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4.

Bei Tische

In dem abgelegenen Winkel einer langen, stillen Straße, die von der offenen und verdeckten Bahn kommt, steht ein altes, großes, baufälliges Haus, das früher einmal grün gewesen sein mag, jetzt aber nur noch ein verkommen schmutziggraues Kleid zur Schau trägt.

Es gebort dem Ackerbürger Strümpel, der früher Offizierbursche war und eine Köchin ehelichte. Dann lieh ihm das Regiment Geld zum Ankauf dieses Hauses, und er konnte in den oberen Räumen seinen Speise- und Ballsaal, mit einigen angrenzenden Zimmern, einrichten.

Unten links wohnte die Familie des Wirts und rechts der Graf Plustra. Hinter dessen Wohnung, nach dem überaus unsauberen Hofe hinaus, lag die von stetem dicken Qualm erfüllte Küche.

Es ist um die Mittagsstunde herum, das heißt so gegen eins, und die unbeweibten Offiziere aller Grade bewegen sich von ihren dienstlichen Beschäftigungen oder von ihren Wohnungen aus nach dem Speiselokal.

Es ist ein langes, niedriges Zimmer von vier Fenstern Front und einem Wandanstrich, dessen Grundfarbe nicht mehr mit Bestimmtheit anzugeben ist. Die Decke ist dunkelgrau von Staub und Tabaksrauch, und die etwas helleren Kurven, welche das Dienstmädchen mit dem Borstwisch zog, beweisen, daß wenigstens die gute Absicht da war, eine Reinigung vorzunehmen. Vor den trüben Fenstern hangen geisterhaft dünne, kurze Gardinen, deren Falten von einer leichten Staubdecke schattiert werden. Die nicht ganz sauberen Dielen haben sich geworfen und gleichen langen, stachen Mulden, zwischen denen breite, dunkle Ritzen gähnen. An der einen Wand steht ein altes, grämliches, schwarzes Sofa, und in der Mitte des Saales ist die Tafel gedeckt, mit verschieden langen, weißen Tüchern belegt, die an der einen Stelle bis auf die Dielen hangen und an einer andern kaum die rohe Platte bedecken.

In der Mitte der Tafel sitzen die Fähnriche und jüngeren Offiziere, nach beiden Enden zu werden sie älter, und an dem einen ist der Platz des alten Obersten von Hollprägel, der mit den Offizieren speist, weil er unverheiratet ist. Das geniert freilich ein wenig; aber es ist zuweilen auch eine wohltätige Beschränkung der Unterhaltung, obwohl der Oberst, ein jovialer, alter Herr, gern sein Witzchen macht und gern ein Witzchen hört. So sehr braucht man demnach nicht die Worte auf die Wagschale zu legen. -

Die Offiziere versammeln sich mit militärischer Pünktlichkeit.

Während der Suppe wird noch nicht viel gesprochen. Ehe der Oberst nicht das Zeichen zur allgemeinen Unterhaltung gegeben hat, flüstert man überhaupt nur miteinander, und niemand wagt eine laute Bemerkung.

Als aber die Teller fortgenommen werden, läßt Hollprägel seine Blicke lächelnd über die Tafel schweifen.

Es ist ein alter Mann in den Sechzigen, mit fast ganz kahlem Kopf, der nur im Genick und an den Seiten mit spärlichem, schlohweißem Haar umrahmt ist, während ein buschiger Schnurr- und Backenbart, von derselben Farbe, das fröhliche rote Gesicht einrahmt, ungefähr wie das des alten Blücher.

»Na, Herr von Paddero. .ow, wie geht's?« rief er, die letzte Silbe unnatürlich verlängernd, mit seiner hohen Diskantstimme, indem er den dicken Offizier freundlich anschmunzelte.

»Danke, untertänigst, ganz gut, Herr Oberst!« entgegnete jener, sich geschmeichelt fühlend.

Nasewitz, der rechts neben seinem Freunde saß, bekam schon wieder jenes unheimliche Zucken um die Mundwinkel, welches immer den unwiderstehlichen Reiz bekundete, ihm einen Schabernack zu spielen. Es war eben eine Krankheit bei ihm geworden, er konnte nicht anders, und wenn der Padderower im Sterben gelegen, würde er ihn vielleicht noch gekitzelt haben, ebenso wie er sein eigenes Leben eingesetzt hätte, den Freund zu retten.

»Was macht das Streitroß?« fuhr der alte Hollprägel fort; »wie heißt es doch? Ich kann den Namen immer nicht behalten.«

»Babie...« begann der kleine Leutnant; in diesem Moment kniff ihm aber Nasewitz unter dem Tisch in den Bauch, und der Padderower stieß die zweite Silbe mit einer solchen Kraft und dabei so unverständlich heraus, daß die ganze Tischgesellschaft einen Schreck bekam.

»Nun!« krähte der alte Oberst; »was ist Ihnen denn... weshalb schreien Sie denn so... glauben Sie vielleicht, daß ich nicht hören kann?«

Padderow warf einen wütenden Blick auf Nasewitz, den dieser mit einer Gleichmutsmiene ertrug, als wenn er gar nicht wüßte, was vorgefallen wäre.

»Babie heißt er?« sprach Hollprägel weiter; »ich denke, es kam hinten noch was d'ran... Sie haben wohl seinem Namen den Schwanz abgeschnitten?«

»Kennen der Herr Oberst die Geschichte mit dem Windmühlenflügel?« fragte der Premierleutnant von Kreidefleck mit lieblichem Lächeln und einem Ton, als wenn er eine militärische Meldung machte.

»Nein«, kopfschüttelte der Kommandeur; »wie war denn das?«

»Herr von Padderow ist einmal durch eine gehende Windmühle geritten«, berichtete Kreidefleck in demselben Ton weiter; »und da hat ein Flügel den Babieca hinten gestreift... deshalb dreht er jetzt immer so mit dem Schwänzchen.«

Die Geschichte machte keinen Eindruck, weil man den Premierleutnant trotz seiner lieblichen Freundlichkeit nicht leiden konnte, und auch der Oberst wandte sich von ihm ab, ohne ein Wort zu erwidern.

»Wollen Sie 'ne Flasche Rotwein mit mir trinken?« fragte gerade in einem Moment allgemeiner Stille der lange blasierte Leutnant von Sponeck in seinem näselnden Ton, den ihm gegenübersitzenden Fähnrich von Klötersdorf.

Der semmelblonde, nicht sehr hochbegabte Mensch, der erst kürzlich zum Regiment gekommen war, wurde feuerrot und schätzte es sich zur großen Ehre.

Der Wein kam, Sponeck schenkte sich ein, vergaß aber dem Fähnrich denselben Dienst zu leisten; dann nippte er am Glase, schnitt ein Gesicht, als wenn es ihm nicht geschmeckt hätte, und ließ die beinahe volle Flasche stehen, ohne daß der arme Klötersdorf ein einziges Glas bekommen hätte. Bezahlen mußte der natürlich doch seine Hälfte, während die von Sponeck auf Rechnung gesetzt wurde.

»Geben Sie mir ein Viertel!« erwachte der »alte Graf«, der gewöhnlich das nachmachte, was ein anderer ihm vortat, aus seinem Traum.

»Sie waren ja wohl 'mal in Italien, Graf Schwülenberg?« lenkte der Kommandeur jetzt sein Interesse auf diesen.

Der Offizier besann sich eine Weile, als wenn er es nicht mehr recht genau wüßte.

»Ja«, erinnerte er sich dann... »in Italien war ich 'mal, Herr Oberst...«

»Na, wo denn da?...« fragte jener weiter; »erzählen Sie doch ein bißchen... wie weit sind Sie denn gekommen?«

Der alte Graf kratzte sich den Kopf und machte ein Gesicht, als wenn ihm die Geschichte nicht recht klar wäre.

»Oh...« fing er dann endlich an... »ich bin da überall 'rumgekommen, Herr Oberst.«

»Wissen der Herr Oberst nicht, daß er ein Tagebuch über die Reise geführt hat?« fragte Nasewitz mit einem eigentümlichen Lächeln.

»I, sehen Sie 'mal«, krähte Hollprägel; »also Schriftsteller sind Sie auch? - Kann man das Tagebuch vielleicht zu sehen bekommen?«

Der alte Graf lächelte still vor sich hin und antwortete nicht.

»Die ganzen Reiseerinnerungen stehen auf einer Oktavseite«, ergänzte Nasewitz.

»Das ist freilich nicht viel«, meinte Hollprägel; »was hat er denn eigentlich geschrieben?« »Geschrieben hat er gar nichts, Herr Oberst.«

»Nun, was hat er denn sonst gemacht?«

Der alte Graf lächelte noch seliger vor sich hin, als wenn er in recht süßen Bildern schwelgte.

»Das Tagebuch besteht in den Namen der Städte, die er besucht hat«, entgegnete Nasewitz, »und neben diesen Namen stehen Kreuze... wenigstens bei den meisten... oder war es bei allen, Schwülenberg?«

»Ach...« schüttelte dieser mißbilligend den Kopf; »bei allen... das wäre ja noch schöner...«

»Bei Venedig, glaube ich, stehen drei«, lächelte Nasewitz.

»I... nein... sollten es nicht vier gewesen sein?« belebte sich der alte Graf ein bißchen.

»Ja,ich begreife aber gar nicht...«, krähte der Oberst.

»Oder waren es doch nur drei...«,senkte Schwülenberg den Kopf wieder auf die Brust.

Man sah es Nasewitz an, daß er sich an der Situation ergötzte.

»Wenn Padderow eine Reise machte, würde er sie ganz anders beschreiben«, blickte er seinen Freund an.

»Wieso?« fragte dieser empfindlich.

»Du würdest gar keine Kreuze machen, alte Seele.«

Alle Augen waren jetzt auf den dicken Offizier gerichtet, der sich in der unbehaglichsten Lage zu befinden schien, als der alte Graf, der wieder vor sich hingeträumt, plötzlich Nasewitzens Bemerkung verstand.

»Ne... hahaha... ne... hahaha...« freute er sich, daß er ordentlich wackelte; »der Padderow... ne... hahaha... der Padderow... der würde gar keine...«

Hier verstummte aber seine Heiterkeit wieder, wahrscheinlich weil es ihm aus dem Kopf gekommen war, worüber er eben gelacht hatte.

Der Oberst schmunzelte, die anderen Offiziere schmunzelten auch, und Padderow warf einen wütenden Blick auf Nasewitz, welcher denselben mit einem Gleichmut hinnahm, als wenn gar nichts vorgefallen wäre.

Der Premierleutnant von Kreidefleck dachte über eine Bemerkung nach, die er militärisch melden wollte, aber er fand keine.

Herr von Sponeck sah aus, als wenn er an der Unterhaltung gar keinen Anteil genommen, und der Fähnrich von Klötersdorf schielte sehnsüchtig nach der Flasche Rotwein, aus der er sich nicht einzuschenken wagte.

Unterdessen wurde Rindfleisch mit Kartoffeln herumgegeben. Es schmeckte aber auch den Offizieren ordentlich; sie hieben ein, daß es eine Lust war, mitanzusehen, die Kinnbacken kauten, Messer und Gabel klapperten, die Mostrichbüchsen wanderten von Hand zu Hand, und als der letzte Bissen hinunter war, hatten alle Wasser in den Augen.

Padderow hatte auch Wasser in den Augen; aber er sah noch immer wütend aus.

»Ich muß ihn wieder gut machen«, dachte sein langer Freund; »sonst faßt er Mißtrauen zu mir, und das könnte meinem Plane schaden.«

»Rieke!« flüsterte er dann dem vorbeigehenden Mädchen zu; »eine Flasche Rotwein und zwei Gläser.«

Das Verlangte kam, Nasewitz schenkte die beiden Gläser voll und schob eines dem Padderower hin.

Dieser behielt anfangs noch sein barsches, böses Gesicht bei und wendete den Blick sofort von dem Wein ab.

Aber es schien ein Magnet in dem Getränk zu liegen, denn so fest er auch sein wollte, so konnte er es doch nicht unterlassen, ab und zu ein wenig hinzublinzeln.

Nasewitz hatte Viertelgläser geben lassen, weil er wußte, daß sein dicker Freund die weit lieber hatte als die »lächerlichen« Achtel, wie er sich ausdrückte.

Das war ja kaum für den hohlen Zahn, kaum des Anfangens wert, und einmal hatte Padderow aus Scherz einen Bindfaden ans Glas gebunden, damit er es nicht aus Versehen mit hinunterschluckte.

So ein Viertelchen schaut einem aus ganz anderen Augen an, wie ein Achtel.

Seine dunkle Glut ist viel verlockender, verheißender; es verspricht zu sättigen, anstatt nur zu reizen.

Die Pausen, in denen Padderow wieder vom Glase fortblickte, wurden immer kleiner, und zuletzt sogen die Augen sich förmlich fest an der rubinfarbigen Flüssigkeit.

Nasewitz sah ihm mit stillem Vergnügen zu.

Des dicken Nachbars Antlitz begann sich aufzuheitern, in der ungeschickten Nase zuckte es, als wenn sie die Blume des edlen Weines schlürfen wollte, die durstige Zunge konnte es nicht mehr aushalten in ihrem dunklen Raum und kam hervor und leckte leis die Lippen und den dünnen Bart, dann legte sich die ritterliche Rechte auf den Tisch und kroch langsam immer näher, immer näher. Jetzt war der innere Widerstand gebrochen und Nasewitz verbeugte sich: »Darf ich Euch bitten, einen Humpen mit mir zu leeren, edler Ritter?« fragte er lächelnd, indem er das eigene Glas ergriff.

Padderows Widerstand war nun vollständig überwunden; auch er faßte den Humpen, nickte seinem Nachbar würdevoll zu, und goß dann den dunklen Wein bis auf den letzten Tropfen in die dunkle Kehle.

Nasewitz folgte natürlich seinem Beispiel.

»Na, Gott geb' Gnade!« krähte der alte Hollprägel; »wohl bekomm´s Ihnen, Herr von Paddero...ow!«

»Danke sehr, Herr Oberst!« verneigte sich der kleine Offizier, indem er sich den Schnurrbart ableckte.

»Sie waren wohl heute noch nicht in der Giftbude bei dem dicken Schleckmann?«

»Nein, Herr Oberst!«

»Aber in der Lebensversüßungsanstalt beim Konditor Schlichter?« kniff Hollprägel pfiffig das linke Auge zu.

Der dicke Premierleutnant von Ströllpitz, ein Mann von fünfzig Jahren, welcher sonst nur selten sprach, glaubte in dieser Bemerkung seines Vorgesetzten einen Witz zu erkennen, den zu belachen er für seine dienstliche Pflicht hielt.

»Hähähähä!« legte er daher, gleichsam als Signalangeber für die anderen, los, indem er einen ganz roten Kopf bekam und mit dem Bauche wackelte.

»Hahaha... hahaha...hahaha...« lachte der Chor der übrigen Offiziere nach.

»Ha... haha... haha!...« kam der Premierleutnant von Kreidefleck allein hinterher, um noch einen ganz besonderen Diensteifer an den Tag zu legen.

Obgleich der Oberst ein kluger Mann war, amüsierte ihn die Anerkennung doch, und er machte ein vergnügtes Gesicht.

»Haben Sie die neue Nymphe schon wieder erobert, Herr von Padderow?« nickte er weiter.

»Er hat ihr mindestens schon zehnmal alle Schätze Arabiens zu Füßen gelegt«, antwortete für den Gefragten der Leutnant von Rührbrägen, ein junger, bartloser Offizier, der stets lustig war und fortwährend sang, wo er nur irgend konnte.

Es war nämlich ein Ereignis für Hasenbalg, wenn eine neue Mamsell zum Konditor Schlichter kam; denn in jenem Lokal wurde von verschiedenen Offizieren und Zivilisten nach der Ressource noch der sogenannte Nachtklub gefeiert, dessen Mittel- und Brennpunkt natürlich die Konditoreimamsell war. Man übte an ihr seine Galanterie, und die Fähnriche erhielten durch sie gewöhnlich die ersten unklaren Begriffe und Gefühle der Liebe.

»Ich denke, die Schätze Arabiens haben Sie bereits der Johanna Strittmann angeboten, Herr von Paddero...ow?« setzte der Kommandeur die Unterhaltung fort; »Sie sind wohl jetzt ausnehmend gut bei Kasse?«

Der dicke Offizier fühlte sich durch die letztere Äußerung sehr unangenehm berührt, weil er nicht klar wußte, ob sie eine zufällige oder eine anspielende sein sollte.

»Es ist nur eine galante Phrase von ihm, Herr Oberst«, antwortete wieder der Leutnant von Rührbrägen.

»Na ja; er meint es nicht so schlimm ... ich weiß es ja«, lachte Hollprägel; »ist denn diese Johanna Strittmann wirklich solch originelles Frauenzimmer?«

»Darüber kann Ihnen der Herr Leutnant von Nasewitz die beste Auskunft geben, Herr Oberst«, erwiderte der Premierleutnant von Kreidefleck; »das ist ihr begünstigter Verehrer.«

»Und Sie werden nicht eifersüchtig auf Herrn von Paddero...ow?« fragte Hollprägel den Betreffenden.

»Auf Herrn von Padderow ist noch kein Mensch eifersüchtig gewesen«, lachte Herr von Rührbrägen.

»Wollen wir eine Flasche Rotwein zusammen trinken, Schwülenberg?« fragte der ewig zerstreute und blasierte Sponeck, der unterdes längst vergessen hatte, daß er bereits mit dem Fähnrich von Klötersdorf engagiert war.

Der alte Graf erwachte aus seinem Traum und kratzte sich den Kopf.

»Ja«, sagte er, in seiner Erinnerung suchend ... »mir ist eigentlich, als wenn ich schon etwas getrunken hätte ... oder habe ich doch noch nichts getrunken?«

Damit versank er wieder in Nachdenken und der lange Sponeck vergaß die ganze Geschichte überhaupt.

»Sind Sie auch schon beim Konditor Schlichter gewesen, Fähnrich?« wandte sich der Kommandeur an diesen.

Der blonde Klötersdorf, welcher sich nicht durch bedeutende geistige Fähigkeiten auszeichnete, bekam einen solchen Schreck über die unerwartete Anrede des hohen Vorgesetzten, daß er purpurrot im Gesicht wurde und keinen Ton hervorbringen konnte.

»Der ist zu blöde, Herr Oberst ... der getraut sich an kein weibliches Wesen heran«, entgegnete Nasewitz.

»Na ... und der andere Fähnrich?« blickte Hollprägel auf einen Herrn von Strammin, der mit Klötersdorf zusammen zum Regiment gekommen war.

»Der ist ganz ebenso«, sagte Nasewitz; »sie wohnen beide auf einem Flur im weißen Schwan.«

»Das ist recht, Kinder«, nickte der Kommandeur; »bleibt nur so... vermeidet die Szylla... und die Charybdis auch... Ihr wißt doch, was die Charybdis ist?«

»Hähähähä!« lachte der Premierleutnant von Strollpitz los, weil er sich der Ansicht hinneigte, daß der Oberst einen Witz gemacht habe.

Die anderen Offiziere aber lachten nicht nach, weil sie vom Gegenteil überzeugt waren, nur Herr von Kreidefleck glaubte es dienstlich nicht unterlassen zu dürfen, sein »ha...haha... haha« in drei Tempos draufzusetzen.

Der Kommandeur schüttelte unwillig den Kopf.

»Ich setze voraus, daß Ihr gelernt habt, was die Charybdis war«, sagte er mit einem Seitenblick auf Ströllpitz und Kreidefleck; »ich fragte nur, ob Ihr wüßtet, was ich damit meine.«

»Nein, Herr Oberst!« sagten schüchtern die beiden Fähnriche.

»Dann will ich es Euch erklären, Kinder... hier wohnt nämlich jenseits unseres Flüßchens eine Frau von Mohrenstolz mit zwei Töchtern, Molly und Charlotte... da geht nicht hin... das ist nichts für junge Leute...«

»Ja! da will ich doch 'mal wieder hingehen«, erwachte der alte Graf; »Plinker hat seine Pfeife da stehen ... das ist sehr gut, wenn man seine Pfeife... oder ist es meine Pfeife... ich weiß wirklich nicht, ob es seine Pfeife oder meine Pfeife ist...«

Damit kratzte er sich den Kopf und versank wieder in Nachdenken.–

»Es werden wohl alle beide Pfeifen sein!« sagte der Oberst vor sich hin.

Der Leutnant von Plinker, ein schmaler, stiller Mensch, blickte verlegte auf seinen Teller. Nun wurden Erbsen und Sauerkohl mit Pökelfleisch herumgereicht, ein sehr beliebtes Essen, das die Unterhaltung für zehn Minuten unterbrach.

Nachher sprach man noch darüber, ob die Schauspieler wohl diesen Winter kommen würden, die Truppe der kleinen buckligen Frau Popps, welche in dritter Ehe den versoffenen Heldenspieler Kloppey geheiratet hatte. Die ganze Gesellschaft bestand eigentlich nur aus der Familie Popps, das heißt aus der Nachkommenschaft der buckligen Frau von ihren drei Männern, deren verschiedene Namen einige Abwechselung in den Theaterzettel brachten. Die dicke Emilie und die dünne Therese, aus der zweiten Ehe, repräsentieren die tragische und heitere Liebhaberin, und beiden machte der Ritter von Padderow in ehrsamer Minne den Hof.

Als der Oberst zeitig aufbrach, was er stets tat, um nicht länger zu genieren, verließen auch die Offiziere, welche Dienst hatten, den Speisesaal; die anderen rückten näher zusammen und steckten sich ihre kurzen Pfeifen oder die damals noch selteneren Zigarren an.

Die Unterhaltung kam noch einmal auf die Familie von Möhrenstolz zurück. Die Mutter der beiden bereits genannten Töchter war eine geborene Schnorchert, hatte dann in erster Ehe einen Gutsbesitzer Hitte geheiratet und war, als dieser sich von ihr scheiden ließ, zu ihren Eltern nach Hasenbalg zurückgekehrt, wo selbige eine Lohmühle besaßen. Spater verirrte sich einmal ein bildhübscher, hannöverscher Offizier nach unserm Städtchen, bekam auf einem Ball die Witwe Hitte zu sehen und verliebte sich dermaßen in ihre majestätisch junonische Gestalt, daß er sie heiratete. -

Er zog mit ihr in die Lohmühle und man hat ihn seitdem nicht wieder gesehen. - Die Leute sagten, er sei bald darauf krank geworden, weil er die Fülle seines Liebesglückes nicht habe ertragen können ... wer kann das wissen... sicher ist nur, daß sie ihn nach einem Jahr hinausfuhren nach dem stillen Kirchhof vor dem Tor. - Da lag er nun bei dem Beginn unserer Geschichte schon manches Jährchen; seine Witwe war unterdes zu einer Fünfzigerin herangewelkt, obgleich sie noch immer eine schöne Frau genannt werden konnte, und die beiden Töchter aus der ersten Ehe standen im blühenden Alter der Jungfräulichkeit.

Molly, die älteste, hatte ebenfalls einen prachtvollen Wuchs, schwarzes Haar, ein feines Gesicht und dunkle, lockende Augen, die sie trefflich zu brauchen wußte. Sie spielte stets das ganz unwissende, naive Mädchen, und hatte es dabei faustdick hinter den Ohren.

Die zweite, Charlotte, besaß auch die große, stattliche Figur der Mutter, war aber nicht hübsch und schielte ein wenig. Das war ein gutes, unverdorbenes Mädchen, wenigstens soweit sich dies in ihrer Situation ermöglichen ließ.

Der alten Möhrenstolz sagte man schlimme Dinge nach; von Molly wußte man eigentlich nur, daß sie kokett war und um jeden Preis einen Mann haben wollte; Charlotte hätte auch wohl gern geheiratet, wie die meisten Mädchen; aber sie warf keine Netze aus wie ihre Schwester. -

Obwohl nun die Familie Möhrenstolz nicht im allerbesten Geruch stand, so gehörte sie doch zu den ball- und gesellschaftsfähigen Honoratioren von Hasenbalg, und unter dem Schutz dieses Rechts lud sie denn auch jeden frisch angekommenen Fähnrich oder Leutnant ein, sie zu besuchen.

Dabei verfolgte sie natürlich keinen anderen Zweck, als ihre Töchter unter die Haube zu bringen; mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln, die ihr zu Gebote standen.

Da waren schöne, warme, mit Wohlgerüchen geschwängerte Zimmer... beim Souper gab es feurigen Wein... nachher lud die kindliche Molly ein, neben ihr Platz zu nehmen auf dem schwellenden Diwan... und die Mutter wurde abgerufen zu einem häuslichen Geschäft... und Charlotte spielte im Nebenzimmer »die Aufforderung zum Tanz«... und draußen rauschte geheimnisvoll die Hase und knarrten die Wasserräder der Lohmühle... und dennoch und trotz alledem hatte bis jetzt nur der Leutnant von Plinker seine Pfeife dort stehen, von welcher der alte Graf nicht genau wußte, ob es die seine wäre. Vielleicht hatte er früher eine dort stehen gehabt.

Weiter waren die intrigante Baronin und die kokette Molly also noch nicht gekommen. Am Anbieten ihrerseits hatte es gewiß nicht gelegen; denn sie waren die liebenswürdigsten Wirtinnen, die man sich denken konnte... aber man hatte vielleicht nicht verstanden... oder nicht verstehen wollen... vielleicht kam es den betreffenden Herren auch nur auf die Unterhaltung oder auf das Abendbrot an... genug, die Jagd war bis jetzt vergeblich gewesen, wurde jedoch mit ungeschwächtem Eifer fortgesetzt.

»Du hast vorhin eine recht unpassende Bemerkung gemacht, alter Graf«, sagte Nasewitz.

»Wieso?« erwachte jener aus tiefem Sinnen.

»Als der Oberst den beiden Fähnrichen riet, nicht zu Möhrenstolz zu gehen, erzähltest du ganz gemütlich, daß du sie auch nächstens wieder besuchen würdest.«

»Ja, das werde ich auch tun«, nickte der alte Graf, ohne den Vorwurf verstanden zu haben; »die Molly ist so komisch... neulich erzählte sie mir... neulich erzählte sie mir...«

»Na, was erzählte sie denn?« fragte Rührbrägen, ungeduldig und die Augen zukneifend, weil Schwülenberg eine Pause machte, die ewig zu werden drohte.

»Sie sagte, mann nennte sie jetzt »die Überflüssigen«, weil sie über dem Flusse wohnen«, beendete dieser seine Geschichte.

»Hähähä!« lachte Ströllpitz, der sich einbildete, der Oberst habe den Witz gemacht; dann besann er sich aber eines Besseren, ärgerte sich und blickte grimmig auf den alten Grafen, der schon wieder an ganz etwas anderes dachte.

Die Unterhaltung schien darauf ins Stocken geraten zu wollen, als sich die Tür öffnete und der Graf Plustra eintrat, der unten die eine Parterrewohnung innehatte.

Besagter Graf behauptete, aus Griechenland zu stammen, obgleich das nicht mit Sicherheit nachzuweisen war; sein Vater und Großvater hatten in preußischen Diensten gestanden, und seine verstorbene Mutter war eine Engländerin gewesen. Mit dem ihm zugefallenen Erbteil der letzteren hatte er einige Jahre lang eine glänzende Rolle bei einem Garde-Kavallerie-Regiment in Berlin gespielt, die jedoch aber leider damit endete, daß er ohne einen Groschen Vermögen zum Hasenbalger Dragoner-Regiment versetzt wurde. Plustra war übrigens nach damaligen Begriffen ein gebildeter Mensch, obgleich er ein bißchen mehr aus sich machen wollte, als eigentlich daran war. Er rühmte sich, fertig Französisch, Englisch und Italienisch zu sprechen, und das wurde auch allgemein geglaubt; als aber eines schönen Tages ein kleiner Savoyard mit einem Murmeltier durch die Straßen von Hasenbalg ging, und Plustra aufgefordert wurde, mit ihm zu sprechen, brachte er nichts heraus als »Como la va?« - Und als der kleine Savoyard ihm darauf mit blitzenden Augen eine lange Geschichte erzählen wollte, wurde unser Graf sehr verlegen, schenkte ihm einen Silbergroschen und entfernte sich schleunigen Schrittes. Das stand aber jedenfalls fest, ein ausgezeichneter Reiter war er, ein ebenso guter Schütze, ein riesenstarker, aber was das allerbeste war, ein so seelenguter Mensch, wie man ihn nur selten antrifft. Seine Gutmütigkeit artete freilich in Schwäche und Leichtsinn aus, und diesen beiden Eigenschaften ist er auch später zum Opfer gefallen.

Obgleich das Hasenbalger Offizierkorps ein sehr wenig bemitteltes war, so war Graf Plustra entschieden der ärmste unter allen; denn das bißchen bare Geld, was er von seinem Gehalt herausbekam, verläpperte er im kleinen Spiel, und wenn eine nötige Ausgabe kam, dann hatte er nichts mehr und mußte borgen, so daß ihn überall der Schuh drückte.

Trinken tat er gar nicht und rauchen wenig; es konnte sich niemand entsinnen, jemals gesehen zu haben, daß er sich eine ganze Zigarre angesteckt habe; sondern wenn er in ein Lokal kam, grabbelte er sich aus der Brusttasche seines Uniformrockes einen gewöhnlich kurzen Stummel heraus, steckte ihn an und sog einen furchtbar langen Zug ein, ohne jedoch den Rauch wieder von sich zu blasen. Nach einer Viertelstunde aber begann er dann aus Nase, Ohren und Mund zu dampfen, wie eine chinesische Räuchermaschine. - Mit einem solchen Stummel saß er die ganze Nacht am Spieltisch, und wenn er nach Hause ging, steckte er ihn zum letzten Male an.

Seit zwei Jahren hatte sich nun Graf Plustra mit einem ganz armen Mädchen verlobt, Georgina Reiher, deren Vater Arzt in Hasenbalg gewesen und seiner überlebenden Witwe und Tochter nichts hinterlassen hatte als eine Pension von dreihundert Talern, womit selbst in jenen Zeiten und in einem Nest wie Hasenbalg keine Sprünge zu machen waren. Die beiden Frauen bewohnten denn auch ein kleines Quartier und lebten so zurückgezogen, daß man kaum von ihnen sprach, ehe Plustra sich mit der Tochter verlobt hatte.-

Diese war eigentlich nicht gerade hübsch zu nennen; aber sie imponierte durch eine große, auffallend schlanke, wenn auch magere Gestalt. Vom Kopf bis auf die Taille hinab floß eine seltene Fülle hellblonden, seidenweichen Haares und aus dem bleichen Antlitz und den blauen Augen sprach etwas so Vergeistigtes, beinahe Überirdisches, daß man das Mädchen gar nicht ansehen konnte, ohne an den Tod zu denken. Wenn sie im weißen Kleide auf dem Ball erschien, mit weißen Rosen im blonden Haar, dann schwankte man, ob man sie für einen Engel halten sollte oder für eine Leiche, die eben dem Sarge entstiegen.

Die Mutter, eine ganz einfache Frau, hatte erst die Verlobung nicht zugeben wollen, und das war gewiß sehr vernünftig von ihr; aber die poetische, vergeistigte Georgina liebte die fremdländische Gestalt und den abenteuerlichen Sinn ihres Anbeters... und dann die Aussicht, Gräfin zu werden... die einzige Gräfin in Hasenbalg ... mein Gott, wer will es einem schwachen Mädchenherzen verdenken, wenn es sich dadurch betören und bestricken ließ.

Graf Plustra hatte zwei reiche unverheiratete Tanten in Irland, Schwestern seiner verstorbenen Mutter, die er von Rechts wegen hätte beerben müssen; an die wandte er sich mit der Bitte, durch eine jährliche Rente seine Verheiratung zu ermöglichen. Die hocharistokratischen Damen aber, deren Plan es war, ihn eine Engländerin ehelichen zu lassen, widersetzten sich seiner Verbindung mit der kleinbürgerlichen Georgina Reiher auf das hartnäckigste, bis endlich Plustra selbst nach Irland ging und durch seine persönliche Liebenswürdigkeit den alten Damen jährlich sechshundert Taler abdrückte. Von dieser Reise erst vor vier Wochen zurückgekehrt, wurden nun die Vorbereitungen zur Hochzeit emsig betrieben, die bereits binnen kurzem stattfinden sollte.

Sechshundert Taler und das knappe Gehalt dazu war natürlich auch nicht viel; aber doch immer noch besser, als wenn man hätte warten müssen, bis Plustra Rittmeister oder, was damals gleichbedeutend damit war, ein alter Mann geworden wäre.

Eine Wohnung war bereits gemietet, die Möbel unterwegs, die Aussteuer an Wäsche usw. sauber im Kasten, und man wartete nur noch die Beendigung des dreimaligen Aufgebots ab, um den Tag der Hochzeit festzustellen.

Graf Plustra war eine hohe, schlanke Gestalt; aber er hielt sich nicht gerade und hinkte gewöhnlich, weil ihn immer die Stiefel drückten; sein Kopf war südländisch dunkel und vornehm, das schwarze Haar, nicht militärisch kurzgeschnitten, fiel in lockiger Genialität herab, das Auge blickte feurig, und ein voller Schnurr- und Backenbart vervollständigte das interessante Bild unserer neuen Bekanntschaft.

Wenn Graf Plustra sich recht elegant gekleidet hätte, würde er eine seltne hübsche Erscheinung gewesen sein; aber das tat er leider nicht; er trug die ältesten Sachen und hatte nur in den ausnahmsweisesten Fällen einen abgebürsteten Rock.

Das Eintreten des späten Gastes, der bereits seit längerer Zeit bei seiner künftigen Schwiegermutter zu Mittag und Abend aß, belebte die schon etwas schlaff gewordenen Gemüter.

» Guten Tag, Plustra!« rief ihm der romantisch verwandte Padderow entgegen. »Wie geht's; ich dachte eigentlich, man würde Euch zum König von Irland ausrufen, dann hättet Ihr mich mit einer Grafschaft belehnen können.«

Der Graf nahm lächelnd Platz, holte einen Zigarrenstummel aus der Brusttasche seines unabgebürsteten Rockes, zündete ihn an, sog eine Masse Rauch ein und legte dann das Fragment neben sich auf den Tisch.

»Ich habe Euch dazu vorgeschlagen, Padderow«, entgegnete er dann; »weil Ihr entschieden besser repräsentieren würdet, als ich.«

Die lebhafte Phantasie des dicken Offiziers fühlte sich wirklich geschmeichelt durch die neckende Bemerkung des Grafen und er warf sich noch stolzer in die Brust, als er es gewöhnlich schon tat.

»Ich empfinde allerdings einen gewissen Beruf in mir, die unterdrückte Urbevölkerung vom Joch der englischen Schachernation zu befreien«, renommierte Padderow; »wenn ich unser Regiment mitnehmen könnte, bin ich überzeugt, daß Irland in wenigen Wochen frei sein würde.«

»Da habe ich nämlich in der Zeitung gelesen«, fing der alte Graf an, »daß in Irland bei den Wahlen... da geht es nämlich teufelmäßig bunt her... da kommen sie zum Beispiel... und dann... und dann... es ist wirklich eine tolle Geschichte...«

»Hast du das auch gelesen, Ströllpitz?« fragte Nasewitz mit sarkastischem Lächeln.

»Nein!« machte dieser ein wütendes Gesicht, »mit solchem Unsinn befasse ich mich nicht... ein guter Soldat soll sich um seinen Dienst kümmern, aber seine Kraft nicht mit Lappalien zersplittern.«

Graf Plustra fing jetzt an, aus Augen, Nase und Ohren zu dampfen, was ihm ein außerordentlich angenehmes Gefühl zu sein schien.

»Na!« redete ihn Nasewitz an; »wie lange dauert es denn nun noch, bis Hochzeit gemacht wird?«

»Vierzehn Tage können wohl noch darüber hingehen«, schmunzelte der Graf; »je näher man ans Ziel kommt, desto länger wird einem die Zeit.«

»Kannst wohl gar nicht den Moment erwarten, wo du bloß ein halber Soldat wirst?« blickte der Premierleutnant von Ströllpitz ihn mißbilligend an.

»Wieso?« fragte jener.

»Weil du dein Herz teilen mußt zwischen dem königlichen Dienst und der Frau«, ereiferte sich der alte Offizier; »zween Herren kann man nicht dienen, im besten Fall werden die beiden Hälften gleich verteilt; dann bist du aber immer nur ein halber Soldat und ein halber Ehemann; weil du aber zuerst Soldat warst, deshalb kann Seine Majestät dich auch ganz verlangen. Gewöhnlich bekommt aber die Frau die größere Hälfte.«

»Und damit ist das Frauchen noch nicht einmal zufrieden«, lächelte der Premierleutnant von Kreidefleck in seiner unangenehmen Art.

»Verdenke ich ihr auch gar nicht«, fiel Nasewitz ein; »jedes Mädchen kann einen ordentlichen und vollständigen Mann verlangen; nicht wahr Padderow?«

Der dicke Offizier sah aus, als wenn er sich ärgerte. -

»Wenn sie das verlangen will, dann muß sie einen Zivilisten heiraten, aber nicht einen Soldaten!« brauste Ströllpitz auf; »ein Soldatenliebchen darf nicht zu gefühlvoll sein und muß sich von vornherein an den Gedanken gewöhnen, daß sie ihren Mann nicht für immer gepachtet hat. Wenn der König ruft, muß sie ihn mit Freuden ziehen lassen und ihm nicht das Herz schwer machen mit Tränen und Seufzern. - Ich habe es stets gesagt, und ich bleibe dabei: wer mit Lust und Liebe Soldat sein will, lasse das Heiraten bleiben, denn sein militärischer Wert verliert dadurch.« -

»Oder es müßte wenigstens befohlen werden, daß ein Offizier nur ein Offizierstöchterchen heiraten dürfte«, bemerkte Herr von Kreidefleck, »die wachsen in militärischen Verhältnissen auf und finden sich leichter in ihre Lage.«

»Seien die Herren überzeugt«, sagte Graf Plustra ernst, »daß ich derselbe bleiben werde, nach wie vor.«

Ströllpitz hatte schon einen ganz roten Kopf und ganz glühende Augen vor dienstlicher Passion.

»Mag ja sein«, eiferte er weiter; »ich für meine Person kann es mir nicht denken. Für eine einzige Sache kann sich der Mensch nur interessieren und das ist bei mir der königliche Dienst; der steht hoch obenan, nachher kommt erst alles andere.«

»Da ist wohl unser Oberst dein Ideal?« fragte der Leutnant von Rührbrägen.

»Ja, das ist er allerdings«, schwang sich der alte Offizier zum höchsten Enthusiasmus empor; »das ist ein Soldat, wie er im Buche steht. - Donnerwetter! Wißt Ihr noch, wie wir ihn eben gekriegt hatten und er zum erstenmal vor dem Regiment hielt? - Es war noch ein bißchen unruhig in den Gliedern, und da wurde er gleich bitterböse und schrie mit seiner hohen Stimme: Ich bitte mir Ruhe aus! Kein Herrgott darf donnern lassen, wenn ich »Stillgesessen« kommandiert habe.«

»Nachher ließ er aber zufällig doch donnern!« sagte Nasewitz ironisch.

»Ja!« erwachte der alte Graf aus seinem Traum, »und da riß sich der Oberst den Tschako vom Kopf... und schmiß ihn an die Erde... und dann... und dann...«

»Und dann jagte er wie ein Wahnsinniger nach der Stadt und ließ das Regiment draußen stehen«, brachte ihm Nasewitz seinen Satz zu Ende.

Ströllpitz blickte böse vor sich hin, weil er nicht wußte, was er darauf erwidern sollte.

»Ein bißchen übertreiben tut er allerdings«, meinte Graf Plustra.

»Übertreibung muß aber sein«, begann Ströllpitz von neuem; »etwas nachlassen tut alles, und dann bleibt nachher das Richtige übrig.

Nasewitz, dem die Unterhaltung nicht mehr zu gefallen schien, stand auf.

»Kommst du mit, Padderow?« wandte er sich an diesen.

Der Dicke stimmte zu, und beide verließen den Speisesaal.

Als sie schweigend eine Weile nebeneinander gegangen waren, blickte Padderow zu wiederholten Malen auf seinen Freund, als ob er etwas auf dem Herzen hätte, das er gern sagen möchte.

»Was ist Euch, edler Ritter?« fragte der andere, es bemerkend; »Ihr seht mich ja so liebevoll an, als wenn Ihr mir einen Kuß geben wolltet.«

»So?« verfinsterte Padderow seine Züge; »das war allerdings nicht meine Absicht!«

»Ah... solltet Ihr mir böse sein?«

»Leider muß ich das manchmal«, grollte der Dicke weiter; »Ihr begeht manchmal Handlungen an mir, die mich an Eurer Aufrichtigkeit zweifeln lassen...«

»Oh...oh!...«

»Gewiß und wahrhaftig... Ihr redet Euch zwar immer heraus. - Ihr beweist mir auch oft Eure wahre und uneigennützige Freundschaft... aber ich kann mir nicht helfen... manchmal kommt es mir vor, als wenn Ihr boshaft gegen mich wär't.«

» Es kommt Euch aber nur so vor, wackerer Kämpe.« -

Der dicke Offizier konnte sich noch immer nicht beruhigen.

»Nasewitzer!« blickte er nach einer Weile wieder auf; »der Tag, an dem ich Euch falsch erfände, würde ein entsetzliches Ende nehmen.«

»Wie könnt Ihr Euch nur mit solchen Gedanken tragen... ich begreife gar nicht...«

»Einer von uns beiden müßte blutend zur Erde sinken«, fuhr der dicke Leutnant fort; »ich würde Euch mit größter Seelenruhe niederschießen.«

»Nein!...« entgegnete der andere; »so könnte ich nicht gegen Euch sein... bei Gott, das könnte ich nicht... ich würde jedenfalls an Euch vorbeischießen... obgleich das nicht ganz leicht ist.«

Des Padderowers Groll schien zu schmelzen; denn seine Züge nahmen einen weicheren Ausdruck an, und nachdem er noch eine Zeitlang vor sich hinsimuliert, legte er plötzlich seinem Freunde die Hand auf den Arm und fragte in bereits sehr gemildertem Vorwurf:

»Nasewitzer... seid offen... sagt es mir ganz aufrichtig...«

»Was soll ich Euch sagen, Padderow... meine Seele liegt vor Euch wie ein aufgeschlagenes Buch.«

»Weshalb habt Ihr mir vorhin in den Bauch gekniffen, Nasewitzer?« –

»Ich hätte Euch in den Bauch gekniffen?« entgegnete der andere mit gut gespieltem Staunen; »wann sollte denn das geschehen sein?«

»Ach... Ihr wißt es ja... als der Oberst mich fragte, wie mein Pferd hieße...«

»Ach, als Ihr so schrieet?«

»Ganz richtig!«

»Na, weshalb schrieet Ihr denn aber, alte Seele?«

»Nun, eben weil Ihr mich in den Bauch knifft... und weil ich das nicht vertragen kann.«

»Seht Ihr wohl, so seid Ihr nun«, zog Nasewitz die Schultern empor; »in allem seht Ihr etwas Böses... selbst in den besten Absichten, die man mit Euch hat...«

»Die besten Absichten?« machte Padderow ein verwundertes Gesicht.

»Nun natürlich... ich wollte Euch aufmerksam machen, daß der Oberst Euch angeredet hatte... Ihr seid immer in so tiefen Gedanken...«

»Ich hatte ja aber schon angefangen zu antworten...«

»Nun«, lächelte Nasewitz, »es ist doch jedenfalls besser etwas zu spät, als gar nicht.«

Padderow schien sich Mühe zu geben, das zu begreifen.

»Hm!« machte er nach einer Weile; »weshalb knifft Ihr mich denn aber gerade in den Bauch und nicht anderswo?«

»Nun... ganz natürlich... weil Ihr da am empfindlichsten seid...«

»Ach so... also Ihr wolltet mir nur einen Wink geben, daß der Oberst mit mir?...«

»Gewiß... was hätte ich denn sonst für eine Absicht haben können?«

Der dicke Offizier gab sich noch ein Weilchen Mühe, die Geschichte zu verstehen, dann bot er dem Freunde die Hand.

»Ich glaube Euch!« sagte er; »nichts für ungut!«

»Nie und nimmermehr, biederes Herz !«

»Wir sind wieder ganz die Alten... was?«

»Und werden es bleiben bis ans Ende!«

Unter diesem Gespräch waren sie vor ihren Wohnungen angekommen.

»Auf Wiedersehen!« sagte Padderow; »kommt nicht zu spät auf Ressource.«

»Ich hole Euch ab.«

»Schön... und dann... das... Rettungsmittel... das vergeßt Ihr doch nicht!«

»Wie könnt Ihr denken!«

»Darf ich denn aber gar nicht wissen?...«

»Kein Wort!... Vertrauen... und über nichts wundern... das ist das einzige, was Ihr dabei zu tun habt... alles andere ist meine Sache.«

»Gut. – Auf Wiedersehen also!«

»Auf Wiedersehen!«

Und damit ging der eine in die Veste Knelling, und der andere in das Haus, wo der Kessel vor der Tür hängt.


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