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Ich weiß net, Muzili, ich weiß net ... oder ob mir das Klima in Baden nit bekommt?«

Der Papa, Graf Anton Sternfeld, ging wieder mal nach Tisch mißmutig in dem behaglichen Wohnzimmer der Stumperschen Villa auf und ab.

»Ich glaub', die haben da unten wieder Schmalz an den Grießsterz gegeben, anstatt Butter. Du hast nie Schmalz vertragen, Putzi!«

»Kann leicht sein. Das letzte Zigarrenkistel is auch nit so b'sonders.«

Die Mama häkelte an einem wundervollen weißen Tuch für die Schwiegertochter. Und jedesmal, wenn eine Reihe fertig war, seufzte sie aus tiefstem Herzensgrund. Bis der Papa ärgerlich wurde. »Herrgott, Muzi, is dir wer g'storben?«

Sie antwortete mit sanftem Vorwurf. »Dir vielleicht nicht? Ist doch der Bub weggefahren, hat uns abgeschüttelt wie ein paar alte Fetzen: ›Schaut's zu, wie ihr fertig werdet mit der G'sellschaft ...‹ Wann's nach mir gegangen wär' – ich hätt' lieber in unserem Jagdhäusel überwintert.«

»Ich dank' schön – bei der Feuchtigkeit!«

»Es wär' eine Kleinigkeit gewesen, uns noch ein paar Öfen hinzusetzen. Ich kann gar nicht begreifen, warum der Dostal sich g'sperrt hat.«

»Weil er sagt, es steht nit dafür. Da müßt er das ganze Häusel umbauen. Und das ginge zum Winter nicht, und die Kassa wär' schon so belastet genug, und ...«

»So ein z'widerer Mensch,« murmelte die Mama und sah sich gleich darauf erschrocken um.

»'s ist ein Kreuz!«

Das gräfliche Paar war schon lange nicht erbaut. Fühlte ständig die Aufsicht und die »Kassa« des Herrn Dostal über sich.

Nicht, daß er ihnen Vorschriften gemacht hätte, aber alle Augenblicke bekamen sie es zu spüren, daß nicht sie die Bestimmenden und Entscheidenden waren. Daran änderte auch die süßlich bescheidene Art nichts, die Dostal zur Schau trug, wenn er bei Tisch saß. Überhaupt diese gemeinsamen Mahlzeiten!

Schon wie er jedesmal den Mokka ablehnte und die feine Zigarre und dann jedesmal betonte: »Wann die jungen Leuteln 's Geld zum Fenster 'naus werfen – dann muß eben unsereiner sparen. Da hilft nix.«

Allerdings – die »Hochzeitsreise« erstreckte sich über den ganzen Sommer bis in den Winter hinein. Die mochte was kosten. Und dann die zwei Brandtelegramme der Steffi. Das eine aus Leipzig um zweihunderttausend Kronen für einen Pelz, der gerade eine seltene Gelegenheit war. Das zweite erst kürzlich aus der Schweiz um dreißigtausend Francs zum sofortigen Kauf eines Chalets. Wortlos zeigte Herr Dostal das eine Telegramm und das andere. Schickte das erste Geld und das zweite.

Aus der Probefahrt des alten gräflichen Ehepaares aber in dem von Xaver ausgewählten Automobil wurde nichts. »Das Auto hat der Herr Stumper verkauft,« sagte Herr Dostal mit freundlich gemessenem Lächeln.

Papa Sternfeld brauste auf. »Ja, erlauben Sie – da war doch schon das Wappen unserer Familie aufgemalt!«

»Freilich, freilich, Herr Graf. Das hat auch gerade den amerikanischen Herrschaften so gut gefallen. Das haben's extra gut zahlen müssen.«

»Ja ... wie denn ... was reden's denn da? Wie kann mer a Wappen ...«

Herr Dostal nahm eine Prise seines Schnupftabaks. »Wann die Steffi sich's kauft hat, warum sollen's, bitt' schön, nit auch die Amerikaner kaufen? Is ja eh' nur a Spielerei.«

Dem Papa verschlug's die Rede. Die Stimmung bei Tisch wurde frostig und sank unter Null, als der Herr Graf in letzter Zeit mehrfach Gelegenheit nahm, an den Speisen etwas auszusetzen.

Die alte Mariann', die gleichsam diplomatische Vermittlerin war zwischen den »Gräflichen« und den »Stumperischen«, und die ihre gichtischen Beine mit anerkennenswerter Beharrlichkeit äußerst langsam an allen nur angelehnten Türen vorbeizutragen pflegte, kam eines Abends mit tiefer Kümmernis in den Zügen in das gräfliche Schlafzimmer hereingehumpelt – nur um der Gräfin Erlaucht zuzuflüstern, daß sie keine Schuld haben wollte, »wann man die gräflichen Herrschaften mit dem Fraß zugrunde richtete.« Aber die feine Spezialköchin sei vom Herrn Dostal entlassen worden und an ihrer Statt eine ganz eine ordinäre Schlampen aus der Mariahilferstraße in Wien zugezogen.

Das faßte der Papa als persönliche Kränkung auf, und obwohl die »ganz Ordinäre« durchaus nicht zu verachten war, legte er am folgenden Tag ostentativ sein Besteck nieder, ohne aufzuessen, was auf seinem Teller lag.

Herr Dostal zog seinen schmalen, breiten Mund noch breiter. »Schmeckt's Ihna net, Herr Graf?«

»Doch ... doch, lieber Dostal ... ich krieg's schon herunter. Aber 's is halt nit, was wir g'wöhnt sind. So gute Köchinnen wie die vorige sind halt rar.«

»Schon, schon, Herr Graf.«

»Was hat's denn ang'stellt, daß Sie sie entlassen haben, Herr Dostal?« Die Gräfin mischte sich sonst prinzipiell und der Vereinbarung getreu nicht in die wirtschaftlichen Angelegenheiten des Hauses, in dem sie lebte wie in einer fremden Pension.

»Nix hat's ang'stellt, Frau Gräfin. Aber ich hab's weiter vermietet an eine Schweizer Familie. Fallen dabei an jeden Monat achthundert Kronen ab für die Kassa. Steht schon dafür.«

Die Kassa!

Der Herrgott sollte wissen, was das war: die Kassa. Ein untrennbares, schreckliches Wort, das immer wiederkehrte, und das alle Stumperischen Geschäfte und Dostalschen Ersparnisse in sich begriff. Aber auch alle wahnsinnige Verschwendung der jungen Leute und die durchaus nicht billige Lebensführung der alten Grafen.

Seit Monaten wartete die hübsche Villa im Wiener Cottageviertel, die das junge Paar aufnehmen sollte. Schon die Hochzeitsreise wäre eigentlich überflüssig gewesen und die Ernährungsgründe, die Xaver geltend gemacht hatte, nicht eigentlich stichhaltig bei den Mitteln. Gestört hätten die alten Herrschaften auch nicht oft. Da wußten sie mit der Steffi noch zu wenig anzufangen, und ein Hochgenuß war's auch nicht, immer hören zu müssen: »Geh, Xaverl, plausch' net« – »Geh, Xaverl, bist nit g'scheit.« Als wann die Steffi Stumper allein die Weisheit mit Löffeln g'fressen hätt'!

Darum hatten sie es ihm gegönnt, dem Xaver, das Herumkutschieren von einer Stadt zur anderen. Wenn sich auch geographisch manches gegen die Reiseroute einwenden ließ: Gastein, Marienbad, Prag, Hamburg, Westerland, München, Dresden, Berlin. Und dann plötzlich geradenwegs Lugano.

Von einem folgerichtigen Briefwechsel war unter diesen Umständen überhaupt nicht zu sprechen. Ein halbes Dutzend Briefe der Mama war schon mit dem Vermerk »Adressat abgereist, unbekannt wohin« an sie zurückgekommen.

»Wann sie nur glücklich sind, Muzili!«

Eigentlich kränkte es die Mama, daß ihr Xaver mit einer Steffi Stumper glücklich sein konnte. Und sie seufzte heimlich auf.

In Dresden aber mußte der Xaver doch irgendeine Pille geschluckt haben. Denn er schickte nicht mehr Grüße vom »Affi«, sondern schrieb »Steffi.«

Die Sternfelder waren sehr empfindlich für Nuancen. Und in Berlin hatte sich's gar »g'spießt«, wie der Papa sich ausdrückte. Von Berlin aus kam nämlich Xavers erster Brief.

Und in diesem Brief, den er »in der Nacht vom 7. auf den 8. November« geschrieben, war eigentlich nur von der »Gemeinheit« die Rede, die sie allesamt an der Agathe und an dem Onkel Erasmus begangen hatten, einer Gemeinheit, die gar nicht mehr gutzumachen sei. Und in seinem ganzen Leben hätte er, der Xaver Sternfeld, nicht geglaubt, so dastehen zu müssen vor einem Menschen, wie er vor dem Onkel Erasmus und wie er noch schlimmer vor dem armen Mädel, der Agathe, dagestanden hatte. Ihm sei alle Lust an seinem Reichtum verleidet seitdem. Jeder Bissen klumpe sich ihm im Magen zusammen, und all der Luxus, den die Steffi in gedankenlos-verschwenderischer Pracht um sie beide herumbaue, wäre ein täglicher, stündlicher Vorwurf für ihn.

Und der Brief schloß mit den Worten: »... Viel mehr möchte ich noch sagen über alles, was doch ein rechter Lausbubenstreich von mir gewesen und zur Tragödie geworden ist. Aber die Steffi hat schon zweimal nach mir gerufen. Und wenn sie das dritte Mal zu rufen anfangt, dann kriegt ihre Stimme einen Klang, den ich nicht gerne hören mag. Aber sonst ist die Steffi ein lieber Kerl und küßt dem Mamatscherl die Hand und dem Papatscherl 's Herz. Grad wie Euer Xaver.«

Also die »Steffi« war ein kleiner Balsam für die Mama. Und sie riskierte es seitdem, dem Herrn Dostal eins auszuwischen, wenn er, der besser beschlagen war in Geographie als die gräflichen Herrschaften, an der Zickzacklinie der Hochzeitsreise Anstoß nahm.

»Ich weiß, lieber Herr Dostal, daß unser Sohn sich nie was aus großen Reisen gemacht hat. Aber er ist Kavalier. Und läßt seiner jungen Frau den Willen in den Flitterwochen, wie das Sitte ist bei unsereinem.«

»Ja, ja, Frau Gräfin, schon recht. Sie hat's ja auch, die Steffi, warum soll's dann nit an bissel sich herumtummeln?«

Aber das Chalet war Herrn Dostal doch in die Nase gestiegen. Ließ sich auch nichts dagegen vorbringen, wenn man die Prunkvilla in Betracht zog.

Die gräflichen Herrschaften fuhren wie in jeder Woche so auch in dieser nach Wien, um »bei den Kindern nach dem Rechten zu schauen.«

Was eigentlich bei der dort waltenden Wirtschafterin Frau Doeblinger gar nicht nötig gewesen wäre.

Es war eine ältere Person, die, wie die Mama heimlich behauptete, eine entschiedene Ähnlichkeit mit Herrn Dostal hatte.

Bebend vor Zorn, unfähig auf der ganzen Fahrt, ein Wort miteinander zu sprechen, kamen die Sternfelder zu Hause in Baden an. Die Mariann' sollte ihnen den Dostal holen. Aber gleich. Wie er ging und stand, sollte er kommen.

»Ja, Herr Graf, wo brennt's?«

Mariann' hatte ihn aus dem Gewächshaus geholt, den Dostal, und nun stand er im Wohnzimmer mit vorgebundener blauer Gärtnerschürze, ohne Hemdkragen, ein buntes Tuch um den Hals geschlungen, seine Pfeife mit einem abscheulichen Knaster in der einen, eine Gartenschere in der anderen Hand.

»Bitt' schön – ja ...!« Friedlich und freundlich klang's. Aber darauf fiel der Papa nicht mehr herein. Wenn Dostal friedlich und freundlich war, dann hatte er die größte Gemeinheit »ausg'fressen.« Darum fragte der Papa mit aller ihm zu Gebote stehenden Würde: »Sie ... weiß der Herr Stumper, daß fremde Leut' in der Villa meines Sohnes sich aufhalten?«

Dostal fuhr sich mit der Hand über sein immer glattrasiertes Geiergesicht.

»Schon ... schon ... Herr Graf. Waren's denn heut schon drüben in Wien? Hab's Ihna grad heut' beim Nachtmahl sagen wollen, daß wir die Villa vermietet haben. Hat einen guten Preis geboten, die Baronin Stadler!«

Der Papa fauchte wild: »Baronin Stadler! Daß i net lach!« Ob denn Dostal wußte, wer sie eigentlich war? Eine Heiratsvermittlerin, die früher Madame Madeleine g'heißen und sich aus ihrer Kundschaft heraus einen Baron gekauft hatte! Und diese Stadler schlug jetzt in der nach Xavers persönlichem Geschmack eingerichteten Villa ihr drecketes Heiratsbüro auf! Die Stadler – die ...

»– Und's Geld hat's für zwei Jahre gleich im voraus auf der Bank eingezahlt,« fügte Dostal ungerührt hinzu.

»Zwei Jahre ... was sagen Sie, Dostal, zwei Jahre?«

Die Mama dachte nicht mehr an Würde. Sie schnellte vom Sofa empor, auf das sie sich mit richterlicher Grandezza niedergelassen hatte. Sie zitterte am ganzen Körper. Sie rang nach Luft. »Ja, mit welchem Recht ... wie haben Sie wagen dürfen ... das Haus meines Sohnes ...«

»Bitt' schön, entschuldigen Frau Gräfin, aber g'hören tut die Villa dem Herrn Stumper und nit dem jungen Herrn Grafen. Der junge Herr Graf, der hätt' dort wohnen dürfen mit der Steffi, wann er gekommen wär', wie sich's g'hört hätt'. Aber nachdem die jungen Leuteln sich ein Chalet in der Schweiz 'kauft haben ... zwei Häuser, das halt die Kassa nit aus. Wär' ja auch heillose Verschwendung, bitt' schön.«

Der Papa schlug mit der Faust auf den Tisch und fauchte. »Wann's sparen müssen, dann hätten's Ihna einen anderen Schwiegersohn aussuchen müssen ...«

Herr Dostal lächelte. »Mein Schwiegersohn is er auch nit, der junge Herr Graf. Aber der Herr Stumper tut halt, was sei Tochter will ... da kann man nix machen. Hätt's einen Erzherzog haben wollen – da wär' eben der ihr Mann worden – oder aber der Greisler von nebenan, wann der Gusto ihr nach dem g'standen hätt' ... Das sind so Sachen zwischen dem Herrn Stumper und der Steffi. Da misch' i mich nit drein. Aber die Kassa ... da bin ich verantwortlich. Wann die Mutterschweine auslassen in Ungarn oder die Polacken, bitt' schön, einem drei Transportwägen abhängen, daß man nix mehr vorfinden tut von der teuer bezahlten Ware, ja – sakra – da heißt's Ohrwascheln steifhalten. Da gibt's nix. Mit dem Grafentitel kann man die Wechsel nit bezahlen und auch keine neuen Waren nit einkaufen.«

Der Papa schrie: »Ihre drecketen Geschäfte gehn uns einen Schmarrn was an. Überhaupt, mit wem reden's denn, Sie?«

Der Papa fühlte, wie ihm Rock und Kragen zu eng wurden. Mit der Krawatschen dem unverschämten Kerl übers G'sicht hauen ... wann er das dürft' ... nur einmal ... ein einziges Mal!

Aber der Dostal – der hatte sich ruhig abgewandt und schnitzelte an einem Palmenblatt herum vor dem Fenster, während aus der im Mundwinkel hängenden Tabakspfeife ein abscheulicher grauer Rauch aufstieg.

»Rauchen's hier nit, Herr Dostal!« donnerte der Papa.

»Bin schon fertig, Moment. Aber die Frau Gräfin sollten der Mariann' sagen, daß 's mehr acht gibt auf die teuren Palmen. Tut eh nix, als herumspionieren, die alte Vettel!« Er sammelte die Abschnitzel in seiner Schürze auf und rückte an seiner alten runden Kappe aus schwarzem Samt. »Wünsch' einen guten Abend ...«

Gelassen schloß er die Tür hinter sich zu.

Nur ein graues Gewölk schlängelte sich über dem Platz, auf dem er gestanden, und ein scharfer Geruch ließ die Mama inmitten ihres Schluchzens aufhüsteln.

Die gräflichen Herrschaften verlangten durch die Mariann', daß ihnen das Nachtmahl heute abend in ihren Wohnzimmern serviert würde. Denn dem Dostal nach der Szene gegenüberzusitzen, diese Überwindung brachten sie nicht auf. So humpelte denn die Mariann' die unbequeme Treppe, die zur Küche führte, rauf und runter. Sie stöhnte jämmerlich und sank schließlich in Gegenwart ihrer Herrschaft auf einen Stuhl.

»Entschuldigen, Gräfin Erlaucht, aber wann's so is, – dann is schon besser, ich geh' ins Armenstift, daß ich weiß, wo ich meine alten Knochen hinlege. Denn was der Herr Dostal is – der tut einem ja den Bissen im Mund nit gönnen und spannt nur, bis ich mein bissel Zeug z'sammenpack, damit er die Döblinger anbringt, die falsche Person. Die is nämlich dem Dostal sei Schwester. Ich hab's den gräflichen Herrschaften bis jetzt nur nit g'sagt, damit 's sich nicht genieren, in was für ane Verwandtschaft Sie hineing'raten sind.«

Die Mama preßte die Lippen aus das zusammengeballte Taschentuch. »Ich hab mir schon so was gedacht ... hab mir's gedacht ...«

Der Papa machte eine unbestimmte Bewegung mit beiden Händen.

»Nutzt jetzt nix ... nutzt alles nix ...«

Als sie dann Seite an Seite in den breiten Wiener Betten lagen, mit offenen Augen, die in ein Dunkel stierten, das zum erstenmal etwas Feindliches für sie hatte, sagte der Papa: »Weißt, Muzili – der Brief vom Buben und der heutige Tag – die g'hören zusammen.«

»Schrecklich,« murmelte die Mama, »schrecklich.« Und sie schneuzte sich mit herzerschütternder, hoffnungsloser Trauer, die der Papa so gut an ihr kannte.

»Da hätten wir doch am End unser Semmeringhäusel verkaufen sollen.«

»Anton!« Holla – das war wieder mal g'fehlt. Da verstand die Mama keinen Spaß. Das Jagdhäusel ging ihr über alles.

»War ja nit ernst g'meint,« entschuldigte sich der Papa, haschte auf der Bettdecke nach Mamas Hand und sagte kleinlaut: »Weißt, Muzili, wann der Stumper kommt, dann tu ich mit ihm reden.«

Mamas Bett krachte unter dem Gewicht ihres sich näher schiebenden Körpers, und sie flüsterte: »Der Stumper und der Dostal – das ist alles eins. Was die Mariann' so unter der Hand erfahren hat ... wie die zu ihrem Geld kommen sind – Jessas nein – nit auszudenken! Leichen haben's verhandelt!!«

»Was – Leichen ... woher?« Der Papa saß jetzt mit aufgerissenen Augen aufrecht im Bett.

»Wann ich dir sag'. Ein Leichentransportbüro haben's g'habt im Krieg. Hunderte von Leichen haben sie aus dem Feld g'holt, und ein Haufen Geld haben sie damit verdient ... denn wann sie nicht die richtigen brachten, dann durfte man einfach nie die Särge öffnen. Aber einmal haben Verwandte die Erlaubnis doch noch nachträglich durchgesetzt, und da ist es herausgekommen. Wer ist da gelegen im Sarg für den jungen Grafen Sandor? – Ein Neger.«

»Dummes Zeug ...« Der Papa hätte gern laut aufgelacht. Aber ihm wurde plötzlich bang vor der eigenen Stimme. Heimlich kroch er zurück unter die Bettdecke. Ein gleiches tat die Mama. Sie hatten beide eiskalte Hände, und die Dunkelheit um sie herum nahm einen geradezu bedrohlichen Charakter für sie an.

»Muzili ...«

»Ja ...«

»Der Bub ... der darf das nie erfahren.«

»Nie.«

»Hernach is schon besser, er bleibt im Ausland. Da weiß keiner – – von solchen Sachen. Tu nit weinen, Muzili, nutzt doch nix, wir müssen stark sein. Müssen's allein tragen.«

»Das müssen wir ... oh Gott, oh Gott!«

Hand in Hand schliefen sie ein.

Ganz zeitig wurden sie durch ein Klopfen an ihrer Tür geweckt. Ein Telegramm!

Der Papa sprang mit beiden Füßen aus dem Bett. Telegramme liebte er nicht. Die Mama rückte ihr schneeweißes Nachthäubchen auf dem Papillotenkranz ihrer schönen stahlgrauen Haare zurecht und blinzelte schlaftrunken. Dann rief sie: »Vom Buben. Er kommt ... er kommt ...«

Und alles an ihr war in freudiger, zitternder Erregung.

»So mach' doch auf, Toni, was brauchst denn so lang? Mariann', schnell die Jalousien zurück!«

»Unterstehn 's Ihna, Mariann' ... erst muß ich wieder ins Bett. Ich kann doch nit so, Muzili ...«

Die Mama schlug mit der kleinen Faust ungeduldig auf das bordeauxrote, seidene Plumeau. »Jetzt siehst ... das kommt davon, daß du kein Pyjama tragen willst ...«

»Laß mich aus ... welcher anständige Mensch legt sich mit Hosen ins Bett! Das hab'n so Damen eing'führt, die ihre Liebhaber gleich vom Bett auf die Straße 'nausschicken, wann's überrascht werden vom Mann. Ich will mei Kommodität ... Himmelsakra, is das ein Wetter draußen. Wo is mein Pincenez? Mariann', suchen's mei Pincenez ...«

»Haben Erlaucht die Gläser vielleicht im Nebenzimmer liegen lassen, halten zu Gnaden?«

Wütend sprang der Papa abermals aus dem Bett, ohne sich seiner mangelhaften Bekleidung bewußt zu werden, warf der Mama ihren blauen Samtschlafrock um die Schultern und stürzte hinüber ins Nebenzimmer.

»Wünsch' guten Morgen, Herr Graf, wohin so zeitig?«

Natürlich der Dostal! Die Würdelosigkeit dieses ersten Zusammentreffens nach dem gestrigen Auftritt brachte den Papa um den letzten Rest seiner Ruhe.

»Himmelsakra, kann man nit amal in der Früh' mit sich allein sein ...?«

»I geh' schon, Herr Graf, verkühlen's Ihna nur nit so barfuß.«

»Wann ich mich verkühl', so ist das mei Sach', da haben's gar nix drein zu reden, Herr Dostal, verstanden?«

»Schon, schon, Herr Graf, wir haben nur den Doktor und die Apothekerrechnung zu bezahlen. Weiß eh! Was steht denn im Telegramm drin, Herr Graf? Wann's Ihren Zwicker suchen, da is er, bitt' schön.«

»Was soll drin stehen? Daß mein Sohn kommt, wird drin stehen. Daß die ganze Wirtschaft mit Ihrer Bevormundung ein End' hat – wird drin steh'n. Daß Sie im Gartensalettl zu bleiben hab'n, wo S' hingehören – das wird drinstehen!«

»Is recht, is recht, Herr Graf, schad' um der Frau Gräfin ihren schönen Schlafrock, den's so z'sammendrucken ...«

Krachend flog die Tür hinter dem Papa ins Schloß.

»Dieser Dostal! Dieser infame Kerl, dieser ...«

»So lies doch, Puzi ...«

Der Papa schlüpfte zähneklappernd zurück ins Bett, setzte den Zwicker auf. Die Mama hielt beide Hände gegen ihre wogende Brust.

»Herr Gott nochmal ...«

Der Graf war plötzlich ganz blaß geworden, und die Depesche sank ihm aus der Hand.

»Was is denn, so red' doch, was is?«

Die Mama hatte endlich ihre Brille im Futteral unter dem Kopfkissen gefunden, zugleich mit ihrem Andachtsbüchel.

»Gib her ... gib her ...« Sie las, und auch ihr Gesicht wurde um einen Schatten bleicher.

Die Mariann' verließ auf den Zehenspitzen das Zimmer. Sie wußte, was sich schickte.

Eine Stunde später aber rüstete sich der Papa zu einem schweren Gang. In seiner großen Saffianledertasche war Ebbe wie immer in der zweiten Monatshälfte. Dostal mußte daher zehntausend Kronen herausrücken für eine Reise nach Berlin.

»Zu was brauchen's zehntausend Kronen, Herr Graf?«

Der Papa sagte gepreßt: »Ich muß meine Frau mitnehmen. Es handelt sich um unseren nächsten Verwandten, den Fürsten Hoheneck. Meine ... seine ... ja, alsdann, meine Tochter ist auf den Tod.«

»Eine Tochter haben's auch?«

Dostal blickte mißtrauisch. Das war ja noch schöner, wenn sich die ganze noblige Verwandtschaft auf die Kassa legen wollte! Eine Tochter! Woher? Nie hatte man was von der g'hört.

»Machen's keine G'schichten, Dostal. Diese Tochter is mir an's Herz g'wachsen, wann's auch nit das Kind meiner Frau ist. Aber die Gräfin ... die hat eben ein goldnes Gemüt. Die fahrt mit, Dostal, weil sie mich in meinem Kummer nicht allein lassen will. Verzeiht alles und fahrt mit!«

Der Papa drückte zwei Finger gegen die Augen. Er war ehrlich bewegt. Schon weil der Brief vom Buben ihm eingefallen war, und weil immerhin ein riesiges moralisches Schuldkonto zu begleichen war in Berlin. Die Mama aber hatte Zuständ' gekriegt, wie es geheißen hatte, daß er allein fahren wollte. Mit dem Dostal bliebe sie nicht unter einem Dach, hatte sie erklärt, wenn der Papa weg war. Nit um eine Million. Und die Mariann' behauptete, ohne sie könnte die Gräfin Erlaucht nit fahren. Also drei Personen. Wenn sie eine Woche rechneten, machte es zehntausend Kronen.

»Achte schaffen's auch,« sagte Dostal giftig und wischte seine erdigen Hände an der blauen Schürze ab.

Aber der Papa bestand auf zehn. Dann brach er eine Narzisse und steckte sie sich in das Mantelknopfloch.

»Alsdann, Herr Graf, fahren's zur Leich' oder zum Drah'n?«

»Jetzt tun's einem vielleicht noch die Blumen nachrechnen? Weit haben wir's mit Ihnen gebracht, Herr Dostal – –!«

Dostal warf seine Schürze ab und warf sie auf den langen Tisch des Gewächshauses.

»Ich bin nicht ermächtigt, so viel Geld aus der Kassa zu ziehn, Herr Graf. Wann der Herr Stumper da wär' ... ging's mich nix an. Aber so ... da müssen's schon einen Schuldschein schreiben, Herr Graf, oder einen Wechsel, den Sie dann von Ihrer Renten, die Ihnen der Herr Stumper auswirft, zurückzahlen. Anders kann ich's nicht machen, bitt' schön.«

Sie saßen jetzt beide in dem kleinen kahlen Kontor neben dem Treibhaus. Vor dem ebenerdigen Fenster war ein dichtes Gitter angebracht. Im Kontor selbst standen nur ein Geldschrank, ein altes, zerkratztes Stehpult und zwei Strohstühle. Es roch hier nach nasser Erde und fauligen Pflanzen. Nach Kalk und Moder. Den Papa schüttelte es.

Ekelhafter Kerl! dachte er. Und lachte doch dabei in sich hinein. Zu blöd' war das mit dem Wechsel. Wann er ihn nicht einlöste – da war doch der Bub da. Das heißt – Stumper zahlte an Stumper. Das waren so »G'schäfteln.«

»Na, Dostal, wann ich schon einen Wechsel geben soll, dann rücken's zwanzigtausend Kronen außi.«

Herr Dostal kniff die Lippen ein. »Sie geben's nobel, Herr Graf. Ich muß Sie aber aufmerksam machen, entschuldigen, daß ich kein flüssiges Geld, bitte, nicht hab'. Daß ich Papiere verkaufen muß. Da verlier' ich bei die jetzigen Zeiten einen Haufen drauf. Wann Sie also zwanzigtausend benötigen, dann müssen's fünfundzwanzig zurückzahlen an die Kassa.«

»Is ja Wurscht, Dostal ... bleibt ja so in der Familie ...«

Der Papa spielte jetzt den Leutseligen. Auch konnte er nicht leugnen, daß er in sehr gehobener Stimmung war. Der lieben Agath' passierte hoffentlich nix, und die Mama hatte sich sofort bereit erklärt, vor dem Vetter Erasmus die verzeihende Gattin zu spielen. Das sicherte ihnen beiden ein paar fesche Tage in Berlin, und im Anschluß daran rutschten sie vielleicht gar hinunter zu den Kindern nach Lugano.

Im Leben hatten sie keine richtige Reise gemacht, außer in der Jugend mal nach Dresden. Aber der Wunsch, die Dostalsche Nähe und Bevormundung abzuschütteln, hätte sie bis nach Turkestan gejagt ...

Er war eigentlich restlos glücklich, der Papa.

»Schad', Muzili, daß ich nicht mehr Mitglied der Palotologischen – oder wie sie heißt – G'sellschaft bin. Das wär' jetzt eine Hetz.«

Und dann legte er sich eine kummervolle Falte zurecht und fügte hinzu: »Der Agath' werd' ich als Vater vorg'stellt werden, da läßt sich nix ändern. Ein Pussi mußt mir da schon erlauben, Muzi ...«

Worauf die Mama ihm einen leichten Streich auf die Backe gab und drohend den Finger hob: »Warst und bleibst ein Schlimmer, Puzi. Is noch für dasmal gnädig abgegangen. Aber wann's schlecht ausgeht mit der Agath', ich glaub', der Bub wird rabiat. Er ist halt so sensibel, der Xaver. Ich werd' ein paar Rosenkranz' beten für die Agath' ... Und die Mariann' soll auch beten.«

Und dann wären sie fast zu spät zum Zug gekommen, die Sternfelder. Denn die Mama war gar nicht loszureißen von all ihren »Eckerln« und hatte bald dem, bald jenem Bild noch eine Kußhand zuwerfen müssen. Vom Auto aus reichte die Mama dem Herrn Dostal sogar die Hand zum Kuß.

»Ich verlaß mich drauf, Herr Dostal, daß alles schön g'halten wird.«

»Da wird nix fehlen, ich laß die Doeblinger kommen.«

Dabei fiel den alten Herrschaften die Cottage-Villa ein.

»Wann wir unsern Sohn sehen, Dostal, was sollen wir ihm sagen wegen dem Haus?«

»An schönen Gruß, sonst nix, Herr Graf, der wird's schon eh wissen – fahren's zu, Sie ...«

Das galt dem Chauffeur. Die Mariann' bekreuzigte sich, um sich zur Ruhe zu ermahnen, der Papa schlug auf seine linke Brustseite, da, wo die gefüllte Brieftasche ruhte, die Mama aber hob ihr feines Taschentüchel an die Augen.

Herr Dostal blinzelte unter dem Geknatter des abfahrenden Wagens in die blasse Wintersonne hinein.

* * *


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