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4. Kapitel.
Immer im Vordertreffen.

Die Zwistigkeiten unter den deutschen Heerführern gaben den gedemütigten Türken frischen Mut, und der Sultan brannte darauf, die ihm entrissenen Gebiete wieder unter der Prophetenfahne zu vereinigen. So ging die Sonne über dem Jahre 1687 blutrot auf. Neue Kämpfe waren zu erwarten, neue kriegerische Verwicklungen drohten vom Osten her. Immer kühner gebärdeten sich die Osmanen; schon kamen Nachrichten, die keinen Zweifel darüber ließen, daß die Gefahr sehr nahe sei. Und richtig, bei Esseg strömte ein großes Türkenheer zusammen, schnell waren sechzigtausend Krieger vereinigt, die vor Ungeduld zitterten, die erlittene Schmach zu vergelten. Diese Hiobspost überbrückte die zwecklosen Eifersüchteleien unter den Feldherren Österreichs, und in Eilmärschen kamen die Kaiserlichen herangerückt.

Von Italien zurückgekehrt, stand der Prinz von Savoyen wieder an der Spitze seines Regiments. Jubelnd hatten ihn die Dragoner empfangen, und nun führte er sie zu neuen Waffentaten. Wochenlang hatte es in Südungarn geregnet, das endlose Heideland war zu einem See verwandelt. Durch diese schmutzigen Wässer wateten die Rosse, die Mäntel der Reiter waren durchnäßt. Trotzdem blieben die Soldaten bei guter Kriegsstimmung, kommandierte sie doch ihr Eugen, und das bedeutete immer einen Sieg. Aber aus dem regnerischen Frühling war ein heißer Sommer geworden; glühend brütete die Sonne über den Ebenen, und der Gifthauch des Sumpflandes verpestete die Luft. Namentlich unten im Banat, in der Gegend von Esseg, machten die Moräste durch ihre üblen Ausdünstungen die Mannschaft fieberkrank. Der Tod hielt unter den Soldaten eine reiche Ernte, und es starben mehr am gelben Fieber als durch die Pfeile und Feuerrohre der Janitscharen.

Da die Seuche unter den österreichischen Truppen immer heftiger wütete, erteilte Karl von Lothringen den Befehl, die versumpften Gegenden zu räumen. Die Plänkler und Vorposten der Türken rückten den abziehenden Deutschen nach. Unter den Osmanen verbreitete sich die mit Hohngelächter weitererzählte Nachricht, die Kaiserlichen hätten sich in feiger Angst zurückgezogen. Und sofort gab der Großwesir das Zeichen zur Verfolgung der Österreicher. Diese hatten jedoch nur aus Klugheit die ungünstigen Stellungen verlassen, und was ihnen vom Feind als Flucht ausgelegt wurde, war in Wahrheit nur eine weise Vorkehrung des umsichtigen Lothringers.

Die Osmanen waren ihrer Sache so sicher, daß sie am liebsten gleich angegriffen hätten; aber es kam vorerst nur zu unwesentlichen Scharmützeln. Erst am 12. August entwickelte sich unweit von Mohacz beim Orte Harsan eine große Schlacht. Mit heftiger Gewalt stießen die Gegner aufeinander. Die Türken waren gut verschanzt, und der Großwesir Ibrahim hatte auch sonst die Übermacht. Plötzlich sahen sich Max Emanuel von Bayern und Ludwig von Baden leidenschaftlich angegriffen, und viele blutige Stunden hindurch mußten ihre Truppen dem wütenden Ansturm der Türken standhalten. Da entschied das Eingreifen des Herzogs von Lothringen das Schicksal des Tages, und die Reiter unsers Eugenius waren dazu berufen, diesen Erfolg zu besiegeln.

Solch eine Niederlage hatte der Halbmond noch nie erlebt. Auf offnem Felde geschlagen, mußten die Türken nun auch die Stellung in ihrem verschanzten Lager als unhaltbar erkennen. Was draußen die eherne Faust der Deutschen verschont hatte, rettete sich hinter die Erdwälle; hier suchten die Türken ihre letzte Zuflucht. Doch sie hatten nicht mit den Dragonern des Prinzen Eugen gerechnet. Allen weit voran nahm der Prinz die Verfolgung der fliehenden Feinde auf. Schon war er mit seinen getreuen Dragonern, die wie die Windsbraut in den Feind fegten, bis an die Schanzen herangestürmt. Ein lebhaftes Geschützfeuer mühte sich, die Verfolger aufzuhalten. Aber so laut auch die Kanonen sprachen, den Eifer der nachsetzenden Reiter hemmten sie nicht. Jetzt befahl Eugenius abzusitzen, und den Degen im Munde erkletterte er als erster die wütend verteidigten Schanzen. Dieses Wagestückchen brach den letzten Widerstand der Türkei. Der Prinz von Savoyen erbeutete eigenhändig eine osmanische Fahne, und die Dragoner, hingerissen von dem Beispiel ihres Führers, leisteten Wunder an Tapferkeit.

Die Türken hatten alle Geistesgegenwart verloren, sie warfen die Waffen von sich und liefen in atemloser Hast davon. Die Toten lagen zu Hügeln gehäuft, groß war die Zahl der Gefangenen und der Rest des osmanischen Heeres ein Spottbild seiner einstigen Pracht. Mordend und plündernd zogen sich die geschlagenen Janitscharen zurück. Die Türkenherrschaft über Ungarn war damit dauernd gebrochen, und das Haus Habsburg durfte seiner Krone diesen Juwel nun für immer einfügen. So glorreiche Siege gibt es wenige in der Weltgeschichte, und seit dem Tage von Mohacz ist der Kriegsruhm Eugens für ewige Zeiten gesichert.

Unser Prinz hat dort ein altes Verbrechen der Türken blutig gerächt. Hundertsechzig Jahre vor seinem Mohaczer Meisterstück mußte auf dem nämlichen Platze der Ungarkönig Ludwig Leben und Reich lassen. An den eroberungssüchtigen Halbmond hatte damals der madjarische Herrscher sein Land verloren, und während der Schlacht von Mohacz geriet er mit seinem Pferde in einen Sumpf und erstickte jämmerlich (1526). Jetzt war sein Tod gesühnt.

Die Vivatrufe auf den edlen Ritter Eugenius durchbrausten das ganze Heer, als der Prinz nach vollbrachtem Tagewerk langsam und mit leuchtenden Augen über das Schlachtfeld zurückritt. Eine große Auszeichnung war ihm zuteil geworden. Sein verehrter Oberfeldherr hatte zu ihm mit Worten der höchsten Anerkennung gesprochen: »Serenissimus, Ihr habt den Sieg errungen,« hatte der Herzog von Lothringen gesagt und den Helden in seine Arme geschlossen, »Eure kühne Reitertat hat die Schlacht entschieden, mein Prinz. Darum habe ich Euch bestimmt, Seiner Majestät dem Kaiser die Freudenbotschaft zu bringen. Holt Euch aus meinem Hauptquartier die Berichte, und morgen mit dem frühesten reist Ihr nach Wien in die Hofburg.«

In feierlicher Audienz empfing Kaiser Leopold den Siegesboten und überreichte ihm sein mit Diamanten reich besetztes Bildnis. Von der Huld und Güte des Monarchen gerührt, schwor sich Eugen im stillen zu, stets für Deutschlands Ruhm und Österreichs Ehre das Schwert blank zu halten. Das hat er zeitlebens treulich erfüllt. In Wien verbreitete sich wie ein Lauffeuer die Nachricht, daß dem Prinzen Eugen der Löwenanteil an dem Triumph von Mohacz gehöre, und sobald der Überbringer der frohen Kundschaft auf der Gasse erschien, riefen ihm die Bürger hüteschwenkend Viktoria zu.

Aber nicht nur die schöne Donaustadt widerhallte von Eugens Tat, weit über die Grenzen des Reiches drang sein Ruhm, und besonders stolz war das Haus Savoyen auf den jungen Helden. Der regierende Herzog Viktor Amadeus schrieb dem Vetter einen von hoher Freude erfüllten Brief und stattete unsern Prinzen wahrhaft königlich aus. Er fühlte wohl, daß ein so verdienstvoller Anverwandter imstande sein müsse, seiner hervorragenden Stellung entsprechend aufzutreten. Und dazu gehört Geld, viel Geld sogar. Nun war es dem Herzog von Savoyen wohl bekannt, daß der Prinz, als er's mit dem Franzosenkönig verdarb, auf die Einkünfte zweier Abteien hatte verzichten müssen. Sie waren dem zarten Knäblein schon in der Wiege zum Patengeschenk gemacht worden, doch der Groll des vierzehnten Ludwig hatte sie dem Jüngling wieder entzogen. Für dieses Unrecht sollte er nun entschädigt werden, und Viktor Amadeus II. säumte nicht, dem berühmten Vetter zwei Abteien in Piemont zu verleihen. Der Papst gab gern die Einwilligung, hatte doch der Prinz Eugenius der Christenheit so unvergängliche Dienste geleistet, und aus Madrid übersandte ihm für diese Taten der König von Spanien den Orden des Goldenen Vließes, eine Auszeichnung, die den Träger im Rang den regierenden Häuptern gleichstellte. Auch sonst regnete es von allen Fürstenhöfen Sterne und Ehrenzeichen, nur in Paris blieb man merkwürdig stumm. Der französische König fand kein Wort der Anerkennung für den Prinzen Eugen. Darüber braucht man sich aber nicht zu wundern, denn Ludwig beneidete den deutschen Kaiser um den trefflichen Kriegsmann.

Höher noch als der klingende Lohn und die fremden Orden wird es den kriegerischen Sinn Eugens beglückt haben, daß ihn sein geliebter Monarch zum Feldmarschall-Leutnant ernannte. Wer mit fünfundzwanzig Jahren einen so hohen militärischen Rang erreicht, muß schon etwas geleistet haben. Wieviel verwegene Haudegen sinken oft als Graubärte ins Grab, ohne einer solchen Würde teilhaftig zu werden. Was Eugen von Savoyen in so jungen Jahren vollbracht, verdiente diesen einzig raschen Aufstieg. Sein Name war auf aller Lippen; zeigte er sich vor der Front, so jubelte jedes Soldatenherz. Allein der Prinz wurde nicht hochmütig und tat, als wären seine ungewöhnlichen Erfolge etwas Selbstverständliches. Man möchte glauben, ein so bescheidener Mensch könnte sich keine Feinde erwerben, und doch waren schon Neider am Werke und böse Zungen mühten sich, Eugen von Savoyen in der Wiener Hofburg zu verlästern. Er aber merkte nichts von alledem und ging still seiner Pflicht nach; sie sollte ihn bald wieder zum Schwerte rufen.

Seitdem auf der Festung Ofen die schwarzgelbe Kaiserstandarte flatterte, begannen sich die Madjaren mit Eifer dem Hause Habsburg anzuschließen. Es wurde dies den Söhnen der freien Pußta aber erschwert durch das Auftreten des Generals Carassa, eines gebürtigen Neapolitaners, der mit eiserner Strenge die einstigen Empörer behandelte. Während Prinz Eugenius sich in Venedig vom rauhen Kriegshandwerk erholte und dem fröhlichen Getümmel des Karnevals zusah, zog der General Carassa in Ungarn umher und lud viele Edelleute vor sein Kriegsgericht. So büßte mancher Magnat Leben und Besitz ein, bis Kaiser Leopold diesem harten Vorgehen ein Ende machte, das Blutgericht auflöste, die gefällten Urteile aufhob und anordnete, die eingezogenen Güter zurückzugeben.

Nach der Schlacht bei Mohacz war der Halbmond hinter dem Karstgebirge untergegangen, und die Türken hatten schnell ihre allerletzten Stellungen in Ungarn räumen müssen. Vordem schon war Tököly landesflüchtig geworden und lebte in einer milden Gefangenschaft auf osmanischem Gebiete. Die Gemahlin des Rebellen, die stolze und herrschsüchtige Helene Tököly, hatte mit größerer Vorsicht gehandelt und vertraute ihrer eignen Kraft mehr als der Gunst des Sultans. Von allen verlassen, verbarrikadierte sich die Gattin Tökölys in ihrem Kastell zu Munkacz und verteidigte das Schloß mit mannhafter Kühnheit. Endlich wurde der Trotz dieser ungewöhnlichen Frau gebrochen, und General Carassa führte die Gräfin gefangen nach Wien. So lag, vom inneren und äußeren Feind gesäubert, das Ungarland bereit, den Herrscher zu empfangen. Und Kaiser Leopold kam, kam mit seinen beiden Söhnen, Joseph und Karl, und prunkvoll ward in Ofen der Reichstag eröffnet. Das war im Januar des Jahres 1688; seitdem tragen die Habsburger die Erbkrone des ungarischen Königreiches auf dem Haupte.

Nun zögerte auch Siebenbürgen nicht mehr, den österreichischen Doppelaar anzuerkennen. Freiwillig riefen die Siebenbürger Sachsen die deutschen Truppen in ihr entlegenes Bergland, und Karl von Lothringen teilte es in vier Militärbezirke und besetzte die wichtigsten Ortschaften. Aus den Dörfern und Marktflecken strömte das Volk nach Hermannsstadt; dort hatten sich die Stände zu einer stürmischen Beratung vereinigt, und feierlich entsagte der Landtag der türkischen Oberhoheit. Das hätten die sächsischen Bauern längst tun sollen. Deutsche gehören unter den Schutz des deutschen Kaisers und bedürfen nicht der schirmenden Hand des Sultans.

Langsam vernarbten die schweren Wunden, die der Krummsäbel Ungarn geschlagen hatte. Die Weinberge, durch Jahre vernachlässigt, trugen jetzt wieder schwere Reben, und auf den Feldern wogten üppige Getreideähren. Die zerstörten Städte hoben sich allmählich aus ihrem Schutt zu neuem Glanz, und Handel und Wandel blühte schüchtern auf. So ging alles nach Wunsch, um Ungarn bald zu einem schönen Besitz Österreichs zu machen. Aber den Kaiser drückte eine bange Sorge: die Festung Belgrad, dieser wichtige Schlüssel zum Tor des Ungarlandes, war noch in den Händen der Türken, und solange ihr letztes Bollwerk stehenblieb, war der Frieden Ungarns immer bedroht. Belgrad mußte fallen, so hatte der Kaiser beschlossen, und dieser Beschluß gab auch dem Prinzen Eugen den Kommandostab in die Hand.

Die deutschen Heerführer lebten seit der Belagerung Ofens in Unfrieden. Die Schlacht bei Mohacz hatte sie scheinbar geeinigt; nun zeigte sich der alte Zwist wieder. Der Verdruß über mancherlei Ränke hatte den altbewährten Herzog Karl von Lothringen endlich dazu gebracht, den Oberbefehl niederzulegen. Jetzt übernahm der Schwiegersohn des Kaisers, Kurfürst Max Emanuel, die Leitung der Armee. Diesen Wittelsbacher kennt die Geschichte als einen stürmischen Draufgänger voll unerschrockener Tatkraft, und sein Name ist mit dem Fall von Belgrad für immer verknüpft.

Max Emanuel, Stern der Ehre,
Heldendegen, stark und kühn,
ewig bleibt im Bayernheere
dein Gedächtnis lorbeergrün,
seit dein Fuß vor Belgarad
in den Staub den Halbmond trat.

Morgens um die neunte Stunde
gab der Held zum Sturm Befehl;
da erscholl's aus jedem Munde:
»Gott mit uns, Emanuel!«
Antwort gab vom Festungswall
der Kartaunen Donnerhall.

Rot von Blut schon troff die Erde,
als man bis zum Graben drang;
doch der Kurfürst stieg vom Pferde,
sprang hinab, den Degen blank:
»Braves Bayerblut, mir nach,
folgt dem Schwert von Wittelsbach!«

Klimmt, ob rings der Tod auch knattert,
durch den Dampf zum steilen Rand,
und die Fahne, die da flattert,
reißt er aus des Fähnrichs Hand;
mitten durch die Kugelsaat
zeigt den Seinen er den Pfad.

Wohl beim Schein der roten Blitze
brach manch tapfres Herze hier;
aber auf des Walles Spitze
pflanzt der Held sein Siegspanier:
»Belgarad, jetzt bist du mein,
und das Kreuz zieht mit uns ein!«

Hui! Wie stoben schreckverwundert
da die Türken, Mann und Roß!
Christensklaven, vierzehnhundert,
wurden ihrer Bande los.
»Dankt's dem Herrn; ich trug sein Schwert,
doch den Sieg hat Gott beschert!«

Kurfürst Max, gekrönter Sieger,
dieses war dein Ehrentag;
in der Brust der Bayernkrieger
schallt noch heut' dein Feldruf nach:
»Schwert von Wittelsbach voran,
und wir folgen Mann für Mann!«

.

Schlacht bei Zenta am 11. September 1697. Nach einem Kupferstich von Huchtenburg.

Mit dieser schönen Ballade »Der Kurfürst vor Belgarad« feiert Emanuel Geibel die Heldengestalt Max Emanuels. Leider verschweigt der Dichter den großen Anteil, den damals auch unser Prinz Eugen an dem Fall der Festung genommen hat. Zwei Truppenkörper umklammerten Belgrad; der Führer des einen Korps war der Kurfürst, das andre kommandierte der Prinz von Savoyen. Erst ließ man die Kanonen reden, und die schossen weite Breschen in das Festungsgemäuer. Als diese Arbeit getan war, bliesen die Trompeter zum Sturm.

Belgrad – zu deutsch: der weiße Berg – war schon durch seine natürliche Lage für einen befestigten Platz wie geschaffen. Zwischen der Donau und Save, deren Fluten hart unter der Stadt ineinanderströmen, erhebt sich der Ort auf der nämlichen Stelle, wo im Altertum das verschanzte Römerlager Singidunum stand. Von Ungarn, Griechen und Bulgaren gar oft zerstört, ward der vielumstrittene Platz stets von dem Sieger neu aufgebaut, und Kaiser Stephan Duschan, der gewaltige Zar Serbiens, machte Belgrad zu seiner Zwingburg. Das war um die Mitte des vierzehnten Jahrhunderts; von da an lösen sich in dem Besitz der Festung die Madjaren und Serben stetig ab, bis sie den Osmanen, die ungestüm an den Pforten des Abendlandes pochen, zur Beute wird.

Die türkische Kriegsbaukunst hatte Belgrad zu einer der berühmtesten Festungen der Welt umgestaltet. Ein palastähnliches Gebäude, darin der Pascha residierte, einige Kasernen und ein altes Kirchlein, von den Osmanen als Pulvermagazin verwendet, das waren die Bauwerke in der oberen Festung. Bis hart an die Donau reichten die Wälle und Bastionen der unteren Befestigung, eine ganze Armee vermochte hinter den bombensicheren Kasematten Schutz zu finden. Die Türken hielten den Ort für uneinnehmbar. Als den Pascha ein fränkischer Kaufmann vor den heranziehenden Österreichern warnte, überschüttete ihn der Würdenträger mit Hohngelächter. Fünf Tore führten in die eigentliche Stadt; dort waren gewaltige Vorräte zusammengetragen: Getreidespeicher, bis an die Decke angefüllt mit Mehl und Kornfrüchten, große Viehherden weideten auf den Rasenplätzen innerhalb der Umwallung, kurz, Belgrad war für Jahre hinaus versorgt, und die Osmanen fürchteten die schärfste Belagerung nicht. So sicher fühlte sich der Halbmond in Belgrad, daß er von hier aus die erlittenen Demütigungen rächen wollte und nur auf eine Gelegenheit lauerte, in Ungarn wieder einzufallen. Diese letzte Zufluchtsstätte des raubsüchtigen Sultans mußte überwältigt werden; dazu hatte der Kaiser seinen Schwiegersohn entsandt, und der Kurfürst Max Emanuel fand bei der Durchführung der schweren Aufgabe in dem Prinzen von Savoyen einen tatkräftigen und treuen Gehilfen.

Die deutschen Kriegsvölker hatten mit Ungeduld das Zeichen zum Sturm erwartet. An die fünfzigtausend Mann der Kaiserlichen und Reichstruppen schlossen seit dem 11. August die Feste ein, und noch immer wankte sie nicht. Schon rüsteten sich die ersten Wandervögel zum Flug nach dem Süden, man schrieb bereits den 6. September. Nun war der große Augenblick gekommen, und vorwärts ging's unter brausenden Hurrarufen. Manchen blutigen Ausfall hatten die Kaiserlichen schon zurückgeschlagen, manche Schanze mit Bravour erklettert, und auch jetzt stürzten sie sich siegessicher in das Schlachtgetümmel.

Die Sonne war verdunkelt vom Pulverdampf, und ohrenbetäubend brüllten die Geschütze. Dort drüben klafften zwei gewaltige Lücken in der Mauer, das war das Ziel, nach dem alle strebten, dort mußte der Weg in die Festung erzwungen werden. Es war ein tolles Rennen und Jagen, ein Fallen und sich wieder Aufrichten, kein Hindernis galt, aber plötzlich stockte das stürmende Heer. Die Kolonnen zögerten, rafften sich wieder auf, zögerten erneut, um dann vor einem tiefen Graben dennoch stillzustehen. Das war ein gefährliches Hindernis; die Wogen der Donau fluteten in dem breiten Festungsgraben, und das Wasser wurde nun purpurfarben von dem Herzblut der Deutschen und Österreicher. Mancher blonde Sohn Germaniens streckte sich hier zum ewigen Schlaf, denn aus der Zitadelle spien die türkischen Feuerrohre sicheren Tod. Dieser Augenblick konnte verhängnisvoll werden, die geringste Zögerung den erhofften Sieg in eine Niederlage verwandeln. Da warf sich Guido Starhemberg, ein Neffe des berühmten Verteidigers von Wien, als erster in den Wassergraben. »Mir nach, Jungen!« rief er, »mir nach, wer gut deutsch ist und kaiserlich.« Und bis an die Brust von den eiskalten Wellen umspült, über sich den heißen Hagel der Geschosse, watete der Tapfere dem andern Ufer zu, und nicht ein Mann seines Regiments blieb zurück.

In solchen Augenblicken höchster Gefahr zeigt sich erst der rechte Mann; mit dem Dreinschlagen allein ist's nicht getan, das leuchtende Beispiel reißt die andern mit sich fort. So folgte das ganze Regiment Starhemberg, ohne mit der Wimper zu zucken, seinem Führer, erklomm, unbekümmert um den Kugelregen, die steile Böschung und schüttelte das Wasser aus den Uniformen. Die Türken bereiteten den ungebetenen Gästen einen warmen Empfang, da vergaßen die Soldaten schnell das kalte Bad.

Der Tod hielt sein großes Erntefest; viele Menschenleben wurden geopfert, ehe der Sieg den blutigen Tag krönte. Schritt für Schritt nur konnte die Festung erobert werden, mit Bitterkeit verteidigten die Türken diesen so lange behaupteten Boden. Verzweifelt war ihr Versuch, die Truppen des Kaisers zurückzuwerfen; die aber verbissen sich in den Feind und waren nicht mehr abzuschütteln. Ihre Hakenbüchsen hatten die Soldaten Starhembergs vor dem großen Graben liegen lassen, was konnten ihnen diese schwerfälligen Schußwaffen bei solch einem Nahkampf nützen, da mußte das blanke Messer entscheiden. Mann gegen Mann wurden die Verschanzungen genommen – hoch flatterten die Fahnen Österreichs.

Der Kurfürst und Eugenius waren dem Starhemberger dicht auf dem Fuße gefolgt, mitten ins grausigste Handgemenge führten sie ihre Leute. Allein sie führten sie auch zum Siege, wenn auch mühsam und schwer. Viele Mütter weinten um ihre Söhne, und mancher, der mit dabei war, trug zeitlebens eine breite Narbe als bleibendes Erinnerungszeichen. Der Prinz und der Kurfürst standen aufrecht mitten im wildesten Waffengewühl, und der Lärm der Schlacht ließ das Heldenherz dieser Männer höherschlagen. Wo es am gefährlichsten war, war unser Eugenius zu sehen, und in den allerersten Reihen kämpfte Max Emanuel ohne Furcht um sein kostbares Leben, das dem Bayernvolke gehörte. Da fuhr dem kühnen Kurfürsten ein grimmer Tatarenpfeil mitten ins Gesicht, da sauste das Schwert eines Türken auf das Haupt des Prinzen Eugen und spaltete das Eisenblech seines Helmes. Der Prinz von Savoyen drehte sich blitzschnell nach dem frechen Angreifer um und schlug ihn nieder, daß er das Aufstehen vergaß. Unaufhaltsam tobte der Kampf; der Kurfürst ließ sich den Pfeil aus der Wunde ziehen und hatte nur ein verächtliches Lachen für die besorgten Fragen seiner Umgebung; auch Eugenius focht mit zerschmettertem Helme weiter.

Das war ein Kampf! Die Türken wehrten sich wie Rasende, doch ihr Krummsäbel zerbrach an dem Heldenmut der Stürmer. Schon hatten die braven Deutschen die letzten Schanzen überwunden, schon waren sie der großen Mauerbresche nahe. Prinz Eugen stürzte sich zuerst in diesen Höllenschlund, Todesverachtung im Antlitz und mit Augen, die begeistert flammten. Hier wurde auf Tod und Leben gerungen, hier lauerte das Verderben, aber die treuen Dragoner Eugens zögerten nicht einen Augenblick, ihrem Führer zu folgen. Wo der Prinz von Savoyen war, dort wollten auch sie sein, denn Siegeslorbeeren erblühten, wo sein Degen blitzte. Die rauchgeschwärzten Gesichter der Tapferen waren ihrem Meister zugewandt – da sahen sie ihn wanken.

Ungezählte Feindeskugeln, zahllose Giftpfeile wählten sich an diesem Tage den Prinzen Eugen zum Ziel, doch sie alle hatten bisher dies ersehnte Ziel verfehlt. Jetzt drang eine Musketenkugel dem Prinzen in das Knie und riß ihn zu Boden. Ein Wutschrei gellte aus den Reihen der Österreicher, es schien, als ob ihre Kampflust beim Anblick des verwundeten Führers erlahmen würde. Aber Eugen wies nach der Festung hin und rief: »Kinder, laßt euch nicht stören!« Und dann umfing ihn eine tiefe Ohnmacht.

Als Eugen im Lazarett die Augen aufschlug, galt seine erste Frage dem Schicksal Belgrads. Da erfuhr er die frohe Botschaft von dem Fall der Festung. Der Kurfürst Max Emanuel hatte den Türken ihr Kleinod genommen, und von den Türmen der Stadt grüßten Habsburgs Fahnen ins Land. Ein beglücktes Lächeln erhellte das todbleiche Antlitz des Kranken; vom Wundfieber geschüttelt, lag er nun schon manchen Tag danieder, und die Ärzte blickten besorgt. Prinz Eugen litt, ohne zu klagen, doch die Wunde war sehr gefährlich, und vergebens mühte sich der Feldscher, die Kugel aufzufinden. Endlich entschloß man sich, den schwerverletzten Prinzen nach Wien zu schaffen.

Das war eine traurige Fahrt; wochenlang währte die beschwerliche Reise, und man verzweifelte fast daran, den Kranken lebend in die Kaiserstadt zu bringen. Auch dort blieb sein Zustand in hohem Grade besorgniserregend, und noch nach Monaten sonderte die böse Wunde Knochensplitter ab. Volk und Adel bestürmten die Umgebung Eugens um Auskünfte, selbst Kaiser Leopold erschien oft am Schmerzenslager des Prinzen, und ganz Wien bangte um seinen Liebling. Kein Mittel der Arzneiwissenschaft blieb unversucht, unserm Helden die Gesundheit wiederzugeben. Herzog Viktor Amadeus sandte dem verwundeten Vetter seinen eignen Leibarzt, dessen Gelehrsamkeit ganz Italien bewunderte. Trotzdem machte die Genesung nur ganz langsam Fortschritte, da noch ein arges Lungenübel hinzukam, und erst im Frühling 1689 war der Prinz von Savoyen wieder hergestellt. Da eilte Eugenius dem sonnigen Süden zu, um die alte Lebenskraft zurückzugewinnen, und es war ein selbstverständlicher Akt der Dankbarkeit, daß er auch am Herzogshofe zu Turin anklopfte. Dort wurde er von Viktor Amadeus mit offenen Armen empfangen, und alle Welt feierte den erlauchten Gast.

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