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Ein verhängnißvoller Tag.


Pelagia von Turwald überstrahlte an körperlichen, wie an geistigen Vorzügen alle Damen der Residenz. Sie war von hoher, imponirender Gestalt, ihre Züge durchweg edel und von so seltener Schönheit, daß sie auf den ersten Blick die Aufmerksamkeit herausforderte. Obwol sie ihren Feuergeist durch Selbstbeherrschung zu zügeln gelernt hatte, waren doch die tiefglühenden Augen sprechende Verräther desselben, und die innerlich zurückgehaltene Gluth eines Herzens, dem die Welt keine Befriedigung bieten konnte, fand sie nicht gerüstet genug gegen die schlau berechneten Machinationen eines Abenteurers, der sie in den Salons der Residenz kennen gelernt hatte.

Es giebt Männer, die sich ein eigenes System bilden, weibliche Herzen zu gewinnen und Schritt für Schritt ihren Eroberungsplan verfolgen. Das ist eine Abscheulichkeit, aber eben so wahr, als daß von der Poesie der Liebe in der jetzigen Zeit nur wenige Spuren zu finden sind. Der Materialismus hat der Poesie eine Schlacht geschlagen, und die letztere hat den Rückzug nehmen müssen.

Ein solcher Mann war der Marchese Castellamare. Er wußte, daß Pelagia ein großes Vermögen zu erwarten habe. Er hatte die Bekanntschaft ihres Vormunds, des lachlustigen Herrn Meinhard gemacht, und bald wurde er ein fast täglicher Gesellschafter im Hause desselben. Mit einer erstaunenswerthen Menschenkenntniß ausgerüstet, klug, geistreich, erfahren in allen Lebens-Stellungen und Verhältnissen, war es ihm ein Leichtes die Tugenden und Fehler eines Menschen zu sondiren. Dies, eine stets ausgesuchte Toilette, und eine, wenn auch nicht hervorragende, doch interessante Persönlichkeit, machte ihn zum Gegenstande der Aufmerksamkeit aller Damen.

Außerdem gewann er an Anziehungskraft durch das Geheimnißvolle seines Herkommens, durch die Unbekanntschaft seiner früheren Lebens-Verhältnisse. Nie war darüber etwas Gewisses zu erfahren. Er war überall bekannt, in Paris, London, Wien, Berlin, und überall nur in exclusiven Kreisen. Niemandem fiel es ein das Richtige zu vermuthen, nämlich, daß der Marchese recht gut wußte, welche Macht das Geheimnißvolle auf viele Gemüther ausübe. Ein Atom gewinnt dadurch Bedeutung.

Ein Jahr hatten die Besuche des Marchese im Hause des Herrn Meinhard gedauert, als plötzlich das Gerücht in der Residenz auftauchte, Pelagia von Turwald sei mit dem Marchese Castellamare verlobt. Der Marchese hatte bei dem Vormund um die Hand Pelagia's angehalten. Sie aber, von einer plötzlichen, unerklärbaren Angst und Beklommenheit erfaßt, suchte den gethanen Schritt rückgängig zu machen, was ihr jedoch nicht gelingen wollte. Sie liebte den Marchese nicht. Er aber, mit den Hülfsmitteln eines überlegenen Geistes ausgerüstet, hatte nach und nach auf ihr Leben Einfluß gewonnen. In einer jener Stunden, denen auch das stärkste weibliche Herz unterliegt, hatte er sie in den glühendsten Worten beschworen, ihm ihre Hand zu reichen. Befangen, wie unter dämonischen Einfluß, hatte sie eingewilligt – um Tags darauf den Schritt zu bereuen. Was half es ihr, daß sie die Nacht durchweinte, daß sie in laute Klagen über ihre Schwäche, über die Gebrechlichkeit der menschlichen Seele ausbrach; der Marchese war schlau genug den Vorwürfen, die er erwartete, auszuweichen.

An dem nächsten Tage waren Verlobungskarten zahlreich im Umlaufe, und nie benahm er sich rücksichtsvoller, zärtlicher, zuvorkommender, als nach diesem Vorfall. Auch schützte er eine Geschäftsreise vor, die ihn auf zwei Monate nach Turin, seiner Heimathsstadt, riefe. Im Grunde aber gehörte diese Reise zu seinem Plane, der ihm vorschrieb Pelagia jetzt auf einige Zeit zu verlassen. Er glaubte die Abwesenheit würde dazu beitragen, sie ruhiger, sie mit dem Unvermeidlichen vertrauter zu machen. Tags darauf reiste er ab, nicht aber, wie er vorgab, nach Turin, sondern in ein großes, deutsches Bad, wo er sehr häufig an der Spielbank gesehen wurde. Vorher hatte er wohlweislich, durch Herrn Meinhards unwissende Zuvorkommenheit begünstigt, sich eine Schenkungsurkunde ausstellen lassen, falls von ihrer Seite die beabsichtigte und bereits festgestellte Vermählung rückgängig gemacht werden sollte.

Die Vorsicht des Marchese war vollkommen am Platze. An demselben Tage, an welchem er abreiste, kehrte der Freiherr Egon von Wallor aus Griechenland nach mehrjährigem Aufenthalte in seine Heimath zurück. Der junge, phantasiebegabte Mann hatte dort Ideale gesucht und nicht gefunden. Der heimathliche Boden hatte ihm die Befriedigung seiner Sehnsucht vorbehalten. Auf einem Festin, das zu Ehren seiner Rückkehr von einem Freunde veranstaltet wurde, sah er im Kreise der ausgelesensten Schönheiten, aber alle diese weit überstrahlend, Pelagia. Sie sehen und mit aller Gluth eines Herzens, das durstend nach dem Höchsten sich sehnt, dem es bisher vergeblich nachgejagt – für sie empfinden, war Eins.

Auch Pelagia mit ihrer tiefen gewaltigen Seele, die wol für einen Augenblick, aber nicht länger von einer Selbsttäuschung befangen werden konnte, erkannte mit siegreicher Ueberzeugung in Egon den ihr ebenbürtigen Genius, den sie, ohne ihre geistige Individualität aufzugeben, mit der ganzen Hingebung des Weibes umfassen konnte. In diesem edel geformten Kopfe mit den geistreichen Zügen, umkränzt von schwarzen Locken, die mit dem bleichen Teint lebhaft contrastirten, in diesen seelenvollen dunklen Augen, die bald in sanfter Melancholie schimmerten, bald im Feuer der Rede heller aufblitzten, lag die vollkommene Gewähr einer idealen Natur, wie ein Weib von Pelagia's Charakter sie erheischte. Diese beiden Naturen mußten sich unwiderstehlich anziehen.

Zu der Ernüchterung, die Egon aus Griechenland mitgebracht hatte, war noch diejenige hinzugetreten, in die ihn das Wiederfinden seiner Schwester Emma versetzt hatte. Trostbedürftig hatte ihr das brüderliche Herz entgegengeschlagen, von der Schwester hatte es Ersatz gehofft für so viele bittere Täuschungen – und sie bot ihm nichts. Fortgerissen in den Strudel der Zerstreuungen, die ihr Genuß gewährten, ihm schaal erschienen, hatte sie keine Zeit für den Bruder, kein liebevolles Wort für seine Seelenschmerzen. Mit aller Gewalt einer ausschließlichen Empfindung hing sich daher Egons Herz, seit dem Abend der ersten Begegnung, an Pelagia, die mit Innigkeit so viele verwandte Saiten in seiner sehnsüchtigen Seele angeschlagen hatte. In ihr wurzelte von nun ab sein Herz, sein Leben.

 

Egons Liebe machte rasche Fortschritte. Es war ein schöner Sommerabend, als er sich zum ersten Male mit Pelagia in ihrem Zimmer, auf dem eine halbe Stunde von der Residenz entfernten Landgute ihres Oheims und Vormunds, unter vier Augen befand. Kein Licht brannte in dem Gemach, die letzten Strahlen fielen flammenroth durch die glänzenden Fensterscheiben herein und erhellten es mit einem magischen Schimmer. Pelagias Antlitz, überstrahlt von dem himmlischen Scheine, war anzuschauen, wie das Bild einer Heiligen, nie war sie ihm schöner erschienen. Er lehnte an ihrem Schreibtische und betrachtete sie lange, innig. Keiner sprach, Keiner trat zu dem Andern, Keiner machte eine Bewegung und doch waren ihre Seelen vereinigt. –

Es waren schöne, lange Augenblicke, hinweggeträumt von der kalten, armen Erde. Die Empfindung der Liebe gehört dazu, um das zu begreifen. Die Dämmerung wich der Nacht, ein Diener trat mit Licht herein. Es wurde anders. Das kalte, arme Leben trat in seine Rechte mit der Gegenwart eines Dritten. Der Diener stellte die Wachskerze vor Egon auf den Secretair, der offen stand. Egon fuhr aus seinen Träumen empor, sein Auge fiel auf eine geöffnete Schublade. Mit dem Falkenblick der Liebe las Egon etwas, was ihm ein Trugbild seiner Sinne zu sein schien. Er las und las wieder. Pelagia träumte noch immer fort. Da weckt sie ein Schrei, gellend, scharf, ein Angstruf einer hinsterbenden Seele. Sie starrt empor – zwischen den Fingern hält Egon eine Verlobungskarte – ihr Name, der Name des Marchese Castellamare steht darauf. Sie ist vernichtet.

Die Thüre des Zimmers wird aufgerissen und der Marchese in Person tritt herein – ihr Verlobter. Egon steht noch immer, das Auge fest auf die Karte gerichtet. Es wird ihm so heiß und wieder so kalt, es schüttelt seinen Körper so furchtbar, als berühre ihn der glühende Athem des Sirocco. Da hebt er das Haupt empor, sein Blick begegnet dem blitzenden Auge des Marchese, eine Erkennungsscene erfolgt, niederschmetternd für den Einen, zur Raserei entflammend für den Andern. Pelagia hörte nichts. Die Scham hatte ihren Schleier über sie geworfen, sie sah und vernahm nichts. –

Als sie endlich nach langer, langer Zeit die Augen aufschlug, lag der Marchese vor ihr auf de n Knieen, Egon war verschwunden. Heftig sprang sie empor und fragte nach ihm.

»Wen meinen Sie?« fragte der Marchese kalt.

»Ihn, Egon!«

»Ich glaubte, es hätte Niemand ein größeres Recht auf Ihre Theilnahme, als Ihr Verlobter. Oder sollt' es in der Zwischenzeit anders geworden sein?«

Der Marchese wollte sie nach diesen Worten umarmen, sie stieß ihn heftig zurück und wiederholte nur immer:

»Egon, Egon! was wirst Du von mir denken!«

Der Marchese, glühend vor innerer Erregung, wollte auffahren, aber das drückende Bewußtsein einer Schuld ließ den Zorn nicht aufkommen. Auch trat mit einem freudestrahlenden Gesicht Herr Meinhard in das Zimmer, der sich vor Lachlust nicht zu fassen vermochte, als er die beiden Verlobten so feindselig gestimmt sah. Mit der Bonhommie der Bornirtheit lud er den Marchese zu einer köstlichen Flasche echten Xeres. Der Marchese konnte dem Andringen dieses würdevollen Clown nicht widerstehen. Auch brauchte er Sammlung seiner Geisteskräfte. Er entfernte sich mit dem ihn am Arm zerrenden Herrn Meinhard, indem er noch leise Pelagia zuflüsterte:

»Ich hoffe, mein schönes Fräulein, Ihre Ehre wird Ihnen so lieb sein, wie mir theuer, unauflöslich Ihre Liebe bleiben wird!«

Pelagia verbrachte eine furchtbare Stunde. Sie wußte nicht, was sie beginnen sollte. So abscheulich aus ihrem süßen Vergessen gerissen zu sein, so schnell den glücklichen Traum ihrer Liebe vernichtet zu sehen ... es war ein todtdrohender Gedanke. Lange starrte sie vor sich hin. Dann fuhr sie wieder auf, preßte das Haupt zwischen beide Hände, als wollte sie den Verstand zwingen, ihr zu sagen: »Das mußt du thun!« –

Sie durchschritt mehrere Male das Zimmer, jubelte auf, schrak gleich darauf heftig zusammen, kein Ausweg wollte sich ihr zeigen. Immer und immer stand der Marchese drohend, gebietend vor ihren Augen, immer und immer hörte sie aus dem Munde Egons das Wort: »Verrath der Liebe!« Was hätte sie nicht darum gegeben, ihn hier zu sehen, ihm zu sagen: »Ich liebe Dich allein, schilt mich nicht eine Verrätherin, ich bin keine?«

Die Minuten schienen in Blei zu liegen, der Zeiger der Zimmeruhr rückte nicht von der Stelle. Endlich war eine Stunde verflossen. Pelagia war ruhiger geworden, sie bemühte sich ihre Gedanken zu sammeln. Ein Diener trat ein. Er brachte ein Billet. Hastig griff sie darnach, ihre Ahnung täuschte sie nicht, es war von Egon. Sie winkte dem Diener heftig, sich zu entfernen, Niemanden, selbst Herrn Meinhard und den Marchesen nicht vorzulassen, und erbrach darauf das in großer Eile geschriebene Billet.

Die Züge, halb verwischt, konnte nur das Auge der Liebe entziffern. Es enthielt den leidenschaftlichsten Erguß eines verrathenen Herzens, glühende Worte, aber vom Hauche des Todes durchweht. Zum Schluß wurden die Buchstaben fester, gedrängter, vernichtender. Da stand etwas, ganz am Ende, was sie wieder und wieder las, um es zu glauben. Es war nicht anders, die Zeilen blieben, so oft sie darüber flog, immer dieselben. Aber sie gaben ihr die ganze Energie ihrer Seele wieder.

Rasch warf sie einen Mantel über, ergriff einen Hut und eilte von dannen. Das Gut ihres Vormundes, wo diese Vorfälle sich ereigneten, lag zwar eine gute halbe Stunde von der Residenz, wo Egon seine Besitzung hatte, beschwerlich genug für eine ungewohnte Fußgängerin, aber was ist für die Liebe zu beschwerlich! Sie kannte das Haus Egons. Sie schellte. Ein vorwitziger Bediente lachte über den nächtlichen Besuch und ließ einige vertrauliche Reden fallen. Eine energische Antwort brachte ihn zum Schweigen. Er zeigte nach einem durch das Laub der Bäume schimmernden Lichte. Sie eilte darauf zu, öffnete die Thür eines eleganten Pavillons, und trat ein.

Egon lag auf dem Sopha, bleich, entstellt, theilnahmlos. Seine Augen waren abseits gewandt. Eine heiße Umarmung, ein glühender Kuß – er blickte verwundert empor. Mit heißer, strömender Beredtsamkeit erzählte sie ihm Alles, ihre Abneigung gegen den Marchese, daß sie ihn, nur ihn liebe, Egon, das Bild ihres Herzens. Sie bekannte ihre Verblendung, sie nannte sich schuldig. Ein solches Bekenntniß mußte ihn zu ihr zurückführen; in dem Bekenntniß einer Schuld liegt schon die halbe Verzeihung.

Egon hörte so gern zu, aus seinem Herzen wich jeder Groll. Er erzählte ihr, daß er den Marchese bereits früher, in Turin kennen gelernt habe, daß dieser einer Fälschung wegen genöthigt gewesen sei, die Heimath für immer zu verlassen; er sei bereits vermählt und habe seine Gattin in Elend und Kummer zurückgelassen. Die Verlobungskarte, die er in Pelagia's Sekretair erblickt, sei ihm nur an sich aufgefallen, keineswegs der Name Castellamare, welcher, wie ihm beim Anblick des Marchese selbst klar geworden, nur ein angenommener sei.

Nachdem Egon seinen Bericht vollendet hatte, mußte Pelagia noch ein schwereres Bekenntniß, als das vorangegangene, ablegen. Der Marchese hatte nicht allein das von Herrn Meinhard ausgestellte Document, das ihn zum Herrn der Güter Pelagia's machte, in Händen, auch andere schriftliche Zeugnisse über ihr beiderseitiges bisheriges Verhältniß hatte er sich zu verschaffen gewußt. Was damals vielleicht tändelnd, bedeutungslos gegeben worden war, bekam jetzt ein schweres Gewicht. Es ließen sich aus den Papieren, wenn man wollte, Dinge herauslesen, die sie verurtheilen, mindestens stark compromittiren mußten.

Wie Pelagia das überhaupt hatte schreiben können, das ist eine Frage, die sich sehr leicht beantwortet. Die Geheimnisse und die Allgewalt der Liebe gehen selbst auf eine blos flüchtige Reizung über, und Charakter des Geistes darf man von der Jugend nicht fordern. Wir sagen: Charakter des Geistes; die Flüchtigkeit und Unreife der Jugend-Empfindungen verbannen an sich jene Bezeichnung, die etwas Fertiges, Concises, Festes bedingt. –

Sie theilte vorsorglich Egon etwas über das Document mit und sprach von einigen andern minder wichtigen Papieren, ohne die volle Wahrheit einzugestehen. Es mußte ihr natürlich darum zu thun sein, die Zeugnisse eines früheren Bündnisses zurückzuerhalten und sie bat Egon um die Ausgleichung der Sache. Egon versprach, sich sogleich zum Marchese zu verfügen und eine gütliche Auseinandersetzung zu versuchen; sollte es in dieser Weise nicht gelingen, so gelobte er sich feierlich im Innern, nöthigenfalls Zwang und Gewalt anzuwenden.

Nachdem zwischen den beiden Liebenden diese ernste Angelegenheit verhandelt worden war, trat der Zauber der Liebe in seine Rechte. Sie kamen überein, sogleich nach Ausführung ihrer Beschlüsse, die Residenz zu verlassen und ihre Verbindung zu vollziehen.

Erst spät trennte sich Pelagia von Egon. Sie fand, nach dem Gute ihres Vormundes zurückgekehrt, diesen allein, der Marchese hatte sich bereits entfernt. Es war ihr ein Leichtes, Herrn Meinhard in seiner Meinung umzustimmen. Er brach gewohnter Maßen in ein herzliches Lachen über die »famöse Geschichte,« wie er sie bezeichnete, aus, und erklärte sich zu Allem bereit. Freilich gerieth er in eine nicht geringe Verlegenheit, als er sich erinnerte, daß ihn der Marchese auf mancherlei Weise düpirt habe. Er hielt plötzlich im Lachen inne, grade da es ein Vergnügen gewesen wäre, den vollen Erguß seiner Lachlust zu bewundern, und machte ein ziemlich dummes Gesicht. Bald aber holte er das Versäumte, in Folge der ferneren Erklärungen Pelagias auf die nachdrücklichste Weise ein, und die Räume der alten Herrenwohnung erdröhnten unter den gewichtigen Ausbrüchen seiner Lachmuskeln. –

 

Die späte Abendstunde des folgenden Tages fand den Freiherrn Egon von Wallor in seinem Gartenpavillon. Sein Gesicht war bleich und angegriffen, das Haar hing ihm verworren über Stirn und Schläfe, das schöne, etwas matte Auge kämpfte zwischen Erwartung und Müdigkeit. Vor ihm, auf einem Marmortische lagen verschiedene Bücher wirr durcheinander; ein Zeichen, daß der Besitzer Zerstreuung gesucht und nicht gefunden hatte. »Miltons verlornes Paradies« lag zerrissen auf dem Fußboden. Eine Ampel von chinesischem Porzellan hing von der Decke herab und erhellte nur schwach das Zimmer. Die halbgeöffnete Thür ließ in der draußen herrschenden Dunkelheit den Garten erkennen ... Plötzlich fuhr Egon empor und lauschte hinaus; unbefriedigt lehnte er sich nach einer Pause wieder zurück. Eine Uhr schlug halb elf.

»Sie kommt nicht!« murmelte er verstimmt, und stand auf. Er ging einige Mal auf und ab und blieb endlich vor einem Gemälde stehen. Es war ein sehr einfaches Bild: ein kleines Kind betete mit gefalteten Händen, vor ihm krümmte sich eine Schlange.

»Das Bild ist nicht wahr,« sprach er leise vor sich hin, »das Kind würde vor der Schlange geflüchtet sein, es würde mit entsetzlichem Geschrei nach seiner Wärterin verlangt haben. Aber freilich, der Maler wollte nur eine Allegorie. Er stellte das letzte Schutzmittel der Unschuld gegen die Bosheit dar – ein gefährlicher Versuch auf Kosten der Wahrheit! Während das Kind betet, umzüngelt es die Schlange. Es ist verloren!« –

»Verloren!« rief eine Stimme hinter ihm und zugleich fühlte er den Druck einer Hand auf seiner Schulter.

»Verloren!« entgegnete Egon, indem er sich rasch umwandte. »Ah, Du bist's, Emma, setzte er dann langsamer, mit einer Stimme, aus der getäuschte Erwartung sprach, hinzu,« wie kommst Du noch so spät hierher?

»Ich war eben im Begriff, mich zur Ruhe zu begeben, als ich von meinem Zimmer aus noch Licht bei Dir bemerkte. Die Besorgniß, Dir könnte etwas zugestoßen sein, führte mich hierher.«

»Ich danke Dir, Schwester, für Deine Theilnahme, sie war umsonst; mir fehlt nichts.«

»Und doch ist Deine Stirn umwölkt, Dein Auge unruhig – Bruder, was hast Du?«

»Nichts – Kleinigkeiten ... Gott! alle Augenblicke begegnet Einem etwas Unangenehmes. Es ist durchaus nicht wichtig, was mich beunruhigt.«

»Dein Kutscher sagt aber das Gegentheil.«

»Wer?« fuhr Egon auf, indem er zornig die Hand ballte und am ganzen Körper zitterte, »mein Kutscher? Ich werde den Menschen aus meinem Dienst jagen! Glaubst Du, daß ich einen Bedienten zu meinem Vertrauten machen werde?«

»Das glaube ich nicht, Bruder, aber er fuhr mit Dir aus.«

»Nun ja, mit mir,« wiederholte Egon erbebend, »aber es geschah nichts in seiner Gegenwart ... er stand mit dem Wagen eine Viertelstunde davon, auf der Landstraße; hat der Schurke mich belauscht, er soll es büßen!«

»Bruder!« – sie ergriff seine beiden Hände und zog den kaum Widerstrebenden zu sich auf die Ottomane – »Bruder, vergißt Du so ganz, daß ich Deine Schwester bin? Hab' ich Dir Veranlassung gegeben, es zu vergessen? Ist es denn wirklich wahr, was ich mir und Fremden nie eingestehen wollte, daß ich mit dem Tode unserer Eltern auch meinen Bruder verloren habe? Seit dem Hinscheiden unserer guten Mutter haben wir uns wenig und, wenn es geschah, nur immer auf kurze Augenblicke gesehen; warum mußte das so bleiben? Der Zufall will es, daß wir in diesem Sommer die gleiche Neigung haben, einen Theil desselben auf unserer gemeinschaftlichen Besitzung, diesem Schlosse zu verleben, aber es ist keine Einigkeit zwischen uns, Jeder verfolgt seinen eigenen Weg, ist das nicht traurig?«

Egon hatte ihr ohne ein Zeichen von Theilnahme zugehört, er faßte mit beiden Händen nach seinem Kopfe, als wollte er eine Erinnerung herauspressen, oder sich zwingen, das zu verstehen, was er so eben vernommen hatte. Zweifelnd wiegte er dann mehrere Mal sein Haupt und heftete den Blick bald auf seine Schwester, bald auf das bereits erwähnte Gemälde. Seltsame Gedanken durchkreuzten ihn; er sah sich am Sterbebette seiner Mutter. Heftig von dieser Vorstellung ergriffen, sprang er empor und stellte sich mit verschränkten Armen vor seine Schwester. Sie wollte seinem Blicke begegnen, senkte aber betroffen die Augen, als er ihr zurief:

»Dein Antlitz ist Lüge! Dein Wort desgleichen! Ich kann es Dir nicht beweisen, aber sagen kann ich es Dir, ich empfinde das zu lebhaft hier innen. Wir haben uns wenig im Leben gesehen, schon in den Tagen der Kindheit waren wir uns fremd. Unsere Neigungen widerstrebten einander. Ich mußte studiren und machte viele Reisen. Ich kam zurück, einmal am Todestage des Vaters, ein anderes Mal am Sterbetage der Mutter. Ich trat unerwartet in Dein Zimmer; Du spieltest harmlos mit einem jungen Manne Karten, während im Nebengemache eine Mutter vergeblich nach ihrer Tochter rief. Ich nahm Dich bei der Hand und führte Dich zu ihr. Sie wollte uns segnen, Du aber blicktest umher, und als Deine Augen das Testament auf einem Tische bemerkten, eiltest Du hinzu, ergriffst es voll Begierde. Du lasest, das brechende Auge der Mutter hing an Dir, sie griff krampfhaft in die Luft, sie verschied. Ich kniete weinend an ihrem Lager nieder und betete. Als ich mich erhob, warst Du verschwunden. Ich hatte das Alles nicht so genau im Gedächtnisse behalten und auf meinen späteren Reisen wieder vergessen. Seit ich aber hierher zurückgekehrt bin, seit ich hier so Manches erfahren habe, was mir das Herz bedrückt, ohne daß ich weiß, von welcher Seite die Schicksalsschläge mich treffen, seit dieser Zeit tritt mir Dein verabscheuungswürdiges Benehmen wieder lebhaft vor Augen und eine innere Stimme warnt mich fortwährend vor Dir – das ist traurig zwischen Bruder und Schwester.« –

Gin hoher schlanker Mann war während dieser Worte eingetreten, ohne von Egon bemerkt zu werden, als dieser jetzt schwieg, sprach er mit voller tönender Stimme:

»Sie werden sich wundern, Herr von Wallor, mich hier zu sehen, ich hoffe aber, es soll zu Ihrem Besten gereichen.«

»Allerdings kann ich meine Verwunderung nicht ableugnen,« entgegnete etwas zögernd Egon, »um so mehr, da ich mich nicht entsinnen kann, je Ihre Freundschaft herausgefordert zu haben. Es ist überdies spät in der Nacht, Herr Ballin.«

»Daß Sie doch immer Ihre Freunde zurückweisen,« antwortete der Angeredete spöttisch – »selbst dann, wenn Ihnen diese dienen wollen.«

»Und kann ich das von Ihnen erwarten, Herr Ballin? Sie waren bis jetzt der Freund meiner Schwester,« entgegnete Egon stolz.

»Erlauben Sie!« Mit diesen Worten bückte sich statt aller Antwort Herr Ballin und hob ein Buch vom Boden, indem er zugleich mit einer geschickten Wendung der Schwester Egons etwas zuflüsterte, ohne daß es dieser bemerken konnte.

»Obgleich Sie,« fuhr er dann in einem harmlosen Tone fort, »als Vormund Ihrer Schwester die Einwilligung zu einer Verbindung mit mir versagen, fühle ich weder Groll noch Abneigung gegen Sie, auch berücksichtige ich weiter nicht, daß Sie mich bei Ihrer neulich erfolgten Ankunft sogleich von meinem Posten als hiesiger Schloß-Inspector absetzten.« –

»Was soll das Alles?« unterbrach ihn heftiger Egon.

»Nichts, als Ihnen zu zeigen, daß ich kein Gedächtniß für Undank habe. Zufällig treffe ich vor einigen Stunden Ihren Kutscher in einem Wirthshause. Es war sehr ungeschickt von Ihnen, Herr Baron, diesem Burschen auf einmal so viel Geld in die Hand zu geben, er trinkt, und das ist das dümmste von allen dummen Lastern! Spielen möchte hingehen, aber im Weine steckt der Verrath.« –

»Herr Ballin!« rief Egon aus.

»Ja, ja, so ist es,« entgegnete dieser, ohne den Ausruf zu beachten; »übrigens hat der Bursche bereits seinen Lohn, er sitzt in einem ganz angemessenen Gefängniß, und Sie, Herr von Wallor, werden vielleicht noch diese Nacht die Ehre haben, ihm Gesellschaft zu leisten.«

Er wollte fortfahren, als ihn ein unauslöschliches Gelächter unterbrach, zugleich ließen sich draußen im Garten Tritte vernehmen. Egon eilte sogleich hinaus. Er hatte kaum die Hälfte eines Ganges durchschritten, als er beim Scheine einer unfern brennenden Pfahllaterne den Urheber des homerischen Gelächters in Herrn Meinhard, dem Vormund Pelagia's und sie selbst erkannte. Eine Eidechse, eines jener unschuldigen Thiere, welche den Frauen ein Gräuel sind, war seiner Begleiterin über die Füße gelaufen und gab Herrn Meinhard den Stoff zu dem unauslöschlichen Gelächter. Er verfehlte dann auch nicht, bei der Begrüßung des Freiherrn dem Vorfall eine Bedeutung zu geben, die in Erstaunen versetzte. Erst nachdem er allen Athem verlor und in einen anhaltenden Husten verfiel, gab er seiner Begleiterin Gelegenheit, mit Egon zu sprechen. Dieser ergriff ihre Hand, zog sie an die Lippen und fragte leise:

»Ich hoffe jetzt, diese Hand zu verdienen.«

Herr Meinhard, der sich wieder im Fluß der Rede fühlte, unterbrach die Liebenden mit den an Egon gerichteten Worten:

»Wissen Sie denn nicht, daß ich Kraft testamenti patris ihr leiblicher und geistiger Seelsorger bin? Ich dulde keine Geheimnisse. Heraus damit!«

»Vergessen Sie nicht, Herr Vormund,« erwiderte Pelagia im ruhigsten Tone, »daß ich morgen Kraft testamenti patris mündig werde, und daß ich nicht ohne Grund Sie ersucht habe, mich noch so spät nach dem Hause des Herrn Freiherrn zu begleiten.«

»Na, na, nur nicht so hitzig,« brummte Meinhard gutmüthig-verdrießlich, »ich dächte doch, ich hätte Ihnen durch meine jahrelange Vormundschaft gezeigt, daß ich es gut mit Ihnen meine. Könnten immer etwas mehr Vertrauen zu mir haben, Nichtchen. Indessen, es ist wahr! Wie stehts, Herr Baron? Ist Alles in Ordnung? Der Contract aufgesetzt?«

Egon bejahte schweigend die Frage. Seine Gedanken waren abwesend. Es schien ihn etwas zu foltern, eine Last lag schwer auf seinem Herzen. Pelagia wurde aufmerksam. Es durchzuckte sie plötzlich der Gedanke: ob ihr nicht Egon etwas verschweige, etwas Bedeutendes, das mit der auffallenden Abwesenheit des Marchese zusammenhinge? Es überlief sie kalt. Sie hemmte ihren Schritt und flüsterte Egon ängstlich zu:

»Haben Sie mir in Ihrem Briefe Alles mitgetheilt? O Gott, nein! Ich les' es in Ihren Blicken!«

»Sie haben nichts zu befürchten!« –

Weiter konnte Egon nichts erwidern, denn sie waren an den Pavillon gekommen, und Herr Meinhard drängte zur Verhandlung der Sache ohne Zeitverlust. Zugleich ließen sich streitende Stimmen aus dem Pavillon vernehmen. Egon fuhr auf, ihm fielen Herr Ballin und seine Schwester wieder ein. Rasch trat er ein.

Ein sonderbarer Anblick empfing ihn. Hochaufgerichtet stand seine Schwester mitten im Zimmer, in der einen emporgestreckten Hand ein zerknittertes Papier haltend. Der Schloß-Inspector mußte mit ihr gerungen haben, denn noch jetzt, beim Eintreten der Gesellschaft, hielt er den linken Arm um die Hüfte Emma's, während er die rechte Hand nach dem Papier ausstreckte, das sie vertheidigte.

Rasch sprang Egon zwischen Beide und schleuderte Ballin zurück.

»Was giebts hier!« donnerte er.

Ohne zu antworten, betrachtete Ballin die Angekommenen der Reihe nach und machte gegen Pelagia eine tiefe spöttische Verbeugung, während ein leises Lächeln über sein Antlitz glitt.

Pelagia erbleichte. Sie kannte den Mann. Sie wußte, daß von ihm nichts Gutes zu erwarten war.

Egons Wuth hatte sich inzwischen gesteigert. Keine Bewegung Ballin's entging ihm, weder sein Spott, noch die höhnische Verbeugung. Außer sich vor Erbitterung springt er zurück, reißt von der Wand ein Paar Pistolen und ruft:

»Sie sind geladen!«

Herr Ballin bleibt unbeweglich.

»Hören Sie es, die Pistolen sind geladen!«

Ballin zuckte die Achseln.

Egon hob das Pistol und zielte.

»Mörder!« donnerte da plötzlich der Inspector, höher hob sich seine Gestalt, mit gewaltiger Kraft und Behendigkeit hatte er dem Baron das Pistol entrissen. Egon brach mit einem lauten durchdringenden Schrei zusammen ...

Ballin, selbst betroffen von der unerwarteten Wirkung seines Ausrufs, sprang ihm zu Hülfe, während die Uebrigen theils furchtsame, theils bis zur Thatlosigkeit erschütterte Theilnehmer des Auftritts blieben. –

Egon erholte sich langsam. Sein Gesicht war entsetzlich bleich und entstellt, kalte Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Seine Hand hielt noch krampfhaft das Pistol umfaßt, der Schuß entlud sich durch eine Bewegung und erweckte die Gesellschaft aus ihrer Betäubung.

Pelagia stand, ohne aufzublicken, an der Thür. Aus ihren Zügen sprach eine stille Resignation, die trügerisch genug den Aufruhr ihres Innern verhüllte ...

Egon strich das herabhängende Haar aus seiner Stirn, schüttelte das Haupt und blickte scheu umher. Sein Auge fiel auf das Papier, das seine Schwester, die im Sopha zusammengesunken lag, noch immer in der Hand hielt.

»Was ist das für ein Papier? fragte er, wie konnte es zwischen Dir und Herrn Ballin ein solches Zerwürfniß hervorbringen? Ich will es sehen!«

Er wollte ihr das Blatt entreißen, sie verhinderte es aber fest und entschieden. Egon drang stärker in sie; worauf Emma unmuthig entgegnete:

»Es enthält nichts, als ein schriftliches Uebereinkommen zwischen mir und Herrn Ballin, was für einen Dritten ohne Interesse ist. Es kann Dir ganz gleichgültig sein, was es enthält. Der Herr Inspector war im Besitze des Papiers, ich hatte indessen Ursache, es nicht in seinen Händen zu lassen. Uebrigens bin ich Dir durch Dein Dazwischentreten zu Dank verpflichtet; ich will ihn Dir sogleich bethätigen.«

Emma stand bei diesen Worten auf und wandte sich an Ballin, der mit gekreuzten Armen, ohne die mindeste Bewegung, einen gleichgültigen Zuschauer abzugeben schien.

»Herr Inspector,« sprach sie mit beleidigendem Nachdruck, »unser Verhältniß betrachte ich fortan als gelöst. Denken Sie nie wieder daran, es anzuknüpfen. Jedes Wort in dieser Beziehung würde nur ein vergebliches sein!«

»Hab' ich Sie beleidigt?« fragte er, ohne die mindeste Ueberraschung zu verrathen.

»Nein!« erwiderte Emma kurz.

»Sie sind also meiner nur überdrüssig geworden? Ich hatte schon längst etwas davon bemerkt, aber immer glaubte ich noch, Sie würden klug genug sein, mich nicht zum Aeußersten zu treiben. Wie sonderbar, daß Ihnen erst so spät die Einsicht kommt, daß der Schloß-Inspector Ihres Bruders zu tief unter Ihnen steht. Warum blieben Sie nicht gleich anfänglich auf Ihrer Höhe? Warum hielten Sie mich Ihrer Neigung früher für würdig? Ich war also nur ein Werkzeug in Ihren Händen, das Sie zu beliebigen Zwecken verwenden wollten? Wir Männer sind doch rechte Thoren! Selbst die klügsten werden Narren, sobald sie ein schönes Auge ansieht! Gleiches mit Gleichem! Sie sind frei, mein Fräulein, aber erlauben Sie« – mit einer raschen und geschickten Bewegung hatte er ihr das Papier entrissen – »solche Documente dürfen nicht in der Hand einer so zärtlichen Schwester bleiben. Behalten Sie immer, was Ihnen gehört, aber dies gebührt Ihrem Herrn Bruder. Ich leiste ihm seinen Dienst weiter damit, aber ich möchte mich doch auf eine nachdrückliche Weise Ihrem Gedächtnisse einprägen!« –

Emma versuchte es, ihren Bruder an dem Empfange zu verhindern, es war zu spät, schon war das Papier in seinen Händen. Was er von ihr denken würde, war ihr ziemlich gleichgültig, doch fürchtete sie, daß er sie vor den Anwesenden compromittiren würde.

Sie liebte ihren Bruder nicht, ihre Naturen waren zu verschieden, obgleich die Schuld der Entfremdung größtenteils an ihr lag. Emma war ein starkes Weib, voller Kraft und Energie, aber der Energie des Bösen. Das Edle war ihr bekannt, aber fremd. Sie gab sich nicht die Mühe, es zu erkennen und zu wollen. Sie legte keinen Werth auf das, was Einzelne schätzen; mit der großen Masse zu schwimmen ist so leicht und bequem. Ihre Erziehung war eine gänzlich vernachlässigte gewesen. Die Verehrung für die Eltern, welche eine große moralische Stütze des Kindes sein kann, hatte sie nie kennen gelernt. Die Erinnerung der Kinderjahre war aus ihrem Gedächtnisse gänzlich verwischt. Die Mutter, früher selbst eine anerkannte Schönheit, legte auf diese imaginäre Eigenschaft ein zu großes Gewicht und überließ die Tochter ihren Neigungen. Emma war schön, geistreich, blendend, die Hoffnung der mütterlichen Zärtlichkeit war erfüllt. Das Gemüth? Die Seele? Was kümmerte das die alte Frau! Der Reichthum kann so viele Sünden verhüllen, und ihre Tochter wußte so herrlich zu scheinen, was sie sein wollte, daß sie ihr niemals Veranlassung zur Klage gab.

Egon, der Bruder Emma's, hatte bei seinem zur Schwermuth geneigten Charakter nicht die klare Ruhe eines Verstandesmenschen. Er liebte seine Schwester, aber da sie ihn zurückstieß, kein Vertrauen zeigte, mußte er sich zurückgeschreckt fühlen. Ernste Auseinandersetzungen fehlten zwar zwischen ihnen nicht, aber wo das Vertrauen auch nur auf einer Seite fehlt, kann von einer andauernden Vereinigung nicht die Rede sein. –

Er hatte gelesen. Mochte es nun sein, daß seine Seelenkräfte abgespannt waren, mochte er jenen höchsten Grad von Verzweiflung, da uns Alles mit völliger Gleichgültigkeit erfüllt, erreicht haben, genug, aus Egons Zügen sprach auch nicht die mindeste Überraschung. Und doch berührte der Inhalt seine Familienverhältnisse auf das empfindlichste. Die ganze Herzlosigkeit seiner Schwester sprach sich in mancherlei Vorschlägen aus, die sie machte, um ihr mütterliches Erbtheil zu vergrößern. Ferner enthielt das Papier ein offenes Bekenntniß ihrer zerrütteten Lebensweise und einige Zeilen verriethen das intimste Verhältniß Emma's zu Herrn Ballin. –

Später, da sich das Verhältniß lockerte, mußte natürlich Emma Alles daran liegen, das gefährliche Document zurückzuerhalten. Ballin, ein Mann gewöhnlichen Schlages, aber mit jenem instinctmäßigen Verstande begabt, der ihn für seine Unternehmungen fast immer das richtige Mittel wählen ließ, etwas, was man bei sonst völlig geistlosen Menschen öfter antrifft, Ballin hütete sich natürlich wol, eine so bedeutende Waffe aus seinen Händen zu geben.

Aber die angeborne Schlauheit des Weibes wußte ihn doch endlich zu überlisten. Während Egon aus dem Pavillon gestürzt war, hatte Ballin zufälliger Weise in seinem Portefeuille geblättert und ein Papier war demselben entfallen. Emma's scharfer Blick erkannte sogleich das wichtige Document. Mit neckenden Worten versuchte sie es anfangs, ihn zur Herausgabe desselben zu bewegen. Frauen können unwiderstehlich sein im Gewande des Scherzes und der reizvollen Koketterie. Ballin ließ sich bestricken. Er sah in die strahlenden Augen Emma's, träumte von wiederkehrender Liebe, tändelnd kam das Papier aus seiner Hand in die Hände Emma's.

Einen Augenblick später durchblitzte ihn freilich der Gedanke an eine begangene Thorheit, er wollte Emma das Papier wieder entreißen, ein ungleicher hartnäckiger Kampf begann, dem das Dazwischentreten Egon's ein Ende machte. –

 

Ballin wartete mit Spannung auf den Ausspruch Egon's. Er rechnete auf eine eklatante Genugthuung, die ihm, nach seiner Annahme werden mußte. Als er aber sah, daß der erwartete Zornausbruch nicht erfolgte, daß Egon keine Miene verzog, nachlässig das Papier zwischen den Fingern hin und her gleiten ließ, bereute er es, ihm das Blatt übergeben zu haben. Die Rache an Emma sollte ihm entgehen?

Er that einen Schritt gegen Egon; dieser fuhr auf. Erst jetzt schien ihm das Papier aufzufallen. Seine Gedanken mußten sehr weit entfernt gewesen sein. Sein Blick fiel auf Pelagia. Sie stand noch immer regungslos, ohne sichtbare Theilnahme. Er blickte auf Meinhard; dieser landwirthschaftliche Ignorant zählte lächelnd die Knöpfe seiner Weste. Sein Auge glitt auf Herrn Ballin; die Hand umklammerte unwillkürlich fester das Blatt. Er betrachtete nachdenkend, schweigsam seine Schwester. Ein bitteres Lächeln überflog sein bleiches Antlitz, er murmelte vor sich hin: »Verwandte Charaktere,« mit Bezug auf Pelagia und – in kleine Theile zerrissen flatterte das Papier durch das Zimmer.

Emma athmete hoch auf.

»Herr Ballin, verlassen Sie uns!« sprach Egon, ohne Nachdruck, doch bestimmt.

»Ich werde gehen,« entgegnete der Inspector kurz, »aber Herr Baron wundern Sie sich nicht, wenn durch meine Entfernung Ihre Reise einen Aufschub erleidet. Es ist zwar schon spät in der Nacht, aber ich werde, nach dem Erlebten, so lange der schlafenden Gerechtigkeit in's Ohr raunen, bis sie erwacht und mich hört.« –

Er ging, bald verhallten seine Schritte auf dem knisternden Sande des Gartens.

Jetzt fuhr Pelagia empor und sagte hastig:

»Es ist keine Zeit zu verlieren, wir müssen fort! Noch in dieser Stunde! Herr Meinhard, unterzeichnen Sie den Heirathscontract. Dann kehren Sie nach Hause zurück, senden mir das Kammermädchen und die bereits bezeichneten Effecten!« –

Bald hatte sie unter den Papieren, die auf Egons Tische lagen, den betreffenden Contract herausgefunden, hastig legte sie ihn dem Vormund vor, preßte ihm eine Feder in die Hand, er unterzeichnete; hierauf sie selbst und zuletzt Egon, der willenlos Ihrer Aufforderung folgte. Alsdann drängte Pelagia Herrn Meinhard aus der Thür, ohne ihm Zeit zur Ueberlegung oder Frage zu lassen.

Kaum hatte er sich jedoch entfernt, als ihr seine Langsamkeit einfiel, sie wandte sich deshalb an Egon:

»Haben Sie keinen Diener, auf den Sie sich verlassen können? Bis mein Vormund den Auftrag ausrichtet, geht eine unendliche Zeit verloren. Senden Sie einen Diener in meine Wohnung!« –

Egon besann sich und entgegnete: »Ich weiß Niemand; George ist nicht im Schlosse und der Kutscher« – erschrocken hielt er inne.

»So will ich gehen!« rief Emma, froh, eine Gelegenheit zur Entfernung zu finden und dann auch durch einen Zug von Erkenntlichkeit für den geleisteten Dienst ihres Bruder bestimmt. Lebhaft umarmte sie Pelagia, bezeichnete ihr den kürzesten Weg nach ihrem Hause und drängte zur möglichsten Eile.

Mit beflügelten Schritten folgte Emma dem Vormunde Pelagia's, die sich nach ihrer Entfernung erschöpft in das Sopha warf. Egon kniete vor ihr nieder und verbarg das Antlitz in seinen zitternden Händen. Sie beugte sich herab und küßte seine Stirn. Er ließ die Hände sinken und starrte sie lange, mit einem unnennbaren Ausdrucke an. Sie wagte schüchtern nach dem Marchese zu fragen. Mit einer Wildheit, die etwas Schreckliches ahnen ließ, sprang Egon rasch empor und durcheilte in heftigster Bewegung mehrere Mal das Zimmer. Sein Blick blieb an der Pistole haften, die auf dem Boden lag, ein unheimliches Lächeln glitt über seine Lippen. Ein zweiter Blick suchte das andere Pistol, das geladen sich auf dem Schreibtische befand; er wurde ruhiger. Mit verschränkten Armen stellte er sich vor Pelagia hin und murmelte:

»Laß die Todten ruhen.«

»Die Todten?!« – Pelagia's Athem stockte.

»Ja, die Todten,« fuhr Egon mit gepreßter Stimme fort – »laß Dir erzählen, Weib. Heute Morgen begab ich mich in aller Frühe zu ihm, der nicht mehr unter den Lebenden wandelt. Ich zwang ihn, ruhig zu sein und war es doch nicht. Es war ein Mann, der Marchese, wie ich wenige kennen gelernt habe. Er wußte, daß man mit der Welt spielen müsse, er kannte die Menschen. Kein Haarbreit wich er von seinen Forderungen ab. Das sah er recht gut ein, daß er kein Recht dazu hatte, Dich zur Gattin zu fordern, aber er warf die Meinung der Welt, Deine Furcht, meine Liebe in die eine Wagschale, in die andere – Gold. Ich verstand mich zu all' und Jedem. Hier, in diesem Pavillon wurden auf abscheuliche Weise Verhandlungen über das Wohl zweier Menschen gepflogen. Es ging anfänglich Alles gut. Ich bin kein Kaufmann, ich verstand niemals den Judasgroschen, womit unser Herr und Heiland verkauft wurde. Ich widersprach nicht. Da zog er außer dem Documente, um welches es sich hauptsächlich handelte, noch ein Päckchen Briefe hervor. Er setzte einen Preis auf jeden, ich zahlte, dann durft' ich sie lesen. Weib, ich weiß, daß Du mich liebst, aber daß Du so wenig vorsichtig warst, empörte mich. Da stand so manches in den Briefen, was für die Verläumdung eine vortreffliche Ausbeute gewesen wäre. Unter anderm war darin von einer glücklichen Stunde die Rede. Glückliche Stunde! Das schoß mir durch den Kopf, ich wurde heftig, ausfallend. Der Marchese blieb kalt, aber seine Zunge war ein Schwert. Er stieß es mir in's Herz. Ich loderte auf ... ich bin so wenig Herr meines Blutes ... kein Mensch ist Herr ... ich griff nach einem Pistol ... es war geladen., ich zielte ... der Marchese lag todt zu meinen Füßen ... Weib, warum bist Du so wenig vorsichtig gewesen!« –

Schwer aufathmend hielt Egon inne, auch Pelagia schwieg. Der Vorwurf, mit dem er seine Erzählung begleitete, wie traf er ihr Herz! Schwachheit ist Sünde, tönte es leise in ihr Ohr, wie schwer rächt sich die Unvorsichtigkeit!

Egon fuhr fort: »Niemand klammert sich mehr an Sophismen, als der Verbrecher. Eine entsetzliche Klugheit kommt über ihn. Man denkt, ist die Leiche des Erschlagenen begraben, ist es auch die That. Ich dachte so. Ich rief meinen Kutscher und machte ihn mit dem Vorfalle bekannt. Diese niedrige Seele war so witzig in seinen Tröstungen, die er mir vorwarf, wie einem knurrenden Hunde ein Stück Brod, daß ich auflachen konnte – um vor mir selbst zu erschrecken. Welcher Abgrund von Niederträchtigkeit schlummert im Menschen! – Mein Wagen fuhr vor, wir hoben den Leichnam in denselben. Der Kopf sah aus dem Sacke heraus, in den wir den Körper gesteckt hatten. Der gescheide Bursche, der Johann, arbeitete so lange an dem Genick des Todten herum, bis sich der Kopf vom Rumpfe trennte, und nun Alles wol geordnet war. Hierauf fuhren wir hinaus in den Wald, eine Stunde von hier. Wir bereiteten ein lustiges Grab, legten den Todten hinein und bedeckten es mit Erde, Gras und Moos. Ich hätte ein pater noster hergesagt, wenn mir nicht gar zu unheimlich zu Muthe gewesen wäre. Meine Zähne schlotterten, ich brachte nichts hervor, als reverere manes deos! – Der allervortrefflichste Johann hatte nach dieser Anstrengung nichts Eiligeres zu thun, als sich zu betrinken, um die Schuld seiner Plauderhaftigkeit auf den Branntwein zu schieben. Möge ihm kein Unheil daraus erwachsen – er hat die erste Handvoll Erde auf den Todten geworfen.« –

Mit jenem entsetzlichen Humor, der in die Seele schneidet, hatte Egon seine Erzählung beendet. –

Es giebt eine Selbst-Ironie, die mit Entsetzen erfüllt, die das Allerheiligste nicht verschont, das Furchtbarste wie Seifenblasen behandelt. Grab und Wiege, der erste Kuß der Liebe, ein Mord, die krassesten Gegensätze sind die willkommenste Ausbeute. Und doch liegt eine Arznei in solchen wilden Ausbrüchen, die nichts verschonen. –

Pelagia schwieg noch immer. Die Gewißheit des Furchtbaren, das sie geahnt hatte, vernichtete sie nicht, aber betäubte sie. Wirre Gedanken flogen durch ihren Sinn und mit Anstrengung suchte sie einen festzuhalten. Sie blickte auf Egon. Auf seiner Stirn flammte das Brandmal eines Mörders, und dennoch, wie ruhig, gelassen stand er jetzt vor ihr! Aber eben diese Gelassenheit forderte ihre ganze Entschlossenheit heraus. Sie war die einzig Schuldige. Sie erhob sich.

»Egon,« sprach sie fest und bestimmt, »hier wäre jedes Wort, das nicht zur That auffordert, überflüssig. Alle Anordnungen zur Flucht sind getroffen. Ich will nicht von Glück, von meiner Liebe sprechen; jetzt nicht. Ich hoffe von der Vorsehung, sie wird Dir nicht entgelten lassen, was ich verschuldet habe. Kann ich in einem fremden, weit entfernten Lande etwas zu Deiner Beruhigung beitragen, mit Aufopferung aller meiner Kräfte wird es geschehen!« –

Egon antwortete nicht; draußen ließen sich Schritte vernehmen. Pelagia horchte hoch auf. Die Schritte kamen näher und näher; sie unterschied rauhe männliche Stimmen, Egon stand noch immer nachdenkend, gleichgültig. Jetzt wurde hastig die Thür aufgerissen, Emma, athemlos, bleich, verstört stürzte ins Zimmer, rief: »Flieh, wenn Du kannst! Noch ein Augenblick und, es ist zu spät!« und stürzte ohnmächtig zusammen.

Es war zu spät; zur Thür herein drängten sich bewaffnete Polizeisoldaten, Ballin und in Ketten geschlossen, der Kutscher Egon's. Hätte einer der Blitze aus dem Auge Pelagia's zünden können, er hätte Alles niedergeschmettert. Sie fragte für Egon nach der Ursache dieser nächtlichen Störung. Sie fragte und wußte den Grund doch so wohl! –

Ein Polizei-Offiziant antwortete, daß er den Befehl habe, den Baron Egon von Wallor zu verhaften. –

Egon stand da, das Haupt auf die Brust gesenkt, den Blick auf den Boden geheftet, da weckte ihn eine Berührung; sie kam von Pelagia, die ihm die Hand auf die Schulter legte. Er fuhr empor, sah sich um, schüttelte das Haar aus seinem Antlitz, ergriff die Hand Pelagia's und flüsterte ihr zu:

»Schwöre zu thun, was ich jetzt von Dir verlange!« –

»Ich schwöre!«

»Verlasse noch diese Nacht die Residenz, meine Schwester sei Deine Begleiterin. Nie darfst Du hierher zurückkehren. Emma soll sich in allen Angelegenheiten, die meine Verlassenschaft betreffen, an meinen Freund, dem Herrn von Riehl wenden.« –

»Deine Verlassenschaft?« Pelagia erbleichte.

»Die Zeit drängt, kein unnützes Wort. Du hast geschworen zu thun, was ich verlange. Wohin wirst Du reisen?«

»Noch diese Nacht zu meiner Tante in Frankfurt am Main. Dort will ich den Ausgang Deines Prozesses erwarten.«

»Der Ausgang ist kurz,« erwiderte Egon leise, fast nur für sich vernehmbar – »vergossenes Blut, fordert wieder Blut.«

Entschlossen richtete er sich auf, warf dem drängenden Polizeibeamten ein flüchtiges: »Nur noch einen Augenblick!« zu, eilte an den Tisch, auf welchen er früher das geladene Pistol geworfen hatte, ergriff dieses – eine energische Bewegung ... ein letzter Druck ... mit zerschmettertem Haupte lag Egon am Boden. – –

 

Pelagia verließ erst nach drei Tagen in Begleitung Emma's die Residenz. Sie folgte dem Sarge des unglücklichen Egon, der an einem verborgenen Winkel, dicht an der Mauer des St. Peters-Kirchhofes begraben liegt. Ballin verscholl. Meinhard hatte seine allzugroße Lachlust verloren, doch erzählt er dafür desto häufiger die Begebenheiten jenes » verhängnißvollen Tages.« –



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