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Kleine Erlebnisse.

Bunte Geschichten eines vertraulichen Kreises.


Der Kaufmann L…, ein sehr reicher und angesehener Mann in H…liebte es, im Sommer alle Sonntage seine Freunde auf seinem kleinen, reizend gelegenen Landgute an der Elbe bei sich zu Tisch zu sehn. Die Gesellschaft, die sich da gewöhnlich um die Tafel zusammenfand, bestand aus den verschiedensten Elementen. Man traf darunter Gelehrte, Schriftsteller, Künstler, Militairs, Kaufleute und vor Allen auch viele der schönsten und liebenswürdigsten Erscheinungen aus der Damenwelt.

Daß unter diesen Umständen die Gespräche, die während des Diners geführt wurden, zu den angeregtesten und nicht selten zu den geistreichsten, die man vernehmen kann, gehörten, läßt sich auf sehr natürliche Weise erklären. Was vermag eine Unterhaltung unter gescheiten, feinen und gebildeten Leuten mehr zu beleben, als freundliche Wirthe, schöne Frauen, gute Speisen und schöner Wein! Diese perlend oder schäumend sich entladenden Flaschen, diese schmackhaft einladenden Teller, diese feurigen Blicke, dies reizende Gelächter und vor allem diese wohlwollenden und immer gütig und zuvorkommend ausgedrückten Aufforderungen der Dame oder des Herrn vom Hause, wie eifern sie an, wie muntern sie auf, noch dazu, wenn man sich bei all' diesem in einem prachtvoll gelegenen Gartenpavillon befindet, der rings die schönsten Anlagen und vor sich die Aussicht auf das, von Schiffen und Fahrzeugen aller Art belebte Wasser hat! –

In Wahrheit, es ist nicht leicht sich glücklichere Stunden zu denken, als die, welche schon vielfach hier während und nach der Tafel verlebt worden sind. Oftmals konnte es scheinen, als wenn der Geist, die Schönheit und die gute Laune eigens dazu zusammengekommen wären, um hier dem Wohlleben des Reichthums jenen Adel zu geben, ohne welchen es nie von irgend einer höheren Bedeutung wird sein können. Geld an und für sich ist allerdings noch kein Glück. Aber daß es, wie der Graf Cüstine einmal sagt, der Schlüssel dazu zu werden vermag, dafür geben die Gesellschaften, von denen wir in diesem Augenblicke sprechen, den besten Beweis. Sie sind gleichsam wie ein Asyl, in das sich auf Stunden die Menschen aus den verschiedensten Lebensrichtungen zusammenfinden, um unter Blumen, wehenden Bäumen und dem Rauschen eines großen Stromes bei köstlicher Mahlzeit alle Sorgen und Mühen der Existenz zu vergessen.

Wie sehr dies der Fall, bewies erst kürzlich ein Sonntag, den diese Gesellschaft wieder zusammen verlebte. Nachdem die Tafel aufgehoben war und die Versammlung sich, in einzelne kleine Gruppen vertheilt, nach verschiedenen Richtungen hin eine Weile in dem Parke zerstreut hatte, fand sie sich endlich zur Zeit der untergehenden Sonne auf einem schönen Platze unter einer breitschattigen Eiche zusammen.

Nachdem eine Weile bunt durcheinander hin und her gesprochen worden war, kam Jemand auf den Gedanken, daß man sich an dieser Stelle niederlassen und den Abend mit Erzählungen vertreiben möge. Da alle Welt gleich sehr willig auf diesen Vorschlag einging, so beorderte die Wirthin die Theemaschine mit dem dazu gehörigen Geschirr aus dem Landhause heraus an diese Stelle, befehlend, daß man sofort auch die chinesischen Lampen anstecken und an den niederhängenden Zweigen des Baumes befestigen möge.

Kaum, daß dies geschehen und ein buntes, magisches Licht sich anfing über die Gesellschaft zu verbreiten, so begann man auch darüber zu debattiren, was nun eigentlich zu erzählen wäre. Einige junge Damen verlangten Mährchen, mehrere ältere Herren Anekdoten. Keiner dieser Vorschläge aber konnte die Majorität gewinnen, denn ein junger, fein gebildeter Kaufmann hatte mit der Bemerkung, daß es wol das Beste sein dürfte, wenn Jeder in der Versammlung sich verpflichten wolle, irgend ein kleines Erlebniß mitzutheilen, sehr bald die Oberhand erhalten.

Man schnitt kleine Zettelchen und warf dieselben, nachdem man sie mit so viel Numern als Personen vorhanden waren, beschrieben hatte, in einen Hut, den man einem Jeden zum Ziehen hinhielt. Da ausgemacht worden war, daß die niedrigste Zahl den Reigen zu beginnen habe, so traf das Loos zuerst einen älteren Militair, einen Offizier, der in verschiedenen Heeren gedient und zuletzt die Charge eines Garnisonchefs in H… bekleidete. Nachdem sich die Gesellschaft auf Moosbänke, Gartenstühle oder auch wol gar in das frische, duftigweiche Gras niedergelassen hatte, begann der Major seine Erzählung, wie folgt:

 

»Das Regiment Salis hatte im Jahre 1840 seine Garnison in Bologna. Das Regiment enthielt ein buntes Gemisch aller Nationen: Schweizer, Deutsche, Polen, Franzosen und Italiener, die zum größten Theil in den Werbe-Depots der Schweiz angeworben und unter die Fahnen Papst Gregor XVI. durch Hunger, Entbehrung, politische und Familien-Verhältnisse getrieben worden waren. Die Religion machte kein Hinderniß und ist beim Soldaten Sache des Commando's so gut, wie alles Uebrige; selbst der Türke, wenn er sonst tüchtig war und sich dem katholischen Ritus fügen wollte, fand eine Zufluchtsstätte bei den zwei Fremdenregimentern, welche Gregor nach der Bewegung im Jahre 1830 sich selbst und zum Schutze seines Landes errichtete.

Zu der oben gedachten Zeit erregte der Sergeant G… aus dem Großherzogthum Baden beim ganzen Regiment ein ungewöhnliches Interesse. Von hervorragender Gestalt, groß und stark, wie die Eichen seines Vaterlandes, trug sein Gesicht das edle Gepräge inneren Werthes. Früher Kampfgenosse der Philhelenen auf dem klassischen Boden des Alterthums, aufgezogen und großgenährt von Erfahrungen mannigfacher Art, hatte er den Gipfel menschlicher Besonnenheit erreicht und blickte still und lächelnd in das Getriebe irdischer Regsamkeit hinab. Ich wurde sein Freund. Jünger, haltloser, hin und her geworfen von dem Gedanken, fand ich an ihm eine Stütze, deren ich, der ich einsam in der Welt, fern von der Heimath, ohne ein Herz, ohne Hülfe und gültigen Anhang stand, so sehr bedurfte.

Eines Abends gingen wir hinaus vor die Porta Saragozza. Es war sehr schön in der freien Natur. In den Bergen blaute die Dämmerung und hier und da blickte ein Stern durch das grüne Blätterdach, das sich flüsternd und plaudernd über uns wölbte. In den Ulmen und hohen Cypressen regten sich lustig die Singvögel und schmetterten ihr Abendlied. Der Reno grüßte uns murmelnd aus der Ferne mit seinen geschwellten Wogen und rauschte weiter durch die üppig erblühten Fluren und Felder.

Wir gingen, jeder in eigene Gedanken verloren, stillschweigend fort und hielten endlich an einem kleinen, rebenumschlungenen Hause. Ein langer hölzerner Arm hielt in seiner Faust einen grünen Kranz und winkte uns freundlich als gastliches Schild. G… blieb stehen und heftete seinen lebhaften Blick auf mich.

›Ich will Sie mit einem Wesen bekannt machen, das mir über Alles theuer ist und das den Schlußstein bildet in meinem vielbewegten Leben. Richten Sie nicht zu streng, wenn ich Ihnen sage, daß sie verheirathet ist und mich liebt. Die Ehen werden im Himmel geschlossen, doch diese wurde es nicht. Wenn Sie die Frau sehen, müssen Sie sie lieben, wenn Sie mit ihr sprechen, ist Ihr Leben an ihres geknüpft und Sie dürsten nach dem Augenblicke, es für sie zu lassen. O welcher schnöde Zufall spielt mit uns! Ueberall stoßen wir auf die Glieder des Zweifels und fragen – warum? und vergebens nach einer befriedigenden Lösung der Räthsel! Diese Frau, werth einen Thron zu theilen, ähnlich der Madonna, wie ein Stern dem andern, muß ihre Jugend, ihre Schönheit an der Seite eines Mannes vertrauern, den sich die häßlichsten Leidenschaften zum Gefäß ausgewählt haben!‹

Ich sah ihn erstaunt und fragend an; so erregt hatte ich ihn nie gesehen.

›Wundern Sie sich nicht über mich. Diese Brust hat noch die Lava des menschlichen Jammers nicht ganz vernichtet, doch vergraben muß ich mein Herz und verstecken vor den Blicken der Menge, die alle Empfindungen mit Füßen tritt, sind sie nicht eingekleidet in den Prunk der Verblendung. Lassen Sie uns hinein gehen, um diese Zeit ist Giacomo, der Wirth, nicht zu Hause und die Seligkeit zieht ein mit seiner Entfernung. Sie kennen vielleicht die Frau, oder haben von ihr gehört, sie ist öfters in der Stadt und bekannt unter den Namen la bella donna.‹

›O gewiß habe ich von ihr gehört und bin begierig, sie nun zu sehen. Doch wie machten Sie ihre nähere Bekanntschaft?‹

›Der Zufall, unser größter Meister, führte mich vor längerer Zeit hieher. Seit jenem Tage lebe ich nur hier mit allen Gedanken und Pulsen. Komme ich, so lebe ich auf; geh' ich, so sterbe ich ab im Fühlen und Denken.‹

Wir traten durch die niedere Thür in ein freundliches, einsames Zimmer. Der Mond, der inzwischen aufgegangen war, warf seine Streiflichter durch's Fenster und erhellte es matt im Kampfe mit der einbrechenden Nacht. Ich rief nach Wein, und gleich darauf trat, ein Licht in der einen, ein kleines, ungefähr vier Jahr altes Kind an der andern Hand, die Wirthin herein. Ich habe nie eine reizendere Frau gesehen. Ihre ziemlich große Gestalt war von einem Ebenmaß und von so vollendeten Formen, daß ich das Traumbild Rafaels, die heilige Cecilia darin verkörpert zu sehen glaubte. Ihr Gesicht, bleich und leise angehaucht wie der Kelch der Rose, war mild und ernst, überwacht von zwei Augen, die mit den Sternen an Schönheit wetteiferten. Die Stirn war hoch und herrlich, wie die Wölbung des Himmels, und ihre Stimme klang fremd und lieblich, wie die Stimme der Engel, als sie flüsterte: › bona sera, signori!‹ – Und diese Frau, ein Juwel der Menschheit, konnte Giacomo, ihr Gatte, wie mir später G… erzählte, als ich Gelegenheit fand, ihn noch einmal zu sprechen, nicht allein mit Worten beleidigen, sondern auch oft körperlich verletzen.

Sie ging, und brachte uns Wein und Erfrischungen. Ihre kleine Tochter Angelika, das Ebenbild der Mutter, eine ganze Welt von Unschuld und Kindlichkeit zur Schau tragend, flog in die Arme G…'s, der sie mit Küssen und Zärtlichkeiten überdeckte. Ich trank schnell ein Glas Wein und ließ die Liebenden allein. Draußen hatte sich die Stille der Nacht ausgebreitet. Die Berge warfen finstere Schatten in's Thal und hüllten ihre Gipfel in dichte Nebelschleier, die langsam aus dem Bette des Reno emporstiegen. Der Gesang der Vögel war verstummt, und nur weither erscholl der melodische Schlag der Nachtigall zum Nachtgebet. Die Bäume senkten ihre Zweige und träumten von den Brüdern im Norden, die in der kalten Umarmung des Winters ein kurzes und einsames Leben vertrauern. Der Vollmond zeigte sein schönstes Gesicht und blickte sinnend herab auf die schlummernde Erde.

Ich mochte lange betrachtend und träumend dagestanden haben, als mich verworrene Stimmen und ein heftiges Geräusch emporschreckten. Ich eilte zurück nach dem Hause und trat rasch in das Zimmer. In der Dunkelheit – das Licht war herabgefallen – sah ich blitzende Waffen und zwei Männer im Handgemenge. Ich wollte schnell dazwischen stürzen, als ein Schrei, gellend, scharf und wie von einem Kinde ertönend, die Kämpfer entsetzt aus einander fahren machte. Ich flog nach Licht, kam zurück und sah zu meinen Füßen die verzweifelnde Mutter, welche ihr blutendes Kind, ihr kleines, süßes Kind, dem der rechte Arm abgehauen war, von der Erde heben. Leichenblaß, starr und leblos sah G… auf Beide herab – er hatte das Entsetzliche gethan!

Giacomo, der Wirth, war unvermuthet nach Hause gekommen. Er fand G… und seine Frau in vertraulicher Stellung, und, von den Furien der Eifersucht überwältigt, stürzte er mit gezogenem Messer auf Beide ein. G… vertheidigte sich nur und suchte seinen Gegner zu entwaffnen, doch dieser, stark und gewandt, entging seinen Angriffen und führte mit dem Messer einen heftigen Stoß gegen seine Frau. Dies zu hindern, gedrängt von der Minute, gebrauchte G… seinen Degen und trennte mit einem Hiebe den rechten Arm vom Körper der kleinen Angelika, die ungesehn durch die Dunkelheit, sich furchtsam zwischen die Kämpfenden gedrängt hatte.

Kurze Zeit darauf rief die Trommel das ganze Regiment in der Kaserne San Domenino zusammen. Die Soldaten schulterten und herein in die freie Mitte des Platzes führte man den Sergeanten G… Er war sehr bleich und entstellt, und grüßte schweigend seine Kameraden, die mit der größten Theilnahme auf ihn blickten. Ich wandte mich ab und knirschte vergebens über die Strenge der Gesetze. Der Auditeur verlas eine lange Anklageakte und kam zum Schluß auf die Verurtheilung des wegen Mords und Ehebruch angeklagten Sergeanten G…. Der Profoß riß ihm die Zeichen seiner Charge vom Leibe und vertauschte seine militairische Kleidung mit der eines gemeinen Verbrechers. Eine Escorte brachte ihn hierauf nach dem traurigen Gefängnisse del monte di chiesa, von wo er Tages darauf zur lebenslänglichen Galeere nach Civita-vecchia gebracht wurde.

Giacomo lebte vor wie nach mit seiner Frau, sie quälend, schimpfend und mißhandelnd wie sonst. Die kleine Angelika starb nach einer langwierigen, schmerzlichen Krankheit, und liegt auf dem Kirchhofe vor der Porta Saragozza. Von dem Sergeanten G… habe ich, da ich das Corps und Italien bald verließ, nichts wieder gehört.«

 

Diese Erzählung, die in einfach ernstem, aber von einem tiefen Gefühl durchwärmten Tone gemacht worden war, konnte auf die Gesellschaft nicht ganz ohne Eindruck bleiben. Man beklagte die arme Mutter, die kleine Angelika und vor Allem auch den unglücklichen Sergeanten G… Daß die Brutalität des Wirthes gehörig gerügt und auf das Lebendigste verpönt wurde, versteht sich von selbst.

Was eine Frau von einem rohen Manne zu leiden hat, davon kann man sich gar keinen Begriff machen, sagte eine junge Wittwe, die mit eine der heitersten Damen in der Gesellschaft war, aber bei diesem Ausspruch einen, auf trübe Erfahrungen deutenden Anflug von Schmerz und Bedrücktheit nicht verbergen konnte.

An diese Bemerkung anknüpfend, begann nun ein anderer, ebenfalls schon ältlicher Mann aus der Gesellschaft, der gezogenen Nummer nach, nun auch seine Geschichte.

 

»Da man gerade von der Rohheit der Männer spricht,« sagte er, »so erlaube man mir, ein Ereigniß zu erzählen, an dem ich zwar nicht betheiligt gewesen, das ich aber so in nächster Nähe und gleichsam unter meinen Augen sich zutragen sah, daß ich dadurch wol ein Recht erhalten habe, es mit zu meinen Erlebnissen zählen zu dürfen. Es begab sich zu jener Zeit, da ganz Deutschland unter der Fremdherrschaft seufzte.

Kanonendonner und der Ruf zur Schlacht schreckte abermals Europa. Napoleon's gewaltige Stimme rief die Völker zusammen und die furchtbaren französischen Heeresmassen, die der eisige Athem der Natur vernichten sollte, bewegten sich langsam über die russische Grenze. Ein Theil der Arriere-Garde, befehligt vom Obersten Dalmont, blieb bis auf weitere Ordre in Oberschlesien zurück und nahm seine Quartiere in den der russischen Grenze zunächst liegenden Dörfern und Ortschaften.

Nach M…, einem kleinen, unansehnlichen Flecken, der nur Bedeutung wegen seines Kohlenbetriebes gewinnt, kam gleichfalls ein Piket französischer Lanziers. Die Gemeinen fanden ihr Unterkommen bei den ziemlich armen Bürgern und Bauern, während die Offiziere in der sogenannten Probstei ihre Wohnung aufschlugen. Der katholische Probst N… nahm seine unfreiwilligen Gäste nicht eben sehr erfreut auf, wußte sich aber als kluger Mann zu beherrschen und zeigte die schmeichelhafteste Außenseite, die nur je einem Wirthe eigen war.

Die Honneurs bei der Tafel, deren Freuden er sehr zugeneigt, und die stets mit allem möglichen Comfort versehen war, wie das nicht selten bei katholischen Geistlichen sein soll, die Honneurs, wie gesagt, überließ er seiner Nichte und Mündel, einer jungen Wittwe, die sich nach dem frühen Tode ihres Gatten auf unbestimmte Zeit nach M… begeben hatte. Man erzählte sich, daß der Probst N… nicht eben sehr gewissenhaft mit dem Vermögen seiner Mündel umgegangen, sei, doch verhinderte das nicht, daß er sich ihr höchst zärtlich und besorgt zeigte.

Madame S… war eine reizende, liebenswürdige Frau, von einem Zauber der Unterhaltung und geselliger Manieren, wie sie wol nie wieder in den kohlenduftigen Räumen des Fleckens gesehen werden. Auch fühlten das die französischen Offiziere sehr lebhaft und wetteiferten mit den verschiedenartigsten Huldigungen, die je dem galanten Hirne eines Chevaliers entsprangen. Bald wurden ihr zu Ehren kleine Parthieen zu Wasser und zu Lande gemacht, bald kleine Wettrennen zu Pferde abgehalten, wobei sie sich zwar nicht die Hälse brachen, aber doch so gewagte und ausgezeichnete Evolutionen ausführten, daß sie wol das Herz jeder andern Dame, nur nicht das der tugendhaften Madame S… aus dem Sattel zu heben vermochten.

Madame S… war wirklich tugendhaft und in diesem Punkte von einer so entschlossenen Zurückhaltung, daß die geringste vertrauliche Anspielung sie gänzlich verstimmen konnte und für einen ganzen Tag der Gesellschaft unsichtbar machte. Vergebens beschwor sie alsdann ihr Vormund, zur Tafel zu kommen, vergebens stellte er ihr vor, daß ihm schon ein Mal aus solcher Veranlassung von den erzürnten Offizieren, die nur nach ihr verlangten, ein Salzfaß an den Kopf geworfen wurde, er dabei den Schnupftaback aus der Dose, die er gerade in den Händen hielt, in die Suppe geschüttet habe und er gezwungen worden sei, diese so gewürzt aufzuessen. Umsonst war seine einleuchtende Beschreibung des abscheulichen Geschmacks, umsonst die Befürchtung einer Magenkolik im wiederholten Falle, Madame S… blieb unerschütterlich und erschien nicht bei Tische.

Als die Offiziere sahen, daß sie auf dem glatten Wege der Galanterie und der Höflichkeit nicht zu ihrem Ziele gelangen würden, behandelten sie Madame S… mit verächtlicher Nichtachtung und drohten zuletzt mit brutaler Gewalt. Sie verließ in Folge dessen die Probstei und zog mit ihrer kleinen Anna, einem allerliebsten, kaum ein Jahr alten Kinde, und einer alten Magd in ein kleines Haus, welches am Ende des Fleckens lag und ihr gehörte. Das Haus hatte außer dem Erdgeschosse nur noch ein Stockwerk, welches drei Zimmer enthielt, welche Madame S ... bezog. Die Fenster bestanden, wie es in den dortigen Gegenden damals üblich war, zum Theil sogar noch ist, aus kleinen, in dünnes Blei gefaßten Scheiben und führten auf eine wenig besuchte Straße. Die Thüren hatten keine Schlösser, sondern eiserne Haken, die nach innen gingen, aber so mangelhaft schlossen, daß der geringste Anlauf sie sprengen konnte, zu welcher Sorglosigkeit wol veranlaßt haben mochte, daß man lange nichts von Einbruch und Diebstahl gehört. Vor der Fronte des Hauses zog sich, nur etwa zwei Fuß von der Mauer entfernt, ein eisernes Gitter hin, mit scharf und spitz auslaufenden Stäben, mehr zur Zierde, als zu einem nützlichen Zwecke.

Madame S… blieb hier mehrere Tage und schätzte sich bereits glücklich, den dreisten Zumuthungen der französischen Offiziere, die alle Schranken verletzten, für immer entgangen zu sein.

Es war eine finstere, stürmische Nacht. Der Regen goß in Strömen herab und verscheuchte die letzten späten Wanderer, die irgend ein Beruf auf die Straße rief. Klirrend erzitterten die Fenster unter, den gewaltigen Stößen des Windes, der mit furchtbarer Gewalt, tosend und brausend über die Dächer und Giebel in die Ebene jagte und zornig jeden Widerstand besiegte. Schornsteine, Giebel, Wetterhähne, Dächer und die wenigen Laternen, die sonst ein spärliches Licht in die Dunkelheit warfen, zerschmetterten unter den gewichtigen Schlägen des Sturms. Es war Niemand auf den Straßen zu sehen, Alles hatte sich schlafen gelegt.

Im Hause der Madame S… war's still und ruhig. Das Kind schlummerte sanft und leise athmend in der Wiege. In der Nähe lag, bei einer spärlich brennenden Lampe in einem Buche lesend, in ihrem Bette Madame S…, mit besorgter Miene ihr Kind überwachend. Die alte Magd schnarchte vernehmlich und legte das lauteste Zeugniß von ihrem Zustande ab. Der Sturm ließ einen Augenblick nach, die Zimmeruhr schlug Eins.

Madame S… fuhr plötzlich empor und lauschte gespannt – sie glaubte Stimmen unter ihrem Fenster zu vernehmen. Rasch entschlossen sprang sie auf, warf einen Mantel über und eilte an's Fenster. Es war zu dunkel, um draußen irgend einen Gegenstand zu erkennen, doch hörte sie jetzt deutlich einige französische Worte. Wie ein Blitz durchzuckte sie ein schrecklicher Gedanke und bebend und entsetzt stand sie einen Augenblick regungslos. Es war still. Da brach unter den Schlägen einer Art die Thüre des Hauses, und die Treppe herauf erschallte es von Tritten und Degengeklirr.

Madame S… riß sich empor, weckte hastig die alte Magd und versuchte zitternd mit ihr vereint die Zimmerthüre zu verrammeln – umsonst, ein gewaltiger Stoß, sie flog auf und herein in's Gemach drangen drei französische Offiziere, von Wein erhitzt, mit drohenden, entschlossenen Mienen. Madame S… raffte sich verzweiflungsvoll auf, warf einen letzten sterbenden Blick auf ihr Kind, eilte an's Fenster mit der Hast des gehetzten Wildes, zerschlug mit geballten Händen mehrere Scheiben und stürzte sich hinaus.

Bebend an allen Gliedern, nahm die Magd die Lampe und leuchtete den Offizieren, welche fluchend die Treppe hinab aus dem Hause eilten – an den Stangen des eisernen Gitters hing der furchtbar zerfleischte Körper der unglückseligen Frau. Man nahm sie herunter – sie war todt.«

»Entsetzlich! Furchtbar! Schrecklich!« ertönte es von allen Seiten, und erst, nachdem man mit all' diesen Exclamationen fertig geworden war, kam man dazu, sich nach der Bestrafung der Missethäter zu erkundigen.

»Aller Wahrscheinlichkeit nach,« berichtete der Erzählende, »werden sie, wenn es überhaupt zu einer Untersuchung und Verurtheilung gekommen, nur eine ziemlich gelinde Buße auferlegt erhalten haben. Das Corps brach kurz nach dieser Begebenheit auf. Der Propst N… hatte Anzeige von dem traurigen Ereigniß gemacht, aber auf eine eigentliche Anklage bestand er aus Furcht vor seiner Einquartirung nicht. Und was war da auch viel zu klagen? Ein paar französische Offiziere hatten sich einen unzeitigen Spaß erlaubt. Daß er so unglücklich ausgelaufen war, was konnte man dafür? Madame S… nahm die Sache zu sehr au tragique, so hieß es damals unter den Franzosen allgemein. Die Deutschen aber schwiegen und mußten wol auch schweigen.«

 

»Wenn man solche Geschichten hört,« sagte Jemand aus der Gesellschaft, »so kann man sich in der That glücklich schätzen, daß man jetzt im Frieden lebt.«

»Gewiß,« erwiderte hierauf ein junger Maler, an den jetzt die Reihe des Erzählens kam, »der Krieg ist eine schlimme Sache, doch nicht der Geschichten wegen, wie so eben eine vorgetragen worden ist. Solche ereignen sich leider oft genug auch in Friedenszeiten. Diejenige, die ich hier mitzutheilen mir erlauben werde, gehört zwar nicht in diese Kategorie, ist aber doch schrecklich genug, wie man mir nach Anhörung derselben ohne Zweifel zugestehen wird.«

 

»Zur Zeit meines Studiums in Paris,« begann er nach dieser Einleitung seine Historie, »wohnte ich in dem sogenannten Studentenviertel in einem Hause mit vielen Besuchern des College zusammen. Zwei, die mit einander ein gemeinschaftliches Zimmer bewohnten, waren meine nächsten Nachbaren. Sie hießen Henri L. und Alphonse de G., wie aus den Visitenkarten hervorging, die sie an ihre Thüre geheftet hatten. Mit ihnen zu sprechen oder sonst ihre Bekanntschaft zu machen, dazu fand sich keine Gelegenheit. Unsere einzige Berührung bestand in zufälligen Begegnungen im Corridor oder auf der Treppe. Aus ihren Gesprächen und der gegenseitigen Nennung ihrer Namen lernte ich sie aber bald unterscheiden.

Alphonse war ein hübscher junger Mann, ziemlich lang und schmächtig gewachsen, mit hellbraunem Haar und dunklen Augen. Er sang, lachte oder pfiff beständig eines von den frivolen Liedern, wie sie in Paris immer im Schwange sind. Er mochte achtzehn oder neunzehn Jahre zählen. Henri war gewiß nicht älter, wiewol es den Anschein hatte. Er sah ernster, ja sogar ein wenig düster aus. Auch trugen sehr scharf ausgeprägte Züge, ganz schwarzes Haar und eine augenscheinliche Vernachlässigung seines Anzuges nicht wenig dazu bei, ihm den Stempel eines vorgerückteren Lebensalters zu geben. So oft ich ihn auch sah, nie habe ich ihn heiter erblickt. Er ging still und vor sich hinsinnend seiner Wege. Dann und wann hörte ich ihn mit Alphonse oder mit der Portierfrau sprechen. Wie sehr mir der Ton seiner Stimme zu Herzen ging, kann ich nicht sagen. Es lag für mich ein unbeschreiblicher Reiz darin, dem Klange seiner Worte zu lauschen. Dieser Klang hatte eine gewisse Schwere, eine gewisse Feierlichkeit. Es zitterte darin etwas, wie ein Nachhall aus dem innersten Gemüth heraus. Wenn ich seine Rede vernahm, war es mir immer, als hörte ich ganz fern die Glocken meiner Heimath läuten, die mich aus Feld und Wald in meiner Kindheit so oft in's trauliche Vaterhaus zurückgerufen hatten.

Dieser junge Mann ist gut und unglücklich, sagte ich immer zu mir selbst, wenn ich Henri hatte sprechen hören. Nur das Unglück und die gutgeartete Seele können mit einem so gedämpften, weichen und innigen Tone sprechen. Diese Wahrnehmung hat mich nie getäuscht, und auch an Henri nicht.

›Dieser Herr Henri ist die Seele von einem Manne,‹ sagte die Portierfrau, als ich sie einmal nach diesem Studenten frug. ›Herr Alphonse ist ein lustiger Springinsfeld, ein Tausendsassa, der nie an meiner Loge vorübergehen kann, ohne mich zu necken oder mir einen Schabernack zu spielen. Sein Kamerad, Herr Henri aber thut das nie. Der ist immer ernst und gemessen, aber gut, von Herzen gut, mein Herr, das können Sie mir glauben. Als meine arme Jeanneton, mein kleines Töchterchen vor drei Monaten plötzlich in der Nacht erkrankt war und ich Niemanden nach dem Arzte zu schicken hatte, da kamen Herr Henri und Herr Alphonse spät von einem Feste nach Hause, Herr Alphonse singend wie immer und Herr Henri traurig wie stets. Kaum hatte der Letztere von meinem Unglück gehört, so erklärte er sich bereit, nach einem Doctor zu gehen. »Das ist schön von Dir,« sagte Herr Alphonse, »geh zu Maillard, Rue des Martyrs; ich bin zu müde, ich muß schlafen. Gute Nacht!« Und mit diesen Worten schritt er die Treppe hinauf, die er kaum zur Hälfte hinter sich hatte, als er schon wieder sein vorher unterbrochenes Chanson anzustimmen begann. Herr Henri aber war kaum dreißig Minuten fort, so kam er schon mit Doctor Maillard zurück. Gott segne ihn dafür! Und wolle ihn glücklich machen!‹

›Ist er es denn jetzt nicht?‹ frug ich. –

›Nein entgegnete die Alte. So sieht kein Glücklicher aus.‹ –

›Aber was fehlt ihm denn?‹ forschte ich weiter. –

›Das weiß Niemand,‹ fuhr die Frau in ihrer Redseligkeit fort. ›Er ist immer schweigsam. Wenn man ihn fragt, was er habe, so lächelt er, Herr, daß einem das Herz davon weh thut; aber sagen thut er kein Wort.‹

Man kann sich leicht denken, daß diese Erkundigungen, die ich über den jungen, melancholischen Mann einzog, mein Interesse für denselben nur vermehrten. Ich nahm mir damals auch fest vor, seine Bekanntschaft zu machen. Aber ich weiß nicht, wie es kam, daß es nicht geschah. Zuerst waren es meine Studien, meine Freunde, ja meine Vergnügungen, die mich abhielten, dann, daß ich es ehrlich gestehe, vergaß ich darauf.

So mochten etwa zwei bis drei Monate verflossen sein. Es war im November und schlechtes Wetter. Aus dem Atelier, in dem es fast nicht Tag werden wollte, ziemlich verdrießlich heimgekehrt, lag ich in dämmerndes Sinnen vertieft auf meiner Ottomane. Ich dachte an meine Heimath, meine alte Mutter und ... an was ein zwanzigjähriger junger Mann immer zu denken pflegt ... an meine Geliebte.

Gerade war ich, um meine sehnsuchtsvolle und herzbeklommene Stimmung zu vertreiben, mit mir selber einig geworden, in das Vaudeville-Theater zu gehen, als ich dicht neben mir einen Schuß fallen und einen furchtbaren Angstschrei ausstoßen hörte. Wie vom Blitz getroffen, fuhr ich in die Höhe, nach einem Augenblick der Ueberlegung in das Nebenzimmer stürzend, in dem, wie ich wußte, Alphonse und Henri wohnten.

Was ich dort sah, will ich indessen verschweigen,« sagte der junge Maler, der in schmerzliche Erinnerungen vertieft, wie es schien, einen Augenblick inne gehalten hatte. »Ich will Ihnen zur Erklärung einen Brief lesen, den Alphonse an mich schrieb, nachdem wir Henri beerdigt hatten. Ich fand ihn zufällig heut unter meinen Papieren und steckte ihn zu mir, um ihn einem literarischen Freunde von mir zur Benutzung zu geben. Ich hatte, als ich ihn zu mir nahm, keine Ahnung, daß sich eine Gelegenheit finden würde, ihn einer ganzen Gesellschaft vorzutragen.«

Da der Erzählende bei diesen Worten in der That einen etwas vergelbten Brief aus seinem Portefeuille hervorzog, so malte sich auf allen Gesichtern der Anwesenden die größeste Spannung für den geheimnißvollen Inhalt desselben ab. Einige Damen rückten näher, mehrere Herren warfen sogar ihre Cigarren bei Seite, die man aus Rücksicht der vielen die Gesellschaft umschwärmenden Mücken ihnen anzuzünden gestattet hatte.

Nachdem der junge Maler das Schreiben entfaltet hatte, las er den nachfolgenden Brief, der in französischer Sprache geschrieben war, zu besserem Verständniß gleich in deutscher Uebersetzung vor.

»Da Sie, mein Herr,« so lautete derselbe, »ein Zeuge der Begebenheiten meiner letzten Tage gewesen sind, so halte ich es für meine Pflicht, Ihnen die nöthige Aufklärung darüber auch in dem Falle zu geben, daß diese mich selbst vor Ihnen nicht in einem allzu günstigen Lichte erscheinen lasse. Sie haben Henri L., meinen unvergeßlichen Freund, im Leben nicht gekannt; Sie haben ihn nur sterben sehen. Aber schon die Art seines Todes wird Sie haben erkennen lassen, daß er eine große, edle und freie Seele war, eine Seele, die vielleicht der erhabensten Thaten fähig gewesen. Ging er in das Jenseits nicht hinüber mit einem Muth und einer Fassung, die einem spartanischen Jüngling würdig angestanden hätten? Sie erinnern sich gewiß, wie Sie, auf mein Angstgeschrei in's Zimmer eilend, ihn gefunden haben. Die Kugel war ihm durch das Herz gegangen; das Blut schoß ihm stromweise aus der Wunde, und dennoch stand er aufrecht, mit der Hand auf den Tisch gestützt, wie ein Held. Sie haben ihn gesehen. Ich weiß: Sie werden ihn nie vergessen. Man vergißt den letzten Augenblick eines Heros nicht.

Als Sie in unser Zimmer traten, winkte er Ihnen, und ließ sich von Ihnen auf sein Bett bringen. Meine Hülfe lehnte er ab. Als er lag, sagte er: ›Sie liebte ihn, und er, er verführte sie! Er weiß ein Mittel, ihr Ehre und guten Ruf zu erhalten, und er zögert, es anzuwenden. Er zögert, es anzuwenden, aus Feigheit; weil er denkt, er werde dadurch in seiner Laufbahn beeinträchtigt und von seinem Vater enterbt werden! ... O, ist das nicht schlecht, mein Herr, ist das nicht schlecht?‹ rief er Ihnen zu, indem er sich ausstreckte und verschied.

Sie wissen: ich lag lange ohnmächtig über seiner Leiche. Als ich zu mir kam, befand ich mich in Ihrem Zimmer auf Ihrem Bett. Sie sorgten wie ein Bruder für mich, Sie trösteten mich. Ach, Sie wußten nicht, welch' eines elenden Menschen Sie sich annahmen. Aber Sie sollen es erfahren. Sie sollen das Recht erhalten, von mir so schlecht zu denken, als Sie mögen. Ich bin meinem Freunde, ich bin Ihrer Güte dies schuldig.

Wie ich höre: sind Sie ein Deutscher, mein Herr. Man hat den Deutschen stets ein weiches und inniges Gemüth zugesprochen, und wie Recht man damit hat, das haben Sie mir bewiesen, mein Herr. Sie haben mich in der übelsten Lage meines Lebens nicht verlassen und mir treulich beigestanden, Henri die letzte Ehre zu erweisen. Sie trugen Sorge für einen Sarg, eine Begräbnißstelle, eine würdige Todtenfeier.

Es ist geschehen; Henri ist begraben. Draußen in einem Winkel der Cimetière liegt er. Kein Priester hat einen Segen über seine Gruft gesprochen, aber Ihre Thränen und Ihre Liebe haben sie geweiht. Sie ahneten, daß das ein braver und guter Mensch gewesen ist, den sie umschließen sollte. Und Sie haben Recht in dieser Ahnung gehabt, mein Herr; Henri war edel, das soll Ihnen das Nachfolgende beweisen.

Aber ehe ich zu diesem Beweise komme, bin ich genöthigt, Ihnen zuvor von meiner eigenen Schlechtigkeit zu sprechen. Ich bin ein leichtsinniger, frivoler Mensch, mein Herr. Aus einer angesehenen, reichen Familie stammend, habe ich den Ernst und die Schwere des Lebens niemals kennen gelernt. Ich schwamm durch die Tage meines Daseins, wie ein Fisch durch ein Wasser, auf dem der goldene Sonnenschein des Himmels liegt. Lust, Vergnügen, Uebermuth und tolle Laune waren das Clement, auf dem ich mich schaukelte. Ich war glücklich und vom Geschick begünstigt; aber nicht allein in Beziehung auf diese äußerlichen Gaben, sondern auch darin, daß ich von der Vorsehung einen offenen Kopf und eine leichte Fassungskraft erhalten halte.

Schnell den Schulen in der Provinz entwachsend, wurde ich von meinen Eltern hierher nach Paris geschickt, um hier auf dem Lyceum meine Ausbildung zu vollenden. Mein Vater will, daß ich die diplomatische Laufbahn mache, und hofft, mich dereinst als Minister an irgend einem bedeutenden Hofe zu sehen.

Daß diese Aussicht mich reizt oder wenigstens mich gereizt hat, werden Sie, mein Herr, sich sehr leicht vorstellen können. Aber Sie würden irren, wenn Sie meinen sollten, daß ich deswegen auch nur einen Augenblick daran dachte, meine Lebensweise zu ändern. Ich existirte hier in Paris ganz so fort, wie ich in der Provinz angefangen hatte, das heißt, ich besuchte die Theater, die großen Bälle, die Café's und einige nicht ganz im besten Rufe stehende Häuser.

Daß ich außerdem einige kleine Liebschaften hatte, versteht sich von selbst. Zu meinen Angebeteten der letzten Zeit gehörte unter anderen ein junges Mädchen Rose Lacombe mit Namen. Ich lernte sie auf einem Ausfluge in das Bois de Boulogne kennen, wo sie mit ihrer Mutter und ihren jüngeren Geschwistern spazieren ging.

Es war an einem Sonntage im Mai des vorigen Jahres. Rose Lacombe hatte im Gehen ein Band von ihrem Hute verloren, ein blaues Band. Dasselbe blaue Band, mein Herr, das wir mit Blut getränkt auf dem Herzen meines unglücklichen Freundes fanden, und das er mit unter die Erde hinabgenommen hat. Er fand es damals auf dem Wege im Bois de Boulogne, auf dem vor uns Rose mit ihren Angehörigen ging. Da er aber zu schüchtern war, es dem jungen Mädchen selbst einzuhändigen, überließ er mir es zu thun.

Ich that das, wie ein junger leichtfertiger Mensch von zwanzig Jahren so etwas zu thun pflegt. Ich überreichte Rose das Band mit ein paar galanten Worten, durch die ich sie sogleich in ein Gespräch zu verwickeln wußte, aus dem sie sich nicht sobald losmachen konnte, ohne unhöflich zu erscheinen. Nachdem sich die Mutter in die Unterhaltung gemischt, erfuhr ich, daß Madame Lacombe Wittwe sei und in einer der Vorstädte von Paris ein Estaminet für einen Schach-, Damenbret- und Domino-Spielklubb inne hatte. Es war da leicht, mich und meine Freunde, darunter natürlich auch Henri, einzuführen.

Es dauerte nicht lange, so hatte ich die schöne Rose Lacombe für mich gewonnen, von der ich das blaue Band, welches Henri gefunden, als erstes Zeichen meines Triumphes empfing. Ich hatte es eine Zeit lang stets in meinem Portefeuille getragen und häufig geküßt. Nachdem ich aber von Rose andere und vielsagendere Beweise ihrer Zuneigung empfangen, ließ ich es endlich unbeachtet unter meinen Sachen daheim. Später habe ich es wol vermißt, aber nicht weiter darnach gefragt. Ich dachte: ich hätte es, wie so viele andere Pfänder dieser Art, verloren. Daß Henri es genommen haben könne, fiel mir im Traume nicht ein. Als ich es aber an jenem furchtbaren Tage auf seiner blutenden Brust wiederfand, diente es dazu, mir das geheimnißvolle Räthsel seines Herzens zu enthüllen.

Geben Sie Acht, mein Herr, ich komme nun an die schreckliche Katastrophe jener Stunde, die eine Ewigkeit aus meinem Gedächtnisse zu verwischen nicht im Stande sein wird. –

Rose Lacombe hatte mir entdeckt, daß unser Umgang Folgen haben würde. Mit Thränen in den Augen war ich von ihr beschworen worden, sie zu heirathen. Sie können sich denken, wie eine solche Zumuthung mich erschreckte. Ich, der zukünftige bevollmächtigte Minister eines großen Reiches, der Stolz und die Hoffnung einer edlen Familie, sollte mich mit Rose Lacombe, der Tochter einer Gastwirthin vermählen! Wie konnte ich je wagen, meinem Vater wieder vor die Augen zu treten, wenn ich das that. Und wenn ich es nicht that, was sollte aus Rose werden, die ich ihrer Schmach zu überlassen, das Herz nicht besaß?

In der Verzweiflung über diesen Zwiespalt kaufte ich mir ein paar Pistolen. Ich war entschlossen, mir das Leben zu nehmen. Ich ging hinaus in das Gehölz, warf mich in das Gras, weinte, betete und spannte den Hahn. Aber so oft ich losdrücken wollte, verließ mich die Kraft. Meine Hand zitterte und mein Herz ... O, dieses feige Herz! Es bebte und verlangte zu leben. Es erinnerte sich der schönen Welt, des Sonnenscheins, des Glücks der Liebe. Es konnte nicht entsagen; es vermochte nicht, sich in stoischer Ruhe selber den Tod zu geben.

Nach vielen vergeblichen Versuchen, die Kugel aus dem Lauf heraus in meine Brust zu treiben, ging ich endlich nach Hause. Hier traf ich Henri still bei seiner Arbeit sitzen. Sein Gesicht war ruhig, seine Stirn frei. Er übersetzte eine griechische Ode in das Französische.

O, ich kann Ihnen nickt sagen, wie mich das zerschmetterte! ›Henri, Henri,‹ schrie ich, ›hätte ich gelebt wie Du, daß ich auch jetzt dasitzen und mit aller Gelassenheit ein klassisches Gedicht aus der Ursprache übertragen könnte!‹

Henri blickte bei diesem Ausruf auf, indem er fragte, was es gäbe.

Indem ich mich an fein Herz warf, erzählte ich ihm mein Unglück. Als ich an die Schilderung des Auftrittes kam, der zwischen Rose und mir stattgefunden hatte, erbleichte er, was ich aber wenig beachtete, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war. Nachdem ich meine Erzählung beendet, zog ich die Pistolen hervor und warf sie auf den Tisch. ›Sie sind geladen,‹ rief ich. ›Zehn Mal habe ich sie auf meine Brust gesetzt; aber ich vermochte es nicht über mich zu bringen, mich zu tödten. Henri, Freund meiner Seele, schrie ich, zeige mir, wie ich das zu machen habe!‹ ....

So! sagte er, indem er eine der Pistolen ergriff und auf sein Herz abdrückte.

Das Uebrige wissen Sie, Sie haben Rose Lacombe's blaues Band auf Henri's blutiger Brust gesehen. Dieses blaue Band wird Ihnen erklären, was es mir erklärte.

Leben Sie wohl!

Alphonse de G.«

 

Der Maler hielt inne, legte den Brief zusammen und steckte ihn ein. Man sah, daß er ergriffen war, was zur Folge hatte, daß man eine Weile ein tiefes Stillschweigen beobachtete.

Erst nach einer Pause kam wieder Leben in die Gesellschaft. Man frug nach Rose Lacombe und nach dem, was Alphonse gethan. Der Erzähler, der sich indeß gesammelt hatte, sagte kurz: »Es ist keine Novelle, die ich Ihnen hier mitgetheilt habe, sondern nur ein Erlebniß. Als solches müssen Sie meine Geschichte betrachten und sich zufrieden geben, wenn sie keinen eigentlichen Schluß aufzuweisen hat. Von Rose Lacombe kann ich nur berichten, daß sie später einen jungen Schuhmacher heirathete, dem sie mehre Kinder gebar. Alphonse ist noch vor Kurzem französischer Gesandte in einer der größeren Residenzen Deutschlands gewesen. Man schildert ihn als einen ernsten, fast finsteren, aber sehr tüchtigen und braven Mann. Wie ich höre, ist er unverheirathet und will es bleiben ... Henri's Grab ist lange Zeit hindurch von einer unbekannten Hand mit den schönsten Blumen und Kränzen geschmückt gefunden worden. Als ich es jedoch im vorigen Jahre bei meiner letzten Anwesenheit in Paris aufsuchte, fand ich es leer und verödet ...«

 

Nachdem man noch einiges über diese Erzählung hin- und hergesprochen hatte, machten, von der Kühle der einbrechenden Nacht ein wenig schauernd angeweht, einige Damen die Bemerkung, daß es spät geworden und Zeit sei, aufzubrechen. Da mehr als die Hälfte der Gesellschaft aber noch nicht zu ihrem Erlebniß gekommen waren, so beschloß man, ehe man sich trennte, sich nächstens wieder zusammenzufinden und in den Erzählungen fortzufahren. –


Druck von E. M. Gärtner in Schneeberg und Schwarzenberg.

 


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