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Die Sonne stand schon niedrig und warf lange Schatten, als Fürchtegott die Villa des Grafen verließ. Auf dem Brüderorte lag die Ruhe eines tiefen Gottesfriedens ausgebreitet. Kein Mensch war in den Straßen zu sehen, der junge Ammer hörte beim Gehen den Wiederhall seiner eigenen Schritte. Selbst die Thätigkeit der Bewohner schien für heute aufgegeben zu sein, denn außer dem feinen Gehämmer eines Goldschmiedes vernahm unser Freund kein Geräusch in den freundlichen, saubern Häusern.
So erreichte Fürchtegott die Wohnung des Kaufmannes. Das lang anhaltende Läuten der Hausglocke beim Oeffnen der Thüre verjagte die vielen Phantasiegestalten, die um sein Haupt wirbelten und ihm kaum gestatteten, einen klaren Gedanken zu fassen.
Martha trat aus ihrer Kammer, grüßte den Jüngling freundlich und bat ihn, er möge nur ja sogleich auf das Zimmer ihres Herrn gehen, der schon lange auf ihn warte.
Ein beängstigendes Gefühl bemächtigte sich des jungen Ammer, als er die Stimme des schlauen Handelsherrn beim Anklopfen ein weiches Herein! rufen hörte.
Wimmer saß an seinem Pult und rechnete. Die Abendsonne gab seinen fahlen Zügen eine jugendliche Frische, die sie fast anziehend erscheinen ließ. Ein Handschlag und warmer Händedruck begrüßten den Sohn des Freundes. Wimmer zeigte sich gerührt. Er schlug die Augen zum Himmel auf und weinte verstohlen eine Thräne.
Du kommst spät, lieber, junger Freund, sprach er, aber ich sehe es an deinen Mienen, daß du guter Entschlüsse voll bist. Darum danke ich dem Herrn in meinem Herzen, der meine heißen Bitten so gnädig erhört hat! Bist du ganz unterrichtet?
Ich glaube es zu sein, versetzte Fürchtegott und theilte die Hauptpunkte der mit dem Grafen gepflogenen Unterredung dem Handelsherrn in der Kürze mit.
Gut, gut, sprach Wimmer, wir sind ganz einig und Alles, was ich gewünscht, scheint nun endlich in Erfüllung gehen zu wollen. Komm, mein Freund und Bruder, und setze dich. Ich habe dir nur wenig, aber Wichtiges zu sagen. Sieh hier dies Buch, das du schon von früher kennst. Es ist mein Hauptbuch und enthält die Bilanz des Geschäftes, das wir nun seit Jahr und Tag mit einander geführt haben. Gott und unser Heiland, in deren geheiligten Namen es begonnen ward, ist uns gnädig gewesen. Du und dein Bruder, ihr seid nicht blos wohlhabende, ihr seid reiche Leute geworden durch meine zur glücklichen Stunde unternommene Speculation. Ach ja, bin ich auch schlicht und still, ein scharfes Auge und richtiges Urtheil in Handelsangelegenheiten ist mir gegeben und Gott sei dafür gepriesen bis heute treu geblieben. Was wird mein lieber, alter, braver Freund sagen, wenn er hört, daß an fünfzigtausend Thaler mit dieser zweimaligen Schiffsexpedition verdient worden sind!
Fünfzigtausend! wiederholte mit freudestrahlendem Gefühl der junge Ammer, die lange Zahlenreihe überblickend, auf welche der hagere Zeigefinger des Herrnhuters deutete.
So ist es, mein Freund, bekräftigte Wimmer. Bei diesem Anfang wollen wir aber nicht stehen bleiben. Es soll jetzt mit doppelter Kraft gearbeitet werden. Du weißt wohl, daß dein Vater die Heiden in Amerika durchaus bekleiden will aus Eigensinn, nun so muß sein Freund darauf denken, ihm dies christliche, gottgefällige Geschenk doppelt wieder einzubringen. Wie danke ich dem Heilande, daß er mir dazu Mittel und Wege gezeigt hat! O, es ist so süß und angenehm, Andern Gutes zu thun, Liebes zu erweisen.
Wimmer überwältigte abermals die Rührung und nöthigte ihn, sich die Augen zu trocknen.
Wenn du heim kommst, lieber junger Freund, kannst du's dem Vater und den Geschwistern sagen, wie Gott mein Handeln gesegnet hat. Es darf es jetzt die ganze Welt wissen. Du bist in wenigen Tagen mündig und dein eigener Herr. Das wird dem Vater gar lieb sein, da er auf diese Weise sich nicht mehr zu quälen braucht, ob er auch Recht thut, wenn er sein Webergeschäft in kaufmännischem Sinne betreibt. Nur laß dich nicht irre machen, falls der Vater im ersten Augenblick ein böses Gesicht zu der Botschaft von deiner nahe bevorstehenden Abreise zieht. Es gibt sich schon, und wenn man erst mündig ist, braucht man sich, auf rechtem Wege wandelnd, ein Bischen väterliches Brummen nicht anfechten zu lassen. Verstehst du?
Fürchtegott winkte bejahend mit dem Kopfe. Sein Geist entwarf schon Pläne, wie er am besten die überraschende Mittheilung machen solle. Er wollte zugleich erfreuen, verblüffen und imponiren. Sein unmäßiger Ehrgeiz im Gefühle des Reichthums verdreifachte seinen Muth. Das ganze Dorf sollte erfahren, daß er der väterlichen Gewalt als reicher Herr entrückt werde und daß er der Mann sei, ein solches Glück zu benutzen.
Sie sollen mit mir zufrieden sein, Herr Wimmer, sagte Fürchtegott mit Selbstvertrauen. In's Unabänderliche hat sich der Vater immer gefügt, er wird es auch diesmal thun, um so leichter, als ja die gewichtigsten Beweggründe zu meiner Abreise vorliegen.
Wimmer drückte dem jungen Mann wiederholt die Hände. Sprechen konnte er vor lauter Rührung nicht. In überwallendem Gefühl schloß er endlich den Jüngling in seine Arme und küßte ihm wiederholt die Stirn.
Gott segne dich! Gott sei mit dir und seine Engel geleiten dich auf allen deinen Wegen!
Mit diesen Worten entließ er Fürchtegott. Gleichzeitig überbrachte der Bediente des Grafen Alban ein Schreiben an den alten Ammer und überreichte es dem ungeduldig harrenden Sohn. Als der Bediente sich entfernt hatte, sprach Fürchtegott:
Nun wird es auch hohe Zeit aufzubrechen. Nehmen Sie vorläufig herzlichen Dank für Ihre väterliche Liebe und für die Vorsicht Ihres Handelns, Herr Wimmer. Nie, nie werde ich so viele Liebe, so große Selbstaufopferung vergessen! Leben Sie wohl. Wenn Sie mich wiedersehen, klopfe ich nicht mehr als Webergeselle an Ihre Thüre, sondern als selbstständiger Handelsherr und Rheder.
Der Herrnhuter konnte sich nicht versagen, seinen lieben Schützling nochmals zu umarmen. Dann geleitete er ihn bis vor die Thür. Zehn Minuten später ritt Fürchtegott an dem Hause Wimmer's vorüber. Lächelnd warf ihm der alte Herr Kußhände durch's Fenster zu. Als der Hufschlag des Davoneilenden sich in der Ferne verlor, lachte der Herrnhuter wirklich, nicht laut, nur dumpf. Es klang wie ein heiseres Röcheln. Die Sonne schien nicht mehr in's Zimmer, das Gesicht des Bruders sah wieder fahl aus wie sonst; die breiten braunen Lider lagen schwer auf den Augen, wenn er sie aber von Zeit zu Zeit aufschlug, fuhren Lichtblitze aus den grauen Sternen, die nichts von Liebe, Duldung und Freundschaft verriethen. So saß Wimmer lange, das röchelnde Lächeln verstummte, er ward still. Auf dem Brüderhause schlug die Betglocke. Mechanisch faltete der Handelsherr die Hände, blickte gen Himmel, und indem er, die Lippen zum Gebet öffnete, sprach er sanft lächelnd:
Der liebe, gute Mensch! Mit welcher Freudigkeit reitet er in sein Verderben! – –
Fürchtegott war überglücklich. Wenn es auf dieser Welt einen Zustand der Erhebung geben kann, in dem das Individuum gleichsam ganz aufgeht, und wo es gewissermassen ein anderes wird, so befand sich gegenwärtig der junge Ammer in diesem Zustande. Ein Meer irdischer Seligkeit umfluthete ihn. Erde, Luft und Himmel leuchteten vor seinen Blicken. Das Säuseln der Tannen, unter deren dunklen Behängen er dahintrabte, klang ihm wie Musik, das Plätschern und Rauschen des kristallenen Bergwassers im Wiesengrunde, wo eine Schaar Irrlichter ihre gaukelnden Sprünge machten, schien ihm ein Preisgesang zum Leben der Schöpfung.
Er war so vertieft, daß er dem Pferde die Zügel ließ und nicht auf den Weg achtete. Der vielen Baumwurzeln halber mußte er im Walde Schritt reiten, was dem Thiere sehr angenehm zu sein schien, denn es ging immer langsamer. Ein heftiger Stoß gegen einen harten Gegenstand, der Fürchtegott den Hut vom Kopfe warf, führte den Träumer wieder in das Reich der Wirklichkeit zurück. Er hielt sein Roß an, stieg ab, um den verlorenen Hut anzunehmen, und sah sich um. Es war sehr dunkel geworden; die hohen Tannen gewährten nach keiner Seite hin Aussicht, und als der junge Ammer zur Erde blickte, gewahrte er, daß er den Weg verloren hatte. Mitten im Walde, in solcher Dunkelheit, ohne Sternenschimmer denn nach dem heißen Tage hatte sich jetzt der Himmel dicht mit Wolken bedeckt war es fast unmöglich, sich zurecht zu finden, wenn nicht der Zufall ihm auffällig günstig war.
Diese Entdeckung beunruhigte Fürchtegott. Die Waldungen an der Grenze und namentlich in dieser Gegend standen damals in dem Rufe, einer verwegenen Diebs- und Räuberbande zum Aufenthalt zu dienen. Hatte nun auch der junge Ammer keine Kostbarkeiten zu verlieren, so wäre ihm ein Zusammentreffen mit solchen Landstreichern doch sehr fatal gewesen. Sie würden seinen Namen erforscht, ihn dann wahrscheinlich freigelassen, später aber gewiß Gelegenheit genommen haben, den Vater zu besuchen.
Aergerlich über diesen Unfall, ritt Fürchtegott auf gut Glück fürbaß, dem Pferde schmeichelnd und dem Instinct des Thieres vertrauend. Bald ward das Gehölz dünner, die Bäume niedriger. Es zeigte sich Unterholz, hinter welchem moorige Wiesenstrecken sichtbar würden. Ein schmaler Pfad lief in vielfachen Krümmungen durch dieses Gesträuch, dem das kluge Thier unseres Freundes, die Ohren spitzend, behutsam folgte. Noch immer fand sich Fürchtegott nicht zurecht, denn an einer weiten Aussicht hinderten ihn theils der schwarze Saum des in großer Ferne seitwärts fortlaufenden Waldes, theils die ziemlich niedrig ziehenden Wolken.
Vorsichtig ritt er weiter. Das Pferd hob zuweilen den Kopf und schnupperte in die Luft, als wittere es irgend etwas Ungewöhnliches. Gleichzeitig spitzte es wohl auch die Ohren. Jetzt bog der Pfad um eine scharfe Ecke des fortziehenden Gesträuches und ein trüber Lichtschimmer leuchtete aus dem sich hier wieder schließenden Walddickicht dem Verirrten entgegen. Fürchtegott's Pferd wieherte und begann von selbst auf den gaukelnden Schein zuzutraben. Bald erkannte der junge Ammer unter hohen Kieferstämmen eine niedrige Hütte. Es war ein altes Waldwächterhaus, das längst nicht eigentlich bewohnt ward, das jedoch bisweilen die Torfgräber als Zufluchtsort benutzten, wenn sie durch schlechtes Wetter vom Heimgange aus der eine Viertelstunde weiter gelegenen großen Torfgrube abgehalten wurden.
In diese Gegend verlor sich Niemand gern; denn gerade sie stand in dem übelsten Rufe. Und wenn irgend ein Ort mit seiner Umgebung sich zum Versteck für verdächtige oder auf verbrecherische Thaten sinnende Menschen eignete, so war es die Umgegend der Torfgräberei und der leer stehenden, bereits halb verfallenen Waldhütte. Nach allen Richtungen hin war keine menschliche Wohnung unter zwei Stunden zu erreichen. Ueberall traf man entweder hohe Kiefern- und Fichtenwaldung oder niedriges Gestrüpp. Zwischen beiden breiteten sich quellenreiche Wiesen aus, die höchstens ein Fußgänger leichten Schrittes betreten konnte, da ihre grün schimmernde Grasdecke entweder Torfmoore oder unergründliche Sümpfe verhüllte. Fürchtegott überlief es bald heiß, bald kalt, als er gewahrte, wo er sich befand. Ungefähr anderthalb Stunden westlich am Saume des Waldes mit der schönen Aussicht auf zwei sich einigende Flüsse und das Gebirge lag der verrufene Moor, dessen Erdmuthe Gottvertraut in ihrem Tagebuche erwähnte. Dort hatte die junge Missionärin als Kind gelebt. In jener Gegend sollte es nicht geheuer sein, wie denn die ganze walderfüllte Strecke Landes mit seinen Moorbrüchen und Torfgräbereien dem Volksglauben nach ein Aufenthalt für Diebe und gaunerisches Gesindel, sowie von Gespenstern bevölkert war.
Während Fürchtegott sich all der unheimlichen Erzählungen, der Räubereien, Mordthaten und unerklärlichen Erscheinungen erinnerte, die in dieser Gegend vorgekommen sein sollten, schallte ihm von der Waldhütte her ein barsches: Halt! Wer da? entgegen.
Fürchtegott zog den Zügel seines Pferdes so heftig zurück, daß es bäumte und schnaubte. Er wäre gern auf der Stelle umgekehrt, hätte er nur einen sichern Pfad gekannt; da dies weder möglich noch auch rathsam war, klopfte er den Hals seines Thieres, um es zu beruhigen, und sagte etwas schüchtern: Gut Freund!
Wer seid Ihr? fragte die erste barsche Stimme von der Waldhütte her, während ein Licht im Innern sich fortbewegte, eine Thür sich knarrend öffnete und eine dunkle, hohe Männergestalt außerhalb der Hütte unter den rauschenden Fichten sichtbar ward.
Ein Verirrter, gab unser Freund zur Antwort. Ich würde erkenntlich sein, wenn mich Jemand auf den rechten Weg geleiten wollte.
Wer kennt den rechten Weg! entgegnete der Vorige mit einem Anflug von Hohn und Bitterkeit. Wißt Ihr nicht, daß man hier zu Lande, an den Grenzen der »Hundetürkei«, wie man die wendischen Marken nennt, allen der Wege Nichtkundigen auf ihre Fragen antwortet: Geht sich aller Wege recht? Nein, Herr Verirrter! Wer unser Revier betritt, ist vorläufig unser Gast oder, im Nothfall, unser Gefangener. Tretet näher! Für Euer Roß soll gesorgt werden, und wenn Ihr Erkenntlichkeit nicht bloß auf den Lippen tragt, sondern auch das Innere Eurer Hand etwas davon wissen laßt, so könnt Ihr ein Abendessen und einen erquickenden Trunk ebenfalls hier finden.
Nach dieser Einladung hielt es Fürchtegott für klüger, abzusteigen und sich in das Unvermeidliche zu fügen. Zudem klang die Stimme des Sprechenden zwar barsch und gewissermaßen befehlshaberisch, aber nicht gerade unfreundlich. Man konnte eher etwas Wehmüthiges im Tonfall erkennen; auch mußte der Unbekannte ein Fremder sein, denn er sprach weder den Dialect der Provinz noch ein reines Hochdeutsch.
Fürchtegott schwang sich demnach aus dem Sattel und überließ dem bereits herangetretenen Bewohner der Waldhütte den Zügel des Thieres. Es war ein schlanker, sehniger Mann von hohem Wuchs und stark gebräuntem Gesicht, mit langen, kohlschwarzen Haaren und stechenden, kleinen, ebenfalls schwarzen Augen. Seine Kleidung verrieth Dürftigkeit, obwohl verschiedene Zierrathen daran sichtbar waren. Als unser Freund die Hütte betrat, bemerkte er auf der Diele, die aus geschlagenem Lehm bestand, an niedrigem Herdfeuer noch zwei Frauen. Auf der Diele selbst stand eine zerbrochene Laterne mit einem fast ganz niedergebrannten Lichtstumpfe.
Es sind richtig Gauner, dachte Fürchtegott, bot den Frauen guten Abend und sah sich in dem öden, unwirthlichen Raume nach einem Sessel um, ohne jedoch ein derartiges Möbel entdecken zu können.
Die Frauen antworteten nicht. Sie bemühten sich, das Feuer anzufachen und es heller brennen zu machen, was seine Schwierigkeiten hatte, da das Brennmaterial offenbar aus frisch abgebrochenen Kieferästen bestand. Die ganze Hütte war mit Rauch angefüllt, der unserm Freund recht unangenehm in die Augen biß und ihm Thränen entlockte. Selbst im Athmen fühlte er sich anfangs beengt. Bald jedoch verlor sich das Peinliche des ersten Entrées, der Rauch verzog sich etwas, das Feuer loderte prasselnd hell auf und zeigte nunmehr erst die davor sitzenden Gestalten in schärferen Umrissen.
Beide waren nicht hübsch, die Aeltere hatte sogar sehr harte, finstere Züge, anziehend aber fand sie Fürchtegott. Und als jetzt der Unbekannte aus einer Art Verschlag zurück in den erhellten Raum trat und der volle Schein der Flamme auf ihn fiel, orientirte sich Fürchtegott. Er wußte, daß er Zigeuner vor sich habe. Gleichzeitig wurde auch er selbst erkannt; denn die Jüngere der beiden Frauen sprang hastig auf ihn zu, verbeugte sich, ihre Arme über der Brust kreuzend, ceremoniös vor dem Jünglinge, und sagte:
Herr, du hast mir zwar wehe gethan, aber ich grüße dich doch mit dem Gruße des Glückes!
Das Mädchen ergriff dabei seinen Stock und führte diesen an ihre Lippen. Rückwärts gehend, näherte sie sich wieder dem Herdfeuer, setzte sich neben ihre Gefährtin und begann abermals die Flamme anzufachen.
Koch dem Herrn ein paar Eier, befahl jetzt der schlanke Mann; er ist vom Wege abgekommen und will nur diese Nacht uns mit seiner Gesellschaft beehren. Doretta, meine Reiseflasche!
Die jugendliche Person stand sofort auf, eilte in den Verschlag, wo der Fremdling das Pferd des jungen Ammer untergebracht hatte, und kam schnell mit einer schön geschliffenen Flasche, in der eine gelblich-rothe Flüssigkeit schimmerte, und mit einem ebenfalls geschliffenen Becher zurück. Fürchtegott erkannte jetzt mit einiger Beschämung in Doretta dieselbe Zigeunerin, die er am Abend des heftigen Unwetters an der Waldschenke so hart, ja fast grausam von sich gestoßen hatte. Er war verwirrt, schlug die Augen nieder und wagte das waldgeborene Kind nicht mehr anzublicken. Doretta dagegen holte jetzt flink und scheinbar in fröhlicher Laune einen Kessel nebst Dreifuß herbei, die ältere Gefährtin brachte Wasser und Eier, breitete ein Tuch auf dem Lehmboden aus und bereitete Alles zu einem frugalen Abendessen vor.
Euer Wohl, Herr, sagte der Zigeuner zu Fürchtegott, den Becher mit der goldgelben Flüssigkeit bis zum Rande füllend und ihm denselben kredenzend. Nach nächtlichem Umirren auf unsichern Pfaden wird Euch dieser ächte Syrakuser trefflich munden.
Der angenehme Duft des süßen Weines überwand bei unserm Freunde sogleich jede Bedenklichkeit. Er that seinem Gastfreunde Bescheid, fühlte ein durchwärmendes Feuer seine Glieder durchströmen und kam nunmehr zu der Ueberzeugung, daß er von diesen harmlosen Menschen, die selbst als Ausgestoßene ruhelos von Land zu Land irrten, für seine persönliche Sicherheit nichts zu fürchten habe.
Bald waren die Eier gar; Doretta lud Fürchtegott ein, es sich wohl schmecken zu lassen und setzte als Nachtisch Weißbrod und Honig auf. Hätte man nicht in Ermangelung von Tisch und Bank sich auf die feuchtkühle Erde niederkauern müssen, so würde der Verirrte sich in dieser abenteuerlichen Umgebung ganz gemüthlich gefühlt haben. Nur das Ungewohnte belästigte ihn etwas, und erst, als er der Entbehrungen gedachte, welche Erdmuthe Gottvertraut unter den Indianern schon erlebt haben mochte, fand er seine gegenwärtige Lage noch ganz behaglich.
Euch ist heute ein großes Glück begegnet, sagte der Zigeuner, als das Mahl beendigt war, nochmals den Becher mit dem südlichen Weine füllend.
Wie könnt Ihr das wissen?
Euer Auge sagt es mir.
Fürchtegott ward nachdenklich, blickte in die goldene Fluth des Bechers und trank. Ein sanfter Finger berührte seine Schulter. Als er sich rasch umwandte, sah er in das trüb lächelnde, braune Antlitz Doretta's.
Wünschest du etwas? fragte er das Mädchen.
Eure Hand, gnädiger Herr. Ich will Euch sagen, was Ihr thun müßt, um das Glück fest an Eure Fersen zu bannen.
Sträubt Euch nicht, fiel der Zigeuner ein, einen kurzen Pfeifenstummel am Herdfeuer anzündend. Doretta ist klug; sie hat prophetische Träume, und wem sie freiwillig die Zukunft deutet, dem bindet sie Glück ein.
Fürchtegott hätte gern widerstanden und doch wagte er es nicht, um die vagabondirende Familie nicht zu erzürnen. Auch konnte er einer gewissen Neugier nicht Meister werden, durch Vermittelung einer dritten Person den Schleier lüften zu lassen, der die nächste wie die fernste Zukunft ihm verbarg. So entschloß er sich denn, Doretta seine Rechte zu reichen.
Das junge Mädchen betrachtete die Linien lange Zeit aufmerksam, schüttelte den Kopf, zog die Stirn kraus und ließ sie endlich, indem sie dieselbe schnell umkehrte und mit ihren Lippen berührte, ohne ein Wort zu sagen, fallen.
Nun, du schweigst? sagte der Zigeuner, der am Herd auf der Erde lag, den schwarzlockigen Kopf auf den einen Arm stützte und gemächlich seine Pfeife rauchte.
Ist's dunkel, daß du nichts erkennen kannst?
Ich will nicht sprechen, erwiderte Doretta ernst, und begann die Ueberreste der Speisen aufzunehmen.
Sie hat mir wohl nichts Erfreuliches mitzutheilen und darum will sie lieber ganz schweigen, meinte Fürchtegott, der über das sonderbare Betragen des Mädchens bestürzt und auch ein wenig beleidigt war. Doretta will mich strafen, weil ich sie schon früher einmal abgewiesen habe.
Es wäre besser gewesen, gnädiger Herr, Ihr hättet mir damals erlaubt, die Linien Eurer Hand zu betrachten, entgegnete das Mädchen, dann würde sich das Glück, das Euch jetzt über den Kopf wächst, vielleicht in angemessene Grenzen haben bannen lassen.
Alberne Dirne, sagte der Zigeuner, wie mag je auf eines Menschen Haupt zuviel des Glückes herabströmen!
Doretta zuckte die Achseln, trat nochmals zu Fürchtegott, sah ihn scharf und prüfend an und sagte dann:
Ihr werdet Alles erreichen, gnädiger Herr, Alles, was Ihr wünscht, wenn Ihr immer gerecht seid und Euch durch nichts verblenden laßt. Durch helleren Sonnenschein führt nur selten eines Sterblichen Lebensbahn, wie die Eurige. Aber Ihr dürft nicht übermüthig, nicht sicher, nicht glücklich werden im Glücke! Ihr müßt immer vorsichtig bleiben, immer hinter Euch blicken, dürft Euch nie gehen lassen, dürft nie unbedingt Euren Neigungen folgen, sonst bringt Euer Glück Euch um, oder Ihr erstickt in der Fülle des Segens, die sich um Euch häuft. Beherziget immer diese Worte, und Ihr werdet nie Ursache haben, Euch selbst zu beklagen!
Doretta hatte ruhig, gemessen, aber nicht freudig und am allerwenigsten in prophetischem Tone gesprochen. Fürchtegott war verstimmt. Er glaubte dem Mädchen und schalt sie doch im Herzen eine Betrügerin, die von der Gelegenheit Vortheil ziehen und sich für die schnöde Behandlung rächen wolle, die er ihr bei der ersten Begegnung hatte zu Theil werden lassen. Der Doppelsinn, welcher fast allen Prophezeiungen eigen ist, weßhalb sie eben stets in Erfüllung zu gehen pflegen, ängstigte ihn und machte ihn unsicher. Um diese Gedankenqual möglichst abzukürzen, bat er seinen Gastfreund, ihm eine Lagerstatt für die Dauer der Nacht anzuweisen.
Der Zigeuner willfahrte diesem Verlangen mit großer Zuvorkommenheit, indem er den jungen Mann nach dem Verschlage geleitete, wo in der Nähe des Pferdes, das ruhend am Boden lag, ein duftiges Moosbett dem Müden gar einladend winkte. Fürchtegott hörte, daß der Fremde die Thür der Hütte verriegelte, er vernahm noch kurze Zeit ein leises Geflüster, das ab und zu etwas lauter ward und ganz so klang, als ob man Doretta ihrer wunderlichen Worte wegen mit Vorwürfen überhäufe. Endlich verstummte auch dies, und ein fester, völlig traumloser Schlaf entrückte den Jüngling allen Freuden, Wünschen und Täuschungen des wachen Lebens.