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Nun wußte ich, daß sie Mose niemals lieb haben würde; den armen Judenjüngling mit den gelähmten Gliedern und dem hageren gelben Antlitz. Und nun litt ich wiederum um ihn wahre Qualen des Mitleids, das die reizende Teufelin, Gott weiß, durch welche Höllenkünste, mir eine Zeit lang gleichsam aus der Seele gesogen hatte – wohl während sie ihre Lippen auf die meinen drückte. Aber diesesmal hatte sie keine Macht über mich. Und konnte sie nicht lieben, so sollte sie wenigstens Mitleid empfinden! Ach, ich wußte zu jener Zeit noch nicht, daß die Natur, von der sie ein Teil war, auch gänzlich mitleidslos ist.
Während sie ihre Kränze flocht, deren sie immer etliche haben mußte und die sie entweder auf ihr Haupt oder auf meines setzte, oder an einem Zweige aufhing, oder über einen alten Römerstein legte – unterdessen sie Blumen und Blätter ineinanderschlang, fand ich kein Ende, ihr von meinem Freunde zu erzählen; und je mehr ich von ihm sprach, um so herrlicher erschien er mir selbst, um so höhere Worte suchte ich für ihn, bis ich einem Jünger glich, der ausgezogen war, ungläubigen Völkern von seinem Herrn und Meister zu verkünden.
Aber wenn ich meinte, sie müsse ganz Bewunderung und Verehrung sein und in Mitleid zerschmelzen, blieb sie gelassen, als hätte ich zu einem Steinbilde und nicht zu einem atmenden Geschöpf gesprochen. Sprach ich alsdann heftig auf sie ein, ihr mit Thränen in den Augen ihre Fühllosigkeit vorwerfend, schaute sie mich erschrocken an, saß hilflos da und verstand weder, was ich an Mose so herrlich fand, noch weshalb ich also um ihn klagte; wie sie denn auch nicht begriff, warum ich mit ihr zürnte und was für Empfindungen ich von ihr verlangte.
Bald merkte ich, daß sie sich vor Mose zu fürchten begann und leise erschauerte, sobald ich seinen Namen nannte. Da schwieg ich, ich schwieg voll blutigen Mitleids mit ihm.
Aber auch Myrrha dauerte mich, ach, ganz unsäglich!
Wenn ich jetzt des Abends nach der Stadt zurückkehrte, pflückte ich häufig Blumen, oder ich ließ mir von Myrrha welche pflücken. Noch lieber nahm ich einen ihrer Kränze mit mir nach Haus und zwar einen, den sie auf ihrem schönen Haupte getragen. Diese Blumen trug ich abends spät oder des Nachts in die Via Fiumara, woselbst ich sie auf der Schwelle des armseligen Hauses niederlegte, in dem Mose mit seiner Mutter wohnte: hatte ich ihn doch schon einmal mit Blüten belogen und dadurch glücklich gemacht.
Ach nein, Myrrha ließ ihn nicht grüßen, nicht einmal aus Mitleid.
Eines Tages harrte ich wiederum im Eichenwäldchen, aber Myrrha blieb aus. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel und auf der ganzen Steppe war nichts von einer feinen, kleinen Gestalt im roten Röcklein zu erblicken, und ich ward immer heftiger von einer unsäglichen Sehnsucht ergriffen. Zugleich befiel mich eine große Bangigkeit, als wäre die ganze Welt ausgestorben und ich darauf der einzige Mensch. Ganz zitternd lief ich aus dem Hain und den Hügel hinab.
Hier lag zwischen Sumpf und Dickicht das Lager der schändlichen Ebräer. Sie hatten sich aus Röhricht und Strauchwerk Hütten verfertigt, wie solche die wandernden Hirten zu bewohnen pflegen, welche armseligen Unterschlupfe Capannen genannt werden. Andere Mitglieder des Stammes hatten sich in den vielen Höhlen und Grotten angesiedelt, davon die braunen Tufffelsen ringsum voll sind. Oder sie benützten als Wohnungen die Römerruinen, deren in jener Gegend eine Legion ist, daß darin ein ganzes Volk geräumigen Platz finden könnte.
Mir bebte das Herz, als ich mich dem Lager näherte. Aber die weißen, wilden Hunde, die es hüteten, erkannten mich; und anstatt sich auf mich zu stürzen, kamen sie in großen Sprüngen herbei, wedelten mit ihren buschigen Schweifen und bezeugten fast Freundschaft für mich, durch welches vertrauliche Gebaren der sonst so wütenden Bestien Myrrhas Mutter verraten ward, daß ich oft und heimlich mit ihrem Töchterlein zusammen war.
Denn das Weib Judäa stand vor dem Eingang einer Grotte, darinnen über einem hellen Feuer ein Lämmlein briet. Ein feiner blauer Rauch stieg aus der dunklen Tiefe in den sonnigen Tag hinauf und umwölkte die arge Frau, die, wie ich bereits gemeldet habe, von einer schier gewaltigen Schönheit und Wohlgestalt war. Sie schaute mir gelassen entgegen, und ich ward von ihrem bösen Blick sogleich gebannt; also, daß ich mich nicht zu regen vermochte. Ich stand still und harrte, was mit mir geschehen würde, und dachte an Myrrha, von welcher auch hier unten nichts zu sehen war. Nur einige Weiber kamen herbeigelaufen und verwunderten sich unter großem Geschrei, daß die Hunde mir nichts zu leide gethan, worauf sie mich nach meinem Begehr befragten. Denn weil ich gut gekleidet ging, hielten sie mich für einen, der nach ihren teuflischen Diensten verlangte. Und es fragte mich die eine: Ob sie mir wahrsagen sollte? Sie wollte es thun. Die andere: Ob mich nach einem Liebchen verlangte? Sie wollte es mir verschaffen. Die dritte bot mir Geld, die vierte einen Liebestrunk – Welt, wie bist du voller Unzucht und Sünden!
Nachdem alle eine Zeit lang mit heftigen Geberden auf mich eingeredet und ich kein Wort zu erwidern gefunden, indem ich unverwandt auf Myrrhas Mutter schaute, erhob diese plötzlich ihre machtvolle Stimme und sprach:
»Laßt alle von ihm ab! Dieser schmucke Knabe begehrt nichts von euch, sondern er ist zu mir gekommen. Darum seid stille mit eurem Geschrei. Du aber, Dahiel, Sohn des Simeon und der Hannah Sarfadi, geh mit mir.«
Und sie wendete sich von mir ab, der Grotte zu. Alsbald, da sie mich nicht länger ansah, konnte ich mich regen und ich that, wie mir geboten worden und folgte dem schlimmen Weibe in die finstere Höhle, wohl gewahrend, daß von den anderen eine jede mich gern für sich behalten hätte; aber sie hatten Furcht vor dem gewaltigen Weibe, das über ihren Stamm zu herrschen schien wie eine biblische Königin über ihr Volk. Ganz stille begaben sich die schändlichen Kupplerinnen und Schächerinnen davon, eine jede in ihre Höhle oder in ihre Capanna an ihr Geschäft, das übel genug sein mochte.
Als ich nun mit Judäa allein in der Grotte stand, redete die Mutter Myrrhas mit herber Stimme mich an: »Sprich, was willst Du?«
Was sollte ich darauf wohl erwidern? Also schwieg ich. Das Weib sprach weiter, vielmehr es gebot mir von neuem:
»So frage mich doch nach meiner Tochter! Denn um ihretwillen bist Du ja doch nur gekommen. Und um ihretwillen wirst Du wiederkommen, morgen und jeden Tag, wenn ich Dir heute keine Antwort gebe oder meiner Tochter verbiete, sich zu Dir zu schleichen, morgen und jeden Tag.«
Sie schwieg und ich fragte gehorsam: »Wo ist Myrrha?«
Ihre Mutter erwiderte:
»Was willst Du von meinem Kinde, das kein Kind mehr ist, sowie Du kein Knabe mehr bist? Was also willst Du von ihr?«
Was sollte ich von Myrrha wollen? Daß sie bei mir sei und daß sie bei mir blieb, jetzt und immerdar.
Das sagte ich ihrer Mutter, welche mir still zuhörte, mit einem bösen Lächeln um ihren Mund.
Als ich ausgeredet, sprach sie nichts, sondern stand und sah in das Feuer zu ihren Füßen, aus welchem die roten Flammen zu ihr aufschlugen, als ob sie ihren schönen Leib voll heißer Glut umfangen wollten. Alsdann raunte sie in die Lohe hinein:
»Also hat es sich erfüllt und es ist gekommen, wie es kommen sollte und mußte, und bleibt keine Schuld auf Erden ungesühnt. Und wird gerächt jede Schuld – nicht durch Jehovah, sondern vom Menschen am Menschen.« Und ihre blitzenden Augen erhebend: »Du aber, junger Dahiel, gehe zu Deinen Eltern und sage denen, die Dich gezeugt haben, daß sie kommen sollten und bei mir meine Tochter für ihren Sohn zum Weibe begehren. Ich sage Dir: eher vermählte Dein frommer und weiser Vater Simeon Dich mit einer Totschlägerin, als mit Myrrha, der Ebräerin aus dem Thale der Egeria, von der Dein Herz nimmer lassen kann. Also wird es sich erfüllen und wird Jammer und Elend kommen über die, die Dich lieben, wie es ihnen von mir verkündigt worden. Und wird sich noch weiter meine Weissagung erfüllen: durch Dich an Deinem Stamm, den ich hasse wie nichts sonst unter der Sonne.«
Ich fühlte, wie bei dieser Rede Judäas ein gewaltiges Herzeleid über mich kam, ein Strom von Kummer und Traurigkeit meine Seele durchflutete; weil ich ausersehen sein sollte, Jammer und Kummer über die zu bringen, die mich liebten.
Ich stand noch und wußte nicht ein noch aus, als ich aus der Ferne die Stimme Myrrhas vernahm, die den Hunden zurief, stille zu sein. Denn diese Bestien hatten ein grimmiges Geheul erhoben, als ob sie das Judenlager vor einem angreifenden Feinde verteidigen wollten. Ach, wie lauschte ich auf die liebe Stimme, die mit ihrem süßen Wohllaut wie durch Zaubergewalt alles Leid von mir nahm, das Myrrhas Mutter mit ihren fürchterlichen Worten mir angethan. Allsogleich wollte ich fort und meinem sonnigen Leben entgegen; aber Judäa vertrat mir den Weg, blitzte mich mit ihren feurigen Augen zornig an und rief:
»Nicht eher sollst Du zu ihr, als bis Dein Vater und Deine Mutter diese Höhle betreten und mich für Dich um meine Tochter gebeten haben.«
Damit wies sie mich fort, mit so gebietender Geberde, daß ich ihr wiederum schweigend Gehorsam leistete und langsam davonging in der entgegengesetzten Richtung, von der noch immer Myrrhas Stimme erklang und noch immer das Geheul der Hunde erscholl. Aber ich wich nicht weiter, als bis zu dem nächsten Dickicht, wo ich mich verbarg, um Myrrha kommen zu sehen.
Sie kam indessen nicht allein, und zwar war es der junge Franziskanermönch, den sie vor den Hunden schützen mußte. Doch schien sich der Priester um die heulenden Bestien so wenig zu kümmern wie um die Felsen, neben denen er hinschritt. Alsbald kamen wiederum viele Weiber gelaufen, auch einige Männer. Aber sie bezeigten keine große Neugierde, zu vernehmen, was der junge Mönch in der Wildnis bei den Juden wollte. Vielleicht wußten sie es. Sie standen umher und schienen zu warten, daß der Christ zu ihnen rede. Auch Judäa trat aus der Grotte und fuhr zornig auf ihr Töchterlein ein: wo sie die Kutte aufgelesen und warum sie den Mann ins Lager gebracht? Ehe Myrrha antworten konnte, rief der Mönch:
»Scheltet das Mädchen nicht. Ich bin ihr auf der appischen Straße begegnet und verlangte von ihr, daß sie mich zu Euch führe.«
»Und was wollt Ihr bei uns?«
»Zuerst nur sehen, wo und wie Ihr hauset.«
»Dann seht es!« rief die Jüdin höhnend. »Und wenn es Euch bei uns gefällt, kommt wieder. Es ist schon mancher von euch zu uns gekommen und hat von uns gemeint, wir lebten wie die Tiere der Wildnis, ist gegangen und ist wiedergekehrt, uns das Heil zu bringen, wie er es nannte. Aber wir wollen nicht das Heil, denn wir kennen es. Wir kennen euch! Ihr meint, weil wir Juden sind, von den Juden ausgestoßen, könntet ihr uns mit eurem Golde um so leichter betrügen. Aber ich sage euch: euer Gold ist falsch und falsch seid ihr! Und wenn wir die hassen, die unseres Glaubens sind und die von euch verachtet werden, so kümmert das euch nicht, die ihr andern Glaubens seid, aber darum nichts Besseres: denn, Mönch – wir kennen euch! Du weißt recht wohl, wie gut wir euch kennen – besonders die Männer eures Glaubens und die, welche euer Kleid tragen, sie, die Priester und heilig sind. Nun mögt Ihr uns predigen und versuchen, uns zu bekehren. Bekehrt uns nur!«
Damit drehte das Weib dem Mönch den Rücken, rief Myrrha zu sich und trat mit ihr in die Höhle. Nun wollten sich auch die übrigen entfernen. Aber der junge Mönch begann zu reden und einige blieben stehen und hörten ihm zu. Da begann Judäa in der Höhle einen Psalm Davids zu singen, mit solcher kräftigen Stimme, daß es die Worte des Mönches übertönte: und es währte nicht lange, so sangen alle Ebräer den Psalm mit. Da wich der junge Priester. Ich vernahm seinen starken Ruf, daß er wiederkommen würde.
Der Gesang der Ebräer schallte hinter ihm drein.
Eine Weile harrte ich noch in meinem Versteck; doch Judäa behielt ihre Tochter bei sich in der Grotte. Denn ich vernahm, wie sie ihr gebot, sich ans Feuer zu kauern und den Spieß mit dem Braten zu wenden; und da es während dieser Begebenheiten hoher Nachmittag geworden, konnte ich nicht länger warten. Also kroch ich aus dem Dickicht hervor und es war mir zu Mute, als hätte ich in der Grotte der heidnischen Göttin Egeria meine Jugend zu Grabe getragen.
*
Ich schritt stille meines einsamen Weges, wobei ich wie sonst auf alles achtete. – Aus dem Sumpf fliegt ein silbergrauer Reiher auf, um eine Tempelruine kreisen braune Falken, eine große, schöne Schlange liegt mitten im Weg, bleibt auch ruhig liegen, ihren breiten Kopf mir entgegen gerichtet. Es ist eine Kreuzotter und ich weiche ihr aus. Jetzt rauscht es in den Oelbaumbüschen, das ist ein Wildschwein oder ein Büffel. Ich bleibe stehen und höre, wie das Tier durch die Dickichte bricht, dem Bächlein Almo zu. Nun wird es still. Nein, nun schlägt ein Wachtelkönig! Auf den Schlag dieses Vogels zu merken, hat Myrrha mich gelehrt; auch den Namen habe ich von ihr, wie alles, was ich von der Natur kenne.
Ich bleibe stehen und sehe aufmerksam den Himmel an, von dem sich eine gewaltige graue Wolkenwand zur Erde niedersenkt, hinter welcher ich wie durch dichte Schleier Rom und das etruskische Gebirge sehe. Auf der Stadt liegt der Glanz des Abends, rot wie Flammenschein. Nun zieht der Vorhang sich auseinander und ich schaue in die untergehende Sonne.
Es ist so feierlich!
Und auf einmal beginne ich bitterlich zu weinen, setze mich am Wege nieder, schlage die Hände vors Gesicht, weine und weine – – »Dahiel!«
Als ich in die Höhe fahre – obgleich gar nicht erschrocken; denn noch niemals, so däuchte mir, war mein Name so weich und liebreich gerufen worden, selbst nicht von meiner Mutter – da ich aufschaue, steht der junge christliche Priester neben mir, legt seine Hand auf mein Haupt und blickt zu mir nieder, mit Augen so sanft und zärtlich wie seine Stimme gewesen. Und er fragt mich:
»Dahiel, lieber Jüngling, warum weinst Du?«
Nun war er, der mich also fragte, ein Christ, und ich hätte vor ihm mein Herz verschließen sollen mit ehernen Banden und hätte denken müssen, daß er und ich nichts miteinander gemein hatten, daß jedes vertrauliche Wort, von mir zu ihm gesprochen, ein Verrat war, von mir an meinem Volke begangen und an dem Gott meines Volkes. Ich hätte aufstehen sollen und von ihm weichen wie das Wild vor seinem Verfolger, wie ein Unreiner vor dem Reinen – wie ein Jude vor dem Christen! Aber wie ich schon einmal vor ihm gestanden und dem christlichen Priester von meiner Sehnsucht gestammelt hatte, so blieb ich auch diesesmal: hilflos, nicht aus noch ein wissend in der kindischen Unerfahrenheit meines gewaltigen Leides um meine unsägliche Liebe. Ich wich also nicht, aber ich schwieg.
Da setzte er sich an meine Seite, umfaßte mich wie ein Bruder den andern, drückte mein Haupt sanft gegen seine Schulter, auf daß ich ihm nicht ins Gesicht zu schauen brauchte und ihm meine Thränen verbergen konnte; und er flüsterte:
»Sage mir, warum Du weinst.«
Ich sagte ihm alles, vom ersten Anblick Myrrhas bis zum letzten, so gut ich kindischer Knabe eine solche wundersame Sache eben sagen konnte. Er hörte mir still zu und einmal vernahm ich, wie er seufzte, laut und unendlich schmerzlich. Da schaute ich auf und sah ihn dasitzen, das blasse Antlitz tief auf die Brust niederhängend und große Thränen über seine Wangen rinnend; also daß ich schnell meinen Blick von ihm wendete, damit er, der Christ und Priester, sich nicht vor mir, dem jungen Juden, schämen mußte. Nun saßen wir beide schweigend, bis die Dämmerung anbrach und mich jäh aufschreckte; indem mir einfiel, daß bald die Thore des Ghettos geschlossen würden.
Auch der Priester stand auf und sagte in tiefer Bewegung:
»O Dahiel, da ich Dich hier am Wege sitzen und weinen sah, glaubte ich, Du seiest unglücklich und verlassen; und nun vernahm ich, daß Du glücklich bist, an Gnaden reich. Denn Dein ist die göttliche Liebe, nach welcher Du Dich sehnst und welche Du im Himmel suchst.«
Er wollte noch mehr sagen, aber er stockte, schwieg eine Weile, schaute vor sich nieder und redete dann weiter, und ich merkte an seinem Tone, wie schwer es ihm wurde:
»O Jude, der Du die göttliche Liebe im Weibe gefunden hast, Du solltest billig auch streben, Dir die Liebe in Gott zu eigen zu machen; in jenem Gott, der da ist der ewig wahre, der einzig göttliche Gott in der Kirche meines Herrn und Heilandes Jesus Christus. Zu ihm will ich beten, er möge Dich erleuchten und zu sich führen – obschon ich fürchte, daß Du den Weg zu ihm nicht finden wirst; denn diesen schreiten nur solche, die da sind mühselig und beladen. Und nun ziehe hin in Frieden. Aber morgen tritt vor Deinen Vater und bitte ihn, Dir die Jungfrau, die Dir lieb ist, zum Weibe zu geben. Es ist ein holdseliges Geschöpf und Du wirst mit ihr gesegnet sein, mehr, als würde ich zum Segen meine Hände auf Dich legen.«
Damit winkte er mir zu, ihm nicht zu folgen, und schritt davon, obschon wir einen und denselben Weg hatten und es bereits zu dunkeln begonnen, zu welcher unheimlichen Stunde doch jeder auf der Landstraße gern einen Genossen hat.
Ich harrte, bis er meinen Augen entschwunden und trat dann auch in Hast meinen Rückweg an. Nun hatte ich einem Christen und Feind meines Volkes meine heimliche Liebe und meinen verborgenen Gram verraten, hätte also voller Gewissensangst sein müssen, mich sogar heftig schmähen und verachten sollen. Trotzdem war mir die Seele leichter, viel leichter geworden! Denn wie hatte der Christ gesagt?