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Worin Gildas Tregomain erklärt, daß sein Freund Antifer schließlich überschnappen könnte.
Der Testamentsvollstrecker, der Notar Ben Omar, und sein Schreiber befanden sich also richtig am Orte des Stelldicheins. Sie hätten sich wohl auch gehütet, auszubleiben. Schon vor einigen Tagen in Suez eingetroffen, erwarteten sie hier mit Ungeduld das Erscheinen des Malouins.
Auf ein Zeichen des Meisters Antifer rührten sich weder Juhel noch Gildas Tregomain von der Stelle. Alle drei gaben sich den Anschein, in einer Unterhaltung zu sein, in der sie Niemand stören konnte.
Ben Omar kam in der ihm zur zweiten Natur gewordenen ehrerbietigen Haltung auf sie zu.
Man schien sein Vorhandensein gar nicht zu bemerken.
»Nun endlich ... mein Herr ...« wagte er zu sagen, indem er seiner Stimme den liebenswürdigsten Ton verlieh.
Meister Antifer drehte nur den Kopf um, sah ihn an und hatte entschieden das Aussehen, als ob er ihn nicht kenne.
»Geehrter Herr ... ich bin es ... ich ... wiederholte der Notar sich verneigend.
– Wer ... Sie? ...«
Er hätte gar nicht deutlicher aussprechen können: was zum Teufel, will denn dieser Reißaus aus einem Mumiensarge von mir?
»Aber ... ich bin's ... Ben Omar ... der Notar aus Alexandrien ... Kennen Sie mich denn nicht?
– Kennen wir vielleicht diesen Herrn?« fragte Pierre-Servan-Malo.
Er wandte sich dabei, mit den Augen blinzelnd, an seine Gefährten, während der Kiesel im Munde einmal die rechte und dann die linke Wange ausblähte.
»Ich glaub' es, antwortete Gildas Tregomain, dem die Verlegenheit des Notars leid zu thun anfing. Das ist ja Herr Ben Omar, mit dem wir schon zusammenzutreffen das Vergnügen hatten ...
– ... Ah, wirklich ... wahrhaftig ... erwiderte Meister Antifer, als wenn er sich seiner endlich erinnerte. Ja, richtig ... Bon Omar oder Ben Omar? ...
– Ich selbst.
– Na ... was machen Sie denn hier?
– Wie ... was ich hier mache? ... Nun, ich erwarte Sie, Herr Antifer.
– Sie erwarten mich?
– Gewiß! Haben Sie denn ganz vergessen? ... Wir hatten ja verabredet, in Suez zusammenzutreffen?
– Zusammenzutreffen? ... Weshalb denn? antwortete der Malouin, der den Erstaunten so vortrefflich spielte, daß es den Notar wirklich verblüffte.
– Weshalb? ... Ei wegen des Testaments Kamylk-Paschas ... wegen der vermachten Millionen ... und wegen des Eilandes ...
– Sie dürften sich ausdrücken: meines Eilandes, scheint mir!
– Jawohl, Ihres Eilandes ... Ich sehe, daß sich Ihr Gedächtniß wieder einstellt ... und da mir das Testament die Verpflichtung auferlegt ...
– Ja, ja, das ist richtig, Herr Ben Omar ... Adieu, Adieu! ...«
Und ohne sich mit einem auf Wiedersehen zu verabschieden, veranlaßte er Juhel und den Frachtschiffer durch ein Zeichen, ihm zu folgen.
Eben als sie sich vom Bahnhof entfernen wollten, hielt der Notar die kleine Gruppe noch einmal auf.
»Wo denken Sie in Suez zu wohnen? fragte er.
– Im ersten besten Hotel antwortete Meister Antifer.
– Würde Ihnen das passen, in dem ich mit meinem Schreiber abgestiegen bin?
– Das, oder ein andres, daran liegt ja nichts! Für die achtundvierzig Stunden, die wir uns hier aufhalten ...
– Achtundvierzig Stunden? wiederholte Ben Omar in einem Tone, der die schlimmste Unruhe erkennen ließ. Sie sind also noch nicht am Ziel Ihrer Reise?
– Nicht im geringsten, erklärte Meister Antifer. Jetzt haben wir noch eine Seefahrt vor uns ...
– Seefahrt? unterbrach ihn der Notar, der schon erbleichte, als schwankte das Verdeck eines Schiffes unter seinen Füßen.
– Eine Seefahrt, die wir, wenn es Ihnen gefällig ist, an Bord des Packetbootes ›Oxus‹ ausführen werden, das den Dienst zwischen hier und Bombay versieht ...
– Bombay!
– Und das übermorgen von Suez abgehen wird. Ich lade Sie also ein, sich darauf Platz zu sichern, da uns Ihre Gesellschaft einmal aufgedrängt ist.
– Wo liegt denn aber jenes Eiland? fragte der Notar mit dem Ausdrucke heller Verzweiflung.
– Das liegt, wo es liegt, Herr Ben Omar!«
Damit begab sich Meister Antifer, begleitet von Juhel und Tregomain, nach dem nächsten Hotel, wohin ihr nicht umfängliches Gepäck bald nachgebracht wurde.
Eine Minute später befand sich Ben Omar wieder bei Nazim, und ein Beobachter hätte sehen müssen, daß der angebliche Schreiber ihn nicht in respektvollster Weise empfing. O, ohne jenes Procent, das ihm von den Millionen zukam, und ohne die Angst, die ihm Saouk einflößte, hätte er mit Vergnügen den Erben Kamylk-Paschas mit sammt dem Testamente und der unbekannten Insel seines Weges ziehen lassen oder sich gar nicht darum gekümmert, wer sich etwa aufmachte, den Schatz zu heben.
Hätte Jemand etwa unserm Malouin gesagt, daß Suez früher von den Arabern Sueys und von den Aegyptern Kleopatris genannt worden war, so würde dieser sofort geantwortet haben:
»Bei dem Zwecke, um deswillen ich hierher kam, ist mir das völlig gleichgiltig!«
An den Besuch einiger Moscheen, einiger alten Bauwerke ohne besondern Charakter, zweier oder dreier Plätze, deren merkwürdigster der Getreidemarkt ist, oder eines nach dem Meere zustehenden Hauses, in dem einst General Bonaparte gewohnt hatte ... an dergleichen dachte das ungeduldige Männchen gar nicht. Juhel meinte dagegen, er könne die achtundvierzig Stunden nicht besser ausnützen, als durch eine Besichtigung der Stadt mit fünfzehntausend Seelen, deren unregelmäßige Wälle freilich in recht schlechtem Zustande waren.
Er und Gildas Tregomain trotteten also durch alle Straßen und Gassen, besahen sich die Rhede, wo fünfhundert Schiffe bei sechzehn bis zwanzig Meter Tiefe recht guten Ankergrund finden und gegen den hier fast stets wehenden Nordwest geschützt sind.
Suez betrieb schon einen nicht unbeträchtlichen Seehandel, ehe jemand an den heutigen Canal dachte – Dank der Eisenbahn, die Kairo und Alexandrien verbindet. Durch seine Lage im Hintergrunde des Golfes, dem es seinen Namen entlehnt hat – ein Golf, der sich zwischen der ägyptischen Küste und der Landenge hundertsechsundachtzig Kilometer weit ins Land erstreckt – beherrschte diese Stadt das Rothe Meer und wird sich, wenn auch langsam, doch auch in Zukunft weiter entwickeln.
Meister Antifer hatte für so etwas, wie gesagt, nicht das geringste Interesse. Während die beiden andern durch die Straßen lustwandelten, verließ er fast gar nicht den herrlichen, in eine Promenade umgewandelten Strand. Er fühlte freilich, daß man ihn überwachte. Bald war es Nazim, bald wieder Ben Omar, der ihn nicht aus den Augen verlor, ohne daß sich einer von ihnen an ihn herangedrängt hatte. Er gab sich übrigens den Anschein, von dieser Ueberwachung nichts zu merken. In Gedanken versunken, auf einer Bank sitzend, überflog sein Blick den Horizont des Rothen Meeres und suchte noch darüber hinauszudringen und zuweilen – so sehr unterlag seine Phantasie seiner fixen Idee – glaubte er das Eiland zu sehen – sein Eiland wie es aus dem Nebeldunst des Südens austauchte in Folge einer Luftspiegelung, die übrigens an solchen sandigen Küsten nicht selten und so täuschend sind, daß sich das Auge davon allemal beirren läßt.
Endlich, am 11. März, hatte das Packetboot seine Vorbereitungen zur Abfahrt vollendet und die nöthigen Kohlen eingenommen, die es zur Fahrt über den Indischen Ocean und zum Anlaufen gewisser Häfen brauchte.
Selbstverständlich hatten sich Meister Antifer, Gildas Tregomain und Juhel schon sehr frühzeitig an Bord begeben und auch Ben Omar und Saouk sich eingeschifft.
Das in der Hauptsache nur zum Waarentransport eingerichtete große Dampfschiff konnte doch auch Passagiere mitnehmen, von denen übrigens die meisten nach Bombay gingen, und nur wenige in Aden und Mascat absteigen wollten.
Der »Oxus« lichtete um elf Uhr morgens die Anker und dampfte durch die lange Wasserstraße von Suez hin. Es wehte eine ziemlich frische Nordwestbrise, die nach Westen umzulaufen versprach. Da die Reise gegen vierzehn Tage in Anspruch nehmen sollte, weil unterwegs mehrmals angehalten wurde, hatte Juhel eine Cabine mit drei Lagerstätten belegt, die am Tage zum Ausruhen und nachts zum Schlafen dienen konnte.
Natürlich nahmen Saouk und Ben Omar eine andere Cabine ein, aus der Ben Omar jetzt gewiß nur immer für sehr kurze Zeit auftauchen würde. Meister Antifer, der dem Manne, den er nicht loswerden konnte, ihr gegenseitiges Verhältniß möglichst klar zu machen strebte, hatte mit der ihm eigenen Höflichkeit des Seebären den Notar in folgender Weise angelassen:
»Herr Ben Omar, wir fahren zwar in Gesellschaft, das versteht sich, doch jeder hält sich auf seiner Seite ... Ich mich auf der meinigen ... Sie sich auf der Ihrigen. Es wird genügen, wenn Sie zur Zeit bei der Hand sind, um meine Besitzergreifung zu bestätigen, und wenn das geschehen ist, hoffe ich, daß wir einander weder in dieser noch in jener Welt wieder begegnen werden!«
So lange der »Oxus« in dem durch die seitlichen Anhöhen des Isthmus geschützten Golfe hindampfte, verlief die Fahrt ebenso ruhig, wie über einen Binnensee. Als er aber in das eigentliche Rothe Meer einlenkte, fiel ihm die frische Brise, die von den arabischen Ebenen herwehte, recht anständig in die Flanke. Da erlagen viele Passagiere sehr bald der schlimmsten Seekrankheit. Nazim schien davon nicht belästigt zu werden – ebensowenig wie Meister Antifer, dessen Neffe und Gildas Tregomain, der in seiner Person die Ehre der Süßwasserschiffer rettete. Was den Notar betraf, so müßte man freilich darauf verzichten, seinen Zustand malen zu wollen. Er erschien nie auf dem Deck des Schiffes, und auch weder im Salon, noch im Diningroom. Man hörte ihn nur in seiner Cabine jammern, sah ihn aber während der ganzen Fahrt nicht wieder. Für das Männchen wäre es besser gewesen, als Mumie zu reisen. Der gutmüthige Lastschiffer, der mit dem armen Manne etwas Mitleid fühlte, besuchte ihn dann und wann einmal – was ja bei seiner Natur nicht zu verwundern ist. Meister Antifer dagegen, der es Ben Omar nicht vergessen konnte, daß er ihm seine Breite hatte entwenden wollen, zuckte nur die Achseln, als Gildas Tregomain es versuchte, ihm etwas Mitgefühl für den unglücklichen Passagier einzuflößen.
»Nun, Frachtschiffer, sagte er zu ihm, die rechte und die linke Wange immer abwechselnd aufblasend, ist denn Dein Omar nun ordentlich leer?
– Beinahe!
– Meinen Glückwunsch!
– Alter Freund, würdest Du denn nicht einmal zu ihm gehen? ... Nur ein einziges Mal? ...
– O gewiß, Frachtschiffer, gewiß! Ich werde gehen, sobald von ihm nur noch die äußere Schale übrig ist!«
Mit einem Manne, der das lachend herauspolterte, soll einer nun etwas anzufangen versuchen.
Blieb nun auch während der Fahrt jede Belästigung seitens des Notars aus, so erweckte doch dafür sein Schreiber Nazim bei Meister Antifer wiederholt ein nicht unbegründetes Mißtrauen. Er drängte sich ihm übrigens nicht etwa persönlich auf. Wozu auch? Sie hätten ja doch, da sie die gleiche Sprache nicht beherrschten, nicht mit einander reden können. Der angebliche Schreiber war jedoch immer in der Nähe und beobachtete alles, was der Malouin that, in einer Weise, als wäre er von seinem Principal damit beauftragt worden. Der Meister Antifer verspürte die größte Lust, ihn über Bord zu werfen, vorausgesetzt, daß der Aegypter sich eine solche Behandlung gefallen ließ.
Die Fahrt durch das Rothe Meer hinunter war recht peinlich, – obwohl man jetzt von der erstickenden Hitze des Sommers hier noch nichts zu leiden hatte. Zu dieser Zeit kann man bekanntlich als Kesselheizer nur noch Araber gebrauchen, die noch nicht braten, wo Eier schon sieden.
Am 15. März erreichte der »Oxus« den engsten Theil der Straße Bab-el-Mandeb. Nachdem sie die englische Insel Perim zur Linken gelassen hatten, konnten die drei Franzosen auch einmal die Flagge ihres Vaterlandes begrüßen, die vom Fort Obock über der afrikanischen Küste wehte. Dann steuerte der Dampfer durch den Golf von Aden und auf den gleichnamigen Hafen zu, wo er einige Passagiere absetzen sollte.
Aden, wiederum ein Schlüssel zu dem Schatze des Rothen Meeres, der am Gürtel Großbritanniens hängt, dieser guten Haushälterin, die ihr Geschäft niemals vernachlässigt. Mit der Insel Perim, aus der England ein zweites Gibraltar gemacht hat, beherrscht es den Eingang zu jenem sechshundert Lieues langen Durchgang, der nach dem Indischen Ocean hinführt. Wenn der Hafen von Aden zum Theil versandet ist, so besitzt er doch im Osten einen weiten und bequemen Ankerplatz, und im Westen ein Bassin, in dem eine große Flotte Schutz finden könnte. Die Engländer haben hier seit 1823 Fuß gefaßt. Die jetzige Stadt, die schon im elften und zwölften Jahrhundert eine Periode der Blüte hatte, scheint sich mehr und mehr zum Handelsemporium des fernen Morgenlandes zu entwickeln.
Aden, das dreißigtausend Einwohner hat, zählte jetzt deren drei mehr. Für die Zeit von achtundvierzig Stunden war auch Frankreich hier durch die drei abenteuerlustigen Malouins – Prachtexemplare der alten Armorica – vertreten.
Meister Antifer hielt es nicht für angezeigt, das Schiff erst zu verlassen. Er schimpfte vielmehr weidlich über den Aufenthalt, vorzüglich, da dieser es dem Notar ermöglichte, auf dem Verdeck des »Oxus« zu erscheinen, freilich in so erbärmlichem Zustande, daß er sich kaum herauf zu schleppen vermochte.
»Ah, sieh' da, Herr Ben Omar? sagte Pierre-Servan-Malo mit ironischem Ernste. Wahrlich, hätte Sie fast gar nicht wiedererkannt! ... Sie werden wohl nicht mehr bis ans Ziel der Reise kommen! ... Ich an Ihrer Stelle ... ich bliebe gleich in Aden zurück ...
– Das möcht' ich wohl gern, antwortete der Unglückliche, dessen Stimme zum schwachen Lispeln geworden war. Einige Tage der Ruhe könnten mich ja – wieder herstellen, und wenn Sie das nächste Packetboot abwarten ...
– Bedaure sehr, Herr Ben Omar. Ich hab' es eilig, Ihnen die für Sie bestimmte hübsche Tantieme auszuliefern, da kann ich mich unterwegs leider nicht aufhalten.
– Ist's denn noch weit von hier? ...
– Mehr als weit!« antwortete Meister Antifer, der mit der Hand einen Kreis von unglaublichem Durchmesser beschrieb.
Ben Omar schlich darauf wieder in seine Cabine. Das kurze Gespräch hatte ihm wenig Trost gewährt.
Juhel und der Frachtschiffer kehrten zur Zeit der Tafel wieder auf das Schiff zurück, ohne von ihren Erlebnissen zu erzählen, denn Meister Antifer hätte ihnen doch nicht zugehört.
Am Nachmittag des nächsten Tages stach der »Oxus« wieder in See, konnte aber von der indischen Amphitrite – Gildas Tregomain sagte »Amphitruite« – kein großes Rühmens machen. Die Göttin zeigte sich eigensinnig, launisch, nervös, was man an Bord gar zu deutlich fühlte. Von Ben Omar wollen wir lieber schweigen. Doch wenn man den in ein Tuch gehüllt, nach dem Verdeck getragen, wenn man ihn, mit einer Kanonenkugel an den Füßen, nach dem Fußschemel der Göttin hinuntergesendet hätte, er würde nicht mehr Kraft gehabt haben, gegen das Unzeitgemäße dieser Bestattung zu protestieren.
Erst am dritten Tage ließ das schlechte Wetter nach, als der Wind nach Nordost umsprang, wodurch der Dampfer unter den Schutz der Küste von Hardramaut kam.
Wir brauchen wohl nicht zu versichern, daß Saouk, wenn er sich von den Unbilden der Fahrt auch körperlich keineswegs belästigt fühlte, doch geistig nicht in der gleich guten Verfassung war. Ihn wurmte es, von der Gnade des verwünschten Franzosen abhängig zu sein, ihm das Geheimniß der Insel nicht haben entlocken zu können und ihm folgen zu müssen, nach Mascat, nach Sunate, nach Bombay, oder wo der »Oxus« sonst einen Hafen anlief – das war nicht dazu angethan, ihn bei guter Laune zu erhalten.
Diese Ungewißheit und Unkenntniß reizten Saouk im Gegentheil mit jeder Stunde mehr, er hätte jenes Geheimniß am liebsten den Eingeweiden des Meister Antifer entrissen.
Immer wieder bemühte er sich, einzelne zwischen diesem und seinen Begleitern gewechselte Worte aufzuschnappen. Da diese glaubten, daß er kein Französisch verstehe, konnte sie seine Anwesenheit nicht genieren. Doch auch das war vergeblich. Im Gegentheil schienen die Drei gegen den angeblichen Schreiber Verdacht zu haben, jedenfalls wichen sie ihm absichtlich aus, was Saouk natürlich nicht entgehen konnte.
Der »Oxus« hielt sich gegen zwölf Stunden in Birbat an der arabischen Küste auf. Von da aus steuerte er längs des Gebietes von Oman hin und auf Mascat zu. Noch zwei Tage, und er mußte das Cap Raz-el-Had umschiffen und vierundzwanzig Stunden später die Hauptstadt des Imanats erreichen, womit Meister Antifer am vorläufigen Ziel seiner Reise ankam.
Es war übrigens die höchste Zeit. Je näher der Malouin seinem Ziele kam, desto nervöser und ungeselliger wurde er. Nur das ersehnte Eiland beschäftigte noch seine Gedanken, jene Gold- und Diamantengrube, die ihm angehörte. Er sah schon eine Höhle Ali Baba's vor sich, deren Eigenthum ihm gesetzmäßig im Lande der Tausend und eine Nacht, wohin Kamylk-Pascha ihn entführte, überwiesen worden war.
»Wißt Ihr, begann er eines Tages zu seinen Gefährten, daß, wenn das Vermögen des braven Aegypters ...«
Er sprach in familiärster Weise, wie etwa ein Neffe von dem amerikanischen Onkel gesprochen hätte, dessen Hinterlassenschaft er antrat.
»... Wißt Ihr, daß ich, wenn jenes Vermögen aus Goldbarren bestanden hätte, sehr in Verlegenheit gekommen wäre, es nach Saint Malo zu befördern?
– Das glaube ich Dir, Onkel, antwortete Juhel.
– Ich meine doch, wagte der Frachtschiffer zu bemerken, wenn wir jeder unsern Reisesack, unsre Taschen und zur Noth auch die Hüte vollgestopft hätten ...
– Das sind nun Ansichten des Flußkleppers! rief Meister Antifer. Er stellt sich vor, man könne eine Million in der Hosentasche forttragen ...
– Ich dachte mir, lieber Freund ...
– Du hast wohl in Deinem Leben noch keine Million in Gold gesehen? ...
– Niemals ... nicht einmal im Traume!
– Und Du weißt auch nicht, was eine solche wiegt? ...
– Darum laß' ich mir kein graues Haar wachsen.
– Nun, ich, ich weiß es aber, Frachtschiffer, denn es hat mich gedrängt, es auszurechnen.
– Nun, wie viel denn?
– Ein Goldbarren im Werthe von einer Million wiegt ungefähr dreihundertzweiundzwanzig Kilogramm ...
– Nicht mehr?« warf Gildas Tregomain naiv ein.
Meister Antifer sah ihn von der Seite an. Dessen Bemerkung schien aber in so gutem Glauben gefallen zu sein, daß er sich entwaffnet fühlte.
»Und, fuhr er fort, wenn eine Million schon dreihundertzweiundzwanzig Kilogramm wiegt, so wiegen hundert Millionen zweiunddreißigtausendzweihundert Kilogramm!
– Oho! platzte Frachtschiffer heraus, – nur nicht zu viel!
– Ja, weißt Du auch wie viele Menschen, wenn jeder hundert Kilogramm trüge, nöthig wären, um diese hundert Millionen fortzuschaffen?
– Na, sag's nur, alter Freund!
– Dazu brauchte man wieder dreihundertzweiundzwanzig. Da wir nun blos ihrer drei sind, so kann man sich unsre Verlegenheit vorstellen, wenn wir nach dem Eiland kämen! Zum Glück besteht mein Schatz aber in der Hauptsache aus Diamanten und Edelsteinen ...
– Ja, ja, mein Onkel hat ganz recht, fiel Juhel ein.
– Und ich möchte noch hinzusetzen, sagte Gildas Tregomain, daß dieser Kamylk-Pascha alles zum besten eingerichtet hat.
– O, jene Diamanten! rief Meister Antifer; jene Diamanten, die man bei den Juwelieren in Paris oder London so bequem verkaufen kann! ... Das wird einmal ein Handel werden! ... Natürlich nicht alle ... nein, alle nicht!
– Du wirst nur einen Theil davon in Gold umsetzen ...
– Jawohl, Frachtschiffer, natürlich! erwiderte Meister Antifer, dessen Gesicht zuckte, während seine Augen Blitze sprühten. Ja wohl ... und im Voraus behalte ich davon einen für mich ... einen Diamanten im Werthe von einer Million ... den ich im Brustlatz trage ...
– Im Brustlatz, alter Freund! bemerkte Gildas Tregomain. Dann mußt Du aber strahlen! Ich glaube, es kann Dich gar keiner mehr ansehen! ...
– Und einen zweiten für Enogate, erklärte Meister Antifer weiter. Das wird ein Kieselsteinchen, das sie noch hübscher machen wird.
– Nein, hübscher nicht, als sie's schon ist, Onkel! beeilte sich Juhel zu versichern.
– Gewiß, mein Herr Neffe, gewiß ... Dann giebt es noch einen dritten Diamanten für meine Schwester.
– Ach, für die gute Nanon! rief Gildas Tregomain. Sie wird dann ebenso geschmückt sein, wie zu Hause die Jungfrau Maria von der Rue Porçon. Alle Wetter, ich glaube, ich glaube, Du willst sie so putzen, daß ihr einer einen Heiratsantrag macht? ...«
Meister Antifer zuckte nur die Achseln, dann fuhr er fort:
»Und einen vierten Diamanten für Dich, Juhel, einen schönen Stein, den Du an der Busennadel tragen kannst ...
– Ich danke, lieber Onkel.
– Und einen fünften für Dich, Kapitän!
– Für mich? ... Wenns noch einer wäre, den ich an der Gallion der ›Charmante Amélie‹ anbringen könnte ...
– Nein, Frachtschiffer, an Deinem Finger ... in einem Ring ... einem Siegelring ...
– Ein Diamant an meinen großen, rothen Händen ... das wird mich kleiden, wie einen Franciskaner etwa Lackstiefeln, erwiderte der Frachtschiffer, indem er seine gewaltige Hand zeigte, die eher geeignet war, ein dreifaches Tau einzuholen, als mit Ringen zu flunkern.
– Thut nichts, Frachtfuhrmann! Es ist ja nicht unmöglich, daß sich eine Frau fände, die Dich wollte ...
– Ich bitte Dich, alter Freund! Es existiert ja eine hübsche und kräftige Witwe ... eine Gewürzkrämerin in Saint Servan ...
– Eine Höckerin ... Gewürzhändlerin! ... rief Meister Antifer. Stelle Dir einmal vor, welche Jammergestalt Deine Höckerin in unserer Familie spielen müßte, wenn Enogate erst einen Prinzen und Juhel seine Prinzessin geheirathet hat!«
Das Gespräch brach hiermit ab und der junge Kapitän konnte sich nicht enthalten, zu seufzen, wenn er dachte, daß sein Oheim noch immer an solcher tollen Idee festhielt. Wie würde er ihn wohl zur Vernunft bringen können, wenn es ein Unstern, ja, ein richtiger Unstern wollte, daß er in Besitz der Millionen des Eilandes kam?
»Ohne allen Zweifel, er verliert noch den Verstand, wenn das so weiter geht! sagte Gildas Tregomain zu Juhel, als sie allein waren.
– Das ist leider zu fürchten!« bestätigte Juhel, der seinem vor sich hinmurmelnden Onkel nachblickte.
Zwei Tage später traf der »Oxus« im Hafen von Mascat ein, und die drei Matrosen schleppten Ben Omar aus der Tiefe seiner Cabine. Doch in welchem Zustand! Er war nur noch ein Skelett ... oder vielmehr eine Mumie, da ihm noch die Haut über das Knochengerüst weghing!