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Alle und jede, die in dieser arsenikalischen Zeit noch nicht so stark an Blutvergiftung leiden, daß sie nicht durch strenge Diät noch rettbar wären, sollte man einsperren und zwingen, den Homer zu lesen mit guter Anleitung, und zwar so oft, so lange, bis sie ihn auswendig wissen. Dann könnte man sie freilassen. Verdorbene, ironisch Durchsäuerte, Blasierte, die nur Verpfeffertes, Muffiges lesen können, sollte man auf Zeitlebens einsetzen mit keiner andern Lektüre als Homer: gute Höllenstrafe.
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Ich muß mir mit Anstrengung immer wieder sagen: vergiß nicht, das Gemeine und Schlechte spielt breit auf der Oberfläche, ist draußen auf dem offenen Markte, still in ihren vier Wänden sitzen noch gewissenhafte Beamte, Gelehrte, Künstler, in ihren Werkstätten Handwerker, in ihren Spitälern Aerzte, und arbeiten ehrlich und ernstlich, oft um kargen Sold. Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des, das man nicht siehet. –
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Aber was jene Hetzjäger um Geld und Genuß eigentlich meinen, dazu reicht mein Kopf nicht, das zu verstehen. Wer nur begriffe, was sie wollen? Muß man sich denn so schrecklich Mühe geben, um sich ein schlechtes Gewissen zu erschinden? Da wäre ein ordentlicher Straßenraub, Mord, Einbruch doch kürzer, rascher, unterhaltender. Meine Kerle hinter Schloß und Riegel sind mir oft ganz achtbar, wenn ich an das für honett geltende Hetzjagdpack denke.
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Neulich bringt ein Scheusal im Wahne, die Seinigen vor Verarmung retten zu müssen, Frau und vier Kinder um. Nun schaudert alles. Es ist grauenhaft, aber viel grauenhafter ist mir das Gift, das jetzt wie ein Geist umgeht und immer tiefer und weiter in die Massen dringt; davor schauern die Leute nicht, weil sie Geister nicht sehen können.
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Uebrigens hätte ich den Bluthund fixweg zum Tod verurteilt. Zurechnungsfähig oder nicht? Als er den Mordgedanken faßte, da war er unzweifelhaft zurechnungsfähig; es weiß jeder, daß Mord Verbrechen ist. Er gab ihm Gehör, er hegte ihn, bis er ihm über den Kopf wuchs, bis er halb unfrei von der großgenährten Geburt seines eignen Gehirnes fortgezogen wurde. Ebendies bedeutet der Geisterdolch, der den Macbeth magisch nach Duncans Schlafgemach zieht. Die Umkehrung der Freiheit in Unfreiheit ist also selbst Schuld.
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Ueber Todesstrafe wie oft meine Ansicht gewechselt für und gegen, gegen und für, bis ich mir's ganz gemein einfach so formuliert habe –: An der Gewalt der Abschreckung ist nicht zu zweifeln. Das weiß ich von mir selbst. Es schlummert in jedem ein möglicher Mörder. Wenn ab und zu der Satangedanke in mir aufschoß, einen rechten Hauptschurken abzumurksen, hab' ich mich alsbald darüber ertappt, daß im selben Moment ein Besinnen eintrat: wie es verbergen, um dem Schafott zu entgehen? Natürlich nicht immer vermag es die Abschreckung gegen die Stärke der Leidenschaft, aber doch in manchen Fällen, nehmen wir immerhin die wenigeren an. Gut, und nun sage ich so: wenn ich sechs Mörder dem Schwert überliefert habe und es dadurch erreiche, daß in einem siebenten Falle die Angst vor der Todesstrafe einen Menschen zurückhält, der große Lust zu einem Morde hätte, daß also ein schon zum Mord ausersehenes Opfer gerettet wird, so sind doch jene sechs wahrhaftig nicht zu gut gewesen, diese Rettung durch ihren Tod zu erzielen. Dies ist eine schlichte und doch gewiß zugleich sehr expediente Rechnung.
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Andres genügt nicht, die Todesstrafe zu rechtfertigen. Sie ist rein juridisch nicht haltbar. Strafe ist doch Zufügung eines Uebels für Schuld; das ist nicht die ganze Definition, aber doch ein wesentlicher Teil derselben. Um ein Uebel zuzufügen, brauche ich ein Subjekt, dem ich es zufüge, das es empfindet. Ein Subjekt aufheben heißt aber nicht, einem Subjekt ein Uebel zufügen. Der Tod ist kein Uebel, das ein Subjekt empfindet, denn wenn der Tod da ist, ist das Subjekt nicht mehr da. Etwas andres ist die Todes angst. Sie ist das entsetzlichste aller Uebel. Einem Menschen den Tod auf eine bestimmte Stunde, Minute als unentrinnbar ansagen, das stürzt seine Phantasie in eine Hölle von Qualen, die kein Name nennt. Diese Qualenhölle will aber als solche das Recht nicht: es verhängt den Tod, nicht die Todesangst. Also was das Recht will, ist kein Uebel, und was es nicht will, das größte, äußerste von allen. Dem ist aber nicht abzuhelfen, denn sucht man auch auf einen Augenblick den Unsinn festzuhalten, die Justiz dürfte die Ankündigung der Todesstrafe unterlassen, den Verbrecher im Gefängnis überfallen, wie er sein Opfer überfiel: das müßte ja eingeführt sein, dem Verbrecher wäre also diese Methode bekannt und das Bewußtsein der ungewissen Gewißheit, dies entsetzliche, grausige Warten stürzte ihn in denselben Höllenabgrund der Angst, wie die Ankündigung. Summa: die Todesstrafe ist keine rechtliche Strafe, aber eine wohlbegründete Sicherungsmaßregel gegen Bestien, vor denen das Menschenleben nicht sicher ist.
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Erholt und erquickt nach so viel Grassem, da mich die bildschönen Nachbarkinder besuchten. – Man ist froh, wenn man wieder in ein gutes Kindergesicht sieht. – Am Kindergesicht finde ich dies das Rührende, daß es so lieblich arm bittend zu sagen scheint: ich kann ja gewiß nichts dafür, daß ich gemacht bin. – Eigentlich von Rechts wegen sollte man jeden vorher fragen, ob er existieren wolle. Dabei müßte man sein Lebensschicksal wissen, ihm voraussagen, und so dann fragen: willst du unter diesen Bedingungen zur Existenz gelangen? Müßte man nun dem Gefragten ein ganz unglückliches Leben in Aussicht stellen, würde der wohl ja sagen? – Hier hebt sich die ganze Vorstellung höchst belehrend von selbst auf. Ja, freilich würde er ja sagen! Denn unser Satz nimmt an, er lebe, ehe er lebt, sonst könnte man ihn ja nicht fragen. Dann hat er ja aber das Leben schon verschmeckt, schon sich angewöhnt, und diesem Reiz widerstehe der Teufel!
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Wen der Gedanke unglücklich macht, nach dem Tode nicht fortzuleben, der müßte eigentlich an die logische Konsequenz erinnert werden. Es ist doch niemand unglücklich darüber, daß er einmal erst angefangen hat, zu leben, daß er vor seiner Geburt nicht lebte; ebensowenig sollte er darüber unglücklich sein, daß er einmal aufhören wird, zu leben. Freilich, da ist ein großer Unterschied: in der Zwischenzeit hat er sich das Leben angewöhnt, und das schmeckt eben ungeheuer nach mehr, mehr! Wohl, aber dennoch steht jene Logik fest, unwiderlegbar, mathematisch exakt.
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»Süßes Leben! Schöne, freundliche Gewohnheit des Daseins!« So über die Straße gehen; da kommt ein alter Kamerad gestiegen. »Ei, grüß dich Gott! Was machst auch? Wie geht's? Komm da herein, wir trinken ein Gläschen!« – Ja, daß das einmal aufhören muß, lernt sich nicht leicht.
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Aber es ist nicht anders: wenn wir unsterblich wären, würden wir nicht sterben.
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Jeder Mensch ist ein Schwab. Und da ist das Sprichwort nicht richtig; es ist nichts mit dem Gescheitwerden im vierzigsten Jahr. Was ein rechter Mensch ist, wird nie gescheit. Ein dummer Mensch wird bald gescheit, ein gescheiter bleibt dumm bis an sein seliges Ende. Das Unglück, ganz gescheit zu werden, erlebt aber der Mensch erst, wenn er stirbt. Das einzige absolut richtige Urteil, das jeder, auch der Allerdummste fällt, ist der Tod, denn er ist das Urteil, daß der einzelne nicht die Gattung ist.
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Das alles sind aber nichts als arme Zeitgeschichten. In jedem Zeitmoment, wo er wahrhaft lebt, lebt jeder Mensch ewig. Der Dummste kann sich wenigstens freuen, – ich meine wahre Freude. Da vergißt er die Zeit, und da ist er gescheit.
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Wie hoch steht ein spielendes Tier über einer Geldseele, hoch im Idealreich des Zwecklosen! – Jetzt hab' ich's, ein Hund muß wieder her, das fehlt mir.
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Und die Moden! Auf jedem Schritt über die Straßen werde ich beleidigt. Karikaturen auf Weg und Steg. »Jeder nach seinem Geschmack!« Gut! Nur zu! Nur zu! Man sieht, was dabei herauskommt! – Ich finde, daß ein Mensch, der sich ganz geschmacklos kleidet. ja in seinem Anzug eine förmliche Rebellion gegen den Geschmack auftut, eigentlich etwas Aggressives für jeden Begegnenden in seiner Erscheinung hat, etwas Kränkendes, Injuriöses. Ich meine nicht alte Herren, die hinter der Mode bleiben, nicht gutartige Narren, die irgend ein Formen- oder Farbenkobold reitet, sondern Stutzer und Stutzerinnen, die eine rohe Uniform der Mode flugs mitmachen und noch übertreiben. Sie haben einen Ausdruck im Gesicht, in allen Bewegungen, der stillschweigend dem Mitmenschen zuruft: »Es soll dir doch gefallen! Siehst du, so mußt du mich nun sehen, magst wollen oder nicht! Ich schlage dir mit dieser meiner Verzerrung des richtigen Menschenbilds ins Gesicht und du darfst nicht mucksen!«
Was folgt? Das folgt, daß es auch in diesem Gebiet heißt: der Mensch ist nicht geboren, frei zu sein! Er gebraucht seine Freiheit, die freilich doch nur die Freiheit des Sklaven, nur Modeknechtschaft ist, zu nichts, als zur Mißhandlung seiner Mitmenschen!
Ach! nun aber auch in diesem Stück: woher den Gerichtshof nehmen, woraus ihn bilden, dem man die Gewalt anvertrauen dürfte, eine Kleiderordnung einzusetzen, nach ihr die wilde Willkür zu maßregeln, frech Gekleidete kurzweg zu arretieren!
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Sonntagsgetriebe. Da fahren sie; gefahren muß sein. Nach den Pferden, ob sie es leisten können, fällt keinem ein zu sehen, auch keinem Weib. Ich müßt' mich schon vor so einem armen, lahmen, müden Tiere schämen, breit einzusitzen und seine letzte Kraft zu mißbrauchen.
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Unglückliche Hundsgeschichte. Dumm genug, einen Bologneser aus vornehmem Haus zu übernehmen. Hieß Ida. Demoralisierte Bestie, gehorcht nicht. Gerichtsakt vollzogen. Wieder teuflischer Rank des Zufalls! – Doch zugleich Lenkung höheren Fingers: muß gerade der Duckmäuser es sein – heiter, hübsch, wie das Ministerialrätchen in den Kot purzelt, da ihm das pelzige Wurfgeschoß an den Kopf fliegt.
Diesmal noch verpflastert. Das Männlein wollte auf Realinjurie klagen. Steht wieder ab. Sie brauchen mich, weiß. – Bin aber nicht zu allem brauchbar. Mir ist doch immer vor, es gehe noch einmal zu bösen Häusern.
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Ich tauge eben nicht in Familiengesellschaften. Kann ja jetzt auch besser abends daheim bleiben, seit Frau Hedwig mir haushält, und etwas plaudern. War das eine verfluchte Geschichte bei dem Stadtpfarrer Zunger, wo ich sonst nicht ungern, weil bürgerliche Bildung. Wieder Choralgespiel. Lachkrampf über dem »ver härtetem«. Gerade recht, daß ich durchbrennen mußte, so konnte die treffliche Frau Stadtpfarrerin doch ihr unerträgliches Thema nicht fortsetzen. Will mir kuppeln. »Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei« und dergleichen. Hat mich schon einmal ganz wild gemacht. Frau Hedwig versteht's besser, begreift, daß man mich damit in Ruhe lassen soll, daß ich einsamer, freier Mensch sein muß, gesellig nur, wenn ich mag und bedarf. Liebt die Tiere, hat mir den jungen Kater eingetan, wahrscheinlich echt ägyptischer Abkunft blaßgelb, gestriemt. Hilft mir auch, nachdem es nichts war mit der Ida, bessern Hund suchen.
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Vortreffliche, vernünftige Art, diese hilfreiche Base. Nüchtern, nie aufgeregt. Kann sogar rechnen. Wenn es nur nicht vier Spezies gäbe, das ist zu viel; ich bringe es über Addieren nicht mehr hinaus. – Und hat doch Phantasietalent. Lernt; versteht die Tücke des Objekts und wie gerecht dagegen die Justizakte. Nur in Hemdknöpfchen auch sie, auch sie nicht ganz zuverlässig.
Gleich zwei neue aufgegabelt, Hatzrüd und Rattenfänger, beide noch jung. Vom ersten Tag an schon gute Kameraden. Gute moralische Anlagen.
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Höhere Tiere, gebildete Haustiere können doch recht affektiert sein; versteht sich: naiv affektiert zu ihrem Zweck. Der Kleine geht nicht gern ins Wasser. Ich hetz' ihn scharf. Jetzt stellt er sich, als versteh' er mich falsch, und fährt wie wütend auf einen unschuldigen Wanderer auf der Landstraße los.
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Spielen ganz reizend mit dem Kater. Hund ganz Pierro, Katze ganz Arlecchino.
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Außer dem Hunde wohl nur der Elefant lernt das Deuten verstehen, nie eine Katze, auch kein Affe. Es ist kein Kleines, von der Spitze des Fingers eine geistige Linie nach dem Punkte ziehen, wohin er deutet. Es hat mich einmal ein altes Weib bedient, das es nicht verstand.
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Das Heulen des Hunds bei Musik ist ein ganz andres, als wenn er aus gewöhnlichem Schmerz heult. Ich habe einen Hund beim Anblick eines seltenen großen ungarischen Bocks ebenso heulen hören. Es ist Unglück, nicht klassifizieren zu können.
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Die Katze hat neben dem vielen sich putzen auch dies mit dem Weib gemein, daß sie gern zu Haus bleibt. Aber noch etwas, was mich oft wirklich erschreckt: die starken Backenknochen; man sehe nach: fast jeder weibliche Kopf hat darin etwas Katzenartiges. Nicht alle, gottlob! Kenne Ausnahmen.
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»Ausnahmen« – flach! fad! Man kann auch vom Männergeschlecht sagen, daß sehr viele Köpfe an Hundsköpfe erinnern. Die Geschlechter mögen einander necken, schließlich aber soll der Mann das Weib ehren, weil er aus Weibes Schoße stammt.
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Die Menschen fallen mir sehr ein, wenn ich zu meiner Erheiterung morgens früh aus dem Fenster die Nachbarhunde beobachte. Einer wie der andre, auch die wohlgenährten Lieblinge seiner Familien machen sich an die Kehrichtfässer und wühlen, dabei haben sie ein grundschlechtes Gewissen und hängen miserabel den Schwanz, sie schämen sich ihrer Niedertracht vor ihrem Herrn, den sie abwesend wissen und sich doch gegenwärtig vorstellen, ja schämen sich vor sich selbst, vor ihrem besseren Ich, und können doch nicht ablassen. O, es sind noch lang nicht die übelsten Menschen, die wenigstens vor sich erröten, während sie im Kehricht nach dem alten schmutzigen Knochen wühlen, den die Mehrheit für Inhalt des Lebens hält.
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Wie viel geben die Schreckmittel der Tiere zu denken. Neulich erschrak ich, als ich einen Siphon zu stark drückte und das Wasser zischend, speiend herausfuhr. Fiel mir ein, daß gerade so die Katze tut. Wer hat nun die Katze gelehrt: du mußt, um dich zu wehren, tun, daß der Feind meint, es werde ihm Wasser ins Gesicht gespien!? Der Siphon war doch lange noch nicht erfunden, als die Katze wurde. Wer die Gans: du mußt dich in eine zischende, züngelnde Schlange oder Drachen verwandeln!? Wer den Hund: du mußt durch einen Schuß erschrecken!? da doch das Schießpulver noch lange nicht erfunden war! – Dann die Mimik des Wohlbehagens. Als noch gesponnen wurde, wie behaglich hörte sich der Ton des Spinnrads namentlich an Winterabenden an, wenn die Familie gemütlich beisammensaß! Das weiß die Katze, darum schnurrt sie, aber es gab doch noch kein Spinnrad, als die Natur die Katze erfand und die Katze das Schnurren.
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Nil admirari? Nein, nein: omnia admirari!
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Symbolik der Tiersprache. Immer zu wenig beobachtet. Weit mehr Menschenähnlichkeit, als man glaubt. Viel gelernt aus dem trefflichen Buche von Piderit: wissenschaftliches System der Mimik und Physiognomik. In aller natürlichen Mimik werden physisch motivierte Bewegungen unwillkürlich verwendet, um nach Analogie seelische Zustände auszudrücken. Um zum Beispiel widerlichen Geschmack zu vermindern, entfernt der Mensch den Unterkiefer vom Oberkiefer, denn das Schmecken ist schwächer, wenn die Zunge sich nicht an die Gaumenwölbung legt. Und dasselbe tut man, wenn man moralischen Ekel ausdrücken will. An solchen Uebertragungen fehlt es auch im Tierleben nicht. Der Hund leckt sich das Maul aus, wenn er was Gutes gefressen hat, er tut es auch, wenn er einen guten Bissen vor sich sieht oder ihm nur die hoffende Vorstellung davon aufsteigt; er gibt sich Vorschmack. Diese Gebärde trägt er aber nun über auf Verhältnisse, die für ihn das sind, was für uns Situationen, welche versprechen, geistig interessant zu werden. Es nähert sich zum Beispiel ein Unbekannter – ein Hund meine ich und rede nicht von Hündin, es handelt sich von Fällen ohne Geschlechtsreiz. Wenn dieser dem diesseitigen Hund bedeutsam erscheint, so daß er sich vorstellt, es werde da ein belebtes Verhältnis, vielleicht flotte Rauferei sich ergeben, so leckt er sich das Maul aus, er gibt sich Vorschmack, nun also rein symbolisch. – Wie fragt ein Hund? Wenn er etwas sieht, was er nicht erkennt, so stellt er den Kopf schief, verändert hiemit den Sehwinkel, um deutlicher wahrzunehmen; dasselbe tut er nun, wenn er einen Befehl nicht versteht oder seinen Herrn fragt, ob er noch nicht nach Hause gehe.
Wenn die Katze von einer ganz angenehmen Vorstellung erfüllt ist, stellt sie den Schwanz kerzengerad aufwärts. Wenn sie angreift, trägt sie ihn von der Wurzel aus in einem Bogen, von da an einfach niederhängend; ebenso wenn sie Ansatz zum Scheinkampf, zum Spiele nimmt. Soll aber das Spiel recht ausnehmend lustig werden, ist sie ganz hanswurstisch gestimmt, dann tut sie von der Seite gesehen dasselbe, jedoch so, daß von hinten gesehen der Schwanz zugleich schief steht. Das heißt doch klar: jetzt soll es einmal ganz schief hergehen!
Es wäre noch viel von dem Ringeln des Schwanzes zu sagen. Es drückt immer prickelnde Gedanken aus, ernst schlimme oder humoristisch schlimme. Häufiger ersteres.
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Ich sah auf einer Dachrinne ein Schwälbchen sitzen, das flügge war, aber noch nicht jagen konnte. Es wurde von den Alten geätzt, die mit Tausenden in der Luft herumschwirrten. Das Junge sah immer wartend in die Höhe und schüttelte mit der bekannten Bittgebärde die Flügel, wenn eines der Alten herbeigeflogen kam. Es erkannte aber dieselben auf weite Ferne, wenn sie sich noch mitten in der schwärmenden Schwalbenmenge befanden, und dies Erkennen ließ sich mit Sicherheit beobachten, denn niemals schüttelte es die Flügel, ohne daß bald nachher eines der Alten mit Futter eingetroffen wäre. An was nun aber? Unmöglich an etwas andrem, als an individuellen Eigenheiten in der Flugbewegung, die kein Menschenauge je entdecken könnte. Unbegreiflich! Da fiel mir aber ein, daß wir unsersgleichen an Eigenheiten der Handschrift erkennen, die um nichts bestimmbarer sind, als jene im Flug eines Vogels. Es gibt kein Maß für die Unterschiede der Führung der Feder bei Schreibung eines Buchstabens, sie sind nicht minder fein, als der Bogen oder Haken, wie diese und keine andre Schwalbe ihn beschreibt, oder die Art der Tragung, oder der besondere Umriß ihres Flügels, und doch, wenn uns eine Handschrift öfter vorgekommen, wissen wir mit dem ersten Blick auf eine Briefadresse, wer den Brief geschrieben. Unerforschliches Wunder der Individualität und der Sicherheit und Schnelligkeit des Schlusses aus der sinnlichen Wahrnehmung!
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Zu den stärksten Beweisen gegen den Materialismus gehört die Schamröte und das Genie. Wenn sich der Mensch schämt, wünscht er, nicht gesehen zu werden, möchte sein Gesicht verhüllen; so ist sein Gefühl, nicht daß er es irgend in Worten dächte. Was tut die Natur? Sie pumpt das Blut in die kleinen Gefäße des Angesichts, um rasch einen roten Schleier darüber zu ziehen. Das ist freilich kein eigentliches Verhüllen, sie kann es eben nicht besser, sie macht's, so gut sie kann, symbolisch. Wenn nun die Natur so etwas vermag, wenn in dem, was wir Materie nennen, so etwas vorgeht, so muß doch die Materie etwas andres sein, als die Materialisten meinen. Sagte ein Gegner, da handle es sich ja nicht von getrennter Materie, sondern von solcher, die in den Zusammenhang aufgenommen sei, welchen wir seelisch nennen: gut; wie könnte aber Stoff, als purer Stoff angesehen, je in solchen Zusammenhang treten? – Das Genie wird geboren. Wird es geboren, so folgt haarscharf, daß die Natur selbst ein Genie ist. Wendet da nichts von Vererben ein! Es kann durch Vererbungssummationen nichts werden, was nicht potentialiter in den sogenannten Atomen liegt. Zwei Sätze stehen gegeneinander und wollen in Einklang gebracht sein: Geist ist nicht, wo kein Träger für Geist (Gehirn). Und: ein Träger für Geist könnte nicht entstehen, wenn die Materie nur wäre, was wir Materie nennen. Die Materie als Gehirn denkt, ist Geist, der Geist als Gehirn ist Materie, und umgekehrt.
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Materialisten und Spiritualisten: sollte man die einen nehmen und die andern damit herumschlagen. Die Materie ist und ist nicht; sie wird stets aufs neue gesetzt, um in immer neuen Formen in Leben, Empfindung, Geist aufgehoben zu werden. Es gibt Materie, und es gibt keine. Sie ist das μη ον. Die Materie ist nur insofern, als –
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Ein Dichter ist immer gescheiter als er selbst; freilich auch dummer als er selbst.
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Wir stecken bis über die Ohren im Universum. Wir haben bei der Weltwerdung mitgetan, oder, da sie ja ewig ist, vielmehr: wir tun mit. Es sind nur so viele, daß die Portion von Mittun, die auf einen kommt, unendlich klein ist, und daher sind wir uns des Mittuns nicht bewußt. So können wir auch nur mit Hilfe schwerer Wissenschaft und nur sehr kümmerlich herausbringen, wie wir beim Bauen unsres unteren Stockwerks, des sogenannten Körpers, verfahren sind oder vielmehr verfahren. Ueber der Mühe, die der Aufbau des oberen Stockwerks kostet, haben wir es vergessen oder vielmehr vergessen es jeden Augenblick. So können wir uns auch durchaus nicht besinnen, warum wir als winzige Teile des Ganzen, doch aber bei ihm mitbeschäftigt, öfters nicht umhin können, uns krank zu machen. Daher kommt uns dies dann rein als fremde Gewalt vor. Aber es liegt ein großer Trost darin, es zu erkennen, daß eigentlich wir selbst als Teile des unendlichen Ganzen es eben nicht anders fügen konnten, daß also auch der Tod schließlich immer unsre eigne Tat ist; dies Denken befreit, macht frei.
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Die Natur ist Phantasie und zwar geregelte. Unsre menschliche Phantasie ist vorerst ungeregelt; wenn sie aber gedeiht und ausreift, so bringt sie es dahin, der geregelten Phantasie, nämlich also der Natur, obwohl ihr absolut verpflichtet, in freiem Scheinbild nachzuhelfen. Denn die geregelte Phantasie bei aller übrigen Sicherheit leidet doch an sehr großen Lücken, lapsus, setzt ihre Produkte jedem verderblichen Zufall aus und führt daher ihre Anschauungen nie rein durch, bis sie sich im Menschen als Künstler erst zur Reinheit sammelt und aus den getrübten Formen die Urform herstellt.
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Da die δοξα unvernünftig und allgemein ist, so muß, wer besser sieht, notwendig immer paradox erscheinen. Alle Wahrheit ist paradox. – Man sollte eigentlich Unterricht darin nehmen, in Gemeinplätzen zu reden; hätte man es gut gelernt, so wäre man in Gesellschaft besser gelitten. Es kann den Menschen nicht angenehm sein, wenn man ihnen zumutet, auf dem Kopfe zu gehen.
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Auch im Sehen des sogenannten Kleinen hält man die helleren Menschen für halb verrückt. Im ganzen sind die Leute doch eben durch ihre Blindheit glücklich. Niemand will an einen Föhntag glauben, daß er die Zeche schon am Abend, in der Nacht, jedenfalls den andern Tag mit Unwetter zahlen muß. Die Menschen haben in Mehrheit auch äußerst grobe Sinne, stumpfe Nerven. Sie geben auch nicht acht. Sie wollen durchaus im Zerstreuten, im Dusel leben. Wer gefälschte Getränke genießt, dem schwebt wohl dunkel vor, er schmecke etwas Fremdes auf der Zunge, aber wie gegen den Satan sperrt er sich dagegen, den Eindruck ins Bewußtsein, ins Nachdenken zu erheben. Spürt er tags darauf die nux vomica im Hirn, so flirrt ihm wohl etwas vor, es sei da oben nicht ganz richtig; aber reflektieren? O, nur das nicht! – Neulich war ich im Gespräch mit einem sehr gelehrten und gescheiten Mann; es kam ihm ein Haar vom Kopf zwischen die Wimpern und hing ihm gerade übers Auge. Es brauchte ungefähr eine Viertelstunde, bis er etwas bemerkte, dann fing er an, zu schielen; man sah ihm an, daß ihn etwas störe, er wurde zerstreut, aber da war keine Spur von so viel Konzentration auf seinen Zustand, daß er auf die Ursache hätte kommen können. Ich stand auf, zog ihm das Haar aus den Wimpern, und er war sehr verwundert, daß es ihm nun wieder freier und lichter zumute war. – Ach, ja freilich, schon gut, daß die Welt so ist! Wenn die Menschen sehend wären, wo käme ihr Glück hin, so wie die meisten sind, unfähig, das Glück im Unsichtbaren zu finden! Aber wir wenigen sind eben auch so, wie wir sind, warum muß also uns die Menschheit so grimmig hassen, so höhnisch verlachen, weil wir das Haar vor ihrem Auge sehen?
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Und im Gespräch sind sie auch merkwürdig, selbst abgesehen vom Durcheinanderschreien. Herr N. N. hört dir gespannt zu, so scheint es. Auf einmal fangen seine Augensterne an, zu fappeln, zu irren, er hört nach einer andern Seite. Die Gedanken auch nur fünf Minuten beisammen behalten – es wäre ja entsetzlich, nicht zu ertragen! O dies Geschlecht kann nur unter der Fuchtel des Unteroffiziers aufmerken, und darunter gehört es auch. – Unter den Künsten zwingt die Musik am wenigsten, die Gedanken zusammenzuhalten, darum ist die Mehrzahl musikliebend. Alle Menschen sind eigentlich Wiener.
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Zwang der Verhältnisse: muß doch ab und zu in vornehme Gesellschaft – »Soiréen«. Weißer Handschuh, weiße Krawatte platzen, krachen, bersten meist in letzter Sekunde vor dem Eintritt. Bin dann doch eine Zeitlang ganz manierlich, bewege mich nicht ungern im Feinen, – dann aber ein Bock oder auch ein Mutwille. Spricht da der Herr von Petisch ein langes und breites von der Reihe seiner ritterlichen Ahnen. Frag' ich ihn, ob nicht unter ihnen, nachdem der Name in der Humanistenzeit etwa latinisiert worden, der gewisse Petiskus, der die lehrreiche Mythologie geschrieben. Wird bös. Die Gräfin X., die dürre ironische Stange aus einem Stück Adelstolz, Federmesserklingen im Blick, funkelt mich an und fragt, was der Petiskus von den Dii minorum gentium sage. Ich: »Frau Gräfin, ich schreibe nur mit Metallfedern.« Ist verlogen, ich schreibe nur mit Kielen; sie hat's aber, obwohl nicht sogleich, verstanden, hab's im Weggehen wohl gesehen am Nachblitz ihrer Klingen, deren sie sich bewußt sein muß. – L'hombre-Tisch – Kartler – der Teufel hole sie! Menschen unter Menschen und doch anwesend abwesend! Beleidigung gegen die menschliche Gesellschaft. Sieht immer heimtückisch auf, als verabredeten sie sich still mit Zeichen, die andern zu überfallen, zu beißen. Kartler sollten sich immer in getrenntem Lokal verbergen. Gespenstisch. Auch kann sich die kochende Leidenschaft doch nicht ganz verhüllen; habe in Räumen, wo nicht die feinere Sitte Selbstbeherrschung auflegt, selbst sehr vornehme Herren je am Schluß einer Partie gemein heftig werden sehen, wüst streiten hören. – Schleiche mich endlich fort, erwischt mich der Gastgeber, die gute, alte Exzellenz, auf dem Korridor. – »Wird Ihnen denn die Zeit bei mir so lang?« – »O nein, Exzellenz, nur länglich.« Der gute Herr hat doch gelächelt und mir's verziehen.
Der regierende Herr selbst war da, hätte mich gern mit ihm unterhalten, er war aber von Hofleuten belagert. Strebt übrigens hochlöblich nach Kräften, über und außer dem Unterschied der Stände zu stehen. – Bin Monarchist – pur aus Gründen, ohne jegliche Sentimentalität, herzlich täuschungslos über jede Staatsform. Diese eben doch das geringere Uebel. Unter ihren Gebrechen freilich nicht das kleinste dies: der Fürst soll über und außer den Ständen stehen, sich zu allen gleich verhalten, gleich verständig, brav und gerecht, ist aber doch selbst aus einem Stand, nämlich dem Adel. Dies tiefer, innerer, logischer Widerspruch, dem doch natürlich nicht abzuhelfen. Der Adel bildet Partei, gewinnt Einfluß hinter vernünftigem Minister, steigt Hintertreppen, – Doppelregierung – Windekreuzung – und wer es büßt, ist das Volk und sein Wohl. –
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Was ich doch mit der Form auf gespanntem Fuße stehe! Ich respektiere sie eigentlich, ja freue mich an ihr, weiß jedenfalls ganz gut, wie notwendig sie ist. Dazwischen aber habe ich Stunden, wo ich einem ungeheuren Reiz nicht widerstehen kann, sie vor den Kopf zu stoßen, ihr ausgelassen zu zeigen, daß ich sie als geistlos zugleich geringschätze, weil sie doch gar so viel Irrationelles enthält und so äußerst zahm ist. Auch Stunden, wo ich zwar ganz zahm, aber durchaus besinnungslos bin in Beziehung auf sie und Dummheiten, Vergessenheiten begehe, die unglaublich sind. Etwas von einer solchen Natur ist in Goethes »Tasso« idealisiert. Der Dichter selbst, in der Lage wie sein Tasso, hat sich durch die Angewöhnung einer steifen Würde herausgeholfen. Das ist die beste Entschuldigung für die seltsame Feierlichkeit, die er nach und nach annahm. Als ein Sohn der Natur und Phantasie konnte er sich nicht gehen lassen, ohne Formen zu verletzen; da konnte ihn nur der Zwang retten, den er sich so lange antat, bis er ihm saß wie ein getragener Rock. Seine Steifheit beweist also ihr Gegenteil in Goethes Natur. Wer über der Form steht, ist ängstlich in ihr.
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Es gibt zweierlei Takt: formellen und Herzenstakt. Jener vermeidet das Unschickliche, dieser das Unzarte. Es ist schwer, den ersten sich zu erwerben, er lernt sich nur durch lange, gesellige Uebung. Es ist ungefähr wie vier- oder sechsspännig fahren lernen. Der Taktlose gibt nur auf die zwei ersten Pferde acht, und sieht nicht, ob die vordersten irgendwo anrennen: wer Takt hat, sieht immer auf alle vier oder sechs. Der Herzens- oder Seelentakt aber läßt sich nicht erlernen, man hat ihn oder nicht. Man kann ihn haben und den formellen nicht, man kann diesen haben, ja sehr haben und keine Spur vom Herzenstakt. Gar manche fahren ganz sicher und geschickt, rennen nie an einen Eckstein, aber es gibt unsichtbare Ecksteine, das sind die zartesten Empfindungen der Menschen, die wir schonen sollen, wir müssen sie spüren, und der feinste Pferdelenker spürt sie häufig nicht.
Beide Taktarten vereinigen sich aber äußerst schwer und selten.
Die formelle lernen besonders die Gelehrten schwer. Sie spannen sich zum Beispiel im Gespräch mit naivem Eifer direkt auf den Gegenstand und bedenken nicht, wer die Zuhörer sind. Sie können nur zwei-, fast nur einspännig fahren; es geht immer ungeschickt ehrlich, geradeaus auf Beweis, auf Erklärung los. Aehnliches passiert aber auch Phantasiemenschen wie unsereinem; im raschen Bilderzug vergessen sie, wer herumsitzt.
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Man meint immer, einmal dürfe man sich doch gehen lassen. Falsch! Man darf es nie. Es ist kein Moment, wo man nicht gegen innern oder äußern Feind auf der Wacht stehen muß. Die Menschen um uns, selbst die besten, sie schenken uns keine Blöße. Selbst in der Liebe darfst du nie dich gehen lassen. Das liebreichste Weib möchte dich beherrschen. Nie ist Waffenstillstand. Das Leben ist schwer! Wehe dem, der nicht in jedem Augenblick geladen, Zündhütchen auf, Finger am Drücker hat!
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Das darf ich diesem Herrn von Y nicht vergessen, daß ich neulich, als er mitten im friedlichen Gespräch so bissig gegen mich ausfuhr, nicht gefaßt war, ihm die gehörige Antwort zu geben. Wenn ich unvorbereitet mit scharfem Wort angegriffen werde, geht mir eine türkische Musik im Kopfe los, alles Blut steigt ins Hirn, die rechte Erwiderung fällt mir ein, wenn der Mensch fort ist, und wird dann zu einer vortrefflichen Rede komponiert. So bin ich wehrlos, aber darum darf ich nicht ehrlos sein. Etwas muß doch geschehen gegen den, der mich überfallen hat, als mein Gewehr ungeladen an der Wand hing; ich meide ihn, ich spreche womöglich nie mehr mit ihm. Blind, wie die Menschen in ihrer Bosheit sind, weiß ein solcher dann gewöhnlich gar nicht mehr, was er mir angetan hat und warum ich mit ihm gebrochen. Wird es ihm kund, so meint er, ich sei ein Trutzer, ein Nachträger, während ich im Grunde doch mir selbst eine Buße auflege; ich strafe mich für meinen erbärmlichen esprit de l'escalier dadurch, daß ich mir die Entbehrung eines Umgangs auflege, der Wert für mich hatte, worin ich aber jeden Tag unsicher bin, ob ich nicht aufs neue in den Fall komme, in der Blöße meiner Wehrlosigkeit dazustehen. – Es ist sehr fatal. Aber macht' ich's nicht so, die Menschen würden am Ende Holz auf mir spalten.
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Hat mir jemand unrecht getan, so passiert mir oft und leicht die Verwechslung, daß ich mich vor ihm schäme, statt mich für ihn zu schämen; mir ist, als hätte ich das Unrecht ihm getan. Anders, wenn es in meiner Macht liegt, ihn zu strafen; ist dies vollzogen, so bin ich wieder leicht und frei und verzeihe mir, will sagen: ihm, gern und ganz das Verübte. Denn ich strafe eigentlich ungern, wiewohl scharf.
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Briefe ohne besondern Inhalt lasse ich nun Frau Hedwig ganz selber komponieren und unterzeichne nur. Aber solche, die ich selbst abfassen muß, da ist eben die alte Not. O, wie schwer ist ein Brief! Gerade auch an Freunde! – Man meint: da darfst du dich ja gehen lassen, es ist ja doch fast wie gesprochen, ist ja kein Aufsatz, kein Amtsschreiben. Aber was Schwarz auf Weiß dasteht, ist eben ein ander Ding als das Gesprochene: hier ist der Ton der Stimme, Blick, Mienenspiel dabei und bringt zu einem scharfen Wort, einem stark gesalzenen Spaß die erklärende, versöhnende Begleitung, während die schwarzen Haken auf dem Papier abstrakt dastehen und am Leser herumkratzen. Das mag der Teufel lernen, sich gehen lassen und zugleich nicht gehen lassen, einen Besuch machen in Hemdärmeln und doch im wohlgebürsteten und geknöpften Rock! – Zehnmal lieber ein neues Polizeigesetz verfassen oder hundert Paragraphen eines philosophischen Lehrbuchs in Lapidarstil! Ich schreibe auch nicht einen Brief, in den mir nicht etwas Ungeschicktes hineinkommt. Wie viele habe ich verbrannt, neu geschrieben, ein drittesmal sogar! Aber es dauert einen eben oft die Zeit, da bedenkt man dann nicht, daß man besser jetzt Zeit verliert, als auf Tage, Wochen oder länger die gute Stimmung, und man wirft den Brief in die Postlade. Dann fängt die Reue an zu bohren, zu graben, – dumpfe Spannung, bis die Antwort kommt, – dann sieht man aus dieser, wie man wehe getan. – Nun aber erst noch das glatte Postpapier und der Racker von Feder! Wie oft habe ich mit spröder Feder grob geschrieben, wo ich freundlich, und mit zu weicher schlaff und breiig, wo ich mannhaft entschieden schreiben wollte!
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Verwünschte Amtsrechnung! – Wieder dreimal verrechnet, da ich sie nicht zu Frau Hedwig hinübernehmen konnte, mir helfen zu lassen. Menschen, die das arithmetische Organ haben, können sich in solche, denen es fehlt, gar nicht genügend versetzen. Es ist nicht bloß, daß man notdürftig nur noch addieren kann; nein, man hat sich so oft verrechnet, daß man dem ganz Gewissen, dem Ausgemachten nicht traut. Wenn ich irgend eine Amtsrechnung prüfen soll: ich weiß wohl, daß zweimal zwei vier ist; aber könnte es denn nicht ausnahmsweise einmal, zum Beispiel heute vormittag, fünf sein? Ein Jammerstand des Bewußtseins, ein tiefinneres Unglück und Elend.
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Frau Hedwig, mein guter Privatsekretär, meint, die Briefe, die ich selbst abfassen muß, könne ich ihr ja diktieren. Kann ihr aber nicht diktieren, fällt mir nichts ein, wenn jemand mit angesetzter Feder wartet. Neulich soll meinem Pferde zur Ader gelassen werden, der Bediente bestellt einen festen, auch darin erfahrenen Hufschmied. Ich sehe zu. Der nörgelt an dem Tiere herum, will den Schnepper hier, dort anlegen, kommt nicht zum Schluß, nimmt den Johann in eine Ecke, flüstert mit ihm, und dieser tritt zu mir her und richtet mir aus: ich möge doch verzeihen, der Hufschmied könne es nicht verrichten, wenn ich zusehe. Und es ist ein starker, breiter, nichts weniger als nervöser Mann! So das geschieht am grünen Holze – – –.
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Ich suche und ich fliehe die Menschen, bin gesprächig, und kann mich so schrecklich erzürnen über ein dummes Gespräch. Jedes Gespräch, das nicht durch Austausch nach Erkenntnis strebt, ist dumm. Halt! Da muß aber Erkenntnis in fast unerlaubt weitem Sinn verstanden werden. Ich bin ein nur zu großer Freund von rein närrischen Gesprächen. Sie sind höchst erlaubt, ja von Zeit zu Zeit Pflicht, Pflicht gegen sich selbst, Pflicht gegen andre, denn Phantasie will leben. Und spielend muß alle Unterhaltung guter Gesellschaft sich bewegen. Doch jede, auch die närrische, führt auf manchen Punkten immer zu dem Bedürfnis, diesen oder jenen Begriff klarzustellen. Da gibt es nun aber Naturen, die sich dagegen sperren, davor verkreuzen wie vor dem Gottseibeiuns. Nur nicht in dem Nebel der Flachheit umrühren, nur auf nichts tiefer eingehen, nur nicht das Messer des unterscheidenden Begriffes an Gemeinplätze legen! Nur alles in der Brühe, in der Sauce der Unbestimmtheit belassen! – Die stumpfe Denkfaulheit der Menschen. Aber auf diesem Wege verkommt man. Gesellige Unterhaltung von Menschen ohne Erkenntnisdrang ist Sumpf. Das Forschen ist es, was den Menschen zum Menschen macht, ohne dieses auch keine Moral. Forschen ist die Stahlfeder im menschlichen Wesen. Was die Franzosen in ihrer liederlichsten Zeit aufrecht erhalten hat, das waren jene Salons, wo die Gespräche gepflegt wurden, in denen unter Scherz, Reiz des Weibes, Würze der Phantasie nach Erkenntnis, nach Quellen der Wahrheit gebohrt wurde.
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Man sollte schlechterdings niemand heiraten lassen, der nicht ein Examen über Erziehung bestanden hat. Das Wissen allein macht nicht alles, aber etwas, ja viel. Es ist niemand berechtigt, Kinder zu erzeugen, der nichts von Erziehung weiß.
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Die meisten Menschen werden in den ersten Lebensjahren, ja schon in den Windeln verzogen; später, wenn sie die ersten Kleider bekommen, am schlimmsten die Mädchen. Man kleidet sie äffisch nach der Mode der Erwachsenen, preist sie, wie hübsch sie seien, wenn sie herausgeputzt sind, und schon dadurch werden sie für immer zu Fratzen. Im übrigen verzieht die Mutter die Knaben, der Vater die Töchter, denn jene sieht in jenen, dieser in diesen das Erinnerungsbild der Jugendliebe heranwachsen. Den Knaben wird es im ganzen besser, weil es doch in der Schule streng zugeht und Gehorsam durchgesetzt wird. Klare Frauen selbst geben zu, daß mehr Ehen durch das Weib unglücklich werden, als durch den Mann. Meine nur ja nicht, Bildung und Moralität einer Familie verbürge dir, daß die Töchter gut erzogen sind! Gerade in den Kreisen der Bildung, insbesondere der vornehmen, werden sie erst recht verzogen. Es ist zwar richtig, daß die Mädchen wie Pflanzen den Charakter des Bodens und der Luft annehmen, worin sie stehen, und daß insbesondere das stille Beispiel der Mutter mehr wirkt als Erziehungsakte, aber manchmal braucht es eben auch bei ihnen ein Donnerwetter väterlicher Strenge, und daran pflegt es zu fehlen.
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Wie mich alles, alles dorthin, dorthin führt, ich mag es zu unterdrücken suchen, wie ich will! Denn ich weiß ein Weib – eine Oase im Sandmeer. – Jetzt lange her, daß ich ohne Nachricht bin, seit der Geburt des zweiten Knaben. Glück gewünscht, herzlich, kurz. Ach, dorthin kann ich ja nicht schreiben! Wie oft versucht und ausgestrichen, Feder weggeworfen! Gewöhnliches? Wie nichtig! Inneres – wie wäre das möglich? In Tränen schwämme das Blatt! Und doch ist mir's unheimlich, mein vieles, langes Schweigen. Noch Beruhigung, daß Erik so wenig Freund vom Briefschreiben, als ich, und daß man mich dort kennt, daß er ja weiß, daß sie, sie weiß – oder auch ahnt – o nein, Schweigen! Schweigen!
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Tot! Erik tot! Erik tot! – Als wäre der Welt ihr Krondiamant ausgebrochen! – Und sie? –
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Wie selten wir uns geschrieben, ich wußte ihn doch! In dieser Welt der Falschheit, des Eigennutzes, der Kriecherei, der Ränke – ich wußte, wußte, sagte mir's tagtäglich: es gibt noch Redlichkeit, Geradheit, Treue, Opfer, Mannheit: Erik lebt! – An ihm ein Halt, auf ihn ein Verlaß, eine Ruhe für mein aufgeregt heftig Wesen – Mein Freund, mein guter Kern, mein Fels, meine Tugend – unsichtbar nahe – o, Erik tot! – Verwaist – rings kein Freund mehr! – Und – Soteira? –
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Auf! Auf! Lebe noch! Es gibt noch zu tun! »Herz, mein Herz, halt aus, schon Schnöderes hast du erduldet.«
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Abgeordneter? Gar noch? Ich? Doch es sei – Ruf des Schicksals – mich aufraffen – aufraffen zu mehr als Amt – auch aus dem Schlag! – Auf! – Hab' auch viel auf dem Herzen, es soll einmal heraus an den Tag, einmal ins Große, Oeffentliche!
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Wahlkämpfe. Wahlreden. Zungenfechterei. Komödie. Doch gute Sprechübung. Das Reden geht ja besser, als ich mir zugetraut hatte, wenn nur genug Distanz ist. Sobald mir die Leute zu nahe sind, weiß ich nichts oder bleibe stecken. Sie drücken auf mich, sind statt bloße Bilder empirische Existenzen, die mich lästig fragen: Nun, was hast du zu sagen? Wird's bald? Nun, was weiter? – Das wirft mich aus dem Denken an die Sache heraus. In jedem Redner laufen zwei Vorstellungsreihen nebeneinander; die eine beschäftigt sich mit dem Thema, die andre mit den sinnlichen Wahrnehmungen während des Redens. Dies geht so lang, bis auf die zweite zu viel Akzent fällt, dann wirft er um. Zu viel Akzent: Ursache entweder eine Beobachtung, zum Beispiel dort wird geflüstert, gelacht, oder also die Leute zu nahe. Distanz bringt Objektivität.
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Oft meine ich doch, ich vermög' es nicht länger. Der Schmerz um Erik will im Sturm hervorbrechen mitten in dem Gewühl; aber dann packe ich ihn und werf' ihn gewaltsam hinüber zu dem Zorn auf so viel Schlechtes in unsern Zuständen, zwinge ihn, sich als Zorn auf das Unrecht solchen Todes mit diesem Grimm auf die arge Welt zu addieren. Es muß doch gehen. Wenn ich nur nicht zu heftig werde! Mut! Sei Mann, es gibt zu tun, sei brav wie Erik!
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Alte Devise: Adler, über Wolken der Sonne zufliegend mit Schrift: nunc pluat! – sei mir Vorbild!
Ein Adler flog empor |
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