Edgar Wallace
Die Bande des Schreckens
Edgar Wallace

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16

Als Long wieder in seinem Büro in Scotland Yard saß, erhielt er von einem Beamten Nachrichten, die ihn in Erstaunen setzten. Der Mann war den ganzen Morgen in Somerset House gewesen und hatte die Heiratsregister durchgesehen. Nachdem er Bericht erstattet hatte, wurde er zu weiteren Nachforschungen ausgeschickt.

Der Wetter ging später zu seiner Wohnung nach der James Street, wo er seinen Koffer gepackt vorfand. Er telephonierte nach Marlow und erfuhr, daß Monkford in Begleitung des Detektivsergeanten Rouch bereits abgereist war.

Um neun Uhr abends traf Long selbst in Heartsease ein. Er übergab seinen Wagen dem Garagenmeister und trat in die große, altertümliche Halle des Hotels. Obgleich die Golfspiele noch nicht begonnen hatten, war das Haus bereits ziemlich besetzt.

Monkford hatte schon zu Abend gegessen und war in verhältnismäßig guter Stimmung. Er begrüßte Long und unterhielt sich eine Weile mit ihm.

»Ist Miß Revelstoke eigentlich sehr reich?« fragte der Wetter im Lauf des Gesprächs.

»Ja.« Monkford gab nur widerwillig Antwort, denn Bankiers lieben es nicht, über die Finanzlage ihrer Kunden zu sprechen. »Sie ist verhältnismäßig wohlhabend. Ich kann sogar sagen, daß sie reich ist. Sie lebt sehr einfach, aber sie hat ein großes Einkommen. Ihr Depot wurde übrigens früher einmal Ihrem Vater angeboten, aber aus irgendwelchen Gründen lehnte er es ab. Damals hatte sie fast dreiviertel Millionen auf der Bank.«

Das war eine neue Nachricht für Wetter Long. Er wußte, daß sein Vater ein sehr tüchtiger Geschäftsmann war, der die größten Anstrengungen gemacht haben würde, um eine so gute Kundin zu bekommen.

»Das kann ich eigentlich kaum glauben.«

»Ja, es war auch wirklich eigentümlich. Die meisten Bankiers hätten viel darum gegeben, die Verwaltung in die Hand zu bekommen. Und Sir Godley lehnte keineswegs aus Rücksicht auf mich ab. Aber, bitte, sprechen Sie nicht mit ihm darüber.«

Mr. Monkford war nervös geworden. Bei dem geringsten Geräusch fuhr er zusammen.

»Ob wohl Miß Revelstoke die junge Dame mitbringt?« fragte er, bevor der Wetter ging. »Ein wirklich charmantes Mädchen«, sagte er dann halb zu sich selbst. Aber plötzlich wechselte er das Thema wieder sprunghaft. »Mr. Crayley kommt doch morgen auch? Sie scheinen ihn nicht gerade sehr zu schätzen?«

»Das ist schwer, wenn jemand weiter keinen Lebenszweck hat als blöde auszusehen und Rosen zu züchten.«

Monkford lachte.

»Der alte Crayley ist ein ganz netter Kerl. Wirklich nicht so schlecht, wie Sie ihn machen. Vor allem hat er Mut. Erinnern Sie sich noch, wie er sich damals voll Kampfeifer auf Shelton stürzte?«

»Ich möchte nur wissen, was er gerade damals in Colchester gesucht hat.«

»Er hat ein Gut in der Gegend. Ich habe ihn schon zweimal dort besucht. Manchmal spielt er nämlich auch den Landwirt, allerdings nur selten.«

Long hatte während der Unterhaltung unauffällig die Riegel und Schlösser der Zimmer geprüft. Er ging jetzt in sein eigenes Zimmer und untersuchte auch dort alles genau. Schließlich stieg er noch einmal die Treppe hinunter und nahm Mr. Cravel in der Halle beiseite.

»Wäre es nicht möglich, daß Sie mir eins Ihrer Luxusappartements zeigten?« fragte er.

»Die sind alle schon bestellt.«

»Ich will es auch nicht für jetzt haben. Aber im nächsten Jahr würde ich vielleicht eins mieten.«

»Kommen Sie mit nach oben.« Cravel nahm einen Schlüssel vom Pult des Empfangsbüros und führte Mr. Long in den ersten Stock. »Sehen, Sie, hier sind Miß Revelstokes Zimmer. Sie hat das beste Appartement im ganzen Haus.«

Mr. Long betrachtete die Räume genau und wanderte von einem Zimmer in das andere.

Wahrscheinlich hat Miß Sanders das kleinere der beiden Schlafzimmer, dachte der Wetter für sich.

»Mr. Long, ich glaube, es hat Sie nicht nur äußere Neugierde hergetrieben. Sie sind sicher dienstlich hier.«

»Im Dienst bin ich immer«, wich Long aus.

»Glauben Sie wirklich, daß etwas passieren wird? Das wäre ja schrecklich! Das Hotel würde den Skandal nicht überleben, wenn nächste Woche das Golfturnier gestört würde!«

Der Wetter lächelte ironisch.

»Das Haus hat schon so manchen Skandal miterlebt, wenn ich mich nicht sehr irre.«

»Diese Art von Skandalen meine ich nicht. Dergleichen passiert überall, davor kann man sich nicht schützen. Solche Sachen nimmt auch niemand tragisch. Aber wenn hier jemand ermordet würde, wäre es der Ruin für mich!«

»Nicht nur für Sie, vor allem auch für den Mann, der ermordet wird. Aber Sie brauchen sich nicht zu fürchten, Mr. Cravel. Ich werde alles tun, um einen Mord zu verhindern.«

Am nächsten Tag war Sonntag, und als der Wetter gegen Abend durch die Halle schlenderte, entdeckte er ein bekanntes Gesicht. Er ging auf Jack Crayley zu und gab ihm die Hand.

»Entsetzliches Wetter«, beklagte sich der lange, hagere Herr und strich seinen Schnurrbart. »Ich hätte entschieden nach Deauville gehen sollen. Golf ist überhaupt ein langweiliges Spiel.«

Er lächelte Miß Alice Cravel zu, die gerade durch die Halle zu ihrem Büro ging.

»Eine hübsche Dame«, meinte er. »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen«, wandte er sich vertraulich an Long, »ich wäre überhaupt nicht hergekommen, wenn sie nicht hier wäre.«

»Ist sie mit Ihnen befreundet?«

»O ja.« Crayley nahm sein Monokel aus der Tasche, putzte es und klemmte es ins Auge.

»Sie ist wirklich eins der charmantesten Mädchen, die ich jemals kennen gelernt habe. Aber ich habe dieses Jahr keine guten Zimmer. Diese unverschämte Miß Revelstoke hat die Räume gemietet, in denen ich gewöhnlich wohne. Das ist mir sehr unangenehm.«

»Sie können Miß Revelstoke wohl nicht besonders leiden?«

»Ich hasse sie direkt«, entgegnete Mr. Crayley mit unerwarteter Heftigkeit. »Sie ist sehr unliebenswürdig und macht immer bissige Bemerkungen. Aber jetzt will ich einmal nach oben gehen und Monkford begrüßen.«

*

Am Montag hatte sich das Wetter gebessert, und die Sonne schien vom klaren, blauen Himmel, als Miß Revelstokes schneller, eleganter Wagen vor dem Hotel hielt. Mr. Cravel begrüßte seine Gäste, und Inspektor Long, der auch anwesend war, scherzte mit Nora.

Der Dienstag kam heran und brachte den Beginn des großen Turniers. Am Mittwoch erschien Mr. Henry, und der Wetter grinste, als er das Auto des Rechtsanwalts vor dem Eingang sah. Er stand oben an Mr. Monkfords Fenster.

»Wonach schauen Sie aus?« fragte der Bankier.

»Der Rechtsanwalt Henry kommt eben. Kennen Sie ihn?«

»Natürlich. Er ist der Anwalt von Miß Revelstoke.«

Nur am ersten Abend hatte er auf seinem Zimmer gespeist. Später nahm er die Mahlzeiten in dem großen Speisesaal ein und hielt sich auch vielfach nach dem Essen in der Hotelhalle auf. Ein Tag verging nach dem anderen, und als sich keine Gefahr zeigte, vergaß er allmählich seine Furcht.

Am Mittwochabend sah der Wetter aus dem Fenster und beobachtete, daß der Bankier auf dem Rasen unten spazierenging und sich eifrig mit Henry und Crayley unterhielt. Offenbar sprachen sie über ernste Dinge. Einmal sah Monkford zum Fenster hinauf, aber er winkte Long nicht freundlich zu, wie es sonst seine Gewohnheit war. Kurz darauf gingen sie ins Hotel zurück, und fünf Minuten später hörte der Detektiv die drei im Salon sprechen, der neben Arnolds Schlafzimmer lag. Sie blieben ungefähr eine Viertelstunde dort, dann schloß sich die Tür nach dem Korridor. Long trat ein und fand Mr. Monkford allein. Es mußte etwas geschehen sein, was ihn in größte Aufregung versetzt hatte.

»Stimmt etwas nicht?« fragte der Wetter.

»Ach, es ist nichts«, erwiderte der Bankier kurz und unliebenswürdig. »Aber nach dem Essen möchte ich einmal mit Ihnen sprechen.«

»Warum denn nicht jetzt?«

»Es hat Zeit.«

»Betrifft es Sie?«

»In gewisser Weise, ja. Aber es handelt sich eigentlich mehr um eine mir befreundete junge Dame. Im Augenblick wollen wir uns nicht darüber unterhalten. Aber ich muß sagen, daß ich sehr enttäuscht bin.«

Mehr war nicht aus ihm herauszubringen, und der Wetter verließ das Zimmer. Er war höchst erstaunt über Monkfords Verhalten und suchte Crayley auf, den er in der Halle traf.

»Was haben Sie denn mit Monkford besprochen, daß er so deprimiert ist?«

Crayley sah ihn erstaunt an.

»Wir haben uns über eine rein persönliche Sache unterhalten. Wenn er Ihnen nichts erzählt hat, kann ich es auch nicht tun. Ich bin zum Schweigen verpflichtet.«

Der Wetter musterte ihn mit einem schnellen Blick. Crayley sah merkwürdig gedrückt aus, und die Haltung des Mannes beunruhigte ihn. Rechtsanwalt Henry kannte er nicht gut genug, um ihn um Aufklärung fragen zu können. Monkfords Benehmen war um so auffallender, als er am Morgen noch in sehr guter Stimmung gewesen war und Long vorgeschlagen hatte, am nächsten Tag den Golfplatz zu besuchen und den Spielen zuzusehen.

Gewöhnlich speiste er mit Monkford zusammen, aber als er sich ankleidete, kam der Diener des Bankiers und brachte ihm eine kurze schriftliche Mitteilung.

»Würden Sie so liebenswürdig sein, heute abend an einem anderen Tisch zu essen? Ich möchte mich noch mit Crayley und Rechtsanwalt Henry unterhalten.«

Der Wetter war über diese Wendung äußerst betroffen. Was hatte Monkford nur gegen ihn? Er suchte nach einem Grund, aber er konnte nichts finden, so sehr er sich auch abmühte.

Beim Abendessen beobachtete er Monkford mit den beiden Herren. Am Nebentisch saß Miß Revelstoke mit ihrer Sekretärin, und es fiel ihm plötzlich ein, daß er Nora noch eine Erklärung wegen des Ringes schuldig war.

Miß Revelstoke verneigte sich leicht und liebenswürdig, als er sie grüßte, aber in ihren Augen leuchtete es triumphierend auf.

Nach dem Essen nahm er den Kaffee in der Hotelhalle. Monkford blieb im Vorbeigehen einen Augenblick bei ihm stehen.

»Kommen Sie in fünf Minuten in mein Zimmer, Long.«

Die Worte klangen kalt und fast drohend. Der Wetter war sprachlos. Er sah genau nach der Uhr, und als fünf Minuten vergangen waren, erhob er sich und ging zum Lift.

Der Salon war leer, als er eintrat, aber er hörte Monkfords Stimme aus seinem eigenen Schlafzimmer. Offenbar war er am Telephon.

»Hallo . . . hallo . . . wer hat –«

Long hörte plötzlich einen Schuß und dann einen Fall. Entsetzt sprang er zur Tür, aber er fand sie verschlossen. Er eilte auf den Korridor hinaus und drückte auf die Klinke der äußeren Tür. Aber sie gab nicht nach.

Mit voller Wucht warf er sich dagegen, aber das starke Holz widerstand all seinen Anstrengungen. Als er sich umschaute, bemerkte er Cravel, der gerade die Treppe heraufeilte. Er sah bleich und bestürzt aus.

»War das ein Schuß?« fragte er entsetzt.

»Öffnen Sie die Tür!«

Cravel fühlte mit der Hand in der Tasche.

»Ich habe den Schlüssel nicht – warten Sie einen Augenblick.«

Er eilte die Treppe hinunter. In einer Minute war er wieder oben und schloß mit zitternden Fingern auf.

Joshua Monkford lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Den Telephonhörer hatte er noch in der Hand, und in dem Raum roch es nach Schießpulver.


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