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Vier Spießbürger saßen in einem kleinen Zimmer und würfelten. Es waren Gestalten und Gesichter des gewöhnlichsten Schlages, unansehnlich, langweilig, albern, neidisch gegen einander auf die Gunst Fortunas, die sie traurig genug durch den niedrigsten Einsatz, den ein Mensch erfinden kann, in ihre Gesellschaft gezogen. Plumpe Scherze und hinkende Witzworte bildeten zum allgemeinen Ergötzen den glänzenden Höhepunkt des gesellschaftlichen Vergnügens, das reichliche Nahrung erhielt durch manchen kräftigen Zug aus einem Kruge schalen Bieres, das mit dem Wasser an Dünne wetteifern konnte.
Auf dem Tische der geehrten Stammgäste befand sich eine Talgkerze, die sich durch ihre übergroße Schlankheit mit Mühe auf dem hölzernen, von verdächtiger Sauberkeit zeugenden Leuchter erhaltend, so trübselig brannte, daß es schien, als stünde sie im Begriffe jeden Augenblick zu erlöschen. Im Uebrigen war es so finster in dem Zimmer, welches am schlagendsten den Begriff der Kleinheit und Unsauberkeit deutlich machen konnte, daß man genau Hinsehen mußte, wollte man unter den Flaschen und Gläsern des Ausschenktisches den Kopf eines Mädchens erkennen, welches die Dienste einer Aufwärterin verrichtete und trotz des geistreichen Gespräches der vier Herren auf einem Stuhle sanft entschlummert war. –
Es war schon spät in der Nacht, der schnarrende Schlag der in ihrem Räderwerk verrosteten Wanduhr verkündigte drei viertel auf zwölf. Draußen tobte ein furchtbarer Sturm und rüttelte zornig an dem morschen Fachwerk des niedrigen Hauses, dessen Fenster unter den gewichtigen Schlägen des herabströmenden Regens klirrend zu zerspringen drohten.
Die Herren rüsteten sich eben zum Aufbruch, als es plötzlich ganz leise an die Fensterscheiben klopfte. Erschreckt richteten sich alle Blicke dahin – nichts war zu sehen; freilig lag die Schuld einzig und allein an der Gesellschaft, die durch das angreifende Spiel der Geistesgegenwart beraubt, einer geraumen Zeit bedurfte, ehe ihr einleuchtete, daß das einzige Licht von so bescheidener Zurückhaltung war, daß es nur spärlich eine Nußschaale erhellt haben würde.
Das Klopfen wiederholte sich. Mit Muth und Entschlossenheit, wie der gefährliche Augenblick erheischte, faßten acht Hände zugleich nach dem Leuchter und vier Stimmen schrieen gewaltig nach Hülfe. Erschrocken fiel die Aufwärterin beinahe vom Stuhle und erkundigte sich schlaftrunken nach der Ursache des allgemeinen Aufruhrs. Einige stumme Andeutungen genügten, ihr Alles zu erklären, und mit mehr Muth, als man einem Weibe zumuthet, ergriff sie das schwindsüchtige Licht und erhellte nach Möglichkeit das verdächtige Fenster. Ein bleiches, jugendliches Gesicht zeigte sich durch die Scheiben und eine vor Frost zitternde Stimme bat dringend um Einlaß.
Die Magd ging, um zu öffnen, während die etwas beruhigten, von Gespensterfurcht ergriffenen Gäste erwartungsvoll nach der Thüre blickten. Ein junger, ganz durchnäßter Mann trat mit einem bescheidenen Guten Abend herein. Sein, obgleich dürftiges Aeußere verrieth einen auf einer Fußreise begriffenen Studenten, weshalb sich die Spießbürger auch veranlaßt sahen, seine Höflichkeit mit einem » bonus dies»« zu erwidern. Ohne ihnen aber eine weitere Rücksicht zu schenken, warf sich Jener nach einigen leise mit der Magd gewechselten Worten auf eine Bank, schob sein kleines Felleisen unter den Kopf und legte sich zum Schlafen zurecht. Auf alle Fragen der neugierigen Herren blieb er stumm, die sich endlich verdrießlich entfernten.
Kaum waren sie jedoch aus dem Hause, als der Student lebhaft aufsprang und sich an die Aufwärterin mit der Frage wendete:
»Wohnt noch Frau von H… in Friedersdorf?«
»Ja; eine sonderbare Frau,« entgegnete das Mädchen.
»Kommt sie oft in die Stadt?« fragte der junge Mann weiter, ohne ihre Bemerkung zu beachten.
»Selten; sie hat hier keine Freunde, der einzige scheint noch mein Herr zu sein, der Wirth zum goldenen Lamm, bei dem sie in der Regel absteigt.«
»Weiß man nichts Näheres über ihre Verhältnisse; wie lebt sie?«
»Man munkelt allerlei, doch kann man darüber nichts Gewisses sagen, da sie sehr zurückgezogen lebt und keine Besuche empfängt. Auch sieht man sie fast nur Sonntags in der Kirche.«
»Immer noch das alte Treiben,« murmelte der Student, dann fragte er lauter: »wie weit ist es nach Friedersdorf?«
»Kaum eine halbe Stunde.«
»Ich will morgen dahin, da ich jedoch kein Geld habe, um mein Nachtlager zu bezahlen, so möchte ich den Wirth sprechen; ich will ihm ein Pfand übergeben, das ich binnen kurzer Zeit wieder einlösen werde.«
»Er ist nicht zu Hause, auch habe ich den strengsten Befehl Niemanden unentgeldlich aufzunehmen; Sie dürfen das nicht übel nehmen, aber seit mehreren Jahren sind hier viele Diebstähle vorgekommen und jeder Fremde wird mißtrauisch angesehen.«
»Nun, so nimm Du das Pfand, bewahr' es mir gut, es ist der letzte Schimmer eines verlornen Glücks,« sagte er.
Seine Stimme zitterte und zögernd übergab er der Magd ein kostbares Armband, das er aus dem Busen zog.
Mit einigem Verdacht nahm es die Aufwärterin, doch beruhigt durch das edle Gesicht des jungen Mannes sprach sie lächelnd, indem sie das Armband in die Geldkasse verschloß und dann das Licht ergriff:
»Kommen Sie, ich will Sie in ein anderes Zimmer bringen; kehrt mein Herr bis morgen nicht zurück, so sollen Sie Ihr Pfand wiedererhalten, und Sie können gelegentlich das Schlafgeld entrichten.«
Beide verließen das Zimmer. –
Mit Anbruch des folgenden Tages war der Wirth des goldenen Lammes von seiner Reise, die kaum eine solche zu nennen war, bereits wieder zurückgekommen, zu gleicher Zeit rüstete sich der junge Student zum Aufbruch. Auf Anrathen der Magd jedoch, die ihm auf der Hausflur begegnete, wollte er noch persönliche Rücksprache seines Pfandes wegen mit ihrem Hausherrn nehmen.
Der Wirth war ein alter, freundlicher Mann, der ihm sogleich das Armband zurückstellen wollte; sie gingen deshalb in die Schenkstube, wo es die Magd verschlossen hatte. Wie erschraken sie aber, als sie die Kasse erbrochen fanden und die zerbrochenen Scheiben des Fensters ihnen bewiesen, daß hier während der Nacht ein Einbruch stattgefunden hatte. Das Armband und das Geld waren verschwunden.
Die Magd wurde herbeigerufen und von dem Wirthe, dessen erster Verdacht auf sie fiel, scharf befragt; ihr deutliches Entsetzen aber und ihre durch mehrere Dienstjahre bewiesene Redlichkeit und Treue mußten jedes Mißtrauen beseitigen.
Trostlos über seinen Verlust, doch ohne dem Wirthe seinen Namen und Stand zu nennen, entfernte sich der junge Mann, während Jener sich beeilte, den Gerichten von dem Vorfall Anzeige zu machen. Auf dem Wege dahin, fiel ihm freilich zu spät seine Nachlässigkeit ein, sich nicht näher nach dem ihm gänzlich Unbekannten erkundigt zu haben.
Friedersdorf ist ein kleines, reizend gelegenes Dorf. Die zierlichen Häuser sind ganz verschieden von den gewöhnlichen Bauernhütten und mehr für den Sommer-Aufenthalt wohlhabender Bürger eingerichtet. Die Nähe mehrerer kleiner Städte erklärte diese Einrichtung leicht. Eines dieser bezeichneten Häuser bewohnte seit mehreren Jahren Frau von H…, die Wittwe eines Offiziers, der mit ihr eine sehr unglückliche Ehe geführt hatte.
Frau von H ... war eine sonderbare Dame, voll bizarrer Eigenschaften; man wußte nicht, sollte man sie krankhaft oder wirklich böse nennen. Unzugänglich für Jedermann, von schroffer, abstoßender Kälte, machte sie und empfing sie nie Besuche. Sie haßte die Menschen, nicht aus moralischer Ueberzeugung von deren Verderbtheit, nicht aus der Quelle herben Unglücks, welches die Einsamkeit als Heilmittel ansieht, nein, die Menschen dünkten ihr nicht gut genug, mit ihr umzugehen. Sie war das vollkommenste Wesen, sie war der Inbegriff aller vortrefflichen Eigenschaften. Sonderbar kontrastirte damit ihre Frömmigkeit, die wirklich aus dem Herzen kam; es war aber nicht die goldene Frucht des Wohlwollens und der Liebe, es war die giftige Täuschung des Aberglaubens und der Furcht vor dem Drüben. –
Frau von H ... liebte Niemanden auf der ganzen weiten Erde, als sich selbst; sie war eine Erscheinung, nicht mehr sonderbar, sondern vielmehr abnorm. – Trotz ihres Matronenalters war sie von unbegrenzter Eitelkeit, und man erzählte sich viel davon, daß sie zu ihrem eigenen Ergötzen sich öfter umkleide und ihren Schmuck stundenlang vor dem Spiegel ordne und betrachte. Woher sie die Mittel zu ihrer Existenz nehme, da es zweifelhaft war, ob sie eine Pension bezog, wußte Niemand. Eine einzige Ausnahme in ihrem Benehmen machte sie mit einem alten, mürrischen Diener, gegen den sie sich freundlicher und vertraulicher zeigte.
Wie gewöhnlich lag sie auf dem Sopha ihres sehr geschmackvoll eingerichteten Zimmers, ein Buch in der Hand, als sich die Thür öffnete und der junge Student schüchtern hereintrat. Mit Verwunderung über die außergewöhnliche Erscheinung, doch ohne die mindeste Veränderung in ihren kalten, strengen Zügen blickte sie auf. Der junge Mann erbebte – das war kein Auge, in dem sich das große Herz der Mutterliebe spiegelte, das war nicht das erwartete Wiedersehen nach unendlich langen Jahren der Trennung.
»Was willst Du?« fragte Frau von H… mit scharfer, dünner Stimme ihren Sohn.
»Mutter!« schrie dieser auf, und der starke, feste Mann brach zusammen, wie das schwanke Rohr im Hauche des Sturms.
»Keine Auftritte! wenn ich Dich bitten darf,« entgegnete jene kalt und regungslos.
Ihr Sohn erhob das marmorbleiche Antlitz, betrachtete langsam schweigend die Frau, der er das Leben verdankte und sprach endlich in leisem, gedämpften Tone:
»Mutter, so hat sich denn nichts in den vielen Jahren unserer Trennung geändert? Du hast noch immer kein Herz für Deinen Sohn? Ich war jung, sehr jung, als ich Dein Haus verließ, aber mein Sinn war ernst, gealtert unter dem herben Drucke Deiner Erziehung; doch glaubte ich damals, Du habest Recht gehandelt, als Du die fröhliche Lust der Jugend in mir vernichtetest und scheue Ehrfurcht für Deine Lebensansichten diese ersetzen mußte. Arm, dürftig an Kenntnissen und Freuden des Herzens trat ich hinaus unter fremde Menschen. O, daß ich von diesen lernen mußte, was ich bis dahin entbehrt hatte, das, Mutter, das war sehr schmerzlich! Weinend warf ich mich oft auf mein Lager und mein von Dir verstoßenes Herz wollte brechen in seiner Einsamkeit, das immer wieder und wieder nach meiner Mutter verlangte. Ich arbeitete Tag und Nacht unter den mühseligsten Entbehrungen, da ich von Dir keine Unterstützung erhielt, mit dem festen Entschlusse, Dir einst zu beweisen, daß von den edelsten Gütern der Erde die liebevolle Vereinigung zwischen Mutter und Kind das höchste ist.« –
»Was sollen diese Phrasen? hätte ich für Dich etwas thun können, ich würde es gethan haben, ohne auf Dank zu rechnen; so mußte ich Dich auf meine Verwandten hinweisen.« –
»Ich weiß es, Mutter« – des Sohnes Blicke wendeten sich unwillkürlich auf die reichen Gegenstände des Zimmers – »und wollte Dir keinen Vorwurf machen, aber wie der Thau die welkende Blume erquickt, belebt ein Wort, ein Hauch uneigennütziger Liebe das brechende menschliche Herz und aus den vernichteten Gefühlen entkeimen neue, größere! Das, Mutter, hast Du von Kindheit auf an Deinem Sohn zu üben vergessen!«
»Und nun soll ich es wol nachholen, da Du alt genug geworden bist, um Dir einen eigenen Heerd zu gründen? Eine eigenthümliche Zumuthung! Es wird Dir hoffentlich genügen, wenn ich Dir erkläre, daß in meinem Hause kaum Raum für mich selbst ist.«
»Und doch, Mutter,« erwiderte der Sohn nach innerem Kampfe, »bin ich genöthigt, mir eine Zuflucht von Dir zu erbitten.«
»Wie das?«
»Uebersieh nicht, daß ich jung bin und daß die Zeit an gewichtigen und erschütternden Ereignissen so reich ist, daß sie Alles mit sich fortreißt auf ihren gewaltigen Schwingen.«
»Du bist ein Verräther an König und Staat?« – das Auge der Frau von H… blitzte.
»Nein, Mutter, ich ehre den König und kämpfte nicht unter den Fahnen des Aufruhrs, aber ich sprach gegen die Maßregeln, die vom Throne herunter genommen wurden. Meine Begriffe vertragen sich nicht mit den blutigen und strengen Anordnungen, die eine Saat unterdrücken sollen, welche die Zeit ausgestreut hat. Diese Strenge, welche die Menschen auf's Blutgerüst oder zum Kerker führt, untergräbt das Familienglück von Tausenden, vernichtet das Vertrauen, erzeugt schleichenden Grimm und Haß, und das gefürchtete Verderben des Vaterlandes versteckt sich unter der lächelnden Maske der Erwartung und des lauernden Verraths! Die versöhnende Milde soll die Schwester sein der Gerechtigkeit. – Wenn gewöhnliche Menschen fehlen, blickt man gleichgültig, oder weint eine Thräne über ihre Verirrung, wenn aber die Hoheit auf dem Throne, von deren Wink das Wohl und Wehe von Millionen abhängt, mehr wie irrt, erzittert ein Königreich.«
»Du bist ein Flüchtling?«
»Ja, Mutter.«
»Und Du glaubst bei mir eine Zuflucht zu finden?«
»Ich hoffte es.«
»Das ist neu! vergißt Du so ganz, daß ich die Wittwe eines königlichen Offiziers bin? Daß ich dem Könige eine Unterstützung verdanke?«
»Ich rechnete auf das Herz meiner Mutter.«
»Deiner Mutter! spare Dir jede weitere Auseinandersetzung – ich selbst werde Dich den Gerichten überliefern!«
Frau von H… stand auf.
»Mutter!« rief mit herzzerreißendem Tone der Student, indem er sich Frau von H… leidenschaftlich entgegenstürzte, »willst Du Deinen eignen Sohn verrathen?«
»Das werde ich,« erwiderte die unnatürliche Mutter, indem sie den einen Arm ausstreckte, um den Erbarmenflehenden von sich abzuweisen.
Bei dieser Bewegung fiel dem Zurücktaumelnden ein blitzender Gegenstand in's Auge, bei dessen Anblick er erschrocken in die Höhe sah und seine Brust furchtbar zu arbeiten begann.
Was sah er? Täuschte er sich nicht? Nein! Am Handgelenk seiner Mutter glänzte das Armband, das diese Nacht gestohlen wurde.
Während er noch sann, wie und auf welche Weise es in ihrem Besitz gekommen, weil er den schrecklichen Gedanken, der ihn überschlich, noch immer, wenn auch nur schwach, von sich abzuweisen versuchte, traten plötzlich nach zweimaligem vergeblichen Klopfen mehrere Gerichtsdiener ins Zimmer, in Begleitung des Wirthes »zum goldenen Lamm« und seiner Magd.
Etwas erstaunt über den unerwarteten Besuch, doch ohne Zeichen der Verlegenheit wendete sich Frau von H ... an den ersten Beamten mit der Frage:
»Sie suchen vermuthlich meinen Sohn – dort ist er!« –
»Allerdings,« erwiderte der Beamte, »allerdings, gnädige Frau, könnte mein Besuch auch Ihrem Herrn Sohn gelten. Bereits vor mehreren Wochen ist eine Requisition an das hiesige Gericht ergangen, worin die Vermuthung ausgesprochen wurde, daß sich Ihr Herr Sohn bei Ihnen aufhalten könne; jedoch vor einigen Tagen ist von der Kammer mit Genehmigung Sr. Majestät des Königs, eine Amnestie für geringere politische Vergehen ertheilt worden, dieser Gunst des Schicksals ist auch Ihr Herr Sohn theilhaftig.«
Etwas bestürzter, doch immer ohne die geringste Ahnung, fragte Frau von H… spöttisch:
»Und nun?«
»Sie werden vielleicht gehört haben« – der Beamte fixirte sie scharf – »daß in den umliegenden Ortschaften seit ungefähr drei Jahren mehrfache Diebstähle vorgekommen sind, ohne daß es bis diesen Morgen möglich gewesen wäre, die geringste Spur über den Thäter zu erlangen.«
»Sie werden doch den Dieb nicht bei mir suchen wollen?« entgegnete Frau von H… bebend, indem sie ihren Blick über ihren Sohn gleiten ließ, der, niedergesunken in einen Stuhl, sein Gesicht mit beiden Händen bedeckte.
»Doch, gnädige Frau,« fuhr der Beamte fort, »in der vergangenen Nacht fand ein wiederholter Einbruch statt im Hause des hier anwesenden Wirthes. Bei der genauen Untersuchung der Ortslage, fand man unter dem Fenster des Zimmers, woselbst der Diebstahl vorfiel, ein Taschentuch mit den Anfangsbuchstaben Ihres Namens, gnädige Frau. Ihr Diener, der heute morgen gerade in der Stadt anwesend war, wurde sofort verhaftet und gestand denn auch bereits, daß, während er zum Fenster hineingestiegen war, Sie unter demselben in Männerkleidung Wache gehalten hätten.«
Der Beamte wollte noch etwas hinzufügen, als ihn ein krampfhaftes, gellendes Lachen unterbrach. Frau von H… hatte den Anfang des Berichtes starr und regungslos angehört, nach und nach veränderten sich ihre scharfen Züge, eine fahle Blässe umzog ihr ganzes Gesicht, einzelne kalte Tropfen zeigten sich auf der Stirn, ein leises Zittern ergriff ihre Glieder, es durchlief wie glühendes Erz den ganzen Körper und mit der Gedankenschnelle, die nur die Verzweiflung giebt, durchzuckte ihr Gehirn das Wort: entehrt! – Ihre Lippen bebten, ihre wildrollenden Augen suchten ihr einziges Kind, ein convulsivisches Lachen zersprengte die Eisenringe um ihre Brust und mit dem krampfhaften Ausrufe: »mein Sohn! mein Sohn!« stürzte das starke Weib zusammen. –
Alle eilten herbei – der Schlag hatte sie getroffen, sie war todt!