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Worin Meister Antifer, Juhel und Gildas Tregomain einen recht unangenehmen Tag in Sohar zubringen.
Es war ein Glück, daß unsre drei Europäer nicht um des Vergnügens, sondern um eines bestimmten Zweckes willen nach Sohar gekommen waren. Die Stadt verdient keineswegs, den Touristen empfohlen zu werden und ist eine Reise dahin nicht werth. Sie hat zwar ziemlich saubre Straßen, doch gar zu sonnige Plätze, einen Wasserlauf, der kaum dem Bedürfnisse der wenigen Tausend Einwohner genügt, wenn deren Kehlen von der Gluth des Hundssterns ausgetrocknet sind, ziemlich willkürlich zerstreute Häuser, die, nach orientalischer Sitte, nur von einem innern Hofe her Licht erhalten, ein etwas umfänglicheres Bauwerk ohne jeden Stil und aller Feinheiten der arabischen Sculptur entbehrend, mit dem der Iman sich aber doch begnügt, wenn er zwei oder drei Monate im Norden seines Königreiches weilt.
Wenn auch von keiner besondern Wichtigkeit, so existiert Sohar doch an der Küste des Golfes von Oman, und der beste Beweis dafür ist, daß man seine geographische Lage mit jeder wünschenswertsten Genauigkeit festgestellt hat.
Die Stadt liegt nämlich unter 54° 29' der Länge und 24° 37' nördlicher Breite.
Nach den Angaben in jenem Briefe Kamylk-Paschas hatte man das Eiland also achtundzwanzig Bogenminuten im Osten von Sohar und zweiundzwanzig Minuten nördlich zu suchen, das bedeutet eine Entfernung zwischen vierzig und fünfzig Kilometer vom Lande.
In Sohar giebt es nicht viel Gasthäuser, sondern nur eine Art Karawanserei, worin einige Zimmer oder vielmehr Zellen, die den Hof kreisförmig umgeben, mit je einer Lagerstätte versehen sind. Dorthin führte der dienstwillige Dolmetscher Selik auch Meister Antifer, dessen Neffen und dessen Freund.
»Welches Glück, rief Gildas Tregomain immer wieder, einen so gefälligen Araber gefunden zu haben! Es ist nur bedauerlich, daß er nicht französisch oder wenigstens bretonisch spricht!«
Jedenfalls verständigten sich Juhel und Selik hinreichend für das, was sie einander zu sagen hatten. An diesem Tage verlangte es nach den Beschwerden der Reise Juhel und den Frachtschiffer natürlich nach nichts anderem als nach einer tüchtigen Mahlzeit und einen darauffolgenden zwölfstündigen Schlummer. Es war aber nicht leicht, auch Meister Antifer diesem so vernünftigen Plane geneigt zu machen. Immer erhitzt von seinem Verlangen, jetzt, wo er sich »seinem« Eilande so nahe befand, wollte er von Verzögerung nichts mehr wissen, sondern auf der Stelle ein Fahrzeug miethen. Wer könnte an's Ausruhen denken, wenn es sich nur noch um einen Katzensprung handelte ... einen Katzensprung von kaum einem Dutzend Lieues, um den Fuß auf den Winkel der Erde zu setzen, wo Kamylk-Pascha seine verlockenden Fässer vergraben hatte!
Kurz, es gab einen erregten Auftritt, der den Beweis lieferte, bis zu welchem Grade von Ungeduld, Nervosität – Erethismus, könnte man sagen – der Onkel Juhels gekommen war. Endlich begann er sich zu beschwichtigen. Es mußten doch einige Vorsichtsmaßregeln getroffen werden ... Zu viel Eifer konnte der Polizei von Sohar verdächtig Vorkommen. Der Schatz würde ja binnen jetzt und vierundzwanzig Stunden auch nicht verschwinden ...
»Wenn er überhaupt da ist, sagte Gildas Tregomain für sich. Mein armer Freund schnappte unbedingt über, wenn er nicht da wäre oder gar nicht mehr da wäre!«
Und die Befürchtungen des wackren Frachtschiffers schienen sich in gewissem Grade bestätigen zu sollen.
Bedenken wir übrigens, daß, wenn Meister Antifer in seinen Hoffnungen betrogen, Gefahr lief, geisteskrank zu werden, so müßte die nämliche Enttäuschung auf Saouk eine Wirkung hervorbringen, die zwar nicht die gleiche, doch deshalb von nicht minder schrecklichen Folgen zu werden drohte. Der falsche Nazim ließ sich dann gewiß zu Wuthausbrüchen hinreißen, denen sich Ben Omar nicht ohne Schaden zu entziehen vermochte. Das Fieber der Ungeduld schüttelte ihn ganz ebenso wie den Malouin, und man kann sicher sein, daß diese Nacht wenigstens zwei Reisende in ihren Zellen die Augen nicht schlossen. Sie zogen ja auf zwei verschiedenen Wegen demselben Ziele zu. Wenn der eine nur den Tag erwartete, um ein Fahrzeug zu acquirieren, so dachte der andre nur daran, einige zwanzig entschlossene Schurken zu engagieren, die er durch den Köder einer reichen Belohnung an sich fesseln wollte, um den Raub des Schatzes auf der Rückreise zu versuchen.
Das Morgenroth erschien und verkündete mit den ersten Sonnenstrahlen den Anbruch des denkwürdigen Tages des 28. März.
Natürlich erschien es gerathen, die Anerbietungen Selik's sich zu nutze zu machen, und Juhel fiel die Aufgabe zu, mit dem gefälligen Araber alles so vorzubereiten, daß es zum guten Ende führte. Letzterer, dessen Verdacht immer mehr und mehr anwuchs, hatte die Nacht gleich im Hofe der Karawanserei zugebracht.
Juhel war in einiger Verlegenheit wegen des Dienstes, um den er Selik angehen wollte. Man stelle sich nur vor: drei Europäer, die am Tage vorher von Sohar eingetroffen sind, suchen sofort ein Fahrzeug ... Es handle sich dabei um eine Lustfahrt ... denn einen andern Vorwand konnte man ja nicht machen ... eine Lustfahrt durch den Golf von Oman, die höchstens achtundvierzig Stunden dauern würde, mußte ein solches Vorhaben nicht auffallen? Vielleicht beunruhigte sich Juhel doch etwas zu viel darum, daß der Dolmetscher in diesem Vorschlage etwas gar so Sonderbares finden könne.
Doch wie dem auch sein mochte, die Sache mußte zu Ende kommen, und sobald er Selik begegnete, bat ihn Juhel, ihm ein Fahrzeug zu beschaffen, das im Stande wäre, mehrere Tage lang die offene See zu halten.
»Wollen Sie etwa über den Golf fahren, sagte Selik, und an der persischen Küste an's Land gehen?«
Da fiel es Juhel ein, dieser Frage durch eine sehr natürliche Frage auszuweichen, die jeden Verdacht selbst seitens der Behörden von Sohar abwenden mußte.
»Nein, es handelt sich nur um eine geographische Untersuchung, erwiderte er, sie bezweckt die Lagebestimmung der größten Eilande des Golfes. Giebt es solche nicht in den Gewässern von Sohar?
– O ja, es finden sich wohl mehrere solche, antwortete Selik, doch keins von irgend welcher Bedeutung.
– Thut nichts, antwortete Juhel, ehe wir uns an der Küste niederlassen, möchten wir den Golf besuchen.
– Wie es Ihnen beliebt.«
Selik hütete sich vor weiteren Fragen, obwohl ihm die Antwort des jungen Kapitäns etwas verdächtig erscheinen mochte. Da der Polizist über die dem französischen Consularagenten mitgetheilten Absichten unterrichtet war, das heißt über die angebliche Begründung eines Handelscomptoirs in einer der Hafenstädte des Imanats, so mußte er sich wohl sagen, daß diese Gründung mit einer Bereisung des Golfes von Oman doch wenig zu thun habe.
Das veranlaßte den Mann natürlich, den Malouin und seine Begleiter etwas schärfer ins Auge zu fassen.
Damit wurde der Erfolg des Vorhabens freilich noch weiter in Frage gestellt. Sobald der Schatz auf dem Eilande entdeckt wurde, erhielt die Polizei Seiner Hoheit davon ebenfalls sofort Kenntniß, und Seine Hoheit, der ebenso skrupellos wie allmächtig war, würde den Legatar Kamylk-Paschas vielleicht ganz verschwinden lassen, um jeder späteren Reclamation aus dem Wege zu gehen.
Selik unternahm es, das zur Untersuchung des Golfes nöthige Fahrzeug zu beschaffen, und versprach auch, daß es mit Leuten bemannt werden solle, auf deren Ergebenheit man rechnen könne. An Lebensmitteln sollte ein Vorrath für drei bis vier Tage mitgenommen werden. Bei dem unsichren Wetter der Aequinoctialzeit mußte man, wenn auch nicht wahrscheinliche, so doch mögliche Verzögerungen in Rechnung ziehen.
Juhel dankte dem Dolmetscher und versicherte ihm, daß seine Dienste reichlich belohnt werden sollten, und Selik drückte schon im voraus seinen Dank für diese Zusage aus. Dann setzte er hinzu:
»Vielleicht ist es besser, daß ich Sie bei dieser Fahrt begleite? Bei Ihrer Unkenntniß der arabischen Sprache könnten Sie gegenüber dem Schiffsführer und der Mannschaft doch in Verlegenheit kommen ...
– Sie haben Recht, meinte Juhel. Bleiben Sie für die Zeit unsres Aufenthaltes in Sohar zu unsern Diensten, und ich wiederhole Ihnen, Sie sollen sich nicht umsonst bemüht haben.«
Damit trennten sie sich. Juhel begab sich zu seinem Oheim, der in Gesellschaft seines Freundes Tregomain lustwandelte. Er berichtete ihm von seiner Abmachung. Der Frachtschiffer war höchst erfreut, den jungen Araber als Führer und Dolmetscher in der Nähe zu haben, zumal da dieser ihm – und zwar mit Recht – ganz intelligent erschien.
Pierre-Servan-Malo gab seine Zustimmung durch ein einfaches Zeichen mit dem Kopfe zu erkennen. Nachdem er dann den durch das Reiben an seinen Kinnladen schon abgenutzten Kieselstein im Munde zurecht geschoben hatte, sagte er:
»Aber das Fahrzeug ...?
– Das wird unser Dolmetscher zu schaffen wissen, lieber Onkel, und er wird es auch mit Proviant versehen.
– Mir scheint, binnen einer oder zwei Stunden müßte doch so ein Hafenkahn zur Abfahrt fertig sein ... Zum Teufel, es handelt sich doch nicht um eine Reise um die Erde!
– Nein, alter Freund, antwortete der Frachtschiffer, es kostet aber doch einige Zeit, eins zu finden. Sei nicht so ungeduldig, ich bitte Dich!
– Wenn's mir aber beliebt, das zu sein! versetzte Meister Antifer, während er die Stichflamme seines Blickes auf Gildas Tregomain richtete.
– Na, dann sei es meinetwegen!« sagte der Frachtschiffer mit höflicher Verbeugung.
Inzwischen ging der Tag dahin, ohne daß Juhel eine Nachricht von Selik erhielt, was die Aufregung des Meister Antifer natürlich über die Maßen steigerte. Er sprach schon davon, den Araber, der sich mit seinem Neffen offenbar nur einen Scherz erlaubte, in den Grund des Golfes zu versenken. Vergeblich bemühte sich Juhel, ihn zu vertheidigen, ja er kam damit sogar recht schlecht an. Gildas Tregomain erhielt gleich den Befehl, den Mund zu halten, als er die Intelligenz jenes Selik herauszustreichen versuchte.
»Ein Schelm ist es, rief Meister Antifer, ein Spitzbube, Euer Dolmetscher, ein Straßenräuber, der mir nicht das geringste Vertrauen einflößt und der nur darauf ausgeht, uns das Geld zu stehlen ...
– Ich habe ihm noch nichts gegeben, lieber Onkel.
– Das war eben Unrecht von Dir. Hättest Du ihm eine gute Anzahlung geleistet ...
– Du sagtest doch, daß er uns nur bestehlen wolle ...
– Einerlei!«
Sich mit diesen einander widersprechenden Gedanken zurecht zu finden, das versuchten Gildas Tregomain und Juhel gleich gar nicht! Es kam ja auch nur darauf an, den Malouin im Zaume zu halten, ihn zu verhindern, daß er eine Dummheit, mindestens eine Unklugheit beging, und ihn zu einer Haltung zu bestimmen, die keinen Verdacht auf ihn lenkte. Der brave Mann wollte freilich unbedingt nichts hören. Seiner Ansicht nach lagen doch gewiß Fischerbarken im Hafen. Von denen brauchte man ja nur eine zu wählen, mit der Mannschaft ins Reine zu kommen, sich dann einzuschiffen, vom Lande zu stoßen und nach Nordosten zu steuern ...
»Wie sollten wir uns aber mit den Leuten verständigen, warf Juhel ein, da wir kein Wort Arabisch verstehen?
– Und sie wieder kein Wort französisch? setzte der Frachtschiffer hinzu.
– Ja, zum Kuckuck, warum verstehen sie das nicht? entgegnete Meister Antifer in voller Wuth.
– Das ist unrecht von ihnen ... gewiß unrecht, lenkte Gildas Tregomain ein, der seinen Freund durch diese Concession beruhigen wollte.
– Das ist alles Dein Fehler, Juhel!
– O nein, lieber Onkel, ich habe gethan, was ich konnte, und unser Dolmetscher wird sich gewiß bald einstellen. Wenn er Ihnen übrigens kein Vertrauen einflößt, so nehmen Sie doch Ben Omar und dessen Schreiber mit, die ja arabisch sprechen ... dort sind sie auf dem Quai ...
– Die beiden Burschen? ... Nimmermehr! Es ist schon genug, mehr als genug, zu wissen, daß wir sie im Schlepptau haben!
– Ben Omar scheint die Absicht zu haben, uns anzusprechen, bemerkte Gildas Tregomain.
– Er mag's nur versuchen, Frachtschiffer, da bekommt er aber eine Breitseite, daß er auf der Stelle untergeht!«
In der That steuerten Saouk und der Notar im Fahrwasser des Malouin. Schon als dieser die Karawanserei verlassen hatte, waren sie ihm sofort nachgefolgt. Es war ja ihre Pflicht, ihn nicht aus dem Auge zu verlieren, und ihr Recht, der Abwicklung dieses finanziellen Unternehmens zu assistieren, das sich in ein Drama zu verwandeln drohte.
Saouk drängte daher Ben Omar, den schrecklichen Pierre-Servan-Malo weiter auszufragen. Bei der Wuth aber, die er an diesem erkannte, empfand er kein Verlangen, sich als Ableiter derselben anzubieten. Saouk hätte den feigen Actenwurm am liebsten auf der Stelle umgebracht, und vielleicht bedauerte er jetzt, seine Kenntniß der französischen Sprache verleugnet zu haben, weil ihn das verhinderte, in seiner Sache selbst handelnd aufzutreten.
Juhel begriff sehr wohl, daß die von seinem Onkel Ben Omar gegenüber eingenommene Haltung die Sachlage nur verschlimmern könne, und noch einmal versuchte er, ihm das beizubringen. Die Gelegenheit schien günstig, denn der Notar war nur gekommen, um mit ihm zu reden.
»Lieber Onkel, sagte also Juhel, Sie müssen mich doch anhören, und sollten Sie dadurch zehnmal außer Rand und Band kommen. Wir sollen doch so denken, wie es uns als vernünftigen Wesen zukommt ...
– Na, wir werden ja sehen, was Du damit sagen willst. Also, was steht Dir zu Diensten?
– Ich möchte Sie fragen, ob Sie jetzt, wo das Ziel vor uns liegt, Ben Omar unbedingt den Rücken zukehren wollen?
– Und wenn ich daran sterben sollte! Der Schurke hat versucht, mir mein Geheimniß zu stehlen, wo es seine Pflicht war, mir das seinige mitzutheilen ... Das ist ein Betrüger ... ein Caraïbe ...
– Das weiß ich, lieber Onkel, und will ihn auch gar nicht als unschuldig hinstellen. Seine Gegenwart ist Ihnen aber doch einmal durch eine Testamentsclausel Kamylk-Paschas aufgenöthigt.
– Ja freilich.
– Muß er danach auch dabei sein, wenn die drei Fässer ausgegraben werden?
– Ja.
– Und hat er nicht das Recht, sich von dem Werthe ihres Inhalts zu überzeugen, schon da ihm eine Provision von ein Procent zugesichert ist?
– Ja, leider!
– Nun, um jenem Vorgang beizuwohnen, muß er dann nicht auch wissen, wo und wann Sie die Ausgrabung vornehmen?
– Ja.
– Und wenn er durch Ihre Schuld, sogar durch einen ganz beliebigen Umstand verhindert würde, als Testamentsvollstrecker dabei zugegen zu sein, könnte Ihnen dann nicht die ganze Erbschaft bestritten werden und gäb' das nicht Anlaß zu einem Proceß, den Sie gewiß verlieren würden?
– Ja, das mag sein.
– Endlich, lieber Onkel, fühlen Sie sich verpflichtet, die Gesellschaft Ben Omar's bei der Nachsuchung auf dem Golf mit in den Kauf zu nehmen?
– Ja.
– Stimmen Sie also zu, daß ihm gesagt werde, er solle sich bereit halten, mit uns abzufahren?
– Nein!« antwortete Meister Antifer.
Dieses »Nein!« wurde mit so schrecklicher Stimme hervorgestoßen, daß es wie eine Bombe die Brust des Notars traf.
»Ah so, mischte sich jetzt Gildas Tregomain ein, Du willst nicht Vernunft annehmen, Du hast aber Unrecht! Warum sich gegen Wind und Fluth auflehnen? Du kannst nichts besseres thun, als Juhel anzuhören und seinem Rathe zu folgen. Der Ben Omar ist mir gewiß ebensowenig angenehm wie Dir. Da wir uns ihn aber nicht von den Schultern schütteln können, so müssen wir schon gute Miene zum bösen Spiel machen« u. s. w.
Es war selten, daß Gildas Tregomain sich eine so lange Rede leistete, und noch seltener, daß sein Freund sie ihm vollenden ließ. Freilich ballte er die Hand, arbeitete er mit den Kinnladen und verzog er das Gesicht ganz entsetzlich, während der Frachtschiffer seinen Rosenkranz abbetete. Letzterer glaubte, befriedigt von seiner Eloquenz, vielleicht gar, den starrsinnigen Bretonen besiegt zu haben, als sein letzter Satz zu Ende war.
»Bist Du fertig, Frachtschiffer? fragte der Meister Antifer.
– Ja, antwortete Gildas Tregomain mit einem triumphierenden Seitenblick auf Juhel.
– Und Du auch, Juhel?
– Ja, lieber Onkel.
– Schön; nun könnt' Ihr Euch alle beide zum Teufel scheeren! ... Verhandelt meinetwegen mit diesem Federfuchser, so viel Ihr wollt ... Von mir ... von mir wird er nichts andres hören, als daß ich ihn für einen Spitzbuben halte ... wie er es verdient! ... Und nun guten Tag oder guten Abend, wie Ihr das wollt!«
Dazu wetterte Pierre-Servan-Malo das ganze Lexikon der Seemannssprache herunter, so daß ihm dabei, wie die Kugel aus dem Blasrohr, sein Kiesel aus dem Munde flog, und ohne sich weiter zu besinnen, drehte er den übrigen den Rücken zu und verschwand.
Immerhin hatte Juhel seinen Zweck, wenigstens zum Theil, erreicht. Sein Oheim konnte, da er sich der Sachlage nicht zu verschließen vermochte, nichts mehr dagegen haben, den Notar von ihren nächsten Absichten zu unterrichten. Da dieser, von Saouk gedrängt, nach dem Weggang des Malouin etwas weniger furchtsam herantrat, bedurfte es dazu nur einiger Worte.
»Mein Herr, begann Ben Omar, der durch die Unterwürfigkeit seiner Haltung die Kühnheit seines Unterfangens wett zu machen wünschte, Sie werden verzeihen, wenn ich mir erlaube ...
– Nur gerade herausgesprochen, fiel ihm Juhel ins Wort. Was wünschen Sie?
– Zu wissen, ob wir nun am Ziele der Reise sind?
– So ziemlich.
– Wo ist also das Eiland, das wir suchen?
– Das liegt etwa ein Dutzend Meilen seewärts von Sohar.
– Ah, rief Ben Omar, da müßten wir noch einmal zu Schiffe gehen?
– Natürlich.
– Ach, und das paßt Ihnen wohl gar nicht!« sagte der Frachtschiffer mit Theilnahme für den armen Mann, der schon bei dem Gedanken daran allen Halt zu verlieren schien.
Saouk beobachtete ihn, doch scheinbar gleichgiltig – so gleichgiltig wie Einer, der die Sprache, die vor ihm gesprochen wird, nicht im geringsten versteht.
»Na, na, nur Muth, redete ihn Gildas Tregomain zu. Zwei bis drei Tage Seefahrt, die gehen schnell vorüber. Ich glaube, Sie werden noch auf einem Schiffsdeck stehen lernen! ... Wenn man Omar heißt ... »
Der Notar schüttelte den Kopf, nachdem er sich den kalten Schweiß von der Stirn gewischt hatte. Dann fuhr er kläglichen Tones fort:
»Und wo denken Sie sich einzuschiffen, mein Herr?
– Hier auf der Stelle.
– Wann?
– Sobald unser Fahrzeug zum Auslaufen fertig ist ...
– Und das wird sein?
– Vielleicht noch heute Abend, wenn nicht, jedenfalls morgen früh. Halten Sie sich also bereit, mit abzufahren, auch mit Ihrem Schreiber Nazim, wenn der Ihnen so unentbehrlich ist.
– Ja, ja ... ich werde bereit sein, seufzte Ben Omar.
– Und Allah erbarme sich Ihrer!« setzte Gildas Tregomain hinzu, der in Abwesenheit des Meister Antifer seiner natürlichen Herzensgüte freien Lauf lassen konnte.
Ben Omar und Saouk brauchten nun nichts weiter zu erfahren, als die Lage des berühmten Eilandes. Da der junge Kapitän diese aber nicht angegeben hatte, zogen sie sich vorläufig wieder zurück.
Juhel konnte sich vielleicht etwas übereilt haben, als er erklärte, die Abfahrt werde noch an diesem Abend oder am folgenden Morgen vor sich gehen, das hielt ihm wenigstens Gildas Tregomain ein.
Schon war es um drei Uhr Nachmittag und der Dolmetscher immer noch nicht zu sehen. Dieser Umstand beunruhigte beide ein wenig. Mußten sie auf seine Dienste verzichten, so hatten sie gewiß manche Schwierigkeit, sich mit den Seeleuten aus Sohar nur durch Zeichen zu verständigen, wenn sie von diesen verlangten, hier oder da zu halten oder den oder jenen Cours zu steuern. Im Nothfall waren ja aber Ben Omar und Nazim bei der Hand, und diese verstanden arabisch ... doch sich an die beiden zu wenden?
Zum Glück hielt jedoch Selik sein Versprechen, und hätte sich wohl überhaupt gehütet, diesem nicht nachzukommen. Gegen fünf Uhr, als der Frachtschiffer und Juhel schon nach der Karawanserei wollten, trat der Dolmetscher noch am Hafen an sie heran.
»Endlich!« rief Juhel.
Selik entschuldigte sich wegen der Verzögerung. Er habe nur mit Mühe ein Fahrzeug auftreiben können und dafür auch einen recht hohen Preis bieten müssen.
»Das thut nichts! sagte Juhel darauf. Können wir noch heute Abend in See gehen?
– Nein, erwiderte Selik, die Mannschaft wird erst zu spät beisammen sein.
– Wann fahren wir also ab?
– Morgen mit Tagesanbruch.
– Gut.
– Ich werde Sie in der Karawanserei abholen, setzte Selik hinzu, und dann fahren wir mit der einsetzenden Ebbe ab.
– Und wenn der Wind sich hält, bemerkte Gildas Tregomain, werden wir ganz gute Fahrt machen!«
Gute Fahrt, gewiß, denn der Wind stand aus Westen, und nach Osten hin mußte Meister Antifer sein Eiland suchen.