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Niedere Minne

(1198-1210?)

110,13-26

I. Heil mir der Stunde wegen, daß ich sie kennen lernte, die mir Leib und Seele bezwungen hat, seit ich auf sie so ganz meine Gedanken richtete, deren sie mich durch ihre Vollkommenheit beraubt hat. Daß ich von ihr nicht loskommen kann, das hat ihre Schönheit und ihre Vollkommenheit getan und ihr roter Mund, der so freundlich lacht.

Wol mich der stunde, daz ich sie erkande,
    diu mir den lîp und den muot hât betwungen,
sît deich die sinne sô gar an sie wande,
    der si mich hât mit ir güete verdrungen.
daz ich gescheiden von ir niht enkan,
    daz hât ir schœne und ir güete gemachet,
    und ir rôter munt, der sô lieplîchen lachet.

II. Ich habe Seele und Gedanken gerichtet auf die Keusche, die Liebe, die Vollkommene. Was immer ich von ihrer Güte begehren darf, das möge für uns beide zu gutem Ende kommen. Alles was ich noch je an Freuden auf Erden erlangte, das hat ihre Schönheit und ihre Vollkommenheit getan und ihr roter Mund, der so freundlich lacht.

Ich hân den muot und die sinne gewendet
    an die reinen, die lieben, die guoten.
daz müez uns beiden wol werden volendet,
    swes ich getan an ir hulde gemuoten.
swaz ich noch fröiden zer werlde ie gewan,
    daz hât ir schœne und ir güete gemachet,
    und ir rôter munt, der sô lieplîchen lachet.

51,13-52,22

I. Könntet ihr doch sehen, welche Wunderfülle dem Mai zuteil geworden ist! Blickt auf Geistliche, blickt auf Laien, wie das alles sich tummelt. Groß ist seine Kraft; ich weiß nicht, ob er zaubern kann: wohin er kommt mit seiner Lust, da ist alles verjüngt.

Muget ir schouwen waz dem meien
    wunders ist beschert?
seht an pfaffen, seht an leien,
    wie daz allez vert.
grôz ist sîn gewalt:
    ine weiz obe er zouber künne:
    swar er vert in sîner wünne,
    dân ist niemen alt.

II. Auch uns (beiden) wird's bald nach Wunsch gehen. Ohne Zügellosigkeit werden wir fröhlich sein, tanzen, lachen und singen. Ach wer möchte auch traurig sein? Da die Vögel mit ihren schönsten Weisen so herrlich singen, laßt es uns ihnen gleichtun!

Uns wil schiere wol gelingen.
    wir suln sîn gemeit,
tanzen lachen unde singen,
    âne dörperheit.
wê wer wære unfrô?
    sît die vogele alsô schône
    singent in ir besten dône,
    tuon wir ouch alsô!

III. Heil dir, Mai, wie schlichtest du alles freundlich! Wie kleidest du Wald und Aue, und schöner noch die Heide! Die ist bunter: »Du bist kürzer, ich bin länger!« so streiten sich Blumen und Klee auf dem Feld.

Wol dir, meie, wie dû scheidest
    allez âne haz!
wie dû walt und ouwe kleidest,
    und die heide baz!
diu hât varwe mê.
    ›dû bist kurzer, ich bin langer,‹
    alsô strîtents ûf dem anger,
    bluomen unde klê.

IV. Roter Mund, wie häßlich machst du dich selber! Hör doch auf mit deinem Lachen! Schäm dich, mich zu verspotten nach dem Schaden, den du mir getan hast! Ist das wohl schön? Wehe über die übel angewandte Zeit, wenn aus so lieblichem Mund solche Lieblosigkeit kommen soll!

Rôter munt, wie dû dich swachest!
    lâ dîn lachen sîn.
scham dich daz dû mich an lachest
    nâch dem schaden mîn.
ist daz wol getân?
    owê sô verlorner stunde,
    sol von minneclîchem munde
    solch unminne ergân!

V. Was mich, Herrin, hindert, froh zu sein, das seid ihr. Eure Grausamkeit allein stört und quält mich. Woher kommt euch solcher Sinn? Ihr könnt doch so reich beglücken: macht ihr mich unglücklich, so seid ihr nicht gütig.

Daz mich, frowe, an fröiden irret,
    daz ist iuwer lîp.
an iu einer ez mir wirret,
    ungenædic wîp.
wâ nemt ir den muot?
    ir sît doch genâden rîche:
    tuot ir mir ungenædeclîche,
    sô sît ir niht guot.

VI. Befreit mich, Herrin, von Kummer, macht mir die schöne Jahreszeit lieb. Sonst müßte ich vom Frohsinn der anderen nehmen. Segen über euch! Könntet ihr doch um euch blicken! Jedermann freut sich: könnte mir doch von euch ein bißchen Freude zuteil werden!

Scheidet, frowe, mich von sorgen,
    liebet mir die zît:
oder ich muoz an fröiden borgen.
    daz ir sælic sît!
muget ir umbe sehen?
    sich fröit al diu welt gemeine:
    möhte mir von iu ein kleine
    fröidelîn geschehen!

114,23-115,5

I. Der Reif hatte den zarten Vögeln weh getan, so daß sie nicht sangen. Jetzt hör ich sie wieder herrlich wie einst, jetzt ist die Heide erblüht. Damals sah ich Blumen mit dem Klee streiten, wer von ihnen größer sei. Meiner Herrin brachte ich diese Botschaft.

Der rîfe tet den kleinen vogelen wê,
    daz si niht ensungen.
nû hœre ichs aber wünneclîch als ê,
    nu ist diu heide entsprungen.
dâ sach ich bluomen strîten wider den klê,
    weder ir lenger wære.
    mîner frowen seit ich disiu mære.

II. Uns hat der kalte Winter und andere Pein viel zu Leide getan. Ich glaubte, nie mehr rote Blumen auf grüner Heide zu erblicken. Aber wahrhaftig, wär ich (vor Liebe) gestorben, das wäre ein Verlust für die edlen Menschen, die (im letzten Winter) sich nach Freude gesehnt haben und die (jetzt) gerne tanzen und singen würden.

Uns hât der winter kalt und ander nôt
    vil getân ze leide.
ich wânde daz ich iemer bluomen rôt
    gesæhe an grüener heide.
joch schât ez guoten liuten, wære ich tôt,
    die nâch fröiden rungen
    und die gerne tanzten unde sungen.

III. Hätte ich diesen herrlichen Tag vergeblich zugebracht, so wäre ich unselig, und für mich wäre es ein schreckliches Unglück: denn ich müßte überdies von aller Freude lassen, die ich einst hatte. Gottes Segen über euch alle: wünscht nun auch, daß mir ein Glück zuteil werde.

Versûmde ich disen wünneclîchen tac,
    sô wær ich verwâzen,
und wære mir ein angeslîcher slac:
    dennoch müese ich lâzen
al mîne fröide der ich wîlent pflac.
    got gesegen iuch alle:
    wünschet noch daz mir ein heil gevalle.

49,25-50,18

I. Inniggeliebte kleine Herrin, Gott segne dich heute und immerdar! Wüßte ich einen besseren Wunsch für dich, den würde ich mit Freuden aussprechen. Was kann ich dir noch weiter sagen, als daß niemand dich lieber hat? Ach, das macht mir viel Schmerzen.

Herzeliebez frowelîn,
    got gebe dir hiute und iemer guot!
kund ich baz gedenken dîn,
    des hete ich willeclîchen muot.
waz mac ich dir sagen mê,
    wan daz dir nieman holder ist? owê, dâ von ist mir vil wê.

II. Sie tadeln mich, daß ich so unstandesgemäß singe. Verwünscht sollen sie sein, daß sie nicht begreifen, was wahre Herzensneigung ist! Die hat wahre Neigung nie ergriffen, die da lieben, um sich Vermögen und Schönheit ins Haus zu holen. Ach, was für eine Liebe ist das!

Sie verwîzent mir daz ich
    sô nidere wende mînen sanc.
daz si niht versinnent sich
    waz liebe sî, des haben undanc!
sie getraf diu liebe nie,
    die nâch dem guote und nâch der schœne minnent; wê wie minnent die?

III. Mit der Schönheit verbindet sich oft böse Gesinnung; nach der Schönheit eifre niemand zu sehr. Anmut ist dem Herzen wohltätiger, der Anmut steht die Schönheit nach. Anmut macht die Frauen schön; das (Umgekehrte) kann die Schönheit nicht vollbringen: sie macht niemals liebenswert.

Bî der schœne ist dicke haz:
    zer schœne niemen sî ze gâch.
liebe tuot dem herzen baz:
    der liebe gêt diu schœne nâch.
liebe machet schœne wîp:
    desn mac diu schœne niht getuon, sin machet niemer lieben lîp.

IV. Ich laß mir den Tadel gefallen, wie ich's früher tat und wie ich's immer tun werde. Du bist schön und hast damit genug: was können sie mir davon vorerzählen? Was sie auch erzählen – ich hab dich lieb und zieh dein Glasringlein dem Goldreif einer Königin vor.

Ich vertrage als ich vertruoc
    und als ich iemer wil vertragen.
dû bist schœne und hast genuoc:
    waz mugen si mir dâ von gesagen?
swaz si sagen, ich bin dir holt,
    und nim dîn glesîn vingerlîn für einer küneginne golt.

V. Hast du Aufrichtigkeit und Treue, so bin ich ganz ohne Furcht, mir würde je, soweit es auf dich ankommt, Herzeleid widerfahren. Hast du aber keins von diesen beiden, so mögst du nie mein werden. Wehe dann, wenn das geschähe!

Hâst dû triuwe und stætekeit,
    sô bin ich sîn ân angest gar
daz mir iemer herzeleit
    mit dînem willen widervar.
hâst ab dû der zweier niht,
    son müezest dû mîn niemer werden, owê danne, ob daz geschiht!

92,9-93,18

I. Ein neuer Sommer, eine neue Jahreszeit, eine schöne Erwartung, eine süße Vorstellung, die gefallen mir um die Wette, sodaß ich zuversichtlich hoffe, mir widerfährt noch Erfreuliches. Etwas anderes freut mich noch mehr als aller Vogelsang: überall, wo man noch weiblichen Wert erwog und prüfte, trug der immer Preis und Dank davon. Das meine ich in bezug auf meine Herrin: die muß noch größere Hoffnung erregen. Sie ist schöner als eine bloß schöne Frau, denn erst Anmut macht schön.

Ein niuwer sumer, ein niuwe zît,
    ein guot gedinge, ein lieber wân,
diu liebent mir en widerstrît,
    daz ich noch trôst ze fröiden hân.
noch fröwet mich ein anderz baz
    dan aller vogellîne sanc:
    swâ man noch wîbes güete maz,
    dâ wart ir ie der habedanc.
    daz meine ich an die frowen mîn:
    dâ muoz noch mêre trôstes sîn.
    sist schœner danne ein schœne wîp:
    die schœne machet lieber lîp.

II. Ich weiß gut, daß Anmut eine schöne Frau erst anziehend machen kann; aber eine Frau voll innerer Vorzüge ist es recht eigentlich, nach der man verlangen soll. Schon Anmut steigert die Schönheit mehr als Edelgestein das Gold; aber wenn diese beiden mit edler Gesinnung verbunden sind, so sagt, was es dann noch Trefflicheres gibt. Sie zusammen erhöhen den Wert dessen, der sich ihrem Dienste widmet. Jeder, der um ihretwillen die süße Qual so auszuhalten weiß, wie es sich ziemt, der kann von inniger Liebe und Freude sprechen.

Ich weiz wol daz diu liebe mac
    ein schœne wîp gemachen wol:
iedoch swelch wîp ie tugende pflac,
    daz ist diu der man wünschen sol.
diu liebe stêt der schœne bî
    baz danne gesteine dem golde tuot:
    nû jehet waz danne bezzer sî,
    hânt dise beide rehten muot.
    si hœhent mannes werdekeit:
    swer ouch die süezen arebeit
    dur si ze rehte kan getragen,
    der mac von herzeliebe sagen.

III. Schon der liebende Blick einer Frau macht ein Herz ganz glücklich; wie meint ihr erst, daß dem zumute ist, dem noch anderes Liebe von ihr zuteil wird? Der ist eben doch reich an vielen Freuden, während die Freude jenes ersteren ganz dahinschwindet. Was ist auch mit dem Glück zu vergleichen, wo ein liebreiches Herz Aufrichtigkeit und Treue hegt, Schönheit, Sittsamkeit, Keuschheit? Wenn ein Glücklicher das errungen hat, so seid gewiß, daß er nicht von Sinnen ist, wenn er das vor den Menschen preist.

Der blic gefröwet ein herze gar,
    den minneclîch ein wîp an siht:
wie welt ir danne daz der var,
    dem ander liep von ir geschiht?
der ist eht manger fröiden rîch,
    sô jenes fröide gar zergât.
    waz ist den fröiden ouch gelîch,
    dâ liebez herze in triuwen stât,
    in schœne, in kiusche, in reinen siten?
    swelch sælic man daz hât erstriten,
    ob er daz vor den frömden lobet,
    sô wizzent daz er niht entobet.

IV. Wozu ist ein Mann nütze, der nicht das Verlangen kennt, sich um ein keusches Weib zu bemühen? Selbst wenn sie ihn für alle Zeit unerhört ließe, so veredelt es ihn doch. Er handle der einen zu Liebe so, daß er den andern gut gefällt; dann macht ihn ihrerseits eine andere glücklich, wenn die eine ihn ganz zurückweist. Das bedenke ein edler Mann, denn darin ruht viel Glück und Ehre. Wer die Liebe eines vollkommenen Weibes besitzt, der schämt sich alles unrechten Tuns.

Waz sol ein man der niht engert
    gewerbes umb ein reine wîp?
si lâze in iemer ungewert,
    ez tiuret doch wol sînen lîp.
er tuo dur einer willen sô
    daz er den andern wol behage:
    sô tuot in ouch ein ander frô,
    ob im diu eine gar versage,
    dar an gedenke ein sælic man:
    dâ lît vil sælde und êren an.
    swer guotes wîbes minne hât,
    der schamt sich aller missetât.

50,19-51,12

I. Ob ich dir gleichgültig bin, weiß ich nicht: ich liebe dich. Eins bedrückt mich: du blickst an mir vorbei und über mich weg. Tu das doch nicht! Ich kann solche Art zu lieben nicht aushalten, ohne schweren Schaden zu leiden. Hilf mir tragen: mir ist zu viel aufgeladen.

Bin ich dir unmære,
    des enweiz ich niht: ich minne dich.
eines ist mir swære,
    dû sihst bî mir hin und über mich.
daz solt dû vermîden.
    ine mac niht erlîden
    selhe liebe ân grôzen schaden:
    hilf mir tragen, ich bin ze vil geladen.

II. Geschieht es aus besonderer Vorsicht, daß du mich nie anblickst? Tust du das in guter Absicht, so tadle ich Dich deswegen nicht. Dann unterlaß es, mir ins Gesicht zu sehen, und blicke, wenn du nicht weiter gehn kannst, unten auf meinen Fuß: das sei dein Liebesgruß.

Sol daz sîn dîn huote,
    daz dîn ouge mich sô selten siht?
tuost dû daz ze guote,
    sône wîze ich dir dar umbe niht.
sô mît mir daz houbet,
    daz sî dir erloubet,
    und sich nider an mînen fuoz,
    sô dû baz enmügest: daz sî dîn gruoz.

III. Wenn ich sie alle mustere, die mir mit Recht wohlgefallen müssen, so bleibst du doch meine Herrin; das kann ich ohne Prahlen behaupten. Vornehm und fürstlich sind manche von ihnen, obendrein leben sie in höfischer Freudigkeit. Sie mögen von besserer Abkunft sein, du bist vollendet.

Swanne ichs alle schouwe,
    die mir suln von schulden wol behagen,
sô bist duz mîn frouwe:
    daz mac ich wol âne rüemen sagen.
edel unde rîche
    sint si sumelîche,
    dar zuo tragent si hôhen muot:
    lîhte sint si bezzer, dû bist guot.

IV. Herrin, nun überlege, ob ich dir irgendwie lieb bin. Die Neigung eines Liebenden frommt nichts, kommt die des andern nicht dazu. Einseitige Neigung ist ohne Wert; sie muß gemeinsam sein: so gemeinsam, daß sie zwei Herzen durchdringe und kein anderes außerdem.

Frowe, dû versinne
    dich ob ich dir zihte mære sî.
eines friundes minne
    diust niht guot, da ensî ein ander bî.
minne entouc niht eine,
    si sol sîn gemeine,
    sô gemeine daz si gê
    dur zwei herze und dur dekeinez mê.

95,17-96,28

I. Wieviel habe ich doch von der schönen Jahreszeit vergeblich erwartet und erhofft! Ich hoffte immer, aller winterlichen Betrübnis im Sommer überhoben zu sein. So stellte ich mir in einem fort eine bessere Wendung vor. So sehr ich auch stets getäuscht wurde, so bildete ich mir doch ein, mir würde noch eine Freude widerfahren. Aber inzwischen schlug es mir immer fehl: ich fand nie eine so dauernde Freude, daß sie nicht eher mich verlassen hätte als ich sie.

Waz ich doch gegen der schœnen zît
    gedinges unde wânes hân verlorn!
swaz kumbers an dem winter lît,
    den wânde ich ie des sumers hân verborn.
sus sazte ich allez bezzerunge für:
    swie vil ich trôstes ie verlür,
    sô hât ich doch ze fröiden wân.
    dar under misselanc mir ie:
    in vant sô stæte fröide nie,
    si wolte mich ê ich si lân.

II. Darf ich mich jetzt wieder nur an Hoffnungsbildern erfreuen, so habe ich keinen Grund, mich glücklich zu nennen. Wenn es also einem sein Glück beschert, daß ihm seine Herzensgeliebte Gutes zuteil werden läßt, und ist er auch selbst freudig gestimmt – was ich jetzt leider nicht bin –, so verhöhne er mich nicht deshalb, weil ihm sein Lieb etwas Liebes antut: – ich wäre ebenso gerne froh gestimmt, wenn mich meine Geliebte erhören wollte.

Muoz ich nû sîn nach wâne frô,
    son heize ich niht ze rehte ein sælic man.
dem ez sîn sælde füeget sô
    daz im sîn herzeliep wol guotes gan,
hât ouch der selbe fröiderîchen sin,
    des ich nû leider âne bin,
    son spotte er niht dar umbe mîn,
    ob im sîn liep iht liebes tuot:
    ich wære ouch gerne hôhgemuot,
    möht ez mit liebes hulden sîn.

III. Beglückt der Mann, beglückt die Frau, deren Herzen sich in aufrichtiger Liebe zugetan sind! Ich meine, sie beide stehen in hoher Ehre und Würde; hochbeglückt sei ihr ganzes Leben! Aber auch der ist unstreitig beglückt, der ihre Vorzüge so deutlich wahrnimmt, daß es in seine Seele dringt! Eine edle Frau, die verständig ist, beglücke ihn ihrerseits mit ihrer Neigung!

Er sælic man, si sælic wîp,
    der herze ein ander sint mit triuwen bî!
ich wil daz daz ir beider lîp
    getiuret und in hôher wirde sî.
vil sælic sîn ir jâr und al ir zît.
     er ist ouch sælic sunder strît,
    der nimt ir tugende rehte war,
    sô daz ez in sîn herze gêt.
    ein sælic wîp, diu sich verstêt,
    diu sende ouch guoten willen dar.

IV. Mancher bildet sich freilich ein, ein Leben gut zu führen, ohne sich edlen Frauen zu widmen. Der Tor ahnt nicht, wieviel Freude und vollkommenen Wert es gibt. Der Leichtgesinnte wird sich natürlich immer in einem leichten Treiben wohlfühlen; wer aber nach innerem Wert und nach Freudigkeit strebt, der suche durch seinen Dienst die Neigung einer edlen Frau zu erringen. Wenn sie nicht anders kann, als sich ihm willig zuzuneigen, dann besitzt ein solcher Mann Freude und inneren Wert in Fülle.

Sich wænet maneger wol begên
    sô daz er guoten wîben niht enlebe:
der tôre kan sich niht verstên
    waz ez fröide und ganzer wirde gebe.
dem lîht gemuoten dem ist iemer wol
    mit lîhten dingen, als ez sol:
    swer wirde und fröide erwerben wil,
    der diene guotes wîbes gruoz.
    swen si mit willen grüezen muoz,
    der hât mit fröiden wirde vil.

V. Ach Gott, auf was für Gedanken kommt der, dem es unverdient immer nach Wunsch ging! Ob Weib oder Mann, wehe dem, der sich auf eine solche Liebe versteht und darüber edlen Minnedienst verachtet! Eine verständige Frau handelt so nicht, die beobachtet, wie ein edler Mann beschaffen ist; davon sondert sie die schlechten. Dagegen hat eine Törin immer einen Toren als Begleiter.

Jâ hêrre, wes gedenket der
    dem ungedienet ie vil wol gelanc?
ez sî ein sie, ez sî ein er,
    swer alsô minnen kan, der habe undanc,
und dâ bî guoten dienest übersiht.
    ein sælic wîp diu tuot des niht:
    diu merket guotes mannes site:
    dâ scheidet si die bœsen von.
    sô ist ein tumbiu sô gewon
    daz ir ein tumber volget mite.

110,27-111,11 (Bruchstück)

I. Wer kann es heute mit seinem Lied allen recht machen? Dieser ist traurig, der ist froh. Wem gelingt es, das zu vereinigen? Der ist so beschaffen, und der ist so. Sie stören mich und zögern zu lange: wüßte ich, was sie wünschen, dann sänge ich das.

Wer kan nû ze danke singen?
    dirre ist trûric, der ist frô:
wer kan daz zesamene bringen?
    dirre ist sus und der ist sô.
sie verirrent mich
    und versûment sich:
    wess ich waz si wolten, daz sung ich.

II. Freude wie Kummer kenne ich; darum sing ich alles, was man verlangt. Ich bin heiter, ich bin traurig. Sommerlust beglückt mich; traurig stimmen mich allein die bangen Zweifel, wie es mir bei der Geliebten ergehen wird.

Fröide und sorge erkenne ich beide:
    dâ von singe ich swaz ich sol.
mir ist liebe, mir ist leide.
    sumerwünne tuot mir wol:
swaz ich leides hân,
    daz tuot zwîvelwân,
    wiez mir umb die lieben sül ergân.

III. Heil euch kleinen Vöglein! Euer herrliches Singen übertönt ganz das meine. Alle Welt sagt euch Dank. Also laßt uns ihr danken ...

Wol iu kleinen vogellînen!
    iuwer wünneclîcher sanc
der verschallet gar den mînen.
    al diu werlt diu seit iu danc.
alsô danken ir
     ...
     ...

65,33-66,20 Das Halm-Orakel

I. Banger Zweifel wegen hatte ich mich niedergesetzt und kam auf den Gedanken, ich wollte aus ihrem Dienste treten; aber ein Hoffnungsstrahl hat mich davon abgebracht. Hoffnungsstrahl kann man es allerdings gerade nicht nennen, leider; es ist allerhöchstens ein zartes Strählchen; so zart, daß ihr mich auslachen werdet, wenn ich es euch verrate. Doch ganz ohne Grund freut sich ja niemand.

Umb einen zwîvellîchen wân
    was ich gesezzen und gedâhte,
ich wolte von ir dienste gân;
    wan daz ein trôst mich wider brâhte.
trôst mag ez rehte niht geheizen, owê des!
    ez ist vil kûme ein kleinez trœstelîn;
    sô kleine, swenne ichz iu gesage, ir spottet mîn.
    doch fröwet sich lützel ieman, er enwizze wes.

II. Mich hat ein Halm froh gemacht: der behauptet, ich würde erhört werden. Ich maß dieses zarte Stroh, wie ich es früher bei Kindern gesehen habe. Nun hört und gebt acht, ob sie es dann tun wird: »Sie tut's, sie tut's nicht, sie tut's, sie tut's nicht, sie tut's.« So oft ich auch maß, immer ging es gut aus. Das gibt mir Hoffnung – freilich gehört auch Glaube dazu.

Mich hât ein halm gemachet frô:
    er giht, ich sül genâde vinden.
ich maz daz selbe kleine strô,
    als ich hie vor gesach von kinden.
nû hœret unde merket ob siz denne tuo.
    ›si tuot, si entuot, si tuot, si entuot, si tuot.‹
    swie dicke sô ich maz, daz ende was ie guot.
    daz trœstet mich: dâ hœret ouch geloube zuo.

III. So sehr ich sie von Herzen liebe: jetzt habe ich gar nichts mehr dagegen, daß man sich ihrem Dienste widmet; ich brauche da nicht eifersüchtig zu werden, wo man sich um sie bemüht. Denn, wie ich jetzt weiß, brauche ich nicht zu glauben, daß irgendeiner sie leicht in Zwiespalt stürzen könnte. Mir ist es sogar lieb, daß die Betrogenen merken, was sie täuscht; wenn es mir auch allzu lange dauert, daß sie ihren Anblick Leuten gönnt, die mit ihrer Liebe immer nur prahlen wollen.

Swie liep si mir von herzen sî,
    sô mac ich nû doch wol erlîden
daz man ir sî ze dienste bî:
    ich darf ir werben dâ niht nîden.
ichn mac, als ich erkenne, des gelouben niht
    dazs ieman sanfte in zwîvel bringen müge.
    mirst liep daz die getrogenen wizzen waz si trüge,
    und alze lanc dazs iemer rüemic man gesiht.

17,25-38. Halm wider Bohne

Welchen Wert hat schon Frau Bohne, daß man sie so besingen muß? Sie ist doch ein rechter Fastenfraß. Vor und nach dem Himmelfahrtstag ist sie faul, und ist schon voll Milben, wenn sie noch gar nicht reif ist. Dagegen gibt ein Halm Kraft und ist nützlich. Wieviel Angenehmes bereitet er uns allen! Er erfreut gar manches Gemüt. Wie steht es erst mit seinem Korn! So weit er Gras ist, wird der Halm zu Stroh. Er macht manches Herz froh, er ist oben und unten zu brauchen. Frau Bohne – sondern erlöse uns vom Bösen, Amen!

Waz êren hât frô Bône,
    daz man sô von ir singen sol?
    si rehtiu vastenkiuwe!
sist vor und nâch der nône
    fûl und ist der wibel vol
    wan êrst in der niuwe.
ein halm ist kreftec unde guot:
    waz er uns allen liebes tuot!
    er fröit vil manegem sînen muot:
    wie danne umb sînen sâmen?
    von grase wirdet halm ze strô,
    er machet manic herze frô,
    er ist guot nider unde hô.
    frou Bôn, set liberâ nos â mâlô, âmen.

74,20-75,24

I. »Nehmt, Herrin, diesen Kranz!« sagte ich zu einem schönen Mädchen. »Dann seid ihr mit den herrlichen Blumen, wie ihr sie oben tragt, eine Zierde des Tanzes. Besäße ich den köstlichsten Schmuck, der gehörte, wenn ihr mir's glauben wollt, auf euer Haupt. Hier mein Wort darauf, daß dies meine ehrliche Absicht ist!«

›Nemt, frowe, disen kranz‹:
    alsô sprach ich zeiner wol getânen maget:
›sô zieret ir den tanz
    mit den schœnen bluomen, als irs ûffe traget.
het ich vil edele gesteine,
    daz müest ûf iur houbet,
    obe ir mirs geloubet.
    sêt mîne triuwe, daz ichz meine.‹

II. Sie nahm, was ich ihr anbot, wie ein echtes Edelfräulein. Ihre Wangen erröteten wie die Rose neben der Lilie. Da wurden ihre strahlenden Augen voll Scham. Da verneigte sie sich artig vor mir. Das bekam ich als Lohn; bekomme ich noch irgend etwas Weiteres, so bleibt das mein Geheimnis.

Si nam daz ich ir bôt,
    einem kinde vil gelîch daz êre hât.
ir wangen wurden rôt,
    same diu rôse, dâ si bî der liljen stât.
do erschampten sich ir liehten ougen:
    dô neic si mir schône.
    daz wart mir ze lône:
    wirt mirs iht mêr, daz trage ich tougen.

III. »Ihr seid so schön, daß ich euch gerne meinen Kranz geben will, wenn ich den allerprächtigsten habe. Ich kenne viel weiße und rote Blumen, die stehn da fern auf jener Heide. Dort wo sie herrlich sprießen und die Vögel singen, da laßt uns beide sie pflücken!«

›Ir sît sô wol getân,
    daz ich iu mîn schapel gerne geben wil,
so ichz aller beste hân.
    wîzer unde rôter bluomen weiz ich vil:
die stênt sô verre in jener heide.
    dâ si schône entspringent
    und die vogele singent,
    dâ suln wir si brechen beide.‹

IV. Mich däuchte, daß ich noch nie so glücklich wurde. Immerzu fielen die Blüten von den Bäumen neben uns ins Gras herab. Seht, da mußte ich vor Freude lachen. Als ich so selig beglückt war im Traum, da wurde es Tag, und ich mußte erwachen.

Mich dûhte daz mir nie
    lieber wurde, danne mir ze muote was.
die bluomen vielen ie
    von dem boume bî uns nider an daz gras.
seht, dô muost ich von fröiden lachen.
    do ich sô wünneclîche
    was in troume rîche,
    dô taget ez und muos ich wachen.

V. Mir ist von ihr so Liebes widerfahren, daß ich diesen Sommer allen Mädchen gerade ins Gesicht sehen muß: vielleicht wird mir eine zuteil; dann bin ich meinen Kummer los. Wie – wenn sie etwa in diesem Tanze schreitet? Ihr Frauen, seid so gut, die Hüte zurückzuschlagen! Ach, erblickte ich sie doch unterm Kranz!

Mir ist von ir geschehen,
    daz ich disen sumer allen meiden muoz
vast under dougen sehen:
    lîhte wirt mir einiu: so ist mir sorgen buoz.
waz obe si gêt an disem tanze?
    frowe, dur iur güete
    rucket ûf die hüete.
    owê gesæhe ichs under kranze!

39,11-40,18

I. Unter der Linde auf der Heide, wo unser beider Lager war, da könnt ihr sorgsam gepflückt Blumen und Gras finden. Vor dem Wald in einem Tal, tandaradei, sang herrlich die Nachtigall.

›Under der linden
    an der heide,
    dâ unser zweier bette was,
dâ mugt ir vinden
    schône beide
    gebrochen bluomen unde gras.
vor dem walde in einem tal,
    tandaradei,
    schône sanc diu nahtegal.

II. Ich kam zu der Aue gegangen, da war mein Liebster schon zuvor gekommen. Dort wurde ich empfangen, heilige Jungfrau!, daß ich für immer glücklich bin. Küßte er mich? Gut tausendmal: tandaradei, seht, wie rot mein Mund ist.

Ich kam gegangen
    zuo der ouwe:
    dô was mîn friedel komen ê.
dâ wart ich enpfangen,
    hêre frouwe,
    daz ich bin sælic iemer mê.
kuster mich? wol tûsentstunt:
    tandaradei,
    seht wie rôt mir ist der munt.

III. Da hatte er so prächtig aus Blumen eine Lagerstätte gemacht. Darüber lacht man noch von Herzen, wenn jemand auf denselben Pfad kommt. An den Rosen kann er gut – tandaradei – wahrnehmen, wo mein Kopf lag.

Dô het er gemachet
    alsô rîche
    von bluomen eine bettestat.
des wirt noch gelachet
    inneclîche,
    kumt iemen an daz selbe pfat.
bî den rôsen er wol mac,
    tandaradei,
    merken wâ mirz houbet lac.

IV. Daß er bei mir lag, wüßte das jemand – behüte Gott! –, dann schämte ich mich. Was er mit mir tat, niemals soll das einer erfahren, als er und ich und ein kleines Vöglein – tandaradei –, das kann ganz verschwiegen sein.

Daz er bî mir læge,
    wessez iemen
    (nu enwelle got!), sô schamt ich mich.
wes er mit mir pflæge,
    niemer niemen
    bevinde daz, wan er unt ich,
und ein kleinez vogellîn:
    tandaradei,
    daz mac wol getriuwe sîn.‹

94,11-95,16

I. Als der Sommer gekommen war und die Blumen lieblich zwischen dem Gras aufsproßten, dort wo die Vögel sangen, da kam ich auf eine große Wiese gegangen, wo ein reiner Quell entsprang; er nahm seinen Lauf vor dem Walde her, wo die Nachtigall sang.

Dô der sumer komen was
    und die bluomen dur daz gras
    wünneclîchen sprungen,
    aldâ die vogele sungen,
    dô kom ich gegangen
    an einen anger langen,
    dâ ein lûter brunne entspranc:
    vor dem walde was sîn ganc,
    dâ diu nahtegale sanc.

II. Neben dem Quell stand ein Baum, dort habe ich einen Traum gehabt. Ich war aus der Sonne zu dem Quell geflüchtet, damit die liebe Linde mir kühlen Schatten gäbe. Bei dem Quell setzte ich mich nieder; ich vergaß, was mich bekümmerte, und so schlief ich rasch ein.

Bî dem brunnen stuont ein boum
    dâ gesach ich einen troum.
    ich was von der sunnen
    entwichen zuo dem brunnen,
    daz diu linde mære
    mir küelen schaten bære.
    bî dem brunnen ich gesaz,
    mîner sorgen ich vergaz,
    schier entslief ich umbe daz.

III. Da war mir sogleich, als seien mir alle Lande untertan, als befinde sich meine Seele voll Freuden im Himmel, und als dürfe ich hier auf Erden tun, was ich wolle. Da ging es mir vortrefflich. Wie es auch kommen möge, Gott mag dafür sorgen – aber einen schöneren Traum hat es noch nie gegeben.

Dô bedûhte mich zehant
    wie mir dienten elliu lant,
    wie mîn sêle wære
    ze himel âne swære,
    und der lîp hie solte
    gebâren swie er wolte.
    dâne was mir niht ze wê.
    got gewaldes, swiez ergê:
    schœner troum enwart nie mê.

IV. Gern hätte ich ewig dort geschlafen, aber eine verwünschte Krähe fing an zu krächzen. Möge es doch allen Krähen ergehen, wie ich's ihnen wünsche! Sie beraubte mich großer Freude, denn von ihrem Krächzen schrak ich auf. Hätte da ein Stein gelegen, dann wäre es ihr jüngster Tag gewesen.

Gerne slief ich iemer dâ,
    wan ein unsæligiu krâ
    diu begonde schrîen.
    daz alle krâ gedîen
    als ich in des günne!
    si nam mir michel wünne.
    von ir schrîenne ich erschrac:
    wan daz dâ niht steines lac,
    sô wær es ir suonestac.

V. Ein uraltes Weib aber hat mich wieder froh gestimmt. Die nahm ich in Pflicht und Eid. Da hat sie mir den Traum ausgelegt. Darauf gebt acht, liebe Leute. Zwei und einer, das sind drei. Überdies teilte sie mir noch mit, mein Daumen sei ein Finger.

Ein vil wunderaltez wîp
    diu getrôste mir den lîp.
    die begond ich eiden:
    nû hât si mir bescheiden
    waz der troum bediute.
    daz merket, lieben liute.
    zwên und einer daz sint drî:
    dannoch seit si mir dâ bî
    daz mîn dûme ein vinger sî.

39,1-10

I. Uns hat der Winter allenthalben Schaden getan. Heide und Wald, darinnen manche Stimme gar süß erscholl, sind jetzt beide ohne Farbe. Sähe ich doch die Mädchen auf der Straße Ball spielen! dann käme uns der Vogelsang wieder.

Uns hât der winter geschât über al:
    heide unde walt sint beide nû val,
    dâ manic stimme vil suoze inne hal.
    sæhe ich die megde an der strâze den bal
    werfen! sô kæme uns der vogele schal.

II. Könnte ich nur den Winter verschlafen! Solange ich wach bin, groll ich ihm, weil er so weit und breit herrscht. Aber weiß Gott, er wird dem Mai schon noch das Feld räumen. Dann pflück ich Blumen, wo jetzt Reif liegt.

Möhte ich verslâfen des winters zît!
    wache ich die wîle, sô hân ich sîn nît,
    daz sîn gewalt ist sô breit und sô wît.
    weizgot er lât ouch dem meien den strît:
    sô lise ich bluomen dâ rîfe nû lît.

75,25-76,21. Vokalspiel

I. Die Welt leuchtete rot und blau, grün im Wald und anderswo. Kleine Vögel sangen da. Jetzt krächzt wieder die Nebelkrähe. Hat die Welt jetzt etwa andere Farbe? Ja. Sie ist blaß und ganz grau geworden. Deswegen legt sich gar manche Stirn in Falten.

Diu welt was gelf, rôt unde blâ,
    grüen in dem walde und anderswâ:
    kleine vogele sungen dâ.
    nû schrîet aber diu nebelkrâ.
    pfligt si iht ander varwe? jâ:
    sist worden bleich und übergrâ.
    des rimpfet sich vil manic brâ.

II. Ich saß einmal auf einem grünen Hügel, da sprossen zwischen mir und einem See Blumen und Klee. Von dieser Augenweide ist dort nichts mehr. Wo wir früher Kränze pflückten, da liegt jetzt Reif und Schnee; das betrübt die Vöglein.

Ich saz ûf eime grüenen lê:
    da ensprungen bluomen unde klê
    zwischen mir und eime sê.
    der ougenweide ist dâ niht mê.
    dâ wir schapel brâchen ê,
    dâ lît nû rîfe und ouch der snê.
    daz tuot den vogellînen wê.

III. Die Unverständigen sagen: »Schneie nur, schneie!« Die Armen: »Wehe, o wehe!«. Mir ist mein Herz schwer wie ein Bleiklotz; denn ich habe drei Wintersorgen. Die und die andern, wieviel ihrer sind, würde ich alsbald los, wäre uns der Sommer in der Nähe.

Die tôren sprechent snîâ snî,
    die armen liute owê owî.
    ich bin swære alsam ein blî.
    der wintersorge hân ich drî:
    swaz der unt der andern sî,
    der wurde ich alse schiere frî,
    wær uns der sumer nâhe bî.

IV. Bevor ich lange auf solche Weise lebte, möchte ich lieber rohe Krebse essen. Sommer, mach uns wieder froh! Du schmückst Wiese und Gebüsch. Dann würde ich mich mit den Blumen vergnügen, mein Herz würde hoch in der Sonne schweben. Das scheucht der Winter aufs Strohlager.

Ê danne ich lange lebt alsô,
    den krebz wolt ich ê ezzen rô.
    sumer, mache uns aber frô:
    dû zierest anger unde lô.
    mit den bluomen spilt ich dô,
    mîn herze swebt in sunnen hô:
    daz jaget der winter in ein strô.

V. Durch mein Liegen bin ich träge geworden wie eine Sau. Mein glattes Haar ist mir struppig geworden. Lieber Sommer, wo bist du? Wahrhaftig, lieber sähe ich Feldbestellung. Ehe ich in solcher Falle lange eingeklemmt sein möchte wie jetzt, würde ich lieber Mönch in Dobrilugk.

Ich bin verlegen als ein sû:
    mîn sleht hâr ist mir worden rû.
    süezer sumer, wâ bist dû?
    jâ sæhe ich gerner veltgebû.
    ê deich lange in selher drû
    beklemmet wære als ich bin nû,
    ich wurde ê münch ze Toberlû.

42,15-43,8.

I. Will denn niemand wieder froh sein, damit wir nicht immer in Kummer leben? Ach, wie benimmt sich die Jugend, die eigentlich vor Freude im Himmel schweben müßte? Ich weiß sonst keinen, dem ich das schuld geben kann als die, die reich und jung sind; denen geb ich schuld, denn die bedrängt keine äußere Not. Deshalb kleidet sie Trauern schlecht und würde sie Freude schön kleiden.

Wil ab iemen wesen frô,
    daz wir in den sorgen iemer niht enleben?
wê wie tuont die jungen sô,
    die von fröiden solten in den lüften sweben?
ichn weiz anders weme ichz wîzen sol,
    wan den richen wîze ichz und den jungen.
    die sint unbetwungen:
    des stât in trûren übel und stüende in fröide wol.

II. Wie wunderlich stattet Frau Glück manchmal aus, daß sie mir Armut und freudige Stimmung gibt, dagegen gibt sie einem Reichen Mißmut; ach was macht der mit Besitz? Wie hat Frau Glück sich vertan, daß sie nicht mir zu meinem Frohsinn sein Geld und Gut zuschnitt, die Treffliche! Meine bedrängte Lage dagegen würde ihn dort zu seinem bekümmerten Gemüt besser kleiden.

Wie frô Sælde kleiden kan,
    daz si mir gît kumber unde hôhen muot!
sô gîts einem rîchen man
    ungemüete: owê waz sol dem selben guot?
mîn frou Sælde, wie si sich vergaz,
    daz si mir sîn guot ze mînem muote
    niene schriet, si guote!
    mîn kumber stüende im dort bî sînen sorgen baz.

III. Aber wenn einer geheimen Kummer hat, der richte seine Gedanken auf edle Frauen; das befreit ihn; und er erinnere sich an Sommertage. Diese Gedanken waren immer meine beste Hilfe. Um die Wintertage geht es mir schlecht; aber da richte ich mich nach der Heide, die sich ihres Kummers schämt: wenn sie den Wald ergrünen sieht, dann errötet sie jedesmal.

Swer verholne sorge trage,
    der gedenke an guotiu wîp: er wirt erlôst:
und gedenke an liehte tage.
    die gedanke wâren ie mîn bester trôst.
gegen den vinstern tagen hân ich nôt,
    wan daz ich mich rihte nâch der heide,
    diu sich schamt vor leide:
    sô si den walt siht gruonen, sô wirts iemer rôt.

IV. Herrin, sowie ich meine Gedanken auf dich richte und überlege, was du Makellose für erlesene Vorzüge besitzest – dann halt ein! du greifst mir mitten ins Herz, wo Freude und Liebe ruhn. Liebes und Lieberes hab ich nicht im Sinn; das Allerliebste ist es, was ich meine. Fürwahr, was mir auch widerfährt, du allein, Herrin, gehst mir über die ganze Welt.

Frowe, als ich gedenke an dich,
    waz dîn reiner lîp erwelter tugende pfliget,
sô lâ stân! dû rüerest mich
    mitten an daz herze, dâ diu liebe liget.
liep und lieber des enmein ich niht:
    ez ist aller liebest, daz ich meine.
    dû bist mir alleine
    vor al der welte, frowe, swaz joch mir geschiht.

117,29-118,23

I. Jetzt sing ich, wie ich früher gesungen habe: »Will denn niemand wieder froh sein? Verwünscht sollen die Reichen sein und gleicherweise die Jungen!« Wüßte ich, was ihnen fehlt, (wollten sie mir das doch sagen!) dann würde ich ihnen ihr Unglück beklagen helfen.

Nû sing ich als ich ê sanc,
    ›wil abe iemen wesen frô?
daz die rîchen haben undanc,
    und die jungen haben alsô!‹
wist ich waz in würre (möhten si mirz gerne sagen),
    ich hulf in ir schaden klagen.

II. Wer hat je ein besseres Jahr, wer je schönere Frauen erblickt? Das kann einen, der zum Unglück geboren ist, nicht im geringsten erheitern. Wißt, jedem, dem der am frühen Morgen begegnet, widerfährt Mißgeschick.

Wer gesach ie bezzer jâr?
    wer gesach ie schœner wîp?
daz entrœstet niht ein hâr
    einen unsæligen lîp.
wizzet, swem der anegenget an dem morgen fruo,
    deme gêt ungelücke zuo.

III. Einer, die es ebenfalls verdient hätte, fröhlich zu sein, will ich klagen helfen, daß sie in so treuloser Zeit schöne Vorzüge vergeblich besitzt. Früher wäre ein ganzes Land in Freude gewesen wegen einer so schönen Frau: was hilft der heutzutage ihre Schönheit?

Ich wil einer helfen klagen,
    der ouch fröide zæme wol,
dazs in alsô valschen tagen
    schœne tugent verliesen sol.
hie vor wær ein lant gefröut umb ein sô schœne wîp:
    waz sol der nû schœner lîp?

IV. Wo immer Lieb bei Lieb liegt, ganz befreit von jedem Kummer, – den beiden kommt, meine ich, die Winterzeit schön zustatten. Winter wie Sommer haben so viele Vorzüge, daß ich sie gern alle beide preise.

Swâ sô liep bî liebe lît
    gar vor allen sorgen frî,
ich wil daz des winters zît
    den zwein wol erteilet sî.
winter unde sumer, der zweier êren ist sô vil
    daz ich beide loben wil.

V. Hat der Winter den kurzen Tag, so hat er dafür die lange Nacht, so daß sich Lieb bei Lieb, das sich zuvor abgequält hat, schön erquicken kann. Aber was hab ich da gesagt? O, wahrhaftig hätte ich besser geschwiegen, wenn ich jemals so liegen will.

Hât der winter kurzen tac,
    sô hât er die langen naht,
daz sich liep bî liebe mac
    wol erholn daz ê dâ vaht.
waz hân ich gesprochen? wê jâ het ich baz geswigen,
    sol ich iemer sô geligen.

118,24-119,16.

I. Ich bin jetzt so wahrhaft froh, daß ich beinahe anfange, Wunder zu tun. Vielleicht trifft es sich so, daß ich die Liebe meiner Herrin gewinne. Seht, dann schwebt mein Geist viel höher noch empor als die Sonne. Bitte, du Königin!

Ich bin nû sô rehte frô,
    daz ich vil schiere wunder tuon beginne.
lîhte ez sich gefüeget sô
    daz ich erwirbe mîner frowen minne,
seht sô stîgent mir die sinne
    wol hôher danne der sunnen schîn. genâde, ein küniginne!

II. Nie erblickte ich die Schöne, ohne daß mir jedesmal die Augen gestrahlt hätten. Auf den kalten Winter hab ich gar nicht geachtet. Andern Leuten kam er drückend vor; mir war die ganze Zeit, als sei ich mitten im Mai.

Ich ensach die schœnen nie
    sô dicke, daz ich daz gen ir verbære,
mirne spilten dougen ie.
    der kalte winter was mir gar unmære.
ander liute dûhte er swære:
    mir was die wîle als ich enmitten in dem meien wære.

III. Dieses Freudenlied hab ich meiner Herrin zu Ehren gesungen. Dafür ist sie mir Dank schuldig: um ihretwillen will ich immer die Freude in der Welt erhöhen. Freilich kann sie mein Herz verwunden. Aber was liegt daran, wenn sie mir Leid zufügt? sie hat die Macht, es wieder gut zu machen.

Disen wünneclîchen sanc
    hân ich gesungen mîner frowen ze êren.
des sol si mir wizzen danc:
    durch sie sô wil ich iemer fröide mêren.
wol mac si mîn herze sêren:
    waz danne, ob si mir leide tuot? si mac ez wol verkêren.

IV. Niemand könnte mich dazu überreden, meine Hoffnung aufzugeben. Wendete ich mein Sinnen und Verlangen von ihr ab, wo fände ich dann eine, die so schön und ohne Falsch ist? Sie ist schöner und rühmenswerter als Helena und Diana.

Daz enkunde nieman mir
    gerâten daz ich schiede von dem wâne.
kêrt ich mînen muot von ir,
    wâ funde ich denne ein alsô wol getâne,
diu sô wære valsches âne?
    sist schœner unde baz gelobet denn Elêne und Dîjâne.

V. Hör nur, Walther, mein lieber Freund von der Vogelweide, wie es mir geht. Hilfe und Unterstützung begehre ich: die Schöne fügt mir viel Schmerzen zu. Könnten wir beide doch ein Lied anstimmen, daß ich mit ihr Blumen pflücken dürfte auf der strahlenden Heide!

Hœrâ Walther, wiez mir stât,
    mîn trûtgeselle von der Vogelweide.
helfe suoche ich unde rât:
    diu wol getâne tuot mir vil ze leide.
kunden wir gesingen beide,
    deich mit ir müeste brechen bluomen an der liehten heide!

112,3-16.

I. Wäre es mir vergönnt zu erleben, daß ich die Rosen mit der Lieblichen pflücken könnte, so würde ich mich so mit ihr unterhalten, daß wir für immer Freunde sein müßten. Würde mir einmal doch ein Kuß von ihrem roten Munde zuteil, dann wäre ich an Freuden wohl geborgen.

Müeste ich noch geleben daz ich die rôsen
    mit der minneclîchen solde lesen,
sô wold ich mich sô mit ir erkôsen,
    daz wir iemer friunde müesten wesen.
wurde mir ein kus noch zeiner stunde
    von ir rôten munde,
sô wær ich an fröiden wol genesen.

II. Was hilft freundliches Sprechen? Was hilft Singen? Was hilft Weibes Schönheit? Was hilft Reichtum? Da man niemand nach Freuden streben sieht, da man ohne Scheu Böses tut, da man entschlossen ist, Aufrichtigkeit, Freigebigkeit, Anstand und Ehrgefühl so völlig aufzugeben, so verzweifelt mancher daran, froh zu sein.

Waz sol lieblich sprechen? waz sol singen?
    waz sol wîbes schœne? waz sol guot?
sît man nieman siht nâch fröiden ringen,
    sît man übel âne vorhte tuot,
sît man triuwe milte zuht und êre
    wil verpflegen sô sêre,
    sô verzagt an fröiden maneges muot.


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