Johann Karl Wezel
Herrmann und Ulrike / Band 2
Johann Karl Wezel

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Erstes Kapitel.

Freilich nur mit halber Freude, und mehr aus Neubegierde, ob die verdächtige Nachricht gegründet sey oder nicht, befolgte Herrmann den Auftrag seines Herrns getreulich und nahm jedesmal seinen Weg, wenn er ausgeschickt wurde, durch die Lindenallee, sollte auch der Umweg eine Stunde betragen: er sah niemals ein Gesicht, das Ulriken mit Einem Zuge glich. Der Diener war in seinem Suchen nicht glücklicher und brachte seinem Herrn jeden Morgen die Nachricht, daß die Nimfe schon versprochen gewesen und ihm nicht zu Theil geworden sey. Herrmann knirschte jedesmal mit den Zähnen, wenn so eine Nachricht überliefert wurde.

Seine Unruhe ängstigte ihn Tag und Nacht: sie ließ ihn nicht zwo Minuten auf Einem Flecke 304 stehen oder sitzen, und des Nachts wälzte er sich von einer Seite zur andern und suchte den Schlaf, ohne ihn auf lange Zeit zu finden. Er bat sich von seinem Herrn die Erlaubniß aus, die zehn Dukaten zu verdienen und die Schauspielhäuser zu durchstreichen: der Kaufmann, dem er im Gewölbe ohnehin entbehrlich schien, und der auch schon beschlossen hatte, sich zu Ende der Probezeit seiner zu entledigen, verstattete ihm ohne Weigerung seine Bitte.

Mit der Empfindung eines Staatsgefangnen, der sein Urtheil erwartet und beinahe gleich wahrscheinlich Tod und Leben hoffen kan, wanderte Herrmann aus. Sein erster Besuch im teutschen Schauspielhause lief fruchtlos ab: den folgenden Tag rüstete er sich mit einer Lorgnette und machte im französischen Schauspiel einen Versuch: man spielte Racinens Berenice. Er hatte auf dem Schlosse des Grafen hinlängliche Kenntniß der Sprache erlangt, um alles zu verstehen, was er hörte; und die große Ursache, warum er nichts verstund, war keine andere als weil er blos sah und nicht hörte, wenigstens nur 305 hie und da einen Vers, der ihm noch aus der Lektüre geläufig war und zufälliger Weise izt auf sein Trommelfell fiel: sein Kopf war unaufhörlich nach den Logen gerichtet, und jedes Damengesicht, das erschien, mußte sich Zug für Zug untersuchen lassen, ob nicht einer darunter sey, der ihm Aehnlichkeit mit Ulriken gebe. Der Vorhang fuhr rauschend in die Höhe: noch war keins gefunden, das ihr gehören konte. Das schnurrende Geräusch der Zuschauer verstummte, das Orchester schwieg: ein langer baumstarker Antiochus in rothseidnem Mantel, mit einem schwankenden Busch Gänsefedern auf dem papiernen Helme, marschirte in abgemeßnen Schritten, die Arme, gleich den Henkeln eines Blumentopfs, majestätisch in die Seiten gestemmt, durch den gewölbten Portikus daher: ihm folgte im gelben blumenreichen Mantel ein kurzer untersezter Arsaz, von unten bis an den Gurt der schwarzsammtnen Beinkleider ein Franzose, vom Nabel bis zum Ende des befiederten Kaskets ein altgriechischer Bastard.

»Hier laß uns stehn!«

306 huben Ihro Majestät an; und sie stunden. Der König lehrte seinen Vertrauten die Geographie des Palastes und machte ihn besonders mit den zwo Nebenthüren bekannt. Nachdem er so die Landkarte verzeichnet hatte, befahl er ihm, zur Königin zugehen, ihr einen schönen Gruß zu vermelden und höflichst zu bedauern, daß ihr der König wider seinen Willen beschwerlich fallen und sich eine geheime Unterredung ausbitten müßte.

Arsaz, der ehemals in Languedok Hecheln verkauft hatte, trat einen Schritt zurück und verwunderte sich mit dem lauten Geschrey seines vormaligen Gewerbes, wie ein so großer König in einem so hübschen rothen Mantel einer Königin beschwerlich fallen könte, deren Liebhaber er sonst gewesen wäre. »Ob sie gleich die künftige Gemahlin des Titus ist,« rief er,

»Setzt dich ihr Rang von ihr unendlich weit hinweg?«

Herrmann, dem die lautgekreischte Frage die Ohren erschütterte, glaubte nicht anders als daß sie der Schauspieler seinetwegen gethan habe, 307 und wiederholte seufzend den Vers einigemal in Gedanken.

Antiochus war unterdessen vom Vertrauten allein gelassen worden und unterhielt sich deswegen mit sich selbst

»Werd' ich ihr ohne Zittern sagen können:
»Ich liebe Dich!
»Nein, ach! ich zittre schon! Mein wallend Herz
»Scheut diesen Augenblick so sehr als ich ihn wünschte.

Herrmann stuzte: der Mann hatte ihm seine Empfindung aus dem Herze gestohlen. Nicht weniger, als er wünschte, Ulriken widerzufinden, fürchtete er, sie verführt, ungetreu, auf immer seines Hasses werth wiederzufinden.

»Entfernt von ihren Augen, will ich sie
»Vergessen und dann sterben!

»Ja, wer es könte!« dachte Herrmann.

»Wie? soll ich stets in Qualen seufzen,
»Die sie nicht kennt? stets Thränen weinen,
»Die sie nicht fließen sieht?

Die Verse wurden so ganz mit seiner Empfindung gesprochen, daß er sich nicht von ihnen losreißen und kein Wort mehr von dem übrigen 308 Monologe hören konte: die ganze folgende Unterredung mit dem Vertrauten war ihm unleidlich, widrig, langweilig; denn sie enthielt kein Wort, das auf seinen Zustand paßte: er gähnte und mochte die langweiligen Schwätzer vor Verdruß nicht einmal ansehn.

»Die Königin erscheint,

rief Antiochus auf dem Theater: es kam auch wirklich eine dicke rothgetünchte Königin im Fischbeinrocke und Goldstoffe, sehr zierlich en coeur frisirt, eine Milchstraße von funkelnden Steinen, wie Sternchen, quer über den hochgethürmten Haaren, gravitätisch dahergeschritten: aber Herrmann würdigte die vergoldete Majestät keines Blickes, denn er hörte eben das interessantere Knarren einer sich öfnenden Logenthür und sah eine interessantere Königin im rothen Pelze hereinkommen. Sie brachte ein junges Frauenzimmer von sechs oder sieben Jahren mit sich, dem sie einen bequemen Platz zurechte machte: indem fragte man sich im Amfitheater hinter und vor Herrmanns Sitze: wer ist das? – »Es ist die Guvernante bey der Fräulein Troppau,« antwortete Jemand. Sie hatte während ihrer 309 Beschäftigung mit dem Niedersitzen der Fräulein ihr Gesicht beständig niederwärts gebeugt, und sah itzo erst sich in der Versammlung um. – »Eine hübsche Phisionomie!« sagte hier einer, der sie lorgnirte – »Eine artige Figur!« sprach dort ein Anderer, der durch einen Gucker sah. – »Ah!« versezte ein Dritter und zog jenem ungeduldig den Gucker vom Auge weg »Pardi! eine sehr interessante Phisionomie! große schwarze Augen, voller Feuer! ein frisches Teint!« – »Ah ça!« fieng ein grauhaarichter rothbackichter Franzose an, der schon lange mit seinen alten Augen unter den silbernen Augenbramen hinaufgeblinzelt hatte, »donnez!« und langte nach dem Gucker. Voulez-vous voir, Monsieur? fragte der Andre und überreichte langsam das Sehinstrument. »Diable!« rief der Alte so laut, daß alle Köpfe nach ihm herumfuhren, »voilà une jolie petite gueuse! - Voiez! fieng der begeisterte Alte nach einem Weilchen wieder an und stieß seinen Nachbar. Quel sourire! elle a un trait de malignité, cette petite coquine« – und jeden Augenblick wischte er mit begieriger Eilfertigkeit den Gucker 310 an der Manschette ab und schalt das fatale Instrument, daß es den Blick trübte, wiewohl seine Augen trüber seyn mochten als der Gucker. »Elle me charme!« rief der Alte ganz außer sich vor Entzücken und zappelte mit den Füßen. – Voudriez-Vous bien l'avoir? fragte sein Nachbar lachend. – »Je Vous dis Monsieur,« antwortete der Alte, zitternd vor Vergnügen, »que c'est un excellent morceau.« – Permettez! schnarrte ihm ein junges gepuztes Männchen, das schon lange in allen Taschen nach seinem Fernglase vergeblich gesucht hatte und sich doch schlechterdings die Schande nicht anthun konte, mit bloßen Augen zu sehen, über die Schultern herüber, riß ihm den Gucker aus der Hand und sah hin. C'est und Allemande? fragte er: man bejahte es. Elle passe, sprach er mit kritischer Kaltblüthigkeit und gab den Gucker zurück. – »Comment!« rief der Alte und drehte sich ereifert nach ihm um: »was finden Sie an ihr auszusetzen? so eine artige runde Stirn! Ich sage Ihnen, die mediceische Venus hat kein artiger Kinn: und der kleine lächelnde Mund! diese spirituelle 311 Mine! Ich sage Ihnen, ich kan kein schöner Gesicht mahlen, und wenn Sie mich wie ein Prinz bezahlen. Les parties et l'Ensemble - je Vous dis, Monsieur, qu' elle est delicieuse.«

Während dieses Zankes verschlang auch Herrmann die Schönheit, die er betraf, mit den Augen, und um so viel begieriger, weil ihn jeder Blick mehr bestätigte, daß es Ulrike sey. Die Gleichheit war so vollkommen, daß ihr auch nicht ein Zug fehlte: er hatte sie zwar nunmehr über ein Jahr nicht mit ruhiger Aufmerksamkeit gesehn, und das Gesicht mußte seit seiner Abreise aus seiner Vaterstadt einige beträchtliche Veränderungen gelitten haben, wenn sie es seyn sollte. Er hätte dem französischen Mahler, als er ihre Schönheit so lebhaft vertheidigte, mit beiden Fäusten wider den jungen Laffen, der sie nur leidlich fand, beystehen mögen. Sie war ihm tausendmal reizender als sonst: eine Gottheit mußte sie mit neuen Annehmlichkeiten belebt haben: ihr Blick zog das Herz in die Höhe, wie die Sonne den Abenddunst. Bey allem Lächeln 312 ihres Mundes schien ihm geheime Betrübniß aus ihrem Gesichte zu sprechen: – »Ganz natürlich!« dachte er, »sie weis nicht, wo ich bin; weis nicht, daß wir nur um einen Blick von einander getrennt sind!« – Izt lenkte sich ihr Auge nach seinem Platze hin: indem erschallte vom Theater

»Meine Thränen, meine Seufzer
»Folgten dir an jeden Ort. –

Ihre Mine wurde wehmüthig, ihre Lippen bewegten sich, als wenn sie die Worte leise zu ihm herabsprächen: nun war in seinen Gedanken nichts gewisser als daß sie ihn schon gesehen und erkannt hatte; und verschiedene ähnliche Zufälle bestätigten ihn völlig in seiner süßen Einbildung.

        »So viele Treue
»Verdiente größer Glück

sprach eine vierzigjährige Vertraute auf dem Schauplatze mit keuchendem Tone: so schlecht sie es sagte, so klatschte er ihr doch seinen Beifall zu, weil sie für ihn eine so große Wahrheit gesagt hatte: das Amfitheater hielt es für 313 Spötterey und folgte allgemein seinem Beispiele nach, daß die arme Vertraute, die nur eben aufgetreten war, vor Verwunderung über den so seltnen und izt ganz unerwarteten Beifall den Kopf schüttelte.

Berenice. Ich will ihn nicht erwarten,
    will unerwartet ihn hier finden, und
    bey dieser Unterredung alles sagen,
    was langverschloßne Zärtlichkeit
    zween liebenden, zufriednen Herzen eingiebt –

Seine Einbildung täuschte ihn so gewaltig, daß ihm die Worte nicht vom Theater sondern aus Ulrikens Loge zu schallen schienen: das Orchester hub nach ihnen ein sanftes Andante an, und Ulrike stand auf, und ließ neugierig ihre Blicke im ganzen Hause herumschießen. Aber warum sahe sie nun nicht ihren Herrmann allein an? Er ärgerte sich, daß Ein Blick auf Jemanden außer ihm fiel. Endlich nach langem Herumschauen trafen ihre Augen wirklich auf sein Gesicht: sie sah es starr und ernsthaft an: er lächelte zu ihr hinauf, und die Freude, als sie ihn erkannte, zwang sie unbewußt zu einer so entzückten Bewegung des Kopfs und drückte sich so lebhaft in 314 allen Zügen des Gesichts aus, daß ihre Bewunderer im Amfitheater sich neidisch nach dem Gegenstande umsahen, dem die Freude galt. Mit halbem Zweifel an der Wahrheit des Anblicks erfolgte ein Wink mit den Augen, und dann auf beiden Seiten ein förmlicher Gruß: allein bey aller Zurückhaltung waren sie doch nicht zurückhaltend genug; denn ihrem beiderseitigen vertraulichen Nicken, worinne der ganze Gruß bestand, konte auch ein Halbblinder anmerken, daß es mehr als Höflichkeit ausdrückte. Nach dieser Beobachtung richtete sich nunmehr die Neugierde der Umstehenden auf den glücklichen Menschen, welchem ein so englischer Gruß herabgeworfen wurde: man fragte sich ringsum: Niemand kannte ihn. Der alte Franzose, der sie vorhin so lobpries, drängte sich über zween Plätze weg zu ihm hin, und hielt ihm mit einem sehr höflichen »Monsieur?« seine Tabaksdose vor: Herrmann sahe nichts, was tiefer als Ulrikens Kopf war: der Mahler stieß ihn also an: Herrmann wandte sich hastig und warf ihm die lackirte Büchse aus der Hand, daß sie unter den 315 Bänken bis ans Parket hinabrollte. Der Mann wollte zwar diese Gelegenheit nützen, ein Gespräch einzufädeln, allein die Musik schwieg, und er mußte sich gleichfalls zum Schweigen entschließen.

Nunmehr wurde das Schauspiel eine unaufhörliche Unterredung für die beiden Liebenden: Herrmann war Titus, und Ulrike machte sich zur Berenice: jede Süßigkeit, jeder Ausdruck der Zärtlichkeit, jede Versicherung der Treue, jede Sentenz, die mit ihrem beiderseitigen Zustande übereinstimmte, wurde unmittelbar, wie sie aus dem Munde der Schauspieler heraustönte, in Gedanken von Beiden wiederholt und mit einem Blicke von ihm zu ihr hinauf, oder von ihr zu ihm herab, auf ihren Zustand angewendet.

Titus. Ach! welcher Liebe soll ich mich entschlagen!

Paulin. Ja, leider! einer glühend heißen Liebe!

Titus. O tausendfältig heißer ist sie, Freund,
    Als du dir denken kanst. Mir war es Wonne,
    Sie jeden Tag zu sehn, zu lieben und ihr zu gefallen.

        —         —         —

Titus. Ich kenne sie, ich weis, daß nie ihr Herz
    Nach einem andern als nach meinem strebte. 316
    Ich liebte sie, gefiel ihr, und seit jenem Tage –
    Soll ich ihn traurig oder glücklich nennen? –
    Verlebt sie, fremd in Rom und unbekant dem Hofe,
    Die Tage, liebt und wünscht kein größres Glück,
    Als Eine Stunde mich zu sehen,
    Die übrigen mich zu erwarten.
        —         —         —
    Ich sehe sie, benezt mit Thränen,
    Die meine Hände trocknen sollen!
    Was nur die Liebe kennt, um mächtig stark zu fesseln,
    Kunstlose Sorge zu gefallen, Schönheit, Tugend, –
    O, alles, alles find' ich in ihr! – –

Während dieser geheimen Unterredung schien die ganze Versammlung vor Herrmanns Augen zu schwimmen: Lichter, Kulissen, Menschenköpfe tanzten in schwebender Verwirrung, wie trübe ferne Schatten vor ihm herum: das einzige Bild, das seinen ganzen Horizont füllte, das deutlich und bestimmt durch die Augen bis zur Seele und zum völligen hellen Bewußtseyn gelangte, war Ulrike. Berenice war für ihn das höchste Ideal eines schönen Schauspiels, und Schauspieler und Schauspielerinnen schienen ihm Apoll mit den neun Musen, die in eigner Person herabgestiegen waren, das schönste Stück 317 meisterhaft zu spielen. Seine Nachbarn dachten zwar hierinne ganz anders, und es flogen von allen Seiten lustige Einfälle über die spielenden Personen um ihn herum: allein für ihn war dieser Widerspruch nicht hörbar. Nichts belästigte ihn, als der Mahler, der so gern um Ulrikens willen seine Bekanntschaft machen wollte; denn er sprach nicht blos mit dem Munde, sondern noch mehr mit dem Ellebogen, und beschwerte sich zornig bey seinen Nachbarn über die Unhöflichkeit des Menschen, der ihm nur mit unwilligen Minen oder gar mit einem erzürnten »laissez-moi« antwortete. Es lag ihm um so viel mehr daran, seinen Zweck zu erreichen, weil seine Bekannten sich über ihn lustig machten und gleichsam mit Bonmots nach ihm warfen.

Da Ulrike merkte, daß man mit allen Augen, Guckern und Lorgnetten aus dem Amfitheater nach ihr zielte, und daß man nunmehr alle diese Sehwerkzeuge auch im Parket und den Logen nach ihr richtete, befand sie für gut, ihren Stuhl zurückzuschieben und sich so zu setzen, daß sie nur für sehr wenige sichtbar blieb. In 318 dieser Pause gelang es dem Mahler wirklich, den müßigen Herrmann ins Gespräch zu ziehn. – »Monsieur, connoissez-Vous cette Dame?« fieng er an. – »Ob ich sie kenne?« fragte Herrmann mit pickirtem Tone. »So gut als mich.« – »Ah!« brach der Mahler abermals in ihr Lob aus, »quels yeux! quel front! quelle bouche! quel joli tour de visage!«

Herrmann. So viel Geist in der Mine! So viel Feuer im Auge!

Der Franzose. Quel teint! quel nez!

Herrmann. Und die feine zarte Haut! so sanft, so annehmlich, wie ihre Seele!

Der Franzose. Quelle gorge! - Je Vous dis, Monsieur, qu'elle est delicieuse - und dabey zog er alle fünf Finger über den Mund weg.

Herrmann. Sie haben die Hände noch nicht gesehn: so weiß, so fleischicht, von einem so liebevollen Drucke, daß man nicht denkt, hört noch sieht, wenn man von ihnen berührt wird.

»Diable!« schrie der Mahler und fieng mit seinem Lobe wieder von vorn an. Für die 319 Nachbarn war es ein wahrhaftes Lustspiel, die beiden Leute so unerschöpflich und inbrünstig um die Wette Einen Gegenstand loben zu hören: einer redte in den andern hinein und wollte ihn übersteigern. Beide zeichneten freilich als Verliebte, aber Herrmann noch am treffendsten. Ulrikens Bildung war in Ansehung der einzelnen Theile nicht schön: ein strenger Beurtheiler würde vielleicht an jedem, für sich betrachtet, etwas zu tadeln gefunden haben: aber in der Zusammensetzung bildeten sie vom Kopf bis zu den Füßen das niedlichste Ganze: in jeder Bewegung war Geist, ihre Mine beständig sprechend, und oft stärker sprechend als ihre Worte, ihr Gesicht ein abwechselndes Gemählde von kleiner muthwilliger Lustigkeit und Gutherzigkeit, und der immer bleibende Grund, aus welchem dieses Gemählde sich zeigte, eine ausgebreitete schuldlose Heiterkeit: ob sie gleich in ihren Bewegungen und Handlungen oft bis zur Unbesonnenheit rasch war, so wurde doch selbst diese Raschheit von einer gewissen Anmuth begleitet, von Sanftheit so gemildert, daß Jemand von ihr sagte, 320 sie habe zwo Seelen, eine männliche und eine weibliche. Ihr Wuchs und der feine Gliederbau war vielleicht die einzige körperliche Schönheit, die sie auszeichnete: von der äußersten Fußzehe bis zum Wirbel schwebte Anstand und Reiz, wie ein Paar Liebesgötter mit ausgebreiteten Fittigen, um sie her. Ihr erster Anblick überwältigte: man mußte schlechterdings mit solcher Ergießung loben, wie der alte Franzose; und fand man gleich in der Folge weniger Schönheit an ihr, so hielt doch ihre Naifetät und ungekünstelte Munterkeit dem ersten heftigen Eindrucke so sehr die Wage, daß man seine Verminderung nicht sonderlich wahrnahm oder wahrnehmen wollte.

So richtig zeichnete freilich weder der Franzose noch Herrmann, ob sie gleich den ganzen fünften Akt über dem Gemählde ihrer Göttin verplauderten: der Mahler erbot sich, sie zu mahlen, lud Herrmannen zum Abendessen zu sich ein und versprach, ihn en buste et en demi-figure gratis zu mahlen, wenn er ihm die Ehre verschafte, ihr Porträt zu machen. Herrmann 321 schlug nicht ab und sagte nicht zu; denn eben, als sie auf diesen Handel kamen, machten die Schauspieler ihre Verbeugung und der Vorhang rollte herab: ohne die Ankündigung abzuwarten, drängte sich Herrmann ungestüm durch die Bank, der Franzose hinter ihm drein: da standen sie beide an der äußersten Thür und lauerten! Es kamen rothgemahlte und weißgetünchte Damen und gelbe hustende Herren in Pelze gewickelt, Laufer schwangen die Fackeln, Bediente kreischten mit rauhen Hälsen den schlummernden Kutschern zu, die wartenden Herren klagten über Kälte und ihre Damen über Nässe, Kutschen rollten dahin, rollten daher; geblendete Fußgänger krochen an den Wänden hin, den trampelnden Rossen zu entgehn; Andre schrien, erschrocken, daß sie an Pferdeköpfe rennten; hier lauschte ein frierender Liebhaber auf seine verzögernde Schöne, dort ein brummender Ehemann auf die plauderhafte Gattin; hier wurde mit leisem Gezischel eine Nacht bedungen, dort um bessern Kredits willen eine bezahlt; ein gähnender Kopf klagte da über die 322 Langweiligkeit des Stücks und beschwerte sich, daß er nur zweimal im ganzen Trauerspiele gelacht habe; hinter ihm lobte eine empfindsame seufzende Schöne das Rührende des Schauspiels, sie war gerührt worden, ach! gerührt, daß ihr noch die Thränen über die Wangen flossen; vor ihr drängte sich eine rauschende Französin am Arme ihres Anbeters vorüber – »Ah!« schrie sie, »cette piece m'a dechiré le coeur« und brach in ein lautschallendes Gelächter aus, weil sie ihr zweiter Anbeter von hinten galant in die Seite knipp: ein teutscher Kritikus lachte des matten französischen Ausdrucks, der drey Einheiten und des tragischen Kreischens, und ein französischer bewies ihm mit hitziger Demonstration aus dem Batteux, daß die Franzosen die besten Trauerspieldichter auf der Erde sind: schöne Eheweiber, die von dem händeküssenden und scharrfüßelnden Haufen ihrer Liebhaber Abschied nahmen, während daß der Mann grunzend in der Kutsche auf sie harrte; schnatternde Franzosen und schweigende Teutsche – ein verwirrter Haufen in mannichfarbiger Mischung quoll aus allen 323 Thüren hervor: das Gedränge wurde schon dünne: noch war Ulrike nicht da. Der Mahler guckte jeden Augenblick mit langem Halse nach ihr, und Herrmann fürchtete schon zitternd, daß er sie übersehn habe. – »Ah! voilà notre Princesse!« schrie der Mahler. Sie kam, aber o ihr guten Götter! – von einem Offiziere geführt: Herrmann wurde todtblaß vor Schrecken. Sie sprach sehr munter mit ihrem Führer, ohne sich umzusehn: der Offizier nahm mit einem Händekuß Abschied, und sie schwang sich federleicht in den Wagen hinein. Nun hatte der arme übersehene Herrmann nichts geringers zur Absicht, als dem Wagen aus allen Kräften nachzulaufen, um ihre Wohnung zu erfahren: er sprang also die Treppe hinunter, der Mahler ihm nach. »Ecoutez, Monsieur!« rief er und ergriff ihn bey dem Rocke: der brennende Verliebte riß sich los, daß alle Nähte des Kleides prasselten, und nun in Einem Galope hinter dem geliebten Wagen drein! Von Neid und Besorgniß über den Offizier gequält, von der Fackel des aufstehenden Bedienten mit einem glühenden 324 Pechregen übersprüzt, keuchend und stolpernd sezte er den langen Lauf standhaft fort, durch Pfützen, Koth und Schlammhaufen, daß beständig ein feiner Hagelregen von Unflath auf sein Gesicht und Kleidung herabstürzte: der Weg gieng durch die Königsstraße über die Brücke hinweg und noch durch einige Straßen der Vorstadt. Der Wagen hielt: Ulrike eilte mit ihrer jungen Begleiterin lachend und schäkernd die breite Treppe hinan.

Sich in so höchstbeschmuzter Gestalt in ein so schönes Haus zu wagen, dazu gehörte viel: aber seinem Wunsche so nahe, sich über so mannichfaltige Unruhen und Besorgnisse kein Licht zu verschaffen und ganz unverrichteter Sache wieder abzuwandern, dazu gehörte noch mehr: er entschloß sich kurz und wagte sich die Treppe hinan. Bediente liefen geschäftig mit dem Abendessen, mit Tellern und Lichtern auf dem Vorsaale hin und wieder: er erkundigte sich bey einem nach der Guvernante der Fräulein. »Die Mamsell Herrmann?« fragte der Bediente: »eine Treppe höher, über den Flur weg, rechts, 325 am Ende die große Thür hinein, über den Saal linker Hand die dritte Thür!« – plappernd sprach er dies und gieng seinen Weg.

Himmel! das war eine Tagreise! Er wiederholte sich die angezeigte Marschrute und wandelte die Treppe hinan, den ganzen langen Flur durch – izt hörte er Ulrikens Stimme, die große Thür öfnete sich, sie kam heraus, ihr Fräulein an der Hand, schäkernd und lachend: sie erblickte Herrmanns beschmuzte Figur, dicht an die Wand gedrückt, sah halbschüchtern, mit gerecktem Halse, stillstehend nach ihm, erkannte ihn und erschrak, daß sie aus aller Fassung gerieth. Die junge Fräulein bestürmte sie mit einer kindischen Frage nach der andern, wer es sey, und drückte sich furchtsam mit dem Kopf an Ulrikens Seite: es antwortete ihr Niemand. Endlich brach Herrmann das minutenlange Stillschweigen und berichtete, daß er die Ehre habe, der Mamsell Herrmann einen Brief zu überbringen.– »Gleich, Herr Vetter!« rief Ulrike: dort flog sie hin.

Herrmann freute sich seiner verliebten List und der glücklichen Gemüthsfassung, womit er 326 sie ausführte: er mußte lange warten. Izt schwebte seine Göttin in dem seidnen schlanken Anzuge, leicht, wie auf den Fittigen der Luft, durch den dämmernden Korridor daher: ihr glühendes Gesicht leuchtete von fern, wie der aufgehende Mond hinter röthlichen Abendwolken. Vom Laufen erschöpft, bat sie ihn, ihr zu folgen. So cerimoniös, wie einen Fremden, führte sie ihn in ihre Stube; und nun – weg waren alle Komplimente! Sie warf sich ihm um den Hals, er ihr; ihr Gesicht lag auf seiner Schulter, das seinige an der ihrigen: – »willkommen, Herzensheinrich!« schluchzte sie in sein Kleid hinein: »tausendmal willkommen, Herzensulrike!« antwortete er mit der nämlichen Dumpfheit der Stimme. –

Ulrike riß sich los. »O daß ich dich habe!« rief sie. »Daß ich dich hier habe, hier, wo uns Niemand kennt, Niemand hindern kan!«

Herrmann. Wohl mir, wohl, wie im Himmel, daß ich dich habe! – Aber wehe uns, wenn wir uns nicht behalten dürfen!

Ulrike. Ich bitte dich, Heinrich, mache mich 327 nicht wehmüthig! Wozu denn nun itzo das Flennen? Ich war so lustig, ich hätte mögen über Tisch und Stühle wegspringen: da schlägst du mir gleich meine Wonne mit deinem schwermüthigen »wehe!« danieder. Ich glaube, die Freude macht dir den Kopf wirblicht. Besinne dich doch! Ich bin ja da: was willst du denn weiter?

Herrmann. Glücks genug! so wahr ich lebe, Glücks genug! Aber du weißt nicht, was ich fürchte! doppelt fürchte!

Ulrike. Was hast du denn so fürchterliches zu fürchten? Und gar doppelt? – Also zum ersten?

Herrmann. Man sucht dich: Onkel und Tante wissen, daß du hier bist: sie versprechen demjenigen, der dich findet, zehn Dukaten –

Ulrike. So wohlfeil bin ich ihnen?

Herrmann. Noch mehr! Jemand, dem nach diesem Preise lüstet, giebt entehrender Weise vor, daß er dich in einem schändlichen Hause gesehn habe, und verspricht, dich zu liefern –

Ulrike. Der Bösewicht!

Herrmann. Er schwört, daß diejenige, die er genau kennen will, deinem Porträte, das der 328 Onkel an einen Kaufmann geschickt hat, damit er dich nach ihm finden soll – daß jene Person deinem Porträt auf ein Haar ähnlich sieht; und sobald sie in seiner Gewalt ist, wird sie fortgeschickt.

Ulrike. Laß sie schicken! laß sie schicken! Ich wollte, daß sie mir, wie aus den Augen geschnitten, gliche.

Herrmann. Aber bedenke, Ulrike, welchem Rufe dich diese falsche Nachricht aussezt! wie der Graf zürnen wird, wenn er sich so schändlich hintergangen sieht!

Ulrike. Lieber Heinrich, das sind zwey Sachen, an die wir wahrhaftig nicht denken müssen, wenn wir Lust haben, uns zu freuen. Ein Mädchen, das ihrer Tante heimlich entlaufen ist. muß mit dem Rufe vorlieb nehmen, der ihr zu Theil wird: wenn sie sich nicht damit trösten kan, daß sie keinen bösen verdient, so muß sie zu Hause bleiben, in ein Stift gehen oder einen Stock heirathen, wie ihn der liebe Gott beschert. – O Heinrich! mannichmal mitten in meiner Lustigkeit sticht michs, wie ein Dorn, am Herze, 329 wenn mir der Gedanke durch den Kopf fährt, daß ich von allem dem Kummer und Herzeleid und Zank und Lärm die Urheberin bin: aber der Schritt ist einmal geschehn: ja, Heinrich, so sehr ich dich liebe, sollt' ich ihn noch thun, ich bedächte mich. Ein entlaufnes Mädchen und ein lüderliches werden gar leicht mit einander verwechselt; – und dann! so schüchtern, wie ein gescheuchtes Reh, herumzuirren, immer fürchten, daß man gehascht wird, zwischen Schimpf und Mishandlung eingesperrt – Gott weis es, ein trauriges Leben! – O Heinrich! Heinrich! weinen sollten wir, nicht lachen: ich schien mir nur glücklich, weil ich nicht an unser Unglück dachte.

Herrmann. Du schienst dirs nur? Du bists! Aber ich – ich werd' es nie.

Ulrike. Warum nicht? – Leidest du Noth? Heinrich, sprich! Du Verzagter, so härme dich doch nicht! Ich habe Geld, Geld in Menge, Geld, ich weis nicht wohin damit! ich will dich kleiden, will deine Taschen füllen, will herzlich gern Pelz und alle Kleider verkaufen, wenn dirs 330 nicht genug ist: sprich! und der Jude soll gleich da seyn: nur ängstige mich nicht und sage, daß du unglücklich bist!

Herrmann. Ulrike, ich bin glücklich bey dir, mit dir, durch dich: aber in meinem Herze faßt auch dies Glück keine Wurzel. Nimm ihm so viele Leidenschaften, die es oft zusammenpressen, daß mir der Athem vergeht, die Begierde, die mich immer vorwärts zieht, die mich an die Zukunft fesselt und die Gegenwart nicht fühlen läßt! dann erst machst du mich fähig, glücklich zu seyn.

Ulrike. Sage mir nur, woher dir die unselige Laune kömmt! Du warst sonst so munter: ich wette, du bist bey dem Doktor Nimmersatt – oder wie dein Doktor in Dresden hieß – so ängstlich geworden. Was bekümmert dich die Zukunft? Wir können ja kaum mit der Gegenwart zurechte kommen. Mache nicht, daß ich auch zum Murrkater werde! hernach ists gar mit uns aus. Wir haben so nicht viel Freude zuzusetzen.

Herrmann. Aber sage mir nur, Ulrike, wo 331 ich die Freude hernehmen soll! Ein elender Kaufmannsbursch, vom Morgen bis zum Abend dem Befehle und Zwange unterworfen, zu widrigen langweiligen schlechten Verrichtungen genöthigt, der es kaum wagen kan, dich zu lieben, sobald er bedenkt, was er ist – ein Unglücklicher, dem nichts auf der Welt gelingt, ohne Beruf, ohne Stand, ohne Ehre, ein Verachteter, Herabgesezter, ein Irrläufer, der seine Bestimmung sucht und sie nie finden kan – solch ein Kind des Unglücks soll sich freuen? Wie kan das Roß springen, wenn es im Karren ziehen muß?

Ulrike. Warte, armer Heinrich! warte, ich will dich ausspannen. Sage deinem Kaufmann noch heute, daß du nicht länger sein Junge seyn willst! Ich habe jährlich zweyhundert Thaler, alle Bedürfnisse frey und bekomme Geschenke über Geschenke: die zweyhundert Thaler sind dein, ganz dein: miethe dir eine Wohnung, lebe für dich! Freunde und Patrone will ich durch unser Haus schon für dich finden; und dann ist uns beiden geholfen: was wollen wir weiter? – Du armer lieber Kaufmannsjunge! wie bist 332 du denn in das Leben gerathen, da du keinen Gefallen daran findest? Warum bist du so mistrauisch gewesen und nicht gleich, wie du giengst und stundst, nach Berlin gekommen, als ich dir schrieb?

Herrmann. Als du mir schriebst? – Nicht Eine Zeile von deiner Hand hab' ich empfangen.

Ulrike. So ist doch wahrhaftig dein Doktor des Hängens werth. Vierzehn Tage nach meiner Ankunft in Berlin hab' ich dir mit dieser meiner rechten Hand geschrieben, daß du nach Berlin kommen sollst, und dir ein Haus angezeigt, wo wir uns finden wollten. Gut, daß ich damals meine itzige Station noch nicht hatte! Den Brief hat der unselige Doktor aufgefangen und der Oberstin zugeschickt –

Herrmann. Zuverläßig! denn Schwinger berichtete mir, daß die Oberstin deinen Aufenthalt ausgekundschaftet habe –

Ulrike. Und Tante Sapperment hat den aufgefangnen Brief an die Tante Gräfin geschickt – 333

Herrmann. Und der Oberstin Brief ist in die Hände des Grafen gerathen, das schrieb mir Schwinger –

Ulrike. Und nun hat der Graf mein Porträtchen hergeschickt, um mich aufsuchen zu lassen –

Herrmann. Und nun hat sich Jemand gefunden, der dem Porträt änlich sieht –

Ulrike. Und diesen Jemand wird man statt meiner dem Grafen schicken. – Das ist die ganze Geschichte Wort für Wort, als wenn ich ihr zugesehn hätte.

Herrmann. Gewiß, das ist sie! – O der Freude, daß uns das Glück so wohl will!

Ulrike. Ueberglücklich sind wir! – Bedenke nur, was das für eine Lust seyn muß, wenn sie denken, sie haben Ulriken im Garne und – pah! da kömmt ein Jüngferchen heraus, das so wenig ihre Ulrike ist, wie der Karpfen, den wir heute gegessen haben.

Herrmann. O welche köstliche Scene! Ich muß lachen, wenn gleich der Kopf darauf stünde. –

334 Sie lachten auch beide so herzhaft und priesen den glücklichen Zufall mit so vieler Frölichkeit, daß sie den Bedienten nicht kommen hörten, als er mit dem Tischzeuge anlangte, um zu decken. So bald sie ihn gewahr wurden, nahmen sie wieder die Mine des Zwangs und der Fremdheit an.

Ulrike. Herr Vetter, Sie werden mir die Ehre erzeigen und heute bey mir speisen.

Herrmann. Wenn Sie erlauben, Mamsell, werde ich die Ehre haben, Ihnen Gesellschaft zu leisten –

Man schwieg: der Bediente deckte, gieng: und nun laute Freude und inniges Gelächter über die komplimentarische Betrügerey!

Ulrike. Ich habe dir deinen Namen den ganzen Weg über gestohlen: um des Diebstahls willen verklagst du mich wohl nicht? – Ich kriege ja doch den Namen einmal: was schadets, ein paar Jahre früher, als er mir von Gott und Rechts wegen zukömmt?

Herrmann. Ich möchte, daß er dir schon izt vor aller Welt zukäme! – Aber warum ein 335 paar Jahre früher? Nunmehr können wir die Entfernung unsers Glücks nur nach Wochen berechnen.

Ulrike. Du hast Recht, Heinrich. Was das für eine alberne Rechnung war, die ich machte! Du hast Recht: was will uns denn nun hindern? – Der Graf kriegt ehester Tage eine Ulrike: wenns auch gleich nicht die rechte ist, was liegt denn daran? Er mag sie dafür behalten und ihr alle seine Gnade und seinen Zwang schenken. – Nun sind wir ja alle befriedigt: er hat eine Ulrike, und ich meinen Heinrich. – O du allerliebster Kaufmannsjunge! wir sind glücklich, wie die Engel!

Herrmann. Glücklich, daß mein Herz vor Wonne schmelzen möchte! –

Der Bediente unterbrach abermals ihre Freude: er brachte die Suppe.

Ulrike. Wollen der Herr Vetter die Gewogenheit haben, Platz zu nehmen?

Herrmann. Ich werde das Vergnügen haben, Ihnen gegenüber zu sitzen. –

In diesem Tone mußten sie sich während der 336 Suppe erhalten, weil sie der Bediente nicht verließ. Das war eine drückende Last: Ulrike machte ihm also weiß, daß seine Gegenwart anderswo nöthig wäre, und daß er deswegen das ganze übrige Essen zugleich aufsetzen sollte: das alte faule Geschöpf ließ sich so etwas mit Freuden überreden und folgte ihrem Rathe. Nun sahen sie sich sicher und frey: aber ihre Herzen waren zu überströmend voll, daß sie noch lange schwiegen und viel zu reden glaubten, weil sie innerlich mit sich selbst sprachen. Bey Ulriken löste sich zuerst die Zunge.

»Es ist mir schon lange eingefallen,« fieng sie an, »ob mich nicht die Frau verrathen haben möchte, die mich von Leipzig nach Dessau brachte. Vergeblich hab' ich zwey Tage in Leipzig auf dich gewartet: hast du mein Billet vor meiner Abreise von Dresden nicht empfangen?«

Herrmann. Empfangen, aber unglücklicher Weise durchaus verwischt! Nachgeflogen wär' ich dir; aber das fatale Blatt sagte mir alles, nur den Ort nicht, wohin ich sollte. – Wie kontest du so ein Wagestück unternehmen? 337

Ulrike. Es hat mich Ueberwindung genug gekostet. Man schrieb mir, meine Mutter wäre schon unterwegs, um mich ins Stift abzuholen: einen so nahen Besuch kont' ich unmöglich abwarten: ich ersah mir die Gelegenheit und wischte fort. Ich hatte mir schon lange vorher vorgenommen, wenn die Saiten zu hoch gespannt würden, nach Berlin zu gehn und mich als Kammermädchen zu vermiethen. Tante Sapperment hat eine alte Landkarte von Obersachsen, auf Leinwand geklebt und noch vom seligen Herrn Gemahle angekauft: izt wird sie zuweilen statt des Strohtellers unter die Schüsseln gelegt: aus dem alten berußten Blatte suchte ich mir den Weg nach Berlin zusammen. Eine Kappe über den Kopf, ein Reisebündelchen am Arme, in Salope und Neglische wanderte ich zum Thore hinaus: meine Tante war zum Soupe gebeten, Hans Pump ausgegangen, die Köchin in ihrer Kammer: es gieng mir alles nach Wunsche. In der Vorstadt treffe ich einen Bauerwagen, der vor einem Wirthshause hält. – »Willst du denn noch so spät nach 338 Hause, Gürge?« fragte ein Mensch, der vermuthlich der Hausknecht oder gar der Wirth seyn mochte und trank dem Bauer einen Krug zu. – Ja, antwortete Gürge, es ist aber heint verzweifelt dunkel. – »Narr! du wirst dich doch wohl nicht fürchten?« fieng Jener wieder an. »Bis Wilsdruf ists ja nicht aus der Welt.« – Die Nachricht war mir gar sehr gelegen: da der Wirth gute Nacht gesagt hatte, gieng ich leise zu dem Bauer hin und bot ihm einen guten Abend. – »Gürge, willst du mich mit nach Wilsdruf nehmen? Ich gebe dir einen Gulden.« – Gürge lachte und wunderte sich, daß ich ihn so genau kannte. – »Wer ist Sie denn?« fragte er. – Eine Pfarrstochter aus Meißen: ich will eine gute Freundin besuchen. – »Ist Sie denn schwer?« fragte der drollichte Schäker und hub mich in die Höhe. »Ach daß mich das Schäfchen bisse! Das ist ja eine Feder: Sie wird mir die Pferde nicht lahm machen:« – und mit diesen Worten warf er mich so leicht, wie ein Bündel Stroh, in den Wagen hinein, machte mir einen Sitz, und gute Nacht Dresden! Mir klopfte mein Herz, daß 339 ich dachte, die Schnürbrust würd' es nicht halten können. Im Thore rafte ich mich, so gut es sich thun ließ, zusammen, zog die Kappe tief über das Gesicht, daß man nicht viel sehen konte, ob man mir gleich ins Gesicht leuchtete: ich antwortete richtig auf alle Fragen und kam mit meiner Erdichtung durch. Heinrich, wie froh ward ich, da wir außer dem Schlage waren! Die Furcht saß zwar hinter und vor mir und auf allen Seiten, und mein armes Herz pochte wie eine Uhr. Jeden Augenblick dachte ich: izt wird man mich zu Hause vermissen! izt wird man mir nachschicken! Das Beste war, daß die Oberstin den Abend vor zwölf Uhr nicht nach Hause kam und mich vermuthlich im Bette glaubte: demungeachtet war mir nicht wohl dabey zu Muthe. Ich ermahnte und bat den Bauer inständigst, hurtig zu fahren: allein er meinte, wir hätten ja nichts zu versäumen, zündete sich ein Pfeifchen an und kam zu mir in den Wagen. Wie ward mir nun vollends bange! die Stricke, woran er die Pferde lenkte, band er sich an den Fuß und beliebte sich und mir die Zeit 340 mit einer galanten Schäkerey zu vertreiben: er schlang seine plumpen Arme um meinen Leib –

»Der Bauerkerl!« unterbrach sie Herrmann erhizt.

Ulrike. Ja, ja, lieber Heinrich! der Bauerkerl! wenn du eifersüchtig werden willst, warte nur! es wird bessere Gelegenheit dazu kommen. Sieh, du Eifersüchtiger! so schlang er die plumpen Arme um mich, wie ich dich izt umfasse. – »Ha, ha, ha,« fieng er lachend an, »daß dich alle Rothkehlchen! Sie ist ja so dünne wie mein kleiner Finger. Sie nehm' ich in die Hand und trag Sie bis nach Leipzig und Merseburg. Wie könt' ich denn nun so dünne seyn? es ist ja gar nichts an Ihr.« – Als er vollends meine Hand ergriff, brach er in lautes Lachen aus und wälzte sich vor spottender Verwunderung. – »Ach, daß du mir nicht aus der Haut hüpfst! rief er. Das Patschchen wäre mir, mein Seel! kaum ein Bissen zum Morgenbrodte. Daß dich alle Nachtmützen! was das für Fingerchen sind! Es ist, hol mich der Six! als wenn einem vier Regenwürmer in der Pfote lägen.« – Daß er 341 nichts an mir nach seinem Geschmacke fand, war mir sehr angenehm: aber zum Unglücke zog er bey dem heftigen Ausdrucke seines Erstaunens den Strick mit dem Fuße bald hierhin, bald dorthin, und die Pferde wurden wider seinen Willen eine Anhöhe hinaufgelenkt, daß sich der Wagen schon zu legen anfieng: ich schrie, und der Tölpel lachte aus allen Kräften. Endlich verstummte sein Spaß: er legte sich, so lang er war, neben mir hin und schnarchte, daß die Todten hätten erwachen mögen. Bey mir war an keinen Schlaf zu denken: immer stellte sich mir meine Entlaufung als etwas schimpfliches, etwas strafbares vor, immer däuchte mir, als ob mich jemand vom Wagen risse: meine Angst drängte mich so gewaltig, daß ich mehr als einmal herabspringen und zu Fuße nach Dresden zurückgehn wollte. Die Dunkelheit, die Gefahr des Umwerfens – denn der Wagen hieng bald auf diese, bald auf jene Seite – meine innerliche Beklemmung! – O Heinrich! das war eine schreckliche Nacht! Dunkle und lichte Wolken hiengen über mir, wie große Riesen mit 342 flammenden Schwertern, die auf mich herabzustürzen und mich für meine Unbesonnenheit zu strafen drohten. Gegen Mitternacht fieng der Wind an zu pfeifen und zu brausen und die großen dicken Wolken liefen, wie große ungeheure Elefanten und Löwen und Trampelthiere über den Mond weg: bald sah die ganze Gegend im schnellabwechselnden Mondscheine, wie ein Kirchhof aus, voller Gräber und weißer Leichensteine: bald bildete ich mir ein, daß die Pferde in einen großen Teich hineinstolperten: ich schrie und weckte meinen Gürgen auf, der mich schnarchend versicherte, es wäre weißer Sand. Etlichemal erschrak ich bis zur Todesangst: ein schwarzer langer Mann lehnte am Wege dort: die Pferde giengen gerade auf ihn los; ich wollte sie immer weglenken. Das ist ein Räuber, ein Mörder! dachte ich: die faulen Pferde giengen sogar langsamer, da wir ihm nahe kamen, als wenn sies mit ihm abgeredt hätten, damit er mich desto besser auf den Kopf schlagen könte. Der Wagen war noch einige Schritte von ihm, so schoß plözlich eine schwarze Figur dicht 343 an mir vorbey über den Wagen weg: ich bebte und konte nicht schreyen, als wenn mich der Mörder schon bey der Kehle gepackt hätte. Nach einigen ähnlichen Auftritten kam ich dahinter, daß meine Mörder Bäume, und die schwarzen Figuren, die über den Wagen dahinliefen, Schatten von Wolken waren, die der Wind über den Mond jagte. Oft schien die ganze Gegend ringsherum von Menschen zu wimmeln: sie hüpften, sie sprangen, sie tanzten, manche schwarz, manche weiß: die weißen fletschten die Zähne, und zulezt wurden es in meinen Augen leibhafte Todtengerippe: ich hörte die Knochen klappern, wenn sie im Tanze an einander stiessen: sie kamen immer näher, immer näher: Die Zähne klapperten mir vor Furcht, wie den Todten die Knochen; und dabey fuhren die langen Schatten immer unter ihnen durch, wie schwarze Teufel, die sie wegführten. Deine, des Onkels, der Tante Stimme hab ich unaufhörlich im Winde gehört: Tante Sapperment fluchte, und du riefst mir nach: »Warte, warte, Ulrike!« ich hörte dich keuchen, dich auf den 344 Wagen springen: ich erwachte und erkannte meine Vorstellungen für Traum oder Wind.

Ein neues Unglück! Mein Bauer wachte auf und versicherte, als er sich umsah, daß seine Pferde den Weg verfehlt hätten: er gieng einen Fleck voraus, um gewissere Nachricht einzuziehn, und brachte keine bessere zurück, als daß wir auf einem falschen Wege wären. Dafür wurden dann die armen Thiere treflich ausgescholten, aber nicht bestraft: es war nichts zu thun, als gerade bis zu einem Dorfe fortzufahren. Es geschah: wir langten nach einer beschwerlichen Fahrt über Stock und Stein in einem Dorfe an, und erfuhren vom Nachtwächter, daß unser Umweg nicht weniger als zwo Stunden betrug. Mein Gürge lachte von Herzen über den Eselsstreich, wie er es selbst nannte, und betheuerte seinen Gaulen, daß sies nicht tümmer hätten machen können, wenn sie gleich Esel wären. Demungeachtet bekamen sie ein kleines Futter, und erst am Morgen trafen wir in dem Städtchen ein: hier erfuhr ich, daß mein Gürge der Knecht eines dortigen Bürgers war; 345 denn er bat sich meinen Gulden aus und brachte mich zu Fuß in ein Wirthshaus, damit es sein Herr nicht gewahr würde, daß er sich nebenher mit seinen Pferden etwas verdient habe. – »Hol mich der Six! er zieht mirs am Lohne ab« – sprach er und empfahl mich der Wirthin zu guter Pflege.

Sonst hielt ichs immer für eine leichte Kunst, in die Welt hineinzulaufen: aber wie schwer fand ich sie izt! Die Wirthin meinte es außerordentlich gut mit mir und bereitete mir das köstlichste Frühstück, das sie aufbringen konte: aber, aber! jeder Tropfen wurde mir Galle, jeder Bissen ekelhaft: alles Geschirr war reinlich, aber wars nicht genug für mich. Ich hatte mich auf dem ofnen Wagen die Nacht hindurch erkältet, war wie zerschlagen am ganzen Leibe, spürte Mattigkeit und Hitze in mir und bat mir deswegen ein Bette aus, auf welches ich mich warf, ohne Frühstück noch Nachsetzung zu achten. Die gute Frau sah mich immer bedenklich an und that Ausruf über Ausruf wegen meiner Blässe. Schlaflosigkeit, Wind, Herumschütteln 346 des Wagens und Erkältung hatten mich wirklich so bleich gemacht, daß ich vor mir selbst erschrak, als ich in den Spiegel sah. »Was soll das werden?« dachte ich. »Erst eine Nacht, und schon so mitgenommen! Aber was hilfts? Soll der Vogel von selbst wieder in den Käfig fliegen, wenn er einmal heraus ist? – Nein! ich muß nach Berlin, oder unterwegs umkommen.« – Ich war an der Stubenthür einen Postbericht gewahr worden, und las darinne, daß eine Post nach Leipzig den nämlichen Tag von Dresden abgieng: ich erkundigte mich näher bey der Wirthin darnach. – »Ja, meine Scharmante,« sprach sie, »diesen Nachmittag kömmt sie hier an;« – und zu gleicher Zeit erbot sie sich, alles für mich zu besorgen.

Ich hatte nicht lange auf dem Bette zugebracht, als die Frau zu mir leise herankam und mich fragte, ob ich schlief. Sie that allerhand seltsame Fragen an mich, die ich äußerst kurz oder gar nicht beantwortete, sie fühlte mir an den Puls, an die Backen, an das Herz, an die Füße, und schüttelte jedesmal mit dem 347 Kopfe, und jedes Kopfschütteln wurde mit einem tiefgeseufzten »Ey! ey!« begleitet. Der Ton und die Fragen verdrossen mich, und ich erkundigte mich, was sie hätte. – »Ach, meine Scharmante!« fieng sie an, »ich habe ein Anliegen: Sie werden mir meine Vorwitzigkeit zu gute halten: ich habe ein Anliegen.« –.Was denn? – »Sie sind von Dresden?« – Ich wußte nicht, ob ich Ja oder Nein antworten sollte. Ich komme daher, sprach ich. – »Legen Sie mir doch meine Vorwitzigkeit ja nicht übel aus, meine Scharmante! Sie sehn mir sehr blaß aus, überaus blaß.« – Darf man denn nicht blaß aussehn, wenn man von Dresden kömmt? fragte ich etwas empfindlich. – »Ey! ey! Ja! ja!« – Das war die ganze Antwort. Ich versicherte sie, daß sie mich böse machen würde, wenn sie ihr Anliegen nicht gerade heraussagte. – »Um Gottes und aller Welt willen nicht, meine Scharmante!« rief sie: »böse müssen Sie nicht werden: das könte Ihnen gar leicht Schaden thun. Haben Sie denn etwa, da Sie von Dresden kommen – 348 aber Sie müssen meine Vorwitzigkeit ja nicht übel deuten – haben Sie denn etwa dort so etwas aufgeladen?« – Was meint Sie damit? – »Sie sind doch noch Jungfer, daß ich Ihnen nicht etwa Unrecht thue: oder haben Sie schon einen Mann?« – Nein! antwortete ich, ohne sie recht zu verstehn. Endlich that sie eine so deutliche Frage an mich, die ich schlechterdings verstehen mußte, und die mich so entsezlich aufbrachte, daß ich sie gehn hieß und ihr unwillig den Rücken zukehrte. Die Frage der Frau erlaubte mir nicht, ein Auge zuzuthun, so müde ich war: ich ärgerte und härmte mich über den schrecklichen Verdacht, und stellte mir die Nachreden vor, die ich mir in Dresden zugezogen haben würde, und was für gefährliche Muthmaßungen ich noch in Zukunft erregen könte. Ich weinte vor Schmerz und Kummer, verbarg das Gesicht in dem Kopfküssen vor Scham, ich konte vor Beklemmung kaum athmen: ich fühlte einen wirklichen Fieberschauer. – O Gott! dachte ich, wenn du vor Krankheit hier bleiben müßtest! man fände dich! holte dich zurück und 349 sperrte dich, wie eine Gefangne, auf immer in ein Stift ein! oder zwänge dich, einen Pinsel zum Manne zu nehmen, damit du nicht wieder entlaufen köntest! – Die Vorstellung war mir so fürchterlich, daß ich aufstand und in der Stube auf und nieder gieng und immer davon laufen wollte, als wenn ich meiner Angst dadurch entlaufen könte. –

»Arme Ulrike!« sprach Herrmann voll Mitleid. »Wie gern hätt' ich deine Angst für dich tragen wollen!« –

Ulrike. Indem ich so herumirrte, kam die Wirthin mit einer Flasche Brantewein und zwey Gläsern, schenkte ein und reichte mir das Glas. – »Meine Scharmante!« fieng sie an, »Sie waren vorhin auf meine Vorwitzigkeit böse: kommen Sie, wir wollen den Groll zusammen vertrinken.«. – Ich wollte nicht, aber ich mußte einen Schluck thun: die Magd brachte Backwerk, und ich entschloß mich zum zweiten Schlucke, weil mir der erste merkliche Dienste gethan hatte. Sie lobte die Güte ihres Tranks und erzählte, wie viel Wunderkuren sie schon damit 350 verrichtet hätte, trank dabey so reichlich, als wenn sie sich von Grund aus kuriren wollte, und kam allmälich auf die Heirathsgeschichte ihres verstorbnen bucklichten Mannes. Sie wurde so aufgeräumt, und ihre Erzählung war so lustig, daß ich meine ganze Angst darüber vergaß: die dicke Frau fieng an zu tanzen vor Aufgeräumtheit und sang sich mit einem klaren pfeifenden Stimmchen dazu: der Anblick war komisch, um in Todesnöthen darüber zu lachen. Ich mußte sie bitten, mich zu verlassen; denn das Lachen und das starke Getränke machten mich so schläfrig, daß ich den Kopf nicht aufrecht halten konte. Ich legte mich und schlief glücklich ein. – Bey Tische aß ich mit einem Appetite, als wenn ich bey dem Onkel zu Tafel wäre: die Frau Wirthin erzählte mir ihre Ehe mit dem bucklichten Manne – lauter drollichtes Zeug! Mir war so wohl, daß ich mich munter und frölich des Nachmittags auf die Post sezte: meine Gesellschaft –

Eben kam ihr Fräulein vom Essen zurück, und man mußte die Erzählung abbrechen und 351 wieder fremd thun. Ueberdies war es schon sehr spät, und Ulrike bat, daß sich der Herr Vetter morgen gegen Abend wieder zu ihr bemühen möchte, um ihre Antwort auf den überbrachten Brief abzuholen. Er empfahl sich sehr höflich und gieng.

 


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