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IX.

Gegen Mittag war die Ausschmückung des Bogens beendet, desgleichen der ganze Weg vom Portikus bis zum flaminischen Theater mit kostbaren Stoffen belegt, darüber die Jungfrauen Blumen streuten: Myrrhen und dunklen Lorbeer, auch Krokus, Veilchen und Narzissen. Zu beiden Seiten der Straße standen die Juden aufgestellt, lebendige Mauern, bestimmt, niederzusinken in den Staub, sobald der göttliche Priester ihnen nahte. Unter dem Bogen selbst warteten die Aeltesten der Gemeinde, die Rabbiner und die Chorsänger. Mein Vater hielt das Buch, welches die Synagoge dem Papst darbrachte, und ich stand, köstlich gekleidet, allen Sängern voraus, weil ich allein vortreten sollte. Und wir harrten unter Zittern und Zagen.

Um die Mittagsstunde begannen alle Glocken zu läuten. Es war ein Tönen und Dröhnen, als wären die Lüfte Schall und Klang geworden; ein Brausen war's wie von einem Sturm. Mir Ungläubigem und für das Heil Verstocktem erbebte dabei das Herz in der Brust. Ach, die christlichen Glocken waren ja die Posaunen, bei deren Schmettern die Mauern der Juden fielen gleich reifen Aehren vor der Sichel des Schnitters.

Ich schaute mich um und gewahrte, daß die Gesichter der Juden blaß waren, als stünden sie wehrlos einem schrecklichen Feinde gegenüber. Nur die Ebräer aus dem Thal der Egeria, welche sich von uns anderen. Frommen und Gerechten, abseits hielten, zeigten gelassene Mienen; und die Mutter Myrrhas trug wiederum ein Lächeln wie von Spott und Hohn um die Lippen. Die Tochter anzublicken fehlte mir das Herz; doch ich wußte wohl, wo sie stand, und fühlte auch, daß sie zu mir herüberäugelte, die schimmernde Schlange!

Aber alsbald schlug meinen Geist die Macht und Herrlichkeit der christlichen Kirche, daß mir dabei schier die Sinne vergingen. Es war, als käme ein Gott dahergezogen. Die Luft funkelte vom Glanz des Goldes und vom Leuchten der Edelsteine; und die Stimmen, die dem Erkorenen zujauchzten, übertönten die brausenden Wogen des Glockenschalls. Hoch über allem schwebend, gewahrte ich ein gewaltiges Kreuz, daran der blasse Leib desjenigen hing, den die Juden geschlachtet. Ach, und mir schien, als rinne aus der Speerwunde an der Seite des Göttlichen ein Strom Blutes, welcher sich wie ein rotes Meer auf uns zuwälzte und über unseren verdammten Häuptern zusammenschlug. Wie niedergeschmettert von dem Zeichen des Christentums stürzten die Juden zu Boden und lagen mit ihren Stirnen im Staube. Darauf begann der Lobgesang der Ebräer. Ich aber schloß die Augen, denn ich sollte nun, nachdem der Chorus verklungen, mein Carmen absingen.

Es ward ganz still. Ich stand und vermeinte keinen Ton aus der Kehle bringen zu können. Weit öffnete ich meine Augen und starrte vor mich hin und sah vor mir einen goldigen Glanz und in diesem Schein ein menschliches Angesicht, starr und regungslos wie ein ehernes Bildnis. – Solchermaßen erschien mir zu jener Stunde das Antlitz, welches ich jetzt anbetungswürdig und göttlich finde – – Aber der Geist des Herrn kam über mich, daß ich trotz meiner Seelenangst mit schier himmlischer Stimme zu singen anhob. Also muß ich meinen Gesang vor dem Papst für den Anfang des Wunders nehmen, welches sich späterhin an mir erfüllen sollte.

»Ecce, super Tiberim positum de marmore pontem!« Also begann mein Gesang.

Als ich geendet, ging es wie ein leises Summen durch die ungeheure Menge. Dann trat mein Vater vor, warf sich nieder und hielt dem Papst das Buch mit den Sprüchen und Malereien entgegen. Nieder warfen sich auch die Aeltesten, und der Patriarch überreichte dem Papst die Rolle des Gesetzes, also dabei sprechend:

»Heiligster Vater! Wir ebräischen Männer flehen Eure Heiligkeit im Namen unserer Synagoge an, daß Ihr geruht, uns das Gesetz, welches der allmächtige Gott unserem Priester Moses aus dem Berge Sinai übergab, zu bestätigen und zu billigen, wie auch andere Päpste, die Vorgänger Eurer Heiligkeit, es bestätigt und gebilligt haben.«

Darauf sprach der Papst die göttlichen Worte:

»Confirmamus, sed non consentimus«

Und ließ das heilige Gesetz der Juden auf die Erde fallen, daß der ganze Zug der Christen darüber hinwegschritt.

*

Die Menge der Kardinale, Bischöfe, Prälaten, Aebte, Priester und Mönche war eine so gewaltige, daß von der Gesetzesrolle, über die sie hinweggeschritten, nur noch Fetzen übrig blieben – –

Es währte viele Stunden, bis die Menschenwoge vorübergebraust; und man erzählte sich: der Papst habe bereits im Petersdom vor dem Altar gekniet, als die letzten des Volkes den Platz vor dem lateranischen Palast verlassen. Bis die letzten des Zuges durch den Bogen gegangen, mußten die Juden ihre Demütigung erleiden und viele unserer Weiber sind darüber für tot niedergefallen.

Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang, da wir den Bogen seiner Umhüllungen entkleideten, die zerrissenen Decken und beschmutzten Teppiche vom Boden aufnahmen und uns anschickten, in unsere Stadt zurückzukehren. Ich hatte seit dem Mittag kein Wort mit Mose geredet. Da ich nun zu ihm trat, wunderte ich mich über sein Wesen, welches von einer absonderlichen, seligen Heiterkeit war, nicht anders, als habe er sich die ganze Zeit über mit seinem Gott beredet und von diesem eine Verheißung erhalten.

Denselben Weg, den wir gekommen, schlichen wir wieder zurück; und im Ghetto angelangt, wurden, wie alle Tage, hinter uns die Thore geschlossen. Kaum war das geschehen, als das Wehgeschrei losbrach. Alle Weiber rauften sich das Haar und zerschlugen sich die Brüste; andere zündeten auf dem Platze vor der Synagoge ein Feuer an, welches sie von den köstlichen Teppichen und Stoffen nährten, die zu dem Triumph der Christen gedient hatten. Die ganze Nacht hindurch reinigte sich alles Volk im Tempel durch Gebet von dem Schimpf des Tages. Ich mußte wiederum singen, dachte aber nicht an Jehovah, den Herrn, sondern an Myrrha, die Tochter des Weibes Judäa.

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