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Am nächsten Morgen war Hasenbalg wieder in großer Aufregung, weil eigentlich erst jetzt die Erzählungen vom gestrigen Abend begannen und mit durstigem Ohr aufgesogen wurden.
Lassen wir die Leutchen vergnüglich sein mit dem, was wir längst wissen, und wenden wir uns selbst zu unserer Geschichte zurück, die nun mit Riesenschritten ihrer Endkatastrophe entgegeneilt.
Am nächsten Morgen also kam der kleine Doktor Klaubert freudestrahlend die lange Straße herunter, die vom Markt, beim Rittmeister Schimmelmann vorbei nach dem Balkamer Tor führt.
Sein Gesicht glühte, als wenn er eine Zeitlang im feurigen Ofen gesungen hatte, die Augen schienen noch ein ganz Teil größer geworden, die Arme schlenkerten ihm am Leibe wie zwei Glockenstränge, die eine gewonnene Schlacht ausläuten und die kurzen Beinchen machten immer zwei Schritte auf einmal, als wenn sie gar nicht schnell genug am Ziel ihres Glückes ankommen könnten.
Als der kleine Doktor Klaubert gerade zwischen der Veste Knelling und dem Hause angekommen war, wo der Kessel vor der Tür hängt, kam Padderow aus dem Torweg und schien zu seinem Freund hinüber zu wollen.
Kaum aber war Klaubert des dicken Offiziers ansichtig geworden, als er mit langen Schritten auf ihr lossteuerte, mit kühnem Satz über den breitklaffenden Rinnstein sprang und freundlich grüßend seine blaue Mütze berührte.
»Guten Morgen, Herr Leutnant«, sagte er mit ganz kurzatmiger Stimme.
»Morgen, Morgen, Doktorchen... Sie sehen ja heute furchtbar lustig aus.«
»Ich bin es auch«, keuchte Klaubert; »nicht allein lustig, sondern glücklich... über alle Maßen glücklich... ich weiß gar nicht, was ich vor Glück anfangen soll.«
»Trinken Sie ein Glas Grog, Doktorchen«, nickte Padderow.
Klaubert schüttelte den Kopf.
»Ach nein«, sagte er; »das würde meine inneren Muten noch mehr anschüren... ich muß vors Tor... ich muß aufs Eis... ich empfehle mich Ihnen, Herr Leutnant!«
»Na, warten Sie doch noch einen Augenblick, Doktor«, hielt Padderow ihn zurück; »Sie gebärden sich ja, als wenn Sie Quecksilber im Leibe hätten... was ist Ihnen denn eigentlich... so habe ich Sie ja noch niemals gesehen.«
Klaubert schien einen Augenblick zu zogern, ob er es sagen sollte dann aber siegte der stürmische Drang der Mitteilung.
»Ach, Herr Leutnant«, begann er, bis zur Ängstlichkeit erglühend; »ich weiß wirklich nicht, ob ich es Ihnen sagen darf.«
»Nun weshalb denn nicht... glauben Sie, daß ich ein Geheimnis nicht bewahren kann?«
»Ach, das wohl, Herr Leutnant... aber vielleicht wenden Sie mir Ihren Zorn zu...«
»Sie haben mir ja nichts getan, Doktor ...«
»O, vielleicht doch ... aber gerade deswegen halte ich es für meine Pflicht, offen und ehrlich gegen Sie zu sein ...«
»Mich soll der Teufel holen, wenn ich Sie verstehe, Doktor.«
Klaubert kämpfte einen kurzen, schweren Kampf.
»Herr Leutnant ... ich liebe!« quoll es ihm dann wie ein Feuerstrom aus der Seele.
»Nun sehen Sie 'mal an ...« lächelte Padderow; »ich gratuliere ...«
»Aber, wenn Sie wüßten, wen ich liebe, Herr Leutnant ...«
»Na, sagen Sie es mir doch, dann weiß ich's ja.«
»Eine Tochter vom Rittmeister Schimmelmann«, sagte der Doktor kleinlaut.
»Bravo, bravo! ... Weshalb sollte ich Ihnen aber deshalb böse sein?«
Klaubert zögerte abermals unter dem Druck eines beängstigenden Gefühls.
»Weil ich dachte ... daß Sie selbst...« hauchte er dann.
»Weil er dachte, daß ich selbst?« wiederholte Padderow in Gedanken ... »sollte er die Alphonsine meinen?«
»Weshalb dachten Sie denn das?« setzte er dann laut hinzu.
»Gott ... man hört... man macht seine Bemerkungen ...«
»Sollte der Nasewitz geplaudert haben?« fuhr es Padderow durch den Kopf.
»Diese Zuneigung des Rittmeisters für Sie«, sprach Klaubert zögernd weiter; »diese auffallende Bevorzugung ...«
»Aha!« dachte Padderow; »er spielt auf die Schimmelmannsche Abendgesellschaft an.«
»Jetzt hat er mich verstanden ... er träumt von der gestrigen Vorstellung«, grübelte der Doktor.
»Ihr feuriges Spiel ...« fuhr Klaubert fort.
»Na ja ... da haben wir's«, überlegte der dicke Leutnant; »mein Konzert auf der Baßtuba.«
»Und dann plötzlich diese Kälte ... diese Grausamkeit ... gegen ... gegen die .. « sagte der Doktor, an Padderows Zusammenspiel mit Desdemona denkend.
»Es ist richtig ... es ist vollkommen richtig«, setzte der Offizier seine stillschweigenden Betrachtungen fort; »meine Kälte ... meine Grausamkeit ... es ging doch aber nicht anders ... ich mußte mich doch zurückziehen ... und nun hat sich der kleine Doktor in die Alphonsine verliebt ... hm ... er wird keine Gnade finden vor ihren Augen... bei ihrem Stolz... und mit meinem Bilde im Herzen... das ist nicht so leicht zu verdrängen... schade... schade...«
Ich habe Sie gekränkt, Herr Leutnant«, sagte Klaubert mit inniger Teilnahme; »ich habe Ihre Seele zerrissen... aber ich mußte es Ihnen doch sagen... ich konnte Sie doch nicht betrügen...«
»Nun natürlich... das ist sehr ehrenwert von Ihnen«, entgegnete Padderow; »ich befürchte nur... ich sehe ein neues Unglück kommen ... dem Sie zum Opfer fallen werden.«
»O weh!« dachte Klaubert... »meine Ahnung war also vollkommen richtig... er hält sich noch für geliebt... wenn ich ihm nun erst mitteile... doch, ich muß... er hat den Kelch noch nicht völlig geleert.«
»Herr Leutnant...« begann er dann laut, aber beinahe mit Mitleidstränen im Auge; »ich bin noch nicht zu Ende... ich habe Ihnen noch mehr zu sagen... bitte, hören Sie mich nur auf Rechnung meiner heißen Liebe... meines... Glückes...«
Hier versagte dem Doktor die Stimme und er schwieg.
»Der arme Mensch«, dachte er; »das Herz bricht ihm.«
»Der arme Teufel«, reflektierte Padderow; »die Hoffnungslosigkeit kommt schon über ihn... er tut mir furchtbar leid.«
Klaubert machte eine gewaltsame Anstrengung, um ihm auch den herbsten Bodensatz des Schierlingsbechers einzustoßen.
»Herr Leutnant«, sagte er mit tonloser Stimme und trübem Mienenspiel; »bitte, erschrecken Sie nicht... ich bin auch ...«
»Was sind Sie auch?« drängte Padderow, als jener abermals nicht weiter konnte.
»Wieder... geliebt!« hauchte Klaubert.
Einen flüchtigen Augenblick fühlte sich die Eitelkeit des dicken Offiziers verletzt, im nächsten Moment aber sank jede andere Rücksicht ohnmächtig zusammen, vor dem Gefühl einer alles überwältigenden Freude.
»Sie werden wiedergeliebt!?« jubelte er auf.
»Weh' mir... er wird wahnsinnig!« entsetzte sich Klaubert.
»Wissen Sie das auch ganz gewiß, Doktor?«
»Ganz gewiß, Herr Leutnant... sie hat es mir selbst gesagt.
Nun konnte Padderow sich nicht mehr halten und, einem gewaltigen inneren Drange folgend, zog er mit seinen kräftigen Armen den kleinen Doktor an sich und küßte ihn, daß jenem der Atem verging.
Klaubert wußte nicht genau, ob er Hilfe rufen oder sich willenlos dem wahnsinnigen Zorn seines Nebenbuhlers überlassen sollte.
Endlich legte sich aber dessen stürmische Gefühlsäußerung.
»Junger Mann«, schüttelte er, ihn loslassend, seine beiden Hände; »seien Sie ganz getrost... in mir finden Sie kein Hindernis Ihres Glückes... ich werde sogar Ihr Fürsprecher sein beim Alten... ich habe das Mädchen ja nie geliebt!«
Damit stürmte er vollen Laufes und in höchster Erregung die Straße hinauf, der Wohnung des Rittmeisters Schimmelmann zu.
»Was? – Er hat sie nie geliebt?« schüttelte Klaubert erstaunt den Kopf; »vorhin sagte er doch aber selbst... na... es ist ja auch noch besser so... ach, mein Gott, was bin ich glücklich!«
Und dann hüpfte er in derselben Weise wie vorhin die Straße weiter hinab, seiner nahen Wohnung zu. –
Padderow polterte die Hintertreppe beim alten Schimmelmann empor, daß er zweimal beinahe gefallen wäre und preschte dann mit hochrotem Gesicht und vulkanischer Aufregung ins Zimmer.
»Na; da sind Sie ja«, stand der Rittmeister freundlich vom Sofa auf; »Gott sei gelobt... endlich wären wir also so weit... seien Sie mir herzlich willkommen, lieber Padderow!«
Und dann zog er den ganz Atemlosen an sich und küßte ihn ab, daß jenen die Spitzen seines langen Schnurrbarts an der Nase kitzelten und er sich die größte Gewalt antun mußte, um nicht zu niesen.
»Was machen Sie denn für ein merkwürdiges Gesicht«, sagte Schimmelmann, als er ihn losgelassen; »Sie werden doch nicht etwa anfangen zu weinen?«
»Herr Rittmeister!« begann Padderow, nachdem er sich erst noch ein paarmal geschüttelt; »ich komme heute... ha... ich komme heute... hat...«
»Mein Gott; was ist Ihnen denn?« fragte der Alte besorgt.
»Hatschi!« pruschte Padderow los.
»Zur Gesundheit!«
»Danke! – ich komme also heute mit einer Nachricht... die dem Herrn Rittmeister hoffentlich sehr angenehm sein wird.«
»Gewiß, gewiß, lieber Freund!« klopfte ihm Schimmelmann auf die Schulter.
»Mir ist die Brust zu voll«, fuhr Padderow nach kurzem Überlegen fort; »ich komme gleich, ohne Umschweif, zur Hauptsache.«
»Nun, das versteht sich ja von selbst...« schmunzelte der Alte, wie ein überglücklicher Kater.
»Herr Rittmeister...« nahm Padderow einen Ansatz; »der Doktor Klaubert liebt Ihr Fräulein Tochter!«
Schimmelmann machte eine Bewegung, als wenn er einen elektrischen Schlag bekommen hätte.
»Sind Sie total wahnsinnig geworden, oder wollen Sie mich foppen?« trat er einen Schritt zurück.
»Keins von beiden, Herr Rittmeister; der Doktor Klaubert hat es mir eben selbst gesagt.«
»Was?«
»Daß er Ihr Fräulein Tochter liebt.«
»Die Alphonsine?«
»Jawohl, Herr Rittmeister.«
Der Alte wurde plötzlich ganz wild vor zorniger Erregung.
»Das ist ja, um verrückt zu werden«, stackerte er im Zimmer auf und nieder; » auch wieder die Alphonsine... Alle die Alphonsine... und die Nachricht soll mir angenehm sein... und die bringen Sie mir, der Sie die Alphonsine selber lieben?«
Padderow, der nicht ganz mit Überlegung gehandelt, geriet jetzt in Verlegenheit. Sollte er Nasewitz bloßstellen und ihn verraten, das ging doch nicht; aber die Sache ließ sich ja auch anders einrichten.
»Ich liebte allerdings Ihr Fräulein Tochter«, sagte er dann; »aber ich liebe sie jetzt nicht mehr!«
»Herr! Warum nicht?« brauste Schimmelmann auf.
»Weil sie einen anderen liebt, Herr Rittmeister... und da trete ich natürlich zurück.«
»Unsinn! – Wen liebt sie denn?«
»Den kleinen Doktor Klaubert, Herr Rittmeister.«
»Das ist nicht wahr... Herr... verstehen Sie mich?« wurde Schimmelmann immer wütender; »meine Alphonsine liebt Sie ganz allein... meine Alphonsine kann gar keinen anderen lieben... das ist ganz unmöglich... haben Sie mich verstanden? - Und den Doktor Klaubert kann sie erst recht nicht lieben... das ist 'ne Verrücktheit ... woher wissen Sie das... wer hat Ihnen das gesagt?«
»Der Doktor Klaubert selbst, Herr Rittmeister; vor fünf Minuten.«
»Und woher weiß der, daß er von meiner Tochter geliebt wird?«
»Aus dem Munde Ihrer Fräulein Tochter.«
Schimmelmann fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare, daß er jetzt einem blutdürstigen Räuberhauptmann nicht unähnlich sah.
»Herrje!« schrie er; »der Kopf platzt mir entzwei... vier Menschen verlieben sich in meine Alphonsine... meine Alphonsine liebt einen von diesen vieren wieder... und dieser eine tritt zurück, weil sie einen anderen vorziehen soll... die Geschichte wird mir jetzt zu toll, wissen Sie das? - Ich komme mir vor, wie ein Mensch, mit dem Schnippschnappschnurr gespielt wird... ich weiß nicht mehr, ob andere Leute verrückt geworden sind oder ich selber... Heiliges Himmeldonnerwetter... die Sache muß jetzt zu Ende kommen ... vier Menschen lieben meine Alphonsine und alle sind sie zu schüchtern, es ihr zu sagen... ist so 'was in der ganzen Welt schon dagewesen? – Und gerade der, den die Alphonsine liebt, der kommt und sagt, daß er sie nicht liebt... dazu ist er nicht zu schüchtern... da möchte man sich ja den Schnurrbart und noch verschiedenes andere ausreißen ... Kreuzhimmeldonner... länger lasse ich mich nun nicht an der Nase 'rumführen, wie ein Esel... Licht will ich haben... klar will ich sehen... und wehe dem, der sich unterstanden hat, mir einen Possen zu spielen... der alte Schimmelmann wird ihm zeigen, wo Bartel Most holt...«
»Aber, Herr Rittmeister«, wagte Padderow ihn zu unterbrechen.
»Ruhig, Herr! Haben Sie die Geschichte angefangen, können Sie sie nun auch zu Ende führen ... holen Sie mir den Doktor Klaubert hierher, und die beiden anderen auch, den Klötersdorf und den Strammin... alle viere muß ich sie zusammenhaben, und dann müßte es doch mit dem leibhaftigen Teufel zugehen, wenn ich nicht der Geschichte auf den Grund kommen sollte.«
»Aber, Herr Rittmeister«, versuchte Padderow noch einmal einzuwenden.
»Ruhig, Herr! – Sie sind ein netter Ritter, wenn Sie Ihrer Dame so schnell entsagen...«
»Wenn sie aber einen anderen liebt, Herr Rittmeister...«
»Ich sage Ihnen, daß das nicht wahr ist... aus ihrem eigenen Munde will ich es hören, eher glaube ich es nicht... der Doktor Klaubert ist noch besoffen gewesen von gestern abend und hat Ihnen 'was vorgelogen...«
»Das ist ein ehrenwerter Mann, Herr Rittmeister!«
»Ruhig, Herr... holen Sie mir jetzt die drei anderen her... aber ein bißchen schnell, wenn ich bitten darf, sonst ist es nicht unmöglich, daß ich unterdes den Verstand verliere... aus dem Munde meiner Alphonsine muß ich's hören, sonst glaube ich nicht ein Jota von der Geschichte.«
Was sollte der arme Padderow machen? Er ging, aber mit schwerem Herzen.
»Ich habe kein Glück in der Welt«, grübelte er unterwegs; »nun dachte ich, daß das ganze Ränkespiel so hübsch und einfach gelöst wäre, und wie Gott den Schaden besieht, steht es schlimmer mit mir, als zuvor. – Belogen wird mich Klaubert nicht haben; aber irren kann sich jeder Mensch... und wenn die Alphonsine mir nun mit eigenem Munde sagt, daß sie mich liebt ... dann ... dann haue ich mir nachher ein Loch in die zugefrorene Hase, stecke den Kopf 'rein und ersäufe mich. - Auf andere Weise wird der arme Padderow wohl keine Ruhe bekommen.« -
Nach Verlauf einer kleinen halben Stunde kam Padderow mit den beiden Fähnrichen und dem kleinen Doktor Klaubert an.
Unten auf dem Hausflur stand Pätel, der Bursche, und sagte, sie möchten die Vordertreppe hinaufgehen, der Herr Rittmeister erwarte sie im Wohnzimmer.
Noch eine Minute später, und die vier Herren traten ein.
Padderow sah aus wie eine dicke flügellahme Eule; die beiden Fähnriche hatten eine Angst, daß ihnen die Augen übergingen, und bloß der kleine Doktor schaute keck und fröhlich drein, als wenn ihn weiter nichts beseelte, als der Gedanke an sein süßes Lieb.
Im gemeinschaftlichen Wohnzimmer befanden sich Schimmelmann und dessen Gattin.
Der Alte ging wie ein bissiger Igel im Zimmer auf und ab, und die kleine Mama, die bis jetzt nichts von dem erfahren hatte, was vorgegangen war und was noch vorgehen sollte, saß auf dem Sofa und machte ein gar wunderliches Gesicht.
Als die vier Herren eingetreten waren, stellten sie sich dienstmäßig nach dem Alter in eine Linie, Padderow auf dem rechten Flügel, Klaubert auf dem linken, die beiden Fähnriche in der Mitte.
Schimmelmann starrte sie erst eine Weile an, daß den armen Menschen ganz unheimlich dabei zumute ward, und dann brummte er, die Höflichkeit doch nicht ganz aus den Augen setzend:
»Guten Morgen, meine Herren!«
»Guten Morgen, Herr Rittmeister«, antwortete ihm ein gemischter Chor.
»Freue mich, Sie hier alle vier versammelt zu sehen... die Geschichte muß nun nämlich, ohne fernere Rücksicht, sofort entschieden werden.«
Die kleine Mama auf dem Sofa warf einen verwunderten Blick auf ihren Gatten und dann einen ebensolchen auf die zitternden Herren.
Schimmelmann flackerte, wie der Ritter Blaubart, nach der Tür des Nebenzimmers und öffnete diese.
»Alphonsine!« rief er hinein.
»Komm' 'mal einen Augenblick heraus.«
»Ja, lieber Papa!« riefen alle vier, vom weiblichen Instinkt getrieben.
»Nein... die anderen nicht... dringeblieben... bloß die Alphonsine!«
Die Gerufene erschien und begrüßte etwas erstaunt die sich verbeugenden Herren.
Die drei anderen Schwestern horchten natürlich an der Tür.
Der Rittmeister warf erst einen beobachtenden Blick auf seine Tochter, dann einen zweiten auf die Besucher.
»Alphonsine«, sagte er mit gezwungener Ruhe; »du wirst von jedem dieser vier Herren geliebt.«
Das Mädchen zuckte errötend zusammen, Padderow bekam eine Anwandlung von Schwindel, die drei anderen machten erstaunte Gesichter, und die kleine Mama auf dem Sofa wußte gar nicht, was sie davon denken sollte.
»Du wirft am besten wissen, wen du wiederliebst«, fuhr Schimmelmann fort; »also nenne ihn, damit ich ihn ebenfalls kennenlerne.«
»Nun wird's losgehen«, dachte Padderow, nach einer Stuhllehne greifend; »Gott sei meiner armen Seele gnädig!«
»Aber, Alter, was ist denn das ... davon weiß ich ja gar nichts«, sagte die kleine Mama auf dem Sofa.
»Ruhig! ... Wird es nun bald, Alphonsine! - Welchem von den vier Herren hast du deine Liebe zugewandt?«
»Puh!« stöhne Padderow.
»Aber, Papa«, geriet das Mädchen in Verwirrung; »ich kann unmöglich ... ich...«
»Na, liebst du, oder liebst du nicht?« stampfte Schimmelmann wild mit dem Fuß.
»Ja, lieber guter Papa ...« ängstigte sich Alphonsine.
»Na, siehst du wohl ... nun wissen wir's ja ... also welchen?«
»Papa, ich wiederhole dir ... diese Herren sind ... ich bitte, mich entfernen zu dürfen ...«
»Hiergeblieben!« schrie der Alte; »willst du es jetzt augenblicklich sagen, welchen von den vier Herren du liebst, oder willst du es nicht sagen?«
»Nein, Papa ... ich kann es ja nicht ...« schlug das geängstigte Mädchen die Augen nieder.
»Gut!« sagte Schimmelmann; »wenn du störrisch bist, werden wir es auf andere Weise herausbekommen.«
»Aber, Heinrich!« sagte die kleine Mama auf dem Sofa.
»Still!«
Dann wandte er sich zuerst an den rechten Flügelmann.
»Herr von Padderow«, sprach er ernst; »ich fordere Sie auf, mir zu sagen, ob Sie meine Tochter lieben.«
»Nein, Herr Rittmeister«, hauchte der dicke Leutnant.
»Sie bleiben also dabei, zurückzutreten... bleiben also nur noch drei.«
Alphonsine hätte in die Erde sinken mögen.
»Herr von Klötersdorf«, ging Schimmelmann nun zu dem zweiten in der Linie über; »ich fordere Sie auf, mir zu sagen, ob Sie meine Tochter lieben ... laut!«
»Ja, Herr Rittmeister!« krächzte der Fähnrich, dem die Kehle zugeschnürt war, »aber ...«
»Ruhig! ... Kein aber! ... Ich weiß genug.«
»Herr von Strammin«, fuhr der Alte fort; »ich fordere Sie auf, mir zu sagen, ob Sie meine Tochter lieben ... laut!«
»Ja!« schrie der andere Fähnrich; »ich liebe sie ... aber es ist ja ...«
»Ruhig! ... Kein aber ... das Faktum genügt ...«
Dann ging er zum kleinen Klaubert über.
»Und Sie sind also auch in meine Tochter verliebt ... was?«
»Jawohl, Herr Rittmeister, aber ich erlaube mir, zu bemerken ...«
»Daß Sie von ihr wiedergeliebt werden, nicht wahr?«
»Allerdings, Herr Rittmeister, ich bin so glücklich; aber ich erlaube mir ganz gehorsamst zu bemerken, daß ...«
»Ruhig! - Das andere ist Nebensache... meine Tochter liebt also einen Pillenkneter ... Donnerwetter!«
»Aber, Alter«, machte die kleine Mama auf dem Sofa.
»Still!«
»Da hast du die Aussagen deiner Anbeter«, wandte er sich dann wieder an Alphonsine ... sie lieben dich alle drei ... der Doktor behauptet sogar, deine Gegenliebe zu besitzen ... suche dir also gefälligst einen aus.«
»Gott sei gelobt!« stöhnte Padderow in tiefster Seele; »der kleine Klaubert hat sich doch nicht geirrt ... sonst würde er es doch in ihrer Gegenwart nicht offen sagen ...«
Alphonsine zitterte wie Espenlaub; denn dieser seltsamen und unerwarteten Situation war ihre zarte Natur nicht gewachsen.
»Na ... wie lange besinnst du dich noch?« fuhr sie Schimmelmann an; »einig wirft du doch wohl schon mit dir sein.«
In diesem Moment ertonte aus dem Nebenzimmer ein lautes Kreischen, Weinen und Jammern.
»Herrje!« hielt sich Schimmelmann mit beiden Händen die Ohren zu; »was ist denn das für ein Spektakel!«
»Mein Gott; es hat sich vielleicht eine verbrannt«, läuft die Mama ins andere Zimmer und läßt in der Eile die Tür offen.
»Ruhig!« schreit der Alte; »das ist nicht zum Aushalten ... mir platzt das Trommelfell!«
»Aber, was ist Euch denn, Kinder, so sprecht doch, was weint Ihr denn?« ruft die Mutter mit lauter Stimme durch den immer stärker werdenden Lärm.
»Die Alphonsine wird von allen geliebt ... wir haben es recht gut gehört ... mit uns hat man gespielt ... wir sind betrogen worden ... er ein Verräter; wer hätte das gedacht... also solche Augen können auch lügen ... wir wollen sterben ... ich gehe ins Kloster ...« so tönte es von den drei Schwestern wild und wirr durcheinander.
Alphonsine wollte sprechen; aber sie kam in dem Getöse nicht zum Wort.
Die vier Herren wollten ebenfalls sprechen; aber da es unmöglich war, sich Gehör zu verschaffen, so machten sie halb ängstliche, halb verzweiflungsvolle Gesichter und schwiegen.
»Was soll denn das nun wieder bedeuten?« brüllte Schimmelmann, als wenn er seine Schwadron kommandierte; »wer hat Euch betrogen? - Wer ist ein Verräter? - Was geht es Euch überhaupt an, von wie vielen Männern Alphonsine geliebt wird?«
Der Lärm im Nebenzimmer wurde immer furchtbarer.
»Die Alphonsine braucht doch nur einen... weshalb nimmt sie uns denn unsere Anbeter auch noch fort!« kreischte es durch den Lärm.«
»Ich habe Euch gar keinen fortgenommen!« machte sich die ältere Schwester jetzt mit Gewalt hörbar; »ich weiß nicht, wie die vier Herren darauf kommen, mich zu lieben; ich liebe gar keinen von ihnen.«
»Nun liebt sie wieder gar keinen!« griff sich Schimmelmann in die Haare.
»Wir lieben Fräulein Alphonsine ja auch nicht!« riefen die vier Herren wie aus einem Munde.
»Was?« schrie der Alte; »erst lieben sie alle, und nun liebt sie wieder gar keiner ... mir ist der Kopf schon wie Blei!«
»Das ist nicht wahr; das ist nicht wahr!« weinten die anderen Schwestern; »die Herren haben es ja vorhin selber gesagt!«
»Es ist aber doch wahr!« wurde jetzt Alphonsine ebenfalls heftig; »ich liebe Herrn von Nasewitz!«
»Schön! - Das wird ja immer bunter«, brüllte Schimmelmann; »das ist also der fünfte... vielleicht kommen noch mehr ... ruhig, zum Donnerwetter, oder ich schicke Euch auf die Hauptwache!«
Es wurde aber nicht ruhig, im Gegenteil, das Weinen und Jammern bekam jetzt etwas Herzzerreißendes.
»Herr von Padderow!« faßte Schimmelmann den dicken Offizier am Epaulette; »wollen Sie mir einen Gefallen tun?«
»Sehr gern, Herr Rittmeister!«
»Bitte, holen Sie mir den Herrn von Nasewitz.., den müssen wir auch hier haben... der hat überhaupt die ganze Geschichte eingerührt... aber schnell... bitte... man kann ja nicht wissen, wie lange man noch seinen gesunden Menschenverstand behält.«
Padderow eilte ab, die drei anderen Herren standen wie die traurigen Kraniche, die Mädchen weinten, die Mutter tröstete und Schimmelmann hielt sich die Ohren zu und lief auf und nieder wie ein wildes Tier im Käfig.
Nach einer kleinen Viertelstunde erschien Paddcrow mit Nasewitz.
Kaum waren beide eingetreten, als der Alte sofort auf den langen Offizier losstürzte.
»Sie haben mir gesagt, daß Herr von Padderow meine Tochter liebte«, schrie er ihn an; »ist das wahr?«
»Gewiß, Herr Rittmeister«, bestätigte Nasewitz; »Fräulein Alphonsine.«
Die Betreffende sah ihn fast erschreckt an.
Nasewitz fühlte den Blick, und schwarze Flecken tanzten vor seinen Augen.
»Ist das wahr, Herr von Padderow?« wandte sich nun Schimmelmann an diesen; »liebten Sie meine Tochter?«
Der dicke Leutnant machte ein dumm-wehmütiges Gesicht und wußte nicht, was er antworten sollte.
»Sage doch ja«, kniff ihn Nasewitz von hinten; »du hast mir ja gesagt, daß sie dich nicht will, sondern daß sie einen andern liebt.«
»Wollen Sie die Freundlichkeit haben, zu antworten!« schrie Schimmelmann.
»Jawohl, Herr Rittmeister«, nickte Padderow; »ich liebte Fräulein Alphonsine.«
Die Betreffende schüttelte höchst verwundert den Kopf, im Nebenzimmer ward es stiller.
»Gut!« sagte der Alte; »also weiter; Herr von Nasewitz, Sie haben mir bestätigt, Herr von Klötersdorf liebe meine Tochter; ist das wahr?«
»Gewiß, Herr Rittmeister«, lächelte der Leutnant; »Fräulein Euphrosine.«
»Was?« schrie Schimmelmann... »die Euphrosine... ich denke die Alphonsine?«
Die Betreffende war bei der letzten Wendung der Unterhaltung ins Zimmer getreten und lächelte durch Tränen.
»Da müssen sich der Herr Rittmeister doch verhört haben«, meinte Nasewitz; »Herr von Klötersdorf hat immer Fräulein Euphrosine geliebt... nicht wahr, Herr von Klötersdorf?«
»Jawohl!« antwortete der Fähnrich mit einer hohen und einer tiefen Silbe.
»Alterchen, du wirst dich wohl verhört haben«, streichelte ihn die glückliche kleine Mama; »du bist jetzt überhaupt so zerstreut... du hast ja sogar vergessen, mir von der Sache auch nur ein Wort zu sagen.«
Schimmelmann blickte eine Weile starr vor sich hin; dann setzte er sein Examen weiter fort.
»Herr von Nasewitz«, fuhr er diesen plötzlich wieder an, daß er zusammenschreckte; »Sie haben mir gesagt, Herr von Strammin liebe meine Tochter... ist das wahr?«
»Gewiß, Herr Rittmeister«, lächelte der Leutnant; »Fräulein Cölestine.«
»Donnerwetter!« fluchte Schimmelmann... »ich dachte wieder die Alphonsine!«
Die Betreffende war bei Nennung ihres Namens verschämt ins Zimmer getreten und lächelte nun ebenfalls durch Tränen.
»Du hast dich verhört, Alter!« streichelte ihn die kleine Mama.
»Herr von Strammin«, wandte sich Nasewitz an diesen; »haben Sie nicht immer Fräulein Cölestine geliebt?«
»Jawohl, Herr Leutnant!« bestätigte dieser.
Schimmelmann schien sich besinnen zu wollen; dann ging das Fragen aber wieder los.
»Und nun kommt der Padderow«, sagte er; »und macht mir die Mitteilung: der Doktor Klaubert liebe meine Tochter und habe Gegenliebe gefunden.«
»Ganz recht, Herr Rittmeister«, nickte der Doktor furchtbar freundlich; »Fräulein Melusine.«
»Na, da schlag Gott den Teufel tot!« fluchte Schimmelmann; »ich dachte wieder, es wäre die Alphonsine.«
»Ach so!« dachte Padderow; »diesmal liegt die Verwechslung an mir...«
»I, sieh' 'mal an«, frcute sich Nasewitz; »das macht sich ja prächtig... nun sind ja schon drei untergebracht ... bloß die arme Alphonsine bleibt übrig.«
»Du hast eine schreckliche Verwirrung angerichtet, Alterchen«, streichelte ihn die kleine Mama.
Schimmelmann preßte sich die Hand vor die Stirn, als wenn er seine Gedanken klarer machen wollte.
»Also ich habe die Konfusion gemacht«, sagte er; »ich dachte eigentlich, die anderen wären es gewesen... aber es muß doch wohl seine Richtigkeit haben ... wie, Mädchen?«
Die drei jüngeren Schwestern nickten freundlich mit dem Kopf.
»Hm!« machte Schimmelmann; dann fiel ihm aber plötzlich wieder etwas ein.
»Herr von Nasewitz!« wandte er sich abermals an den langen Offizier.
»Herr Rittmeister befehlen?«
»Nun sagt mir aber vorhin meine Tochter Alphonsine, daß sie in Sie verliebt sei... wie verhält sich's denn damit?«
Die älteste Tochter wurde dunkelrot vor Verlegenheit und Scham und schlug die Augen zu Boden.
Nasewitz bekam ein Gefühl, als wenn der Blitz ihn getroffen; dann aber durchströmte es auch ihn siedendheiß.
»Ganz recht, Herr Rittmeister«, entgegnete er dann schnell, weil nicht gezögert werden durfte; »ich liebe Fräulein Alphonsine.«
Das Mädchen legte unwillkürlich die Hand aufs pochende Herz.
»So!« sah ihn der Alte an; »seit wann lieben Sie sie denn?«
»O ... schon lange«, sagte Nasewitz.
»Weshalb hinterbrachten Sie mir denn aber, daß Herr von Padderow sie liebe?«
»Weil es die Wahrheit war, Herr Rittmeister!«
»Und deshalb traten Sie freiwillig zurück?«
»Weil ich meinen Freund von dem Fräulein geliebt glaubte und mich nicht aufdrängen wollte.«
Alphonsine warf ihm einen mild vorwurfsvollen Blick zu.
»Edler Mann!« drückte Schimmelmann den langen Leutnant an sein Herz.
»Und weshalb entsagten Sie denn nun wieder, Herr von Padderow?« wandte sich der Alte an diesen.
»Weil ich wußte, daß Nasewitz geliebt sei«, sagte jener.
»Edler Mann!« drückte Schimmelmann den kleinen Dicken ans Herz; »ich wünschte, ich hätte noch eine Tochter, um sie Ihnen geben zu können.«
»Sie meinten also ... die Alphonsine ... als Sie zu mir kamen?« fragte der Alte weiter; »die Sache ist mir noch nicht recht klar ... da Sie zurücktreten wollten, mußten Sie allerdings die Alphonsine meinen ... aber Sie sprachen doch auch vom Doktor Klaubert...«
»Ja ... natürlich ...« nickte Padderow; »ich wollte Ihnen beides sagen ... und brachte es in der Aufregung nur ein bißchen durcheinander...«
»Haha!« machte Schimmelmann; »Donnerwetter; nun sind wir sie ja alle vier los!«
»Gott, ist das ein Glück!« klopfte die kleine Mama in die Hände.
»Na«, schmunzelte jetzt auch der Rittmeister; mir soll's recht sein ... wollt Ihr Euch also wirklich alle zusammen heiraten?«
»Ja!« tönte es von acht Lippenpaaren.
»Na, dann nehmt Euch... und Gott sei mit Euch!« nickte Schimmelmann, dem Wasser in die Augen kam.
Die Anbeter traten zu ihren Angebeteten und gaben ihnen die Hand und blickten ihnen ins Antlitz.
»Wie konnten Sie aber glauben, daß ich Herrn von Padderow liebe?« fragte Alphonsine leise.
»Die Liebe ist ja blind!« küßte ihr Nasewitz zärtlich die Hand.
Nun wollen wir aber die vier Paare verlassen, damit wir nicht die glücklichste Stunde ihres Lebens stören. - -
Zu Mittag gingen die Herren Bräutigame fort, weil die kleine Mama nicht hinreichend Essen für sie hatte. -
»Donnerwetter, kannst du aber lügen!« sagte Padderow zu Nasewitz.
»Na, du hast auch das deinige geleistet«, entgegnete Nasewitz zu Padderow.
»War das aber eine tolle Geschichte, Edler von Knelling.«
»Ja!« lachte dieser; »es war die Geschichte von einem Menschen, der seinen Freund von Gläubigern retten wollte und, ohne daß er es beabsichtigt, die vier Töchter eines Rittmeisters verheiratete.«
»Und dabei bist du selber zu einer Frau gekommen, du weißt nicht wie?«
»Da hast du recht, alte Seele; aber ich glaube nicht, daß ich es bereuen werde.«