Edgar Wallace
Hands up!
Edgar Wallace

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31

Kein Mensch liebte es weniger, seine Zeit und Kraft zu vergeuden, als Gunner Haynes. Er war überzeugt, daß Connor den Bankier in die Hände bekommen hatte, aber er irrte sich, als er Danty Morell mit der Entführung in Verbindung brachte.

Er wollte Connor aufsuchen, aber er erfuhr, daß er die Stadt verlassen hätte. Er versuchte nicht, eine Unterredung mit Danty Morell herbeizuführen, ging aber nach der Half Moon Street und beobachtete das Haus, bis er zuerst Danty und dann Pi Coles herauskommen sah. An Dantys Wohnung zu gelangen, war sehr einfach – eine Schlüsselform, ein Abdruck und eine Stunde in Green Park mit dem Feilen des weichen Metalls verbracht verschafften ihm den Eintritt.

Der Gedanke, daß Danty zurückkommen könnte, störte ihn nicht. Sein Haß gegen Morell war in gewissem Sinne unlogisch. Sie waren doch einstmals Freunde gewesen, hatten zusammen gearbeitet, und dann hatte er ihn aus den Augen verloren, die Genossenschaft hatte sich aufgelöst. Gunner Haynes hatte seine leichtfertige, kleine Frau geliebt, und als sie verschwand und nichts weiter als die Erinnerung blieb, war ein bedeutendes Stück seines Lebens verloren. Er mochte Danty in Verdacht haben, die Ursache seines Unglücks zu sein, aber er hatte keinen Beweis.

Danty hatte gesagt, daß die junge Frau verschwunden wäre, und daß er ebensowenig wie ihr Mann wüßte, wohin. Dennoch verstärkte sich der Verdacht in Gunner Haynes beinahe zur Gewißheit. Er war jedoch ein zu gerecht denkender Mann; solange der Beweis fehlte, würde Danty nichts geschehen.

Er unterzog die beiden Zimmer einer schnellen, aber genauen Untersuchung. Es gab Briefe durchzusehen, Taschenbücher zu untersuchen, Schubfächer zu öffnen und zu durchstöbern, aber nirgends fand er den geringsten Aufschluß über den Ort, wo Luke Madison gefangen saß. Er fand den Zettel, auf den Connor die Adresse Lukes gekritzelt hatte, aber sonst nichts. Es blieb nur noch der Geldschrank, der nur ein einfacher Stahlschrank mit Sicherheitsschloß war – von der Art, wie sie in so vielen Geschäften zu finden ist. Diesen aufzumachen, war das Werk von fünf Minuten.

Er enthielt vier Fächer, und jedes war gefüllt mit Briefen, Rechnungen und all den Andenken, die Danty gesammelt hatte und die unordentlich durcheinander lagen. Im dritten Fach fand er einen Kasten, dessen Schloß er erbrach. Papiere, Briefe, ganze Bündel Briefe, die mit Schuhbändern, mit Bindfaden zusammengebunden waren – romantisch war Danty nicht.

Das erste Bündel interessierte ihn nicht, aber sein Gesicht wurde fahl, als er eine bekannte Handschrift in dem zweiten sah. Er trug den Kasten ins Speisezimmer, setzte sich an den Tisch und las drei von den Briefen, überflog die anderen, und dann band er sie langsam und behutsam wieder zusammen und legte sie in den Kasten zurück. Während er das tat, fiel sein Blick auf einen Zettel, der dieselbe Form und Größe hatte wie Rex Leferres letzte Botschaft. Er nahm ihn auf . . . Ja, es war die gleiche Handschrift! Doch die Worte waren unverständlich, sie lauteten:

»Danty Morell Der Mann ist ein ganz gemeiner Schwindler Ich bin vor ihm gewarnt worden von«

Wie war doch der Wortlaut auf den beiden kleinen Streifen Papier, die ihm Margaret gezeigt hatte? Sein ausgezeichnetes Gedächtnis ließ ihn nicht im Stich:

»Margaret, mein Liebling, ich bin verloren. Monatelang habe ich spekuliert und heute einen verzweifelten Schritt gewagt auf den Rat von«

und das andere Blatt:

»Luke Maddison. Er hat mich ruiniert – Geld ist sein Gott Ich bitte Dich um alles in der Welt, trau ihm nicht. Er hat mich von einer Torheit in die andere getrieben.
Gott segne Dich.

Rex.«

Und blitzschnell wurde ihm alles klar. Danty hatte sofort gesehen, daß der erste und dritte der kleinen Zettelchen eine vollkommene Botschaft ergaben, die Luke Maddison für immer bei Margaret unmöglich machen würde; den zweiten hatte er in seine Tasche gesteckt. Man sah, daß er zusammengeknüllt worden war.

Las man die drei Zettel des kleinen Notizblocks, die die letzten Worte des bedauernswerten jungen Mannes trugen, in der richtigen Reihenfolge, so hatte man die furchtbare Anklage gegen Dankon Morell:

»Margaret, mein Liebling, ich bin verloren. Monatelang habe ich spekuliert und heute einen verzweifelten Schritt gewagt auf den Rat von

Danty Morell Der Mann ist ein ganz gemeiner Schwindler Ich bin vor ihm gewarnt worden von

Luke Maddison. Er hat mich ruiniert – Geld ist sein Gott. Ich bitte Dich um alles in der Welt traue ihm nicht. Er hat mich von einer Torheit in die andere getrieben. Gott segne Dich. Rex.«

Es dauerte eine geraume Zeit, bis der sonst so kaltblütige Mann seine Ruhe wiederfand. Sein Kopf war vom Lesen der Briefe wie benommen; Haß und Abscheu hatten ihn fast sinnlos gemacht. Mechanisch steckte er den bedeutungsvollen Zettel in sein Taschenbuch. Die Briefe seiner Frau mußten verbrannt werden. Er öffnete den Kasten noch einmal, nahm sie heraus und warf sie in das Kaminfeuer. Sah die Flammen aufflackern, sah die Briefe langsam zu Asche werden. Dann stellte er den Kasten in den Schrank zurück und verschloß diesen.

Für den Augenblick waren Luke Maddison und dessen Sicherheit für ihn nebensächliche Dinge. Danty war die Hauptsache! Die Qual und der jämmerliche Hilferuf in jenen Briefen! Gunner Haynes erblickte sein Gesicht im Spiegel über dem Kamin und war entsetzt. Er war plötzlich alt geworden.

Danty kam nicht – er war froh darüber. Er schaltete das Licht aus, schloß die Tür hinter sich und ging hinunter. Als er gerade die Straße überschritten hatte, fuhr ein Wagen vor dem Hause vor, und ein Mann stieg heraus. Es war Danty.

Gunner beobachtete ihn, machte aber keine Anstalten, ihn aufzuhalten. Das würde später kommen – die große Abrechnung.

Wie ein Träumender schlenderte er die Straße entlang und hörte zweimal seinen Namen, ehe er sich umdrehte und in Mary Bolfords hübsches Gesicht blickte.

»Ich wußte erst nicht genau, ob Sie es wären, und dann dachte ich, Sie heckten vielleicht neue ruchlose Pläne aus . . . aber das ist doch nicht so?«

Der Gunner atmete tief auf.

»Um die Wahrheit zu sagen, Miß Bolford, das habe ich wirklich getan«, sagte er höflich. »Leider hatte ich in der vergangenen Woche nicht das Glück, Sie treffen zu können.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich war sehr beschäftigt, ich habe eine Anstellung bei einer australischen Zeitung angenommen und verlasse London in der nächsten Woche.«

Ihr Ton war munter, aber er konnte einen Klang in ihrer Stimme entdecken, der für ihn schmeichelhaft war.

»So?! Na, ich habe Ihnen Stoff genug zum Schreiben gegeben, denke ich.«

Sie seufzte. »Ja . . .« Und nach einer kleinen Pause: »Ich werde Sie sehr vermissen. Ich glaube, wenn ich das Mr. Bird erzählte, würde er sich ärgern.«

»Wütend!« sagte Gunner mit einem leisen Lächeln, das den schmerzlichen Ausdruck, den sie in seinen Augen bemerkt hatte, verwischte.

»Sie werden wohl nie nach Australien kommen? – Ich gehe auf sieben Jahre hin.«

»Mit welchem Schiffe reisen Sie?« fragte er, und als sie ihm geantwortet hatte: »Es gibt noch ein anderes, ungefähr eine Woche später. Fahren Sie von London ab?«

Sie nickte.

»Ich sollte erst in Neapel an Bord gehen – wir legen da an; aber ich habe die Seereise nötig. Ich hab's ein bißchen mit der Lunge zu tun, nicht schlimm. Darum habe ich die Arbeit in Australien angenommen.«

Sie tranken zusammen Kaffee, und in diesen flüchtigen Minuten dachte er weder an Luke Maddison noch an Danty oder an die Briefe, die zu Asche geworden waren. Als sie sich gegen elf Uhr trennen wollten, sagte er:

»Wenn ich meine Angelegenheiten hier erledigen kann, könnte ich Ihr Schiff in Neapel erreichen.«

Sie sah ihn sehr ernst an.

»Meinen Sie das wirklich?« sagte sie. »Und ist Australien der Platz für Ihre nächste – – –« Sie suchte nach einem Wort, aber er kam ihr zuvor.

»Ich bin im Begriff, eines der seltensten Wunder zu werden: Ein gebesserter – Gauner!«

Sie schwieg.

»Könnte Ihnen jemand dabei helfen?« fragte sie, und Haynes nickte.

Er sprach nicht aus, was in seinen und ihren Gedanken war, aber sie verstand. Dann schenkte er ihr zum ersten Male sein Vertrauen, und sie lauschte mit großen Augen und voller Staunen auf die wahre Geschichte von Luke Maddison.

»Ich habe den ganzen Tag nach ihm gesucht und habe nicht den kleinsten Anhaltspunkt gefunden.«

»Er ist doch nicht tot?«

Haynes schüttelte den Kopf.

»Das ist unwahrscheinlich«, sagte er. »Das Schlimme ist, daß die Polizei nicht benachrichtigt werden darf – ich denke, die Presse lieber auch nicht«, er lächelte, »aber die Dinge liegen jetzt anders, nicht wahr?«

»Haben Sie den Zettel, den Sie in Morells Wohnung gefunden haben?« (Er hatte bei seiner Erzählung nichts ausgelassen.)

Er reichte ihn ihr über den Tisch. Sie las und nickte.

»Was stand auf dem anderen?«

Er wiederholte die ganze Botschaft fast Wort für Wort.

»Ich habe Rex gesehen – ich weiß tatsächlich eine ganze Menge von ihm«, sagte sie. »Mr. Bird vertraute mir und erzählte mir von dem Betrug. Ich hätte ihm auch vieles mitteilen können, denn ich stand am Eingang der Bank, gerade an dem Tage, als der gefälschte Scheck bezahlt wurde. An dem Tage gab mir Mr. Maddison hundert Pfund – ich habe sie noch.«

Sie sprachen noch vom Spatz, als sie das Restaurant verließen, und an der Ecke der Bury Street trafen sie ihn selbst. Er blickte mißbilligend auf Gunner Haynes und mit finsteren Augen auf das Mädchen.

»Eine neue Verbrechergeschichte? Was treiben Sie, Gunner? Sind Sie Zeuge vor einer auserlesenen Kommission?« fragte er höhnisch.

Gunner Haynes kicherte. Kürzlich hatte sich ein Polizeiskandal ereignet; jemand war eingesteckt worden, der nichts verbrochen hatte; die unvermeidliche Kritik der Zeitungen über das Verhalten der Polizei war die Folge gewesen.

»Wir sind heutzutage gezwungen, so vorsichtig vorzugehen, daß ich selbst nicht mal einen Mann, der seiner Frau die Gurgel durchschneidet, verhaften würde, ohne Untersuchung anzustellen«, sagte der Spatz. »Ich will Ihnen erzählen, wie schlimm das geworden ist. Gerade hat man einen Landstreicher aus einer Polizeistation herausgelassen, der wegen Bettelns verhaftet wurde; es war aber nur ein Zeuge da – ein Polizist! Darum ließen sie ihn laufen. Wenn wir dahin kommen, daß wir auf die Gefühle eines Landstreichers Rücksicht nehmen müssen, dann kann man ebensogut Scotland Yard in ein Heim für verlaufene Hunde umwandeln. Ich nehme den Landstreicher als Beispiel, weil ich gerade auf das Revier kam, als man ihn 'rausgesetzt hatte. Ich glaube, in ganz London geht's so zu. Sie gehen nach Australien, hörte ich, Miß Bolford?«

Seine scharfen Augen durchforschten das Gesicht des Gunners.

»Sie doch nicht auch, Gunner? Sie werden die Plauderstündchen am Teetisch vermissen, nicht wahr?«

Mary Bolford wurde rot. Sie hatte sich nicht träumen lassen, daß jene unregelmäßigen und harmlosen Zusammenkünfte mit Gunner Haynes von dem dicken Mann bemerkt worden waren.

»Sie beide müssen gewarnt werden«, sagte der Spatz gelassen, »und ich warne Sie! Es gab noch nie einen Gauner, der jemals etwas anderes sein konnte als ein Gauner. Es war noch niemals ein Mädchen, das einen Mann heiratete, um ihn zu bessern, das nicht schließlich mit einem besseren davonging.«

»Sie sind heute abend prophetischer Laune, Mr. Bird«, sagte der Gunner kühl. »Sagen Sie uns doch, wer wird das Derby gewinnen?«

Der Spatz brummte und ging mit kurzem Nicken davon. Haynes und das junge Mädchen gingen Piccadilly entlang, bis in die Nähe des Zirkus, und hier trennten sie sich.

Während sie noch zögerten, ihre Hand in der seinen, sagte er:

»Sie haben heute abend einem Manne das Leben gerettet, Mary«, und klugerweise fragte sie ihn nichts weiter.


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