Louis Weinert-Wilton
Der schwarze Meilenstein
Louis Weinert-Wilton

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43

Mr. Fielder fuhr nicht höchstens zwanzig Meilen, wie er behauptet hatte, sondern höchstens fünfzehn, und vor der Straßenbiegung wurde sein Tempo noch zaghafter. Er hatte wirklich eine gewaltige Scheu vor dem Schwarzen Meilenstein. Als er seiner ansichtig wurde, verlor sogar die Hand am Lenkrad ihre Ruhe und brachte den Wagen sekundenlang bedenklich ins Schlingern.

Aber der kleine Mann, der sich hinter der Glasscheibe wie eine leblose Wachsfigur ausnahm, fing ihn noch rechtzeitig wieder ein und erst dann geschah es . . .

Die Vorderräder klappten mit einem jähen Ruck nach links, der Wagen schnitt die Straße in der Diagonale, schaukelte über den seichten Graben und polterte unter einigem Lärm zwischen die Strünke und Stämme . . .

Es war dank dem langsamen Tempo nicht viel geschehen, aber den Mann am Steuer schien der Schreck völlig gelähmt zu haben, da sich lange Zeit nichts regte. Aber dann flog endlich die Tür auf, und Mr. Fielder plumpste wie ein Sack aus dem schiefstehenden Fahrzeug und blieb regungslos liegen. Nach wieder einer halben Minute aber richtete er sich halb auf und stierte völlig verloren um sich.

Ein halbwüchsiger Junge, der nach einer Weile auf seinem Rad vorbeifuhr, entsetzte sich über den Anblick des verunglückten Autos und der leichenhaften Gestalt derart, daß er leise aufschrie und in wahnsinniger Eile die Pedale zu treten begann.

Als er, verstört gestikulierend, beim »Reitenden Postillon« absprang, setzte sich auf dem Parkplatz plötzlich der Wagen Alf Duncans in Bewegung und flog in der Richtung des Schwarzen Meilensteins davon. Zwei Minuten später erdröhnte auch die Maschine Ajax' des Rasenden.

Duncan war der erste an der Unfallstelle, aber Fielder erkannte ihn nicht, und es war fraglich, ob er ihn überhaupt sah. Er ließ mit sich herumhantieren wie eine Gliederpuppe und gab dabei nicht den geringsten Laut von sich. Irgendwelche schwerere Verletzungen schien er wohl nicht davongetragen zu haben, aber einen ganz gewaltigen Schock.

Chefinspektor Perkins erschien mit einem Gesicht voll grimmiger Wut und einem Blick voll verzweifelter Ratlosigkeit, der vor allem Duncan suchte. Aber der junge Gentleman wollte wieder einmal nicht verstehen.

»Ich glaube, Mr. Fielder ist nichts Ernstliches geschehen«, sagte er naiv. »Und dem Wagen auch nicht. Für alle Fälle könnte man aber doch das Lenkgestänge nachsehen.«

Das war eine Arbeit für die Ajaxe, und einen Augenblick hatte es den Anschein, als ob sie das Auto in aller Eile in seine kleinsten Bestandteile zerlegen wollten. Aber dann quakte Unterinspektor Hunter plötzlich ein scharfes »All right« und wiederholte es noch einmal, nachdem er sich mit der Geschmeidigkeit eines Aals unter das Gestell gezwängt hatte.

»All right«, sagte auch Duncan mit einem kurzen Nicken und hatte so wenig Interesse mehr an der Sache, daß er sich gemächlich an den Straßenrand setzte.

Mittlerweile hatte sich der arme Fielder doch einigermaßen erholt und begann, bewußte Lebenszeichen von sich zu geben. Seinen Gesten war es nur zu entnehmen, daß er von dem Ort seines schrecklichen Erlebnisses weg wollte, und sogar der Chefinspektor fand diesen Wunsch verständlich.

»Wir werden Sie ins Krankenhaus schaffen«, schrie er dem Hilflosen wohlwollend ins Ohr, und das schien Fielder noch weiter in die Wirklichkeit zurückzuführen, denn er schüttelte lebhaft mit dem Kopf und deutete in der Richtung zur Stadt.

»Er will wohl nach Hause«, murmelte Perkins und wandte sich an Hunter. »Da wird nichts anderes übrig bleiben, als daß Sie mit ihm losfahren.«

Ajax der Rasende würgte lebhaft, zum Zeichen, daß er schon bereit war, aber dann fügte es sich doch bequemer. Ein vorüberkommender Automobilist erbot sich, den Verunglückten mitzunehmen, und der bedauernswerte Mr. Fielder, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, wurde fürsorglich in den Wagen verstaut.

Als er abfuhr, machten sich auch die aufgeregten Dienstboten des Golfhauses, die die neue Schreckensnachricht hergesprengt hatte, wieder auf den Heimweg. Der Geschäftsführer William, der wegen seines Fußes als letzter gekommen war, ließ sie ein Stück voraus. Aber als er sich dann in aller Stille auch zurückziehen wollte, klopfte ihm jemand auf die Schulter. Er fuhr erschreckt herum, und das freundliche Lächeln, dem er begegnete, brachte ihn noch mehr aus der Fassung.

»Stellen Sie sich einmal vor«, sagte Alf Duncan eindringlich, »wie das nun wäre, wenn Sie weniger gute Arbeit geleistet hätten und der arme Mr. Fielder sich wirklich den Hals gebrochen hätte . . .«

Diese Vorstellung mußte für William etwas Furchtbares haben, weil er plötzlich so verzweifelt um sich blickte. Der elegante Gentleman aber fand sie so erheiternd, daß er alle seine tadellosen Zähne zeigte.

Dem Chefinspektor gelang es erst bei der Garage, Duncans endlich habhaft zu werden und ihn unbemerkt beiseite zu ziehen.

»Was soll man nun von dieser Sache wieder halten?« tuschelte er aufgeregt. »Das war doch einfach zu toll. – Glauben Sie, daß das auch wieder mit dem Meilenstein zusammenhängt?«

»Natürlich hängt es damit zusammen«, erklärte Alf etwas gelangweilt. »Ich habe sogar achtundzwanzig Minuten darauf gewartet, und wenn es nicht eingetreten wäre, hätten meine schönen Kombinationen einen argen Riß bekommen. – Aber nun, da der Schwarze Meilenstein auch Mr. Fielder einen so üblen Streich gespielt hat, bin ich beruhigt.«

Perkins wußte mit dieser Antwort wieder einmal nichts anzufangen, hatte sich aber seit dem Nachmittag in den gewissen Ring in der Nase ergeben. Die Hauptsache war, daß dieser verteufelte Fall rasch eine Lösung fand. Der Bursche, der hinter dem Schwarzen Meilenstein steckte, wütete ja mit der kaltblütigen Mordgier und der Verschlagenheit eines gefährlichen Irren, und der Chefinspektor dachte mit argem Unbehagen an den Spektakel, den es im Scotland Yard und in der Presse bereits geben mochte. Dabei tappte er noch immer völlig im dunkeln. Dieser rätselhafte James Marwel, der nach den Mitteilungen der Verwaltung von Exeter mit Dan Kaye sogar einer Arbeitspartie angehört hatte, war ja gewiß eine wichtige Spur – aber worum ging es bei der Sache von Anbeginn an? Der Mann schien nach allem ein bißchen verrückt gewesen zu sein. War er vielleicht gänzlich übergeschnappt, und bedeutete der blutige Spuk beim Schwarzen Meilenstein nichts anderes als den zwecklosen Vernichtungstrieb eines kranken Hirns?

Der Chefinspektor fluchte in sich hinein, aber es hörte sich an wie ein schwerer Seufzer.

»Wir werden also heute nacht das Buschhaus im Auge behalten«, sagte er. »Hoffentlich bekommen wir diesen Marwel zu Gesicht.«

»Den hinkenden Mann mit dem Bart, meinen Sie?« erwiderte Duncan zerstreut. »Hoffentlich. Jedenfalls aber um so wahrscheinlicher, je unvorsichtiger Sie es anstellen. Am besten wäre es, Sie ließen Ihre Absicht in Blackfield und Umgebung austrommeln. Es ist noch genügend Zeit dazu, denn vor drei Stunden kann sich nichts ereignen. – Im übrigen verspüre ich gewaltigen Appetit und gedenke nun den gemächlichen Mr. William etwas in Schwung zu bringen.«

»Was ist mit dem Mann?« platzte Perkins heraus. »Er will mir nicht gefallen.«

Duncan nickte.

»Sie haben einen wunderbaren Instinkt, Perkins. Bei dem ganzen Fall kann Ihnen nämlich nichts so gefährlich werden, wie dieser William mit seinen drei A.«

Der Gentleman aus Cambridge nickte nochmals und ließ den Chefinspektor mit grimmig verbissenen Zähnen stehen.

Aber wie vor einigen Tagen vor dem Hotel am Strand, machte er auch jetzt plötzlich wieder kehrt und tippte dem übel gelaunten Mann wohlwollend auf die Schulter. Und dann sagte er etwas, was er in ähnlicher Form heute schon bei anderer Gelegenheit einmal gesagt hatte.

»Wenn die Geschichte hier glücklich zu Ende ist, verehrter Gönner, werde ich Ihnen eine so große Freude bereiten, wie Sie sie höchstens noch bei meiner Beerdigung empfinden könnten . . .«

Perkins verstand ihn zwar auch diesmal nicht, sagte sich aber, daß dies schon eine ganz gewaltige Freude sein müßte.


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