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Peter, der Romandichter

Amber besaß 86 Pfund und 10 Schillinge – eine stattliche Summe.

Er war um fünf Uhr nachmittags bei Cynthia Sutton zum Tee eingeladen. Zuerst hatte er beabsichtigt, um ihres Bruders willen ihr das Geld auszuhändigen – dann entschied er sich dafür, dem jungen Mann sein verlorenes Geld anonym zuzusenden. Zuletzt kam er mit sich überein, die Angelegenheit im Verlaufe des näheren Bekanntwerdens zu regeln. Er hatte ein nettes Zimmer im Bloomsbury-Hotel, saß augenblicklich in einem behaglichen Lehnstuhl, rauchte eine lange, dünne, milde Zigarre und las ein unterhaltendes Buch; er war glücklich. Seine Füße ruhten auf einem Stuhl, eine Uhr tickte – es klang fast wie Musik – die Situation war ganz dazu angetan, am hellen Tag zu träumen und schließlich einzuschlafen. Um seinen Seelenzustand konnte ihn manch nützlicheres Glied der menschlichen Gesellschaft beneiden, denn er drückte vollständige und restlose Gleichgültigkeit aus.

Da klopfte es an die Tür, und er sagte: »Herein!«

Ein niedliches Zimmermädchen brachte auf einem Tablett eine Karte, und Amber nahm sie sorglos auf und las: ›Herr George Whitey‹. »Führ ihn herauf!«

Whitey war sorgfältig gekleidet. Ein seidener Zylinder und glänzende Lackschuhe sollten dazu verhelfen, seinem Äußeren nach wie ein Gentleman auszusehen. Er lächelte Amber an, stellte seinen Zylinder vorsichtig auf den Tisch und streifte seine gelben Handschuhe ab.

Amber, der die Karte an einer Ecke hielt, betrachtete ihn wohlwollend.

Als die Tür sich geschlossen hatte –

»Und was kann ich für Sie tun, mein lieber Whitey?« fragte er.

Whitey setzte sich, knöpfte langsam seinen Überrock auf und schob seine Manschetten vor.

»Sie sind Herr Amber?«

Er hatte eine sehr hohe Stimme, die pfeifend und schrill war.

Amber nickte.

»Die Sache ist die, lieber Freund,« sagte der andere mit einem Anflug von Vertraulichkeit, »Lambaire wünscht ein Einvernehmen, ein Mitmachen, und ein – na«

»Und wer ist Lambaire?« fragte Amber unschuldig.

»Lassen Sie uns miteinander reden, mein Lieber,« – Whitey beugte sich vor und tätschelte Ambers Knie – »wir wollen offen und aufrichtig sein. Wir haben herausbekommen, daß Sie – daß Sie ein alter Zuchthäusler sind – daß Sie seit drei Tagen aus dem Gefängnis entlassen sind – habe ich recht?«

Er lehnte sich mit triumphierender Miene zurück, wie einer, der ein wohlgehütetes Geheimnis enthüllt hat.

»Ins Schwarze getroffen,« sagte Amber ruhig. »Wollen Sie eine Zigarre haben oder ein Butterbrot?«

»Und dann – wir haben herausbekommen, daß Sie zur letzten Zuflucht gegriffen ... Wir hegen keinen Groll, wir nehmen es Ihnen nicht übel, wir wollen uns auch nicht rächen. Sehen Sie, wir kennen Ihnen.«

»Sie,« verbesserte Amber. »Ja –?«

»Das ist unsere Absicht.« Whitey beugte sich vor und zeichnete mit einem Finger seiner rechten Hand seinen linken Handteller nach: »Sie kamen in den Klub der Whistlers – wie Sie sich Eingang verschafften, war verblüffend – sehr gescheit, sehr gescheit – selbst Lambaire gibt das zu – wir wollen darüber hinwegsehen; wir wollen noch weiter gehen und wollen auch über das Geld hinwegsehen.«

Er machte eine bezeichnende Pause und lächelte vielsagend.

»Sogar über das Geld,« wiederholte er, und Amber zog die Augenbrauen in die Höhe.

»Geld?« sagte er. »Herr, ich unterlasse es, auf diese Spitzfindigkeit einzugehen.«

»Das Geld,« betonte Whitey, langsam und nachdrücklich. »An nahezu hundert Pfund lagen allein auf Lambaires Tisch, von den anderen Tischen ganz zu schweigen. Das Geld war da, als Sie hereinkamen – es war fort, als Sie gegangen waren.«

Ambers Lächeln war engelgleich in seiner Duldsamkeit.

»Darf ich erinnern, daß ich nicht der einzige schlechte Charakter unter den Anwesenden war?«

»Nun, die Sache mit dem Geld soll erledigt sein,« fuhr Whitey fort. »Lambaire will Sie nicht weiter verfolgen.«

»Ha! ha!« lachte Amber höflich.

»Er will Sie nicht weiter verfolgen. Alles, was er von Ihnen verlangt, ist, daß Sie von dem jungen Sutton ablassen; Lambaire sagt, daß nicht daran zu denken sei, aus Sutton Geld herauszubekommen, es handle sich um etwas Größeres als das, Lambaire sagt –«

»Oh, dieser aufgeblasene Lambaire!« versetzte Amber empört. »Setz diesem Lambaire einen Dämpfer auf, lieber Whitey! Er spricht wie der Hauptmann der vierzig Räuber. Geh zu deinem Herrn zurück, mein Sklave, und sage ihm, daß der junge Ali Baba Amber nicht in der Gemütsverfassung ist, ein Arbeitsübereinkommen zu erörtern –«

Whitey sprang auf seine Füße, sein Gesicht war ungewöhnlich bleich, seine Augen schlossen sich zu einem Spalt, so daß sie kaum noch sichtbar waren, seine Hände zuckten nervös.

»Oh, Sie – Sie wissen darum, nicht wahr?« stotterte er aufgeregt. »Ich sagte Lambaire, daß Sie darum wüßten – es ist Ihr Plan, nicht wahr? Nun, sehen Sie sich vor!«

Er erhob warnend einen Finger, zum Erstaunen des jungen Mannes vor ihm in dem Sessel.

»Sehen Sie sich vor, Amber! Die vierzig Räuber und Ali Baba, ah? So wissen Sie um alles – wer erzählte es Ihnen? Ich sagte Lambaire, daß Sie der Mann danach wären, der ein Geschäft wie dieses festhalten würde!«

Er war erregt, und Amber drehte sich schweigend und wachsam auf seinem Sitz herum, ihn besser beobachten und jede seiner Bewegungen überwachen zu können. Whitey nahm seinen Hut auf, glättete ihn mechanisch mit dem Ärmel seines Überrocks und bewegte die Lippen, als spräche er mit sich selbst. Er ging um den Tisch herum, der in der Mitte des Zimmers stand, und auf die Tür zu.

Hier blieb er einige Sekunden stehen, als überlege er einen letzten Schachzug.

»Das eine möchte ich Ihnen nur noch raten,« sagte er schließlich, »und das ist dies: wenn Sie aus diesem Geschäft lebendig herauskommen wollen, vereinigen Sie sich mit Lambaire – er wird redlich mit Ihnen teilen; wenn Sie die Karte kriegen, nehmen Sie sie mit zu Lambaire. Sie wird Ihnen von keinem Nutzen sein ohne den Kompaß – Sie müssen wissen, daß ein Lambaire den Kompaß erhalten hat, und Lambaire sagt –«

»Geh, und laß mich in Ruh',« schnitt ihm Amber das Wort ab, und Whitey ging und schlug die Tür hinter sich zu.

Amber ging nach dem Fenster, und hinter dem Vorhang konnte er das Verschwinden des Besuchers beobachten.

Ein Auto wartete auf ihn, und er stieg ein.

»Keine Weisung für den Chauffeur,« bemerkte Amber. »Wie abgemacht fährt er heim.«

Er schellte, und ein Zimmermädchen erschien.

»Jungfer,« sagte er und sah sie ungemein wohlgefällig an, »wir möchten unsere Rechnung haben – du brauchst dich nicht umzusehen, denn außer uns ist niemand da. Wenn wir sagten ›wir‹, so redeten wir wie Industriebarone oder Könige.«

»Auch mußt du den Hausknecht wissen lassen,« fuhr er heiter fort, »daß er unsere Sachen packt, denn wir gehen weg.«

Das Mädchen lächelte.

»Sie sind nicht lange bei uns gewesen,« sagte sie.

»Ein Bote des Königs,« sagte Amber ernst, »bleibt niemals längere Zeit an einem Platze; immer des dringenden Rufes Seiner Majestät gewärtig, auf den Schultern die Last der Verantwortlichkeit für die Staatsklugheit; der Merkur der Diplomatie ist der Nomade der Zivilisation.«

Er gab sich sehr gern eine Pose, und so schritt er jetzt vor den Augen des Hotelmädchens mit auf dem Rücken gefalteten Händen im Zimmer auf und ab, das Haupt bis auf die Brust gesenkt.

»Eine Nacht in London, die nächste in Paris, die dritte in Albanien im Kampf mit Straßenräubern, in der nächsten wieder die angeschwollenen Fluten der Donau durchschwimmend, zwischen meinen Zähnen die Depeschen, und auf jeder Seite des dunklen Wassers schlagen die Kugeln ein –«

»Gott!« sagte das bestürzte Mädchen, »führen Sie ein Leben!«

»Führ' ich auch,« gab Amber zu; »bring die Rechnung, min Deern!«

Sie kehrte mit der Rechnung zurück, Amber bezahlte und gab ihr ein großartiges Trinkgeld und einen Kuß, denn ihre Lenze hatten die Zahl fünfundzwanzig noch nicht erreicht.

Sein kleiner Koffer war gepackt, und ein Auto wartete unten.

Er stand mit einem Fuß auf der Gummimatte des Trittbretts, in Gedanken vertieft, dann wandte er sich zu dem wartenden Mädchen.

»Wenn ein Mann nach mir fragen sollte, dessen Erscheinung von vornherein Zweifel erregt, ein Mann mit weißlichem Haar und bleichem Gesicht, dessen Blässe mehr an eine übertünchte Gruft als an eine dunkelfarbene Lilie erinnert – kurz, wenn der Johnny, der vor einer Stunde da war, nach mir fragen sollte, so sag ihm, ich sei abgereist.«

Er blickte über die Schulter zurück, als er mit dem wartenden Hausmädchen sprach.

»Ja, Herr,« sagte sie ein wenig verwirrt.

»Sag ihm, ich sei abberufen worden nach – nach Teheran.«

»Ja, Herr.«

»Wegen einer diplomatischen Mission,« fügte er schmackhaft hinzu.

Er stieg ein und zog die Tür hinter sich zu.

Ein Laufbursche mit einem Korb am Arm stand wie angewurzelt auf der Mitte des Bürgersteigs und hörte mit offenem Munde zu.

»Ich hoffe,« fuhr er fort und überlegte mit gesenktem Kopf, »ich hoffe, im August oder September zurück zu sein, 1943 – willst du das behalten?«

»Ja, Herr,« sagte das Mädchen sichtlich bedrückt, und Amber lächelte und nickte, als er sich an den Chauffeur wandte.

»Nach Hause,« sagte er.

»Verzeihung, Herr?«

»Borough High Street,« verbesserte sich Amber, und der Wagen schoß davon.

Er fuhr in östlicher Richtung, kreuzte den Fluß an der Londoner Brücke und hielt an der St. Georges Kirche, denn Amber wollte aussteigen. Er fertigte den Autoführer ab und ging, seinen kleinen Lederkoffer, der seine spärliche Garderobe enthielt, in der Hand, mit munteren Schritten eine breite Straße hinauf, bis er an eine enge Durchfahrt kam, die von einer noch engeren und niedrigeren durchschnitten wurde. Er hielt sich sofort links, wie jemand, der seinen Weg kennt, und kam zu dem allerschmutzigsten Haus in dieser unglückseligen Gasse.

Nr. 19, Redcow Court, war nicht besonders einladend. Der Tür fehlte ein Teil ihrer Füllung, der Eingang war eng und schmutzig, und eine gewundene und zerbrochene Treppenflucht führte mit ihren unebenen Stufen zu den oberen Stockwerken.

Das Haus war erfüllt von dem dauernden Lärm gellender Stimmen, den Stimmen keifender Weiber und zorniger Säuglinge. Nachts kam in das Babel eine tiefere Note; Männer mit rauhen Stimmen brummten. Mitunter schrien sie wütend, und dann setzte es Hiebe, und man hörte das Gekreisch der Weiber; und vor der Tür von Nr. 19 gab es eine kleine Ansammlung schmutzig gekleideter Leute, die auf eine blutige Szene begierig waren.

Amber nahm zwei Stufen auf einmal und pfiff fröhlich dabei. Auf der halben Treppe des zweiten Stocks mußte er einhalten, denn zwei Babys spielten höchst gefährlich auf der läuferlosen Treppe.

Er setzte sie auf dem sicheren Treppenabsatz ab, blieb ein paar Augenblicke bei ihnen stehen, um mit ihnen zu schwatzen, und erklomm erst dann die Treppe weiter.

Im obersten Stockwerk klopfte er an eine Tür.

Es kam keine Antwort, und er klopfte noch einmal.

»Herein,« sagte eine ernste Stimme, und Amber trat ein.

Das Zimmer war viel besser ausgestattet als ein Fremder es erwartet hätte. Es war ein Wohnzimmer, das mit einem kleinen Zimmer durch eine unscheinbare Tür in Verbindung stand.

Der Boden war weiß gescheuert, in der Mitte lag ein sauberes, helles Teppichstück, auf dem ein kleiner Tisch mit geschweiften Beinen und polierter Platte stand. An den Wänden hingen zwei oder drei Bilder, alte, unmoderne Drucke, die mythologische Motive darstellten. Die »Heimkehr des Ulysses« war das eine, »Perseus und die Gorgone« das andere. Das unvermeidliche dritte war ein »Gefesselter Prometheus.«

Amber hörte ein Dutzend Vögel singen, als er die Tür leise hinter sich zumachte. Ihre Käfige hingen zu beiden Seiten des offenen Fensters übereinander an der Mauer, und das Fenstersims war mit scharlachroten Geranien zum Ersticken voll besetzt.

Am Tisch saß auf einem hölzernen, polierten Stuhl ein Mann in den mittleren Jahren. Er war kahlköpfig, sein Schnurrbart und Backenbart waren brennend rot, und doch hatte seine ganze Erscheinung, obgleich er buschige Augenbrauen besaß und sehr ernst blickte, etwas ungemein Wohlwollendes. Seine Beschäftigung war bemerkenswert, denn er nähte mit kleinen Stichen einen Kissenüberzug.

Als Amber eintrat, ließ jener die Arbeit auf die Knie sinken.

»Halloh!« sagte er und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Schlechtes Subjekt, schlechtes Subjekt – ah! Komm nur herein; ich mache dir eine Tasse Tee.«

Mit fast weiblicher Sorgfalt legte er seine Arbeit zusammen, tat sie in einen kleinen Arbeitskorb und ging geschäftig im Zimmer herum. Er trug Straminpantoffeln, die ihm ein bißchen zu groß waren, und plauderte die ganze Zeit.

»Wie lange bist du heraus? – Willst du wieder hinein? Laß deine Hände sauber! Was brauchst du zu klauen und zu stehlen? Und halte deinen Mund, und laß deine boshaften Reden. – Pfui, pfui!«

»Mein Sokrates,« sagte Amber vorwurfsvoll.

»Nein, nein, nein!« Der kleine Kerl zündete ein Holzfeuer an. »Niemand beschuldigte dich jemals boshafter Reden, wie Wild Cloud sagt – du hast die Geschichte nicht gelesen, nicht wahr? Dann hast du dich um einen Hochgenuß gebracht. ›Denver Dads Befehl an Fortuna‹ oder ›Der König der Sioux‹ – ›Soo‹ ausgesprochen. Es ist des Lesens wert. Die vierundzwanzigste Lieferung kommt heute heraus.«

Er plapperte weiter, und den Inhalt seines Geschwätzes bildeten die verzweifelten und romantischen Heldentaten des Wildwest. Peter Musk, so hieß er, war ein Heldenanbeter, ein Liebhaber von Abenteuern und ein eifriger Leser jener Romane, die eine allzu voreilige Kritik verächtlich mit »Schund« abtut. Hinter hellen Leinenvorhängen verborgen, lagen auf seinen Bücherregalen viele Hunderte dieser Hefte, von denen jedes dazu beigetragen, die Atmosphäre zu schaffen, in der Peter lebte.

»Und was hat mein Peter die ganze Zeit über getrieben?« fragte Amber.

Peter setzte die Tassen hin und lächelte etwas geheimnisvoll.

»Das alte Leben,« sagte er, »meine Studien, meine Vögel, ein bißchen Näherei – einem gebrochenen Menschen und einem, der das Leben bescheiden studiert, fließen die Tage ruhig dahin.«

Er lächelte, als ob er einen geheimen Gedanken hegte.

Amber war durch die Geheimnistuerei des kleinen Kerls weder pikiert, noch belustigt, sondern betrachtete ihn mit liebevollem Interesse.

Peter war ein ständiger Träumer. Er träumte von heroischen Taten, z. B. von der Befreiung grauäugiger Dämchen aus den Händen robuster Bösewichter im Frack. Diese Schurken rauchten Zigaretten und spotteten über die Verzweiflung ihrer Opfer, bis Peter des Wegs kam und mit einem wohlgezielten Schlag die blassen Schufte zu Boden streckte.

Peter war etwa ein Meter fünfzig Zentimeter hoch und stämmig. Er trug große, runde, hornumränderte Brillengläser und besaß einen falschen Zahn – ein Besitztum, das gewöhnlich den, der zum Boxen neigt, nötigt, in Augenblicken, wo der Heroismus nach Taten schreit, die Vorsicht als den besseren Teil der Tapferkeit anzusehen.

Ferner führte Peter verlorene Posten zum Siege; in undurchdringlicher Rüstung stürmte er unter einem Schwarm von Geschossen Festungen, in die schon Bresche gelegt worden; er pflanzte zerfetzte, von Kugeln durchlöcherte Fahnen auf stachelige Wälle; und dazwischen, wenn sein Geist ruhiger geworden, wurde er um seines Landes willen gemartert – auf gewissen, kleinen kriegerischen Expeditionen in Zentral-Afrika.

Da er von Natur aus ordentlich veranlagt war, so brachte er etwas von seiner Lebensweise in seine Träume.

So machte er morgens an der Spitze seiner Mannen einen Angriff zwischen Redcow Court Nr. 19 und dem Fischladen, wenn er seinen Frühstück-Schellfisch kaufen ging. Er wurde zwischen der Borough-Straße und dem Marshalsea-Recreation-Grund gemartert, wenn er einen Spaziergang machte; oder er begab sich auf der Rückreise unter nationalen Wehklagen an ein Soldatengrab. Die meisten seiner Befreiungen unternahm er nach Geschäftsschluß.

Peter war vor Jahren Kontorist in einem Magazin der City gewesen; ein ruhiger, achtbarer Mensch, der eine Vorliebe für Gartenbau hatte. Eines Tages fehlte auf dem Tische des Kassierers Geld, und Peter wurde der Unterschlagung verdächtigt. Er war durch die Beschuldigung wie hypnotisiert, erlaubte ohne Protest, daß man ihn zur Polizei abführte, hörte wie im Traum die Beweise an, die gegen ihn sprachen – es war ein wunderschöner Indizienbeweis – und ging von der Anklagebank herunter, ohne ganz zu begreifen, daß ihm ein grauhaariger alter Herr auf dem Richterstuhl mit ruhiger, unbewegter Stimme sechs Monate Zwangsarbeit zuerkannt hatte.

Peter hatte von seiner Strafe vier Monate abgesessen, als der wirkliche Dieb entdeckt wurde und sich zu seinem früheren Vergehen bekannte. Peters Arbeitgeber waren entsetzt; sie waren gute, aufrichtige Christen, und der Direktor der Gesellschaft war – wie er Peter später sagte – so betrübt, daß er beinahe nicht seine jährlichen Ferien im Engadin verbracht hätte.

Die Firma tat ein gutes Werk; sie setzte Peter ein Ruhegehalt aus, und Peter ging nach der Borough-Straße, weil er überspannte Ansichten hatte, deren eine die war, daß er den Makel seiner Verurteilung mit sich herumtrage.

Er wurde allmählich fast stolz auf die seltsamen Erfahrungen, die er gemacht hatte, brüstete sich wohl etwas stark und gewann in Verbrecherkreisen einen unverdienten Ruf. Wenn er in der sommerlichen Abendkühle ausging, deuteten sie mit Fingern auf ihn und bezeichneten ihn als den Mann, der wie der berühmte Falschmünzer, der Dingsda, nächtlicherweile in eine Bank eingebrochen sei. Sie hatten großen Respekt vor ihm.

»Wie kamst du weiter?«

Amber dachte gerade an die vielen liebenswerten Eigenschaften des kleinen Kerls, als die Frage an ihn gerichtet wurde.

»Ich – oh, immer dasselbe, mein Peter,« sagte er mit einem Lächeln.

Peter sah sich nach allen Seiten vorsichtig um.

»Hat sich, seit ich dort war, etwas geändert?« flüsterte er.

»Ich glaube, Saal C ist wieder gestrichen worden,« erwiderte Amber ernst.

Peter schüttelte den Kopf wie beklommen.

»Ich glaube nicht, daß ich den Ort jetzt kennen würde,« sagte er mit Bedauern, »ist das Zimmer des Direktors noch weit weg vom Saal A

Amber erwiderte nichts, sondern nickte nur.

Der kleine Kerl goß den Tee ein und reichte seinem Besucher eine Tasse.

»Peter,« sagte Amber, als er den Tee langsam umrührte, »wo kann ich bleiben?«

»Hier?«

Peters Gesicht leuchtete auf, und seine Stimme wurde lebhaft.

Amber nickte.

»Sie sind hinter dir her, nicht wahr?« fragte der andere erwartungsvoll. »Du bleibst hier, lieber Junge. Ich werde dich in die schönste Verkleidung stecken, die du je gesehen hast; Backenbart und Perücke; ich schmuggle dich an den Fluß hinunter, und wir werden dich an Bord bekommen –«

Amber lachte.

»Oh, mein Peter!« lächelte er. »Oh, du Unverbesserlicher! Nein, nicht der Polizei – schau nicht so traurig aus, du herzloser, kleiner Kerl – nein, nicht der Polizei gehe ich aus dem Wege, sondern Verbrechern, wirklich bösartigen Verbrechern, mein Peter, nicht unbedeutenden Dieben wie ich oder Indizienopfern wie du, sondern Männern des aufgeblasenen Pöbels, hohlsten Tollköpfen, mein Peter, schlimmer als Denver Dick oder Michigan Mike oder Settler Sam, oder als irgendein anderer dieser verwegenen Burschen.«

Peter streckte anklagend seinen Finger aus.

»Du verrietest sie, und sie sind hinter dir her,« sagte er feierlich. »Sie haben dir blutige Rache geschworen –«

Amber schüttelte den Kopf.

»Ich bin hinter ihnen her,« verbesserte er, »und der Racheschwur ist auf meiner Seite. Nein, mein Peter, ich bin Virtuous Mike – ich bin der große Detektiv von der Baker Street, N. W. Ich will jemand beobachten, ohne dadurch belästigt zu werden, daß er mich beobachtet.«

Peter horchte auf.

Seine Augen glänzten hinter seinen Brillengläsern, und seine Hände zitterten vor Erregung.

»Ich verstehe, ich verstehe,« nickte er nachdrücklich, »willst ihre Pläne vereiteln.«

»›Vereiteln‹ ist wirklich das Wort, das ich hätte gebrauchen sollen,« sagte Amber.


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