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Am nächsten Morgen treffen wir die beiden Fähnriche an demselben Kaffeetisch, wo wir sie schon einmal gefunden haben.
Strammin war ein bißchen nachdenklich, und Klötersdorf sah blasser aus als sonst, hatte Wasser in den Augen und eine stark gerötete Nase.
Die jungen Leute hatten sich gestern abend nicht mehr gesehen und waren diesen Morgen eben erst zusammengekommen.
»Hat... schi!« eröffnete Klötersdorf die Unterhaltung.
»Zur Gesundheit!« nickte Strammin.
»Danke!« krächzte Klötersdorf.
»Du bist ja furchtbar heiser.«
»Muß mich wohl ein bißchen erkältet haben.«
»Wann bist du denn nach Hause gekommen?«
»Es konnte wohl zehn sein.«
»So früh?«
»Hat... schi!«
»Zur Gesundheit!«
»Danke! - Und du?«
»Es mochte wohl zwei sein.«
»So lange seid Ihr zusammen gewesen?«
»Natürlich!« log Strammin, der wieder vergeblich gewartet hatte.
»Der Glückliche!« dachte Klötersdorf.
»Hast du dich gut amüsiert?« fragte der andere.
»Prachtvoll!«
»Gutes Souper?«
»Delikat.«
»Der Glückliche!« dachte Strammin.
Der arme Klötersdorf hatte sich nicht bloß furchtbar erkältet, sondern durch seine Seele zogen auch aschgraue Befürchtungen. Er war vom Grafen Schwülenberg erkannt worden, zwei Damen hatten mit ihm am Fenster gestanden: wie sollte die unglückselige Geschichte also wohl geheim bleiben? - Das war ja gar nicht möglich. - Und womit sollte er die seltsame Situation begründen, in der man ihn gesehen? Man mußte ihn unfehlbar für einen der sittenlosesten Menschen halten, und da tat man ihm doch bitteres Unrecht. - Der Oberst hatte ihn noch ganz vor kurzem gewarnt... und dennoch... und gleich nachher übertrat er das Verbot in der allerschlimmsten Weise. - Eine schwache Hoffnung gab es noch... Graf Schwülenberg war sehr zerstreut... wenn er es vergäße... doch dann wußten es ja immer noch die Möhrenstolzens... nein, nein... die Geschichte konnte nicht verborgen bleiben...
»Wir müssen uns wohl zur Parade anziehen«, sagte endlich Strammin.
»Hat...«
»Wie?«
»Schi!«
»Ach so... pros't!«
»Danke!«
»Ich hole dich ab, Klötersdorf.«
»Gut!«
»Und nachher wollen wir unten zu Zieme gehen und ein Glas Bowle trinken.«
»Meinetwegen!«
»Auf Wiedersehen also!«
»Auf Wiedersehen!«
Zwanzig Minuten später schritten die beiden Fähnriche im besten Anzuge die Straße hinunter dem Marktplatz zu.
Es war wieder ein schöner Morgen und die liebe Sonne hatte auch ihre Paradeuniform an und blitzte und blinkte vom Himmel herab, als wenn sie das ganze alte Nest vergolden wollte.
Dem armen Klötersdorf war äußerst schlecht zumute, als er den Markt betrat.
Obgleich es noch ziemlich früh war, stand doch alles schon in bester Ordnung und wartete der Dinge, die da kommen würden.
Der schuldbewußte Fähnrich nahm den Säbel hoch, damit er nicht klappern sollte, und setzte die Füße, wie wenn er auf Eiern ginge.
Als er näherkam, ließ er seine Blicke in furchtsamer Eile die Offizierlinie hinuntergleiten.
Da stand, schon ziemlich weit oben unter den Sekondeleutnants, der alte Graf Schwülenberg.
Klötersdorf gab sich die größte Mühe, seinen Gesichtsausdruck zu studieren; aber das Wasser, das er in den Augen hatte, ließ ihm alles unbestimmt erscheinen.
Der ganze alte Graf sah aus, als wenn er auseinanderfließen wollte, als wenn alle Umrisse sich hin- und herbewegten, und namentlich der lange Schnurrbart schob sich immer auf und ab in dem mageren Antlitz, als wenn er losgegangen wäre und nun seine richtige Stelle nicht wiederfinden könnte.
Klötersdorf bog, ohne ein Resultat seiner flüchtigen Forschung erzielt zu haben, um den rechten Flügel der Aufstellung und füllte einige Sekunden darauf die für ihn offen gelassene Lücke aus.
Manche Offiziere unterhielten sich miteinander; manche starrten vor sich hin ins Blaue; die Dragoner machten feierliche Sonntagsgesichter.
Da dröhnte es vom Rathausturm herab.
Genau mit dem ersten Schlage trat der alte Oberst Hollprägel um die Ecke des Marktplatzes, und sowie Offiziere und Soldaten ihn erschaut, läuft es durch die Reihen wie ein elektrischer Schlag; alles reckt sich empor, gibt sich ein Ansehen und macht das Dienstgesicht.
Der Oberst schreitet bis vor die Mitte der Offizierlinie, wo sein Adjutant ihn schon erwartet, wirft einen strengen Blick auf seine Unterbefehlshaber, klappt klirrend die bespornten Absätze zusammen und berührt grüßend den Tschako.
Die Offiziere klappen ebenfalls die Absätze zusammen und machen ihm diese Bewegung nach.
Nachdem die Hände wieder gesunken sind, treten die vier Rittmeister vor und melden nach der Reihe, daß nichts Neues vorgefallen sei.
Der Oberst hört jeden dieser Berichte wißbegierig an, nur als Schimmelmann seine Meldung macht, tritt er unwillkürlich einen Schritt zurück, weil der Alte heute wieder ganz absonderlich bissig aussieht.
Nachdem die Eskadronchefs in die Linie zurückgestackert sind, winkt der Oberst mit der Hand, und der Adjutant läßt die neue Wache Gewehr auf nehmen und präsentieren.
Und der Oberst winkt wieder.
Ein schmetterndes Signal ertönt, der Kommandeur faßt mit einem Schlag an die Kopfbedeckung, die Offiziere tun dasselbe, als wenn sie eine Mücke totklatschen wollten, die sich auf ihre Stirn gesetzt, und Padderow wirft dabei einen heimlich verliebten Blick nach der großen Tuba.
Der Adjutant läßt die Wache im Viereck aufmarschieren; der Oberst tritt stolz in die Mitte, die vier Wachtmeister folgen ihm, den Ausdruck einer heiligen Andacht auf den Zügen.
Der Oberst beugt sich etwas nach vorn und flüstert dem nächsten etwas ins Ohr, als wenn er ihm das wichtigste Staatsgeheimnis mitteilte.
Der erste Wachtmeister sagt's dem zweiten, der zweite dem dritten, der dritte dem vierten und der vierte gibt es dann mit heiligem Ernst dem Oberst zurück.
Das große Geheimnis ist ein kleines Wort, ein Städtename, den die Wachtmeister in ihrer roten Brieftasche notieren; dann wird er dem Unteroffizier auf Wache mitgeteilt, der ihn sorgsam ins Wachtbuch schreibt, und wenn der Offizier du jour abends die Wache revidiert, flüstert ihm der Unteroffizier die ihm in der Regel gänzlich unbekannte Stadt noch einmal zu.
Das ist die Parole und weiter hat sie keinen Zweck.
Nun schwenkt die neue Wache zur Ablösung der alten ab, die Musik bläst lustig voran, die fröhliche Jugend beiderlei Geschlechts nebenher, und Herr von Padderow sendet einen liebevollen Blick der dicken Baßtrompete nach.
Dann sieht er nach dem alten Schimmelmann; aber der alte Schimmelmann merkt es nicht.
Nachdem die neue Wache auf- und die alte abgezogen ist, treten die Trompeter in die Mitte des Marktplatzes, um ihre pflichtgemäßen drei Stücke zu blasen.
Der Oberst blickt sinnend vor sich hin; die Offiziere tun mehr oder weniger dasselbe.
Die Trompeter bilden einen Kreis, kleine Jungen halten die Notenblätter, das erste Stück beginnt, der Oberst spricht mit diesem und mit dem, und die Offiziere strecken die rechten Beine vor, um es sich bequemer zu machen.
Padderow hustet, als wenn er wieder einen Käfer im Halse hätte, aber die Musik übertönt ihn.
Die Hasenbalger Jugend umgibt den Kreis der Trompeter; die Offiziersöhnchen haben einen papiernen Federhut und einen blechernen Säbel an der Seite und zeigen schon im zarten Alter hervorragende Neigung für den Stand ihrer Väter und Ahnen.
Die kleinen Schwesterchen haben sich an die Händchen gefaßt und tanzen Ringelringel-Rosenkranz; sie lächeln und wallen mit den Löckchen und drehen mit den kurzen Röckchen und setzen die kleinen Füße mit den kleinen Waden so allerliebst und kokett, daß es ein Vergnügen ist, zuzusehen.
Auch sie zeigen schon im zarten Alter hervorragende Neigung für die Aufgabe ihres Geschlechts und instinktives Verständnis für Anwendung und Wirkung ihrer kaum knospenden Reize.
Die Melodie klingt lustig durch die Stadt; hübsche und häßliche Gesichter drücken sich an die Fensterscheiben; die kleinen Mädchen tanzen immer wilder, und die Ammen wiegen, lächeln und tänzeln die jüngsten Früchte der Liebe in Schlaf.
Das zweite Musikstück beginnt, ein Marsch, in dem die Baßtuba furchtbare Töne auszustoßen hat.
Sofort versucht Padderows dickes Gesicht einen schwärmerischen Ausdruck anzunehmen und er schielt fortwährend nach Schimmelmann, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen; aber der alte Rittmeister schiebt mit der Oberlippe den buschigen Schnurrbart unter die Nase und starrt vor sich hin wie ein Menschenfresser.
Nasewitz, der neben Padderow steht, blickt diesen lächelnd an.
Die Baßtuba quält sich in einer Weise ab, daß es ordentlich schaurig klingt, und Padderow setzt einen Fuß vor, als wenn das dicke gelbe Ding ein Magnet wäre, der ihn mächtig anzöge.
Nasewitz streckt ebenfalls das lange Bein aus und bringt durch ein geschicktes Manöver den langen Schleppsäbel seines Freundes unbemerkt zwischen dessen Füße.
Padderow zieht das andere Bein nach und steht um einen Schritt vor der Offizierslinie; jetzt endlich hat er das Glück, von Schimmelmann gesehen zu werden, und sofort wird sein Gesicht noch um ein Bedeutendes schwärmerischer und er wiegt graziös den Kopf, daß der Tschako auf demselben hin und her zu rutschen beginnt und die Fangschnüre in eine tänzelnde Bewegung geraten.
Der Rittmeister starrt ihn mit der größten Verwunderung an, doch der Musikschwärmer laßt sich nicht stören und wackelt immer weiter mit dem Kopf.
Mit einem Male bekommt ihn auch der Oberst Hollprägel zu sehen, der auf dem rechten Flügel mit dem etatsmäßigen Major sprach.
»Herr von Paddero... ow!« ruft er mit seiner hohen Stimme; »wo wollen Sie denn hin?«
Der dicke Offizier bekommt einen Schreck, will schnell den Schritt zurückmachen, verwickelt sich aber dabei in den Säbel, der ihm zwischen die Beine gekommen ist, und fällt Nasewitz auf den Leib, der ihn aufhält, dann aber mit dem Fuß fest auf seinen rechten Sporn tritt.
»Herr von Paddero... ow!« ruft der Oberst noch einmal; »was machen Sie denn... Sie torkeln ja... ist Ihnen nicht wohl?«
Der dicke Offizier ist so bestürzt, daß er kein Wort erwidern kann, sondern erst sein Gleichgewicht herstellen muß.
»Kommen Sie 'mal her«, sagt Hollprägel, selber näher stackernd ... »kommen Sie 'mal vor!«
Padderow will dem Befehl gehorchen, aber Nasewitzens Fuß steht auf seinem rechten Sporn und er bewegt denselben nicht von der Stelle.
»Ich muß sehr bitten, Herr von Paddero... ow!« bekommt der Oberst schon einen roten Kopf; »haben Sie mich nicht verstanden?«
Der dicke Leutnant setzt erst den linken Fuß vor und macht dann eine verzweifelte Anstrengung, den rechten nachzuziehen.
In diesem Augenblick nimmt Nasewitz seinen Stiefel von dem Sporn fort, und Padderows kurzes Bein schnellt dem jetzt ganz nahe getretenen Obersten beinahe bis an den Unterleib.
Nasewitz macht das ernsteste Gesicht von der Welt.
»Nanu!« weicht der alte Hollprägel erschrocken zurück; »was ficht Sie denn an? Sie wollen mir doch nicht etwa zu Leibe?«
»Entschuldigen der Herr Oberst«, nimmt Nasewitz das Wort; »er hat den Krampf im Fuß.«
»Den Krampf haben Sie im Fuß?« wiederholte der Oberst unbewußt den Unterleib einziehend; »da müssen Sie sich einreiben lassen... das ist ja ängstlich... damit können Sie 'mal ein Unglück anrichten.«
Dann geht er wieder fort, wirft aber ab und zu noch einen besorgten Blick auf den Padderower, der mit Verwunderung sein krankes Bein besieht.
Nachdem das dritte Stück geblasen ist, faßt der Oberst wieder an den Tschako, die Offiziere tun dasselbe, die Parade ist damit beendet, und alles geht auseinander.
»Hören Sie, lieber Nasewitz!« ruft Schimmelmann seinen Leutnant zu sich heran.
»Der Herr Rittmeister befehlen?«
»Mit dem Padderow rappelt's doch schlimm.«
Nasewitz zuckte entschuldigend die Achseln.
»Die Geschichte ist ihm doch höllisch in die Krone gefahren.«
Nasewitz lächelte.
»Gestern hat er wieder bis nach Mitternacht gestanden... nachher bin ich zu Bett gegangen.«
»Ich habe ihn um vier zu Hause kommen sehen.«
»Nun nehmen Sie 'mal an... das ist doch beängstigend. Wenn er sich nur an die dicke Trompete gewohnen könnte... aber ich fürchte, es geht nicht... und dann ist alles vorbei...«
»Man muß es abwarten, Herr Rittmeister... er gibt sich doch wenigstens Mühe.«
»Hm!« brummte Schimmelmann; »na, da wollen wir's noch ein Weilchen mit ansehen...«
»Morgen, lieber Nasewitz!«
»Guten Morgen, Herr Rittmeister!«
»Was wollte denn der Alte von dir?« fragte Padderow seinen Freund, als jener um die Ecke war.
»Er sagte, du solltest dich noch mehr an die Tuba gewöhnen.«
»Wie soll ich denn das machen?«
»Ja... das ist deine Sache.«
»Weißt du, das ist ein ekliges Ding«, meinte Padderow; »mir wird immer schwindlig, wenn ich so genau danach hinhöre... davon habe ich vielleicht auch den Krampf im Fuß bekommen.«
»Sehr möglich, erhabener Waffenbruder!«
»Wollen wir bei Zieme ein Gläschen Bowle trinken?«
»Ich stehe wie immer zu Eurem Befehl.«
Sonntags vormittags war es immer recht besucht unten in der Weinstube bei Zieme; Alltags trank nur hie und da jemand ein Schnäpschen oder höchstens ein Glas geschmuggelten Rotwein.
Eigentlich war es die Wohnstube der Familie, ebenso wie bei Schenkelmann und später bei dem berühmten Klötzer.
Das war so gemütlich, mit der ganzen Familie zusammenzusitzen; die Frau strickte lange keusche Wadenstrümpfe, die Kinder kreischten mit ihren Griffeln auf der Schiefertafel herum; die Gäste dampften ihre langen Pfeifen, und wenn der Wirt oder die Wirtin einmal herausgegangen waren und es klingelte im Materialladen neben der Stube, dann stand irgendein Gast auf und verkaufte einem alten Weibe ein Viertelpfund Kaffee oder einem dreijährigen Bengel für einen Pfennig Rosinenstengel.
Die Weinstube von Zieme war also eigentlich seine Wohnung und lag unten rechts im Rathause.
Das erste Zimmer war groß, aber räucherig und sehr dunkel, weil es unter den Kolonnaden lag. Aus demselben führte eine Tür in die Küche, aus welcher die bekannte Treppe zur Abendressource emporging. Neben dem großen Zimmer befand sich noch ein kleines, und neben diesem wieder ein Alkoven.
In diesen Räumen hauste der alte Zieme mit seiner Frau und seinem noch unverheirateten einzigen Sohn, dem jungen Zieme, der vollkommen zu der Hoffnung berechtigte, daß er in seinem Alter einem Meerschweinchen ebenso ähnlich sehen werde wie sein Vater. -
Als Nasewitz und Padderow in das eben beschriebene Lokal traten, war das erste Zimmer schon recht gefüllt.
Auf dem schwarzen Sofa hinter dem großen runden Tisch saßen der wohlweise Herr Bürgermeister, der hier allsonntäglich ein kleines Glas Arak mit Zuckerkant zu schlürfen pflegte, wozu er aus seiner langen Pfeife künstliche blaue Rauchringel vor sich hin blies. Sprechen tat der gestrenge Herr wenig, weil er dafür desto mehr dachte.
Neben dem Herrn Bürgermeister auf dem Sofa saß der Justizrat Schölplin, der wie ein Minister aussah und stets eine goldene Dose vor sich stehen hatte.
Um den Tisch herum auf Stühlen bemerkte man den Premierleutnant von Ströllpitz, der schon wieder einen furchtbar roten Kopf hatte und mit dem Privatdienstgesicht vor sich hinstarrte; den Premierleutnant von Kreidefleck, der sich mit seinem boshaften Gesicht für alles zu interessieren schien und dabei seinen häßlichen Schnurrbart abknabberte; den Assessor Glutstein, mit den feinen weiblichen Zügen; den Tierarzt Krahl mit dem gutmütig pockennarbigen Lächeln und den unglaublich großen Händen, den Buchdrucker, Redakteur des Hasenbalger Wochenblattes und zeitweisen Theaterrezensenten Kajob, der aussah, als wenn er jeden Augenblick vor Gelehrsamkeit platzen wollte; den stets höhnisch lächelnden Schwadrons -Chirurgus, der mit seinen großen Augen wieder so lustig aussah, wie ein kleiner Vogel, der aus seinem Nest guckt und mit dem glatten Köpfchen dreht.
An einem kleinen Tisch, bescheiden an die Wand gedrückt, saßen die beiden Fähnriche von Klötersdorf und von Strammin. Ersterer hatte schon eine ganz geschwollene Nase und drückte sich zusammen, als wenn er den möglichst kleinsten Raum einnehmen wollte, und letzterer starrte in beschränkter Gedankenlosigkeit, mit einem Beisatz von Eitelkeit und Selbstbewußtsein, vor sich hin.
Der alte Graf Schwülenberg saß auf dem Tritt am Fenster und träumte seinen alten Traum; der Leutnant von Rührbrägen saß auf dem Stuhl neben dem Sofa und freute sich und kniff mit den Augen und der bereits wieder dampfende Graf Plustra hatte sich mit dem eingebildeten Sponeck ans andere Fenster gesetzt.
Der alte Zieme stand ans Büfett gelehnt, lächelte und hatte die Hände über dem dicken Bauch gefaltet. Seine Frau war in der Küche beschäftigt und verriet ihr Dasein nur ab und zu durch einen kreischenden Befehl, und der junge Zieme füllte immerzu aus der großen Bowle und bediente mit einer gewissen Artigkeit seine Gäste.
»Ich entbiete sämtlichen Herren meinen Gruß, sowohl den Vertretern des Kriegerstandes, als den ruhig arbeitsamen Bürgern!« sagte Padderow beim Eintreten, mit einer würdevollen Handbewegung.
Ein lebhafter Gegengruß scholl dem allbeliebten Ritter von der Tafelrunde zu, und der Herr Assessor Glutstein stand auf, wischte sich die Hand ab und drückte dann die kräftige Rechte des kriegerischen, jungen Mannes.
Dann nahmen Padderow und Nasewitz ebenfalls an dem großen Tisch vor dem Sofa unter den zusammenrückenden anderen Gästen Platz.
»Ein Gläschen Melniker für den Magen, Herr Zieme!« wandte der dicke Offizier den Kopf; »dann werde ich den Herren meine Gedanken sagen.«
Er und Nasewitz wurden mit lächelnder Miene bedient.
»Das erste Glas dem abwesenden holden Geschlechte!« leerte Padderow sein Viertel bis auf die Nagelprobe; »noch eins, liebster Zieme!«
»Soll ich Ihr Toastchen der Frau Zieme in der Küche bestellen?« fragte Herr von Kreidefleck mit seinem unangenehmen Lächeln.
Padderow antwortete nicht, und die anderen nahmen ebenfalls keine Notiz von der süßen Bemerkung.
»Assessor, Sie müßten eigentlich im Namen des schönen Geschlechts danken«, knurrte der Justizrat Schölplin mit hochmütiger Miene; »Ihrer Frau Gemahlin werden so viele Aufmerksamkeiten erwiesen...«
Der sanfte Glutstein errötete ein wenig und schien nicht recht zu wissen, wie er sich hierbei benehmen sollte.
»Das wird wieder manches Ständchen diesen Winter geben«, knarrte der Justizrat weiter.
»Dem Reinen ist alles rein!« dräuete des Padderowers hohe Stirn; »wer will die Nase darüber rümpfen, wenn holden deutschen Frauen von deutschen Jünglingen deutsche Ehre erwiesen wird... wenn die Seele poetisch erwärmt ist, dann muß sie serenaden...«
»Wort und Gebrauch ›Serenade‹ kommt aber aus dem Italienischen und Spanischen«, sagte der Buchdrucker Kajob, indem er das ganze Gesicht in weise Falten zog; »in der Übersetzung würde es sich vielleicht mit ›Abendlied‹ wiedergeben lassen... denn serus... sera...servus...«
Hier verhedderte er sich aber in seinen Kenntnissen, räusperte sich mit großer Wichtigkeit durch die Nase und verfiel wieder in gelehrtes Schweigen.
»Das ist mir egal, woher es kommt«, sagte Padderow; »wir machen es hier auf unsere Art... aber jedenfalls über jeden hämischen Zweifel erhaben. - Wehe dem, der etwas Böses davon denkt!«
»Weshalb habt Ihr das nicht französisch gesagt, edler Troubadour?« fragte Nasewitz.
»Wie heißt doch der berühmte Ausspruch von dem gewissen englischen König... honni soit... honni soit... Donnerwetter, wie geht es doch weiter, Herr Kajob?«
Der Buchdrucker tat, als wenn er die Frage nicht gehört hätte, und schwoll noch ein bißchen mehr an vor Gelehrsamkeit.
»Qui mal y pense!« sagte Graf Plustra und sog sich dann aus seinem Stummel wieder voll Tabaksrauch.
»Richtig!« räusperte sich der Buchdrucker durch die Nase.
Da fing mit einem Male der alte Graf an, sich zu bewegen.
»Da ist nämlich... da hab' ich nämlich einmal eine Geschichte gehört...« kratzte er sich mit seinem gewöhnlichen matten Lächeln den Kopf... »da war nämlich 'mal ein englischer König... oder sollte es ein französischer gewesen sein... na, das ist ja egal... und der war 'mal mit seiner Geliebten.., auf einem Ball... und da verlor die Geliebte... hahahaha... das ist 'ne teufelmäßige Geschichte...«
»Na; wie geht sie denn weiter, alter Graf?« fragte Nasewitz nach einer ganzen Weile.
»Ja, wie sie weiter geht, das habe ich eigentlich vergessen...« schüttelte Schwülenberg den Kopf, »aber... hahahaha... eine teufelmäßige Geschichte war es.«
»Sie kennen ohne Zweifel den Hergang, Herr Kajob«, wandte sich Nasewitz an diesen; »wollen Sie die Freundlichkeit haben, ihn uns mitzuteilen?«
Der Buchdrucker saß wie ein Ölgötze und machte ein Gesicht, als wenn er im Begriff sei, die Quadratur des Zirkels zu finden.
»War es nicht Eduard III.?« fragte der wirklich gebildete Nasewitz.
»Ganz richtig!« rollte Kajob mit den Augen.
»Die Geliebte verlor ein Strumpfband«, fuhr Nasewitz fort.
»So war die Geschichte«, lebte der alte Graf wieder auf; »und da... und da...«
»Und da hob es der König auf...«
»Ja... und da... und da...«
»Und als er es der Gräfin übergeben wollte, da faßte er...«
»So war es... da faßte er...«
»Aus Versehen ihr Kleid, und hob es...«
»Hähähä!« lachte der Premierleutnant von Ströllpitz, der die Geschichte komisch zu finden schien.
»Ach, da hat er wohl ihr Füßchen gesehen?« sagte Herr von Kreidefleck mit unangenehmer Süßlichkeit.
»Ja... und deshalb rief der König: Honni soit, qui mal y pense, und stiftete den berühmten Hosenbandorden.«
»The order of the garter!« begann der internationale Plustra zu dampfen. -
»Na; ist das nicht 'ne teufelmäßige Geschichte?« fragte triumphierend der alte Graf, als ob er sie allein erzählt hätte.
»Ich habe sie einmal in meinem Organ abdrucken lassen«, rückte Kajob an seiner Brille. -
»Das muß lange her sein, denn Sie hatten sie schon wieder vergessen«, meinte Nasewitz.
»Dem ritterlichen König dieses Glas!« trank Padderow.
»Das arme Frauenzimmer muß aber trotzdem in eine scheußliche Verlegenheit geraten sein«, knarrte der Justizrat Schölplin, eine Prise aus seiner goldenen Dose nehmend.
»I, Gott bewahre!« gähnte Sponeck; sie tun bloß so... das ist alles Komödie.« -
»Ach, sie sind aber doch so niedlich«, machte Kreidefleck ein schiefes Köpfchen.
»Manchmal können sie einem aber auch die Hölle tüchtig heiß machen«, kratzte sich der alte Graf, wie in Erinnerungen versunken, das grau werdende Haupt... »da hatte ich... da war nämlich ... und nachher dachten sie, ich hatte auf dem Baum gesessen...«
Der Doktor Messe machte ein Gesicht, als wenn er etwas wüßte, und der Fähnrich von Klötersdorf fühlte einen eiskalten Schweiß vor der Stirn.
»Um Gottes Willen!« dachte er; »wenn er es nun erzählt...«
Der alte Graf schien eigentlich Lust zu haben, sich weiter über die beregte Angelegenheit auszulassen; aber da vieles zusammenhängende Reden nicht seine Sache war, so blickte er nur mit einem matt verschmitzten Lächeln auf Strammin und drohte ihm mit dem Finger. »Klettern können Sie aber gut, Fähnrich«, sagte er; »das muß Ihnen der Neid lassen.«
Strammin wurde verlegen, weil er gar nicht wußte, was Schwülenberg eigentlich von ihm wollte, und Klötersdorf holte erleichtert Atem und dachte: »Er verwechselt mich mit ihm, Gott sei Dank!«
»Wo ist er denn geklettert?« fragte der neugierige Kreidefleck.
Aber der alte Graf hatte unterdes seine Blicke auf Klötersdorf hinübergleiten lassen.
»Sie sind wohl gern auf Wache?« nickte er in dem angenehmen Gefühl, einen Witz zu machen.
Klötersdorf kribbelte es in der Nase und zwei große Tränen flossen über seine schnupfigen Wangen; aber er antwortete nicht.
»Müssen sich aber ein besseres Schilderhaus aussuchen«, lachte Schwülenberg, wie er es selten tat.
»Er hat mich gesehen; aber er verwechselt mich mit Klötersdorf!« freute sich Strammin.
Der eine hätte zwar gern vom andern gewußt, was das mit dem Klettern für eine Bewandtnis habe, und der andere hätte den einen gern gefragt, wie das mit dem Schilderhause zusammenhinge; aber sie hielten es doch beide für praktischer, ihre Neugier unbefriedigt zu lassen, weil sie befürchten mußten, daß gegenseitiges Aussprechen leicht zur Entdeckung ihrer wenig erbaulichen Abenteuer führen könne.
»Was war dir denn eigentlich heute auf Parade, Padderow?« ging der alte Graf auf ein anderes Thema über: »Du tratst ja vor die Front und wackeltest mit dem Kopf, als wenn du einen Käfer im Ohr hättest...«
Der andere geriet etwas in Verlegenheit, und um diese zu verbergen, steckte er eine ganze Weile die Nase ins Glas. »Und nachher wäre er beinahe über sein Säbelchen gefallen«, sagte Kreidefleck, dem das Wasser auf seine Mühle war.
»Ja... es sah pudelnärrisch aus«, lachte der alte Graf... »und wie der Oberst zu ihm ging, stieß er ihm mit dem Fuß nach dem Bauch... nachher wagte sich Hollprägel gar nicht mehr in seine Nähe.«
»Hähähä!« wieherte der Premierleutnant von Ströllpitz.
»Solch' Witzchen gehört aber doch wohl nicht auf die Parade«, lächelte Kreidefleck auf seine boshafte Art.
»Und solche Bemerkung gehört nicht hierher«, setzte Padderow schnell sein Glas ab; »ich hatte den Krampf im Fuß; lassen Sie sich das gesagt sein, Herr von Kreidefleck!«
Der auf diese Weise Abgefertigte wurde rot vor Ärger, aber er machte dennoch ein liebliches Gesicht und knabberte sich an seinem Bärtchen.
»Noch ein Glas, Herr Zieme!« sagte Padderow, sich ein haudegliches Ansehen gebend.
Die beiden Fähnriche hätten auch gern noch ein Glas getrunken, aber sie wagten nicht, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
»Wenn Sie aber einen so schlimmen Krampf im Fuß haben, müßten Sie doch etwas dafür tun«, wandte sich der Doktor Mosse an den dicken Offizier.
»Meinen Sie wirklich?« fragte dieser, nicht ganz ohne Besorgnis. –
» Gewiß ... wenn es sich wiederholen sollte...«
»Was würden Sie mir denn verordnen, Doktor?«
»Hm... vor allem Blutverdünnung... ein recht eingreifender Brunnen... auch viel kaltes Wasser...«
Der dicke Offizier schüttelte sich bei dem bloßen Gedanken daran.
»Auch eine Heirat würde zu empfehlen sein«, lächelte der Doktor, ein wenig spitzig.
Padderow machte ein gekniffenes Gesicht, wie immer, wenn dies Thema berührt wurde.
»Und ein anderes Mittel haben Sie nicht?« fragte er.
»Ja... schärfere Einreibungen... aber die würden weniger wirksam sein...«
»Nehmen Sie die Sache nicht so leicht«, mischte sich der gelehrte Buchdrucker Kojab wieder in die Unterhaltung; »es könnte auch der Veitstanz werden, der im Mittelalter sehr gebräuchlich war... und da Sie sich für jene Zeit so interessieren...«
»Was ist denn das, der Veitstanz?« fragte Padderow.
»Auch eine Art Krampf«, belehrte ihn der Doktor Mosse; »welcher bei vollem, nüchternem Bewußtsein und bei völlig klarem, kaltem Kopf auftritt...«
»Na; dann brauchst du dich vor der Krankheit nicht zu fürchten«, spottete der alte Graf auch einmal.
»Eine Eigentümlichkeit des Krampfes ist die«, erklärte der Doktor weiter, »daß man Bewegungen macht, die man sonst unfähig wäre auszuführen, und daß diese Bewegungen dennoch den Charakter des Beabsichtigten annehmen...«
»Was meint Ihr zum Heiraten?« fragte Nasewitz.
»Später treten die Bewegungen häufiger auf«, sprach Mosse lächelnd weiter, »und es kommen immer neue dazu. Die Kranken schneiden die mannigfachsten Grimassen, drehen den Kopf und den Rumpf, zucken mit den Schultern, werfen die Arme und auch die Beine...«
Der etwas nervöse Padderow fing wirklich schon an, mit den Schultern zu zucken und den Kopf zu drehen.
»Donnerwetter, hören Sie auf?« fuhr er den Doktor an; »wenn man die Krankheit nicht hat, kriegt man sie ja von Ihrer Beschreibung ... wenn es wiederkommt, werde ich mich vom Doktor Klaubert einreiben lassen, und damit basta!«
»Jedenfalls machen Sie, daß Sie zum Anfang der Bälle gesund werden«, krähte der Justizrat Schölplin.
»Mit den Bällen wird es diesen Winter klötrig genug aussehen«, sagte der alte Graf, der trotz seiner gichtischen Beine ein wilder und leidenschaftlicher Tänzer war; »mit den Herren ginge es noch; aber wir haben ja keine Damen...«
»In der Umgegend ist freilich nicht mehr viel«, mischte sich auch Rührbrägen einmal in die Unterhaltung; »ich habe alle Güter abgekloppt; eigentlich ist nur noch die Familie von Strahlen aus Klein–Poplow; sieben tanzfähige Töchter; aber die kommen ja nicht mehr.«
»Ist dem alten Strahlen auch gar nicht zu verdenken«, lachte der Graf Plustra; »jedesmal wenn er auf dem Ball seinen ganz neuen Hut einmal aus der Hand stellt, kommt unser guter Tischdirektor Schädell durch den ganzen Saal gewatschelt und setzt sich mit seiner dicken Wetterseite darauf, daß er nachher aussieht wie ein Eierkuchen...«
»Und weshalb tut das Herr von Schädell eigentlich?« fragte der Assessor Glutstein.
»Weil er ihn nicht leiden kann... weiter hat er keinen Grund dazu«, amüsierte sich der sonst schweigsame Ströllpitz.
Kreidefleck hatte sich geärgert und sprach gar nicht mehr.
»Und in der Stadt sind auch nicht 'mal Damen«, sagte Rührbrägen.
»Werden Sie Ihr Fräulein Braut noch tanzen lassen, wenn sie erst Ihre Gemahlin ist, Herr Graf?« wandte sich der Assessor Glutstein an Plustra.
»Gewiß«, sagte dieser; »weshalb sollte ich ihr denn das Vergnügen entziehen?«
»Und wann pfiückst du die Lilie von Hasenbalg, edler Griechenhäuptling?« wandte sich Padderow an den Bräutigam.
»Du willst mit anderen Worten fragen, wann meine Hochzeit ist?«
»Das war meine Absicht allerdings!«
»Nun«, schmunzelte Plustra, nachdem er eben mit behaglichem Gesicht neuen Rauch eingesogen; »ich denke so in vierzehn Tagen... aufgeboten sind wir ja dreimal... also wenn die Wohnung vollständig eingerichtet ist, braucht nur der Prediger bestellt zu werden.«
»Weiter also«, sagte Rührbrägen; »die Gräfin Plustra wäre mithin die Königin unserer tanzenden Damen; dann haben wir die beiden Möhrenstolzens...«
»Leider!« meinte der Justizrat; »das sind die reinen Freibeuter und Korsaren; auf jeden machen sie Jagd, und wenn sie nur in die geringste Berührung mit einem getreten sind, lassen sie ihn nicht wieder los.«
Dem armen Klötersdorf wurde wieder unwohl.
Der alte Graf sah mit seinem verschmitzten Lächeln den Fähnrich von Strammin an, und der Doktor Mosse wackelte mit der großen Warze auf seiner kleinen Nase, als wenn er etwas wüßte.
»Frau Justizrätin Schölplin nebst Fräulein Tochter ja nicht zu vergessen«, verneigte sich der Assessor Glutstein.
»Und die Frau Assessorin auch nicht«, nahm jener lächelnd eine Prise.
»Die vier Töchter vom Rittmeister Schimmelmann«, zählte Rührbrägen weiter.
»Das sind nette und vortreffliche Mädchen, namentlich die älteste«, sagte Nasewitz, diesmal ohne seinen spöttischen Zug um den Mund; »schade nur, daß sie so selten sichtbar werden.«
»Der Alte gibt kein Geld zu Toiletten«, meinte Schwülenberg.
»Und niemals sieht er einen Menschen bei sich«, ergänzte Graf Plustra; »wenn die verheirateten Offiziere sich ganz von der Geselligkeit ausschließen wollen, da bleibt ja der Junggeselle nur auf die Kneipe angewiesen.«
»Und weiter haben wir bis jetzt keinen Verheirateten«, sagte Rührbrägen.
»Wißt Ihr 'was, wir müßten alle vierzehn Tage beim alten Schimmelmann Besuch machen«, sagte Nasewitz; »dann zwingen wir ihm vielleicht eine Abendgesellschaft ab. - Habt Ihr denn schon Besuch gemacht, Fähnriche?«
»Zu Befehl, Herr Leutnant!« bekamen die beiden so plötzlich Angeredeten einen Schreck.
»Haben Euch die Mädchen gefallen?«
»Zu Befehl, Herr Leutnant!«
»Haben Sie auch schon Besuch gemacht, Doktor?« wandte sich Nasewitz an Mosse.
»Jawohl, wie ich zum Regiment kam«, entgegnete dieser; »der Herr Rittmeister machte mir selber auf, und als er mich erkannte, brummte er etwas in den Bart und schlug mir die Tür vor der Nase zu. - Nun gehe ich natürlich nicht wieder hin.«
»Und Sie, Doktor Klaubert?« fragte Nasewitz weiter.
Der kleine freundliche Mann wurde blutrot im Gesicht.
»Ich wage es nicht«, sagte er.
»Ist Ihnen etwa dasselbe passiert, wie Ihrem Kollegen?«
»Nein... das nicht...« berichtete der Doktor mit zunehmender Verlegenheit; »auf einem kleinen Vergnügtsein im Freien engagierte ich Fräulein Melusine, die jüngste der vier Töchter, zu einer Polka...«
»Und sie gab Ihnen einen Korb?«
»Das nicht... als die Polka aber aus war und ich eben das Fräulein verlassen hatte, hörte ich, wie der Herr Rittmeister zu ihr sagte:
»Nun?«
»Schämst du dich nicht? Wie kannst du mit dem Pflasterkasten tanzen?«
»Oh... oh! - Und was sagte das Fräulein?«
»Sie sagte nichts«, entgegnete der Doktor; »als ich mich nachher aber umsah, begegnete ihr Blick dem meinen... als wenn er mich um Entschuldigung bitten wollte.«
»Hm!« machte Nasewitz.
»Ihr hättet den Alten auf ungeschliffene Schwerter fordern müssen«, machte Padderow ein kriegerisches Gesicht.
»Welche von den vier Töchtern gefällt Euch denn am besten, edler Ritter?«
»Natürlich die jüngste.«
»Und weshalb nicht die älteste?«
»Weil sie mir nicht romantisch genug ist!«
Nasewitz senkte sinnend den Kopf und auf seiner hohen Stirn erschienen einige Wolken.
»Wenn nur die Schauspieler erst hier wären«, seufzte Padderow; »dann hätte der Geist doch wieder etwas Nahrung.«
»Das will ich meinen«, erwachte der Buchdrucker Kajob aus seinem tiefen Denken; »ich werde ihnen raten, einmal den Faust zu spielen, damit man doch etwas Ordentliches zu besprechen hat.«
»Der versoffene Kloppey müßte gut sein als Faust...«
»Und die dicke Emilie als Gretchen... da würde unser Padderow in Wonne schwelgen.«
»Ich habe gehört, sie kommen nicht«, krähte der Justizrat; »sie haben vorigen Winter zu schlechte Geschäfte gemacht...«
»Daß alles von diesem elenden Mammon abhängt!« bewegte Padderow mit tragischer Gebärde das kahl werdende Haupt.
»Wißt Ihr 'was?« sagte Plustra; »wenn sie wirklich nicht kommen, bringen wir ein Liebhabertheater zustande.«
»Ach... wir haben ja keine Talente«, streckte der blasierte Sponeck seine langen Beine vor sich.
»Schadet nichts... die werden gebildet«, ereiferte sich Plustra; »auf diese Weise kommt doch ein bißchen Leben in unser Nest...«
»Bravo!« rief Rührbrägen; »ich bin dabei...«
»Na!« kratzte sich der alte Graf den Kopf; »ich auch... wenn nur das verdammte Auswendiglernen nicht wäre...«
»Wir werden's dir schon eintrichtern«, lachte Plustra; »du spielst Väter, die nicht viel zu reden haben.«
»Und Padderow die ersten, tragischen Helden«, meinte Nasewitz.
»Die Idee ist ausgezeichnet«, blähte sich der Buchdrucker Kajob; »ich besitze eine Anzahl von Stücken, die ich den Herren zur Verfügung stellen könnte.«
»Sehr gütig... das nehmen wir an!«
»Und Sie besprechen dann unsere Leistungen in Ihrem Blatt.«
»Mit dem größten Vergnügen!«
»Noch einmal die Gläser gefüllt, Herr Zieme, und angestoßen darauf!«
»Ich mache den Unsinn nicht mit«, weigerte sich der Premierleutnant von Ströllpitz; »darunter leidet der Königliche Dienst.«
Herr von Kreidefleck lächelte beifällig mit sichtlichem Hohn.
»Es ist in zehn Minuten eins«, sagte er dann, »wir müssen zu Tisch.«
Die anderen Herren bezahlten nach der Reihe ihre geringe Zeche; der junge Zieme bekam die ganze Tasche voll Kleingeld; der alte Zieme benutzte die Gelegenheit der allgemeinen Beschäftigung, um sich einen hinter die Binde zu gießen und dann dasselbe meerschweinfreundliche Gesicht zu machen.
Man sagte den Verschiedenen auf verschiedene Weise Adieu und ging einzeln oder in Gruppen auseinander.
Der Premierleutnant von Kreidefleck, der in seiner kindlichen Jugendkraft selbst im Winter ohne Mantel ging, trabte lustig voran, begrüßte jeden Spießbürger, der ihm begegnete, mit lieblichem Nicken und mit ein paar albernen Wörtchen; dann kam hinterher, als Gros der Armee, der alte Graf Schwülenberg, Nasewitz, Padderow, Sponeck und Rührbrägen; als Zwischentrupp die beiden Fähnriche, und ganz hinten, weil er nicht so schnell gehen konnte, der alte Premierleutnant von Ströllpitz mit seinen steifen Beinen und seinem vor Pflichtgefühl strotzenden Dienstgesicht. -
Der blasse Bürgermeister schritt über die Straße, als wenn das Leben aller Hasenbalger von seinem Feldzug abhinge; der Justizrat Schölplin machte ein Gesicht, als hätte er das Pulver erfunden; der Assessor Glutstein veranstaltete bei jedem Tritt einen unfreiwilligen Diener; der Tierarzt Krahl hatte ganz rote Pockennarben bekommen, und der Buchdrucker Kajob sah an jedem Hause empor, als könnte er dessen Geschichte erzählen.
Die beiden Eskadronschirurgen Mosse und Klaubert dirigierten sich nach dem »Deutschen Hause«, um an der Table d´hote dieses ersten Hotels von Hasenbalg, in Gemeinschaft zweier Postsekretäre und eines pensionierten Steuerbeamten teilzunehmen. Der Graf Plustra schlich mit seinen feinen, des kleinstädtischen Pflasters ungewohnten Stiefeln um die Ecke des Rathauses, nach dem schmalen Giebelhäuschen zur Braut und zur künftigen Schwiegermutter.
»Denke dir, Agathon«, trat ihm die bleiche Georgine gleich bei seinem Eintritt mit einem Briefe in der Hand entgegen; »der Rest unserer Möbel ist unterwegs; hier ist die Meldung; in wenigen Tagen kann alles hier sein.«
Graf Plustra dampfte sich erst noch ein bißchen ab, ehe er dem Mädchen seiner Wahl einen Kuß gab; dann drückte er seinen gewichsten Schnurrbart auf ihre schmalgeschnittenen bleichen Lippen.
»Gott sei Dank!« sagte er, nachher Mantel und Mütze an einen Nagel hängend; »dann stekt ja unserer Vereinigung nichts mehr im Wege; in acht Tagen schon kann die Hochzeit stattfinden.
»O, wie glücklich ich bin!« reichte ihm Georgine ihre beiden weißen, blutlosen Hände.
Die alte Mutter, die auf dem kleinen harten Sofa saß, bewegte ernst und langsam den grauen Kopf.
Es war eine äußerst einfach gekleidete Frau, so einfach, wie man es heutzutage bei einer Doktorwitwe und künftigen Schwiegermutter eines Grafen schwerlich noch finden dürfte. Ihr mageres, faltiges Antlitz sah aus, als wenn es in seinem ganzen langen Leben nicht gelacht, geliebt und geküßt hätte.
»Nur nicht so hastig, nur nicht so hastig«, sagte die alte Frau mit einer trockenen, klanglosen Stimme; »dazu ist immer noch Zeit genug.«
»Aber, Mutter«, blickte Georgine sie an, während Plustra sich ans Fenster setzte; »haben wir nicht schon zwei ganze Jahre lang gewartet unter steter Sorge und Angst; weshalb denn das Glück noch weiter hinausschieben? - Jeder Tag ist ja ein Verlust.«
»Das sagst du ... aber das sage ich nicht«, nickte die alte Frau; »weil ich die Welt kenne, aus Erfahrung... der Brautstand ist noch die glücklichste Zeit in unserm armen Leben... was fehlt Euch beiden?... Jeder sorgt für sich selbst, und Ihr seht Euch alle Tage... da kann man die Sorgen noch abhalten; aber später... später... dann wachsen sie uns über den Kopf und begraben unser Lebensglück.«
Wie Georgine jetzt hoch aufgerichtet dastand und einen langen, wehmütigen Blick auf ihre Mutter warf, glich sie einer weißen Marmorstatue der Niobe.
Die Gestalt war schlank und schön gewachsen; aber so mager, daß das weiße Kleid sich die größte Mühe geben mußte, über einige Formen zu täuschen. Das Antlitz war schön, aber unheimlich bleich. Die feinen farblosen Lippen sahen aus, als wenn sie niemals durch Küsse erwärmt werden könnten. Das lang herabfallende, prachtvoll blonde Haar schien gar keinem irdischen Wesen anzugehören, und nur in den dunkelblauen Augen glühte es auf, wie eine heiße Lebensfreude, die durch ihre eisige Hülle noch nicht zum Erkalten gebracht werden konnte. Im Gegenteil... die Glut noch höher angefacht, und der Schnee konnte vielleicht schmelzen an dem inneren Feuer. -
Plustra kannte das alte Lied seiner künftigen Schwiegermutter und antwortete nicht mehr darauf.
»Ich habe es immer gesagt und bleibe noch heute dabei«, fuhr die Alte fort; »ein Bürgermädchen paßt nicht für einen Grafen, und wenn nun gar das Bürgermädchen arm ist, und der Graf kein Geld hat, dann ist es das reine Elend. Großer Titel und nichts dahinter, das bißchen Schein nach außen gekehrt, um den Leuten Sand in die Augen zu streuen, und zu Hause, in seinen eigenen vier Pfählen Hunger und Kummer.«
»Wenn man sich nur liebt, Mutter!« entgegnete Georgine, wie ein Frühlingshauch aus einem Eisberge; »dann ist alles andere vollständig Nebensache.«
»Wenn aber nichts zu essen auf dem Tisch steht, dann fliegt die Liebe bald zum Fenster hinaus«, entgegnete die Alte ernst; »Ihr habt zu wenig... ja, wenn die Ansprüche nicht wären... aber ein Graf... und eine Gräfin... die müssen doch ein Haus machen...«
»Glauben Sie nur, wir werden uns schon einschränken«, sagte Plustra.
»Hätten's lassen sollen«, nickte die Mutter; »hätten das reiche englische Fräulein nehmen sollen, das die Tanten für Sie bestimmt hatten, so wäre es richtig gewesen und besser für Euch beide... aber da verdreht dir dein Graf den Kopf, vielleicht erst aus Langeweile... dir steigt die Eitelkeit in die Seele... ehe Ihr es Euch verseht, wird das Verhältnis fester und fester... der Graf ist ein Ehrenmann und will nicht mehr zurück, obgleich ihm eine Millionärin angeboten wird... sehr schön in der Idee... aber in der Ausführung wird es nachher anders... die Reue hat einen lahmen Fuß und geht langsam, und die Enttäuschung schmeckt bitter nach dem kurzen Rausch des süßen Glücks.«
»Und laß ihn noch so kurz sein, diesen Rausch«, glühte das bleiche Mädchen auf; »ein Jahr sein Weib, und ich bin zufrieden mit meinem Leben!«
Sie sah fast aus wie eine Prophetin bei diesem Ausspruch. -
Plustra richtete einen langen ernsten Blick auf seine Braut.
»Georgine«, sagte er aufstehend; »mein teures Mädchen, du hast mir aus meiner Seele gesprochen; ich habe jetzt keinen anderen Gedanken, als deinen Besitz; weiter erstrecken sich meine Pläne nicht; aber sei überzeugt, daß ich nicht einen Augenblick geschwankt habe, als man mir die Wahl ließ zwischen der Millionärin und dir, und daß ich dich auch geheiratet hätte, selbst ohne die sechshundert Taler der gütigen Tanten.«
Die Mutter senkte den Kopf auf die magere Brust und schwieg.
»Und nun laß uns die notwendigen Angelegenheiten besprechen«, zog der Graf das blasse Mädchen an seine Seite; »wenn die Sachen kommen, wird alles schnell eingerichtet...«
»Und eine ganz kleine, stille Hochzeit gemacht«, sprach die Alte dazwischen.
»Nein... das nicht, Mutter...« meinte Plustra, nach einer kleinen Pause; »ich muß unter allen Umständen das Offizierkorps einladen... das geht nicht anders... das ist einmal Sitte...«
»Sehen Sie wohl, da geht es schon los«, hob die Alte den Kopf; »das geht nicht anders... das ist einmal Sitte... man kann sich ja nicht ausschließen... mit den Wölfen muß man heulen... da kommt nun erst der Polterabend... und dann kommt die Hochzeit ... und dann kommt... und das kann in einem einzigen Jahr zweihundert Taler kosten...«
»Du erscheinst auch beim Hochzeitsmahl, Mutter«, streichelte Georgine ihr die runzlige Hand.
»Davor soll Gott mich bewahren«, sagte die alte Frau; »in die Kirche komme ich mit, wie es meine Pflicht ist; aber von der verschwenderischen, lärmenden Mittagstafel laß mich fern... ich kann diese lockeren Reden und Anspielungen nicht leiden... eine Soldatentochter mag sich eher darein schicken; aber du paßt nicht in den Kreis hinein, und ich noch weniger.«
»Sei unbesorgt, sie werden uns nichts tun, Georgine!« tröstete Plustra die Geliebte.
»Ich glaube es dir ja, Agathon.«
Die alte Mutter hatte wohl eigentlich recht; aber die heiße Liebe will von kalten Vernunftgründen nichts wissen.