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Amber erschien die Landstraße von Maidstone nach Rochester ein höchst angenehmer Weg. Möglich, daß sich manche im Vorfrühling beklagten, sie ziehe sich allzu monoton hin – diese sich mühsam windende Straße, die bald bergauf, bald bergab führte, auf der einen Seite den armseligen Kentischen Landrücken, der sich nur dürftig zu einer bescheidenen Anhöhe erhob, und auf der anderen das Tal des Medway, das nur mühsam durch einen weißen Nebel zu erkennen war.
Doch Amber ging den Weg gern und fand den Spaziergang kräftigend; weder die grauen Wolken droben, noch die scharfe, stürmische Brise, die von der See hereinwehte und einen bis ins Mark auskühlte, konnte ihm die Straße verleiden.
»Wir hätten ausfahren können,« sagte das junge Mädchen, das bei ihm war – ihre Gegenwart erklärte seine Vergeßlichkeit für alles andere. »Ich habe Bange, daß das Wetter –«
»Gesundheitsstörungen bei dem armen Afrika-Reisenden hervorruft,« spöttelte er und lachte. »Peter hielt mir ein langes Privatissimum über denselben Gegenstand. Es läge auf der Hand, daß bei einem Helden wie ihm eine Gehirnentzündung als Ergebnis des plötzlichen Klimawechsels zum Ausbruch kommen müsse – doch das kann nicht wahr sein, denn Helden unterliegen nicht dem Wetter.«
»Ich habe deinen Peter gern,« bekannte sie nach einer Pause.
»Er ist ein sonderbarer Vogel,« gab Amber zu.
»Vater hat ihn auch gern,« fuhr sie fort und seufzte. »Glaubst du, daß Vater wieder gesund wird?«
Amber brauchte lange zu seiner Antwort, so daß sie erwartungsvoll stehen blieb.
»Ich wünschte, du würdest es mir sagen,« meinte sie ruhig.
»Ich will es dir sagen,« erwiderte er. »Ich versuchte, meine verborgenen Gedanken in Worte zu kleiden. Ja,« er überlegte wieder. »Ja, ich glaube, daß mit der Zeit Besserung eintritt.«
»Er ist doch nicht – « sie vollendete den Satz nicht.
»Nein, er ist nicht – verrückt, was man gewöhnlich unter Verrücktheit versteht. Er leidet an Zwangsvorstellungen – ein einziges Ereignis füllt ihn so ganz aus, daß seitdem sein Verstand stillsteht.«
»Er hat sein Gedächtnis verloren – und doch erinnert er sich meiner und des Diamantenflusses.«
Sie gingen schweigend weiter; beide waren zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, um sich unterhalten zu können.
Wie ein Problem nahm Sutton, der Forscher, ihr Denken gefangen. Das Haus, welches Cynthia gekauft hatte, stand abseits vom Wege. Es war ursprünglich eine Meierei gewesen, aber seine verschiedenen Besitzer hatten es nach und nach in ihrer Mußezeit zu einem behaglichen Landhaus umgewandelt, so daß es jetzt mit seinen vier Morgen bewaldeten Bodens ein wundervoller Ruheort war.
Francis Sutton saß vor einem knisternden Holzfeuer, ein Buch auf den Knien. Er blickte lächelnd auf, als sie eintraten.
Die Erfahrung hatte einen Mann aus ihm gemacht – diese Tatsache war Amber nie so sehr aufgefallen wie eben in diesem Augenblick. Sein Gesicht war gebräunt und schmal, die knabenhafte Rundung seiner Wangen war verschwunden, und auch die Ungeduld, die für sein Wesen bezeichnend war, als Amber ihn zuerst getroffen, hatte er abgelegt.
»Was gibt's Neues?« fragte er.
Amber hielt seine Hand an das lodernde Feuer.
»Morgen wird das Kolonialamt Lambaire auffordern, die Stelle, wo seine Mine liegt, zu bezeichnen,« sagte er. »Ich fürchte, mein Lambaire wird auf Schwierigkeiten stoßen.«
»Ich glaube, das wird er,« bestätigte der andere trocken. »Wieviel Zeit wird man ihm lassen?«
»Eine Woche, und wenn bis dahin keine Erklärung erfolgt ist, wird das Kolonialamt einen Tatbestand aufnehmen, der in Lambaires Treu und Glauben Zweifel setzen wird.«
»Ein ungewöhnliches Verfahren,« wandte Sutton ein.
»Ein ungewöhnlicher Fall, mein unerschrockener Forscher,« erwiderte Amber.
Sutton grinste.
»Spotte nicht,« verteidigte er sich, »ich weiß jetzt, daß ich noch ein Grünschnabel bin.«
Amber sah väterlich auf ihn herab.
»Wir müssen alle an die Kandare genommen werden,« bemerkte er. »Wirklich, ich glaube eher, daß du ein wundervoller Junge bist.«
Der Jüngling errötete, denn er fühlte die Aufrichtigkeit in des andern Worten.
»Wo ist dein Vater?« fragte Amber plötzlich.
»Im Park mit deinem Freund; es war wirklich ein glücklicher Einfall von dir, unseren Freund herzusenden – wie ist sein Name – Musk?«
»Peter – du mußt ihn Peter nennen,« sagte Amber. Er stand auf und ging auf die Flügeltür zu, welche auf den großen Grasplatz vor der Villa führte.
»Peter kann gar kein Ende finden mit seinem Interesse für Vater,« fuhr Sutton fort. »Er ist eine vollkommene Romanbibliothek.«
»Wir wollen sie aufsuchen,« schlug Amber vor.
Sie gingen in den kleinen, mit einer Mauer umgebenen Park, wo der Forscher zu seiner Erholung weilte, und kamen den beiden unerwartet.
Peter illustrierte mit einem Spazierstock eine Geschichte, die er erzählte, und der vom Schicksal gebeugte Mann mit dem wilden, struppigen Bart und dem gefurchten Antlitz stand daneben und nickte bei der Erzählung ernsthaft mit dem Kopfe.
»Sir Claude,« so plauderte Peter gerade, »hielt die Brücke hier, wollen wir annehmen, und Sir Reginald setzte dort über den Festungsgraben; die Bewaffneten warfen Steine von den Zinnen herab, und Lady Gwendoline, das Schwert in der Hand, verteidigte den weißen Turm. In dem Augenblick, als der heldenhafte Jüngling seine Bogenschützen vorwärtsdrängte, erhob sich ein lautes Geschrei: ›St. Georg und England!‹ – Sie verstehen mich, Herr Sutton? Sie hatten keine Ahnung, daß des Königs Armee so nahe war.«
»Vollkommen,« erwiderte der Forscher, »vollkommen, Herr – ja – vollkommen. Ich erinnere mich, etwas Ähnliches erlebt zu haben, als wir die Mashangonibis vor vielen Jahren angegriffen – ich – ich glaube, ich erinnere mich.«
Er strich mit der Hand müde über seine Augen.
»Vater,« sagte Frank zärtlich, »hier ist unser Freund, Kapitän Grey.«
Der Forscher drehte sich heftig herum.
»Kapitän Grey?« sagte er halb fragend und hielt ihm seine Hand entgegen.
In seinem Kopfe flackerte eine flüchtige Erinnerung an Amber auf.
»Kapitän Grey, ich fürchte, mein Sohn hat auf Sie geschossen!«
»Das ist ganz belanglos, Herr Sutton,« betonte Amber.
Der Kranke hatte die einzige Gedankenverbindung mit Amber im Zusammenhang mit jener dramatischen Begegnung, und obgleich sie sich fast täglich sahen, hatte der ältere Sutton keine andere Bemerkung zu machen als immer wieder diese.
Tag für Tag, ob er ihn morgens beim Frühstück begrüßte oder sich abends von ihm verabschiedete, war der Anfang und das Ende jeder Unterhaltung die Bemerkung des Forschers: »Ich fürchte, mein Sohn hat auf Sie geschossen.«
Sie gingen langsam in das Haus zurück. Amber und Peter folgten den anderen.
»Er ist vernünftiger, Herr Amber,« sagte Peter. »Sein Zustand scheint sich in den letzten zwei Tagen gebessert zu haben.«
»Wie lange hat er die Wohltat deiner Gesellschaft genossen, mein Peter?« fragte der andere.
»Zwei Tage,« erwiderte Herr Musk ahnungslos.
Amber hatte Gelegenheit, den alten Herrn zu studieren, als sie beim Tee saßen – die Mahlzeiten in dem ›weißen Haus‹ hatten einen demokratischen Charakter.
Alt war er nicht, wenn man seine Jahre in Betracht zog, aber der Urwald hatte sein Haar gebleicht und in sein Gesicht tiefe Furchen gegraben. Amber schätzte ihn mit Lambaire gleichaltrig.
Er sprach nur, wenn er angeredet wurde. Die meiste Zeit über saß er wie in Gedanken verloren da, den Kopf tief auf die Brust herabgesenkt, und seine Finger spielten nervös auf seinem Knie.
Bei einem Gegenstand war sein Geist klar, und das war der Gegenstand, den jeder sich scheute mit ihm zu erörtern – der Diamantenfluß.
Mitten in eine allgemeine Unterhaltung platzte er zuweilen mit hastigen Reden hinein und stockte nicht dabei, wie es sonst seine Gewohnheit war; und zum Schluß jeder Rede brach immer wieder die fixe Idee mit den Diamanten durch.
Amber berichtete von seinem Besuch in London, als ihn der Alte plötzlich unterbrach. Zuerst war seine Stimme kaum stärker als ein Flüstern, aber sie gewann an Kraft – je länger er sprach, desto mehr.
»... es lagen eine Anzahl Granaten auf dem Boden,« sagte er leise, als ob er mit sich selbst spräche. »Es waren auch noch andere Anzeichen vorhanden, daß eine Diamantgrube existieren müsse ... die Erde war ähnlich beschaffen wie die in Kimberley und in der Nähe des Vaal-Flusses ... blaue Erde, unzweifelhaft diamanthaltige Erde ... natürlich war es überraschend, diese Anzeichen in einer Gegend zu finden, die so weit entfernt war von der Stelle, wo, wie wir nach unseren Nachforschungen glauben mußten, die Mine festgestellt werden würde.«
Alles schwieg, als er eine Pause machte. Später fuhr er wieder fort:
»Die Gerüchte von einer Mine und die Proben, die ich gesehen hatte, brachten mich dahin, zu vermuten, daß die Mine selbst nach dem Nordwesten des großen Waldes wiese; daß sie wirklich eher an der Schwelle des Landes sein sollte als an der äußersten Grenze, das illustriert die Ungenauigkeit der Forschung ... Ungenauigkeit ... Ungenauigkeit? Das ist schwerlich das Wort, ich glaube ...«
Er bedeckte seine Augen mit der Hand.
Obgleich alles schwieg, sagte er nichts mehr. Es war das gewöhnliche Ende, wenn er so erzählte; irgendein Wort wollte ihm nicht einfallen, er stockte, suchte resigniert nach dem genauen Ausdruck, um eine bestimmte Schattierung wiederzugeben, und fiel dann wieder in seine Schweigsamkeit zurück.
Die Unterhaltung wurde wieder allgemein, und bald darauf ging Herr Sutton auf sein Zimmer.
»Es ist besser mit ihm,« bemerkte Amber freudig, als sich die Tür hinter der gebeugten Gestalt geschlossen hatte. »Wir kommen der Wahrheit immer näher, wie er zu der Entdeckung damals kam.«
Frank nickte.
»Du könntest denken, daß ich während der Monate, die er und ich allein in dem Wald waren, die Wahrheit hätte erfahren müssen,« warf er ein. »Doch von dem Augenblick an, wo er mich da fand, wo mich das saubere Gaunerpaar liegengelassen hatte, bis zu jener Nacht, wo du uns beide entdecktest, sprach er zu mir nicht ein Wort darüber.«
Amber wartete, bis Peter geschäftig weggehastet war – er gewöhnte sich wirklich an sein Krankenwärteramt – und sie nur noch zu dritt dasaßen.
»Wann wurde es dir zum ersten Male klar, daß er den Diamantenfluß entdeckt hatte?«
Frank Sutton stopfte langsam seine Pfeife.
»Ich weiß nicht, wann es war,« sagte er. »Die erste Erinnerung, die ich habe, ist die, daß sich jemand über mich beugte und mir zu trinken gab. Ich glaube, er mußte mir auch zu essen gegeben haben. Ich war damals schrecklich schwach. Als es mir besser wurde, lag ich da und beobachtete ihn, wie er in dem Bett des Flusses herumschürfte.«
»Er war ganz vernünftig?«
»Ganz vernünftig, obgleich es mich ein bißchen beunruhigte, wenn er mir ein paar Kieselsteine brachte und mich bat, dieselben gut aufzuheben. Um ihm zu willfahren, behielt ich sie; ließ ihn zusehen, wie ich sie sorgfältig in mein Taschentuch einknüpfte, und dachte dabei keinen Augenblick daran, daß es Diamanten wären.«
»Und die ganze Zeit, Frank, wußtest du, daß es Vater war?«
Das junge Mädchen fragte es, und Frank nickte wieder.
»Ich weiß nicht, woher ich es wußte, aber ich wußte es,« sagte er schlicht. »Ich war noch ein Kind, als er fortgegangen war, und er sah nicht aus wie der Mann, dessen ich mich erinnerte. Ich versuchte, ihn zu überreden, mit nach der Küste zu kommen, aber er wollte sich nicht bewegen lassen, und da blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und auf den Zufall zu hoffen, daß ein Eingeborener vorüberkäme, den man mit einer Botschaft nach der Küste schicken könnte. Aber die Eingeborenen betrachteten den Ort als nicht geheuer, und keiner kam uns zu nahe, nicht einmal die Jägerabteilungen. Und das Merkwürdige dabei war,« fuhr er nachdenklich fort, »daß ich auf den Gedanken kam, die Steine könnten etwas anderes als Kiesel sein.«
Er erhob sich von dem tiefen Stuhl, auf dem er gesessen hatte.
»Ich lasse euch Leutchen eine Weile allein – ich bin in der Bibliothek zu finden.«
»Ich werde einen Augenblick mit dir gehen, wenn du mich entschuldigst,« sagte Amber, und das junge Mädchen gab lächelnd seine Einwilligung.
»Sutton,« sagte Amber, als die Tür des Bibliothekzimmers sich hinter ihnen geschlossen hatte, »ich wünsche, daß du mit dem Prospekt äußerst vorsichtig bist – du hast meine Depesche bekommen?«
»Ja, du depeschiertest, ich möchte die Kopie nicht in die Druckerei schicken. Warum?«
»Sie enthält zu viel Aufklärendes, was für Lambaire von Wert sein würde,« erklärte der andere. »Sie enthält gerade das Wissenswerte, wofür er, um es zu erlangen, tatsächlich seinen Kopf hergeben würde.«
»Daran hätte ich nie gedacht,« versetzte Sutton; »aber wie sollte er sie von einer kleinen Provinzdruckerei erhalten?«
»Ich glaube auch nicht, daß er sie sich verschaffen könnte, aber Whitey würde es tun. Morgen oder schon heute fordert das Kolonialamt Lambaire auf, zu sagen, wo seine Mine liegt – wir müssen sicher gehen, daß er sich nicht von uns Aufklärung verschafft.«
»Ich verstehe dich,« beteuerte der junge Mann mit einem fröhlichen Kopfnicken. »Ich mache eine Kopie der Karte, die du vorbereitet hast, und werde sie morgen dem Kolonialamt senden.«
Amber kehrte zu dem jungen Mädchen zurück. Sie saß in der Ecke des Sofas, das im rechten Winkel zum Kamin aufgestellt war.
Sie schützte ihr Gesicht gegen die lodernde Flamme mit einem seidenen Tuch, und er konnte nur das von ihr sehen, was eine vorwitzige Flamme, die höher als die anderen emporzüngelte, ihm enthüllte.
»Ich möchte einmal ernst mit dir reden,« hub er an und setzte sich in die andere Ecke des Sofas.
»Bitte, sprich nicht zu ernst, ich möchte heiter unterhalten sein,« neckte sie.
Ein paar Minuten herrschte Stillschweigen, dann floß die Unterhaltung weiter.
»Ich nehme an, du weißt,« sagte er, »daß du in etwa einer Woche die Tochter eines sehr reichen Mannes sein wirst?«
Er konnte ihr Gesicht in dem Halbdunkel nicht genau erkennen, aber er glaubte zu sehen, daß sie lächelte.
»Ich habe es nicht gewußt,« erwiderte sie ruhig, »aber ich nehme an, daß du recht hast. Warum?«
»Warum? – Oh, nichts – außer daß ich selbst nicht ungeheuer reich bin.«
Sie wartete darauf, daß er fortfahre.
»Du siehst das ein?« warf er nach einer Weile hin.
Sie lachte hell auf.
»Ich sehe alles das ein, was einzusehen ist, nämlich, daß Vater sehr reich sein wird und daß du nicht so reich sein wirst. Was wünschst du sonst noch, daß ich einsehe?«
Er wünschte, daß sie einsähe, was er sich eben hütete auszusprechen. Aber sie war entzückend eigensinnig und kam ihm in nichts entgegen.
»Ich hasse es, konventionell zu sein,« sagte er, »mehr, als ich es hasse, heroisch zu sein. Ich fühle, daß der erste beste von Peters Helden sich genau so benehmen würde wie ich – und das ist demütigend. Aber ich – ich möchte dich heiraten, Liebste, und du bist auf einmal so entsetzlich reich geworden.«
Sie lachte wieder laut und herzlich und ergötzte sich echt mädchenhaft.
»Komm, setz dich zu mir,« befahl sie; »näher ...«
*
»Gehst du nicht schlafen, liebe Cynthia?« fragte Frank Sutton in der Tür. »Es ist schon elf Uhr vorbei, und Peter und ich langweilen uns gegenseitig.«
Er ging durch das Zimmer und rüttelte am Feuer.
»Und ihr habt das Feuer ausgehen lassen, ihr Missetäter.«
Cynthia erhob sich schuldbewußt.
»Ich fürchte,« stammelte sie verwirrt, »Kapitän Grey – wir –«
»Ich fürchte schon, du warst es,« sagte ihr Bruder lächelnd, als er sie küßte. »Sag Amber gute Nacht: Vater schläft schon.«
Sie hörten das Rascheln ihres Kleides, als sie durch die Diele nach der Treppe ging.
»Mit Peter geplaudert?« fragte Amber. »Ich dachte, du würdest höchst emsig in der Bibliothek arbeiten.«
Sutton stocherte lebhaft in dem Feuer herum.
»Bin schon seit einer Stunde fertig; wie lange glauben denn die Herrschaften, daß sie geschwatzt haben?«
Amber schwieg sich diskret aus.
»Ich finde Peter ungeheuer interessant,« sagte Sutton und mußte lachen. »Das kleine Zimmer, das wir ihm gegeben haben, sieht aus wie das Büro eines Neuigkeitskrämers, aber eines solchen, dessen Spezialgebiet die verpönte Räuberliteratur ist, die Lieblingslektüre eines Teils der Jugend.«
»›Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort‹«, sagte Amber ernst, »diese verpönte –«
Sie hörten hastige Schritte auf der Diele, die Tür öffnete sich, und Cynthia kam, etwas bleich im Gesicht, herein.
Amber ging ihr schnell entgegen.
»Was gibt's?« fragte er.
»Vater ist nicht in seinem Zimmer,« sagte sie atemlos. »Ich wollte ihm gute Nacht sagen – er ist noch nicht zu Bett gewesen –«
Die drei sahen einander an.
»Er wird sicher im Garten sein,« erwiderte Frank unbehaglich. »Er ist vorhin hinausgegangen, obschon ich ihn bat, es nicht zu tun.«
Er trat auf die Diele hinaus und nahm eine elektrische Taschenlampe, die auf einem Tischchen stand. Amber zog die Vorhänge auf und, nachdem er das Flügelfenster geöffnet, ging er hinaus.
Das junge Mädchen warf ein Tuch um die Schultern und folgte.
»Im Studierzimmer brennt noch eine Lampe, Amber,« bemerkte Sutton; Amber nickte, eilte durch das Zimmer und den Gang entlang, der nach der Bibliothek führte.
Er fand die Lampe, drehte das Licht aus und holte die andern wieder ein.
Ein feiner, aufsprühender Nebel hüllte den Park ein, aber er war doch nicht so dicht, daß er bei ihrem Suchen als Hindernis in Betracht kam.
Der Rundgang durch den Park nahm wenig Zeit in Anspruch. Doch von dem Forscher war nichts zu entdecken.
An der äußersten Ecke des kleinen Besitztums war ein Pförtchen, das in eine enge Gasse mündete, die von der Hauptstraße nach der Nigerhill-Straße führte. Die Suchenden gingen darauf zu. Als sie näher kamen, unterdrückte Amber einen Fluch. Das Gatter stand weit offen.
Der Lichtkreis ihrer Lampen, der auf die verwitterte Tür fiel, beleuchtete ein flatterndes, weißes Papier, das ihre Aufmerksamkeit auf sich zog.
Es war ein Blatt aus einem kleinen Notizbuch und mit einem Reißstift befestigt; Amber hielt seine Lampe hoch und las:
»Sie haben ihn in den Steinbruch mitgenommen. Seid schnell hinterher. Haltet Euch rechts, wenn Ihr aus dem Pförtchen heraus seid, und folgt der Straße, die auf den Hügel führt. Eilt Euch, dann könnt Ihr alles retten.
Ein Freund.«
»Warte einen Augenblick.«
Amber hielt den andern, der auf die Gasse hinaustrat, am Arm fest.
»Keinen Aufschub, Amber, um Gottes willen!« rief Sutton ungeduldig; »wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Warte,« befahl Amber streng.
Er ließ den Lichtschein seiner Lampe auf den Boden fallen. Der Grund bestand aus Lehm und war weich. Es waren Fußspuren vorhanden – wie viele konnte er nicht sagen. Er trat auf die Straße. Der Boden war hier an den Stellen, wo Gras wuchs, weich. Wer auch durch das Pförtchen gegangen war, er hatte auf jeden Fall, ob mit oder ohne Absicht, die weichen Lehmstellen vermieden, denn es waren keine frischen Fußspuren da.
»Vorwärts!« Sutton rannte ungeduldig davon, und Amber und das junge Mädchen folgten.
»Hast du einen Revolver bei dir?« fragte Amber.
Als Antwort zog Sutton einen Smith-Wesson aus seiner Tasche.
»Hast du das erwartet?« fragte das junge Mädchen an seiner Seite.
»Etwas Ähnliches, ja,« antwortete er ruhig. »Bis dieses Geschäft erledigt wäre, bestand ich darauf, daß wir alle bewaffnet sein müßten – ich kenne Whitey.«
Sutton kam zurück, und als er wieder bei ihnen war, bemerkte er: »Ich kann keine Fußtapfen sehen; und doch regt mich der Inhalt des Zettels auf.«
»Ein paar Fußtapfen sind da,« sagte Amber kurz.
Er hatte mit der Lampe die ganze Zeit über den Weg abgesucht. »Der Inhalt des Zettels gibt mir mehr zu denken, als daß er mich aufregt. Hallo, was ist das?«
In der Mitte der Straße lag ein schwarzer Gegenstand, und Sutton lief hin und hob ihn auf.
»Es ist ein Hut,« stellte er fest. »Beim Himmel, Amber, er gehört meinem Vater!«
»Oh,« rief Amber erstaunt und blieb stehen.
Ein paar Sekunden lang standen sie still.
»Ich gehe zurück,« entschloß sich Amber plötzlich.
Sie starrten ihn an.
»Aber –« meinte das Mädchen bestürzt, »aber – du gibst doch das Suchen nicht auf?«
»Vertrau mir, bitte,« sagte er sanft. »Sutton, geh in der Richtung weiter; du triffst bald auf ein paar Arbeiterhütten. Klopf die Leute heraus und erbitte dir ihren Beistand. Ich hoffe, daß du auf der richtigen Spur bist – aber ich glaube noch mehr, daß ich es bin. Auf jeden Fall wird es für Cynthia weniger gefährlich sein, wenn sie mit dir geht, als wenn sie mit mir zurückkehrt.«
Ohne noch ein Wort zu verlieren, drehte er sich herum und rannte in langen Sätzen den Weg, den er gekommen war, zurück.
Sie standen noch und sahen ihm nach, bis er in der Dunkelheit verschwunden war.
»Ich versteh's nicht,« murmelte Frank. Das Mädchen sagte nichts; sie war verwirrt, betäubt. Mechanisch schritt sie neben ihrem Bruder her. Seine Hand umklammerte noch den Hut.
Sie hatten noch fast zehn Minuten zu gehen, ehe sie die Hütten erreichten, aber sie waren noch nicht halb so weit vorgedrungen, als sie eine dunkle Gestalt vor sich sahen, die in der Mitte des Wegs stand, da, wo die Gasse ein scharfe Biegung machte.
Frank hatte im Augenblick seinen Revolver in der Hand und ließ das Licht seiner Lampe auf die Gestalt fallen.
Das junge Mädchen, dem das Herz vor Aufregung bis zum Halse schlug, seufzte erleichtert auf, denn der Mann auf dem Wege war ein Schutzmann, und seine uniformierte, unromantische Gestalt hatte etwas ungemein Beruhigendes.
»Nein, mein Herr,« gab der Konstabler Auskunft, »es ist niemand hier vorübergekommen.«
»Vor einer Viertelstunde?« forschte Sutton weiter.
»Nicht während der letzten drei Stunden,« erwiderte der Polizist. »Es war nur vor ungefähr einer halben Stunde, als hätte ich Schritte unten auf der Gasse gehört, aber hier ist niemand vorübergekommen.« Er sei beauftragt worden, hier Posten zu stehen, um Wilddiebe abzufassen, und er hätte sich, so erklärte er, seit sieben Uhr nicht von der Stelle gerührt – und da wäre es elf gewesen.
Frank erklärte die Situation kurz.
»Nein,« erwiderte der Beamte langsam, »sie können ihn nicht dorthin geschleppt haben – dies hier ist der einzige Weg nach dem Steinbruch. Mir scheint es eher, als sollten Sie irregeführt werden. Wenn Sie warten wollen, bis ich mein Rad geholt habe, es steht dort hinter der Hecke, so will ich mit Ihnen zurückgehen.«
Auf dem Rückweg ließ sich Frank so weit in Einzelheiten ein, wie er es für nötig hielt.
»Es ist eine Täuschung,« behauptete der Schutzmann nachdrücklich. »Warum sollten sie sich die Mühe machen, Ihnen zu sagen, welchen Weg sie nehmen? Sie glauben doch nicht, Herr, daß Sie unter den Tätern einen Freund haben?«
Frank schwieg. Er verstand jetzt Ambers plötzlichen Entschluß, umzukehren.
Die Straße führte bergab, und in zehn Minuten tauchte das Haus vor ihnen auf.
»Ich nehme an, daß Peter –« fing Frank an.
Krach! – Krach!
Zwei Pistolenschüsse verhallten in der nächtlichen Stille.
Krach – krach – krach!
Die Schüsse wechselten rasch hintereinander, und der Polizist schwang sich auf sein Rad.
»Nehmen Sie das mit!«
Frank drückte seinen Revolver dem Konstabler in die Hand.
Mit größter Eile radelte der Schutzmann den Abhang hinunter, und die beiden folgten ihm, so rasch sie konnten.
Sie hörten keine Schüsse mehr, und ganz außer Atem kamen sie an dem Pförtchen an; sie fanden Amber und den Konstabler, die in großer Hast miteinander unterhandelten.
»Es ist alles in Ordnung.«
Amber sagte es sichtlich erheitert.
»Was ist mit Vater?« hauchte das junge Mädchen.
»Er ist drinnen im Haus,« versicherte Amber. »Ich fand ihn geknebelt und gebunden in der Hütte des Gärtners am andern Ende des Gartens.«
Er nahm das zitternde junge Mädchen beim Arm und führte es nach dem Hause.
»Er war ein bißchen in den Park spazierengegangen,« erklärte Amber, »und da packten sie ihn. Nein, sie verletzten ihn nicht. Der Schurken waren ihrer drei.«
»Wo sind sie?« erkundigte sich Frank.
»Fort – ein Auto wartete auf sie am Ende der Gasse. Der Polizist ist hinter ihnen her in der Hoffnung, daß sie eine Panne haben werden.«
Er ging voraus in das Wohnzimmer.
»Peter ist bei deinem Vater. Setz dich hin, du mußt ein bißchen Wein trinken, ja« – ihr Gesicht war sehr blaß –. »Ich werde dir alles erzählen. Der menschenfreundlichen Mitteilung an dem Gatter traute ich gleich nicht recht. Ich wurde noch argwöhnischer, als ich keine Fußspuren auf dem Wege entdeckte, welche den Verdacht einer Entführung bekräftigt hätten. Da kam mir plötzlich der Gedanke, daß das Ganze eine Finte wäre, uns aus dem Hause zu locken, damit sie Zeit gewännen, deinen Vater fortzuschaffen. Als ich wieder an dem Pförtchen angelangt war, suchte ich wieder eilends den Garten ab und geriet zufällig in den Geräteschuppen. Das erste, was ich sah, war dein Vater, wie er mit einem Knebel im Munde auf einem Holzstoß festgebunden war. Ich hatte ihn kaum befreit, als ich draußen eine Stimme hörte. Drei Männer gingen über den Rasenplatz auf das Pförtchen zu. Es war zu dunkel, um sie zu erkennen, aber ich rannte hinaus und forderte sie auf, stehenzubleiben.«
»Wir hörten schießen,« warf das junge Mädchen ein.
Amber lächelte grimmig.
»Das war ihre Antwort,« bestätigte er; »ich folgte ihnen bis auf die Straße. Sie feuerten wieder auf mich, und ich erwiderte die Schüsse. Ich glaube, ich habe einen getroffen.«
»Du bist doch nicht verletzt?« fragte sie ängstlich.
»Mein gnädiges Fräulein,« beruhigte Amber sie erheitert, »ich bin heil und ganz.«
»Aber ich verstehe eines nicht,« wunderte sich Frank. »Warum haben die Kerle meinen Vater fortschleppen wollen?« Amber schüttelte den Kopf.
»Das geht über meinen Horizont –« Er hielt plötzlich ein. »Wir wollen einmal in der Bibliothek nachsehen,« schlug er vor, und ging den beiden voran nach dem Zimmer.
»Hallo, ich dächte, ich hätte das Licht hier ausgedreht!«
Das Licht brannte, und die Gasflamme flackerte in dem Luftzug, den die offene Tür verursachte.
Kein Wunder, daß es flackerte, denn das Fenster war geöffnet. Aber auch die Tür des Safe stand offen und hing armselig nur noch in einer Angel.
Amber sagte nichts – er pfiff nur.
»Also deshalb haben sie uns vom Hause weggelockt,« begann er zu verstehen. »Das ist Whiteys Werk und obendrein ein sauberes Meisterstück.«