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Hat sich der Himmel über mir geöffnet? Ist aus goldenen Höhen ein Engel niedergeschwebt ins Tal der Fieberträume, ins Land des Bangens und der Folterqual? – Ich erwache vom Schlummer. Weiche Hände an meinem Haupt, ein feuchtes Tuch auflegend, ich fühle so eine sanfte Kühle um meine heiße Stirn –, über mich gebeugt eine schlanke Gestalt – flüstert mir zu: »Stille halten, ruhig bleiben, fortschlummern« – sie geht hinweg – mit Schritten – nicht Schritten – berührt sie den Boden? – Mildes Dämmerlicht im getäfelten Zimmer, gedämpfter, warmgelber Schein der Abendsonne –
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Ich nickte wieder ein – seliger Traum – Traum wie Raffaels, als er seine Sixtina träumte – Augen weich beflort, in beschatteter Höhle aufdämmernd, – so menschlich gut und so fremd himmlisch – sagen, was sagen sie? Das faßt kein sterblich Wort, das nennt keine Zunge, wie es dort ist in jenen Gefilden – selig, Gefilde der Güte, des Friedens – so sagen diese Augen. Was stammle ich? Wer bin ich?
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Es ist ein Wesen von Fleisch und Blut. Eriks junges Weib, und heißt Cordelia. Er hat sie an der Hand mir an mein Qualenlager geführt. Da ist mir wieder alles eingefallen – »Ja, ja! – berührt mich nicht,« rief ich, – »mir keine Hand – in die Hölle zu den Teufelsfratzen gehöre ich – grausen soll euch vor mir.« – »Cordelia,« sagt Erik, »leg ihm die Hand auf die Stirne« – sie tut es, läßt sie über meine Locken gleiten, – da fällt mir König Lear ein – träumend, nur halb bewußt, halb kindisch – erwachend im Arm seines guten Kindes –, hat große Torheit, schwere Schuld begangen, viel gelitten, in Sturmnacht umgewütet, all seiner Würde vergessen, in Wahnsinn getobt – und jetzt gebettet in Kindesliebe, sanft gepflegt, zu ihm geneigt die Gute, die Reine – läßt seine armen dünnen Locken durch ihre weichen Finger gleiten –
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Und ihre Stimme »sanft, mild und leis, ein köstlich Ding an Frauen«.
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Gestern kommt sie mit einem Zeitungsblatt; »Erik schickt's Ihnen,« sagt sie. – Was? Die Welt in Flammen? Sturmbrausen von Frankreich herüber? Deutschland aus dem Schlaf geweht – Schleswig-Holstein will frei werden, deutsch –
»Einhart,« sagt sie, »Sie sollen leben, es gibt zu tun!«
Ich Elender, ich hatte nur an mich gedacht – mein Vaterland vergessen! Hab' alles verdient – Abgrund von Schuld! Auf nun – da büße, da kämpfe, da arbeite – da ist die Heilung!
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Ich erstarke, ich darf bald fort.
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O, du bist gut, ja, du bist gut! O, du bist rein, ja, du bist rein! O, du bist mild, ja, du bist mild! O, du bist lind, ja, du bist lind! O, du bist still, ja, du bist still! O, du bist gut, ja, du bist gut! |
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Hamburg. Schwerer Abschied! – Von Cordelien noch ein reiner Kuß. Meine Lippen sind entsündigt! – Nicht Schmerz brüten! Morgen hinüber!
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Krusau bei Bau. Dank den ewigen Mächten im Himmel droben! Es geht los! Wir sind noch schwach, können die Preußen nicht abwarten – sei's drum, der Himmel wird weiter helfen!
Kleines Gefecht bei Hökkerup, der Feind aus Rinkenys vertrieben. Zwar kein Gewinn, der kleine Sieg kein guter Anfang, der Feind nur im Vorteil frischer Rachwut. Großer Fehler, den selbst ein Laie in der Kriegskunst leicht erkennt, Freiwillige, Ungeübte, hier als Vorhut auf so wichtigem Posten auszusetzen: Studenten, Turner, ungenügend bewaffnet, dabei nur eine Handvoll Linie. Der Feind zur starken Uebermacht ein Regiment Reiter und die Kanonen der Kriegsschiffe dort im Hafen, – werden hübsch dreinfegen. Sei's auch darum! – Ich darf mich nicht anlügen, daß mir das Herz nicht klopfe, aber was ist dies bißchen Angst gegen jene Geisterbangigkeit drüben, solange ich in den Banden war! Etwas Beklemmung vor Fleisch und Blut, was will das heißen gegen die Seel' und Leib zusammenschnürende Gespensterangst! Und wie viel leichter zu bezwingen! Ich will mich gut halten. Sie haben mich zum Offizier gemacht, habe das mögliche getan, sie einzuüben, zu ordnen. Meine alte Vorliebe zum Soldatenwesen kommt mir jetzt zugute.
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Kiel.Unsichere Züge, sichtbar mit der Linken geschrieben. Anm. d. Herausg. Wieder einmal ein Koboldstreich der Dämonen. Ich hatte den Kerl so richtig aufs Korn genommen, muß mir der gute Stutzen versagen! – Kann eben noch den Säbel ziehen und parieren, doch der Pallasch ist stärker, und nun mit dem zerhauenen Arm unbrauchbar! – Doch was will mein kleines Leiden sagen – da lagen sie, die Blüte des Landes – hingemäht! Ich hatte Freunde gewonnen in den wenigen Wochen. Dieser Karl, ein Jüngling wie ein Siegfried, da sank er neben mir, reicht mir noch seine Büchse, da er den Dragoner auf mich herjagen sieht; sein letzter Blick, im Tode brechend, ich werd' ihn nie vergessen.
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Trost, die Preußen sind da, Wrangel dringt vor. Mein Urlaub zu Ende, jetzt beruhigt heim! Mit dem Blut in Bau ist mir aller alte Wahnsinn ausgeflossen. Das Hirn ist kühl geworden. Aber die versagende Büchse! Gibt zu denken – Zufallsteufel.
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Wieder in Amt. Stete Arbeit. Wohltat! Wenn ich nur nicht zusehen müßte, wie die Narrenapostel den Pöbel berauschen und wie sie die schöne Saat eines neuen Staatslebens verwüsten!
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Waffenstillstand von Malmö. O Pfuhl der Schmach! – Darüber Barrikaden in Frankfurt – schnöde Mordtaten des Gesindels – niedergeschlagen – und das ist der Todestag der großen Bewegung. – Wär's der Sinn, der über den Unsinn gesiegt!
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Hier unter den Leuten, man kann kein Gespräch mehr führen. Die Menschen wissen nur von Partei, und keine versteht die andre. Ich fasse mich am eignen Nasenzipfel. Neulich hörte ich einen husten, und zwar auf sonderbare Art. Ich ärgerte mich. Er darf husten, aber er soll husten, wie ich huste. So ist es auch mit Speisen. Da ißt einer ein Gericht, das ich nicht mag, und mit Appetit. Esel! denke ich und spüre Lust, ihn zu injurieren. In einer sehr soliden Wirtschaft auf dem Lande ward neulich der Wirt sehr unangenehm, da ich sein Sauerkraut nicht mochte, das er mir höchlich anrühmte. – Wenn es nun so steht mit sonst leidlich vernünftigen Menschen, wie kann man sich verwundern, daß vollends Halb- und Ungebildete sich nicht in den andern versetzen können? Da diese Kunst, sich in die Menschen versetzen, so selten, so schwer ist, wie begreiflich der blinde Haß, die Extremreiterei der Parteien! – Wenn sie nur nicht so schädlich wären!
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Die hab' ich doch gekriegt! Spitzbubenrotte mit kommunistischen Führern. Von Katzenmusiken nach und nach zu Diebstählen, Einbrüchen. – Dem roten Peter die Pistole aus der Hand – geht mir an der Nase los. Gut gelungen, alle eingetan. Zu meiner Erbauung im Heinrich VI. den Aufruhr von Hans Cade wieder gelesen. Wie wahr!
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Die Zeit wird stiller. Kann wieder mehr lesen. Muß auch, denn in der Welt steht's so, daß ich gar nicht hinsehen mag. Kehre zurück in dich! Ich hoffe, wieder ganz zu mir zu kommen. Nur von Zeit zu Zeit ein Schwindel in der Seele, da ist mir, als fiele ich in den Tindsee. Dann kann ich nicht fortarbeiten. Ich muß noch ein Ablenkmittel haben. Aeltere Liebe, Tierwelt.
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Hund eingetan; Pudel. Lustig und doch sehr rationell. Gutes Vieh. Rührend. Wie viel wedelt doch so ein Hund den Tag über! Wenn man bedenkt, daß jedes Wedeln eine heitere oder wohlwollende Empfindung ausdrückt, wenn man dann beobachtet, wie oft ein Hund wedelt: wieviel Herzensfreude, wieviel Menschenliebe, Güte zieht also den lieben, langen Tag durch so eine Hundeseele! Auch wieviel Humor, denn das Wedeln ist ja auch Surrogat für Lachen. Unendlich merkwürdiges Supplement für Mienenspiel, psychographischer Schwanz.
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Merkwürdig, doch ganz konstant stehender Zug: wenn ein Hund in große Freudenbewegung gerät, wenn er zum Beispiel im höchsten Entzücken auf den ersehnten wiedergefundenen Herrn losstürzt, muß er mitten im Sprung einhalten und sich kratzen. Dies kann erklärt werden
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a) |
direkt; |
b) |
indirekt. |
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ad a) |
Das Entzücken wirkt einfach als Reiz vom Nervenzentrum auf die Haut. |
ad b) |
Die Bewohner des Pelzes, entomologischer Klasse, spüren bei diesem Reiz Erwärmung und werden lebendig. |
Welche Erklärung ist die tiefere, a) oder b)?
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Verhalten des Hunds, wenn ihm ein Fremder lockt. Da sieht man die Charaktere. Der eine folgt und schmeichelt: Kalfakter – schlecht. Der andre fletscht die Zähne, brummt, beißt sogar: Charakter, aber unschön harter Charakter. Ein dritter, und das ist der gute Hund, bleibt sitzen, wedelt ganz schwach und flüchtig und blinzt den Fremden an mit einem Blick, der höchst verständlich sagt: bedaure – könnte vielleicht ein ganz angenehmes Verhältnis werden – habe aber schon einen Herrn – bedaure wirklich. Dies ist der schöne Charakter, Würde mit Anmut; so ist mein Pudel.
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Goethes Hermann und Dorothea wäre ein Dichtwerk dem man das Prädikat der Vollkommenheit zuerkennen müßte, wenn nicht eines darin fehlte: ein Hund. Gehört doch gewiß in ein Idyll. Goethe konnte aber bekanntlich die Hunde nicht leiden. Hätte er sie gern gehabt und selbst einen gehalten, so wäre gewiß seine spätere Poesie natürlicher geblieben und namentlich sein zweiter Teil Faust nicht so ganz fleischlos ausgefallen.
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Wenn ein Hund seinem Herrn oder einem Freunde seines Herrn sich bemerklich machen, seine Anwesenheit ihm anzeigen möchte, kann aber nicht beikommen, weil der ihm den Rücken bietet, so stupst er ihn ein weniges mit der Nase an die Wade. – Mit seinem feinsten Organ. Wie zart!
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Wieder viel geärgert. Das Objekt stellt mir doch wieder sehr nach. Ein Aktenstück hat sich ruchlos verkrochen, – verzweiflungsvoll gesucht – umsonst. Katarrh mit drei Tagen ordentlichem, dann sechs Wochen latentem, von keinem Arzt zugegebenem Fieber. Sonntags aufs Land. Mich doch sehr aufgeheitert über einem Bock. Etliche Buben fahren auf einem Reiberschlitten den Hügel am Pfarrhaus hinunter, mit großem Hallo, pfeilschnell, sitzen unten ab, ziehen den Schlitten wieder hinauf, dann wird wieder hinabgerutscht und so fort. Ein großer, schöner Bock dabei, der sich ganz zur Gesellschaft zählt; wenn's allemal wieder losgeht und die Buben jauchzen, springt er hoch, steigt und schlägt zugleich aus wie ein Pferd und meckert. Das heitere Bild hat mich ordentlich aufgerichtet. Die Haustiere rechnen sich ganz zu den Kindern.
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Und kaum wieder da, Montag, so fängt der schnöde Schabernack wieder an. Amts- und Studierzimmer, alles hapert, zwickt, klemmt, klebt den ganzen Tag und Abend. Ein Glas, ein Plättchen, worauf meine Tasse, dann meine Lampe, begehen hintereinander dasselbe Bubenstück, sich nicht schieben zu lassen; pappen fest, es braucht stärkeren Druck, darauf lauert das Teufelspack, fällt um und schüttet seinen Inhalt auf meine Papiere. – Sind mit der niedrigen, giftigen Reaktion in der Welt draußen auch die Privatteufel wieder ganz los? – – Alles, alles rings um mich wie die versagende Waffe im Gefechte bei Bau und – o Symbolik! – stille!
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Das darf ich doch auch sagen: wer nicht intensiv arbeitet, hat gut predigen über Geduld mit den kleinen Hindernissen. Wer nur mit halbem Willen an die Arbeit geht, nicht ganz dabei ist, den macht das Härchen in der Feder, der Tintenfleck, das Verkriechen nötiger Blätter, das Uebereinanderrutschen aller Papiere nicht wütend, er verliert darüber keinen Gedankenzusammenhang. Ja, es ist ihm wohl gerade recht, denn er kann sich anlügen, das Mühen mit diesen knirpsigen Dingen, das Zupfen, Nergeln, Krabbeln und Zappeln sei auch gearbeitet.
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Abends in der Dämmerung, da kommt's über mich. Die Nerven werden ruhig. Oft fühl' ich's wie ein zartes, lindes Wehen. Frieden. Sie erscheint mir, beugt ihr Haupt über mich, blickt so himmlisch gut, kühlt mir die heiße Stirne. Erinnerung! – Aber ich darf nicht, darf ja nicht oft, nicht zu innig mich hineingeben, – ach, es könnte Sehnsucht werden und darf ja nicht! – Trauerst du mit mir Himmelsbild, daß es so gekommen im Vaterland, daß ich dafür, dafür mein Blut vergossen?
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Schwarz zu sehen, dazu hätte ich ja wohl Grund genug. Das erleben! Und ich meine nicht das Aergste; da war ich schuldvoll – am tiefsten, als ich dem schnöd lockenden Briefe folgte, – obwohl doch auch ein wenig, wenig entschuldbar: warum? mag's mir selber nicht nennen. Und mein ganzes Leben der ewige Schund, Marterkampf mit den teuflischen Zwerggeistern des kleinen und doch so furchtbar großen Uebels ist doch auch ein Abbüßen. Es muß ja ein Nest irgendwo geben, wo sie brüten, von wo sie ausgehen. Muß weiter nachdenken; jetzt ernstlicher an meine neue Mythologie gehen. Dunkler Naturgrund, dort die Eier. Haß gegen den Menschen, weil er über die Natur aufsteigt, lichte Ordnungen gründet, Lichtreich. Dort muß es liegen. Richtig. – Nun mein Amt. Polizei üben ist ein gar enttäuschendes Tun. Könnte den Pessimisten noch viel Stoff liefern; hab' oft Ekel an den Menschen, an allem; aber sintemalen ihr Stoff ist, ist die Polizei eben auch. Das Böse ist Stoff fürs Gute. Ich arbeite, und nicht wie ein Karrengaul, ich arbeite gern. Ich bringe nicht soviel vorwärts, als ich will, aber ich bringe nicht nichts vorwärts, sondern etwas. Es wird besser in meinem Amtskreis, ich nütze. Dies ist Wesen, und so lebe ich im Wesen.
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Hab' auch oft über das Nichts gegrübelt, aber es ist nichts mit dem Nichts. Es kann nicht Nichts sein, das Nichts kann nicht sein. Zu Nichts kann man nicht setzen das Verbum »sein«, außer wo man von einem bestimmten Einzelnen, das war oder zu sein scheint, auszusagen hat, es sei nichts mehr oder nichts. Weil nicht nichts sein, weil das Nichts nicht sein kann, darum, einfach darum ist die Welt. Zu dem Begriffe des Nichts gelangt man anders nicht als an der Springstange des Seins. Irrigerweise auch an der Stufenleiter des Seins, absteigend nämlich. Man geht von entwickelteren Wesen zu ärmeren, einfacheren herunter bis zum einfachsten, dem unorganischen Stoff, und unter diesem, meint man, einmal ins Niedersteigen hineingekommen, sei das Nichts. Da ist auch die Verwirrung des Zeitbegriffs, während Schopenhauer doch im übrigen die Zeit als bloßen Schein erkennt. Zuerst sind die Weltkörper entstanden als feuerflüssige Kugeln, ihre Oberfläche ist erstarrt, bewohnbar geworden, es wurden Pflanzen, Tiere, niedrige, immer höhere, bis zum Menschen, da kam Empfindung, in diesem höchsten Wesen Geist. Darüber vergißt man zwei Dinge: daß, wenn auf der Spitze der Geist ausschlüpft, er irgendwie zuunterst als künftige Möglichkeit schon stecken muß; ferner, daß unser Präteritum unwahr ist. Vergangenheit und Zukunft finden lediglich keine Anwendung auf das Weltall. Muß die aufzeigende Bewegung vom sogenannten Stoff zum Höheren und Höchsten immer gewesen sein (auf andern Planeten) und immer bevorstehen, wiederkehren, so fällt das Vorher und Nachher weg und ist ewige Kreisbewegung. Es wird noch kommen, daß der Nihilismus aufstellt, die Welt werde sich zurück ins Nichts auflösen; folgt, daß sie auch in der Zeit einst aus dem Nichts entstanden sei, – eine Vorstellung, so roh und kindisch, daß sie in keinem Hirn auftauchen sollte, das nur zwei Minuten lang philosophisch denken gelernt hat.
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Gleich kindisch ist es, dem Universum das Prädikat schlecht beilegen. Was absolut, was notwendig ist, steht unendlich über gut oder schlecht. Das Universum ist, weil es ist, und ist so, wie es ist, weil es so ist. Das Prädikat gut oder schlecht erteilen wir, indem wir unsern Standpunkt über und außer dem Gegenstand nehmen und ihn mit andern Gegenständen vergleichen. Wir können aber aus dem Universum ja nicht hinaus, es gibt kein Universum neben oder über demselben, auf das wir uns stellen und das Universum abschätzen könnten. – Ich kann mein Vaterland verlassen und die Welt sehen, ich kann sie auch durch Bücher kennen lernen, und ich gewinne so einen Standpunkt über meinem Land und seinen Leuten, zu denen ich selbst gehöre und mit denen ich vorher unkritisch und selbstzufrieden in der Masse dahinschwamm, so daß ich sie nun einer Schätzung, einem Urteil unterwerfen kann. Aber aus dem Universum kann ich nicht fortreisen, kann nicht andre Universa durch Bücher kennen lernen, kann es aus keiner Vogelperspektive sehen. Davon gar nicht zu reden, wie winzig der Teil des einen und einzigen Alls ist, den ich übersehe. Gibt es nun da neben dem, was wir gut nennen, vieles, was wir übel nennen, was kann ein vernünftiger Mensch anders dazu sagen, als: ich übersehe zu wenig, um die Summe zu ziehen, und da das Universum notwendig ist, so wie es ist, so wird es auch recht sein. Recht: das heißt gerichtet nach absoluter Richtschnur.
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Ich hab', glaub' ich, schon einmal in diese Blätter geschrieben, dem Pessimismus gehe ein verborgener Rest von Theismus nach. Sie wollen sich's nicht gestehen, daß sie den Kinderbegriff von einem Gott nicht los werden, der zwischen verschiedenen möglichen Welten wählte. Das beweist eben ihr Schlechtfinden »dieser« Welt. Gut oder schlecht kann im Grunde nur sein, was jemand gemacht hat. Die Welt kann nicht gemacht sein, weil die Kategorie Kausalität nur innerhalb des Ganzen, nicht für das Ganze gelten kann. Was von selbst ist, ist weder gut noch übel, sondern notwendig. Es kann einzelnes im Naturreiche für mich gut oder übel sein, aber nicht vom Naturreiche bloß (gegenüber dem moralischen Reiche) spricht man, wenn vom Universum die Rede ist und man es notwendig nennt, sondern vom Ganzen. Wer dies Ganze tadelt, der meint, es sei ein Machwerk. – Eine gute Arznei gegen die Uebel darin oder eigentlich gegen die Klage darüber ist und bleibt Beyles Satz: ce qui excuse Dieu, c'est, qu'il n'existe pas. Uebrigens war der Taugenichts Beyle ein Narr, der trotz diesem guten, echt religiösen Wort einen persönlichen Gott glaubte und haßte wie der Krämer von Brackniz.
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Nun aber ist die Aufgabe, in dem, was ist, zu unterscheiden, was sich als wesenhaft bewährt und was zwar notwendig, aber nicht wesenhaft, sondern nur Moment ist, damit Wesenhaftes sein könne. Das vermögen wir. Wesenhaft ist nicht die Materie, das meint ja auch Schopenhauer nicht. Wesenhaft sind die Gattungsformen. Wesenhaft ist die Wissenschaft. Wesenhaft ist die Kunst. Wesenhaft aber auch alle redliche Arbeit. Denn sie ist Arbeit an der sittlichen Weltordnung.
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Ob es aber eine solche gibt? Nein, was man so sagt: »es gibt«, das nicht. Das »es gibt« ist überhaupt, angewandt auf das wahre Sein, das nichts Einzelnes ist, ein Unsinn. »Gäbe« es einen Gott, so wäre er ein einzelner, also nicht das Absolute. – Die sittliche Weltordnung ist nicht außer dir. Sie ist nur durch dich. Glaube sie, und du hilfst sie – mit allen Guten – machen. Da ist der Glaube die Ursache dessen, woran er glaubt. So ist es mit allem ethischen Glauben: was er glaubt, macht er. Vom Glauben im Sinne der positiven Religion ist hier nicht die Rede, das gehört in ein andres Kapitel.
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So ist es auch mit der Lust. Unser Glaube an Lust macht Lust. Wie kann man also meinen, man habe die Lust wegdisputiert, solange man diesen Glauben nicht wegdisputieren kann!
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Wie wir Studenten waren, gingen wir einmal draußen vor der Stadt an einer Sumpflache vorüber, worin ein Schöpfkübel mit langer Stange lag. Will sich ein knotiger Bursch den Spaß machen, einem Kameraden rücklings den Kübel über den Kopf auszugießen. Schöpft, hebt hoch und der Inhalt fällt ihm selbst auf den Kopf. So macht's nach den Pessimisten der Weltgeist.
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Himmelsstrahl ins Leben ist namentlich auch das Lächeln. Ein gutes und anmutiges Weib verbreitet Sonnenschein durch Lächeln um sich, beglückt Unzählige den lieben langen Tag. Dies Aufgehen, Auftauen der Züge erleuchtet und wärmt die eisige Welt. Es ist Licht, Tag der Schöpfung, übergegangen in ein Menschengesicht, lebendige Mimik gewordenes Licht. Es blickt freudiges Wohlwollen, ist also Lösung der Besonderheit der Einzelwesen; es vereinigt, es zaubert Getrenntes zusammen, ist Leuchten von Seele in Seele.
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In einer Vorstadt von . . . . . traf ich noch einen alten Briefträger, der halb blind und halb taub war. Das gäbe Motiv zu mehr als einem Lustspiel: Liebesbriefe, Schuldbriefe, Scheltbriefe, Amtsschreiben falsch ausgetragen, – benützt von heiteren Schelmen, Intriganten; es steigt ein ganzes Gewimmel von Ansätzen zu komischen Verwicklungen aus dem Samenkorn auf. Wenn ich nur etwas derart machen könnte!
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Junger Mann tritt auf in einem Gasthof. Ist in die Kreisstadt gereist, um seine Scheidung zu betreiben. Sieht am Fenster gegenüber eine reizende Erscheinung. Es beginnt ein Roman auf Distanz während der langen Weile des Prozesses. Zeichen, Briefchen u. s. w. Muß gesteigert, gespannt, auch gelegentlich exponiert werden, daß er kurzsichtig ist. Endlich Zusammenkunft. Die Unbekannte ist seine Frau. Versöhnung.
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Ließe sich nicht die Agnes Bernauer noch einmal behandeln? Folgendes gäbe eine hochtragische Szene: Prinz Albrecht ist von Straubing, wo er Agnes im Schloß geborgen glaubt, Ingolstadt zu geritten, mit lustiger Begleitung. Macht Halt bei einem Dorf. Ahnt nichts vom Vorgehen des Herzogs gegen Agnes, vom Hexenprozeß. Selig in seinem Glück, übermütig. Man zecht im Freien, in der Nähe eines Bauernhofs. An dessen Wand liest Albrecht den Spruch:
Der Mensch hat Kreuz und Leiden, |
»Wisch ab!« ruft Albrecht einem der Begleiter zu. Dieser sträubt sich – warnt – tiefe Scheue. Der Prinz will ihn zwingen, vergeblich; »verlangt's nicht, Herr! Mir hält ein Geist die Hand.« Albrecht ergreift eine Hellebarde und schürft den Spruch aus. Im selben Augenblick kommt ein Bote und berichtet, wie Agnes vertränkt worden ist, mit allen grassen Einzelheiten des Hergangs. – Albrecht fällt in Ohnmacht.
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Schon gut, aber was helfen mir die ungebrüteten Eier! Ich bringe nichts fertig. Bin ich ein tragischer Mensch? Nein, ich bin ein richtiger Polizeimann. Aber es füllt mich nicht aus. Poesie, Philosophie: bringe nichts fertig. Ich bin ein rüstig marschierender Stelzfußmann.
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Ich glaube, mit der bildenden Kunst befasse ich mich noch zu wenig. Meine paar Bilder, Kupferstiche, Galeriegänge auf Reisen in Deutschland genügen eben nicht. Die bildende Kunst ist mir doch so wohltätig, weil ruhig, weil Ganzes gegenüber dem Subjekt. Auge stiller, kontemplativer Sinn. Heraus aus mir, aus meiner rings von Brennesseln zerstochenen Haut, mich in Gegenstand versenken – anschauen – das könnte kalmieren. Musik? Nein. Verstehe zu wenig, und sowie ich den Faden des Gesetzes im Tönegewirbel verliere, stellt sich das Auge ein, und ich denke nichts als: was haben denn die Kerle, daß sie so reiben, zwicken, kratzen, schlagen, die Backen aufblasen, oder die Sänger: das Maul so aufreißen? Aber wo ich verstehe, da zu pathologisch – alles aufgewühlt – tief – Herzbangigkeit Herzgruben-Geisterspannung kommt wieder, der Schwindel, der Tindsee. – Ich muß mich gegen das Gefühlswesen verhärten, mein Auge muß wie Horn werden gleich dem des Odysseus, da sein Hund Argos ihn sterbend noch erkennt.
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Es ist hohe Zeit, hereinzuholen, Italien zu sehen. Wenn ich hin könnte! Rom – da sollte manches in mir sich setzen. Umbrien, Heimat ihrer Mutter, sehen – meiden? Könnten zufällig da sein – oder doch hin?
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Ich habe Stiche gesehen nach Pietro Perugino und wenige Bilder von ihm in deutschen Galerien. Von Raffaels Jugendwerken die Madonna del Granduca, wo er noch Peruginesk, in – gewiß sehr unzulänglichem – Stich, – welche keusche Holdseligkeit muß im Originale sein! – o diese umbrischen Köpfe! Ich muß doch hin.
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Die Alten haben vom Ich, von dem Gespenste des Ich eigentlich noch nichts gewußt. Die Italiener werden auch nicht darüber grübeln. Man wird das also los werden dort? Doch ja nicht so ganz! In dieser Krankheit ist auch Wahrheit – Fast allgemein unverstanden ist doch J. Pauls Schoppe geblieben, wie ihn das Brüten über das Ich wahnsinnig macht! Es ist eines der tiefsten poetischen Motive dieses Dichters. Nur fehlt in diesem Brüten eine Unterscheidung. Wenn ich so nachts im Bett vor dem Einschlafen über das Ich nachdenke, fühle ich immer gar gut, wie man darüber wahnsinnig werden kann. Doch nicht eigentlich, daß Ich ist, ist so seltsam, daß es verrückt machen könnte, darüber nachzudenken. Die Natur mußte auf der Spitze ihrer Bildungen den Sprung über sich hinaus machen, daß sie Wesen schuf, in denen sie sich selbst erfaßt, in denen also der Zirkel besteht, daß Erfassender und Erfaßter eines ist. Aber dieser Ich! Daß es da einen gibt, der A. E. heißt, der infolge Geburt von diesen Eltern, infolge Vererbung aus unendlicher Ahnenreihe, auf Grund unzählbarer Umstände so und so beschaffen ist, aussieht u. s. w. – was ist es denn nun mit diesem? Wer ist er? Was tut er da? O daran kann man gar nicht hin, das ist rein unfindbar, rein nicht zu heben, zu erheben! Warum denn? Nun, weil er eigentlich irrationell, nun, weil es eigentlich nichts damit ist; dieser Kerl, dieser Einzeltropf ist undenkbar, daher ist es nichts Rechtes, ist es nicht geheuer mit ihm, ist er nur ein Schein und daher muß er auch wieder fort. – Wieder auch hier das ungeheure Rätsel der Diesheit!
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Ich wäre gewiß gesetzter, wenn es nur nicht so langweilig wäre. – Sitze ich bei Holzköpfen, so reizt mich ihre Fadheit, Langweiligkeit, wichtige Wohlweisheit und leerer Ernst, zu salzen, zu versalzen, zu übertreiben, meine Rede auf alle Art ins Leidenschaftliche zu steigern, um die Klötze zu erschrecken, aufzuregen, aufzuwecken. Natürlich verstehen sie es nicht, meinen, es sei mir alles ernst, belehren mich, spotten, werden unangenehm.
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Cum grano! Cum grano! Cum grano salis! Wie Blutwenige verstehen's! Man kann nichts sprechen, wo sie nicht gleich meinen, es sei alles buchstäblicher, dicker, blutiger Ernst. Hören die Obertöne nicht; bei einem lebendigen Menschen schwirren ja neben dem Grundton seiner Worte immer noch Obertöne. Daher, mag er pfeffern so stark er will, es ist nie so schlimm, als es scheint, läßt Luft, Spielraum, hat etwas Unmaßgebliches, etwas Flüssiges, etwas Strahlenstreuendes. Und das verstehen dann die guten Leute nicht, wissen nichts von Hintergrund in der Malerei. Ja, unrechte Nebenbeziehungen supplieren, das können sie, das tun sie gern. So ist auch ihr eignes Reden entweder ohne allen Oberton oder mit dem falschen der List. – Das führt auch wieder auf die Parteien in allen Streitfragen. Kein Mensch von schwingendem Gehirn hängt niet- und nagelfest an der Hälfte einer ganzen oder der einen Seite einer zweiseitigen Wahrheit.
Fordert es aber Zweck und ernster Augenblick und exakte Bestimmung, so wird kein rechter Kerl die Kraft der Einseitigkeit scheuen.
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Noch etwas bereitet mir viel Not. Wenn ich mich für einen Satz, irgend eine Vorstellung erwärme im Gespräch, so schwebt mir oft ein imaginativer Gegner vor, gegen den ich hitzig werde, mich heftig ereifere, während der wirkliche Mensch, mit dem ich rede, ganz mit mir einverstanden ist, oder wenn nicht oder nicht ganz, mich doch mit keinem Worte gereizt hat. Das pflegt nun der nicht zu verstehen, bezieht es auf sich, und so – wie oft bin ich mißverstanden worden, wie oft habe ich ordentliche Leute abgestoßen, von mir entfernt! Die Phantasie tut doch dem Menschen viel Schabernack an! – Sehr oft hält man mich dann auch für betrunken.
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Wenn ich mich unter dem Lärm vieler umgebender Gespräche mit jemand unterhalten soll, wenn ich daher schreien muß, um verstanden zu werden, so erzeugt sich mir sehr oft aus meinem Schreien die Vorstellung, ich habe Streit, und ich muß mich dann sehr zusammennehmen, nicht heftig, nicht beleidigend zu werden gegen ganz harmlose Mitsammenredner.
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Nestelt sich da gestern einmal wieder in Gesellschaft einer an mich an und legt sich mir mit einem Seitengespräch ins Ohr, ja einem subtilen über feine Fragen, die in Stille bedacht sein wollen; vergeblich bedeute ich ihm auf alle Weise, daß ich bei einem Gesamtgespräche beteiligt bin. Ein andermal ebenso auf der Straße unter Wagengerassel und erhebt dabei nicht einmal, so viel nötig, die Stimme. Und das ist ein im übrigen ganz gebildeter Mensch. – Aber es spreche niemand von wahrer Bildung, der ungebildete Sinne hat!
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Einmal wieder bei einem Leichenbegängnis gewesen, im Zuge gegangen; sehr verdienstvoller Mann begraben. Es war wieder, als zöge man mit einer wandernden Kaffeevisite; man schwatzt, gestikuliert, lacht, man mäßigt nicht einmal die Stimme. Und es sind lauter Männer aus den gebildeten Ständen! Also nicht einmal solange, nicht einmal, wo es doch gilt, den Ernst des Todes, die Religion des pietätvollen Andenkens auch nur wenigstens der Form nach darzustellen – auch das nicht! Könnt ihr denn auch absolut nur Ordnung halten, wenn ihr den Stock seht? Ein Beamter ging neben mir, redete mich immer an und begriff nicht, warum ich ihm keine Antwort gab. Der wird mich nun auch für ein Ungeheuer halten, für einen Schweigtyrannen, während man mich da, wo Sprechen vergönnt ist, für einen Gesprächtyrannen hält.
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Auch die besten Toten haben eine Unart, sie ziehen beim Begräbnis gern die Freunde zu sich hinunter, indem dabei gewöhnlich Zugluft geht, die Leute bei den Grabgebeten den Hut abnehmen müssen und sich verkälten. Wie Unzählige haben da den Tod geholt! – Ich werde testamentlich verordnen, daß man an meinem Grabe während sämtlicher Bestattungsformen den Kopf bedeckt halten darf. Ein Toter muß nicht anspruchsvoll, muß billig sein.
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Ich werde doch oft Menschenfeind, was doch gar nicht in meiner Art ist. Das Misanthropenwesen ist im Grund eine affektierte Geschichte aus dem Zeitalter der Sentimentalität. Es müßte sehr langweilig sein, die Maske festhalten. Einfach unlogisch; ich bin ein Individuum der Gattung, ein so kleiner Bruchteil, daß ich allein mir doch nicht die Gattung sein kann. Nun trifft man freilich nur allzu viele, die bloß nominell der Gattung, eigentlich dem Tierreich angehören, aber man soll bedenken, daß man eins ins andre rechnen muß, läßlich sein, zuwarten, bis man auf einen Zähler trifft. Es kann nicht lauter Brocken, es muß auch Brühe geben. Schillers »Menschenfeind« ist eine gesuchte Macherei. In Shakespeares »Timon von Athen« ist's anders, der flieht die Menschen, aber er braucht sie doch immer, um sie anzuwettern und anzufluchen. Dies ist energische Art.
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Uebrigens hat man, wenn man es zeitenweis bei den Menschen nicht mehr aushält, die Tiere. Aus meiner Kinderzeit freut mich nichts so sehr, als wie ich eine »Arche Noä« zum Christtag bekam.
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Der Hund – abgesehen vom Amtshund – ist wesentlich und vor allem Gassenjodel, eben ganz wie ein Bub. Dabei furchtbarer Renommist. Sein Fest ist, hinauslaufen mit dem Herrn, namentlich mit Pferd und Wagen. Er stürzt, wenn's fortgeht, hinaus mit wütendem Lärm, er tut, als wollte er die Welt zerfleischen, ja, das Kantische Ding an sich zerschlitzen. Hallo! Wir sind da! Hellauf!
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Wenn ich mit Karo an einer Wiese vorbeigehe, so springt er hinein, hält, sieht mich an, und jeder Zug, Blick, jede Bewegung sagt: Wohlan denn! Eh bene! Eh bien! – Ich soll mit ihm Fangens spielen.
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Höchst komisch ist das Scharren des Hundes, wenn er Wasser gelassen hat. Er vergißt vollständig, warum er es tut, fällt ihm nicht ein, dem Zweck des Zudeckens gemäß zu verfahren; hält sich für ein Pferd, das ausschlagen kann, und bellt mit großer Prahlerei. Also Zweckbewegung zum reinen Ornamentspiel geworden in großem Unterschied von der Katze, der es Ernst damit ist, rein zu machen.
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Die Tiere sind auch sehr eitel. Zeigen, was sie können: fliegen, springen, apportieren, klettern u. s. w. Die Katze folgt dem Herrn, der Frau in den Garten, klettert auf die Bäume und sieht oben herunter: da guck her! mach's nach, wenn du kannst! Kommt ein Besuch, so hüpft sie auf den Sofa zu ihm, schmiegt sich ihm an und sagt mit jedem Zuge: siehst du, das ist nun unsre Stube! und ich gehöre auch dazu. – Pferd, Kuh sogar, wissen sehr wohl, wenn sie ausgeschmückt, bekränzt sind.
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Ein ganzes Hauswesen wäre schon recht, aber – aber – wer das erfahren hat! – Und, wenn je ein gut Weib, ob sie meinen Kampf mit dem Objekt verstünde? Und wenn das nicht, wenn wohlweis, welches Elend!
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Frauen sind die Schützerinnen der Unlogik. Ohne sie würden die Männer pedantisch. Tausend und tausend Fälle gibt es immer, wo es nicht die Logik, sondern der rasche oder der warme Blick tut; mit der Logik kann man ja kein Ganzes einholen.
Anders, wo es auf Logik ankommt, da können sie abscheulich werden.
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Bist du irgend ein Mensch, der gern nachdenkt, und willst heiraten, so nimm ja kein Weib, außer ein philosophisches. Unter philosophisch verstehe ich hier eigentlich das Gegenteil von philosophisch und doch auch wieder nicht das Gegenteil. Das Weib soll nur so viel des Ahnenden in sich haben, daß sie fühlt: mit Gemeinplätzen ist es nicht getan. Erwischest du ein Weib – es mag in weltlichen Dingen noch so gescheit sein – in göttlichen Dingen platt rationalistisch (von dumm pietistischen nicht zu reden), so gibt es im besten Fall eine lahme Ehe, wahrscheinlich eine unglückselige. Das Weib wird dir zuerst langweilig, dann nach und nach verhaßt werden. Nun aber ist die Mehrzahl der Weiber natürlich höchst zufrieden mit der geläufigen Lösung des Welträtsels: der liebe Gott hat die Dinge eben so gemacht, Punktum. Und da das Weib äußerst zur Wohlweisheit neigt, ist es auch fähig, einen Mann, der weiter denkt, lächerlich zu finden, sogar ihm noch zu predigen. Ergo: du tust unter anderm auch darum gut, nicht zu heiraten.
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Man darf nur auf der Straße Kinderspielen zusehen und die kleinen Fratzen beobachten, so wird man den Satz nicht bestreiten, daß Wohlweisheit ein Hauptlaster des Weibs ist. Ach, weil »Weibersinn spannenlang ist«, darum ist ihnen alles so schrecklich klar! Vielleicht weil Sokrates gestand, daß ihm nichts klar sei, wurde Xanthippe zu einer Pantoffelmeisterin und zu einem Drachen.
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Aber: incidit in Scyllam – noch viel schlimmer das Weib, das die Seichtigkeit der Gemeinplätze erkennt, aber nun den Weg der Unweiblichkeit einschlägt, das eigentliche Philosophieren anfängt und Blaustrumpf wird. Nein! nein! still ahnend und bescheiden, im stillen Ahnen begreifend, daß ein denkender Mann mit Grund, wenn auch ohne ganzen Erfolg, sich forschend abmüht: so ist das rechte Weib. Das Weib ist in seinem helldunkeln Wesen eine geheimnisvolle Einheit der Weltpole Natur und Geist. Will es zugespitzt aus dieser Einheit heraustreten, so wird es actu weniger, als es im Wesen ist, teilt sich, verliert sich, wird unangenehm, widerwärtig. Es gibt eine Dummlichkeit, die unendlicher Anmut voll ist. Eine Desdemona, eine Ophelia webt mitten in dem Traum, worin der Weltgeist dichtet.
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Es gibt auch eine mittlere Gattung: ahnende Weiber mit einzelnen scharfen Gedankenblitzen – die geistreichen. Es kann scheinen, dies wäre ja das Rechte. Aber da sie es zum Ordnen der Gedanken doch nicht bringen, und da sie übrigens sehr gesalzen sind, so sind sie beunruhigend und öfter bös als gut. – Man kommt immer aufs Einfachste zurück: wünsche dir ein Weib, gut, wiewohl nicht dumm, verständig für die Welt, ahnungsstill in tieferen Dingen und dann etwa den Tagmenschen dummlich erscheinend, – tut nichts –. Es wird auch solche geben, aber sie zu finden, müßte man mehr Glück haben, als unsereiner, und übrigens ohnedies – o stille, an solche Sachen sollte ich gar nicht denken!
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Im Elend dieser Zeiten, in dieser Aera der Konkordate der Staaten, die ihre ganze Aufgabe darein setzen, »Feuerlöschanstalten« zu sein, des verratenen Schleswig-Holsteins, des entehrten Preußens, des knabenhaften Gedankens, dafür in Neuenburg Lorbeeren zu holen, nun dieser Dinge in Italien, da Deutschland, da Europa den Spieler in Frankreich groß und größer werden, sich ganz über den Kopf wachsen läßt, – ich kann es einem Philistersmann nicht verdenken, wenn er aufs Heiraten verfällt, um sich in seine vier Wände warm einzuspinnen, und zu dem Zweck nun das schrecklich mühsame Geschäft auf sich nimmt, die schriftlichen Sachen, Taufschein, Leumundszeugnis und so weiter herbeizuschaffen. Der Ehebruch einer Frau ist hauptsächlich deswegen schändlich, weil es sich der Ehemann damit so sauer hat werden lassen müssen. Für diese Plackerei sollte er doch billig sein Weib allein haben dürfen.
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Wie klafft doch immer die alte Lücke in mir, das versäumte Italien! In die Kunst, ins Große der Kunst – hier mich einspinnen, hier mich mit ganzer Seele häuslich einrichten! Da jetzt im Leben alles, alles so stillos, so verklebt, nichts Durchschlagendes, nichts, was Hunde vom Ofen lockt. In Italien zwar ein Hindernis für mich, daß es jetzt in politischen Geburtswehen liegt. Eben, weil mich das so zwiespältig bewegt. Bin kein ästhetischer Ruhkopf, gönne der Nation, daß sie wird. Aber gerade weil mich das beschäftigt, ich aber dabei nichts zu tun habe, und weil ich als Deutscher den Würfler hasse, dem sie's verdanken, und ferner, weil ich dort nur der Betrachtung leben will, so weiß ich doch kaum, ob ich jetzt hinreisen sollte, wenn ich könnte.
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Zu meiner armen Seele Stärkung einmal wieder im Aeschylos gelesen. Agamemnon. Wie Klytämnestra vom Mord herauskommt, die Axt auf der Schulter, den Bluttropfen auf der Stirn – wie grausig groß! – Plötzlich weggeworfen, weil mir – ein Weib einfiel, das ich mir so denken könnte. Mich ermannt, wieder gelesen und nun frei im Elemente des Großen.
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Möchtest du es zum großen Stil bringen in der Kunst, in der Dichtung? Ich weiß dir ein Rezept dazu: habe eine große Seele. Wenn man's nur in der Apotheke bestellen könnte!
Es kommt alles darauf an, ob einer ein Kerl ist, das heißt, ob er Kaliber hat. Wie viele hübsche Sachen bringt Tieck! Er hat Geist, Witz, viel bildliche Erfindung, Anmut, schwebendes Spiel, aber er hat kein Kaliber, und so ist er doch eigentlich nicht unsterblich geworden. Die Zeit ist eben eine starke Worfelschaufel.
Uebrigens führt das zu schweren Fragen. Die Formalisten werden sagen: gut, so kommt bei den Künstlern, Dichtern, die Größe haben, zum ästhetischen Wert ein zweiter, ein ethischer, hinzu. Aber ich bitte! Die innere Wucht in der Seele der großen Künstler hat ja doch eben die Formen selbst gestreckt! Das Große ist doch nicht neben den Formen! Also handelt es sich doch um eine völlige Einheit zweier Dinge: »der Gehalt in deinem Busen und die Form in deinem Geist«; wobei aber das bloße »und« beunruhigt, denn hier eben liegt ja die schwere Frage.
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