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Um die erzürnte Ehefrau wieder auszusöhnen, begab sich der Mann unmittelbar nach dem Abschiede seiner Freunde zu ihr und bewillkommte sie in der Form: da sie keinen kleinen Vorrath von Eigendünkel besaß und die vornehme Dame gern spielen wollte, so war eine solche Formalität für sie ein angenehmes Sühnopfer. Er küßte ihr die Hand – sie schmunzelte: – er machte drey förmliche Verbeugungen rückwärts und wünschte zur erfreulichen Rückkunft Glück.
»Du bist einmal lustig gewesen, Papachen?« sprach die Frau mit stolzem, verdrießlichem Tone zu ihm herab und machte ihr Reisekleid los: der Mann sprang hinzu und half ihr: sie dankte ihm mit einer preziosen Verbeugung. Diese Hülfe hatte ihm die Antwort auf ihre Frage erspart: sie fuhr also fort.
»Nun werd' ich wohl vierzehn Tage lang den Studentengeruch nicht wieder aus dem Hause bringen.« –
66 Ohne sie ausreden zu lassen, unterbrach sie der Mann: »Mein Aeugelchen, willst du etwa The, Kaffe, oder etwas zu essen? Ich will gleich bestellen.« – Sie dankte.
Die Frau. Wenn du dir nur einmal das böse Studentenleben abgewöhnen könntest! Man darf auch nicht den Rücken kehren, so fällst du gleich wieder in deine alten Sünden zurück. Man zieht seine Schande an dir. Kannst du denn nicht einmal ein Mann werden, der seinem Stande Ehre macht? – So laß doch die Tabaksbrüder sich in Kneipen und Schenken herumwälzen, und beschimpfe dich und deine Frau nicht durch solche schlechte Gesellschaft! – Werden die Leute nicht denken, daß bey uns alles vollauf ist, wenn du so schmausest und brausest? Man kann ja das Geld zu bessern Gesellschaften und anständigern Besuchen sparen.
Der Mann. Hm! hm! Fatal! recht fatal, daß ich mich dazu habe bereden lassen! Es soll nicht wieder geschehn, mein Mäuschen.
Die Frau. Das hast du mir schon tausendmal versprochen, Papachen. Ich will auch gar nicht mehr aus dem Hause gehn ohne dich. 67
Der Mann. Fatal! recht fatal! – Verlaß dich auf dein Papachen! Es soll nicht wieder geschehn.
Die Frau. Und oben drein zu so ungelegner Zeit die alten Dampfgäste daher zu setzen! Ich muß ja morgen Abend zu essen geben. Die Gäste möchten sich die Nase zuhalten, so übel wird das ganze Haus riechen.
Der Mann. Vielleicht haben sie den Schnupfen. Wenns ihnen nicht gut in meinem Hause riecht, ist mirs desto lieber. Da kommen sie dergestalt und allermaßen nicht wieder.
Die Frau. Ja, freilich, dir sind deine lustigen Saufbuben lieber als hübsche Leute.
Der Mann. Die hübschen Leute machen mir dergestalt und allermaßen nicht halb so viel Vergnügen als meine lustigen Kameraden. Da giebst du mir elende Suppen und magres Zugemüße, damit du alle Monate einmal deinen hübschen Leuten vollauf vorsetzen kannst, daß dergestalt und allermaßen der Tisch brechen möchte. Ich lobe mirs, alle Tage gut gegessen –
Die Frau. Wenn du das Geld dazu hast! 68
Der Mann. Das hätten wir wohl. Wenn wir nicht alle vier Wochen einmal den hübschen Leuten meinen Verdienst zu verzehren gäben, so brauchten wir nicht die übrige Zeit so kümmerlich und jämmerlich zu fressen. Mir ist dergestalt und allermaßen eine kleine wohlfeile Lust, die man oft anstellen kann, tausendmal lieber, als so eine seltne kostbare Fresserey, wobey man sich den Magen verdirbt und des Lebens unter den hübschen Leuten nicht froh wird. Laß sie Kaffe saufen, wenn du ja Besuch haben willst, und damit gut! oder gieb guten Freunden ein Paar Schüsseln, und das oft, und laß uns frölich und guter Dinge dabey seyn!
Die Frau. Schweig, Papachen! das verstehst du nicht.
Der Mann. Ja, ja; ich bins ja zufrieden, wenns nicht anders seyn kann. – Aber –
Die Frau. Papachen, geh an deine Arbeit! Akten verstehst du: verdiene du nur Geld! wie es verthan werden soll, das versteh' ich. – Geh! arbeite!
Der Mann. Ja, ja, Mäuschen: ich wills ja thun.
69 Er gehorchte: sie merkte wohl, daß ihm noch etwas auf dem Herzen lag, aber sie trug kein großes Verlangen, es zu erfahren. Er wollte ihr Heinrichs Aufnahme in sein Haus hinterbringen, das war es: gleichwohl wußte er nicht, wie er sich am besten dabey benehmen sollte. Er berief ihn zu sich auf seine Stube, um ihm die Marotten seiner Frau bekannt zu machen, damit er desto leichter das Geheimniß erriethe, sich in ihre Gunst zu setzen.
»Pro primo, hub er an, hat meine Frau dergestalt und allermaßen einen recht spanischen Stolz – nimm einen Bogen Papier und schreib, wie ich dir vorsage! – sie läßt sich gern die Hände küssen, sie sieht es sehr gern, daß man tiefe, tiefe Reverenze vor ihr macht. und nimmts übel, wenn sie nicht tief genug sind: sie wird böse, wenn man sie Madam nennt: Frau Doktorin muß man sie nennen, wenn sie antworten soll; und krieg' ich einen Titel – welches ich nächst Gottes Hülfe in wenig Wochen erwarte – dann muß man jedesmal nach zwey Worten den Titel einschieben, damit diejenigen, 70 so es nicht wissen, gleich erfahren, wen sie zum Manne hat. Wenn man von ihr und sich selbst zu gleicher Zeit spricht, so muß sie zuerst genennt werden, oder sie macht ein Gesicht, wie eine wilde Katze. Zur Thür hinein oder heraus muß sie allemal vorangehn, oder es läuft übel ab. Auch muß man, so viel möglich, sich hüten, gegen sie sich solcher natürlichen Ausdrücke zu bedienen, wie folgende: ich habe Sie im Zwinger gesehn – Sie haben hier eine Faser hängen – Gehn Sie voran! – Dafür sage man zierlicher zu ihr: Frau Doktorin, ich habe die Frau Doktorin im Zwinger gesehn – Die Frau Doktorin haben hier eine Faser hängen – Die Frau Doktorin belieben voranzugehn! – Wer sie mit der linken Hand führen will, ist ihr Todfeind: sie zieht in einem solchen Falle ihre Hand zurück und rümpft die Nase. Item muß man sich alles Naseputzens, Räusperns, Ausspeyens, starken Redens und andern Geräusches, was und welcherley es seyn möge, sorgfältigst in ihrer Nähe enthalten: je leiser und unverständlicher man spricht, je angenehmer ist es für sie.
71 Item darf man nicht frey und offen, sondern beständig mit einer Art von Zwang und ehrerbietiger Scheu mit ihr sprechen, nicht zu nahe zu ihr treten, sondern sich, so sehr als möglich, bey der Thür halten, nie lustig und aufgeräumt, sondern beständig ernst, gesezt, langsam, feierlich und mit häufigen Komplimenten und Verbeugungen zu ihr reden. – Wer diese und andre Gebote hält, dem wird es nie an Gunst und guter Meinung bey ihr fehlen.«
»Pro secundo hat besagte meine Frau einen kurzsichtigen Verstand, und hält deswegen jede Meinung für abscheulich, die nicht die ihrige ist, es sey in politischen, ökonomischen oder anderweitigen Angelegenheiten. Wer nicht ihre Meinung trift, den haßt, den verfolgt sie. – In Religionssachen ist sie ungemein küzlich: sie hat einen eisernen Glauben, und wer nicht glaubt, wie sie, ist ein Bösewicht: zuweilen schwärmt sie gar und ist schon einmal erzfanatisch gewesen: der Himmel bewahre sie vor einem Recidiv! Die Prediger betet sie an, und ihre Worte sind ihr Orakelsprüche: man darf deswegen in 72 ihrer Gegenwart keinen nennen, ohne das Haupt zu entblößen. Von der Philosophie hält sie nicht viel, und von der Poesie gar nichts – NB. gereimte geistliche Lieder ausgenommen. – Sie spricht am liebsten vom Hofe, und am besten von Domestiken. Durch ein zweideutiges, auch wohl unschuldiges Wort kann man in ihren Augen zum Freigeiste werden, und ist man das einmal, dann wird man von ihr geflohen, wie der Erzfeind. Sie glaubt einen Teufel: wer ihn vor ihr bey Namen nennt, ist verflucht, auch darf man ihm sonst nichts zu Leide thun. Sie versteht im Grunde von allem nichts, ist einfältig und unwissend, wie ein Trampelthier, nimmt es aber höchst übel, wenn Jemand etwas besser zu verstehn glaubt. Sie ist intolerant, daß sie Jeden bey langsamem Feuer braten würde, der nicht so glaubt, denkt und handelt, wie sie, wenn das Verbrennen nicht durch die Geseze verboten wäre.«
»Pro tertio, ihren Willen anlangend, ist sie überaus argwöhnisch: da sie von blödem Verstande und ohne Kenntniß ist, dabey ihre Schwäche 73 bey vielen Gelegenheiten merkt, so glaubt sie sich gleich gemeint, wenn man von etwas spricht, das sie treffen könnte. Ferner ist sie mistrauisch, zurückhaltend, knickerich, voll Bettelstolz, Prahlerey, Kleidersucht, Eitelkeit. Troz dieser mannichfaltigen Fehler ist sie zuweilen so gutherzig, wie ein Schaf. Nicht minder« –
Eben trat das Original herein: man mußte also die Schilderung beyseite legen, weil man es nicht für rathsam hielt zu erfahren, ob die Dame ihr Porträt ähnlich fände. Sie erstaunte über die Gegenwart des jungen Menschen: Heinrich besann sich sogleich auf den ersten Artikel seiner Instruktion und fuhr mit einem tiefen, tiefen Reverenze nach ihrer Hand, küßte sie und trat vier große Schritte weit nach einer abermaligen Verbeugung zurück. – »Wer ist denn der?« fragte sie ihren Mann. – »Kennst du ihn nicht, Mäuschen? antwortete der Doktor. Der junge Mensch, der vor einigen Tagen« –
Die Frau. Den Brief brachte? – Was will er denn schon wieder? –
74 Die Frage wurde mit dem verdrießlichsten, gedehntesten Accente gesagt. Der Mann brachte die verabredete Lüge vor: und kaum hatte sie erfahren, daß er ein Edelmann sey, als sie sich mit einer tiefen, graziosen Verbeugung zu ihm wandte und sich, voll unbeschreiblicher Freundlichkeit, über die Ehre freute, Ihro Gnaden zu beherbergen –
»Still!« rief der Mann und gebot ihr, seinen Stand nicht zu verrathen. Sie flog, eine Mahlzeit zu bereiten, wie sie sich für einen solchen Gast schickte, machte ihm ihr bestes Zimmer zurechte, und Heinrich spielte die anbefohlne Rolle der komplimentarischen Ehrerbietigkeit so gut, daß er noch den nämlichen Abend bey Tische vom Kopf bis zum Füßen in ihrer Gunst saß.
Bey dem Schlafengehen legte sie ihrem Manne einen wichtigen Punkt über die Etikette vor, die man gegen den jungen Herrn beobachten sollte, da man ihn nicht seinem Stande gemäß behandeln und tituliren dürfte. Die erste Frage war – ob man ihn 75 MonsieurZur Erläuterung dieser Berathschlagung muß man denjenigen Lesern, die mit dem Sprachgebrauche dieser Stadt nicht bekannt sind, berichten, daß dort Jedermann von bürgerlichem Stande, so lange er keinen Titel und keine Frau hat, und jeder Ausländer ohne Charakter Monsieur genannt wird. Es kann also Jemand in so einem Falle Zeitlebens durch ganz Teutschland Herr gewesen seyn, dort wird er zum Monsieur. nennen sollte? – Die Stimmen theilten sich: man stritt heftig und lange; und weil der Mann die Negative ergriff, sagte die Frau Ja. Alsdann schritt man zum zweiten wichtigen Punkte – »soll man den jungen Menschen Sie, Ihr, Er oder Du heißen.« – Bey einer so großen Menge möglicher Fälle wurde die Frage in vier verschiedene Untersuchungen abgetheilt, und die Berathschlagung kam vor zwölf Uhren nicht zum Schlusse, welcher dahin ausfiel, »daß man, um dem jungen Menschen, da er nicht unter seiner wirklichen Qualität erscheinen dürfte, weder zu viel noch zu wenig Ehre zu erweisen, sich keiner jener vier Arten der deutschen Höflichkeit, sondern des Wörtleins Man gegen ihn bedienen wolle« – versteht 76 sich, daß sich der Mann bey der ganzen Ueberlegung blos leidend verhielt und bey den Kurialien blieb, die er bisher schon gegen ihn gebraucht hatte!
Die übrigen Punkte wollen wir bey Gelegenheit in Erwägung ziehen – sagte die Frau gähnend und schlug die Vorhänge zurück, um ins Bette zu steigen. – Ach! schrie sie laut und sank dem hinter ihr stehenden Manne in die Arme.
»Mäuschen, was ist dir denn?« – Ach, Papachen! – dabey blieb sie.
Papachen sezte die Frau in einem Armstuhle ab und holte die Nachtlampe, leuchtete ins Bett – beym Jupiter! da lag langausgestreckt und schnarchend, als wenn ihn Merkurs Ruthe eingeschläfert hätte, der schöngepuzte Doktor, der sich Nachmittags in dem Tabakrauche verirrt hatte! da lag er, durch den narkotischen Dampf in einen Todesschlaf versenkt, mit dem Degen und chapeau bas, wie ein schlafender Endymion, à la française gepuzt! rührte kein Glied, so sehr er geschüttelt wurde! Endlich 77 erwachte er, rekte sich, erhub sich langsam in die Höhe und sprach zum Doktor Nikasius, den er für seinen Bedienten ansah: – »Kleidet mich aus!« – Ueber eine Weile fuhr er auf: – »Nu! was wartet denn der Schlingel? Ich bin wie zerschlagen.« – Indem er dies sagte, blickte er mit den halbblinzenden Augen nach der Frau Doktorin hin. – »Was Teufel! stammelte er schlaftrunken, bist du hier, Lieschen? Heute ist es nichts,« – und so sank er wieder zurück. Der Doktor Nikasius ergrimmte und klopfte mit den Fäusten so derb auf seinem Rücken herum, daß er aufsprang und sich zur Wehr stellte. Izt erkannte er seinen Gegner bey dem hellbrennenden Lichte, das die Frau Doktorin unterdessen angezündet hatte. Neue Verwunderung, warum ihn diese beiden Leute im äußersten Neglische besuchten! denn er glaubte noch immer bey sich zu Hause zu seyn: man überzeugte ihn von seinem Irrthume, und er wanderte beschämt und einfältig, wie ein Kind, davon, daß ihm der Doktor Nikasius kaum mit dem Lichte folgen konnte, um ihm die Hausthür zu öfnen: 78 er stolperte über Tisch und Stüle hinweg, verirrte sich, und so jagten die beiden Leute einander ewig durch alle Stuben durch, ohne sich finden zu können, bis der Hausherr den Gast bey dem Arme erwischte und zur Treppe hinunter führte.
Den folgenden Morgen mußte Herrmann bey der Frau vom Hause den Thee einnehmen: sie erzeigte ihm diese Höflichkeit, um ihn auf ihre Seite zu ziehn, wenn vielleicht zwischen ihr und dem Manne Faktionen entstehen sollten. Sie entwarf ihm deswegen das Porträt des Herrn Gemahls.
Mein Mann ist ein guter Narr, begann sie: man kann aus ihm und mit ihm machen, was man will. Er glaubt weder Himmel noch Hölle, aber Gespenster: er hält nicht viel auf sich: wenn er nur lustig seyn kann, so ist er im Stande, mit Schuster und Schneider umzugehn. Mit dem Gelde weis er gar nicht hauszuhalten: er wirfts weg, wie ers bekömmt, wenn ihn Jemand darum bittet. – Ich sage das nur, damit man sich an seinem Beyspiele spiegelt und 79 sich nicht von ihm verderben läßt: besonders nehme man sich vor seinem Unglauben in Acht und richte sich deswegen blos nach mir. Wer meinen Lehren und Ermahnungen folgt, der ist wohlberathen: man kann bey mir den Ausbund aller Herz und Seele stärkenden Bücher erhalten, und man lese nur fleißig darinne, so wird es nicht an Segen und Gedeyen fehlen. Ich werde mir zuweilen selbst die Mühe geben und zum Lesen anhalten, damit man nicht durch den Unglauben meines Mannes angesteckt wird.« –
Im Grunde wollte sich die Dame durch diese Vertraulichkeit nur den Weg zu einer Befriedigung ihrer Neubegierde bahnen: sie lag ihr wie eine zentnerschwere Last, auf dem Herze, es ängstigte und drückte sie das Verlangen, zu erfahren, warum Herrmann seine Geburt verheimlichte: sie muthmaßte, wer weis welche Geheimnisse dahinter. Deswegen rückte sie immer näher zur Sache, erkundigte sich nach dem gnädigen Herrn Vater und der gnädigen Frau Mutter – Heinrich war in der äußersten Verlegenheit und antwortete höchstlakonisch. Da auf 80 diese Manier nichts herauskommen wollte, so schritt sie zu der unausweichbaren Frage, warum er seinen Adel verberge. Heinrich fühlte in der falschen Anmaßung eines höhern Standes und dem Kunstgriffe, sich durch eine Lüge in der Gunst einer Frau zu befestigen, die er nicht sonderlich hochachtete, so etwas aufbringendes, so etwas erniedrigendes, daß er nach einer zweiten Wiederholung ihrer Frage die reine Wahrheit gerade heraussagte, ohne Einen Umstand seiner Herkunft zu verhelen. Die Frau Doktorin empfand in dem Augenblicke gegen den aufrichtigen jungen Menschen eine so tiefe, tiefe Verachtung, daß sie sogleich das Gespräch abbrach und ihm auf seine Stube sich zu begeben gebot.
Auf der Stelle eilte sie zum Manne, ihm über die entdeckte Lüge Vorhaltung zu thun: der friedliebende Doktor, der sich lieber mit sechs Parteyen vor Gericht, als mit seinem Weibe einmal zankte, suchte zwar anfangs durch angenommene Unwissenheit der fernern Untersuchung zu entgehn, allein da er sich durch das eigne Zeugniß des jungen Menschen überführt sah, so 81 bekannte und beichtete er seine Sünde offenherzig und entschuldigte sie mit der guten Absicht, nahm mit einem treffenden Verweise vorlieb und schrieb ruhig an seinen Akten fort.
Ihr Unwille wuchs noch mehr, als sich sogar ihr Eigennutz auch betrogen fand: sie hatte in der ersten Berauschung über die Ehre, einen jungen Kawalier bey sich zu beherbergen, vorausgesezt, daß die Bezahlung dafür noch nicht bestimmt sey, sondern daß man ihr ohne Widerrede jede noch so große Foderung zugestehn werde – leicht zu erachten, daß ihre Foderung nicht klein ausfallen sollte! – wie stuzte, wie knirschte sie, als ihr der Mann bey genauer Nachfrage offenbarte, für welch geringes Geld der gutherzige Narr – wie sie ihn bey der Gelegenheit nannte – Tisch und Wohnung versprochen hatte. Er wurde ausgefilzt, wie ein Schulknabe; und um seine hochgebietende Frau Gemahlin zu beruhigen, gelobte er an, eine Zulage von Schwingern zu verlangen. Daß es der gute Mann über sein Herz hätte bringen können! Nein, lieber bezahlte er der Frau 82 aus seinem eignen Beutel die gefoderte Erhöhung der Pension, und überredete sie, daß er sie von seinem Freunde geschickt bekomme. Auch diese vermehrte Summe war ihr immer noch nicht genug: da sie gar nichts an der Ehre gewann, so wollte sie sich durch desto größern Nutzen schadlos halten, und drang endlich mit einem Haufen scheinbarer Gründe in den Mann, ihr diese Last aus dem Hause zu schaffen. Der Mann widerstand mit seinem ganzen kleinen Vorrathe von Muth.
»Bedenke doch nur, Mäuschen!« sprach er bey einer Unterredung über diese Angelegenheit; – was soll denn aus dem jungen Menschen werden, wenn wir ihn von uns treiben?« –
Die Frau. Dafür mag Er sorgen.
Der Mann. Wir können ihm aber doch dergestalt und allermaßen ohne die mindesten Unkosten, ohne unsern Schaden und etwanigen Nachtheil, ohne alle Last und Mühe forthelfen; und sein Freund, mein alter Dutzbruder und Stubenpursche, hat mir ihn auf die Seele empfohlen – 83
Die Frau. Ja, empfehlen ist keine Kunst: wenn er nur auch bezahlte!
Der Mann. Das thut er ja, Kathrinchen, so viel als recht und billig ist.
Die Frau. Wie will nun der einfältige Mann wissen, was in der Haushaltung recht und billig ist! Das muß ich verstehn.
Der Mann. Hast du denn Schaden dabey?
Die Frau. Nein, das wohl eben nicht, aber auch keinen Nutzen!
Der Mann. Ach, Potz Plunder! muß man denn nichts ohne Nutzen thun? – Kathrinchen, du plauderst nun so viel von Frömmigkeit und Gottesfurcht, daß mir mannichmal die Ohren weh thun, und du bist doch dergestalt und allermaßen ärger als Juden, Heiden und Türken. Nicht so viel Christenthum hast du im Herze, als man auf einen Nagel legen kann.
Die Frau. Ich? kein Christenthum? – Davon darf so ein Unwiedergeborner, so ein Ungläubiger gar nicht reden. Das muß ich verstehn, was dazu gehört. Ich vergieße manche Thräne über deinen Unglauben. 84
Der Mann. Gehorsamer Diener, Frau Doktorin: bemühen Sie sich nicht! Sie hätten ihrer genug über sich selbst zu vergießen – über die Hartherzigkeit, über den Eigennutz, den Stolz, die Hoffahrt! Ob du gleich alles frisch vom Munde weg glaubst, was du von deinen Seelenräthen hörst, oder in deinen schwarzkorduanen Büchern liesest, so hast du doch ein Rabenherz, so trocken, wie Bimstein, und härter, als alle Felsen im ganzen plauenschen Grunde! Dein Glaube hat noch keinen hungrigen Hund gesättigt, aber meine Gutherzigkeit, die du mir so oft vorwirfst, hat schon manchem armen Teufel geholfen, den ihr allesglaubenden Unmenschen verhungern ließt.
Die Frau. Schweig, daß du dich nicht an mir versündigst! Wenn du nur so viel Almosen gäbst als ich!
Der Mann. Was, Almosen! ich gebe keine Almosen: ich thue Wohlthaten und Dienste. Deine Almosen sind Prahlerey, Eitelkeit, Stolz: Du demüthigst die Leute damit. Meine Gefälligkeiten erniedrigen Niemanden; 85 denn ich verlange nicht einmal einen Dank dafür, und das zehntemal wissen die Leute gar nicht, daß die Hülfe von mir kömmt: sie sollens auch dergestalt und allermaßen nicht wissen. Potz Plunder! laß dir einmal sagen, Kathrinchen! und jage die schwarze Parucke, den konfiscirten Magister, der alle Tage zu dir kömmt –
Kaum war das Wort zwischen den Lippen hervor, als der Bediente die Ankunft des eben genannten Magisters meldete: die Strafpredigt des Mannes mußte also unvollendet bleiben, weil die Frau, wie ein Gems, zur Stube hinausschoß, um den schwarzperückichten Magister zu empfangen und sich mit ihm an der stolzen Einbildung zu weiden, daß sie allein die frömmsten Kreaturen im Lande wären.
Ungeachtet der Mann auf seiner menschenfreundlichen Halsstarrigkeit bestund und den jungen Herrmann mit seinem Wissen nicht im geringsten kränken ließ, so trug sein Schutz doch nicht viel zur Glückseligkeit des Beschützten bey, weil er seine Lage nicht änderte. Der 86 ehrbegierige Jüngling fühlte die Verachtung, womit ihm die Frau vom Hause begegnete, das Armselige, das Erbettelte, das Erniedrigende in seinem Zustande zu sehr, um nicht alle Foltern des beleidigten Ehrgeizes dabey auszustehn: seine lebhafte, fast brausende Thätigkeit war in die traurige Beschäftigung eingezäunt, trokne Akten, die weder seinem Verstande noch Herze einen Brocken Nahrung verschaften, wörtlich und sorgfältig abzuschreiben: alle seine Begierden strebten zum höchsten Gipfel eines Dinges, das er sich weder zu benennen noch deutlich zu entwickeln wußte, nach Ehre, Vorzug, Größe: der Vogel wollte mit gespannten Fittigen zur Sonne emporfliegen, und das arme Geschöpf mußte sich in einem engen, händebreiten Zirkel unter der langweiligsten Einförmigkeit herumführen lassen: er flatterte, er zitterte von dem innern hervordrängenden Feuer, und keuchte vor Anstrengung, seine Leidenschaft zu unterdrücken: er wurde verdrießlich, mürrisch, einsylbig. Natürlich folgte daher, daß er seine Geschäfte, da sie ihm so widrig 87 schmeckten, ungemein nachlässig verrichtete: er war nie fertig, wenn er es seyn sollte, und seyn Abgeschriebnes so voller Fehler, daß man es nie brauchen konnte. Sein Patron hatte bey aller Gutmüthigkeit militärische Strenge, so bald es seine Geschäfte betraf, und bestrafte deswegen die Unachtsamkeit und Langsamkeit des Abschreibers mit scharfen Verweisen ohne alle Schonung. Die Empfindlichkeit wollte oft dem unglücklichen Jünglinge das Herz abstoßen: er erkannte in sich die Strafbarkeit seiner Fehler, konnte nicht über die Strafe zürnen, sondern über seine Unfähigkeit, sie zu vermeiden: oft stampfte und sprühte er vor Wuth auf seiner Stube nach einem solchen Verweise, lief glühend auf und nieder und verwünschte sich als einen Unwürdigen. – »O wer noch auf dem Schlosse des Grafen Ohlau wäre!« – mit diesem wehklagenden Ritornell gieng meistens sein Zorn zur Betrübniß über. Gemeiniglich wanderte er bey einem solchen Vorfalle auf das freye Feld hinaus, um seinen Schmerz in den Wind auszuhauchen. 88