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Zwölftes Kapitel. Zu viel Glück.

Sobald der letzte Glockenschlag der Mitternachtsstunde verhallt ist, beginnt am Ostermorgen in Städten und Dörfern ein allgemeines Läuten, das ebenfalls, wie das Trauergeläute am Charfreitage, eine Stunde dauert und den sorglos Schlummernden mit lautem Freudenschalle den Anbruch des Auferstehungsmorgens verkündigt. Dies Geläut wünschte Jeder gern zu hören, weßhalb in allen Familien auf rechtzeitiges Erwachen beim ersten Zusammentönen der Glocken geachtet wird. Diesmal hätte es jedoch Ammer, der sonst regelmäßig zuerst im ganzen Hause erwachte, wohl verschlafen, wäre nicht Flora als Retterin erschienen. Ihr feines Ohr vernahm den ersten Ton der metallenen Sänger und geschwind huschte sie in die Kleider, um die Eltern im Nebenzimmer zu wecken.

Das junge Mädchen hatte bisher nur im Halbschlummer zugebracht. Halb angekleidet auf ihrem Lager ruhend, lauschte sie jetzt dem leise geführten Gespräche der Eltern, die sich weniger aus Bedürfniß als aus Vorsicht unterhielten, um während der Pausen nicht wieder einzuschlafen. Sie suchte sich damit die Zeit zu vertreiben, daß sie bald die gewaltig dröhnenden Schläge der großen, dann wieder das schrillende Gebimmel der kleinen Glocken zählte. Verstummte das Geläut auf einige Zeit, so hatte sie genug zu denken, um nicht vom Schlafe überwältigt zu werden, und als die Stunde vergangen war, vertiefte sich Flora in das Chaos der Zukunft, das als ein schimmerndes, von tausend Reizen verlockend umstrahltes Bild vor den Augen ihres Geistes stand. Phantasie und leiser Traum verschwammen in diesem Schwärmen der glücklichen Seele auf wundersame Weise, so daß Flora wachend träumte und träumend wachte, ein Zustand, der bei langer Dauer Geist und Körper gleichmäßig abmattet, dem aufgeregten Mädchen aber höchlichst erwünscht war, da er ihr die Fähigkeit gab, sich in jeder Minute zu ermuntern.

So gelang es ihr, lange vor Sonnenaufgang das Lager verlassen zu können. Auf leisen Socken schlüpfte sie durch das Schlafzimmer der Eltern, die Treppe hinunter, und war binnen wenigen Augenblicken im Baumgarten. Sie freute sich, gerade am Ostermorgen die Erste am Bache zu sein, denn sie trug sich mit gar wunderlichen Gedanken und Wünschen. Was man sich aber beim Wasserschöpfen am heiligen Ostertage recht von Herzensgrunde wünscht, das geht im Laufe des Jahres in Erfüllung.

Ueber dem Rohr stand eine Wand dicken, weißen Nebels, der sich längs des Waldbaches in phantastischen Bildungen fortzog. Auf dem jungen Grün des Grases lag starker Thau, so daß Flora's Pantoffeln auf dem kurzen Wege ganz durchnäßt wurden. Am Buchenzaune, wo sie die Krümmungen des Baches thalwärts übersehen konnte, warf sie einen spähenden Blick nach dem offenen Uferplatze. Er war leer, rundum Alles still das Herz klopfte ihr vor Freude, sich allein zu wissen.

Flora ging behutsam die abschüssige Stelle hinab, raffte die Kleider zusammen, um nicht darüber zu straucheln, und stand schon am plätschernden Bache, dessen Nebel sie wie zarte durchsichtige Schleier umwehten. Da trat an der andern Seite hinter den Erlenbüschen eine Gestalt hervor. Beide erblickten, erkannten einander zu gleicher Zeit, und als hätten sie sich verabredet, riefen sie sich zu gleicher Zeit guten Morgen zu. Beide Hände berührten sich, sie vergaßen den Zweck ihres Kommens, und da Albrecht denn er war es das liebe Mädchen sanft an sich zog, es mit kräftigen Armen umschlang und einen heißen Kuß auf ihre frischen Lippen drückte, widerstrebte Flora nicht.

Warte, Schalk, sprach der junge Mann, warum hast du mich gestern in den April geschickt? Dafür mußt du gestraft werden.

Und abermals drückte er das liebliche Mädchen an sich und bedeckte ihr Mund und Augen mit zärtlichen Küssen.

Ich hab' dich wohl herumstelzen sehen im Garten und an der Thür klinken hören, versetzte Flora heiter lächelnd, aber weil mich die Mutter angerufen... Ach, du lieber Gott, unterbrach sie sich erschrocken, da haben wir uns schön hinter's Licht geführt!

Was denn, mein Schätzchen?

Mit dem Wasserschöpfen! Und ich dacht' es so klug eingefädelt zu haben! Albrecht, das bedeutet Unglück!

Wie sollt' es! Du bist ja ein junges hübsches Mädchen, keine alte runzliche Hexe.

Der Segen ist aber fort – ich mag keins haben!

Still doch, Närrchen, dem Unglück, wenn's eins ist, kann abgeholfen werden.

Mit deinen Faxen?

Gelt, Florel, 's geht, wenn du mich anhören willst.

Ich seh' keinen Rath.

Aber ich, Florel! Sieh' mir in's Aug', Herzchen, so! – Nun, du glattes, sanftes Maikätzchen, steht's da nicht drin geschrieben mit Auferstehungs-Morgenroth, daß ich dich lieb hab'? Daß ich dich herzen möchte und küssen mein Leben lang? Daß du meine Braut, mein Weib sein sollst? Und wird's uns nicht doppelten Segen bringen, wenn wir als Brautleute vor dem allsehenden Auge Gottes zusammen den Krug füllen am Ostertage?

Flora sah den Jüngling mit feucht glänzendem Auge an. Ein paar Thränen perlten an ihren zarten Wimpern. Glückliches Lächeln umspielte ihren rosigen Mund und indem sie den jungen Mann herzig umarmte, sprach sie sanft weinend:

Nun, Albrecht, wenn du's ehrlich meinst, so walt' es, Gott!

Albrecht Seltner küßte Flora mit freudigem Ungestüm, dann faßten Beide einen und denselben Krug, tauchten ihn zusammen unter in der rauschenden Welle, theilten das Wasser und drückten sich freudig verklärt die Hände.

Flora war an diesem Morgen gar feierlich still. Sie schmückte sich mit besonderer Sorgfalt zur Kirche, wohin sie Vater und Mutter der Sitte gemäß bekleidete. Auch bei Tische erschien sie ernster als sonst und etwas nachdenklich-zerstreut.

Nachmittags erschien Albrecht, dem nach einiger Zeit seine Eltern folgten. Ammer bemühte sich, ein Gespräch in Fluß zu bringen, allein dies wollte ihm nicht recht glücken. Albrecht war zwar froh, zeigte sich aber auffallend zerstreut, und Seltner, der überhaupt in der Regel wenig sprach und dem reichen Nachbar gegenüber einer gewissen Befangenheit nicht völlig Meister werden konnte, ließ sich immer nur erzählen, ohne selbst gesprächsweise etwas auszugeben. Der Weber wandte sich deßhalb wieder an Albrecht, allein dieser war und blieb zerstreut.

Du bist heute recht fahrig, sagte Ammer nach einer Weile zu ihm. Man sollte meinen, du hättest die Gedanken wo anders. Ist dir 'was passirt?

Ihr habt's just errathen, Herr Ammer, versetzte der Jüngling, aber Ihr könnt mir helfen, wenn Ihr mich anhören wollt. Ich bin krank.

Da kommst du bei mir an den unrechten Mann. Ich bin kein Doctor, der sich auf's Quacksalbern versteht.

's braucht blos ein Wort, Vater Ammer, um mich zu curiren, und das könnt Ihr schon aussprechen. Ich bitt' Euch darum.

Ei so sag's gerade heraus, daß ich klug daraus werde! Eines Mannes Rede muß kurz sein und verständlich.

Ich mein' es wohl auch. Erschreckt nur nicht, wenn ich Euch bitte, mir Euer Liebstes zu geben, Vater Ammer! Die Florel ist meine Braut seit heute Morgen.

Schon Braut? erwiderte Ammer, den jungen Mann mit seinen durchdringenden Augen ernst ansehend und seine Mütze in den Nacken schiebend. Das ist 'was schnell gegangen. Wenn ich nun Nein sage?

Das werdet Ihr nicht, Vater Ammer, versetzte Albrecht. Meine Eltern sind unterrichtet und haben nichts dawider, auch sprach der Vater, daß ich mich auf Eure Einwilligung verlassen könnte. Am Bache heute Morgen bei Sonnenaufgang haben wir uns denn in Gottes Namen versprochen.

Es ist so, wie er sagt, Ammer, warf Seltner ein. Ich denke, es wird gut sein, daß wir ein Ende machen. Sie kennen sich lange genug und das Unsrige bleibt so hübsch beisammen.

Ammer sah mit strengem Blick bald auf seine Frau, bald auf seine Tochter. Flora schlug erröthend die Augen nieder und reichte in ihrer Verlegenheit dem Jüngling die Hand, Frau Anna faltete die Hände, als wolle sie beten und sagte:

Ich habe nichts dawider; sie werden, will's Gott, glücklich sein mit einander.

Jetzt nickte auch Ammer beistimmend und mit der ihm eigenen Würde Seltnern zu, reichte ihm die Hand und sprach:

Nun, ein Friedenstörer und Herzensbrecher bin ich mein Tage nicht gewesen, und wo ich 'was anzettelte, das mir später die Gedanken schwer und finster machte, da hab' ich immer bald wieder mit der Manier, ohne mir etwas zu vergeben, auf passendem Wege eingelenkt. Aber mit Euch Beiden geht mir die Sache zu rasch. Ich wüßte nicht einmal, ob ich's Mädel mit Leinewand ausstatten könnte, wie Ammer im Rohr es soll und will, wenn er seine einzige Tochter verheirathet. Nur hübsch douce! Ihr seid jung, Kinder, mit dem Heirathen also kann's wohl noch eine Weile anstehen. Daß Ihr einander liebt, will ich Euch nicht wehren. Konnt's mir wohl denken verwichen, als ich hier hielt er plötzlich inne, fuhr sich mit der Hand über die Stirn, als wolle er eine trübe Erinnerung verwischen, und ein halb unterdrückter Seufzer entrang sich seiner Brust. Nun, fuhr er, sich schnell wieder fassend, fort und seine Stimme ward heiterer, metallreicher, ich mag kein Rabenvater sein und von vielem Vernageln der Thüren und Verriegeln der Fensterladen war ich niemals ein aparter Freund. Also mag es sein, wie Ihr sagt. Jedennoch geheirathet wird jetzt nicht! Ihr bleibt itzund Brautleute ein Jahr lang, dabei sollt Ihr gescheidt und fein ruhig werden. Stimmen die Herzen dann noch zusammen, so wird es auf künftige Ostern eine Hochzeit geben, von der die Leute im Gebirge lange reden sollen. Ist's so recht, Ihr Wirrköpfe?

Wir brauchen wohl nicht zu erwähnen, daß die beiden jungen Leute sich hoch beglückt fühlten und dies in ihrer lebhaften, ungenirten Weise jetzt zu erkennen gaben. Die Zungen waren fortan gelöst, die peinliche Zerstreuung, welche das Gespräch hemmte, machte der ausgelassensten Heiterkeit Platz. In der glücklichsten Stimmung verbrachten die würdigen Menschen ein paar Stunden. Am meisten erleichtert und gleichsam gehoben zeigte sich Ammer, der im Stillen sich sagen mochte, daß er jetzt endlich für immer eine Schuld von sich gewälzt und gänzlich ausgetilgt habe, die er aus eigensinniger Starrheit und durch unlautere Vorspiegelungen eines Gewinnsüchtigen vor Jahren auf sich geladen hatte. Fortan gingen die Interessen der Familie Ammer und Seltner Hand in Hand und es blieb dem reichen Weber unbenommen, bei der später auszurichtenden Hochzeit seiner Tochter eine Mitgift zu geben nach seinem Belieben.

Sehr vergnügt über diese glückliche Wendung zeigten sich auch Flora's Brüder. Diesen hatte das Verhältniß der Schwester oft unruhige Stunden gemacht, weil sie fürchteten, der Vater werde so leicht nicht seine Einwilligung geben zu einer Verbindung mit dem unbemittelten Nachbar, der eben, weil er im Verhältniß zu Ammer arm genannt werden mußte, diesem nach den Volksbegriffen am Range nicht gleich stand. Um so größer war jetzt die Freude der Brüder, die nunmehr den allgemein geachteten und beliebten Albrecht als zu ihnen gehörig betrachten durften.

Ammern hatte das wohlgerathene Feiertagsgebäck seiner Frau nie so vortrefflich geschmeckt. Er ließ es sich daher auch gehörig munden und fand an seinem zukünftigen Verwandten einen tüchtigen Gehilfen. So neigte sich die Sonne dem Gebirgskamme zu. Weil bei der heitern, stillen Luft der Sonnenuntergang eine schöne Beleuchtung verhieß, schlug der Weber vor, diese im Freien zu genießen. Alle waren einverstanden. Schon hatte Ammer seinen Rohrstock erfaßt und war im Begriff, das Haus zu verlassen, als von fern das Schmettern einer Trompete, oder war es ein recht laut schreiendes Posthorn, sich hören ließ. Alle horchten auf, weil fast niemals eine Extrapost diese Straße einschlug, am allerwenigsten an hohen Feiertagen. Der Ton wiederholte sich in kurzen Pausen und kam schnell näher. Bald zeigte sich ein Trupp Menschen, meistentheils junge Bursche, die eben im Begriff standen, ihr Feiertagsvergnügen außer dem Hause suchen zu wollen. Eine mit vier Pferden bespannte Kalesche, welche von zwei Postillonen geleitet wurde, kam die holprige Straße herauf. Beide bliesen auf ihren Messinghörnern einen lustigen Marsch, so gut es eben gehen wollte. Vor dem Hause des reichen Webers machten sie Halt. Ein sehr fein gekleideter Herr, in dem Christlieb sogleich Herrn Zobelmeier wieder erkannte, schwang sich aus dem Wagen und trat höflich grüßend und mit einer wahrhaft seligen Miene auf Ammer zu, dessen stattliche Gestalt ihm sogleich in die Augen fallen mußte.

Habe ich die ganz besondere Ehre, Herrn Ammer, den Aeltern, zu sprechen? fragte der Reisende aus Wien.

Ammer lüftete ein wenig seine Bibermütze und sah den Fremden stolz und neugierig zugleich an. Dann sagte er trocken:

Ich heiße Ammer, insgemein Ammer im Rohr. Steht was zu Diensten?

Die neugierigen Dorfbewohner hatten einen Halbkreis um den mit Vieren bespannten Wagen gebildet. Zobelmeier gab jetzt einen Wink mit der Hand, worauf die beiden Postillone einen Tusch bliesen, während der Reisende seine Mütze schwenkte und dreimal, so laut er es vermochte, ein Lebehoch rief.

Auf Ammer's Gesicht trat die Röthe des Zornes.

Herr, sprach er hastig zu dem Fremden, mögen Sie sein, wer Sie wollen, ich verbitte mir jeden Spaß, den Sie sich mit mir etwa zu machen gedenken, und damit der hehre Tag nicht noch mehr entweiht werden möge durch thörichte Narrentheidinge, werde ich nach dem Richter schicken und Sie in Haft nehmen lassen. Das ist so Brauch hier zu Lande!

Schaun S', das werden Sie halt schon bleiben lassen, erwiderte lachend Herr Zobelmeier. Was auch Brauch sein mag hier zu Lande, es kann's einem Menschen doch kein Kaiser und kein Gesetz verbieten, daß er frohlockt über das Glück seiner Nebenmenschen.

Zobelmeier hatte sein Taschenbuch hervorgelangt und blätterte darin. Er nahm ein Papier heraus, entfaltete es und hielt es Ammer hin.

Kennen S' die Nummern da? fragte er.

Ammer erblaßte. Er griff nach seinem Haupte und stieß durch die heftige Bewegung der Hand die Mütze herab. Die große, starke Gestalt des Webers befiel ein fieberhaftes Zittern.

Sein S' doch gescheidt und erschrecken sich nicht, Herr Ammer, fuhr Zobelmeier fort, 's hat keine Noth mit Ihnen. Sie haben halt grausiges Glück gehabt und hunderttausend Gulden Münz' gewonnen im Lotto. Das ist Alles. Hurrah, hoch!

Wieder schwenkte der Reisende seine Mütze, wieder schmetterte der Tusch der Postillone, welche die Herolde dieser Freudenbotschaft waren, und die umstehenden Gaffer, hingerissen von dem Außerordentlichen, stimmten mit ein in den Jubelruf. Auch Fürchtegott und Christlieb vermochten ihrer Freude nicht mehr Herr zu werden. Sie umarmten einander und drehten sich lachend und springend im Kreise. Flora blickte überselig in die Augen ihres Bräutigams und schmiegte sich warm an seine Brust. Ammer aber brach beinahe unter der Last dieses unerwarteten Glückes zusammen. Jede Muskel seines Gesichts zuckte, kalter Schweiß fiel in großen Tropfen von seiner bleichen Stirn. Zerstreut und um doch etwas zu thun, griff er mit zitternder Hand nach seinem Hornkamme und strich wiederholt die Fülle seiner grauen Locken damit in den Nacken. Endlich ermannte er sich wieder: Er nahm die Mütze auf, verbeugte sich vor dem Glücksboten und sagte matt und fast tonlos:

Zu viel Ehre – für einen schlichten Weber. Wahrhaftig zu viel! Treten Sie ein in mein niedriges Haus! Zu viel – zu viel Glück! Jedennoch, so der Herr oder oder der Zufall es gegeben hat, so will ich es annehmen mit demüthigem Herzen, damit ich es redlich verwalten und als ehrlicher Mann zurückgeben kann, wenn es dereinst wieder von mir gefordert wird. Treten Sie näher! Florel, gib mir ein Glas Wein! Ich fühle ein trauriges Frösteln durch meine erschütterten Gebeine rieseln!

Ammer bedurfte einer langen Zeit, ehe er sich wieder vollkommen erholte. Er saß auf dem harten Kanapee des Wohnzimmers zwischen Flora und Albrecht, und hörte aufmerksam den lebhaften Erzählungen des lustigen Wieners zu. Es war ein wahres Glück, daß der Mann ununterbrochen sprach, sonst würde es wohl sehr still im Hause des Webers gewesen sein. Manchmal lächelte Ammer, wenn man aber genau auf sein Mienenspiel achtete, würde man nicht einen Menschen vor sich zu sehen geglaubt haben, dem so eben ein großes Vermögen gleichsam wider Willen in's Haus geworfen worden war. Gegen seine Gewohnheit sprach er dem Weine stärker als sonst zu. Er stieß mit Herrn Zobelmeier an, so oft dieser es begehrte, und that ihm auch regelmäßig Bescheid. Erregt ward Ammer davon nicht, es hatte eher den Anschein, als ob er sich immer mehr gegen die Außenwelt in sein Gedanken zurückzöge. Oft schüttelte er das ergrauende Haupt, zog die Stirne kraus, und dann sah er ernst, finster, ja momentan furchtbar hart aus. Die im Innern kochende Unruhe bewegte unwillkürlich seine Hände. Er mußte etwas zu thun haben und darum trommelte er oft mit den Fingern auf den Tisch.

Anders gestaltete sich die Freude über das Spielglück des Vaters, der jene dem Zufall so ganz anheim gegebene Quinterne gewonnen hatte, die er bei nächtlicher Weile unter heftigem Herzklopfen besetzte, bei seinen Söhnen. Christlieb mußte es auffallen, daß unter den fünf Nummern auf dem Loose des Vaters die drei Zahlen sich mit befanden, welche er durch drei dividirt hatte besetzen lassen, und Fürchtegott, der nur an den Gewinn, an die große Summe dachte, welche dem väterlichen Vermögen demnächst in baarem Gelde zustießen mußte, war nahezu außer sich.

Er sah und hörte kaum, was um ihn vorging. Das Glück der Schwester, an deren hochklopfendem Busen jetzt der Mann ihrer Wahl ruhte, kümmerte ihn eben so wenig als die tiefe Erschütterung des alternden Vaters. Er sah im Geiste alle seine Wünsche erfüllt; er fühlte sich frei, groß, mächtig, gebietend. Es fehlte ihm nichts, als die Gewißheit, daß auch das Unternehmen Wimmer's, wodurch er mittelbar ja eigenes Geld gewann, geglückt sei.

In dieser Stimmung ward ihm das väterliche Haus zu eng, zumal, da der Vater durchaus keine Anstalten traf, den so unerhört wichtigen Tag würdig zu feiern. Mit Albrecht, dem verliebten Thoren, war auch nichts anzufangen. So blieb ihm nur der Bruder, der, wenn schon weniger aus dem gewohnten Geleise gedrängt, heute doch viel beweglicher sich zeigte, als sonst. Als daher Herr Zobelmeier aufstand, um sich zu empfehlen, vermochte sich Fürchtegott nicht mehr zu halten. Mit hochglühendem Gesicht trat er an den Sitz des Vaters und sagte:

's ist erster Feiertag heute. Die ganze Christenheit frohlockt, daß der Herr und Erlöser ihr wieder erstanden ist, wenn schon kein Christenmensch etwas davon mit seinen körperlichen Augen erkennen kann. Ich muß mich auch freuen, Vater, und zwar im Kreise munterer Gesellen. Laß mich und den Bruder eine Stunde in den Kretscham gehen. Herrn Zobelmeier's Geschirr wartet dort sicherlich seiner Rückkehr.

Der Reisende bestätigte dies. Ammer richtete einen mehr bittenden als befehlenden Blick auf seine Söhne. Nach einer Weile sprach er:

Ich fürchte, ihr möchtet mich hart und eigensinnig schelten, wenn ich Nein zu eurem Begehr sagte. Darum gehet denn, wohin Weltlust und Jugendübermuth euch ziehen. Macht aber meinem Namen keine Schande! Du besonders, Fürchtegott, bedenke, was die Sylben bedeuten, die ich dir beilegen ließ in der heiligen Taufe! Fürchte, d.h. achte, liebe und scheue deinen Schöpfer! Mir wär's lieber, ihr bliebt bei mir. Es ließe sich noch manches Wort reden über dies wunderbare Ereigniß; da ihr jedoch den Drang und Hang in euch fühlt, die Brunst eures Innern im Getümmel auszutoben, so soll's euch unverwehrt sein. Gott mit euch! Adieu, Herr Zobelmeier!

Frohlockend stürmten die Brüder aus dem elterlichen Hause. Als sie das Versammlungslocal der jungen Leute betraten, scholl ihnen schon auf der Schwelle ein Hurrahruf entgegen, denn die Kunde von dem Gewinn des Webers hatte wie ein Lauffeuer sich von Haus zu Haus fortgepflanzt und bildete den einzigen Gesprächsgegenstand Aller.

Fürchtegott freute der heitere Zuruf. Er erwiderte ihn mit Lebhaftigkeit und erklärte in seiner übermüthigen Glücksstimmung, daß Alle für heut Abend seine Gäste seien.

Dem Freigebigen hängt die Menge stets an; selbst Unbeliebte, ja sogar Verhaßte können sich dadurch leicht auf kurze Zeit das Wohlgefallen des Volkes erkaufen. Fürchtegott war keines von beiden. Man kannte ihn nur als lustigen, kecken Gesellen, wenn der Zufall ihn mit seines Gleichen zusammenführte. Wie hätte man das Anerbieten eines Jünglings zurückweisen sollen, dessen Vater erst vor einigen Stunden sichtlich als einer der Wenigen vom Himmel bezeichnet worden war, an deren Fersen sich das Glück heftet? Wie sehr daher auch Christlieb den Bruder bat, sein gedankenlos hingeworfenes Wort zu widerrufen, wie bedenklich selbst dem Wiener dies Gebahren erscheinen wollte; Fürchtegott bestand darauf, er sei der Wirth der Versammelten.

Wein und andere Getränke, die in Menge genossen wurden, erhitzten alsbald die Köpfe. Die Lustigsten verlangten Karten, um zu spielen. Auch Fürchtegott, der dem Glase tüchtig zusprach, forderte sie gebieterisch, und da der Wirth des Hauses nicht Anlaß zu Wortwechsel und Streit geben wollte, so gewährte er gegen seine bessere Ueberzeugung die Bitte der jungen Leute.

Man spielte mit wechselndem Glück; endlich verlor Fürchtegott und zwar, wie dies bei leidenschaftlichen Spielern so häufig vorzukommen pflegt, ohne Aufhören. Er ward unruhig, heftig, zuletzt hitzig. Seine Augen funkelten, die Hände griffen zitternd nach den Karten. Wieder war das Glück ihm nicht hold. Fürchtegott biß die Zähne zusammen, daß sie ihn schmerzten er murrte, schimpfte, nannte in nicht mehr zu zähmender Wuth seinen Gegner einen Betrüger. Worte heftiger Beschuldigung flogen wie Schwärmer herüber, hinüber. Da fuhr des Webers Sohn empor, als habe ein Dolchstoß ihn getroffen, denn der ebenfalls beleidigte Gegner nannte ihn das Schubkarrenpferd!

Ein Schrei, ein Faustschlag, ein donnernder Fall gaben das Signal zu einem Kampfe, der nur durch energisches Einschreiten des Richters mit seinen Leuten geschlichtet werden konnte, ehe die Sinnlosen zu ihren Messern griffen, was damals nicht selten bei derartigen Gelegenheiten vorkam.

Während des Kampfes hatte Zobelmeier das Weite gesucht, da er sich nicht für berufen erachtete, an einem Streite Theil zu nehmen, der ihn persönlich ganz und gar nichts anging. Zum Glück war es Christlieb gelungen, die Besonnenen rasch um sich zu sammeln und dadurch den Wirth zu unterstützen. Man trennte die Streitenden, hielt die Erbittertsten fest. Drei lagen blutend am Boden. Der Eine davon war Fürchtegott, dem einer seiner Gegner mit dem Stück eines zerschlagenen Glases eine tiefe Kopfwunde beigebracht hatte. Er blutete stark, als man ihn aufhob, und war gänzlich besinnungslos! Christlieb benetzte den Unglücklichen mit seinen Thränen.

O, der Vater, der Vater! rief er wiederholt, als man eine Tragbahre herbeiholte, um den Aermsten nach der Behausung des Webers zu schaffen. – –

Dorthin begleiten wir den Trauerzug jetzt. – Die Stunde war längst abgelaufen, Ammer ward unruhig, und zur Angst, die in seinem Herzen nistete, gesellte sich die Sorge um die so lange ausbleibenden Söhne. Seltner erbot sich, zur Beruhigung des Nachbars, nach dem nur zehn Minuten entfernten Wirthshause zu gehen, als man draußen die Schritte Mehrerer nahen hörte.

Gott Lob, das sind sie, sagte Ammer. Ich kenne meinen Christlieb. Mach' auf, Florel!

Die Tochter öffnete die Stubenthür und schob den Riegel, welcher die Hausthür verschloß, zurück. Als sie Christlieb's todtenbleiche Züge erblickte, schrie sie vor Entsetzen laut auf. Ammer sprang von seinem Sitze empor sein graues Haar flog, wie er den trotzigen Kopf schüttelte, gleich der Mähne eines gereizten Löwen.

Was ist? sagte er und stemmte beide Hände auf den vor ihm stehenden Tisch.

Seltner mit seinem Sohne waren Flora gefolgt. Sie traten jetzt zugleich mit Christlieb und dem stark blutenden Fürchtegott ins Zimmer, den die kühle Nachtluft wieder zur Besinnung gebracht hatte.

Oh, oh!! wimmerte der Weber mit einem Ausdruck innerlichen Seelenjammers, daß Alle davor erstarrten und selbst der vom Blutverlust ermattete Jüngling schwer aufathmend zusammenschauerte. Ammer drückte beide Hände vor seine Augen und fiel schwer zurück auf das Kanapee. Noch ein paarmal stieß er, nur immer schwächer, jenen Weheruf aus, schüttelte dazu sein Haupt und begann endlich dumpf zu schluchzen.

Die Hausglocke läutete nochmals. Flora, die rasch entschlossen, mit kaltem Wasser herbeieilte, fragte nach dem späten Ankömmlinge.

Ich bin ein Expreß von Herrn Advocaten Block, sagte eine unbekannte Stimme, und soll bloß diesen Brief hier abgeben.

Flora empfing das versiegelte Papier. Der Vater saß noch immer mit verhülltem Gesicht. Leise näherte sich die Tochter und berührte seine Stirn.

Lieber Vater, es ist nicht schlimm mit Fürchtegott, sagte sie sanft, während die Mutter mit Hilfe der Andern den Verwundeten verband. Sieh dich um wir sind Alle munter! Und da ist eben noch ein Brief gekommen.

Jetzt ließ Ammer die Hände sinken. Er sah die Tochter ernst an, ein paar Thränen sickerten noch über die gefurchten Wangen herab. Dann reichte er ihr die Hand, mit der andern den Brief empfangend.

Florel, sagte er stammelnd, bewegt, wenn meine Jungen nicht gut thun sollten, dann mach' du mir wenigstens Freude und Ehre! Betrügst du mich aber, dann, bei dem lebendigen Gott sei vergewissert, daß ich's nicht überlebe! Ich hab's mir gedacht, daß kein Segen ins Haus kommen würde, wie der Firlefanz aus Wien den Hut vor mir schwenkte.

Er setzte sich wieder, und ohne einen Blick auf die Gruppe um Fürchtegott zu werfen, erbrach er das erhaltene Schreiben und durchlas es. Block zeigte ihm darin mit trockenen Worten an, daß Ammer Besitzer von Weltenburg geworden sei.

Ammer nahm sein Käppchen ab, strich den Kamm durch die Haare, legte den Brief auf den Tisch, blickte mit sonderbar funkelnden Augen gen Himmel, faltete die Hände und flüsterte dann mit leiser Lippe, indem er allgemach auf die Kniee niederglitt:

Herr, vergib uns unsere Schuld, führe uns nicht in Versuchung und erleuchte die Nacht unseres Geistes, wenn das Licht der Erkenntniß, so in der Ampel eines reinen Herzens flimmert, dunkel zu brennen beginnt!

Die Gestalt des betenden Webers, auf dessen Haupt innerhalb weniger Stunden die Aufregungen eines ganzen Menschenlebens eingestürmt waren, hatte etwas so Ergreifendes und Ehrwürdiges, daß auch die Uebrigen ihre Hände falteten und unwillkürlich die Worte des Betenden leise wiederholten.


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