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Fünfzehntes Kapitel

Michael Cibula hält eine Rede und Bischof Mauricius schleudert einen Bann

»Der Bischof beruft die Bauern von Piatra zum Rat.«

Diese Meldung erging von Haus zu Haus, und sie erregte in jedem Hause Verwunderung und Befremden: seitdem die Blockhäuser von Piatra standen, hatten sich die Bauern nur selbst zum Rate zusammengerufen. Für den Bischof war die Kirche da. In der Kirche konnte er predigen und verkündigen, segnen und verdammen, wie er wollte; aber im Gemeindehause von Piatra, da redeten die Bauern von Piatra – die Bauern allein!

Unwillig, mit gefurchten Stirnen, legten die Häupter der Gemeinde ihre Festtracht an, scharf die Weiber zurückweisend, die bei allem, was den Bischof anbetraf, schier überlaute Stimmen vernehmen ließen. Langsam machten sie sich alsdann auf den Weg; und trafen sich zwei unterwegs, so sagten ihre Blicke zueinander: »Das geschieht wider allen Brauch!«

In tiefem Schweigen begaben sie sich nach dem Platz vor der alten Kirche, wo das Gemeindehaus lag, ein nicht minder alter und ehrwürdiger Bau wie das Gotteshaus.

Und in tiefem Schweigen standen sie und schauten nach dem Hause der Dozana hinüber. Sobald Stefan Dozana heraustrat, wollten sie ihn fragen, was das bedeutete und seit wann in Piatra der alte Brauch abgeschafft wäre. Sie wollten statt des Bischofs den Priester zur Rede stellen.

Aber von Stefan Dozana war nichts zu sehen und zu hören, und der Bischof sollte noch bei Michael Cibula sein. So trat denn einer nach dem andern ins Gemeindehaus, Alle, die nicht hinein gehörten, versammelten sich mit den Weibern auf dem Platze.

Weil aber die Waldleute dem Bischof, in Anbetracht der Heiligkeit seiner Person und seines Amtes, auch da in Ehrfurcht begegnen wollten, wo er wider den Brauch handelte, ließen sie aus der alten Kirche einen Sessel holen, dessen Lehne ihre Väter geschnitzt und mit symbolischen Darstellungen verziert hatten. Diesen Stuhl setzten sie auf einen von den Frauen gewirkten Teppich in der Mitte der Halle vor die Bänke der Häupter. Und jeder beschloß bei sich, daß der Bischof, wenn er auf diesem Sitze saß, als ein hochangesehener Gast behandelt werden sollte, aber nicht als mehr. Solches sich vornehmend, betrachtete mancher heimlich das Schnitzwerk des Sessels, dessen Seitenlehnen aus einem seltsamen langohrigen Tier gebildet waren, das mit allen vier Füßen an einem Pflanzenschafte in die Höhe kroch, um droben aus einem Gefäß zu trinken. Die Bauern wußten nicht, ob das Tier einen Hund, eine Katze oder ein Lamm vorstellen sollte. Stefan Dozana hatte das Langohr als einen Wolf gedeutet, der an dem Baum der Kirche emporklimmt, um aus dem heiligsten Kelch zu trinken. Aber die Bauern waren damit nicht zufrieden gewesen: sie wollten keinen Wolf zu dem Heiligtum hinlassen.

In tiefem Ernst und Schweigen saßen sie und harrten des Bischofs und ihres Priesters.

Für den Bischof wäre es gut gewesen, wenn er die Bauern von Piatra nicht gar zu lange hätte warten lassen; und ferner: wenn er sie aufmerksam betrachtet hätte, bevor er in ihrem Gemeindehause zu ihnen redete. Denn es bestand die Versammlung aus Gestalten, mächtig und fest wie die Zirbenbalken der Decke; aus Männern mit Gesichtern, hart und braun wie das Holz der Wände, das die Jahrhunderte dunkel gefärbt. Und nützlich wäre für Bischof Mauricius gewesen, wenn er die Blicke der versammelten Männer beachtet hätte, wie sie auf die Felle und Geweihe der Elenne schauten, die als der Halle einziger Schmuck an der Täfelung hingen. Denn beim Anblick dieser seltsamen Jagdtrophäen gedachten die Bauern von Piatra ihrer Väter, die noch das Elenntier in den Wäldern der Verrös gejagt hatten. Und sie gedachten dabei ihrer Väter Rechte und ihrer Väter starken und stolzen Sinnes, so daß der Anblick der schwarzen, morschen Häute und des fahlen Gehörns Größeres bewirkte, als hätten sie unter den prunkenden Wappenschildern gefürsteter Ahnen gesessen.

Aber noch öfter, als auf diese ehrwürdigen Siegeszeichen ringsum, blickten sie heute auf den einen leeren Platz in ihrer Mitte: seit länger als einem Jahr blieb bei ihren Versammlungen der Stuhl Michael Cibulas frei; und statt ihrer stolzen Väter zu gedenken, gedachten sie jenes einen stolzen Sohnes, der sich von ihnen losgesagt und geschieden hatte. Bei solchen Gedanken wollte es manchen bedünken, daß sie den Juden den Bau der Kirche teuer bezahlt hatten. Aber – sie wollten es den Juden gedenken!

Da sahen sie durch die geöffnete Tür, wie draußen eine Bewegung entstand; sie sahen den Bischof in vollem Ornat, als ginge er zum Hochamt in die Kirche, über den Platz kommen. Mit dem Bischof kam alles Gefolge; und wie gestern bei der Weihe, so trug auch heute jeder ein schimmerndes Gewand. Da alle aus dem leuchtenden Tag in die dämmerige Halle traten, war es den Waldleuten, als wälze sich mit ihnen eine Lichtwoge hinein. Hinter den Fremden fiel die Türe zu.

Nur einer der Priester im Gefolge des Bischofs trug ein dunkles Kleid: der Priester von Piatra; und es mochte das der Grund sein, weshalb alle Bauern mehr auf ihn, als auf den Bischof sahen. Unbekümmert um alle die Blicke, schritt Stefan Dozana seinem Platz zu. Hier blieb er stehen, und als die Versammlung den Bischof grüßte, tat es auch Stefan Dozana.

Bischof Mauricius setzte sich; hinter ihm, gleich Fürsten, die einem Kaiser dienten, stellte sich das Gefolge auf.

Sogleich eröffnete der Bischof den Rat. Ohne sich zu erheben, begann er:

»Ich, Bischof und Oberhaupt dieser katholischen Christengemeinde von Piatra, klage diese alle an, daß sie von ihrem Besitz und Eigentum den Juden, diesen Feinden Gottes und der Kirche, Land und Wald, Gestein und Gewässer zum ewigen Eigentum übergeben haben. Ich beschuldige die Bauern von Piatra des Ungehorsams gegen Gott und der böswilligen Übertretung der Gebote Gottes. Und ferner erhebe ich gegen die Bauern von Piatra Anklage und Beschwer, daß sie als Untertanen der Kirche durch Aufnahme einer vertriebenen Judengemeinde auf christlichem Gebiet die Kirche in ihren Rechten geschädigt und die Heiligen beleidigt haben; auch beleidigt haben mich, ihren Bischof! Ich fordere von den also Beschuldigten sofortige Lösung des mit den Juden eingegangenen Vertrages, den ich hiermit als unrechtmäßig, weil ohne Genehmigung der Kirche geschlossen, und infolgedessen für ungültig und null und nichtig erkläre. Ich vermahne die Schuldigen zur Unterwerfung und zum unbedingten Gehorsam; ich rufe die katholischen Christen an und gebiete ihnen im Namen Gottes, des Vaters, des Sohnes und der heiligen Jungfrau die Vertreibung der Juden.«

Hätte der Bischof den Bauern von Piatra geboten, ihr Dorf in Flammen zu stecken, ihre Kirche zu berauben, ihre Weiber und Kinder zu töten, so hätte solcher Befehl keine gewaltigere Wirkung hervorzubringen vermocht, als diese Forderung des Bischofs. Sprachlos saßen die Waldleute da, starrten auf den Bischof, als erblickten sie in ihm etwas, das ihre Lebensgeister lähmte. Es geschah, daß dieses harte Männergeschlecht erblaßte, was sicher nicht geschehen wäre, hätten soeben alle ihr Todesurteil vernommen. Der Bischof, um niemandem Zeit zu lassen, zur Besinnung zu kommen, fuhr sogleich fort; mit einer Stimme, die unheimlich lebendig die Totenstille durchdrang, donnerte er den Waldleuten zu, daß sie sich Rechte und Freiheiten anmaßten, die sie nicht mehr besaßen, die, wenn sie dieselben überhaupt jemals besessen hätten, längst verjährt und nichtig wären.

Da die Bauern das vernahmen, ging eine Erschütterung durch die Versammlung, als hätte unter ihr der Boden gebebt. Viele sprangen von ihren Sitzen auf, mit Mienen, als wollten sie aus dem Hause stürzen.

Und Bischof Mauricius, der bei dem allgemeinen Erzittern einen Augenblick hatte verstummen müssen, sprach weiter, die Waldleute auffordernd, sich zu unterwerfen: »Wenn nicht den Gesetzen des Staates, die von der Welt sind, so doch den Geboten der Kirche, die vom Himmel sind!«

»Auch diesen widersetzen wir uns!«

Voller Scheu sahen die Bauern auf den Mann, der im Priesterkleide dastand, und dem Bischof diese Antwort, mit der er vor seiner Gemeinde der Kirche und deren Oberhaupt den Gehorsam aufkündigte, gelassen ins Gesicht sagte. Stefan Dozana hatte seine kühne Erwiderung in aller Namen gegeben; aber noch wagte es keiner, zu ihm zu treten und ihm das Wort offener Empörung gegen das Heiligste laut nachzusprechen, noch lagen die Seelen aller im Banne des Entsetzens.

»Wehe jedem, der auf jenen hört, welcher fürderhin euer Priester nicht mehr sein wird. Wehe jedem, der auf einen Mann hört, über dessen Haupt die Acht schwebt. Jeder wahre Christ sage sich los von einem, der durch seinen Ungehorsam gegen die Kirche sich von Gott und den Heiligen lossagt. Jeder wahre Christ bedenke das Heil seiner Seele und mache nicht gemeinsame Sache mit jenem, der seine geheimsten Sünden von euch auf den Türen eurer Kirche verzeichnen ließ und dem allein schon darum das Tor des Paradieses verschlossen sein wird.«

Nun berühmten sich die Bauern von Piatra, wahre Christen zu sein; dennoch zauderten sie, von ihrem Priester zu lassen.

Da rief Bischof Mauricius:

»Hört, ihr Irregeleiteten und Verblendeten, hört auf mich, euern Bischof, der zu euch redet im Namen des Himmels, den ihr schwer beleidigt habt. Wer nicht für mich ist, der ist wider mich, spricht der Herr; und wider Gott ist, wer für jenen ist, weshalb ich jeden, der zu ihm steht, mit diesem zugleich banne und verfluche! Darum erleuchte Gott eure Sinne, daß ihr die Sünde erkennt und euch dadurch bewahrt vor der Strafe, welche die Sünde trifft und welche abzubüßen, die Ewigkeit nicht ausreicht, Herr! Herr! Herr! Erbarme dich ihrer!«

Und Bischof Mauricius sprang, wie von heiligem Zorn gepackt, von seinem Sitze auf, beide Hände unter lautem Flehen emporstreckend.

Da sah es Stefan Dozana. Er sah es ihnen an den Augen an, daß sie von ihm abfallen würden, daß die meisten bereits von ihm abgefallen waren. Und es erkannte der Priester, daß er heute gestürzt wurde durch dasselbe, was ihn in seiner Gemeinde so hoch erhoben hatte: durch den glühenden Glaubenseifer der Bauern von Piatra. Er selbst hatte die heilig-unheilige Flamme geschürt, sie mit dem vollen Bewußtsein geschürt, daß sie zur Brandfackel werden könne.

Jeder Stein, den er von den Juden zum Bau der Kirche hatte herbeischleppen lassen, war gleich einem Funken gewesen, den er in die Gemüter der Seinen geschleudert; nun stand das Heiligtum, nun schwang der Bischof die Fackel, nun schlugen die Flammen über seinem eigenen Haupte zusammen.

Auch wenn Stefan Dozanas Seele nicht der jenes Lucifer ähnlich gewesen wäre, so würde er in dieser Stunde, wo sein ganzes Leben gleich einem zerbrochenen Gefäß vor seinen Füßen lag, haben verstehen lernen, wie in einem Augenblick eines Engels Seele von Gott abfallen kann.

Aber schon im nächsten Augenblick dachte Stefan Dozana nicht mehr an sich, sondern nur an die, welche von ihm abfielen. Und er gedachte nicht ihrer Untreue gegen ihren Priester, sondern nur an den Verrat, den sie an sich selbst begingen, und daß sie aufgeben und verleugnen konnten, was die Vater seit Jahrhunderten erworben, besessen und erhalten hatten.

Daß die Bauern von Piatra ihren Priester verließen, vermochte er ihnen zu verzeihen; aber daß sie sogleich bereit waren, ihrer Rechte sich zu begeben, ihrer Freiheit sich zu entäußern – im Handumdrehen, vor diesem Bischof – daß sie in einem Augenblick verloren geben konnten, was sie ihr ganzes Leben lang mit einer Leidenschaft und Inbrunst ohnegleichen geliebt hatten – das verzieh er ihnen nie, dafür haßte und verachtete er sie fortan wie sonst nichts auf der Welt.

Und der Priester von Piatra, der in seinem Herzen stets ein Bauer von Piatra geblieben – aber ein echter, von der alten, großen Art! – fühlte in dieser Stunde den gewaltigsten Schmerz seines Lebens.

Und vollends verloren gab er seine Sache, für vollends gewonnen hielt Bischof Mauritius die seine, als plötzlich die Türe aufging und Michael Cibula in die Halle trat.

Da erinnerten sich die Waldleute, wie sehr Michael Cibula stets gegen die Juden gewesen; und alle drängten nach ihm hin, so daß Stefan Dozana ganz allein stand.

*

Um niemanden sich kümmernd, schritt Michael Cibula auf den Bischof zu, neigte sich ehrerbietig und fragte: »Habt Ihr, hochwürdiger und heiliger Herr Bischof, diesen versammelten Männern Euern Willen vorgetragen?«

»Sie haben mich gehört.«

»Und welches ist die Antwort dieser Männer gewesen?«

»Sie erkennen ihre Sünde und sind gewillt, ihre Sünde zu büßen.«

»Welche Sünde ist es, die sie erkennen?«

»Ihren Ungehorsam gegen die Kirche.«

»Und wodurch sind sie gewillt, diese Sünde zu büßen?«

»Sie beugen sich.«

»Sie beugen sich!« fuhr Michael Cibula wild auf, mäßigte sich jedoch sogleich und fragte von neuem voll tiefer Ehrfurcht den Bischof:

»Wem beugen sich die Bauern von Piatra?«

»Gott und mir, Gottes Bischof.«

»So werden sie tun, was der Bischof ihnen zu tun befiehlt?«

»Sie werden die Juden vertreiben.«

Wieder wollte Michael Cibula auffahren, aber wiederum bezwang er sich. Mit finsteren Blicken auf Stefan Dozana deutend, fragte er:

»Und ihr Priester?«

»Ihr seht: Stefan Dozana steht allein.«

Ein heißer, leuchtender Strahl fuhr aus Michael Cibulas Augen zu dem einsam dastehenden Manne hinüber, der trotzig den Blick seines Todfeindes ertrug.

»So wäre unter allen diesen Männern außer Stefan Dozana kein einziger, der Euerm heiligen Willen sich widersetzt?«

»Kein anderer! Denn auch Ihr scheint Euern widersetzlichen Sinn geändert zu haben.«

»Nein, Herr Bischof, ich bin eines Sinnes mit diesem Manne.«

Und Michael Cibula trat langsam von dem Bischof fort, zu Stefan Dozana hin. Dieser stand da, als sei er von einer Kugel getroffen worden. Es wäre ihm in diesem Augenblick das liebste gewesen.

Ruhig blickte Michael Cibula nach dem ergrimmten Bischof hinüber; aber ein wildes Lächeln zuckte über sein Gesicht, als er die Aufregung der Bauern gewahrte.

»Darf ich in diesem Hause reden?« fragte er in seinem früheren Ton tiefster Ehrerbietung den Bischof, der heftig entgegnete:

»Ich kann Euch in diesem Hause das Recht, zu reden, nicht verwehren, sonst würde ich es tun; denn Eure Worte wirken gleich Gift auf manches Gemüt. Deshalb warne ich diese hier vor Euren Worten; und Euch rate ich: ehe Ihr sprecht, zu bedenken, was Ihr sprecht. Zugleich erinnere ich auch Euch, daß die Kirche nicht allein widersetzliche und schuldige Priester mit dem Banne belegt. Auch Euch, Michael Cibula, droht die Acht – wie allen denen, welche der Kirche den Gehorsam versagen, Sie alle, alle sollen verflucht sein!«

Den Schluß seiner Rede donnerte Bischof Mauricius den Bauern zu; diese traf die Bedrohung mit dem Kirchenbanne und dem Fluche tief ins Herz. Schon sah sich jeder geächtet und verflucht, verstoßen von der Kirche, ausgeschlossen von den Sakramenten, schon sah jeder seine Seele einer ewigen Flammenqual überantwortet. Wild begann es in den dumpfen Gemütern zu garen, ein ungeheurer Sturm sich vorzubereiten – gegen Michael Cibula und Stefan Dozana, für den Bischof! Was bedeuteten ihre weltlichen und zeitlichen Rechte gegenüber ihrer himmlischen Anwartschaft? Sie sollten ihrer verlustig gehen und das um der Juden willen!

»Die Juden müssen fort!«

Ein einziger schrie es. Dann schrien es alle. Alle schrien:

»Die Juden müssen fort!«

Triumphierend blickte Bischof Mauricius auf Michael Cibula. Dieser wartete, bis wieder Ruhe entstanden, dann rief er:

»Ich habe von dem hochwürdigen und heiligen Herrn Bischof die Erlaubnis erhalten, reden zu dürfen.«

Aber alle murrten. Schließlich mußte der Bischof selbst Stille gebieten.

Nun trat Michael Cibula vor.

»Die Juden müssen fort. – – Damit der hochwürdige und heilige Herr Bischof unsere Gemeinde nicht in Acht und Bann tue, müssen die Juden fort. Damit wir nicht verflucht werden, müssen wir den Juden unser gegebenes Wort brechen. Damit unseren Seelen keine Gefahren drohen, damit wir selig leben und selig sterben können, müssen wir unseren Rechten entsagen, müssen wir dem Bischof uns beugen, unsere Freiheiten hingeben, unsere Ehre verlieren, müssen wir zu Schurken und Buben werden. – – Wißt ihr, wie es kommen wird? Wenn von jetzt an ein Jude uns wortbrüchig schimpfen, ein Jude uns ins Gesicht Schurken und Buben nennen wird, so müssen wir uns den Schimpf gefallen lassen, denn – der Jude hat recht.

Jeder Jude kann uns fortan ins Gesicht speien, und wir müssen still halten; denn – der Jude hat recht!

Auf daß der hochwürdige und heilige Herr Bischof uns gute Christen und gehorsame Diener der Kirche heißen kann, sollen wir falsche, schändliche, niederträchtige Kreaturen werden.

Denn der hochwürdige und heilige Herr Bischof befiehlt: die Juden müssen fort! Und: die Juden müssen fort! schreien die Bauern von Piatra.«

Er schwieg einen Augenblick, Als er dann weitersprach, murrten die Bauern nicht. Schwerlich auch, daß der Bischof noch einmal Ruhe geboten hätte.

Die Juden müssen fort!

Ich sage euch: die Juden sind da, und weil sie einmal da sind, müssen sie bleiben. Denn als sie den Pakt mit euch schlossen, glaubten sie, daß ihr ihn heilig halten würdet. Heilig und unverletzlich ist er, und heilig und unverletzlich muß er bleiben. Wenn ihr das tut, was der hochwürdige Herr Bischof euch zu tun befiehlt; wenn ihr die Juden vertreibt – ihr wißt nicht, was dann für euch kommen wird. Der hochwürdige Herr Bischof weiß es, aber der hochwürdige Herr Bischof sagt es euch nicht; darum muß ich es euch sagen:

Dann lebt ihr ohne Acht und Bann wie geächtet; dann seid ihr gesegnet, als wäret ihr verflucht; dann schleicht ihr euch gleich Verbrechern in eure Kirche, die euch diejenigen bauten, welche ihr vertrieben habt; dann schaut ihr gleich Dieben und Räubern auf den Schmuck eures Heiligtums, das ihr mit dem Silber und dem Golde jener schmücktet, denen ihr euer Wort gebrochen; dann fühlt ihr euch gleich Mördern, wenn in der Hostie für euch der Leib des gemordeten Gottessohnes niedersteigt.

An euren Lippen wird Blut kleben, aber es wird nicht das Blut Christi sein.

Darum müssen die Juden bleiben!

Nun wird der hochwürdige Bischof euch sagen: es sei keine Sünde, Juden das Wort zu brechen, sondern eine Gottestat. Das weiß ich nicht. Aber das weiß ich: hätte ich einem räudigen Tier mein Wort gegeben, so würde ich einem räudigen Tier mein Wort halten.

Darum und aus vielen anderen Gründen müssen die Juden bleiben.

Aber dann wird der Bischof uns in Bann tun.

Das ist ein schweres Unglück für uns. Indessen ein noch schwereres Unglück wäre es, wenn der Bischof uns heute segnen würde.

Denn dann wären wir nicht länger freie Männer, sondern Knechte.

Wie wollen wir vor unseren Vätern bestehen, wenn wir ihnen begegnen in der Ewigkeit und als Knechte eines Bischofs zu ihnen kämen? Besser, wir treten dermaleinst vor sie gebannt und verflucht, aber als freie Männer, wie unsere Väter gewesen.

Warum dürfen wir nicht tun, was zu tun uns geboten wird; sondern wir müssen uns dem Willen des hochwürdigen und heiligen Herrn Bischofs widersetzen, und wir müssen uns um unserer Väter willen in Gottes Namen in den Bann tun und ächten lassen. Wenn der Bischof auch Gott vertritt, so ist er doch nicht Gott. Das sei unsere Hoffnung!«

Noch standen die Bauern und kämpften gegen den Sturm in ihrer Seele und fürchteten sich davor, daß er losbrechen könnte. Michael Cibula sah ihre Not und daß er sie vollends von sich selbst befreien und losrütteln müsse. Doch da er weiter an ihrem Herzen reißen wollte, verbot der Bischof ihm zu reden. Nun murrten die Bauern wider den Bischof; sie murrten so laut und in so drohendem Tone, daß Michael Cibula ihnen Ruhe gebieten mußte. Dann sprach er weiter, dem Bischof den Rücken kehrend:

»Was meint ihr wohl, wenn heute unsere Väter an unserem Platze ständen – was meint ihr wohl, daß unsere Väter sagen würden, nachdem ein Bischof zu ihnen gesprochen: »Begebt euch eurer Rechte und Freiheiten, handelt unehrlich, oder ich, der Bischof achte und fluche euch!« Was, meint ihr, hätten unsere Väter wohl auf eine solche Forderung dem hochwürdigen und heiligen Herrn Bischof entgegnet?«

Und plötzlich, dem Bischof sich zuwendend, rief Michael Cibula mit mächtiger Stimme:

»Tief hätten sich unsere Väter vor dem Bischof geneigt; aber entgegnet hätten sie ihm: »Hochwürdiger und heiliger Herr Bischof! Unsere Rechte, deren Ihr uns berauben wollt, sind von unseren Vätern auf uns gekommen, damit wir sie hoch und heilig halten und sie als hoch und heilig unseren Söhnen hinterlassen sollen. Und hoch und heilig, wie unser Recht, gilt uns unser verpfändetes Wort. Deshalb, hochwürdiger und heiliger Bischof, tut, was Eures Amtes ist, und laßt uns tun, was unser Recht ist.«

So würden unsere Väter sprechen, stünden sie heute an unserem Platz, und nachdem sie also gesprochen, würden sie vor dem Bischof sich neigen und schweigend diese Halle verlassen. Wer von den Söhnen wird heute nicht das Gleiche tun, was seine Väter an seiner Stelle hier getan hätten?!«

Und vor dem Bischof sich neigend, wollte Michael Cibula die Halle verlassen, wollten alle die Halle verlassen. Aber da, auf einen Wink des Bischofs, riß einer vom Gefolge die Türe auf. Herein stürzten die Weiber und drängten die Männer zurück.

*

Und von einem aus dem Gefolge ließ Bischof Mauricius den Bann vorlesen, den er über Piatra verhängte – über ganz Piatra! Mit gewaltiger Stimme rief der Priester den furchtbaren Fluch über die Bauern und ihre Weiber und ihre Kinder aus; aber so mächtig er auch rief, ging, doch manches Wort des entsetzlichen Fluches unter in dem Ächzen und Schluchzen der Weiber.

Wen die Halle nicht mehr fassen konnte, der stand auf dem Platze und schaute nach dem Hause hinüber, als stünde dieses in Flammen und es verbrennten alle, die darinnen waren.

Aufheulten die Frauen.

Viele warfen sich nieder. Mit dem ganzen Leibe lagen sie am Boden und schrien den Himmel, die Heiligen und den Bischof um Gnade an. Aber die Gnade wurde ihnen verweigert. Da sprangen sie wieder auf, stürzten zu ihren Männern hin, schrien auf sie ein, flehten und baten; flehten und baten für sich, für ihre Kinder.

Aber ihrer Bitten wurde nicht geachtet. Sie drohten, sie verwünschten – – Die Männer standen vor den Rasenden mit Gesichtern, die erstarrt schienen. Da rauften die Weiber in aberwitziger Angst ihr Haar, stürzten mit flatterndem Haar hinaus und in die Kirche, warfen sich vor den Altären, vor den Heiligen, vor der Muttergottes hin, zerschlugen sich die Stirnen, rangen die Hände und füllten die Wölbungen mit ihrem Jammergeschrei.

Andere holten ihre Kinder herbei, schleppten sie zu ihren Vätern hin, ließen die unschuldigen Kinder vor den unbarmherzigen Vätern jammern und flehen.

Aber die Männer hörten nicht.

Da, mit einem wildgerufenen Anathema, verließ der Bischof die Halle, und sein Gefolge eilte ihm nach als wie in der Flucht.

Nun begaben sich auch die Bauern nach Hause, in tiefem Ernst und Schweigen, wie sie gekommen waren.

Die Weiber liefen, ihre Männer verwünschend, hinterher.

Voller Entsetzen entwichen die Fremden aus Piatra.

*

Langsam schritt Michael Cibula seinem Hause zu. Da, hörte er hinter sich seinen Namen rufen; laut, angstvoll, fast flehend. Er erkannte die Stimme. Aber da er sich nicht denken konnte, weshalb jene Stimme ihn so laut und flehend anrief, blieb er nicht stehen, kehrte sich auch nicht um, sondern ging ruhig seines Weges.

Vor seinem Hause stand Josepha, und als sie ihren Mann kommen sah, da war es, als wollte sie mit ausgebreiteten Armen auf ihn zustürzen. Doch ehe sie ihn erreichte, wankte sie, fiel hin und schlug mit dem Kopf hart auf dem Boden auf.

Michael Cibula glaubte, auch sein Weib habe ihn anwinseln wollen; er ließ daher Josepha liegen und schickte Russka zu der Bewußtlosen hinaus. Dann schloß er sich in seine Schnitzkammer ein. Das Holzbild grollte ihm, um es zu begütigen, mußte Michael Cibula eine schwere Sühne geloben.

Stefan Dozana, nachdem er umsonst laut und flehend Michael Cibula angerufen, ging in den Wald, wo er am wildesten war, warf sich dort auf den Boden nieder und weinte bitterlich.


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