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8,4-27. Gefährdetes Geleit (1198) |
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Ich saß auf einem Felsen und deckte ein Bein mit dem andern; darauf stützte ich den Ellenbogen. In meine Hand hatte ich das Kinn und meine eine Wange geschmiegt. Da erwog ich eindringlich, wie man auf Erden leben müßte. Keinen Rat wußte ich zu geben, wie man drei Schätze erlangen könnte, ohne daß einer von ihnen verloren ginge. Zwei von denen sind Ansehen und vergänglicher Besitz, die oft einander Abbruch tun; Gnade bei Gott ist das dritte, von höherem Wert als die beiden anderen. Die wünschte ich mir in einen Kasten. Aber wahrhaftig, das ist leider unmöglich, daß Besitz und Ansehen vor der Welt und dazu noch Gnade bei Gott zusammen in ein Herz kommen. Weg und Steg sind ihnen verlegt: Treulosigkeit lauert im Hinterhalt, Gewalttätigkeit treibt Straßenraub; Frieden und Recht sind todwund. Die drei haben keinen Geleitschutz, wenn diese beiden nicht vorher genesen. |
Ich saz ûf eime steine,
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18,29-19,4. Philipp und die Krone (1198) |
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Die Krone ist älter als der König Philippus: ihr alle könnt deutlich ein Wunder daran erkennen, wie sie der Goldschmied ihm so genau angemessen hat. Sein kaiserliches Haupt paßt zu ihr so gut, daß kein Urteilsfähiger Grund hat, sie zu trennen: jedes von ihnen erhöht da das andere. Sie strahlen beide einander an, das Edelgestein gegen den jungen holden Mann; dieses Anblicks freuen sich die Fürsten. Wenn also einer den König noch nicht gefunden haben sollte, der sehe zu, wem der Waise über seinem Nacken steht: – der Stein ist aller Fürsten Leitstern. |
Diu krône ist elter danne der künec Philippes sî:
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21,25-22,2. Vorzeichen des jüngsten Tages (1201) |
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Jetzt wachet auf! Uns naht der Tag, vor dem jeder Christ, Jude und Heide große Angst haben muß. Wir haben viele der Zeichen gesehen, an denen wir sein Kommen gut erkennen, wie uns die Schrift wahrheitsgetreu belehrt hat. Die Sonne hat sich verfinstert, Treulosigkeit ihren Samen allenthalben auf die Wege ausgestreut. Der Vater findet Treulosigkeit bei seinem Sohn, der Bruder lügt seinen Bruder an; der geistliche Stand, der uns den Weg zum Himmel bereiten sollte, treibt in seinen Schalkskleidern Betrug. Gewalttätigkeit sprießt auf, vor Gericht welkt Gerechtigkeit dahin. Auf denn! hier hat man zu lange geschlafen. |
Nû wachet! uns gêt zuo der tac,
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9,16-39. Römischer Trug (1201) |
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Ich sah mit meinen eigenen Augen die Heimlichkeiten von Männern und Frauen, so daß ich alles vernahm und erblickte, was einer tat, was einer sprach. In Rom hörte ich, wie man log und zwei Könige betrog. Daraus entstand der größte Kampf, der jemals früher war oder später sein wird, als Geistliche und Weltliche in zwei Parteien auseinander traten. Das war die schwerste aller Bedrängnisse: denn Leib und Seele lagen da tot. Die Geistlichen kämpften heftig, aber die Zahl der Weltlichen nahm zu. Da legten jene die Schwerter nieder und griffen wieder zur Stola: sie bannten diejenigen, die sie zu bannen begehrten, und nicht denjenigen, den sie hätten bannen müssen. Da zerstörte man die Kirchen. Ich hörte ferne in einer Klause großes Jammern: dort weinte ein Klausner, er klagte Gott seinen Schmerz: »Ach, der Papst ist zu jung; hilf, Herr, deiner Christenheit!« |
Ich sach mit mînen ougen
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19,17-28. Mahnung zur Freigebigkeit |
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König Philippus, genaue Beobachter werfen dir vor, du gäbest nicht aus freiem Willen: deshalb kommt es mir so vor, als büßtest du dadurch weit mehr ein. Du solltest lieber tausend Pfund freiwillig geben als dreißigtausend widerwillig. Dir ist nicht bekannt, auf welche Weise man durch Schenken Ruhm und Achtung erlangt. Denk an den freigebigen Saladin; der erklärte, Königshände müßten durchlässig sein, dann würden sie gefürchtet und geliebt. Denk an den von England, um welch hohen Preis der durch seine schenkende Hand befreit wurde. Ein Verlust ist nützlich, wenn er zwei Vorteile bringt. |
Philippes künec, die nâhe spehenden zîhent dich,
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9,29-20,3. Am Hoflager Philipps (1198) |
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Als Friedrich von Österreich es so gewandt hatte, daß er die Seele rettete und den Leib verlor, da zog er meinen Kranichschritt sich nach unter die Erde. Da schlich ich überall wie ein Pfau einher, mein Haupt ließ ich bis auf die Kniee niederhangen. Jetzt richte ich es auf, meinem vollen Wert entsprechend. Ich habe einen gastlichen Herd gefunden: König und Krone haben mich aufgenommen. Auf denn, wer zur Geige zu tanzen begehrt! Meiner Not ist jetzt abgeholfen; endlich werde ich auf ebener Straße dahinschreiten und wieder zu meiner Hochstimmung emporsteigen. |
Dô Friderich ûz Ôsterrîch alsô gewarp,
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84,1-13. Sehnsucht nach Wien |
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Um drei Dinge mache ich mir Sorgen; könnte ich auch nur mit einem von denen ins Reine kommen, so stände es gut um mich. Aber was mir auch dadurch widerfahre, ich lasse keines von ihnen aus: ich kann doch noch in allen dreien Glück und Erfolg haben: Gottes Gnade und die Liebe meiner Herrin – ich bin darum besorgt, wie ich die erwerbe. Das dritte hat sich unrechterweise lange Zeit ablehnend gegen mich verhalten. Das ist der herrliche Hof zu Wien: ich ruhe niemals, bis ich mich dessen wert mache, da er treu und beständig so viele hohe Vorzüge bewahrt hat. Man sah da Leopolds Hand ohne Scheu und Reue spenden. |
Drî sorge habe ich mir genomen:
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20,31-21,9. Bitte an Leopold |
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Das Tor des Glücks ist mir verschlossen. Wie nackt und bloß stehe ich davor, aber all mein Klopfen hilft mir nichts. Könnte es ein größeres Wunder geben? Beiderseits von mir regnet es, ohne daß von dem allen mir ein Tropfen zuteil wird. Die Freigebigkeit des Fürsten von Österreich erfreut wie lieblicher Regen Land und Leute. Er ist eine schöne, buntgeschmückte Heide, auf der man eine Überfülle von Blumen pflückt. Und pflückte mir ein Blatt davon jene schenkfreudige Hand, so würde ich ein Loblied auf den strahlenden Anblick singen. Hiermit sei er an mich erinnert. |
Mir ist verspart der sælden tor:
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24,33-25,10. Der Wiener Hof |
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Der Hof zu Wien sagte zu mir: »Walther, ich sollte dir gefallen, nun mißfalle ich dir, das möge Gott erbarmen! Früher stand ich in hohen Ehren; da lebte nirgend meinesgleichen außer König Artus' Hof. Jetzt dagegen: wehe mir Armem! Wo sind jetzt Ritter und Damen, die man eigentlich bei mir erblicken müßte? Seht, wie kläglich es bei mir aussieht! Mein Dach ist morsch, und meine Wände fallen ein. Mich liebt leider niemand. Gold, Silber, Pferde und Kleider schenkte ich weg und hatte anderseits doch mehr (an Gütern der Kunst und Lebensfreude). Jetzt hab ich weder Kränze noch Schmuckbänder noch Damen für einen Tanz, o weh!« |
Der hof ze Wiene sprach ze mir
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82,24-36. Auf Reimars Tod (zwischen 1207 u. 1210) |
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Ach, daß sich weder Kunstverstand und Jugend noch Schönheit und innere Vorzüge vererben lassen, wenn man einmal stirbt! Das kann ein verständiger Mann schmerzlich beklagen, der imstande ist, den Verlust zu ermessen, wieviel meisterliches Können, Reimar, mit dir zugrunde geht. Dir sollte mit Recht immerdar zu Gute kommen, daß du zu keiner Stunde des Tages müde wurdest, die Frauen zart zu feiern. Dafür sollen sie dir immer dankbar sein. Hättest du auch nur jenes eine Lied gesungen: »Heil dir, Weib, welch herrlicher Stand!«, so hättest du für ihr Lob so schön gekämpft, daß alle Frauen für dich Fürbitte einlegen müßten. |
Owê daz wîsheit unde jugent,
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24,18-32. Reisesegen |
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Mit Segen mög ich heute aufstehen; Herr Gott, unter deinem Schutze gehn und reiten, wohin ich mich auch wende! Herr Christ, offenbare mir die große Fülle deiner Güte und nimm dich meiner an um deiner Mutter willen. Wie sich der heilige Engel ihrer annahm und auch deiner, der du, junger Mensch und alter Gott, demütig vor dem Esel und dem Ochsen in der Krippe lagst, und dessen sich doch mit segenreichem Schutze der liebe Gabriel ganz treulich und ernst annahm, so nimm dich auch meiner an, so daß dein hochgöttliches Gebot auch bei mir in Kraft bleibe. |
Mit sælden müeze ich hiute ûf stên,
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22,33-23,10. Junker-Lehre |
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Junker, wes Standes du auch bist, ich will dir eine gute Lehre geben. Quäle dich nicht zu sehr um Besitz, verachte ihn anderseits auch nicht zu sehr. Folgst du meinem Rat, so sei gewiß, daß es dir zur rechten Gesinnung verhilft. Was ich gesagt habe, will ich dir deutlicher erklären. Läßt du dir den Besitz zu sehr verleiden, so ist, wenn er verloren geht, deine Freudigkeit tot. Willst du ihn aber zu sehr lieben, dann kannst du Seele und Ehre einbüßen. Daher folge meinem Rat: leg auf die Wage ein genaues Gewicht und richte beim Wägen auch deinen ganzen Geist darauf, – wie es uns das Maßhalten immer gebot. |
Junc man, in swelher aht dû bist,
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22,18-32. Toren und Weise |
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Wenn einer wissentlich Todsünde und Schandtat begeht, um reich zu werden, muß man den zu einem Weisen erklären? Wenn einer durch diese beiden Reichtum besitzt, so muß jeder, der das bei ihm weiß und wahrnimmt, ihn eher für einen Toren halten. Der Weise liebt nichts so sehr wie Gnade bei Gott und Ehrenhaftigkeit. Leib, Weib und Kind läßt er eher dahinfahren, als daß er diese beiden verlöre. Jener Tor kommt mir nicht weise vor; ebensowenig wer seine Ehrenhaftigkeit rühmen würde; mir scheint, sie sind beide Toren. Ein Narr, der jenen beiden Gütern ein anderes vorzöge! Der ist nicht bei vollem Verstand. |
Swer houbetsünde unt schande tuot
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