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VIII

Balzac hatte vor, am 29. November die Einweihung seines Landhauses Les Jardies mit einigen Freunden, und zwar dem Schauspieler Lemaître, dem Schriftsteller Gozlan, dem Anwalt Marville, seinem Verleger, einigen Bankiers, Malern und Journalisten, zu feiern. Zu seiner großen Beruhigung hatte er am Morgen dieses Tages von Peytel ein Schreiben bekommen, das etwas günstiger lautete als die früheren Nachrichten. Wohl enthielt auch dieser Brief die dringendste Bitte, Balzac möge zu ihm nach Bourg kommen, aber die schwerste Gefahr schien überwunden zu sein. »Die Handschellen sind abgenommen«, schrieb Peytel zum Schluß, »das Gutachten der Ärzte, welche den Körper meiner seligen Frau untersucht haben, lautet günstig.«

Balzac erwartete gegen Abend seine Gäste vor der Villa. Im Galafrack, weißer Weste, kokett geschlungener hellblauer Krawatte stand er da, seine marmorfarbenen, großen, prachtvollen Hände stützte er auf den herrlichen Stock mit Türkisen und Smaragden. Der Weg von der grüngestrichenen Pforte bis zu der Schwelle des kleinen Landhauses war außerordentlich abschüssig. Keine Gärtner – oder Baumeisterkunst vermochte die Böschung zu überwinden. Deshalb tasteten sich die Gäste nur sehr vorsichtig durch den bis auf einen einzigen Baum völlig kahlen Garten, um nicht auf der glatten Lehmerde auszugleiten.

Balzac zeigte den Gästen, von denen er den Schauspieler besonders ehrte, von der Terrasse die tief herbstliche, weithin schwebende Landschaft jenseits der Mauer, die schwarzblauen, leicht bereiften Wälder von Ville d'Avrai, die Abhänge im Nebel, in silbern gesponnenem Dunst, die Viadukte über der Straße, die Gegend so still, in den Abend versunken, keine Häuser, keine Menschen, kein Vieh in der Nähe, ein kleiner Bach in ruhigem Rieseln, die Luft rein, stark bewegt, die Wolken am westlichen Rande des dämmernden Himmels vereinigt und vom Winde zusammengescheucht, das Rauschen und Sausen der alten Bäume in der Stille deutlich vernehmbar von den fernen Wäldern her.

Dies ist, sagt Balzac, der schönste Fleck der Erde im Umkreis von zwanzig Meilen und dabei von Paris nur eine Stunde entfernt.

Die Stadt ist unter Hügeln gedeckt, verborgen. Die Gäste erkennen die Schönheit der Landschaft an. Zu bedauern ist nur, daß man in dem Garten weder gehen noch stehen kann. Man weiß nicht, ist es Ernst oder ein Witz, wenn Lemaître, ein schöner, eleganter Mann, anscheinend in die Bewunderung der Gegend versunken, sich bei der ersten Gelegenheit mit graziöser Verbeugung bückt und sich, der abschüssigen Böschung wegen, zwei Steinchen unter die Füße schiebt, wie man es bei Möbeln tut, die auf ungleichen Beinen stehen. Er müsse es tun, sagte er, da ihm sonst die Beine unter dem Leibe wegglitten. Balzac war gerade dabei, die ruhmvolle Vergangenheit seines Landgutes aus der Zeit Ludwig des Vierzehnten zu erzählen, dann rühmte er den Boden und stellte eine Rechnung des Erträgnisses an.

»Sehen Sie dieses prachtvolle Stück Land?« fragte er.

»Ja, ja, es ist unvergleichlich!« antwortet der Schauspieler.

»Hören Sie! Unter Louis dem Vierzehnten pflanzte der berühmte Gärtner La Quintie hier Gemüse von seltener Art. Es war einzig und allein für die Tafel des Königs bestimmt.«

»Ich verstehe«, sagte der Schauspieler.

»Ich, Verehrtester, bin in der Lage, das Gemüse für die Besitzer der benachbarten Schlösser zu liefern. Ich habe Samen dieser vortrefflichen Kultur und werde ihn säen. Das sind 3000 Franken Einkünfte, die ich mir verschaffe.«

»Ich kann Sie nur dazu beglückwünschen, Herr von Balzac.«

»Das ist noch nicht alles. Der Boden an dieser Seite, an der Sonnenseite, ist ausersehen für Treibhäuser. Ich will Ananas hier pflanzen. Im Sommer will ich das Licht einfangen und konzentrieren. Im Winter kann die Heizung nicht sehr kostspielig sein. Der Gewinn ist unbedingt sicher, denn wenn ich eine Ananas mit 8 Franken 50 Centimes verkaufe, die in Paris sonst 15 Franken kostet, muß ich den ganzen Handel an mich ziehen. Das gibt, wenn ich 2000 Ananas im Jahre züchte, wobei ich die Miete für den Laden in Paris (ich wähle nur eine gute Gegend) abrechne, ebenso die Transportkosten, 17 450 Franken im Jahr. Ich beginne damit im kommenden Frühling. Darf ich Sie jetzt in mein Landhaus führen? Es ist alles noch ein wenig unfertig, aber wenn Sie mich das nächste Mal aufsuchen, werden Sie alles vollendet finden.«

Die Wände des Landhauses waren kahl, außer den nötigsten Einrichtungsgegenständen befanden sich nur wenige Möbel in den Räumen, kein Teppich lag auf dem Boden. An den Wänden und Fußböden waren mit Kohle die Gegenstände angeschrieben, die an die betreffende Stelle gehörten. Man las: Eine Wandbekleidung aus Marmor von Paros. Ein Deckengemälde von Delacroix, ein Flügel von Erard, ein Schreibtisch aus Zedernholz. Eine Tapete von Aubusson. Türenverkleidung wie in Trianon, Fußboden: ein Parkett aus seltenen Hölzern von den Inseln.

Inzwischen war die Tafel prachtvoll gedeckt worden, man setzte sich zu Tisch, wobei der Dichter fast nichts berührte, sondern seinen Hunger mit dem Dessert stillte, das aus besonders ausgesuchten Früchten, Birnen, Pfirsichen, Äpfeln, Ananas und Melonen, bestand. Wein und Champagner gab es in Fülle, Balzac begnügte sich für seine Person mit Wasser, und zum Schlusse der Mahlzeit, als die andern Gäste Champagner bekamen, bereitete er sich seinen Kaffee.

Balzacs Verleger brachte den Trinkspruch aus:

Kriegerische Eroberungen seien Frankreich nach dem Falle des größten aller Franzosen versagt. Aber jetzt sei die Zeit, mit friedlichen Waffen ein Weltreich aufzurichten, Europa, Rußland, England zu erobern. Das heiße: durch französische Kunst, durch Galliens Genie. Die Werke Balzacs und sein Ruhm drängen weit über die Grenzen des Landes. Balzac sei adelig, der erste Aristokrat Frankreichs (nach dem König), denn er adle alle Herzen! Sein Name werde auch die Grenzen der Zeit überschreiten, welche andern Sterblichen gesetzt seien, und er sei dessen gewiß: was dieses Haupt – er wies auf Balzac, der sich im Augenblicke nicht bei der Kaffeemaschine und dem Spirituslämpchen stören ließ –, was dieses Haupt geschaffen, was diese Hand gebildet, das müsse bleiben, wenn sie alle nicht mehr seien.

Balzac mußte antworten und tat dies in folgenden Worten:

Sooft sich echte Franzosen begegnen, Bürger oder Bauern, Dichter oder Schauspieler, Kaufleute oder Notare, Bauern oder Priester, immer fällt der Schatten Napoleons auf ihre Freude. Aber auch immer der Glanz Napoleons auf ihre Trauer. Mitten in seinem jetzigen, oft durch Schwierigkeiten gequälten Leben, wozu sich auch die Sorge um einen guten Freund (mit einem Blick auf Marville, der die Andeutung nicht zu verstehen scheint), um den unseligen Peytel geselle, kehre sein Geist immer wieder zu Napoleon zurück. Er könne die Gesellschaft, die sich hier versammelt habe, nicht besser ehren, als wenn er ihr die Ballade von Napoleon vortrage, die kühnste und ergreifendste Dichtung, welche die Weltgeschichte gedichtet und mit dem Blute Frankreichs auf diese ungeheure Manuskriptseite aufgeschrieben habe, wie sie Europa, in weitestem Sinne, und darüber hinaus die russischen Eisfelder, die Wüstenstriche Ägyptens, die Felsenriffe Sankt Helenas darstellten.

Unter dem Schweigen der Nüsse knackenden und Champagner trinkenden Gesellschaft begann Balzac die Geschichte vom herrschenden, vom wankenden und sterbenden Napoleon.


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