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Seit jenem Sonntage mochten mehrere Alltage vergangen sein, als Nasewitz, während sein Bursche ihm beim Ankleiden behilflich war und Joseph auf einem Stuhl am Kaffeetisch saß, das Fenster öffnete, um die Nase herauszustecken und nach dem Wetter zu sehen.
Sonst hielt er sich hierbei gewöhnlich nicht lange auf, weil der Wind in der Regel gegen den Fensterflügel drückte, in der böswilligen Absicht, ihn einem gegen den Kopf zu schlagen, diesmal aber schien er mit seinen klimatischen Beobachtungen gar nicht fertig werden zu können.
»Ich weiß gar nicht, was hier immer so seufzt«, wandte er sich endlich zu seinem Burschen um.
Pittelko machte ein verschmitztes Gesicht und rieb sich die Hände an den Hosen, und Joseph sprang vom Stuhl auf den Tisch, um besser sehen zu können.
Nasewitz lehnte sich abermals aus dem Fenster.
»Weißt du nicht, was hier immer so seufzt?« bog er sich dann wieder zurück.
Pittelko zog grieflachend die Schultern in die Höhe, und Joseph zuckte mit dem linken Nasenflügel.
»Hast du es denn auch schon gehört, Kerl?«
»Ja, Herr Leutnant, gehört habe ich's auch schon.«
Joseph begann allmählich struppiger zu werden.
»Was kann denn das sein?«
»Ja, Herr Leutnant, das weiß ich auch nicht.«
Joseph stieß einen unangenehmen, gequetschten Ton aus.
Nasewitz legte sich wieder ins Fenster.
»Das weiß der Teufel!« sagte er.
»Ja, der wird's wohl wissen, Herr Leutnant.«
»Gnirr!« machte Joseph.
»Da geht's schon wieder los... nun klingt es mehr, als wenn jemand stöhnte.«
»Vielleicht ist der alte Knelling unten krank, Herr Leutnant.«
Joseph quietschte und trampelte mit den Vorderfüßen.
»Ruhig, Köter!«
Und Nasewitz horchte abermals.
»Wenn ich nur erst wüßte, wo es herkommt«, sagte er.
»Vielleicht ist es der Wind; der fängt sich beim Bäcker um die Ecke«, meinte Pittelko.
In diesem Moment flog Nasewitz der Fensterflügel an den Kopf.
»Donnerwetter!« fuhr er zurück.
»Hat's schon wieder geseufzt, Herr Leutnant?«
Joseph gähnte vor nervöser Aufregung.
»Seid ruhig... alle beide!« stampfte Nasewitz mit dem Fuß; »ich habe eine Brausche an der Stirn, der Wind kommt ja vom Markt her!«
»Ja; dann wird es wohl 'was anderes sein, Herr Leutnant.«
»Es ist gut... mach' daß du 'rauskommst... und nimm den Köter mit!«
»Zu Befehl, Herr Leutnant!... Joseph... hier... willst du wohl... pst, pst «
Der Hund raste dem vorangehenden Burschen zwischen den Beinen hindurch und dann in wilden Sprüngen die Treppe hinunter.
Nasewitz kühlte sich die Stirn mit einem nassen Handtuch.
In den letzten Tagen war er eigentlich ein bißchen schlechter Laune gewesen, was ihm sonst nicht gerade oft passierte.
Der Rittmeister Schimmelmann hatte ihm zwar, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, die Mitteilung gemacht, daß er Padderows Gläubiger beruhigt habe, und daß der verliebte Ritter auch regelmäßig jede Nacht am alten Nachtwächterhäuschen stehe; aber wie lange konnte diese Geheimnistuerei vorhalten. Wenn sie entdeckt wurde, hatte er Öl ins Feuer gegossen und die Geschichte ward nicht allein für Padderow schlimmer als sie gewesen, sondern der gefoppte Rittmeister war vollkommen berechtigt, seinen Zorn auf ihn zu lenken und ihn zur Verantwortung zu ziehen.
Solange allerdings Strammin noch auf seinem Posten war, solange er von Schimmelmann nicht erkannt wurde, hatte es noch keine große Not, denn der Alte mußte doch immerhin warten, bis Padderow noch deutlicher und klarer einen Entschluß faßte, und wenn er den überhaupt unterließ, konnte er ja unterdes seine Gesinnungen geändert haben; dafür war er ja am Ende keinem Menschen Rechenschaft schuldig.
Mit der Konditormamsell ließ sich der Plan ja auch weiterspinnen; das war keine große Gefährlichkeit.
Also noch einmal mit dem Spruch getröstet: Zeit gewonnen, alles gewonnen.
Vorstehende Erklärungen hatte er sich seit einigen Tagen wer weiß wie oft wiederholt, aber die Beängstigungen tauchten immer wieder auf, so daß er gar keine rechte Ruhe und auch kaum mehr Lust hatte, seinen Freund Padderow zu ärgern, und wenn der Fall bei ihm eintrat, dann war ihm nicht recht behaglich zumute.
Und dann war auch der Fähnrich von Klötersdorf bei ihm gewesen und hatte ihm in seiner Todesangst das Abenteuer auf der Pappel vor der Lohmühle erzählt.
Freiwillig würde er es gewiß nicht getan haben, aber obgleich der alte Graf geschwiegen, war die Geschichte doch ruchbar geworden. Der arme Fähnrich mußte überall Anspielungen hören, die in übertriebener Weise ihn gewaltig ins Bockshorn jagten. Da hatte er sich, denn keinen andern Rat gewußt, als Nasewitz, zu dem er das meiste Vertrauen hatte, den ganzen Hergang zu beichten und ihn um Rat und Hilfe zu bitten.
Beides war freilich teuer in diesem Fall; denn die Tatsache konnte weder abgeleugnet noch augenblicklich wieder gut gemacht werden.
Das ging Nasewitz sehr im Kopf herum; denn so gern er neckte, so gern half er auch; so gern er Verlegenheit bereitete und sich an derselben ergötzte, ebenso gerne setzte er auch alles daran, dieselbe aufzulösen und zu beseitigen. Wie so oft im Leben berühren sich auch hier die Gegensätze. Und daß er eben dem armen Klötersdorf nicht helfen konnte, das verstimmte ihn fast mehr als die Sorgen, die er sich um den zweifelhaften Ausgang der Padderowschen Angelegenheit machte.
Der einzige Trost für den doppelnaturigen Nasewitz bestand also in beiden vorliegenden Fällen darin, daß er noch Zeit hatte, und Zeit ist nicht allein money, sondern noch sehr vieles andere.
Nachdem Nasewitz seine Brausche vor dem Spiegel genau untersucht hatte, kleidete er sich vollends an, um einmal zum Padderower hinüberzuschlendern.
Als er aus seiner Haustür trat, um über den Straßendamm zu gehen, stand er auf der Mitte desselben still und horchte wieder, erst mit dem rechten Ohr nach der einen Seite, und dann mit dem linken Ohr nach der andern.
»Guten Morgen, Herr Leutnant!« störte ihn da eine Stimme in seinen Beobachtungen.
»Guten Morgen, Herr Kajob!« dankte Nasewitz dem des Weges kommenden Buchdrucker.
»Wohl geruht?«
»Danke, danke, Herr Kajob; Sie doch auch?«
»O ja... aber schon lange auf... in den Morgenstunden studiert sich's so...«
»Pst!« legte Nasewitz ihm die Hand auf die Schulter.
Der Buchdrucker blickte ihn verwundert an.
»Hören Sie nichts?« fragte er.
»Nein... was denn?«
»Da... schon wieder...«
»Der alte Kessel kreischt da vor der Tür beim Brauer Branz«, reckte Kajob den weisen Kopf empor.
»Das meine ich nicht... es kommt von viel weiter her... da schon wieder.«
»Hm, hm!« machte der Buchdrucker, der jetzt auch etwas gehört hatte.
»Wofür halten Sie das?«
»Es klingt beinahe, als wenn der Wind sich irgendwo klemmt...«
Nasewitz schüttelte den Kopf und horchte angestrengter.
»Oder als wenn jemand im Sterben liegt«, urteilte Kajob weiter.
»Das läßt sich schon eher hören...«
»Oder als wenn... oh...«
Hier unterbrach sich der Buchdrucker plötzlich und schlug beschämt die Augen nieder, als wenn es ihm widerstrebte, seine neueste Entdeckung in Worte zu kleiden.
»Was meinen Sie?« fragte Nasewitz.
Kajob zuckte mit verlegener Gebärde die Achseln.
»Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Leutnant, das ist stark«, sagte er mit einer gewissen Überwindung; »so etwas ist mir in meinem erfahrungsreichen Leben noch nicht vorgekommen... Guten Morgen, Herr Leutnant!«
»Guten Morgen, Herr Kajob!«
Und nach diesem plötzlichen und schleunigen Abschiede trottete der gelehrte Buchdrucker seines Weges weiter, indem er sich von Zeit zu Zeit noch ganz ängstlich und verstört nach einer nicht zu bestimmenden Richtung umblickte.
Um Nasewitzens feine Lippen spielte ein eigentümliches Lächeln.
»Ach... es ist ja Unsinn«, murmelte er vor sich hin; wer kann denn... i Gott bewahre... das ist ja ganz unmöglich...«
Dann gab er die ferneren Untersuchungen über Klangwirkung auf, ging über die Straße und trat in die Haustür des Brauers Branz.
»Donnerwetter!« sagte er, plötzlich stillstehend und abermals horchend.
Dann lächelte er aber nach einem Weilchen auf harmlos zufriedene Art.
»Es ist ein Ochse hinten auf dem Hof«, sagte er; »und der dumme Kerl, der Kajob, dachte... daß man darauf nur nicht gleich gekommen ist, daß es ein Ochse war...«
Als er oben auf dem Treppenabsatz angelangt war, stutzte er abermals.
»Das ist doch kein Ochse...« horchte er; »es kommt ja aus dem Zimmer vom Padderower... es ist der Padderower in höchst eigener Person... er scheint Leibschmerzen zu haben... Gott wie tief das Stöhnen eben klang... und nun wieder als wenn der Wind durch den Schornstein geht... und jetzt klingt es wieder ganz fein, als wenn jemand die Stimmritze zugequetscht wäre und er auf dem letzten Loch pfiffe... i, das ist ja aber doch ängstlich... da will ich doch gleich einmal...«
Dann klopfte er auf die gewöhnliche Art an die stets verschlossene Stubentür.
Keine andere Antwort als ein tiefes, schauriges Stöhnen.
Nasewitz klopfte lauter, länger.
»Puh!« klang es wieder, als wenn der Wind durch den Schornstein heult.
»Padderow!«
»Qui...i...k«
»Gott sei mir gnädig!« dachte Nasewitz; »dabei wird einem ja selber unwohl... das kann doch nicht mehr eine Nachwirkung von dem Rhabarber sein...«
»Pad... de... row!« trommelte er mit beiden Fäusten an die Tür, daß die ganze, alte Wand zitterte.
»Böh!« klang es wieder, wie aus den Grundtiefen einer gequälten Seele.
Nasewitz wurde jetzt ernstlich besorgt um seinen Freund.
»Der ist krank«, respektierte er, mit ganz ängstlichem Gesicht; »der ist ernstlich krank... ich werde den Doktor Klaubert holen, der wohnt hier am nächsten... erst will ich aber doch einmal in den Stall und mit Gründling sprechen...«
Mit diesem Entschluß kletterte er die alte Treppe wieder hinunter.
»Puh!« seufzte es herzzerreißend hinter ihm her.
Nasewitz bekam eine Gänsehaut und eilte schnellen Schrittes über den Hausflur der Hintertür zu.
In derselben begegnete er dem Brauer Branz, der ein trauriges Gesicht machte, weil der Erste vorüber war und er wieder keine Miete bekommen hatte.
»Morgen!« grüßte Nasewitz ernst.
»Morgen, Herr Leutnant!« dankte Branz ebenso.
Nasewitz hatte nicht den Mut zu fragen, was oben vorgehe: das Herz schlug ihm dermaßen in der Brust, daß ihm die Stimme versagt wäre, wenn er wirklich hätte sprechen wollen.
»Schlecht?« brachte er endlich heraus, indem er mit dem linken Daumen nach oben deutete.
Der Brauer Branz nickte zustimmend mit der Hand.
»Keine Hoffnung mehr!«
»Ah!« machte der andere ein stillergebenes ungläubiges Gesicht.
»Es ist richtig!« dachte Nasewitz, weiter über den Hof eilend; »der arme Padderow liegt in den letzten Zügen... und dabei immer die verschlossene Tür... bis zum Todeshauch die Furcht vor seinen blutsaugerischen Gläubigern... es ist ein trauriges Ende... oh, mein geliebter, unglücklicher Freund!«
Als er über den dampfenden Dunghaufen in den warmen Stall trat, saß Gründling, der Bursche, auf dem Futterkasten, hatte den Kopf gesenkt und bammelte mit den Beinen, und der alte Babieca blickte sich um, und drehte dann, wie es seine Gewohnheit war, mit dem kurzen Stummel.
Als der Bursche den Offizier eintreten sah, rutschte er mit dem Gesäß vom Futterkasten herunter, nahm eine militärische Stellung an, und ließ wohl unbewußt ein verlegenes Lächeln über sein breites Gesicht gleiten.
»Wie steht's denn mit dem Leutnant, Gründling?« fragte Nasewitz zögernd, als fürchtete er sich vor der Antwort.
»Ach, du lieber Gott!« zuckte Gründling die Achseln.
»Wie ist er denn eigentlich dazu gekommen?«
»Ja, das mag der liebe Himmel wissen, Herr Leutnant!«
»Seit wann hat er denn das?«
»Seit gestern abend, Herr Leutnant; wie er von der Ressource zu Hause kam, habe ich es zuerst bemerkt... aber da dauerte es bloß eine kleine halbe Stunde.«
»Hm!... und wie war es heute morgen?«
»Ganz wie immer. - Als ich ihn fragte: gestern abend war uns wohl ein bißchen unwohl, Herr Leutnant, da lächelte er, um mich zu täuschen, und sagte: i, Gott soll mich bewahren!«
»Seltsam!« machte Nasewitz; »und dann?«
»Na; dann fing die Geschichte gleich wieder an... kaum war ich fünf Minuten unten, da ging das Gestöhne wieder los, daß es hätte einen Stein erbarmen können... er will aber seine Krankheit verheimlichen, und das ist das allerschlimmste dabei, Herr Leutnant.«
»Ich habe vorhin furchtbar geklopft«, sagte Nasewitz; »aber er scheint es nicht gehört zu haben, denn ich bekam keine Antwort.«
»Kann er ja nicht gehört haben, Herr Leutnant«, hob Gründling, um sich klarer zu machen, den rechten Zeigefinger in die Höhe; »er liegt ja in der Schlafkammer und hat die Tür nach der Stube zugemacht.«
»Ach so!« nickte Nasewitz.
»Sehen Sie wohl, Herr Leutnant, davon kommt das ja.«
Der Offizier senkte nachdenkend den Kopf.
»Weißt du was, Gründling«, sagte er dann; »lauf schnell zu einem Schlosser; wir wollen die Vordertür mit dem Dietrich öffnen lassen; so kann die Geschichte doch unmöglich bleiben.«
»Kann sie auch nicht, Herr Leutnant«, stimmte der Bursche bei; »aber der Schlosser nutzt uns nichts, weil von innen der Riegel vorgeschoben ist...«
»Richtig, Gründling!« »Sehen Sie wohl, Herr Leutnant... aber wissen Sie, was wir machen können, Herr Leutnant?«
»Nun?«
»Wir könnten uns nämlich die lange Bodenleiter vom Brauer Branz hinten ans Haus stellen; dann kämen wir an unser Küchenfenster, was Sie da offenstehen sehen, und von der Küche können wir ungehindert in unsere Schlafkammer kommen... darauf ist mein Leutnant natürlich nicht vorbereitet.«
Nasewitz stellte erst mit aufmerksamen Blicken die Operationsbasis fest, und dann gab er seine Zustimmung zu dem Plan.
Gründling freute sich darüber, wuchtete mit starken Armen die lange Bodenleiter vom Dach, trug sie mit gekrümmten Knien über den Dunghaufen und lehnte sie schließlich mit dem oberen Ende an das offenstehende Küchenfenster.
»So!« stöhnte er, Atem schöpfend; »nun kann's losgehen... wollen Sie zuerst, Herr Leutnant?«
»Nein... krieche du nur voran.«
»Schön, Herr Leutnant.«
Und damit faßte Gründling mit jeder Hand einen Leiterbaum und klomm mit der Geschicklichkeit einer Katze die Sprossen empor, bis er erst das eine und dann das andere Bein über die Fensterbrüstung hob und sich nun in der unbenutzten Küche seines Herrn befand.
»Nanu, Herr Leutnant!« nickte er hinunter.
Nasewitz ahmte, so gut er konnte, das Beispiel seines Vorgängers nach und kroch, nur bedeutend langsamer und ungeschickter, die lange Leiter hinauf.
Als er auf der obersten Sprosse war, reichte ihm Gründling die Hand und machte ihm den Eintritt in die Küche bequemer.
Dann wollte er leise auf den Zehen nach der Tür schleichen, als Gründling ihn am Rockschoß zurückhielt.
»Nicht doch!« flüsterte er, indem er auf ein kleines Fenster deutete, das, etwas über Männerhöhe angebracht, einen Einblick in die Schlafkammer des Padderowers gestattete.
»Aha!« machte Nasewitz, dabei leise an das Fenster tretend. Aber so hoch er sich auch auf die Zehen hob, so erreichte er höchstens mit der Nasenspitze den unteren Rand des Mauereinschnittes und alles, was seine Augen erschauen konnten, war ein Teil von der Zimmerdecke.
Da zupfte ihn Gründling wieder hinten am Rock.
»So nicht«, schauspielte er dann, ohne die Worte auszusprechen; »so!«
Und damit stellte er sich breitbeinig unter die Fensteröffnung, stemmte die Arme auf die Lenden und senkte den Kopf.
In diesem Moment stöhnte es wieder, als wenn der letzte Seufzer sich der todesmatten Brust entränge, und gleich darauf kam jener scheußlich gequetschte Ton, der einem durch Mark und Bein ging.
»Gott sei uns gnädig!« betete Gründling.
Nasewitz zitterte ein Schauer durch den langen mageren Korper.
Der Bursche versuchte nun mit Gebärdenspiel klarzumachen, daß der Leutnant sich rittlings auf ihn setzen solle, damit er erst den freien Blick ins Schlafzimmer bekäme, da ein schnelles, unvermutetes Eintreten dem Kranken leicht hätte gefährlich werden können.
Nasewitz verstand abermals die stumme Gedankensprache, trat einige Schritte hinter Gründling zurück, wiegte sich, anstatt des sonst üblichen Anlaufs, einige Male auf dem linken Fuß, machte dann einen Satz und saß im nächsten Augenblick auf Gründlings breitem Rücken.
»Uff!« machte dieser, sich nach leichtem Schwanken wieder fest stellend und Nasewitzens lange Beine unter beide Arme nehmend, während dieser seine Hände auf des Burschen Schulter legte und den Kopf so nahe wie möglich an die trüben Scheiben des kleinen Fensters brachte.
Erst schloß der gute, weiche Mensch einen Moment die Augen, um den Anblick des totkranken Freundes noch etwas hinzuhalten, dann faßte er aber einen heldenhaften Entschluß und senkte den vollen Blick hinab ins Schlafgemach.
Aber wer beschreibt sein Erstaunen bei dem Bilde, das sich ihm darbot.
In der Mitte des kleinen Zimmers saß der dicke Padderow in seinem roten Morgenrock, die blaue Militärmütze auf dem Kopf, und hielt, krampfhaft zwischen die nackten Beine geklemmt, eine gewaltige Baßtuba, in die er von Zeit zu Zeit hineinpustete, daß er ganz rot im Gesicht wurde und ihm die Augen aus dem Kopfe traten.
Und vor ihm auf der Erde saß Polko, der Freund und Hund, und blickte mit seinem lächerlich dummen Gesicht unverwandt auf den musikalischen Leutnant, und jedesmal, wenn dieser einen tiefen oder einen gänzlich mißlungenen Ton zum Vorschein brachte, dann verzog Polko sein häßliches Hundeantlitz, als wenn er weinen wollte, und jaulte dabei, daß es dem Hörer bis ins innerste Mark der Knochen ging.
»Sieht er sehr schlecht aus?« flüsterte Gründling, dessen Kopf zwischen Nasewitzens Beine geklemmt war, nach oben hinauf.
Der Leutnant stieß ihn mit den Hacken in die Seite, damit er ruhig sein sollte.
Padderow füllte sich jetzt wieder die ganze Brust voll Luft und pustete dann wieder in das Mundstück der Baßtuba, aber die Luft strömte hörbar hindurch, ohne daß es einen musikalischen Ton gab.
»I...i...i...ih!« quietschte Polko, eine entsetzliche Grimasse schneidend.
»Wirst du wohl gleich ruhig sein!« schalt Padderow; »was hast du immer mitzusingen? - Du bringst einen ja ganz aus dem Takt.«
Dann füllte er wieder die Brust mit Luft, quetschte die Lippen etwas fester zusammen und pustete in die Tuba, daß er aussah, als wollten ihm die bärtigen Backen platzen.
»Böh!« brummte es in wunderbar sonorer Tiefe.
»I... i... i... ih!« machte Polko noch eine Oktave höher als vorhin.
»Still, dummes Vieh, du verstehst gar nichts von Musik!« sagte Padderow, aber mit dem Ausdruck sichtbarer Genugtuung über den gehabten Erfolg; »jetzt werde ich das Embouché bald bekommen, wie der Trompeter Stolzenburg sagt... ehe ich das Embouché nicht weghabe, eher kann ich kein Stück blasen lernen, und ein Stück muß ich doch blasen lernen, sonst hat es ja keinen Nutzen.«
»Aha!« dachte Nasewitz; »er ist unbewußt auf dem richtigen Wege; er will ein Stückchen blasen lernen und ahnt nicht, daß Schimmelmann ihn seine Tochter zum Klavier oder zum Gesang begleiten lassen will. Na; dahin wird es nie kommen; wenn es soweit ist, kann er dem Alten allein etwas vorblasen.«
»Sieht er sehr schlecht aus?« flüsterte Gründling von unten hinauf.
Der Offizier drückte ihm mit den Beinen den Kopf zusammen, damit er ruhig sein sollte.
»Der Nasewitz ist ein dummer Kerl!« brummte Padderow; »darauf hätte er doch gleich kommen müssen... an die Tuba gewöhnen, das heißt doch nicht ihren Ton ertragen lernen... das ist wohl eine Instruktion für Hunde, denen überhaupt die Musik unangenehm ist, aber doch nicht für Menschen und noch dazu für Kavalleristen, die das Ding alle Tage müssen brummen hören... wenn man zu einem Menschen sagt, er soll sich an die Tuba gewöhnen, dann heißt das, er soll sie blasen lernen. – Die Sache ist furchtbar einfach. – Wenn ich zum Beispiel zu jemand sage, er soll sich an den Grog gewöhnen, dann heißt das doch nicht, er soll ihn bloß ansehen, sondern es heißt: er soll ihn trinken lernen... das kann jeder gebildete Mensch einsehen, aber der Nasewitzer ist ein dummer Kerl.«
»Jetzt seufzt er ja nicht mehr... jetzt ist er wohl tot!« flüsterte Gründling aus der Tiefe herauf.
Nasewitz stieß ihn mit dem andern Absatz in die Rippen.
»Uff!« machte Gründling, sich wieder feststellend.
Dem langen Leutnant war es unterdes gelungen, unhörbar das kleine Fenster aufzuketteln und auf diese Weise einen noch freieren Blick zu bekommen.
»Und was er mir da wieder von dem Krampf vorgefabelt hat«, setzte Padderow sein Selbstgespräch fort; »ich bekomme ihn ja gar nicht wieder... der Nasewitzer ist ein guter Mensch... sehr besorgt um mein körperliches und geistiges Wohl... aber dumm... wirklich dumm... es ist unglaublich, was mir der Mensch schon alles vorgeredet hat...«
Der Betreffende lächelte.
»Na«, nahm Padderow die Tuba wieder fester zwischen die Knie; »nun wollen wir nur noch ein bißchen pusten... sauer wird's einem, aber es hilft nichts... eine Hand wäscht die andere... schafft mir der Alte meine Gläubiger vom Halse, kann ich mir auch Mühe geben, um ihm einen Ohrenschmaus zu bereiten.«
Während Padderow der Tuba keine Töne entlockte, hatte Polko, der Hund, seine Augen auch nicht mehr so fest auf ihn geheftet behalten, sondern dieselben beobachtend im Zimmer umherschweifen lassen.
Mit einem Male wurde er Nasewitzens Kopf in der Fensteröffnung gewahr und fing an mit dem kurzen Schwanz auf die Dielen zu klopfen.
»Was ist dir denn?« fragte Padderow, die Tuba wieder absetzend; »weshalb machst du denn mit einem Male solch freundliches Gesicht?«
Polko behielt die Augen nach dem Fenster gerichtet und klopfte weiter.
»Nanu?« sagte Padderow, der demselben den Rücken kehrte; »da sitzt wohl eine Wespe an der Wand, die du gern fangen möchtest... du bist ein unruhiger Schwerenöter.«
Und damit veranstaltete er mit seinem dicken Körper eine Rückwärtsdrehung und blickte ebenfalls nach der dunklen Öffnung empor.
Als der lange Leutnant dem Blick seines Freundes begegnete, fing er an, ihm lieblich zuzunicken.
»Wie kommt Ihr denn da herauf, Edler von Nasewitz?« fragte Padderow mit ganz erstauntem Gesicht, indem er die Rückwärtsdrehung vollendete und nun direkt Front gegen das Fenster machte.
»Ich bin mit einer Leiter in die Küche gestiegen«, nickte Nasewitz mit derselben Lieblichkeit weiter.
»Weshalb habt Ihr denn das getan, würdiger Freund?«
»Weil ich Euch stöhnen hörte und glaubte, daß Ihr im Sterben läget.«
»Ganz richtig, wie ich gesagt habe«, dachte Padderow; »ein Mensch von größtem Mitgefühl für mich; aber dumm... kann nicht einmal einen Sterbeseufzer von einem schönen musikalischen Ton unterscheiden.«
»Es ist wohl nicht so schlimm mit ihm?« fragte Gründling aus der Tiefe hinauf.
»Nein, er ist ganz gesund.«
»Weshalb hat er denn so gestöhnt, Herr Leutnant?«
»Er hat gar nicht gestöhnt... sei ruhig.«
»Herr Leutnant, ich kann es nun nicht mehr lange aushalten...«
»Ruhig!«
»Die Beine schlafen mir ein und das Genick tut mir weh.«
»Ruhig!«
»Mit wem sprecht Ihr denn da?« fragte Padderow erstaunt.
»Mit Gründling, Eurem Waffenträger.«
»Wie kommt denn der Esel da herein?«
»Auf derselben Leiter wie ich.«
»Worauf steht Ihr denn eigentlich, erlauchter Freund?«
»Ich stehe auf gar nichts, hoher Herr!«
»Dann schwebt Ihr wohl in der Luft?«
»Auch das nicht, mannhafter Kämpe.«
»Wie ist es denn aber möglich, daß Ihr durch das Loch sehen könnt?«
»Weil ich auf Gründ...«
Hier brach der Satz plötzlich auseinander, das Gesicht des Nasewitzers verschwand aus der Fensteröffnung, und es gab in der Küche einen lauten Knall.
»Hoho!« machte Padderow ganz verwundert.
Polko stieß vor Besorgnis einen häßlichen Ton aus.
»Edler von Nasewitz!« rief Padderow hinauf.
Keine Antwort.
»Edler von Nasewitz! Wo seid Ihr denn geblieben? Kommt doch nochmal zum Vorschein!«
Alles still.
Dann stand er auf, stellte die Tuba behutsam in eine Ecke, schlug sich den roten Schlafrock über die nackten Beine zusammen und klapperte mit seinen schweren Holzpantoffeln nach der Tür.
Als er dieselbe öffnete und einen Blick in die Küche warf, sah er zu seinem nicht geringen Erstaunen Gründling und Nasewitz lang ausgestreckt an der Erde liegen, und zwar genau in demselben Zusammenhange wie vorhin, nur mit dem Unterschiede, daß sie jetzt in einem horizontalen und früher in einem lotrechten Verhältnis sich befanden.
Sie waren umgesunken wie sie gestanden hatten und lagen nun in einer langen Linie auf dem Boden, erst Gründling, wie das dickere, untere Ende, und dann der Leutnant, wie die dünnere Zuspitzung.
Die Beine des letzteren hatte der erstere noch treulich unter den Armen behalten.
Polko trat zuerst hinan und beschnupperte die seltsame Gruppe, während Padderow dieselbe mit prüfenden Blicken betrachtete.
»Ihr scheint auf dem Gründling geritten zu haben«, äußerte endlich der dicke Offizier.
»So ist es, hoher Gönner!« antwortete Nasewitz mit matter Stimme und schmerzlichem Gesichtsausdruck.
»Und nachher scheint Ihr umgefallen zu sein«, urteilte Padderow weiter.
»Unendlich richtig, großer Logiker!«
»Weshalb macht Ihr denn solche jämmerliche Miene?«
»Weil mir alle Knochen weh tun von dem Fall!«
»Sehen Sie wohl, Herr Leutnant, ich kann nichts dafür«, meinte Gründling, ebenfalls ein bißchen schwächlich; »ich habe es Ihnen gesagt, daß ich es nicht länger aushalten konnte.«
»Ihr habt natürlich einen derberen Knuff bekommen, als Gründling«, setzte Padderow seine Betrachtungen fort; »weil Ihr einen größeren Bogen durch die Luft zu beschreiben hattet und also mit größerer Kraft auf die Dielen fielt.«
»Außerordentlich definiert, großer Arithmetiker.«
»Zerbrochen habt Ihr Euch doch nichts, würdiger Waffenbruder?«
»Heiliges Donnerwetter!«
»Weshalb flucht Ihr denn so abscheulich... tut Euch etwas weh?«
»Der Köter, der Polko, leckt mir im Gesicht herum... pfui! Will Er wohl gleich weg!« »Hier, Polko!« rief Gründling... »pst, pst, pst!«
»Ist es Euch vielleicht genehm, jetzt aufzustehen... oder wollt Ihr lieber noch ein bißchen liegen?« fragte Padderow.
»Ich kann gerade nicht behaupten, daß das ein großes Vergnügen wäre«, reckte sich Nasewitz.
Gründling machte ebenfalls Versuche, sich zu erheben.
»Will Er wohl gleich meine Beine loslassen, Kerl!« strampelte der lange Offizier; »so geht's doch im Leben nicht!«
»Nein, so geht's auch nicht«, bestätigte Padderow, mit der größten Aufmerksamkeit zusehend.
Endlich stand der Bursche auf den Beinen, und der längere, ungeschicktere und heftiger gefallene Nasewitz war in seinen Auferstehungsversuchen erst so weit gelangt, daß er allerdings mit den Beinen auch schon stand, die Hände aber ebenfalls auf die Dielen stemmte, so daß er Ähnlichkeit mit irgendeinem mageren Tier hatte, das auf allen Vieren seinen Lebensweg wandelt.
»Na... nun aufgerichtet... eins... zwei... drei!« ermunterte Padderow.
»Äh!« stöhnte Nasewitz.
»Geht es nicht, edler Märtyrer?«
»Äh!« stöhnte Nasewitz.
»Na, wartet nur... noch einen kleinen Augenblick Geduld«, sagte Padderow; »ich werde Euch gleich behilflich sein.«
»Da würdet Ihr mich zu lebhaftem Dank verpflichten«, ächzte Nasewitz; »ich bekomme das verdammte Kreuz nicht gerade.«
Der dicke Freund trat hinter seinen tief niedergebeugten Freund und machte ihm leise und vorsichtig die Rockschöße auseinander.
»Was krabbelt Ihr mir denn da hinten?« fragte Nasewitz.
Gründling sah mit dem lebhaftesten Interesse zu.
»Noch einen Augenblick Geduld«, beruhigte Padderow.
Dann nahm er eine Seitwärtsaufstellung von der Kehrseite seines Freundes, hielt sich mit der linken Hand vorn den roten Schlafrock zusammen, machte ein ernstes Gesicht, holte mit der ritterlichen Rechten weit aus und ließ dieselbe dann mit lautem Schalle auf der vorher erwähnten Achterseite niederfallen.
»Donnerwetter!« schnellte Nasewitz wie eine Stahlfeder empor.
»Das war aber gut!« lachte Gründling mit stiller Bewunderung.
Polko, welcher der Ansicht war, daß sein Herr dort eine Wespe totgeschlagen habe, machte einen Satz nach der getroffenen Stelle und kniff mit seinen dicken Lippen leicht hinein.
»Donnerwetter!« drehte Nasewitz sich wie ein Kreisel um.
»Polko ... will Er wohl ... pst, pst!« machte Gründling.
Padderow rieb sich die schmerzende Hand an seinem roten Schlafrock.
»Was ficht denn Euch an?« wandte sich Nasewitz zu seinem Freunde, indem er mit dem rechten Fuß dem braven Polko einen Tritt versetzte und mit der linken Hand sanfte Frottierungen an der schmerzenden Stelle veranstaltete; »das ist doch gar keine Manier, ich habe so schon Schmerzen!«
»Aber ein vortreffliches Mittel«, sagte Padderow ernst; »findet Ihr nicht, kühner Reiterführer?«
»Mag der Teufel«, rieb Nasewitz weiter; »ich möchte Euch 'mal so traktieren... Ihr würdet ein schönes Lamento erheben.«
Gründling machte jetzt Miene, in die Schlafstube zu gehen, aber Padderow hielt ihn davon zurück.
»Nicht da hinein!« herrschte er ihm zu; »du kannst die Leiter wieder herunterklettern, wie du gekommen bist ... nachher werde ich vorne aufmachen.«
Der Bursche zögerte noch einen Augenblick.
»Also sind der Herr Leutnant wirklich nicht ...?« fragte er mit einem gutmütig besorgten Gesiebt.
»I, Gott bewahre!« sagte Padderow.
»Weshalb haben denn der Herr Leutnant so gestöhnt?«
»Der Kerl ist ebenso dumm wie Nasewitz«, dachte der dicke Offizier.
»Weshalb haben denn der Herr Leutnant so gestöhnt?« wiederholte Gründling, da er keine Antwort bekam.
»Weil mir das Vergnügen macht, einfältiger Kerl!«
»Werden der Herr Leutnant vielleicht ... wieder stöhnen?«
»Natürlich ... noch sehr oft ... nun trotte dich aber von hinnen, neugieriger Schildknapp, sonst laße ich dich die Breite meiner guten Klinge fühlen!«
Gründling warf noch einen letzten, besorgten Blick auf seinen Herrn, hob dann erst das eine und dann das andere Bein über die Brüstung des Küchenfensters.
»Darf ich Euch nun bitten, in meine Staatsgemächer zu treten?« fragte Padderow mit graziöser Handbewegung.
Nasewitz, welcher dachte, daß noch ein Auferstehungsversuch an ihm gemacht werden sollte, trat besorgt einen Schritt zurück.
»Wollt Ihr die Freundlichkeit haben, voranzugehen«, sagte er, der Sicherheit halber.
»Diese Unhöflichkeit würde ich mir nie zuschulden kommen lassen.«
»Ich schwöre es, beim Bart des Propheten!«
Da Nasewitz aus Erfahrung wußte, daß gegen diesen furchtbarsten aller Padderowschen Schwüre nichts einzuwenden war, machte er zwei lange, schnelle Schritte, eilte dann mit einem dritten langen Schritt über die Schwelle der Schlafkammer und gelangte in die große, kahle Wohnstube seines Freundes, wo er sich sogleich auf seinem gewohnten Platz am kalten Ofen niederließ, um ferneren unangenehmen Möglichkeiten vorzubeugen.
Fünf Sekunden nachher folgte ihm Padderow mit der Baßtuba unter dem linken Arm nach.
»Das Ding lernt Ihr also blasen?« fragte Nasewitz, das dicke Blechinstrument mit aufmerksamem Blick betrachtend.
»So ist es, würdiger Phylax...«
»Ihr versprecht Euch schon wieder, erlauchter Herr.«
»Wieso, Burgherr von Knelling?«
»Pylades wolltet Ihr sagen.«
»Pylades habe ich auch gesagt.«
»Dann bitte ich um gnädige Verzeihung.«
»Die Euch gern gewährt ist, wie immer.«
»Das Ding lernt Ihr also blasen?«
»Allerdings! Da die früheren Gewöhnungen an die Baßtuba dem Rittmeister Schimmelmann eher zu mißfallen als zu gefallen schienen, habe ich mir gedacht, daß er die Sache in diesem Sinne auffaßt, der auch weit natürlicher ist...«
»Und zu welchem Zweck denkt Ihr, daß er das Verlangen an Euch stellt?«
»Eine Schrulle«, zuckte Padderow die Achseln; »wie er so viele Schrullen hat... darüber zerbreche ich mir weiter nicht den Kopf ... vielleicht macht es ihm Vergnügen, sich ›Heil dir im Siegerkranz‹ von mir vorspielen zu lassen ... das soll ja sein Lieblingslied sein ...«
»Und das wollt Ihr blasen lernen?«
»Das will ich blasen lernen...«
»Habt Ihr denn Unterricht?«
»Noch nicht... der Trompeter Stolzenburg sagt, erst müßte ich das Embouché weghaben, sonst könnte es noch nichts nützen.«
»Was ist denn das für ein Ding, ein Embouché?«
»Das will ich Euch zeigen«, hielt Padderow ihm das Mundstück der Tuba hin; »pustet 'mal da in das Loch hinein.«
Nasewitz nahm das ganze Mundstück zwischen die Lippen und pustete, doch gab es keinen Ton, sondern die Luft ging nur mit kaum hörbarer Strömung durch das enorm dicke Rohr.
»Seht Ihr ... das ist das Embouché nicht«, nahm ihm Padderow die Tuba wieder weg, »nun werde ich mal blasen.«
»Wollt Ihr Euch nicht erst den Schlafrock vorn zusammenmachen?
Der dicke Offizier klemmte erst den Rock und dann die Tuba zwischen seine Knie, bog dann den Oberkörper ein wenig vornüber, preßte die Lippen an das Mundstück und pustete hinein, daß ihm die Augen aus dem Kopf quollen und ihm die Backen zu zerspringen drohten.
»Bö... öh... uh!« klang es in wundervoller Tiefe.
»I... i... i... ih!« quiekte Polko, indem er ein ängstlich nervöses Gesicht machte.
»Das ist also wohl das Embouché!« fragte Nasewitz, sich leise schüttelnd.
»Das ist es«, nickte Padderow mit einem kleinen Triumph ... »im Stehen kann ich nur noch nicht ordentlich... ich werde mich lieber hinsetzen...«
»Nein... bitte, laßt das...« unterbrach ihn Nasewitz... »stellt das Ding wieder in die Ecke... ich habe jetzt eine vollständig klare Vorstellung vom Embouché.«
Der dicke Leutnant trug sein Instrument wieder in die Schlafstube und schloß dieselbe zu.
»Weshalb geht Ihr denn damit so geheimnisvoll um?« fragte Nasewitz.
»Na, seht Ihr... was braucht denn das jeder zu wissen, daß ich auf dem Dinge spielen lerne... es ist ja gar nicht nötig... wozu soll man sich unnütz lächerlich machen...«
»Man hört es ja aber unten auf der Straße, würdiger Gönner.«
»Was Ihr sagt, erlauchter Freund!«
»Ich hielt es erst für Seufzer eines Sterbenden ... und Gründling ebenfalls.«
»Ist das die Möglichkeit!«
»Und der Buchdrucker Kajob, der gerade vorbeiging, hielt es für noch etwas anderes.«
»Auch ein furchtbar dummer Kerl!«
»Auch?« fragte Nasewitz.
»Was wollt Ihr damit sagen?«
» Auch ein dummer Kerl?...«
»Natürlich.«
»Na ... wer ist denn der andere dumme Kerl?« »Gründling«, sagte Padderow, nachdem er ein klein bißchen verlegen geworden.
»Das dachte ich mir«, meinte Nasewitz.
»Nun... wer sollte es denn sonst sein?« lächelte Padderow.
»Wißt Ihr, Eure Tugenden werden übrigens belohnt«, ging Nasewitz zu einem andern Thema über; »der Alte hat schon mit Euren Gläubigern gesprochen...«
»Was Ihr sagt!«
»Und sie haben sich von ihm beruhigen lassen ... fährt daher fort, recht fleißig Musik zu treiben...«
»Nun, das ist doch selbstverständlich ...«
»Ihr seht also wiederum, was Ihr für einen ...«
Hier unterbrach sich Nasewitz selbst und heftete seinen Blick starr auf einen Punkt der lange nicht gescheuerten Dielen.
»Was sehe ich wiederum?« fragte Padderow.
»Was Ihr für einen Freund an mir habt«, beendete Nasewitz seinen Satz, indem er gleichzeitig aufsprang und mit großer Geschicklichkeit eine flinke Schwabe fing, die aus einer Ecke in die andere wollte.
»Was habt Ihr denn da aufgehoben?« fragte Padderow, während Polko ein ebenfalls lebhaftes Interesse für den Vorfall bekundete.
»Ich dachte, es wäre eine Nadel«, entgegnete Nasewitz, die zappelnde Schwabe unter seinem Rockschoß verbergend.
»Wie soll denn hier eine Nadel herkommen?« wunderte sich Padderow.
»Na... man kann doch nicht wissen...«
»Wo seht Ihr denn jetzt schon wieder hin?« fragte der dicke Leutnant den dünnen, weil dieser den Blick mit getäuschter Aufmerksamkeit nach dem Fenster richtete.
»Sitzt da nicht Joseph auf dem Dach?« reckte Nasewitz den Hals.
»I ... wie soll denn Joseph auf das Dach kommen?« wandte der Padderower sich um.
Diesen günstigen Augenblick benutzte der dünne Leutnant, um die zappelnde Schwabe seinem dicken Freunde unbemerkt auf den Strumpf zu setzen, und zwar so, daß sie den Kopf nach oben bekam.
»Seht Ihr noch nichts?« fragte er dann, sich wieder auf seinen Stuhl zurücklehnend, während die flinke Schwabe, mit der diesen Tieren eigentümlichen Geschwindigkeit an dem Strumpf emporlief und bald das nackte Knie des Padderowers erreichte.
»Äh!« fing dieser an zu jucken.
Das durch die Nachstellung geängstigte Insekt lief mit erstaunlicher Schnelligkeit weiter an dem Beim empor.
»Allmächtiger Gott!« schrie der dicke Leutnant, mit einem wilden Satz aufspringend und furchtbar das Gesicht verzerrend.
»Was ist Euch, Ritter ohne Furcht und Tadel?« fragte Nasewitz mit schöner Teilnahme; »weshalb werdet Ihr denn mit einem Mal so lustig?«
Doch der Padderower antwortete nicht, sondern eilte mit allen Zeichen der Verzweiflung in die Schlafstube, wohin Polko mit lebhaftem Interesse ihm folgte.
»Wollt Ihr die Tuba holen, großer Künstler?« rief Nasewitz ihm nach.
Dann klappte die aufgeschlossene Tür und alles war still.
»Das ist die Revanche für den an mir verübten Auferstehungsversuch!« lächelte er selbstzufrieden vor sich hin.
Nach fünf Minuten kam Padderow etwas bleich, aber doch bedeutend ruhiger aus seiner Schlafkammer zurück.
»Es war eine Schwabe«, sagte er mit sichtbarer Erleichterung.
»Was war eine Schwabe?« stellte Nasewitz sich unverständlich...
»Die mir...« nickte Padderow...
»Was denn?«
»Angekrochen war ...« sagte der dicke Offizier mit einer gewissen Verschämtheit.
»Ach so!« verstand nun Nasewitz.
»Polko bat sie aufgefressen«, setzte Padderow ernst hinzu.
Der Hund machte ein vergnügtes Gesicht und bewegte noch die Kinnbacken.
Nachdem die beiden Freunde noch ein wenig sich unterhalten hatten, rüstete Nasewitz zum Aufbruch, nahm Mantel und Mütze und drückte dem Padderower fest und herzlich die Hand.
»Guter Mensch!« dachte dieser, als der andere hinaus war; »vortrefflicher Mensch... aber dumm... nichts versteht er... keine Anspielung merkt er... man muß ihm alles erst deutlich machen... mit der Schwabe zum Beispiel wieder... es war aber ein ganz verfluchtes Ding... Donnerwetter!«