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Sechstes Kapitel. Brüderliche Eröffnungen.

Als der Weber in das Wohnzimmer zurückkam, fand er Anna in Thränen. Sie deckte, ohne ein Wort zu sagen, den Tisch ab, wo der Advocat noch vor einer Viertelstunde die Gaben des Bacchus in der heitersten Stimmung genossen hatte. Ammer bemerkte die Betrübniß seiner Frau, allein ihm kam es nicht in den Sinn, nach der Veranlassung derselben zu fragen. Er ging, offenbar mit einem Sturm von Gedanken kämpfend, unruhig auf und nieder. Anna's Anrede störte ihn darin.

Ammer, sagte sie mit gerührter Stimme. Was hast du mit dem bösen Manne abgemacht?

Nichts!

Das ist nicht wahr, Ammer! Ich habe euch sprechen hören mein Herz klopfte als wolle es zerspringen. Block hat etwas im Sinne und du bist ihm nicht entgegen gewesen. Ich seh's dir an, Ammer! Deine Ruhe ist hin, dich quält etwas und doch magst du es nicht offenbar werden lassen.

Es sind Geschäfte, Frau, ehrliche Geschäfte, und wenn ein Ding noch in der Schwebe hängt, kann's einen wohl beunruhigen.

Aber du hast dem Advocaten etwas versprochen. Ist's so, dann kommst du nicht mehr von ihm los, du bist seinem Willen verfallen, als wärest du sein Sclave!

Ich werd' mich hüten, versetzte Ammer. Und hätt' ich dem Teufelskerl Gott weiß was versprochen, und's quälte mich nachher, weil ich einsah, daß ich eine Stufe, die zum Himmel führt, mit eigener Hand niedergerissen hatte: ich schleuderte ihn von mir und würde wortbrüchig, müßt' ich's auch vor Gericht thun!

Anna schüttelte traurig den Kopf. Du bist zu gut, Ammer, ich weiß es, und weil du es bist und Niemand dir erzürnen magst, damit er dir nicht schaden könne, geräthst du in anderer Leute Hände, welche deine Güte und deinen geraden Sinn zu ihren Zwecken mißbrauchen.

Einmal kann's mir wohl passirt sein, versetzte Ammer, jedennoch bin ich mir bewußt, nie kopflos gehandelt zu haben.

Der Advocat hat dir doch ein Wort abgerungen, sagte Anna mit Hartnäckigkeit wieder auf den ersten Punkt zurückkommend, denn du gabst ihm die Hand, als er sagte: es bleibt dabei!

Ammer fuhr auf.

Seit wann mische ich mich in deine Köcherei! erwiderte er. Rühre und brodle, siede und brate, so viel du willst, du wirst mich nicht darüber schelten hören. Also erbitte ich mir für mein Revier gleiche Vergünstigung. Packe ich 'was an, sei's nun am rechten oder unrechten Ende, so werd' ich's verantworten, wenn's sein muß, vor Kaiser und Reich! Ich geb's zu, der Block ist ein böser Mann, aber grausam klug dabei, Frau, grausam klug! Und wenn wir uns bemühen, eben so klug zu werden, so kann selbst der Herr Pfarrer nichts darwider haben, denn es steht ja geschrieben: Seid klug, wie die Schlangen.

Und ohne Falsch, wie die Tauben! ergänzte Frau Anna, den Bibelspruch.

Richtig, sagte Ammer. Dieser Nachsatz ist aber nur für die Weiber gemacht, welche da jederzeit sanft und ohne Falsch sind oder sich doch so stellen. Wir Männer, die wir von zäherem Stoffe sind, mit geringeren Anlagen zur Sanftmuth, können weniger Gebrauch von jenem Nachsatz machen. Darum, mein Kind, begnüge ich mich allezeit mit dem Vordersatze.

Es lag eine ziemliche Dosis Schalkheit und Humor gemischt in der Art und Weise, wie Ammer diese Erklärung seiner Frau vortrug, und diese bewirkte, daß Anna verstummte.

Wo stecken die Jungen? fragte der Weber nach einiger Zeit, überzeugt, daß seine Frau alles weitere Fragen und Forschen aufgeben werde.

In der Färberei, versetzte diese.

Sie können immer wieder an ihre Arbeit gehen, meinte Ammer, wenn sie sonst den Brief auswendig gelernt haben und sich nicht scheuen, ihrem Vater unter die Augen zu treten, wird mir's grausam lieb sein, wollte sie die Schwester von meinem Wunsche in Kenntniß setzen. Ich werde derweile versuchen, mich ein wenig inwendig zu besehen.

Die letzte Bemerkung, womit Ammer andeuten wollte, daß er ungestört zu sein wünsche, ließ keine Einrede zu. Frau Anna rief ihre Tochter und unterrichtete sie von des Vaters Verlangen. Dieser stieg in den oberen Stock des Hauses und begab sich hier in die Garnkammer. Wir begleiten inzwischen das junge Mädchen, um zu erfahren, womit die Brüder sich die Zeit vertrieben haben.

Wir finden diese im Färbehause, aufgeregt, wie noch nie. Der Besuch des Advocaten, mehr noch der Brief aus Wien mit der, wenigstens Fürchtegott, völlig unerklärlichen Aufforderung an den Vater, er möge sein Glück im Spiele versuchen, führte zu Fragen und Erkundigungen, die eine gegenseitige Mittheilung der Geheimnisse zur Folge hatte, welche die Brüder Monate lang still verschlossen in ihrer Brust getragen. Christlieb erfuhr jetzt Fürchtegott's Gespräch mit dem einflußreichen Grafen Alban, dessen Macht über das Weltmeer hinüberreichte, von dem ein einfaches Wort mehr Pforten hoher Paläste erschloß, als die Verordnung mancher Regierung. Der junge hoffnungsvolle, sein ganzes Glück auf die nächste Zukunft stützende Bruder theilte ihm ferner mit, wie der stille herrnhutische Kaufmann alle Kräfte anstrenge, um ihnen, den Brüdern, die Mittel zu künftigen, großen Handelsverbindungen zu verschaffen. Nur über ein Begebniß schwieg Fürchtegott. Er erwähnte mit keinem Worte des Liebesmahles und jener jugendlichen Missionärin, die ein paar Secunden lang seinen Mund mit ihren blühenden Lippen berührt hatte. Von diesem sonderbaren Zusammentreffen zu sprechen, schien ihm eine Entweihung jenes, wie er meinte, wahrhaft heiligen Momentes.

Christlieb's mehr zum Phlegma hinneigendes Wesen war schwer in Aufregung zu versetzen; dennoch fühlte er sich durch die lebendige Schilderung des Bruders erwärmt, innerlich neu belebt. Die Offenheit desselben machte auch ihn offen. Mit wenigen Worten löste er ihm das Räthsel des an den Vater gerichteten Briefes, theilte ihm mit, wie damals der Wiener Reisende in ihn gedrungen sei, in das Lotto zu setzen.

Und du hast dich doch nicht geweigert? fragte mit leidenschaftlicher Heftigkeit der goldgierige Fürchtegott.

Ich gab nach langem Zögern dem Drängen des Fremden nach, versetzte Christlieb. Ich besetzte, wie er es wünschte, eine Terne.

Mit welchen Zahlen?

Christlieb sah den Bruder schlau an. Das lasse vor der Hand mein Geheimniß bleiben, sagte er. Du weißt, wir in den Bergen sprechen von einem Glück nicht gern eher, als bis wir es fest in der Hand halten. Wenn ich gewinne, theile ich mit dir, darauf gebe ich dir mein ehrliches brüderliches Wort.

Wann geschieht die Ziehung? fragte Fürchtegott, vor dessen lebhafter, leicht entzündlicher Phantasie wieder eine neue Welt emporstieg.

Genau weiß ich die Zeit nicht, meinte Christlieb. Ich kann's auch offen gestehen, daß ich mich darnach gar nicht erkundigt habe. Ich ward von dem Antrage so überrascht, es ging Alles so eilig und flüchtig, daß ich kaum zur Besinnung, viel weniger zu einem bestimmten, freien Entschlusse kam. Höchst wahrscheinlich geschieht die Ziehung schon in den nächsten Wochen.

Gott, Gott, wer doch Geld hätte! rief Fürchtegott, ungeduldig mit dem Fuße stampfend. Es ist schändlich, ja geradezu Sünde, daß uns der Vater so knapp hält.

Würdest du setzen?

Wie kannst du fragen? Eine Quinterne würde ich setzen, und zwar auf der Stelle. Aufgedrungene Loose gewinnen immer. Aber was kümmert das den Vater! Wenn da nur in alter Weise einen Tag wie den andern fortgelebt werden kann, wenn es Sonntags Kalbsbraten und Mittwoch Abends einen gesalzenen Hering gibt: da ist's schon recht. Da fällt die Welt nicht ein und es kann auch weiter sonst kein erhebliches Unglück geben. Wie viel Glück aber hart vor unsern Fenstern, auf den Granitfließen vor der Thür Hals und Beine dabei bricht, das kümmert den Alten nicht! OPhilisterei, Philisterei, wie hasse ich dich! Wie möchte ich dir Haarkamm und Brustlatz zerbrechen und zerreißen! Toll werden kann man in dieser mit Vorurtheilen bis an's Dach hinauf verpallisadirten Weberhütte!

Was nützt solch' Toben, sagte Christlieb besänftigend. Eile mit Weile, heißt's schon im Sprichwort, und wenn wir nicht gleich ungeduldig werden, kommen wir schon auch noch einmal in andere Kreise.

Ja, du hast immer Zeit! erwiderte Fürchtegott grollend. Ob darüber die schönsten Jahre verloren gehen, ob das Herz matt, der Wille schlaff dabei geworden ist, das kümmert dich fast so wenig, wie den Vater!

Du thust mir Unrecht, Bruder, sagte Christlieb. Ich trage meine Pläne so gut mit mir herum, wie du; ich bin aber nicht verpicht darauf, sie alle, und noch dazu im Augenblicke verwirklichen zu wollen. Kommt Zeit, kommt Rath.

Wäre es nur erst Frühjahr! seufzte Fürchtegott. Was meinst du, setzte er rasch hinzu, wird der Vater wohl zugreifen?

Ich zweifle!

Wenn er nun einen Proceß gekriegt hätte, sagte lächelnd der berechnende Fürchtegott. Um nichts und wieder nichts setzt sich Advocat Block nicht in den Schlitten. Der hat 'was Rechtes gewollt, sei 's gut oder schlecht. Geld verliert Vater nicht gern.

Ich verstehe dich nicht.

Nicht? sagte Fürchtegott. Nun, so höre! Gesetzt, Vater stehe ein Rechtshandel bevor, was man ja nicht wissen kann, so kostet ein solcher Geld. In diesem Falle wäre es also nicht unmöglich, daß er Fünf gerade sein ließe.

Du bist wirklich zum Kaufmanne geboren, meinte der Bruder. Es ist dabei nur zu bedenken, daß das kaiserliche Lottospiel bei uns nicht öffentlich betrieben werden darf.

Das Verbotene reizt und auch rechtliche Leute finden zuweilen ein Vergnügen daran, etwas gesetzlich Unerlaubtes zu thun, wär's auch nur um sich selbst ein Zeugniß über ihre Klugheit ausstellen zu können. Zu den Leuten solchen Schlages aber gehört auch der Vater zuweilen.

Dies Gespräch wäre wohl noch geraume Zeit fortgesetzt worden, hätte Flora's Eintritt die Brüder nicht gestört. Sie richtete den Auftrag des Vaters aus, sah sich dann mit klugem Auge im Färbehause um, ob außer den Brüdern noch Jemand zugegen sei, und da sie Niemand bemerken konnte, schlüpfte sie in den Hintergrund des Gebäudes und machte sich dort an einem der Fensterladen etwas zu schaffen. Die Brüder achteten nicht auf das Treiben der Schwester. Sie waren zu sehr mit den Gedanken, Plänen und Entwürfen beschäftigt, die ungeordnet in ihrer Seele ruhten, um noch für etwas Anderes Sinn zu haben. Um jedoch sich nicht selbst hinderlich zu werden, gaben sich Christlieb und Fürchtegott Wort und Handschlag, Niemand, selbst nicht Flora, irgend etwas von dem zu sagen, was sie einander so eben mitgetheilt hatten. Enger denn je verbunden und durch gemeinschaftliche Interessen an einander gekettet, gingen sie Arm in Arm, was noch nie vorgekommen war, über den Hofraum nach dem Wohnzimmer, wo sie nur die Mutter still und düster in gewohnter Thätigkeit antrafen.


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