist das anders, schlimmer geworden.«
»Ach, jetzt weiß ich, was mein verdrießliches Männchen meint, Dir gefallen die Besuche des frommen Paters Joseph nicht.
»Das ist es, liebes Weib.«
»Aber Männchen« – die junge, reizende Frau verließ ihre Stellung am Fenster und setzte sich an die Seite ihres Gatten – »bist Du nicht ein wenig thöricht? Wo hast Du denn Deine Augen? Pater Joseph ist ja ein ganz alter Mann, vielleicht sechzig Jahre alt – auf den wirst Du doch nicht eifersüchtig sein!«
»Nicht eifersüchtig, aber ...« Der junge Ehemann stockte. Er sah auf das Buch, das vor ihm lag. Die Stimme schien ihm zu versagen. Er seufzte.
»Nicht eifersüchtig und dennoch?« – unterbrach seine Frau etwas ungeduldig das Schweigen, indem sie ihren Arm um seinen Nacken schlang.
»Und dennoch beunruhigen mich die allzuhäufigen Besuche des Paters. Das Gemüth der Frauen ist jedem neuen und frischem Eindrucke offen. Wenn die Frau nicht ihre ganze Seele verschenkt an ihren Gatten, wenn nicht ihre ganze Sorgfalt auf die Erziehung ihrer Kinder, auf eine glückliche Häuslichkeit gerichtet ist, schleicht sich leicht und leise bei der geringsten Vernachlässigung irgend ein lauernder Feind in ihr Herz; sei dieser Feind auch nur eine zunehmende Unruhe, ein unbestimmtes Verlangen, er wird zuletzt mächtig genug, Ruhe und Frieden zu untergraben.«
»Und fürchtest Du das bei mir, Edmund?«
»Ja, liebe Frau. Ich will die Gründe nicht wieder erschöpfen, ich habe sie Dir bereits angegeben, warum ich den Pater nicht gerne bei mir sehe.«
»Er sorgt für mein Seelenheil,« entgegnete etwas furchtsam Natalie, »und seine Belehrung in kirchlichen Dingen kann mir doch nur nützlich sein.«
»Fühltest Du vor seiner Bekanntschaft ein Bedürfniß nach dieser Belehrung? Warst Du vor dieser Zeit nicht ruhiger? Aufrichtig, Natalie!«
»Ich weiß es nicht,« hauchte sie leise, den Blick senkend.
»Du weißt es nicht,« rief ihr Gatte aufspringend und mit verschränkten Armen einige Mal durch das Zimmer schreitend.
Wieder vor ihr stehen bleibend, betrachtete er sie lange mit einem innigen Blicke und sagte, indem er die Hand auf ihre Achsel legte:
»Erinnere Dich noch, wie der Pater zu uns ins Haus kam. Unser zweites Kind lag krank und war deshalb noch nicht getauft. Davon hörten die Väter der Gesellschaft Jesu; einer von ihnen wurde abgeordnet, unter allen Umständen die Taufe zu vollziehen. Es kam der Pater Joseph und schleppte das Kind, trotz meiner und des Arztes Protestation in die Kirche. Es war mitten im Winter, trotz aller Vorsicht, die ich angewandt hatte, berührte der rauhe Wind das kleine, an der Bräune leidende Wesen. Als wir nach Hause zurückkehrten, Du es von seiner Hülle befreitest, es an Deine Brust drücken wolltest – war es todt. Ich weinte nicht und sah auf den nebenstehenden Pater. Er faltete die Hände, blickte mit andächtiger Miene empor und pries die allweise Vorsicht, die es so gütig mit einem Kinde meinte, das noch lange, ohne diesen Zwischenfall, nach des bewährten Arztes Ausspruch, zu unserer Freude gelebt haben würde. Kein Vorwurf kam über meine Lippen, aber ich warnte Dich vor dem gleisnerischen Priester. Du nicktest beistimmend mit dem Kopfe, folgtest schweigend und träumerisch der Leiche unseres Kindes, und nach wenigen Tagen horchtest Du aufs Neue andächtig seinen heuchlerischen Worten und erwähltest ihn zu Deinen Beichtvater. Seit dieser Zeit besucht er täglich unser Haus und er wirbt für sich das Vertrauen, das bis jetzt zwischen uns geherrscht hatte. Wie soll das enden?« –
»Theilt nicht die ganze Stadt meine Verehrung für die Väter Jesu,« wagte Natalie schüchtern zu entgegnen.
»Wir sind in Frankreich, an der Grenze des bigotten Spaniens, der Arm der Geistlichkeit reicht hier weit und unterdrückt die weltliche Macht, darum muß jeder Einzelne selbst die Grenze messen, wie weit er sich jener gefangen geben kann. Ich will Dich nicht darauf aufmerksam machen, wie viel Unglück seit der Aufnahme der Jesuiten in unserer Stadt geschehen ist, ich will Dich auch nicht zwingen, unbedingt meinen Ansichten zu folgen, die hat Jeder vor seinem Gewissen zu verantworten, aber dringend muß ich Dich bitten, Natalie, liegt Dir Dein Gatte, Deine Kinder, das Wohl des ganzen Hauses am Herzen, dem Pater Joseph keinen größeren Einfluß zu gestatten, als er als Seelsorger berechtigt ist, zu verlangen. Versprich mir das, liebe Frau!«
Sie sprang vom Sopha auf und flog in die Arme ihres Gatten. Der weiche, zitternde Ton seiner Stimme hatte etwas schmerzlich Ahnungsvolles und drang ihr ins Herz. Ein heimlicher Wiederhall sagte ihr, daß er nicht ganz Unrecht habe mit seinem Vorurtheil gegen den Pater Joseph, obgleich sie sich selbst nicht klar war, worin eigentlich der Einfluß bestand, der auf sie ausgeübt wurde. Sie küßte die umwölkte Stirne ihres Gatten, der ihr nie Grund zur Klage gegeben hatte, und als sich dieselbe ungeachtet dessen nicht glätten wollte, holte sie aus dem nebenanstoßenden Zimmer zwei allerliebste Kinder, einen Knaben und ein Mädchen, die sie dem Vater zuführte. Beim Anblick seines höchsten Schatzes öffnete dieser Herz und Arme und preßte seine Gattin und Kinder fest an die Brust, als wollte er sie nie verlieren. Die Versöhnung war hergestellt. –
Es klopfte; die beiden Gatten fuhren auseinander und riefen gleichzeitig: Herein! Pater Joseph trat ins Zimmer. Es war ein kleiner untersetzter Mann, von äußerst gefälligen Manieren und einem schönen ausdrucksvollen Kopfe. Es lag nichts Lauerndes oder Stechendes in seinem Auge, das Wohlwollen spiegelte sich darin ab und unterstützte die Ehrfurcht, die sein graues Haar gebot. Er reichte seinen »Freunden,« wie er sich ausdrückte, mit verbindlichem Lächeln die Hand und pries in einigen gewählten Worten ihr so seltenes Familienglück.
Edmund war unangenehm berührt, er verweigerte zwar nicht die dargebotene Rechte, entfernte sich aber sogleich mit den Kindern, indem er noch einen vielsagenden Blick auf seine Gattin warf. Der Pater schien das nicht zu bemerken, ergriff einen Stuhl und setzte sich der jungen, schönen Frau gegenüber. Nach mancherlei gleichgültigen Fragen, die ihm alle mit etwas verlegener Miene beantwortet wurden, sagte er plötzlich mit schärferer Betonung:
»Ihr Gatte ist Protestant oder Atheist.«
»Herr Pater, um Gotteswillen, wie kommen Sie darauf?«
»Man sagt es in der ganzen Stadt, es konnte also auch unserm Orden nicht verborgen bleiben. Die Erwachsenen meiden seinen Umgang, die Kinder auf der Straße weichen ihm aus.«
Die junge Frau wagte schüchtern einige Gegenbemerkungen, der Pater aber unterbrach sie sogleich:
»Vertheidigen Sie ihn nicht, Sie können es nicht, es liegen zuviel Beweise vor. Niemals besucht er die Kirche, jedesmal fehlt er in der Beichte, seine Kinder läßt er im Hause erziehen. Wo soll das hinaus? Wer fromm und gottesfürchtig ist, soll es auch zeigen, damit sich die Mitmenschen ein Beispiel nehmen!«
»Nie habe ich eine Klage über meinen Gatten gehört, nie selbst Grund zu einer solchen gefunden,« entgegnete furchtsam Natalie.
»Wie kommt es, daß Sie die einzige Person Ihrer Familie sind, die ihn vertheidigt? Ich war bei Ihrer Mutter, die sprach ganz anders. Die fromme, gottesfürchtige Frau beklagte es, daß sie ihre Zustimmung zu einer Verbindung gegeben hat, die Sie unglücklich machen muß. Um ihren Fehler einigermaßen zu verbessern, hat sie eingewilligt, Ihren Bruder unsern Händen als Zögling zu übergeben.«
»Mein Bruder Jesuit!« rief unwillkürlich erschrocken Natalie aus.
Der Pater stand auf, schob seinen Stuhl zurück und sah die junge Frau durchbohrend an.
»Was soll dieser Ausruf bedeuten?« fragte er langsam und nachdrücklich.
Natalie wollte sich entschuldigen, der Pater hieß sie aber schweigen, ergriff ihre Hand und sagte, diese fest zusammenpressend:
»Madame, Ihre Mutter will Sie nicht mehr sehen, so lange Sie einem Manne angehören, den die Kirche ausstoßen muß; Ihre ganze Familie wendet sich von Ihnen ab, und die Pforte zu unsern Altären bleibt Ihnen fortan verschlossen, bis nicht eine Aenderung in Ihren Verhältnissen eingetreten ist. Ihr Seelenheil und das Ihrer Kinder ist gefährdet, es liegt uns, den Dienern Gottes, ob, Sie darauf aufmerksam zu machen und zu warnen. Noch einmal will ich Ihnen heute die Beichte abnehmen, es wird von Ihnen abhängen, ob es das letzte Mal sein soll!«
Der Pater ging und ließ die Frau in einer Fluth von Gedanken zurück, denen sie nicht Herr werden konnte. Sie dachte an ihre greise Mutter, ihren Bruder, an den Gatten, an ihre Kinder. Sie fragte sich hundert Mal, was denn eigentlich Edmund verschuldet habe, und zwang sich zu einer klaren Uebersicht der Begebenheiten. Immer gewann sie aber die Ueberzeugung, daß an ihm keine Schuld hafte, ja, daß sie ihm Dank schulde. Er hatte sie als armes Mädchen kennen und lieben gelernt, die Verbindung mit ihm war unter allen Aussichten einer glücklichen Ehe geschlossen worden, und die Mutter pries damals ihre Tochter beneidenswerth, einen allgemein geachteten und reichen Gatten zu erhalten. Eines konnte sie kaum beunruhigen, da sich Niemand fand, der als Ankläger dagegen aufgetreten wäre.
Edmund hatte auf seinen vielen Reisen, die er im Interesse seines kaufmännischen Geschäftes unternehmen mußte, in kirchlichen Dingen eine freigeistige Richtung erhalten, und einen Haß gegen die hie und da wieder auftauchenden Jesuiten eingesogen, der unvertilgbar war. Wie sehr diese Abneigung eine gerechtfertigte genannt werden konnte, erprobte er in einer mehrjährigen in jeder Beziehung beneidenswerthen Ehe.
Eine Mission der Jesuiten kam auch nach Montougis, seinem Wohnorte, und ihr Einfluß wurde bald ein so allgemeiner und bedeutender, daß keine Familie davon verschont blieb. Auch in sein Haus, eines der bedeutendsten der Stadt, schlich sich in der Person des Pater Joseph das Mißtrauen und das Zerwürfniß ein. Man wußte nicht, wie und wodurch dieser Einfluß entstanden war, man sagte es sich nicht, man fühlte es nur. Edmunds Frau wurde bald die besondere Aufmerksamkeit der heiligen Väter; man versuchte durch sie eine Aenderung in der Gesinnung ihres Gatten hervorzubringen, da dieses nicht gelang, wurde er von jenen als Abtrünniger, als Apostat betrachtet und als solcher behandelt.
Das Alles sagte sich Natalie, aber in frommer Befangenheit. Sie konnte sich nicht dahin erheben, einzusehen, daß die Gesinnung nur die eigentliche Kirche ist, und daß die erbauten Altäre nur ein Feiertagstempel sein sollen, an welche man geläutert treten muß. Sie liebte ihren Mann, aber der Priester stand ihm zur Seite; reichte ihr jener die Hand, mußte es auch dieser thun; sie liebte ihre Kinder, aber sie waren ihr nicht Alles, sie wollte gern Engel erziehen, und der Priester wurde ihr Lehrer, sein Gott geweihtes Kleid verhüllte die menschliche Blöße so gut.
Die junge Frau suchte vergebens nach einem Ausweg; das Chaos ihrer Gedanken wurde immer größer, sie haschte nach Wahngebilden und sie zerrannen natürlich in Luft; keine Abgrenzung zeigte sich ihr, kein Wegweiser der Vernunft, sie verlor sich im Denken und haschte verblendet nach Nebelbildern des Zufalls. Das Nächste, Sicherste verlor sie aus dem Gesichtskreis – die Berathung mit ihrem Gatten. Sie hatte das unbedingte Vertrauen zu ihm verloren, und die Schwäche ihres Charakters wollte sich keiner Demüthigung unterwerfen, keine Meinung austauschen.
Sie ergriff hastig Hut und Shawl und eilte auf die Straße. An der Hausthür traf sie auf ihren Gemahl, sie warf ihm eilig einige Worte der Entschuldigung zu, die dieser betrübt und kopfschüttelnd erwiderte, und ging dann beflügelten Schrittes durch die Stadt. Am entgegengesetzten Ende wohnte ihre Mutter; sie erblickte diese von weitem, und nickte ihr zu – keine Erwiderung des Grußes erfolgte.
Noch hastiger und von unnennbarer Angst ergriffen kam sie vor dem Hause an – es war verschlossen.
Vergebens bat sie um Einlaß, vergebens fiel sie händeringend auf die steinerne Platte der Thürschwelle – Niemand öffnete.
Da wandte sie den Blick zurück, er suchte irr umher, er traf auf den herbeieilenden Gatten und das in dichter Nähe liegende Jesuiten-Kloster. Von geheimnißvoller Gewalt erfaßt, unfähig die Folgen zu berechnen, sprang Natalie empor und flog auf das Gebäude zu. Sie schellte; man öffnete. Inzwischen kam ihr Gemahl immer näher, schnell trat sie durch das Portal, die Pforten schlossen sich – sie waren getrennt. –
Erstaunt blieb Edmund vor dem Kloster stehen; seine Kniee zitterten, seine Brust arbeitete furchtbar, ein großer unendlicher Schmerz drohte den starken Mann zu vernichten. Er blickte lange, lange auf das steinerne Portal; sie sollte wiederkommen, die ihm mehr als sein Leben galt; sie mußte ja wiederkommen; wußte sie doch, daß Trennung für ihn der Tod sei. So harrte er von Stunde zu Stunde, unbekümmert um die Vorübergehenden, den Blick unverwandt auf die eine Stelle geheftet, wo sie verschwunden war.
Der Abend kam heran, die Nacht senkte sich herab, noch immer stand er starr und regungslos. Da weckte ihn aus seinem Brüten das Geschrei eines Kindes. Rasch blickte er empor, er lauschte hin, es durchzuckte ihn wie ein Blitz, er warf noch einen letzten Blick auf das Kloster, murmelte leise: »Verloren!« und ging gesenkten Hauptes nach seiner Wohnung zurück.
Die Kleinen waren noch nicht zu Bette, sie waren gewohnt, von den Eltern gute Nacht zu nehmen, und flogen dem Vater entgegen. Er umarmte sie schweigend, und eine Thräne fiel auf ihre Wangen. Die Kinder stutzten, betrachteten ihn verwundert und riefen erschrocken:
»Papa weint? Wo ist denn Mama? Die liebe gute Mama?« –
»Sie kommt bald zurück! Geht zu Bette, Kinder, und betet für Eure Mutter.«
Er schob die Kleinen sanft zurück und zwang sich zu einem Lächeln; es war bitter und schmerzlich, wie der Abschied vom Glück.
Die Kinder gingen zu ihrer Wärterin, die sie mit vieler Mühe endlich zur Ruhe brachte. Edmund setzte sich an ihr Lager, und bewachte den Schlaf, der sich leise, an ihm vorüber, auf ihre lieblichen Gesichter herniedersenkte. Lange saß er so, brütend und vor sich hinstarrend, ohne auf die besorgnißvollen Fragen seines Dieners zu antworten. Sein Geist war abwesend und weilte in den engen Mauern eines Klosters, wo seine Gattin verbleiben konnte, während er und die Kinder sie erwarteten.
Ein bitteres Gefühl bemächtigte sich seiner, wenn er die eigene unermeßliche Liebe mit der geringen Neigung Nataliens verglich, und doch liebte er sie zu sehr, um ihr zu zürnen. Er beklagte den Zufall, der so unverantwortlich in sein Geschick hinüberspielte, aber kein Vorwurf tauchte gegen die Gattin in seiner Seele auf. Sie war ihm sein höchstes Heiligthum, daß er mit eigner Hand nicht zerschlagen wollte, immer hoffte er auf die Rückkehr, von Minute zu Minute.
Wie überflog ein leises Lächeln sein verstörtes Antlitz, dachte er an ihre Rückkunft! Wie färbten sich seine verblichenen Wangen mit einem flüchtigen Roth! Mit gespanntem Ohr lauschte er hinaus auf die Straße, freudig sprang er empor bei dem leisesten Geräusch, um eben so oft getäuscht in den Stuhl zurückzusinken.
Es schlug Mitternacht, es wurde Tag, sie war noch immer nicht da.
Er stand auf – die Kinder wollten erwachen. Er rief leise die Wärterin und begab sich in sein Schreibzimmer. Er schrieb einen langen Brief, dem aus jeder Zeile unendliche Liebe und höchste Verzweiflung leuchtete, und sandte ihn ab; wußte er doch, daß er selbst keinen Zutritt ins Kloster erhalten würde.
Der Bote kam zurück; er brachte keinen Gruß, keine Antwort.
Edmund fuhr auf, der Zorn trat an die Stelle der stillen Resignation und spannte seine Nerven zur That. »Wer kann mir meine Gattin vorenthalten,« fragte er sich, wer hat im Staate das Recht sich in häusliche Angelegenheiten zu mischen, so lange nicht ein Verbrechen die Veranlassung giebt?«
Er übertrug einen Diener die Geschäfte des Tages und eilte zu dem Maire der Stadt. Unangemeldet mit einer Entschuldigung über die Dringlichkeit seines Besuches trat er ins Zimmer. Der Maire empfing ihn etwas verlegen und deutete mit einer Handbewegung auf die entgegengesetzte Seite, Edmund blickte hin – Pater Joseph stand vor ihm, ruhig und unbekümmert einen beschriebenen Bogen Papier durchmusternd. –
Dem Kaufmann stieg das Blut zu Kopfe; es drängte ihn auf den Beichtvater seiner Frau loszustürzen und ihn zu erdrosseln; er bezwang sich aber, und erzählte, ohne diesen ferner zu beobachten, dem Maire den ganzen Hergang der Sache, die ihn hierher geführt habe.
»Ich klage den Pater Joseph an,« schloß er seinen Bericht, »wegen unbefugter Einmischung in meine häuslichen Angelegenheiten, ich klage ihn an, meine Frau zum Ungehorsam gegen mich verleitet zu haben, wegen Verläumdung meiner Handlungen; ich klage das hiesige Jesuiten-Collegium an wegen unbefugter Eingriffe in mein häusliches Recht, wegen Zurückhaltung meiner Frau im Sanct Ignaz-Kloster, was einer Gefangennahme gleichkommt. Ich bin überzeugt, daß sie nicht längere Zeit hat darin verweilen wollen, als zur Ablegung einer Beichte nöthig ist. Herr Maire, ich verlange Ihren weltlichen Schutz gegen kirchliche Uebergriffe!«
Der Pater hatte, ohne eine Miene zu verändern, zugehört. Als Edmund inne hielt und die Antwort von dem Maire erwartete, der zögernd von Einem zum Andern blickte, ging er lächelnd auf dem Kaufmann zu und überreichte ihm die Schrift, in der er bis dahin so eifrig gelesen hatte.
»Herr Hugeon, es thut mir leid,« sagte er dabei höflich, »Ihnen keine bessere Nachricht von Ihrer Gattin mittheilen zu können. Läge es an mir, so würde sich die Sache anders gestalten, aber jeder Einzelne hat selbst die Verantwortung seines Gewissens zu tragen. An Ihnen liegt allein die ganze Schuld des unangenehmen Vorfalls; und da, wie ich leider glaube, eine Aenderung in Ihrer Gesinnung nicht zu hoffen ist; kann ich nur Ihre Gattin glücklich preisen, daß sie von der gewonnenen besseren Einsicht gleichfalls nicht abweichen will.«
Hugeon hatte gelesen. Er mußte sich an einem Stuhle festhalten, um nicht zusammenzusinken – die überreichte Schrift enthielt den Antrag auf Trennung der Ehe.
»So weit war es also durch die heuchlerische List und Ränkeschmiederei der Pfaffen gekommen!« sagte er sich leise, und seine Hand ballte sich krampfhaft – »so weit also, und alle meine Vorstellungen werden vergeblich sein!« – »Ich will sie sehen, hören Sie, Priester Gottes,« fuhr er dann lauter und erregter fort, »ich will mein Weib sehen, das Sie von meinem Herzen gestoßen haben, ich will die Mutter meiner Kinder sprechen, sie selbst fragen, aus ihrem Munde vernehmen, ob das Ungeheure möglich ist!«
Er faßte den Priester an beide Schultern und starrte ihn erwartungsvoll an, mit einem Blicke, aus dem unendlicher Jammer sprach.
»Es thut mir leid,« entgegnete der Pater, indem er sich zu befreien suchte und mit immer gleich lächelnder Miene, »Ihren Wunsch nicht erfüllen zu können; ich hänge von meinen Oberen ab und überdies ist es der ausdrückliche Wille Ihrer Gattin, Sie nie wiedersehen zu wollen.«
»Es ist Ihr Wille!« wiederholte langsam Edmund, die Hände fahren lassend, »ihr Wille, mich nicht mehr zu sehen, und ich habe doch so lange mit ihr glücklich gelebt, und sie hat mich geliebt! Soll, muß denn Alles vergänglich sein! Ist denn diese Erde wirklich so schlecht, daß der Mensch keines vollkommenen Glückes würdig ist? O meine armen Kinder! Sie haben die Mutter verloren, und sie verlieren nun auch den Vater, denn sie ist ich, und ich bin sie!«
Der Maire, der schon mehrfach die Erfahrung gemacht hatte, daß jeder richterliche Versuch gegen die Gewalt der Priester vergeblich sei, aber ein guter Mann in der gewöhnlichen Bedeutung des Wortes war, versuchte den niedergebeugten Kaufmann zu trösten. Furchtsam gemacht durch die Gegenwart des Paters, konnte er sich freilich nur auf wenige unbedeutende Phrasen beschränken, aber jede Theilnahme thut im Unglücke wohl, sie mag ausgehen von wem sie will, und noch so gering sein. Es sind Strohhalme für den Ertrinkenden, aber der Ertrinkende verliert die Sehkraft der Augen, das Fassungsvermögen des Verstandes.
Die Wirkung war auch für Edmund eine wohlthuende, er schüttelte dem Maire dankbar die Hand und bat ihm für den Nachmittag um eine Unterredung unter vier Augen. Sie wurde ihm zugesagt, er ging, ohne den Priester ferner eines Blickes zu würdigen.
Auf der Straße fiel ihm plötzlich ein, noch einen Versöhnungsversuch durch seine Schwiegermutter zu machen. Er mußte sich freilich gestehen, daß diese in letzter Zeit eine so feindselige Gesinnung gegen ihn an den Tag gelegt hatte, daß ihm nur eine geringe Hoffnung lächeln konnte, aber die Verzweiflung sollte ihm Worte verleihen.
Er traf die fromme Frau in dem Garten ihres kleinen Hauses, ein Gebetbuch in der Hand. Ruhig hörte sie seine Klagen an, ruhig ließ sie es geschehen, daß der niedergebeugte Mann ihre Hand ergriff und sie knieend beschwor, ihm ihre Tochter zurückzugeben. Es war umsonst. Die fromme Frau faltete die Hände und dankte dem Schöpfer, daß er so gütig ihren Fehler verbessert und eine Verbindung wieder gelöst habe, die sie verblendet und voll menschlicher Schwäche zugegeben habe.
Hugeon wagte es, sie daran zu erinnern, wie sie früher arm, elend gewesen sei, wie er durch seinen Wohlstand sie aus ihrer kümmerlichen Lage herausgerissen, wie er Alles gethan habe, ihr das Leben zu erleichtern.
Seine Schwiegermutter antwortete ihm nicht, sah ihn aber mit einem Blicke an, aus dem die Vernichtung seiner leisesten Hoffnung sprach. Sie war verletzt in ihrer mütterlichen Eitelkeit, jede Theilnahme für den Schwiegersohn durch den Einfluß ihres frommen Umganges erstickt, auch war sie für einen etwaigen Besuch Edmunds zu wohl vorbereitet, um in ihren bereits beschlossenen und berathenen Entschlüssen wankend zu werden.
Mit gebrochenen Herzen kam Hugeon nach Hause. Noch einmal setzte er sich hin und schrieb einen Brief, worin sich seine ganze trostlose Niedergeschlagenheit in der Bitte an seine Frau offenbarte, ihm doch nur zu sagen, was er thun könnte, um sie wieder mit ihm vereinigt zu sehen. Er bat sie, mit ihm diesen Ort, ja selbst sein geliebtes Vaterland, Frankreich, zu verlassen, um glücklich an einem andern zu sein. Er trug diesen Brief selbst in das Kloster, konnte aber den Pförtner nur mit Mühe zur Annahme bewegen.
Hierauf besuchte er einige Freunde und den Staatsprokurator, um mit ihnen weitere Vorkehrungen zu treffen.
Der Letztere rieth ihm zu einer Reise nach Marseille, um seine Klage vor dem obersten Gerichtshofe anhängig zu machen; verhehlte ihm aber die Weitläufigkeiten nicht.
Hugeon traf sogleich die nöthigen Vorkehrungen, war aber nicht wenig überrascht, bei seinem Nachhausekommen den Pater Joseph in seiner Wohnung zu treffen.
Wie verwandelte sich aber seine namenlose Trauer in plötzliche Freude, als ihm dieser mit verbindlichem Lächeln ein versiegeltes Schreiben seiner Frau überreichte, worin sie ihre Zustimmung zu dem gemachten Vorschlage ertheilte.
»Verkaufe sogleich Alles,« hieß es unter anderm darin, – »sobald das geschehen ist und Du von hier abgereist bist, folge ich Dir den andern Tag. Sende mir aber vorher die Kinder, damit ich sie noch einmal sehe, und zwanzigtausend Francs. Diese Summe ist nöthig, um mich zu befreien, ich tilge dadurch ein Gelübde, das ich beim Eintritt in das Kloster gethan habe.« –
Hugeon war außer sich vor Glück, er überließ sich der ausgelassensten Freude und gewann nicht einen Augenblick der ruhigen Ueberlegung.
Der Priester, der schweigsam die Wirkung des Briefes abwartete, erschien ihm jetzt als Freund, dem er sich nicht dankbar genug erweisen könne. In überströmenden Worten sagte er ihm dies, und daß er Alles erfüllen wolle. Sogleich eilte er zu einem Notar, den ihm Pater Joseph genannt hatte, um den Verkauf seines Hauses und Geschäftes zu beschleunigen.
Wol überschlich ihn der Gedanke an neuen Verrath, er beschwichtigte aber den aufkeimenden Argwohn mit der Muthmaßung, daß es dem Jesuiten-Kloster nur um die Erwerbung der zwanzigtausend Francs zu thun sei, mit dem Glauben an sein neuzugewinnendes Glück, an die Wiedererlangung seiner Frau, die ihm lange Jahre so treu angehangen hatte.
Der Notar zuckte die Achseln, fand sich aber bereit, ihm gegen Verpfändung seiner ganzen liegenden Habe, die nicht sogleich zu verkaufen wäre, eine ziemliche Summe vorzustrecken. Hugeon acceptirte Alles, konnte er doch nicht schnell genug sein Ziel erreichen.
In wenigen Stunden war Alles geordnet, Hugeon reisefertig, nur noch am Wagen die Rückkehr seiner Kinder erwartend, die er versprochener Maßen ins Kloster geschickt hatte. Statt ihrer kam ein neuer Brief Nataliens, worin sie ihn um Entschuldigung bat, daß sie die Kinder zurückbehalte.
»Nur bis zum dritten Tage entbehrst Du ja ihre Gegenwart,« schrieb sie ihm, »ich bringe sie selbst mit.«
Schon wollte der Argwohn in Hugeons Brust furchtbar werden, als ihn Pater Joseph anredete, und sich ihm zum Begleiter nach dem gewählten Bestimmungsorte anbot. Beruhigter, wenn auch mit unterdrücktem Widerwillen ließ es Hugeon geschehen.
Nach drei Tagereisen kamen sie in Luzern an, wo Edmund vorläufig bleiben wollte. Frankreich war ihm verhaßt geworden, er hoffte Genesung in den herrlichen Thälern und Gebirgen der Schweiz. Sogleich miethete er ein Landhaus an den Ufern des Vierwaldstädter See's und traf alle Vorkehrungen zum Empfange seiner geliebten Frau.
Pater Joseph hatte ihn verlassen, versprach aber, wiederzukommen. Er schützte einige Geschäfte mit den Gliedern seines Ordens in dieser Stadt vor. –
Hugeon konnte kaum den Tag ihrer Ankunft erwarten. Mit dem frühesten Morgen war er aufgestanden und eine Strecke weit hinausgefahren auf der Straße, die seine Frau kommen mußte.
Die Stunden wurden ihm unendlich lang, aber die Hoffnung hielt ihn aufrecht.
Seine Nerven waren so abgespannt, daß er alle Kräfte anwenden mußte, um nicht vor Erregung niederzusinken. Er zehrte von der Erinnerung sich nie eines Vergehens schuldig gemacht zu haben, er lebte auf bei dem Gedanken des ersehnten Wiedersehens.
Aber Stunde um Stunde verging, und noch immer ließ sich nichts auf der Landstraße blicken, sie lag verödet da und zeigte keine freudige Spur.
Es wurde Mittag, es wurde Nacht, Hugeon saß in dem Zimmer einer elenden Herberge und lauschte hinaus in die schweigsame Ferne. Seinen Kopf hatte er auf beide Arme gestützt, das Haar hing ihm verworren herab, auf seiner marmorbleichen Stirn perlten einzelne kalte Tropfen, seine Augen waren verglast, er saß da, regungslos ein Bild von Stein.
Es wurde wiederum Tag, noch immer saß er da, bleich und schweigsam, noch immer zeigte sich nichts auf der Straße.
Sein alter Diener kam von Luzern und brachte die Nachricht, Pater Joseph sei gestern auf einer andern Route wieder abgereist und habe im Vorüberfahren ihm lachend zugerufen: »Sein Herr solle sich keine vergebliche Hoffnung machen, seine Frau käme nimmermehr zurück, dafür hätte er gut gesorgt.«
Edmund Hugeon erwiderte nichts, die alte, traurige Geschichte fiel ihm ein, die er früher gelesen; vor ihm auf den Tisch lag ein Stückchen Kreide, mechanisch griff er darnach und schrieb auf denselben: »Ein gebrochenes Herz.«
Er starrte lange darauf hin, endlich sank er in den Sessel zurück. Sein Diener wollte ihn unterstützen – er sah in das Gesicht eines Todten. –