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Ihre drei Vorläufer sind:
Der große Leonardo (1452 bis 1519) aus Vinci in Norditalien war nicht bloß bildender Künstler, das heißt Maler, Bildhauer und Baukünstler, sondern auch Ingenieur, Astronom, Anatom und Violinist, und zwar auf den meisten dieser Gebiete selbstschöpferisch. Und er geht überall auf die wissenschaftlichen Grundlagen zurück. Selbst das Geheimnis der Schönheit beruht auf dem Notwendigen und Gesetzmäßigen, und dieses wieder auf Maß und Zahl. Der Wert des Wissens hängt nicht von seinem Gegenstand, sondern von dem Grad der Gewißheit ab, die eigentlichen Wissenschaften sind daher Mathematik und Mechanik. Auch die idealistische Grundlage aller Wissenschaft hat er bereits anerkannt: wir begreifen nach ihm nur das, was wir in unserem eigenen Geist entworfen haben.
Auf die Gestaltung der modernen Weltanschauung aber wirkte noch viel unmittelbarer Nikolaus Kopernikus aus Thorn (1473 bis 1543), Humanist wie Erasmus, der in Krakau, Wien und Italien studiert hatte und sein späteres Leben als Domherr in dem westpreußischen Frauenburg zubrachte. Hier in der Stille begann er bereits 1506 sein wahrhaft weltumwälzendes Werk »Von den Umwälzungen der Himmelsbahnen«, das heißt der Umdrehung der Erde und der übrigen Planeten um die Sonne, indem er mathematisch nachwies, daß unter seiner Voraussetzung die Bewegungen der Gestirne sich genau in der Weise vollziehen müssen, wie sie uns erscheinen. Durch die neue Lehre ging eine ganze Welt althergebrachter Vorstellungen nicht bloß sinnlich-naiver, sondern auch religiöser »in Dunst und Rauch auf« (Goethe). Deshalb hatte sie der vorsichtige Domherr auch bei seinen Lebzeiten noch nicht veröffentlicht; erst kurz nach seinem Tode gab sie ein Nürnberger evangelischer Theologe heraus. Von Luther wurde ihr Urheber noch als Narr bezeichnet, von den meisten Zeitgenossen, soweit sie sie überhaupt begriffen, heftig angefeindet; auf dem päpstlichen Index (Verzeichnis) verbotener Bücher hat sie bis 1757 gestanden! Ihr erster nachdrücklicher Verteidiger in Deutschland war der Schwabe
Johann Kepler (1571 bis 1630), der sich anfänglich in seinem »Weltbeschreibenden Geheimnis von dem bewundernswerten Verhältnis der Himmelskreise« (1596) noch in stark neuplatonischen Bahnen bewegt, aber doch schon den Grundgedanken vertritt, daß Gottes Geist sich in den harmonisch geordneten geometrischen Größenverhältnissen des Weltalls offenbare. »Nichts als Größen oder durch Größen vermag der Mensch vollkommen zu erkennen.« Und in dreizehnjähriger Arbeit gelangte er dann zu einer mathematisch genauen » Physik des Himmels«, die er 1609 in seiner »Neuen Astronomie« an »den Bewegungen des Planeten Mars« darlegte. An die Stelle »bewegender Seelen« sind ihm jetzt natürliche Kräfte getreten, und der Kraftbegriff erhebt sich dann zum Kraftgesetz. Bei ihm findet sich für seine bekannten drei Regeln, auf deren Inhalt wir hier nicht einzugehen haben, der uns heute so geläufig gewordene Ausdruck »Naturgesetze«. Sein mathematischer Nachweis der Ellipsen-Bewegung richtet sich nicht nur gegen das gesamte Altertum und Mittelalter, das den Kreis als die »vollkommenste« Figur vergöttert hatte, sondern auch gegen die neumathematischen »Chemiker und Paracelsisten« (Seite 115 f.). Mit der Renaissance teilt er nur die Überzeugung von einer Harmonie, welche die ganze Welt von den größten Weltkörpern bis zum kleinsten Kristall durchdringt, und die doch keine Eigenschaft der Dinge, sondern von dem schöpferischen Menschengeist erdacht ist. Die Wissenschaft aber muß – genau wie bei Plato und wieder bei Kopernikus – von Voraussetzungen (Hypothesen) ausgehen, durch die der Zusammenhang der Dinge ohne Widerspruch mit der Erfahrung sich erklären läßt.
Als selbständige Wissenschaft wurde die mathematische Physik erst begründet von dem Italiener
Drei Tage vor Michelangelos Tod, am 15. Februar 1564, wird in Pisa – von dem dortigen schiefen Turm hat er später seine Fallversuche angestellt – Galileo Galilei geboren: die Renaissance tritt ihr Zepter an die mathematische Naturwissenschaft ab.
Mit der Renaissance verbindet Galilei nur noch seine Gegnerschaft gegen die Autorität des Aristoteles – »wir haben es nicht mit einer Welt von Papier, sondern mit der Welt unserer Sinne zu tun« –, sein Gebrauch der Mutter- statt der lateinischen Gelehrtensprache, sein Drängen auf Natur, Erfahrung, nüchterne Sachlichkeit. Das wissenschaftliche Hilfsmittel zum Verständnis des Alls aber ist ihm die Mathematik. Das Buch der Natur »ist in mathematischer Sprache geschrieben, seine Schriftzüge sind Dreiecke, Kreise und andere geometrische Figuren«. Nicht der Sinnenschein vermag uns richtig zu leiten: er muß berichtigt werden durch das Urteil des Verstandes, der uns erst lehren kann, weshalb etwas so oder so ist. Der beste Beweis ist die Kopernikanische Lehre, durch die nicht bloß die größte Einfachheit, sondern zum ersten Male eine »gewisse und notwendige Ordnung« in das ganze Weltall kam. »Gott« erscheint bei Galilei schon als beinahe dasselbe wie die Natur.
Die Methode der Wissenschaft kann nicht nur aus der Zusammenzählung von Einzelfällen (vergl. Baco) bestehen, sondern muß zuerst die verwickelten Erscheinungen der sinnlichen Wahrnehmung in ihre einfachsten Bestandteile auflösen und dann aus ihnen die tatsächlichen Vorgänge erklären, eigentlich »zusammensetzen« (wir sprechen daher noch heute, namentlich in der Planimetrie, von »analytischer«, das heißt zergliedernder, und »synthetischer«, das heißt zusammensetzender Methode), wie er es dann bei der Ableitung seiner Fall- und Wurfgesetze praktisch gezeigt hat. Als »Ursachen« gelten ihm nicht mehr die »Dinge« (Substanzen) der Scholastiker, sondern die mathematisch meßbare Bewegung. So beginnen erst durch Galilei die »Formen«, das »Wesen«, die »Zweckursachen« und »verborgenen Qualitäten« des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit aus den physikalischen Lehrbüchern allmählich zu verschwinden. Selbst die sogenannte »Schwere« ist für ihn ein bloßer Name. Desgleichen Geruch, Geschmack, Farbe, Wärme, Widerstand usw., die nur im empfindenden menschlichen Körper ihren Sitz haben, so daß sie, diesen weggedacht, auch wegfallen würden. Diese sogenannten »sekundären Qualitäten« (nicht-ursprüngliche Eigenschaften) der »Dinge«, denen wir bald bei Descartes, Hobbes und Locke wieder begegnen werden, entstehen erst durch die Bewegung zwischen den sogenannten Gegenständen und unseren Sinnesorganen. Die »ersten« und notwendigen Eigenschaften, die wir den »Dingen« beilegen müssen, sind: Gestalt, Zahl und Bewegung.
So hat der große Italiener den Grund zur mechanischen Naturwissenschaft gelegt, die nach Helmholtz alle Kräfte in Bewegungskräfte aufzulösen strebt. Er hat so für die Entwicklung der Philosophie zur Wissenschaft weit mehr geleistet als seine philosophischen Kollegen, die Aristoteliker in Padua, die nicht durch seine Fernrohre schauen wollten, um nicht die von ihnen geleugnete Bewegung der Planeten sehen zu müssen. Ihm selber, der öffentlich für die Kopernikanische Lehre eintrat, ging es schlimm genug. War schon Kepler um seiner Anschauungen willen von den Rechtgläubigen beider Bekenntnisse aufs heftigste verfolgt und vielfach umhergetrieben worden, so geriet der italienische Denker achtundsechzigjährig in die Fangarme der Inquisition, die ihn zwar nicht, wie Giordano Bruno, auf den Scheiterhaufen brachte, aber doch zur Ableugnung seiner Lehre zwang. Ob er die berühmten Worte: »Und sie (die Erde) bewegt sich doch!« wirklich gesprochen hat, ist nach neueren Forschungen ungewiß. Das traurigste für ihn war, daß dem dazu noch erblindenden Gelehrten für das letzte Jahrzehnt seines Lebens der Mund gewaltsam geschlossen ward. Aber der Fortschritt der Wahrheit läßt sich durch alle äußere Gewalt nicht aufhalten. Die moderne Naturwissenschaft begann trotzdem ihren Siegeslauf.
Eine ganze Reihe wichtiger naturwissenschaftlicher Entdeckungen, an denen sich die verschiedenen Kulturvölker wetteifernd beteiligten, folgten einander Schlag auf Schlag. Schon 1590 war in Holland das Mikroskop, 1609 ebendort das Fernrohr erfunden, das letztere dann durch Kepler, Galilei und den deutschen Jesuiten Scheiner verbessert worden, mit dessen Hilfe Galilei die Jupitermonde und die Planetenphasen entdeckte. Um 1600 versuchte der Engländer Gilbert zum ersten Male eine wissenschaftliche Erklärung der elektrischen und magnetischen Erscheinungen, wenngleich er noch eine »beseelte« Materie annahm. Gleichfalls in England entdeckte Harvey 1628 den Kreislauf des Blutes, Napier 1614 die Logarithmenrechnung. 1643 erfand Torricelli, ein Schüler Galileis, das Barometer, 1654 führte der Magdeburger Otto v. Guericke dem Deutschen Reichstag die Luftpumpe vor, 1679 bestimmte der Franzose Mariotte das Gesetz des Luftdrucks. Auch entstanden jetzt zum ersten Male in Westeuropa gelehrte Gesellschaften: in Paris (1616) und London (1662), von denen namentlich die englische Royal Society (»Königliche Gesellschaft«) ein wichtiger Mittelpunkt der Naturforschung wurde, während in dem durch den Dreißigjährigen Krieg und seine Nachwehen zerrütteten Deutschland die Universitäten jesuitisch oder lutherisch verknöcherten.
Die naturwissenschaftliche Methode und damit die Philosophie – beides fällt in jener Zeit beinahe zusammen (vergl. unten den Titel von Newtons Hauptwerk) – wird vor allem durch vier Namen gefördert: Gassendi, Boyle, Huygens und Newton. Von ihnen ist der Südfranzose
am wenigsten Naturforscher. Er hängt noch stark mit der Renaissance-Denkart zusammen. Eine liebenswürdig weltmännische Natur, wußte er sich nach außen hin mit seiner, der katholischen Kirche abzufinden und unterdrückte seine Verteidigung der Kopernikus und Bruno. Und wenn er nicht bloß die Person, sondern auch die Lehre des viel verleumdeten Epikur in Schutz nahm und des letzteren Atomenlehre erneuerte, wobei er den Begriff des Moleküls als einer Verbindung von Atomen einführte, so sicherte er deren Vereinbarkeit mit der Kirchenlehre dadurch, daß er für Gott und die Seele des Menschen eine Ausnahme von dem Gesetz des Mechanismus gelten ließ, ähnlich etwa, wie heute der Jesuit Wasmann den Darwinismus annimmt, ausschließlich – der Abstammung des Menschen. Nicht bloß gegen die Aristoteliker seiner Zeit, sondern auch schon gegen Descartes wollte er sich streng an die Erfahrung halten. Und schon ganz modern klingt es, wenn er, auf die Grenzen des Naturerkennens hinweisend, zeigte, daß die Gegner des Materialismus ebensowenig wie dieser das Hervorgehen der Empfindung aus der empfindungslosen Materie zu erklären vermögen.
Ihm befreundet war der gelehrte Pater Mersenne in Paris, der Umgang mit zahlreichen, zum Teil sehr freigesinnten Denkern pflog und unter anderem eine Erklärung zum 1. Buch Mose herausgab, in der mehr Fleiß auf die Zusammenstellung der »naturalistischen« und atheistischen Einwürfe als auf ihre »Widerlegung« verwendet war. Der Engländer
ist der Begründer der wissenschaftlichen Chemie, die nichts mehr mit der Verwandlung von anderen Metallen in Gold oder der Herstellung von Lebenselixieren zu tun, sondern an der Hand methodisch anzustellender Experimente eine sichere Philosophie der Chemie aufzustellen hat. Seine wichtigen und zahlreichen Einzelentdeckungen gehören nicht hierher. Aber er hat zuerst den modernen Begriff des chemischen Elements als des nachweislich nicht weiter zerlegbaren Bestandteils der Körper aufgestellt. Und die Natur faßt er, obwohl persönlich gottesgläubig, ja zu religiöser Grübelei neigend, im Gegensatz zu Aristoteles wie zu Paracelsus, lediglich als ein »System von Regeln«, als einen das gesamte All durchziehenden Mechanismus auf. Die geheimnisvollen »Kräfte« der Naturphilosophie lehnt er ebenso ab wie die »substantiellen Formen« der Scholastik. Es gibt nur eine einzige, ausgedehnte und undurchdringliche, jedoch teilbare Materie, durch deren ihr von Gott anerschaffene Bewegung kleinste Körperchen (»Korpuskeln«) von bestimmter Lage und Gestalt entstehen, die zu zusammengesetzten »Molekülen« sich mischen können. Mit den geistigen Erscheinungen befaßt sich der strenge Naturforscher nicht, sondern absichtlich nur mit der Welt, wie sie »am Abend des vorletzten Schöpfungstags« gewesen sei.
aus dem Haag (Holland), der berühmte Erfinder des Pendels und Urheber der Wellentheorie des Lichtes, schloß sich philosophisch Gassendi an und bildete dessen »Korpuskulartheorie« weiter. Alle Veränderung in der Natur entsteht durch Atombewegung, die vermittels des Weltäthers von Körper zu Körper übertragen werden kann. Die Menge der Bewegungsgröße wie der Kraft erhält sich. Die wahre Philosophie muß alle Naturwirkungen durch mechanische Gründe erklären. Diese mathematisch zu formulierenden »Prinzipien« haben sich dann in ihren Folgerungen an der Welt der Erscheinungen zu bewähren. So folgt auch Huygens, gleich Kopernikus, Kepler und Galilei, der platonischen Methode der »Hypothesis«.
Und ebenso der Vollender der mathematischen Naturwissenschaft im siebzehnten Jahrhundert,
in der Schule ein stiller und in sich gekehrter Knabe, der nur in der Mathematik reißende Fortschritte machte und dem ein vom Baume fallender Apfel den Anstoß zu seiner großen Entdeckung des Weltgesetzes der Gravitations- oder Schwerkraft gegeben haben soll. Gleich der erste Satz seines berühmten Werkes von 1687: »Mathematische Anfangsgründe der Naturphilosophie« richtet sich gegen die »substantiellen Formen« und »verborgenen Eigenschaften« der Scholastik, an deren Stelle er die Naturerscheinungen auf mathematische Gesetze zurückführen will, um aus ihnen schließlich das ganze Weltsystem, die Bewegungen der Planeten und Kometen, des Mondes und des Meeres abzuleiten. Er beruft sich zwar auch, gleich den Männern der Renaissance, auf Anschauung und Erfahrung, allein er gründet die letztere nicht mehr auf die sinnliche Wahrnehmung, sondern auf das reine Denken. Ausdrücke wie Anziehung, Stoß, Streben zum Mittelpunkt sind bei ihm, nach seiner ausdrücklichen Erklärung, mathematisch gemeint. So sind die von ihm als Natur»gesetze« formulierten Begriffe der Masse, Kraft, Bewegung, Trägheit, Ursache, Zeit und des Raumes die Grundbegriffe der modernen Naturwissenschaft und Newton deren erster Systematiker geworden.
So liegt nach ihm eine Welt vor uns, die ohne Zweck und Absicht, ohne Willkür und Wunder, rein auf sich selbst ruht und zu ihrer Selbsterhaltung keiner Gottheit bedarf. Dieser Gedanke bedrängte Newtons aufrichtig frommes Gemüt, und so führte er denn, im Widerspruch zu seinem System, die Wechselwirkung der Körper letzten Endes auf ein »geistiges« Prinzip, den Willen Gottes, zurück, für den der gesamte große Mechanismus der Natur nur ein Mittel zur Erfüllung seiner Zwecke ist. Indessen dieser Gedanke gehört dem Menschen Newton, nicht dem Philosophen und Denker an, mit dem es unsere Darstellung zu tun hatte.