Edgar Wallace
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Edgar Wallace

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30

Luke Maddison hatte nur eine sehr verwirrte Erinnerung an das, was nach seinem unvorsichtigen Öffnen der Tür geschehen war. Er hatte lesend im Zimmer gesessen, als er klopfen hörte, und nichts Verdächtiges in dem Erscheinen zweier Männer in grünen Schürzen und Hemdsärmeln gesehen.

»Ist das Mr. Haynes Wohnung?« fragte der eine. »Wir wollen den Schrank abholen.«

»Sie sollten lieber wiederkommen, wenn Mr. Haynes da ist«, sagte Luke. Er dachte natürlich, der Gunner hätte Anweisung gegeben, das Möbelstück fortzuschaffen.

»Wenn wir den Schrank nicht mitnehmen können, so möchten wir ihn wenigstens messen«, sagte der Mann, der ein Notizbuch in der Hand hatte.

Luke Maddison zögerte. Er wußte nichts von Schränken und überhaupt nichts von den häuslichen Angelegenheiten in der Wohnung. Aber es war ja harmlos, diesem Wunsche nachzugeben. Er drehte sich einen Augenblick um, und auf das, was dann geschehen war, konnte er sich nicht mehr besinnen.

Seine erste bewußte Empfindung war, daß man ihm unsanft sein Gesicht mit einem kalten nassen Schwamm wusch. Ein scharfer Geruch von Teer lag in der Luft, und das Zimmer, in dem er saß, schien in Bewegung zu sein. Er dachte zuerst, es wäre einer seiner vielen Träume, aber als seine Augen in dem Raume umherwanderten und er die festgezimmerten Wände, die niedrige Decke und den schwarzen, mit Teer gestrichenen Fußboden sah, wußte er, daß er nicht träumte.

»Bin ich auf einem Schiffe?« fragte er heiser und hörte lachen.

Er erkannte in dem Mann, der den Schwamm in der Hand hatte, denselben Künstler, der ihm schon einmal zur Besinnungslosigkeit verholfen hatte.

»Waren Sie es – – – in der grünen Schürze? Ich habe Sie nicht erkannt.«

»Das war ich nicht«, sagte der Mann, der chronisch heiser zu sein schien. »Bei mir fließt kein Blut! Trinken Sie das.«

Luke trank den schwachen, mit Wasser vermischten Branntwein, der ihm angeboten wurde, aber er hätte reines Wasser vorgezogen.

»Sie sind eine rechte Plage für uns, ja, das sind Sie«, sagte der Mann, indem er den Schwamm in einen Napf warf und seine Hände an einem schmierigen Tuche abtrocknete. »Jetzt hören Sie auf meinen Rat und verhalten Sie sich ruhig. Hier ist ein Bett für Sie, und hinten im Heck finden Sie einen Eimer mit Wasser. Es wird Ihnen niemand was tun, wenn Sie keine Dummheiten machen.«

»Bin ich auf einem Schiffe?« fragte Luke noch einmal.

»Flußschiff«, war die Antwort. »Sie brauchen nichts zu fürchten. Der Gunner sucht schon nach Ihnen, aber er wird Sie nicht finden.«

Er wandte sich zu seinem schweigsamen Gefährten, und jetzt erst bemerkte Luke, daß noch ein Mann in der Kabine war, wenn dieser schmutzige Ort mit solchem Namen gewürdigt werden konnte.

»Wir hätten ihn nicht aufs Bett legen sollen. Das hat uns verraten, Harry«, sagte er. »Es war mein Fehler, aber wir mußten ihn doch irgendwohin legen. Sie sind stärker, als ich dachte, Maddison.«

Luke kicherte.

»Ich erinnere mich nicht, daß ich gekämpft habe. Habe ich mich gewehrt?«

»Gewehrt!« sagte der andere. »Ich sollte meinen! Als wir Sie im Schlafzimmer hatten, fingen Sie erst richtig an. Erinnern Sie sich nicht?«

Luke konnte sich auf nichts besinnen.

»Der Kapitän kommt in einer Minute an Bord – wir sind in der Nähe der Werft verankert. Wenn Sie ein verständiger Mann sind, Mr. Maddison, werden Sie tun, was er sagt. Es wird kein schlechtes Geschäft sein, nun wir wissen, wer Sie sind.«

Er blickte Luke neugierig an.

»Ein Kamerad von Lewing, nicht wahr? Ist doch merkwürdig, sich mit den Leuten einzulassen! Ich wundere mich, daß sich ein Mann wie Sie mit solchen Sachen befaßt!«

Luke antwortete nicht. Die beiden Männer gingen bald darauf an Deck. Sie ließen ihm die blakende Lampe, die einen aussichtslosen Kampf mit der Dunkelheit führte.

Eine kurze Stiege führte zu einer schweren Tür, die aber geschlossen war. Im Heck des Schiffes befand sich eine Art Waschraum, doch gab es keine Luke, durch die er das Tageslicht sehen konnte, und eine Ventilationsanlage war auch nicht vorhanden. Die Luft, die eindrang, kam durch drei runde Löcher, die in die Tür geschnitten waren, und er hatte den Verdacht, daß sie mit Segeltuch verdeckt waren, da er kein Licht sehen konnte.

Alles Wertvolle war ihm abgenommen worden. Seine Kleider waren mit Blut beschmutzt, seinen durchweichten Kragen sah er in einer Ecke der Kabine liegen und sein Kopf schmerzte unaufhörlich. Trotzdem meldete sich der Hunger. Nach kurzer Zeit wurde die Tür aufgestoßen, und auf der obersten Stufe der Stiege erschienen die Beine eines Mannes.

Jetzt entdeckte er, warum er kein Licht gesehen hatte: die Treppe wurde durch ein kleines Deckhaus abgeschlossen, das er flüchtig sehen konnte, als der Ankömmling herunterstieg. Es war Connor, der ihn mit der Miene eines Freundes begrüßte, der schlecht behandelt worden war.

»Sie haben uns eine Menge Mühe gemacht, Mr. Maddison«, sagte er, unbewußt dieselben Worte wie sein Leutnant gebrauchend, »und wenn mir jemand Mühe macht, muß er dafür blechen. Ich bin gekommen, um einen kleinen Schwatz mit Ihnen zu machen. Sie wollen fort, nach dem Kontinent, nicht wahr?«

Luke antwortete nicht.

»Seien Sie nicht eigensinnig«, bat Connor mit freundlichem Grinsen. »Ich will versuchen, Ihnen zu helfen. Ich bringe Sie in einem Schiff unter – der Kapitän ist mein Freund und nimmt Sie morgen früh nach Rotterdam mit.«

Er zog ein Buch aus seiner Tasche, das Luke sofort erkannte.

»Hier ist Ihr Paß. Meine Jungens fanden ihn, als sie in Gunners Wohnung herumwirtschafteten. Sie kriegen ihn von mir, Mr. Maddison, ich bin der beste Freund, den Sie je hatten.«

Luke zog eine Grimasse.

»Ich verstehe, das ist die Mühe, für die ich blechen soll. Nicht wahr.«

»Das ist wie ein verständiger Mann gesprochen«, sagte Connor. »Ja, es wird Sie etwas kosten, aber Sie können es ja.«

Aus seiner inneren Tasche holte er einen langen Umschlag hervor, dem er drei unausgefüllte Schecks entnahm.

»Ich will, daß Sie die selbst ausfüllen: einen auf zwei-, einen auf drei- und einen auf fünftausend. Es sieht besser aus und macht 'n guten Eindruck, wenn die Schecks in Ihrer Handschrift sind.«

»Kann ich sie sehen?«

Der Mann reichte ihm die Schecks, und Luke kicherte wieder.

»Sie armer Verschwörer!« sagte Luke spöttisch. »Ich hab' nicht mehr als hundert Pfund auf diesem Konto oder auf irgendeinem anderen.«

Connors Brauen zogen sich zusammen.

»Wollen Sie mir was vormachen?« fragte er.

»Ich sage die Wahrheit«, antwortete Luke, »aber ich kann begreifen, daß Ihnen das sonderbar vorkommt und wie eine Lüge klingt. Das ist mein Privatkonto. Ehe ich fortging, ließ ich das meiste von dem Gelde auf meine Bank überweisen.«

»Aber Sie haben doch immer mit der Nord-Süd-Bank in Verbindung gestanden!«

Connor war sichtlich durch diese Eröffnung verdutzt, kein Wunder, denn er hatte einen ganzen Nachmittag damit verbracht, um die richtigen Scheine ausfindig zu machen. Es existiert ein flotter Handel mit Blankoschecks in London, man muß nur die richtigen Quellen wissen. Es hatte ihm Zeit gekostet, Lukes Bank ausfindig zu machen, und noch mehr Zeit, die nötigen Formulare zu finden. Seine Enttäuschung war begreiflich.

»Ich habe jedenfalls kein Geld«, sagte Luke. »Ihre Mühe war also vergeblich.«

»Doch, Sie haben welches«, unterbrach ihn Connor. »Nachdem Sie fort waren, ließ Ihre Frau ihr ganzes Geld auf Sie zurückschreiben.«

Das war neu für Luke, aber der Mann sagte das sicher nicht aufs Geratewohl.

»Wer hat Ihnen das gesagt?«

»Ein Freund von Ihnen«, sagte der andere kühl.

»Danton Morell?«

Connor nickte.

»Jedenfalls würde es nicht auf dieses Konto zurückgegangen sein«, sagte Luke nach einiger Überlegung. »Es würde in meiner eigenen Bank sein.«

Connor hatte genug Menschenkenntnis um zu wissen, daß sein Gefangener die Wahrheit sprach.

»Aber Sie werden doch die Schecks unterzeichnen, wenn ich die richtigen bekomme, nicht wahr, Mr. Maddison?«

Luke schüttelte den Kopf.

»Ich will Ihnen nicht drohen. Ich will das in anständiger Weise machen«, sagte Connor eindringlich. »Ich habe jemand, der Ihnen aus England heraushilft. Der Gunner kann es nicht. Sie sind ein reicher Mann, und ein paar Hundert mehr oder weniger macht Ihnen nichts aus. Wenn Sie mir vertrauen, werde ich Sie fortbringen, und ich will nie wieder, auch nur um einen Pfennig, zu Ihnen kommen. Sie wissen, ich kann nichts von Ihnen herausholen, wenn Sie einmal aus England heraus sind, darum verlange ich jetzt einen Haufen Geld. Sie sind ein Geschäftsmann, Mr. Maddison, und Sie sind klug genug zu wissen, daß ich mir selber die Gurgel durchschneiden würde, wenn ich später eine kleine Erpressung bei Ihnen versuchen wollte. Ich habe vorn eine Kabine für Sie, und Sie sollen mir Ihr Wort geben, daß Sie keinen Fluchtversuch machen, aber warum sollten Sie das, da ja doch die Polizei nach Ihnen sucht. Gefällt Ihnen der Handel?«

»Sie werden keine Bohne von mir bekommen«, sagte Luke abweisend.

Connor sah ihn lange und gedankenvoll an.

»Gut«, sagte er, »Sie können hierbleiben und hungern, bis Sie Ihren Sinn geändert haben.«

Einen Augenblick war Luke in Versuchung, sich auf ihn zu stürzen, während er die Stufen hinaufstieg. Ein Stoß würde ihn herunterholen; aber Luke war noch sehr schwach. Er saß ruhig, bis die Tür zugemacht war. An Deck war es dunkel, aber nicht zu dunkel für Mr. Connor, als er in das kleine Ruderboot stieg, das an der Seite des Schiffes lag.

Er fuhr nicht nach seiner Werft, sondern mit wenigen Ruderschlägen nach der anderen Seite des Flusses. Von dort ging er in die City, nahm ein Taxi und ließ sich nach der Half Moon Street fahren.

Danty war gerade im Begriff auszugehen und Mr. Danton Morell hakte schlechte Laune.

»Was dachten Sie sich, als Sie mir die Adresse schickten?« sagte er. »Ich ging heute nachmittag hin und rannte beinahe mit Gunner Haynes zusammen.«

»Zum Teufel, was wollten Sie denn da?« fragte Connor.

»Maddison sehen. Ich hätte ihn überreden können, abzureisen. Maddison ist nicht dort. Eine Frau im Hause sagte mir, der Gunner hätte seine Wohnung abgeschlossen und wäre fortgegangen. Wo ist Maddison?«

Connor zündete sich eine Zigarre an, ehe er antwortete.

»Ich habe ihn! – Ich glaube, ich war mit einem Viertel beteiligt, nicht wahr, Danty?, aber jetzt sind es drei Viertel, und da bin ich noch nobel. Sie hatten die Gelegenheit und haben Sie versäumt. Was ist er wert?«

Danty unterdrückte den aufsteigenden Ärger, den der Ton des Mannes in ihm hervorrief. Es war nicht klug, mit Connor in Streit zu geraten, und die Frage der Teilung konnte bis zu einem geeigneteren Augenblick warten.

»Eine halbe Million, sollte ich meinen. Wo ist er?«

Connor ignorierte die Frage. »Eine halbe Million, he? Würde er für hunderttausend gut sein?«

Der andere überlegte einen Augenblick.

»Ja – hunderttausend sicherlich, wenn er sie bekommen kann.«

»Er sagt, er hätte keine Bohne.«

»Er hat Geld«, fuhr Danty auf. »Es ist alles in seiner eigenen Bank.«

Connor sann eine ganze Weile über diese Worte nach.

»Da brauchen wir also zehn Scheine. Können Sie die verschaffen?«

Danty zog seine Stirn in Falken.

»Wozu brauchen Sie Schecks?«

Connor schloß müde die Augen.

»Sie sind so lange aus dem Geschäft heraus, daß Sie beinah alles vergessen haben«, sagte er beleidigend.

»Ich brauche Schecks, damit er sie unterzeichnet, das ist alles. Können Sie welche kriegen?«

Danty überlegte einen Augenblick.

»Ich habe ein Scheckbuch von der Bank«, sagte er. »Ich hatte ein kleines Konto dort, aber die haben wenig Wert, da sie mich leicht verraten können. Aber ich kann andere bekommen.«

Er ging ans Telephon und rief Margarets Nummer an. Der Diener sagte ihm, sie wäre ausgegangen; das war gerade, was er brauchte.

»Wann wird sie zurück sein? Hier Mr. Morell.«

Er war auf die Antwort gefaßt, daß Mrs. Maddison überhaupt nicht mehr für ihn zu sprechen wäre.

»Erst nach dem Lunch, Sir.«

Danty hing den Hörer an.

»Warten Sie hier«, sagte er. »Ich denke, ich weiß, wo ich alle Scheine bekommen kann, die Sie brauchen.«

Er kannte Margaret und ihre häuslichen Gewohnheiten ziemlich gut – er war vertrauter mit ihr gewesen als irgendein anderer Mann. Der Diener war erstaunt, ihn zu sehen, aber er führte ihn ohne zu zögern hinauf in den Salon.

»Ich sagte es wohl nicht deutlich, daß die gnädige Frau erst ungefähr in einer Stunde zurück sein kann.«

Danty lächelte.

»Sie werden sehen, daß sie schon früher zurückkommt«, sagte er lächelnd. »Jedenfalls will ich sie erwarten.«

Die Tür hatte sich kaum hinter dem Diener geschlossen, als er auch schon an Margarets Schreibtisch war. Dieser war unverschlossen, und er wußte, daß sie stets zwei Scheckbücher in einem der seitlichen Schubfächer hatte. Er fand sie da, wie er erwartet hatte: eins halb leer, das andere noch ungebraucht. Aus dem letzteren riß er ungefähr ein Dutzend der hinteren Scheine heraus, steckte sie in die Tasche und schloß das Fach. Dann klingelte er.

»Ich werde doch nicht warten, lieber in einer Stunde wiederkommen. Es ist nicht so eilig, und mir fällt eben ein, daß ich noch einen Besuch zu machen habe.«

Innerhalb einer halben Stunde war er wieder bei Connor und legte die Schecks vor ihn hin; Mr. Connor stellte keine Frage, es war auch nicht nötig.

»Sie lassen sie jetzt von ihm unterzeichnen. Soll ich mitkommen?«

Connor grinste.

»Das ist kein kluger Einfall«, sagte er. »Sie können sich leicht in die Nesseln setzen, Danty.«

Er konnte sich dem Schiffe nicht bei Tageslicht nähern, da er wußte, daß er von der Polizei beobachtet wurde. Sobald es dunkel war, glitt er den Strom hinunter und kletterte auf das Schiff. Er brachte einen Korb voller Eßwaren mit und eine Thermosflasche mit heißem Tee. Das Licht war herabgebrannt, und Luke lag im Halbschlaf auf dem Bett, das für ihn zurechtgemacht war. Durch das Eindringen der kalten, frischen Luft wurde er wach.

Connor knipste eine elektrische Lampe an, die er mitgebracht hatte.

»Hier ist was zu essen«, sagte er. »Es tut mir leid, daß ich Sie solange warten lassen mußte, aber hoffentlich sind Sie nun klüger geworden. Und da sind die Scheine. Ich möchte, daß Sie die selbst ausfüllen.«

Luke langte nach den Eßwaren und aß heißhungrig. Er war so hungrig, daß seine Lebensgeister ganz herabgesunken waren. Wahrscheinlich belebte ihn der heiße Tee mehr als das Essen, und er fühlte sich fast völlig wohl, als er die letzten Krumen von seinen Knien wischte.

»Was haben Sie da für Scheine?« fragte er. »Ach, Schecks! Sie wollen, daß ich die ausfülle und unterzeichne – auf eine fabelhafte Summe? Sie können ja eine Million setzen, wenn Sie wollen, aber ich kann Ihnen versichern, daß sie nicht ausgezahlt wird. Ich sagte Ihnen doch schon, daß mein ganzes Geld auf den Namen meiner Frau eingetragen ist.«

»In dem Falle wollen wir uns einen Spaß machen«, sagte Connor, ohne seinen Gefangenen aus den Augen zu lassen. »Sie stellen diese Schecks jeden auf zehntausend aus und datieren sie immer eine Woche nacheinander. Wenn Sie länger als zehn Wochen hierbleiben wollen, können Sie sie einen Monat nacheinander datieren, oder wenn Ihnen daran liegt, in wenigen Tagen fortzukommen, können Sie einen Scheck auf hunderttausend Pfund ausstellen, und gleichzeitig an Ihren Bankdirektor schreiben, daß er das Ding auszahlen soll.«

Luke lachte, ehe er ausgesprochen hatte.

»Ich hab' viel Sinn für Humor«, sagte er, »aber es kommt mir für einen Bankier nicht witzig vor, Schecks auf Verlustkonto auszustellen.«

Connor zog einen Stuhl heran und setzte sich.

»Lassen Sie uns die Sache in Ordnung bringen«, sagte er. »Sie kennen mich, und Sie wissen, wer ich bin; ich kann zehn Jahre aufgebrummt bekommen, vielleicht noch mehr. Ich würde mich lieber aufhängen, als mein Leben in Broadmoor verbringen, doch ich nehme die Gefahr auf mich, Mr. Maddison. Ich werde Sie quälen und um die Ecke bringen, wenn Sie nicht tun, was ich sage. Sie sind ein verständiger Mensch, und ich überlasse es Ihnen. Ich kann Sie nicht ohne das Geld fortlassen.« Er zog seinen Stuhl näher heran. »Ich hab' mich viele Jahre auf diesem Flusse abgemüht, und was glauben Sie, was ich davon habe? Die Pacht einer alten Werft, die keinen Schilling wert ist; ein paar Tausend auf kleinen Banken und die Gewißheit, daß früher oder später eine meiner Ratten mich verpfeifen wird. Jetzt hab' ich eine Gelegenheit, einen Haufen Geld zu bekommen – Sie haben die Gelegenheit, sich davonzumachen. Ich will einen Bericht über die Tatsachen der Taffanny-Sache aufsetzen und unterschreiben – ist das ein Vorschlag?«

Es war kein Zeitpunkt, heldenmütig zu sein. Luke wußte das ganz genau. Er zweifelte nicht, daß schließlich Connor sein Wort halten würde, und das wäre das Ende. Es war nicht der Augenblick, dem Schicksal mit den Fingern ins Gesicht zu schnippen. Connor behandelte die Angelegenheit ganz geschäftsmäßig, und es blieb ihm nichts übrig, als sich zu fügen. Wenn er einen Scheck ausstellte, zweifelte er nicht, daß dieser honoriert werden würde. Sicherlich würden aber auch Nachforschungen angestellt werden, und wahrscheinlich würde man auf seine Spur kommen.

»Ich halte es für töricht, zu versuchen, einen Scheck über zehntausend einzukassieren«, sagte er. »Die Summe ist so hoch, daß, selbst wenn ich das Geld hätte, Steele Verdacht schöpfen würde. Ich schlage einen Vergleich vor: Ich will Ihnen einen Scheck über fünftausend Pfund geben. Wenn der bezahlt wird, sehr wahrscheinlich aber nicht, haben Sie Glück, und Sie täten besser, sich aus dem Staube zu machen, ehe Nachfragen kommen. Sicherlich wird kein Bankdirektor, der seine Sinne beisammen hat, hunderttausend Pfund auszahlen, ohne sich mit dem Manne in Verbindung zu setzen, der die Schecks ausgestellt hat.«

Er sah, wie Connor lächelte.

»So lass' ich mir's gefallen«, sagte der Mann. »Das ist gescheit. Wo vermutet man Sie – in Spanien, nicht wahr?«

Luke runzelte die Stirn.

»Ich denke ja, warum?«

»Wir wollen die fünftausend abheben und dann zusammen nach Spanien gehen – ich will Sie heute nacht noch 'rausschaffen.«

Der Plan schien Luke nicht ausführbar, aber er sagte nichts. Er schrieb und unterzeichnete den Scheck und überreichte ihn dem anderen.

»Und nun«, sagte Luke, »möchte ich ein bißchen frische Luft haben. Hier erstickt man.«

Connor zögerte.

»Kommen Sie an Deck. Aber wenn Sie Dummheiten machen, werde ich etwas tun, was mir und Ihnen leid tun sollte.«

Wenige Sekunden später saß Luke auf Deck und sog die kühle, süße Luft ein. Er konnte das Licht eines Leuchtturms sehen, das von der anderen Seite des Flusses kam. Gegenüber war eine Reihe von Lichtern auf dem Themse-Kai. Ein munterer kleiner Schleppdampfer bewegte sich langsam stromaufwärts gegen die Flut; er hörte das Zischen und Brausen eines Zuges, der über eine der Brücken fuhr. Die Lichter von Westend färbten die tiefhängenden Wolken in trübes Orangerot. Die Flut wechselte gerade. Er hörte das Anschlagen des Wassers gegen das flache Boot.

Einige Minuten lang saß er in Schweigen versunken. Dann stand er auf und streckte seine verkrampften Glieder.

»Wenn ich verspräche, das Schiff nicht zu verlassen und mich ruhig zu halten, würden Sie die Tür offen lassen, Mr. Connor?«

Connor antwortete mit einem Lachen.

»Dummheit! Solche Versprechen haben für mich keinen Sinn.«

»Ich bin froh«, sagte Luke. »Wenn Sie mein Versprechen angenommen hätten, hätte das recht hinderlich für mich sein können.«

Als er das sagte, schoß seine Hand vor, und Connor flog auf den Boden. Ehe er sich aufraffen konnte, hatte Luke den Rand der Barke erreicht, sprang, ohne zurückzublicken, in das Wasser und schwamm nach der Mitte des Stromes.

Er hörte nichts außer dem Geräusch laufender Füße an Bord des Schiffes und dann eine Stimme, die eilige Befehle gab. Connor mußte ein Ruderboot an der Leine haben. Die steigende Flut hatte ihn schon weit von der Barke fortgetragen, und nichts war in seiner Nähe als eine Reihe Kähne, die in der Mitte des Stromes verankert waren. Dahin zu streben, hieße sich der Entdeckung auszusetzen. So schwamm er nach dem Ufer zurück.

Jetzt sah er um den Bug der Barke einen Schatten herumkommen. Connor verfolgte ihn in einem Motorboote. Es lief so schnell, daß es nichts anderes sein konnte. Nur ein Ausweg blieb ihm übrig. Er holte tief Atem und tauchte, indem er kräftig gegen die Flut schwamm. Er schien eine Ewigkeit unter Wasser zu sein; seine Lungen und sein Kopf platzten beinahe, als er wieder an die Oberfläche kam – genau unter dem Heck des Motorbootes kam er hoch, so dicht, daß der wirbelnde kleine Propeller beinahe sein Haar berührte.

Keiner der beiden Männer in dem Boot hatte ihn bemerkt. Er konnte gerade die Schattenrisse ihrer Köpfe sehen, wie sie sich über den Rand bogen – und schnell tauchte er wieder unter.

Er fühlte seine Kräfte schwinden: eine derartige Anstrengung konnte er nicht lange aushalten. Er mußte wieder an die Oberfläche kommen und war froh, als er nichts mehr von dem Boote bemerkte. Während er Wasser trat, sah er es auf die Schiffe in der Mitte des Stromes zulaufen. Jetzt war er zwanzig Meter von einem Frachtkahn entfernt, der an einem Kai verankert war. Tüchtig ausstreichend, erreichte er die Ankerkette und schöpfte tief Atem.

Er war zu schwach, um hinaufzuklettern. Das einzige, was er tun konnte, war, seine Reise um das Boot herum nach dem Ufer fortzusetzen. Mit unendlicher Mühe gelang es ihm endlich. Er mußte aber bis zu den Knien durch dicken Schlamm waten, ehe er an die Front eines Lagerhauses kam. Von hier konnte er nicht entwischen. Als er über seine Schulter blickte, sah er das Boot zurückkommen. Irgend jemand leuchtete mit einer elektrischen Laterne über das Wasser, und weitere Flucht schien unmöglich.

In diesem Augenblick rief ihn eine heisere Stimme vom Bord des Schiffes an:

»Hand her!«

Er hielt seine Hand in die Höhe, und sie wurde gefaßt.

»Aufpassen! Am Pfahl festhalten!« flüsterte die Stimme ermutigend, und indem er aufwärts griff, fand Luke Halt. Mit übermenschlicher Anstrengung und der Hilfe seines unbekannten Freundes zog er sich auf den kleinen Kai, der an dem Lagerschuppen entlang lief und kaum breit genug war, daß zwei Menschen nebeneinander darauf entlang gehen konnten.

»Man hat Sie nicht gesehen?« flüsterte der andere, und ehe Luke antworten konnte: »Laufen Sie links 'rum, hinter mir her – da ist ein Wachmann! Jetzt schläft er – aber machen Sie keinen Lärm!«

Luke Maddison suchte sich seinen Weg vorsichtig über einen Hof, in dem Pflastersteine und Granitplatten herumlagen. Er sah einen langen Schuppen, aus dem die Deichseln von Möbelwagen hervorragten. In der Nähe waren Pferde, denn er hörte Wiehern aus einem Stalle.

Leise folgte er dem Unbekannten an einer kleinen Hütte vorbei, in der der Nachtwächter schlief. Nach einer Weile kamen sie an ein schweres, schwarzes Tor; die kleine Durchgangstür war nicht geschlossen. Durch diese schlüpften sie, und Lukes Helfer schloß sie hinter sich.

»Ich sah, wie sie nach Ihnen suchten, und dachte, sie wären hinter Connors Leuten her.«

Er fluchte in gemeinster Weise.

»Die Blauen auf dem Flusse sind schlimmer als die auf dem Lande.«

Beim Licht einer Straßenlampe nahm Luke seinen Gefährten in Augenschein: ein Mann mit scharfem, hohlwangigen Gesicht, etwa dreißig Jahre alt, mit einer jüdischen Nase und lauernden Augen, die nie still standen.

»Sie sind naß, kommen Sie mit in Connors Hof: er kann Ihnen andere Kleider geben.«

»Nein, danke«, sagte Luke hastig. »Ich will nichts mit Connor zu tun haben.«

»Sie wollen nichts mit Connor zu tun haben, he? Schön, das ist klug. Haben Sie Geld?«

Luke griff in seine Tasche.

»Nein«, sagte er.

Der Mann stieß ein mißbilligendes Grunzen aus.

»Ich dachte, ich würde wenigstens ein Pfund dabei machen. Wo wohnen Sie?«

»Zum Teufel, ich weiß nicht mal, wo ich wohne«, sagte Luke ärgerlich und hörte das dünne, pfeifende Lachen seines Begleiters.

»Sie sind ein – Feiner; ich dachte es mir gleich, als ich Sie sprechen hörte. Schon mal 'nen Geldschrank geknackt? Da in dem Lagerhause ist einer, sonst nichts. Man sagt, da wäre was zu holen. Der einzigste Weg 'reinzukommen, ist durch den Hof. Ich wette, im Schrank ist genug für uns beide. Haben Sie je einen geknackt?«

»Nie«, sagte Luke. »Das ist eins von den wenigen Dingen, die ich nicht gemacht habe.«

»Warum waren die Blauen hinter Ihnen her?«

Der Mann war der Meinung, Luke wäre der Flußpolizei entwischt, und er ließ ihn dabei.

»Ja – es ist ein hartes Leben«, sagte der andere heiser.

Sie kamen jetzt in belebtere Gegend, und der kleine Mann, dessen Namen Curly war, blieb stehen.

»So können Sie nicht durch die Straßen laufen. Sie würden sofort erwischt. Kommen Sie lieber mit mir nach Hause. Aber ich kann Sie nicht bei mir behalten.«

Er führte Luke durch verschiedene Nebenstraßen in die ärmlichste Gasse, die er je gesehen hatte. Obgleich es spät abends war, spielten Kinder vor den Häusern und kreischten, Frauen schwatzten vor den Türen. Keiner beachtete Luke oder seinen Begleiter. Bald kamen sie durch eine Tür, die Curly aufschloß, in einen übelriechenden Durchgang und auf eine teppichlose Treppe.

»Gehen Sie da rein und ziehen Sie Ihre nassen Sachen aus.« Curly öffnete eine Tür, strich ein Zündholz an und steckte eine Kerze an.

Die Fenster waren mit Stücken von alten Pferdedecken verhängt, und die Ausstattung des Zimmers bestand aus einem gräßlich aussehenden Bett und einem Stuhl.

Curly sagte, er müßte mit dem Hauswirt sprechen. Er blieb eine Weile fort. Als er zurückkam, hatte Luke seinen Abscheu gegen das schmutzige Bettzeug überwunden und war, nachdem er seine Kleider ausgezogen und sich an dem einzigen, schmierigen Handtuch, so gut er konnte, abgetrocknet hatte, in das Bett gekrochen.

Curly warf ein Paar Hosen und ein altes Hemd, das den Vorteil hatte, sauber zu sein, auf einen Stuhl.

»Das ist alles, was ich für Sie bekommen konnte«, sagte er und nahm Lukes durchweichten Anzug, den er mit Zufriedenheit betrachtete.

Auch die Stiefel wurden begutachtet.

»Seidenes Hemd, he? Ich wußte 's ja, Sie sind ein Feiner. Ich will es Ihnen trocknen lassen.«

Er verschwand und kam nicht wieder. Zehn Minuten später war Luke trotz der unappetitlichen Umgebung fest eingeschlafen. Als er aufwachte, schien die Sonne durch die Löcher der Decken. Er stand auf und zog sich Hemd und Hosen an.

Unten war Lärm; das Heulen eines Kindes, die schreiende Stimme einer Frau und dann die tiefere eines schimpfenden Mannes. Er öffnete die Tür, ging auf den Vorplatz und rief hinunter. Sofort erschien der Mann mit der tiefen Stimme.

»Was gibt's?«

»Sind meine Kleider getrocknet?« fragte Luke höflich.

»Was für Kleider?«

Der Mann schien interessiert zu sein und kam schwerfällig die Treppe herauf, ein großes, unrasiertes Scheusal mit gedunsenem Gesicht.

»Haben Sie Curly Ihre Kleider gegeben?« Er gab seiner Hand einen lauten Kuß. »Dann sagen Sie ihnen lebe wohl, alter Junge!«

Luke starrte ihn an.

»Meinen Sie, daß er damit durchgegangen ist?«

Das schien seine feste Überzeugung zu sein. Er teilte seinem Gaste noch mit, daß dieser ihm für das Übernachten zwei Schilling schulde.

»Und dann meine Hosen und mein Hemd?« sagte er. »Was kriege ich dafür?«

Es dauerte lange, bis er einwilligte, ihm noch eine alte Jacke und ein Paar alter Schuhe zu borgen, die noch dazu viel zu eng waren. Er würde, wie er sagte, von Curly noch etwas herausbekommen, woraus Luke schließen konnte, daß er an dem Gewinn aus den gestohlenen Sachen beteiligt war. Zu seinen anderen Wohltaten fügte er noch eine Tasse Tee und eine große Scheibe Brot mit Margarine hinzu, und dann wurde der Bankier auf die Straße verwiesen.

Starker Regen fiel. Als er Lambeth Bridge erreichte, war er durch und durch naß. Er ging in den Park, fand einen Stuhl und zog ihn unter den Schutz eines großen, überhängenden Baumes. Lange saß er da und war dann zu einem Entschlusse gelangt. Schande und Gefängnis schienen weniger unangenehme Aussichten zu sein als Kälte und Hunger. Er entschloß sich, nach der Bank zu gehen.

Er wußte nicht, wie spät es war und fragte einen Vorübergehenden, ohne jedoch einer Antwort gewürdigt zu werden. Er fragte einen anderen Mann, der ihm mürrisch sagte, daß es beinahe zwölf wäre. Um diese Zeit würde er Steele im Büro finden, und Steele bedeutete Trost und Nahrung und anständige Kleidung.

Als er aus dem Parktor herauskam, faßte ihn jemand am Arm und drehte ihn herum. Er blickte in das unsympathische Gesicht eines Mannes, der offenbar Geheimpolizist war.

»Gebettelt, he? Ich sah Sie jene beiden Herren ansprechen.«

»Ich habe gefragt, wie spät es ist«, sagte Luke.

»Jawohl!« sagte der Detektiv mit zusammengekniffenen Lippen. »Kommen Sie ein bißchen mit.«

Zehn Minuten später schloß sich eine Tür hinter Luke Maddison, und er befand sich in der sauberen, aber nicht gerade behaglichen Zelle eines Polizeireviers. Mit diesem Pech hatte er Glück, denn Connor war seiner Spur gefolgt, in der Hoffnung, daß Luke vielleicht in einen Teil des Parkes kommen würde, wo Überredung – friedlich oder in anderer Weise – versucht werden könnte.


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