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In einer ungewöhnlich glücklichen Stunde hatte Ammer seiner Frau die vertrauliche Mittheilung gemacht, daß er auf Wimmer's Verlangen, das seit so langen Jahren von ihm entlehnte Capital im Interesse seiner Söhne zu benutzen, eingegangen sei. Frau Anna war darüber innigst erfreut, weil ihr mütterlicher Scharfblick längst entdeckt hatte, mit welchem Widerwillen ihr jüngerer Sohn die Weberei betrieb. Sie lobte Ammer dieses Entschlusses wegen und unterließ nicht, Partei für Wimmer zu nehmen und dessen Klugheit zu preisen. Ammer bemerkte darauf nichts, bedeutete jedoch seine Frau, daß er strengste Verschwiegenheit von ihr erwarte. Mit geheimer reservatio mentalis versprach Anna dies, indeß hatte sie gewichtige Gründe, bald darauf Flora in's Geheimniß zu ziehen, um des Vaters Abkommen durch die Schwester an die Brüder gelangen zu lassen.
Zu dieser kleinen Verrätherei glaubte Frau Anna darum ein Recht zu haben, weil sie seit einiger Zeit eine auffallende Mißstimmung des jüngeren Sohnes gegen den Vater bemerkte. Es gab immer Streitigkeiten zwischen Vater und Sohn, und häufig wollte Frau Anna ihren Mann nicht völlig im Rechte wissen. Ammern verdroß zuweilen seine dem Herrnhuter gegebene Zusage; da er aber zu ehrlich war, um sie wieder zurück zu nehmen, so ließ er sie dem entgelten, für den er sie gegeben hatte. Seinerseits nun that auch Fürchtegott Manches, was den Vater verstimmen mußte. Diese kleinen, aber doch störenden Plänkeleien hoffte Frau Anna am sichersten zu beendigen, wenn sie die Söhne von dem Vorgefallenen in Kenntniß setzte; und der Erfolg lehrte, daß sie sich nicht verrechnet hatte. Fürchtegott ward fügsamer, geschmeidiger, glücklicher in Erfüllung seiner vom Vater erhaltenen Aufträge und der etwas gestörte Hausfrieden stellte sich unvermerkt wieder ein.
Auch Flora, die kluge und in diesem Falle schweigsame Vermittlerin, gewann durch die Rolle, welche sie übernommen hatte. Die Brüder, längst schon aufmerksam auf manchen abendlichen Spaziergang ihrer Schwester, belauschten oder störten sie wenigstens nicht mehr, wenn sie sich bei Sonnenuntergang im Gärtchen zu schaffen machte, oder mit Bello, ihrem steten Begleiter ausging, um angeblich eine ihrer Freundinnen zu besuchen. Die Geschwister hatten, ohne viele Worte zu verlieren, gegenseitig ein Schutz- und Trutzbündniß geschlossen, bei dem sie sich ganz wohl befanden.
Abwechselnd einen Tag um den andern lag den Brüdern die Verpflichtung ob, im Färbehause des Abends die Laden zu schließen; wenn nun aber Flora über Tische einen bittenden Blick auf die Brüder heftete, blieb gewöhnlich einer der Fensterladen nur angelehnt, der jedoch am nächsten Morgen, wo der Färber das Oeffnen besorgte, regelmäßig fest zugeriegelt war.
Zu diesem Fenster schlich sich einigemal in der Woche im bergenden Schatten der Nacht eine dunkle Gestalt, berührte mit leisem Gertenschlag das Holz, worauf sich der Laden öffnete und heimlich flüsternde Stimmen ein trauliches Gespräch führten. Nur die Brüder wußten, wer die späten Schwätzer waren. Aus dem Fenster ihrer Kammer konnten sie das Färbehaus beobachten und die heimlich Plaudernden genau überwachen. Das Gespräch endigte regelmäßig mit einem zärtlich geflüsterten »gute Nacht, lieb' Florel!« eine feine weiße Hand schlüpfte durch den Spalt und berührte die emporgehaltene Rechte eines jungen Mannes, der dann in raschem Laufe den Baumgarten kreuzte, die niedere Buchenhecke übersprang und im angrenzenden Garten des Nachbars verschwand. Hätte ein Fremder diese abendlichen Besuche belauscht, dann würde es ohne Zweifel sehr bald im Dorfe bekannt geworden sein, daß ein junger Bursche bei Ammer's Florel auf die Freit' gehe.
Es ist kaum anzunehmen, daß Frau Anna über ihrer Tochter heimliche Neigung ganz in Unkenntniß geblieben sein sollte, jedenfalls aber war sie klug genug, dem fröhlichen unverdorbenen Kinde nicht mit philisterhaften Mahnungen oder heftigen Drohungen entgegen zu treten, und dadurch eine Neigung, die vielleicht nur Spiel unklarer Gefühle war, zu heißer Leidenschaft anzufachen. Flora blieb mithin ganz ungestört in ihren abendlichen Besuchen des Färbehauses, denn auf die Verschwiegenheit der Brüder, die ihr verpflichtet waren, durfte sie sich verlassen.
So vergingen unter angestrengter Thätigkeit mehrere Wochen. Ammer blieb immer derselbe ruhige, sein großes Geschäft mit Umsicht und Ausdauer betreibende Mann, streng gegen sich selbst und unerbittlich in seinen Forderungen gegen Andere. Allwöchentlich einmal ging er zur unfern gelegenen Stadt, um die dortigen Kaufleute, mit denen er in Verbindung stand, zu besuchen und neue Bestellungen zu besprechen. Selbst ungünstiges Wetter hielt ihn von solchen Gängen nicht ab, noch konnte ihn irgend Jemand bewegen, der Bequemlichkeit wegen und aus Rücksicht für seine Gesundheit einen Wagen zu besteigen. Jedes derartige Ansinnen wies er mit den Worten zurück: Ich bin blos ein armer Weber; für den schickt sich's nicht, daß er großthuerisch im Wagen sitzt. Wär' ich Fabrikant, 's könnte sein, daß ich führe.
Nach Verlauf von zwei Monaten war die von dem Herrnhuter bestellte Anzahl theils feiner, theils mittelfeiner Linnen fertig und lag in Ammer's Hause zu weiterer Beförderung bereit. Der Weber konnte nie an dem sich täglich vergrößernden Waarenschober vorübergehen, ohne einen sonderbaren Blick darauf zu werfen, dem sich bisweilen ein Seufzer zugesellte, dann und wann auch, wenn die Stimmung des Hausherrn nicht auf der Barometerhöhe des guten Wetters stand, in eine brummige Verwünschung umschlug. Dem an ein streng geregeltes Leben gewöhnten Manne waren solche Schwankungen der Empfindung nicht zu verargen, denn was knüpfte oder konnte sich nicht Alles knüpfen an die Versendung dieser Waarenballen! Sein eigener Ruf als Weber, sein häusliches Glück stand zwar nicht auf dem Spiele. Verschlangen Meereswellen diese Erzeugnisse hundert fleißiger Hände, so ging damit nur ein Capital verloren, das er schon längst nicht mehr als sein Eigenthum betrachtet hatte; erreichte aber das europäische Product die Gestade der neuen Welt, so konnte mit dem vortheilhaften Verkauf desselben über seinem unscheinbaren Hause eben so gut ein hell leuchtender Glücksstern, wie ein düster strahlendes, in die grauenhafteste Finsterniß versinkendes Meteor aufgehen. An das Schicksal dieser schimmernden Gewebe knüpfte sich das Schicksal seiner Kinder, seiner Enkel!
So wenig Ammer zu unfruchtbarer Grübelei hinneigte, dieser quälerische, sein Herz zusammenschnürende Gedanke kam ihm doch immer von Neuem, und verzögerte die Absendung der Waaren von Tage zu Tage. Erst nach wiederholtem Drängen des Freundes faßte er sich ein Herz und kündigte eines Abends – es war in den ersten Tagen des Septembers – seinem Sohne Fürchtegott an, daß er am nächsten Morgen nach Herrnhut aufbrechen solle, um Herrn Wimmer den fertigen Linnentransport zu überbringen.
Die Brüder waren darüber so erfreut, daß sie die halbe Nacht nicht schlafen konnten. Hundert Bilder einer glänzenden Lebenszukunft umgaukelten sie. Fürchtegott sah sich schon als Rheder, als Welthandelsmann in beiden Hemisphären gleich geachtet, gleich berühmt, und Christlieb summte der Kopf von dem Schrillen und Klirren der Spindeln, dem Geklapper der Webstühle, die er errichten wolle, um Spinnen und Weben fabrikmäßig zu betreiben.
Schon Tags zuvor hatte Ammer drei Wagen in Stand setzen lassen und ihm befreundete Bauern um Darleihung von Pferden und Geschirr gegen mäßiges Entgelt gebeten. Zu festgesetzter Stunde kamen die Gespanne. Die Dienstleute des Webers waren schon in voller Thätigkeit, die linnengefüllten Ballen zweckmäßig zu verpacken und durch starke Planen gegen Wind und Wetter zu sichern. Der schwer bewölkte Himmel und herbstlich kühle Windstöße verhießen einen unangenehmen, regnerischen Tag.
Bei Sonnenaufgang war Alles zum Aufbruche bereit. Fürchtegott erhielt von seinem Vater das Verzeichniß der abzuliefernden Gewebe mit genauer Angabe der Gänge, d. h. der größern oder geringern Feinheit der Garnfäden, aus denen die Werfte oder der Zettel bestand, und des für jede Webe berechneten Preises. Mit diesem Verzeichniß und einer kleinen noch überdies vom Vater erhaltenen Baarschaft setzte sich Fürchtegott seelenvergnügt in die Schoßkelle des ersten Wagens und trat seine verhängnißvolle Sendung an. Schwermüthig sah Ammer den fortrollenden Wagen nach, bis sie hinter den Häusern verschwanden. Dann ging er seufzend und kopfschüttelnd in's Haus zurück, indem er dumpf vor sich hin murmelte:
Mir bangt, ich ziehe mir mit dieser Fuhre ein richtiges Donnerwetter über den Kopf zusammen. – s' ist kein Wetter das für ein gutes Geschäft! – Alles Grau in Grau, als hätten die lieben Engel im Himmel die ganze Nacht Asche gesiebt. – 's gefällt mir nicht und die ganze Fuhre wird bei guter Zeit auf'm großen Wasser versaufen! – Na, meinethalben, mir kann's schon recht sein – werd' ich doch die Plackerei los mit dem verfluchten Großthun!
Fürchtegott dagegen fühlte sich stolz und reich wie ein König. Er geleitete sein Glück in die Welt, und so oft er sich umsah, um einen Blick auf die schwer befrachteten Wagen zu werfen, so oft fühlte er in edlem Stolze sein Herz schwellen. Ehe noch ein Jahr umrollte, konnte er schon ein vermögender Mann sein, und welche Zukunft stand ihm bevor, wenn das Glück mit dem Vertrauen sich mehrte, wenn er erst selbstständig handeln und Pläne, mit denen er sich seit Wochen trug, verwirklichen konnte! Dem sanguinischen Jünglinge schien es gar nicht zweifelhaft, daß sein Leben ein bedeutendes, seine Wirksamkeit eine weltumfassende werden müsse. Er sah Häuser, Paläste, Schiffe, die ihm gehörten, und wenn zufällig sein Blick ein Stück blühend bebautes Land streifte, knüpfte sich von selbst der Wunsch daran, auch Ländereien sich zuzueignen, um den Gewinn des Handels in werthvollen liegenden Gründen zu sichern. Der Besitz großen Grundeigenthums konnte, wie er dies gesehen zu haben sich erinnerte, die Verleihung von Titeln und Orden nach sich ziehen, und da ein Augsburger Weber durch Gunst der Umstände und kaiserliche Gnade in den bewegtesten Zeiten der Weltgeschichte in den Grafenstand erhoben worden war, dünkte dem ehrgeizigen Jünglinge die Eroberung selbst einer Fürstenkrone nicht unmöglich. Nur wenn er dann wieder seine Beinkleider von verschossenem schwarzen Manchester und die unscheinbare Kattunjacke betrachtete und sich sagen mußte, daß er nicht mehr und nicht weniger sei, als Webergesell und zufällig der Sohn eines wohlhabenden Mannes, nur dann zerrannen seine glänzenden Luftschlösser und der graue Nebel rollte tückisch lachende Fratzen an ihm vorüber.
Herrnhut war ungewöhnlich belebt. Die Predigerconferenz, welche hier alle Jahre einmal abgehalten wird, hatte gegen hundert lutherische Geistliche zusammengeführt, welche Theil nehmen wollten an den Besprechungen der mährischen Brüder, die sich an die Mittheilungen knüpfen, welche der Gemeinde aus allen Ländern der Welt von ihren Missionären zugehen. Die Ausbreitung des Christenthums in fernen Ländern, unter Muhamedanern, Hindu's, Parsen und Heiden bilden das stehende Thema dieser Conferenzen, auf denen meistens ein großer Aufwand christlicher Liebe und Milde, hingegen aber wenig Geist verbraucht wird. Im Allgemeinen beschränken sich die Mittheilungen der Brüder auf Auszüge eingelaufener Briefe, die der Präsident vorliest. Ausnahmsweise knüpfen sich daran auch Fragen allgemeinen religiösen Inhalts, bei deren Beantwortung die versammelten Prediger nicht selten in apostolischen Eifer gerathen. Ein gemeinsames Liebesmahl in später Abendstunde schließt die Feierlichkeit, die immer ein kirchliches Gepräge trägt. Zu solchen Liebesmahlen haben auch Laien und Frauen Zutritt.
Fürchtegott fand es unterhaltend, die Gruppen der Prediger, die auf dem freien Platze vor dem Gemeindelogis, wie der einzige Gasthof in allen Brüderorten genannt wird, in lebhaften Gesprächen auf- und niedergingen, zu beobachten. Er begegnete manchem bekannten Gesicht, mancher originellen Persönlichkeit, deren es damals unter den lutherischen Landgeistlichen noch viele gab. Namentlich konnten die älteren Prediger fast durchgängig für Originale gelten. Viele derselben würde man für Bauern gehalten haben, hätten nicht die weißen »Ueberschlägel« (Bäffchen) ihren Stand verrathen. In Wort und Gebehrden thaten sich diese gealterten geistlichen Herren wenig Gewalt an. Sie sprachen oft den Jargon des Volkes, mit einigen hochdeutschen und noch mehr lateinischen Worten gespickt, zeigten aber sonst keinerlei äußerliche Bildung, wie sie dem Gelehrtenstande doch sonst eigen zu sein pflegt. Ein langes Leben unter bäurischen Menschen, getheilt zwischen Lehre und ländlicher Beschäftigung, welche letztere einen Theil ihres pfarrherrlichen Einkommens bildet, abgeschnitten von allem Umgang mit den Bildungselementen feiner Welt, verwischt nach und nach bei den Meisten den Firniß edleren Gesellschaftstones und verwandelt sie in gelehrte Männer aus dem Volke. Gelehrsamkeit, wenn auch meistentheils einseitige, fehlt solchen Männer der Kanzel selten, man begegnet sogar häufig fein geschulten Köpfen, die in altklassischer Literatur wohl bewandert, dafür aber aller modernen Bildung, wie sie fortgesetzter Verkehr mit der großen Welt gewährt, gänzlich entfremdet sind.
Als eifriger Bruder nahm Wimmer an diesen Berathungen, diesem Verkehr seiner Gemeinde mit den Lehrern und Predigern der im Sinn und Streben verwandten lutherischen Kirche lebhaften Antheil. Er war Vielen befreundet, mit Einigen, deren Gesinnung sich der Brüdergemeinde offen zuneigte, vertraut, und mit diesen sich auszusprechen war ihm Bedürfniß. Fürchtegott mußte deßhalb den ganzen Tag verstreichen lassen, ohne den Handelsherrn sprechen zu können, denn Wimmer als Freund des Bischofs, war an diesem für die Gemeinde so wichtigen Tage bei dem ersten Prediger des Ortes mit mehreren der fremden Geistlichen zur Tafel geladen.
Erst nach beendigtem Liebesmahl, das der strenge Herrnhuter ungeachtet des geselligen weltlichen Anstriches, der ihm eigen ist, mehr als kirchliches Beisammensein, denn als Uebung in christlicher Demuth, als eine Erneuerung und Befestigung gemeinsamer Bruderliebe betrachtet, kehrte Wimmer in seine stille Behausung zurück, wo sich Fürchtegott inzwischen bei der zwar hübschen, aber äußerst zurückhaltenden Martha bereits ein paar Stunden höchlichst gelangweilt hatte. Der sinnlich lebhafte, zu allen Lebensgenüssen hinneigende Jüngling hätte dies gern den Herrnhuter entgelten lassen und über das eifrig zur Schau getragene frömmelnde Wesen desselben gespottet; weil er aber dadurch den Freund seines Vaters zu beleidigen fürchtete und dies seinen Absichten schaden konnte, befliß er sich ebenfalls ernst, ja sogar im herrnhutischen Sinne heilig zu erscheinen.
Wimmer begrüßte den Sohn seines Freundes mit einer Rührung, die sich kaum der Thränen enthalten konnte. Die süßliche Freundlichkeit des Herrnhuters schlug heute in eine frömmelnde Zerknirschung um. Es gehörte ein starker Glaube dazu, dies Wesen des Mannes für natürlich und wahr zu halten, für das Ergebniß tiefer geistiger Bewegung. So jung nun auch Fürchtegott war und so wenig ihn die Schule des Lebens gereift hatte, sein weltlicher, dem Praktischen zugekehrter Sinn wandte sich entrüstet ab von diesem frivolen Spiel mit erheuchelten Gefühlen. Zum ersten Male machte Wimmer einen unangenehmen, fast abstoßenden Eindruck auf ihn, und der Gedanke, ein Mensch, der sich nicht entblöde, das Göttliche in solcher Weise zu profaniren, müsse jeder Frevelthat, jeder Verrätherei fähig sein können, stieg beängstigend auf in seiner Seele. Je freundlicher, demüthiger, heiliger sich Wimmer gab, desto kühler wurde das Entgegenkommen des jungen Ammer.
Du mußt heute Geduld mit mir haben, lieber Bruder im Herrn, sprach der fromme Handelsmann, den scheuen, mißtrauischen Blick Fürchtegott's bemerkend. Wärst du Ohrenzeuge gewesen der erhebenden Rede, die ich heute mit anzuhören von unserm Heilande gewürdigt worden bin, du würdest sicherlich meine Gefühle theilen. Welche Eintracht unter den Brüdern! Welche aufopfernde Liebe, wo das Wort des Herrn lauter gepredigt wird unter den Heiden! Wahrlich, lieber junger Bruder, wäre ich in deinen Jahren, fähig, große Strapatzen zu ertragen, noch heute würde ich Missionär. Kann es wohl einen edleren, größeren, heiligeren Beruf geben, als in die Fußstapfen der Apostel zu treten und um des unschuldig vergossenen theuern Blutes Jesu Christi willen – hier beugte Wimmer seine Kniee – Mühsal und Trübsal zu ertragen, und die Verblendeten zu bekehren, denen das Licht der Gnade noch nicht aufgegangen ist?
Wer sich dazu berufen fühlt, mag dem Drange seines Herzens folgen, Herr Wimmer, versetzte Fürchtegott ziemlich frostig, ich meines Theils paßte wenig zu diesem Geschäft, denn ich bin ganz und gar nicht zum Bekehren geschaffen; und wenn Sie mir's nicht übel nehmen, Herr Wimmer, so bezweifle ich auch, daß Sie das rechte Zeug zu einem Apostel Christi haben.
Es wäre sündhafte Vermessenheit, so etwas behaupten zu wollen, lieber Bruder, erwiderte der Herrnhuter. Der Berufenen gibt es Viele, wie schon die heilige Schrift lehrt, der Auserwählten Wenige. Das Lamm Gottes aber kann wohl auch Schwache kräftigen und zu Verkündern des Heils erwecken, wenn sie frühzeitig auf seine Stimme hören.
Wenn Sie das nicht gethan haben, Herr Wimmer, so ist es, scheint mir, ganz allein Ihre Schuld.
Leider, leider sprichst du die Wahrheit, lieber Bruder! erwiderte der Herrnhuter und wischte sich eine Thräne aus dem Auge. Die Welt und ihr Blendwerk hat mich angezogen in früher Jugend, und ich war schwach genug, ihren Lockungen zu folgen. Später ließ mich zwar die Gnade des allerheiligsten Erlösers meinen Irrthum erkennen, allein von dem Irdischen mich ganz zu trennen, vermochte mein schwacher Wille nicht. Darum strengte ich alle meine Kräfte an, um im irdischen Geschäft das höhere Ziel nicht aus den Augen zu verlieren, das hier und dort bleibend ist und angenehm macht vor dem Herrn.
Nach dem Segen zu schließen, den Gott Ihnen geschenkt hat, müssen Sie gut bei ihm angeschrieben stehen, sagte Fürchtegott. Ich hätte gar nichts dagegen, wenn sich der Heiland mir auch so gnädig beweisen wollte.
Wohl gesprochen, mein Sohn, wohl gesprochen! versetzte Wimmer. Das sind Gott wohlgefällige Gedanken, die zur That werden, wenn der sündige Mensch nicht seiner Kraft allein vertraut. Wir bedürfen des göttlichen Segens, des Beistandes unsers Herrn und Heilandes allüberall, und betrachten wir das irdische Gut in diesem Sinne, so gedeiht es, so mehrt es sich, damit wir es wieder verwenden können im Namen und zum Heile dessen, der über alle Namen ist.
Ich wünsche sehr, es dahin zu bringen, Herr Wimmer. Darum möchte ich Sie bitten, mir zu Gefallen Ihre Aufmerksamkeit wieder ausschließlich dem Irdischen zuzuwenden und mir zu sagen, ob Sie mit den überbrachten Waaren zufrieden sind und neue Bestellungen zu machen haben?
Sehr gut bemerkt, junger Freund, versetzte der Herrnhuter lächelnd. Wir sind auf diese Erde, in dies trübselige Jammerthal gesetzt, damit wir uns auf das ewige Leben, auf das selige Jenseits vorbereiten, und wie könnten wir dies besser thun, als wenn wir zum Heil unserer lieben Mitbrüder nicht Zeit, nicht Mühe, nicht Sorgen sparen, und im Schweiße unseres Angesichtes, mit der Arbeit unserer Hände die Güter der Erde mehren! Ach es ist ein schwerer, aber doch ein heiliger Beruf.
Wimmer faltete die Hände, schlug die Augen andächtig zum Himmel auf und wandte sich dann mit mehr weltlich klingendem Tone fragend zu dem jungen Ammer:
Hat dein Vater nichts geäußert über die Bestimmung dieser Linnenlieferung?
Viel Reden ist nicht des Vaters Sache, erwiderte Fürchtegott, und was hätte er mir auch bei Ablieferung einiger Weben Leinwand an den Besteller viel sagen sollen? Er zählt mir die Stücke zu und damit Punctum.
Mein junger Freund weiß also nicht, was es für eine Bewandtniß hat mit diesen Weben.
Fürchtegott stellte sich absichtlich völlig unwissend, da er dem Herrnhuter nicht traute. Ich verstehe Sie nicht, Herr Wimmer, sagte er erstaunt.
Der Kaufmann lächelte und seine kleinen Augen sprühten wie Feuerflammen auf das Antlitz des Jünglings.
Erinnerst du dich noch unserer Begegnung, als du mit deinem Bruder von der Bleiche zurückkamst?
An der Kapelle?
An der Kapelle beim Feldbrunnen.
Als wär' es gestern, sagte Fürchtegott. Ich habe mich oft genug geärgert, daß ich damals so albern war, auf Sie zu hören, Herr Wimmer. Beinahe hätte ich mir den Vater gänzlich verfeindet, der von solchen weitschichtigen Dingen nichts wissen mag. Und Sie selbst, Herr Wimmer – nun, ich hab's Ihnen vergeben – Sie selbst dachten gewiß auch nicht wieder daran. Es war eben ein Einfall, wie sie Einem zuweilen in müßigen Stunden durch den Kopf fahren.
Ein guter Einfall war's, junger Freund, und, will's Gott, bald Compagnon, erwiderte der Kaufmann. Freilich war der Alte zäh, wie Haselholz, aber ich hatte ihn in Händen und gebrauchte meine Macht, sanft, versteht sich, wie sich's ziemt für einen Christen, und in Liebe und Geduld; aber ich brauchte sie doch, und da mein wackerer Freund sah, daß die Arme eines ehrlichen Mannes seinen Nacken umschlangen, da gab er nach und fügte sich meinen Bitten.
Der Vater hätte wirklich –
Hat wirklich genehmigt, unterbrach Wimmer den sich überrascht stellenden Jüngling, daß ich in eurem Namen, zu eurem Besten, auf eure Rechnung die eben von dir überbrachte Waare nach Amerika versenden darf und, und wenn unser Herr und Heiland gnädig auf uns herabsieht und dem Unternehmen seinen Segen gibt, daß Einer von euch Brüdern unter meiner Leitung ein überseeisches Geschäft in reinen, selbst fabricirten Leinenwaaren etabliren soll! Ei, ei, du böser, lieber junger Mensch, wie konntest du glauben, daß ein Mitglied der Brüdergemeinde so leichtfertig ein heiliges Versprechen vergessen, so ganz gottlos und unchristlich sein Wort brechen werde? Dafür sollte ich dich tüchtig auszanken, aber ich will vergeben, wie Christus es vorschreibt, wohl eingedenk der Worte: Jugend hat nicht Tugend.
Wimmer eröffnete hierauf seinem dankbaren Zuhörer das mit Ammer getroffene Abkommen, wogegen ihm Fürchtegott mit Hand und Mund geloben mußte, dem Vater von dieser Eröffnung nichts zu verrathen, weil dieser erst den Erfolg des Unternehmens abwarten wolle.
Halte mich nicht für leichtsinnig oder unzuverlässig, lieber Bruder, fügte Wimmer hinzu, weil ich ein gegebenes Wort nicht buchstäblich halte. Ich glaube dir und deinem Bruder durch diese Nichtachtung meines Versprechens wesentlich zu nützen, während euer Vater, mein sehr lieber Freund, keinen Nachtheil davon hat, sofern ihr nur verschwiegen seid. Das Unternehmen ist sicher, wie Gold, mein Herzensjunge, weßhalb das Abkommen mit eurem Vater nutz- und zwecklos war. Nur aus Klugheit und weil ich euch einmal, ich weiß nicht warum, so unaussprechlich liebe, gab ich nach und schlug ein. Binnen Jahr und Tag seid ihr gemachte Leute, und wenn dann auch Meister Ammer's Kappe keine Minute mehr ruhig auf seinem Kopfe sitzt, ihr habt euch nichts darum zu kümmern. Ein erfüllter Contract hat die Giltigkeit eines Eides vor Gott und Menschen.
Fürchtegott gefiel diese Sprache sehr wohl, obgleich ihm die eigenthümliche Moral des Herrnhuters auf schlüpfrigem Boden gewachsen zu sein schien. Er hatte zwar keinen Grund, den Mann, der offenbar in auffälliger Weise für sein und seines Bruders Wohl sorgte, für einen Heuchler zu halten, an der Wahrheit seiner religiösen Ueberzeugung aber mußte er doch zweifeln. Oder sollte er annehmen, dem wunderlichen alten Herrn sei das frömmelnde Wesen so zur Gewohnheit geworden, daß er ohne Wissen und Willen sich damit umkleidete, und selbst rein weltliche Geschäfte mit herrnhutischen Redensarten, unter Händefalten und Augenverdrehen abmachte? Dies genauer zu untersuchen, war nicht Fürchtegott's Sache. Zufrieden, seine Wünsche der Erfüllung so nahe gerückt und eine Zukunft voll schimmernder Hoffnungen sich eröffnet zu sehen, versöhnte er sich leicht mit dem widerlichen Heiligthun des Herrnhuters und versprach Alles, was dieser von ihm begehrte.
Da wir von jetzt an heimliche Compagnons sind, mein lieber junger Bruder, fuhr Wimmer fort, so muß vollkommenes Vertrauen, Offenheit und unbedingte Wahrhaftigkeit unter uns herrschen. Du mußt wissen, welche Summen dem Unternehmen gewidmet werden, wer diese gibt und wem der Gewinn davon zufällt. Ich lege dir deßhalb mein Hauptbuch vor, damit du dich mit eigenen Augen überzeugen kannst, wie ich das Unternehmen angreife.
Herr Wimmer holte bei diesen Worten ein gewaltig dickes Buch, ganz mit Zahlen gefüllt, aus seinem Pulte hervor und schlug es vor Fürchtegott auf. Dieser betrachtete die großen darin verzeichneten Summen mit scheuer Ehrfurcht, ohne einen Begriff von der Einrichtung des sonderbaren Buches zu haben. Nichts wäre leichter gewesen, als den unerfahrenen Jüngling zu täuschen, denn Fürchtegott glaubte jetzt, und war gewissermaßen auch dazu gezwungen, was der Herrnhuter ihm sagte. Dies lag aber gar nicht in der Absicht des Handelsherrn. Das Streben desselben war vielmehr darauf gerichtet, die Phantasie des jungen Menschen durch Nennung der Zahlen zu entzünden, die ein ungewöhnlich glücklicher Handel ihm wirklich eingetragen hatte.
Unsere Leser erinnern sich, daß Wimmer seinen Reichthum einem Capitale seines Freundes Ammer verdankte. Mit besonderen Accent hob dies der Herrnhuter jetzt hervor, um das Vertrauen seines Zuhörers zu erhöhen und ihn von seiner eigenen Rechtlichkeit zu überzeugen.
Diese Großmuth deines braven, uneigennützigen Vaters, sprach Wimmer, kann ich nie in meinem Leben genugsam preisen. Volle zwanzig Jahre und darüber habe ich eine Summe von fünftausend Thalern mit allen auflaufenden Zinsen benutzen können, ohne daß mein großmüthiger Freund je wieder darnach fragte. Diese Summe gehört nicht mir, ich betrachte sie bis auf den heutigen Tag nur für ein mir anvertrautes Depositum, das ich zu verwalten und dereinst in die Hände dessen abzuliefern habe, der mich dazu aufzufordern befugt ist. Laut den ausdrücklichen Worten meines alten Freundes seid ihr Brüder diese Personen, sobald ihr das Alter der Mündigkeit erreicht haben werdet. Indeß, wer mag wissen, wie lange es dem Heilande gefällt, mich auf dieser elenden Erde meine einsame Wallfahrt fortsetzen zu lassen! Leicht kann es vor Abend anders werden, und würde ich so plötzlich abgerufen, ohne meine weltlichen Angelegenheiten in Ordnung zu wissen, so würde dies mein letztes Stündlein zu einem höchst traurigen und qualvollen machen. Darum ziehe ich es vor, dich, den künftigen rechtmäßigen Erben der Summe, die unter meinen Händen sich vermehrt hat, schon jetzt von dem Stande meines Vermögens in Kenntniß zu setzen.
Wimmer beugte sich über das Buch, blätterte darin und betrachtete aufmerksam einige an der Seite mit blauer Tinte ausgeschriebene Zahlen. Dann sprach er weiter:
Das einfach verzinste Capital deines Vaters hat sich binnen zwanzig Jahren verdoppelt, rechnen wir aber Zinsen auf Zinsen, so steigert sich die Summe noch um ein Bedeutendes. obwohl ich als streng rechtlicher Mann so rechnen müßte, will ich es aus Rücksicht für meinen alten lieben Freund doch nicht thun, weil ich ihn mir damit sicher auf Lebenszeit zum Feinde machen würde. Ich nehme deßhalb an, daß nur zehntausend Thaler euch Brüdern gehören, und bestimme diese Summe theils zur Bezahlung der Leinewand, theils zur Proviantirung einer Brigantine, sowie zur Besoldung der zu ihrer Führung nöthigen Mannschaft. Dürfte ich ganz meiner Neigung folgen, so würde ich ein eigenes Fahrzeug mir zueignen, allein dies ist mit Kosten verbunden, zu deren Deckung eine so geringe Summe nicht ausreicht. Ich ziehe deßhalb vor, das seehaltige Schiff eines mir befreundeten Hamburger Kaufmanns miethweise für unser Unternehmen zu benutzen. Genau kann ich in diesem Augenblicke nicht angeben, wie hoch die Kosten der Ausrüstung, der Ueberfahrt u. s. w. sich belaufen werden, da dies von der längeren oder kürzeren Dauer derselben abhängt und darüber Gott allein zu bestimmen hat. Geht das Schiff nur nicht zu Grunde, so kommt wenig darauf an, denn ansehnlicher Gewinn ist uns dann so sicher, wie der morgende Tag.
Angenommen nun, fuhr Wimmer nach einer Pause fort, während welcher er wieder in seinem Hauptbuche blätterte, angenommen, diese Expedition schlüge über Erwarten vortheilhaft aus, so daß wir über hundert Procent profitirten, so wäre ich dennoch meiner Verbindlichkeit gegen deinen Vater noch nicht quitt. Ein redlicher Mann darf nichts geschenkt nehmen, so lange er thätig sein und erwerben kann. Ich würde aber die Stellung eines Beschenkten meinem großmüthigen Freunde gegenüber einnehmen, zahlte ich weiter nichts, als das geliehene Capital mit fünf Procent Zinsen auf zwanzig Jahre an seine Söhne zurück. Es gehören euch demnach rechtmäßig auch noch sämmtliche Zinsen von den Zinsen. Darum ist es mein Wunsch und Wille, daß nach meinem Tode mein ganzes Vermögen mit Ausnahme einer Summe von siebenzigtausend Thalern, die ich der Brüdergemeinde und ihren heiligen Zwecken vermache, euch Brüdern zufallen soll, da ich weder Geschwister noch Verwandte habe. Gegenwärtig beläuft sich mein Vermögen auf zweimalhundert und siebenundachtzigtausend Thaler, die ich in ehrlichem Handel mit Hilfe des von deinem Vater entnommenen Capitals erworben habe. Sollte ich noch einige Jahre leben, so hoffe ich diese Summe noch ansehnlich zu vermehren, denn die Conjuncturen sind gut und lange Erfahrung unterstützt meine Unternehmungen. Auch dieser Zuschuß gehört dir und deinem Bruder, wie ich das Alles weitläufig in einem zu Recht beständigen Testament niederlegen werde. Ich unterrichte dich von dieser meiner Willensmeinung bloß deßhalb, damit du einsehen mögest, welch unermeßlichen Vortheil der Handel gewährt. Gegen deinen Vater darfst du von alle dem nichts erwähnen. Er soll erst nach meinem Tode erfahren, wie sehr ich ihn verehrt habe. Den letzten Willen eines Sterbenden wird er heilig halten, und wenn auch vielleicht brummend, wie dies nun einmal seine Weise ist, sich doch ohne Widerrede in das Unabänderliche fügen. Dein Wort, deine Hand darauf, junger Freund und lieber Bruder in Christo, daß du über das Gehörte gegen Jedermann das tiefste Stillschweigen beobachten willst!
Fürchtegott kam sich vor wie ein Bezauberter. Er hatte schon längst mit offenem Munde dem Redeflüsse des Herrnhuters zugehört, ohne begreifen zu können, wie ihn Gott unter Millionen zu solch unermeßlichem Glück könne auserwählt haben. Und hätte jetzt nach diesen Eröffnungen Wimmer den entsetzlichsten Schwur von ihm verlangt; hätte er sich ihm gezeigt in der abschreckenden Gestalt des höllischen Versuchers: Fürchtegott würde ihm doch Treue geschworen, ewiges Schweigen angelobt haben! Der kluge Herrnhuter hatte den jungen Mann mit unauflöslichen Banden an sich gekettet, ihn gleichsam zu einem Theil seiner selbst gemacht. Fürchtegott reichte ihm ohne Bedenken die Hand und versprach in allen Stücken den Rathschlägen seines erfahrenen Freundes und großmüthigen Wohlthäters folgen zu wollen.
So! sprach Wimmer, die Hand des jungen Ammer mit Herzlichkeit drückend. Jetzt ist der Pact geschlossen, der uns verbrüdern und heilig bleiben soll bis zum Grabe. Möge er dir und deinem Bruder Segen bringen, und das Geschlecht Ammer bei Mit- und Nachwelt groß machen. Amen! Dazu verhelfe uns Gott und sein heiliger Sohn, Jesus Christus! – Und nun fort, junger Mensch, damit du von den mancherlei Strapatzen des heutigen Tages ausruhen mögest in sorglosem Schlummer. Der Herr und seine Engel beschützen dich! Gute Nacht, junger, lieber Bruder!