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Aus Meister Gotthard Hennebergs Hause in der Roten-Hahn-Straße schien Friede und Freude geflohen zu sein. Eine dumpfe, trübe Stimmung herrschte in der Werkstatt, in der Wohnstube und in den Kammern, bis hinauf in Ilsabes Schwalbennest, und lag schwer wie Gewitterluft auf den Gemütern der Insassen, die sonst zufrieden und heiter ihrem fleißigen Tagewerk nachgingen und in Eintracht und Vertrauen die Pflichten der Liebe erfüllten. Die Arbeit wurde nach wie vor getan und äußerlich jeder Pflicht im Hause genügt, aber keiner wurde seines Schaffens froh, weil jeder Kummer und Sorgen im Herzen trug und dem anderen Kummer und Sorgen vom Angesicht las. Und keiner vertraute dem anderen sein Leid, wenn er auch das des anderen erriet und verstand. Vieles kam zusammen, diese gesunden und frohen Menschen zu schwermütigen Grüblern zu machen, die nur mit halben Gedanken bei ihrer Hände Tun und Treiben waren. Meister Gotthard trug seinen steifen Nacken zwar noch ungebeugt aufrecht, denn sein starker Wille und seine bewußte Kraft gaben einem äußeren Drucke so leicht nicht nach. Kaum jemals verließ ihn seine klare Besonnenheit, die ihn befähigte, mit Ausdauer und Geduld ein als recht und gut erkanntes Ziel zu verfolgen und Widerwilliges in seine Wege zu lenken oder aus seinen Wegen zu räumen. Hatte er mit einem schweren Entschluß zu kämpfen, oder an einem heftigen Verdrusse zu würgen, so gebrauchte er zwei Hausmittel, von denen ihm entweder das eine oder das andere zu Sicherheit und Ruhe verhalf. Entweder ging er ganz allein in die weite Einsamkeit der Heide hinaus, um dort seine stürmischen Gedanken austoben zu lassen, bis sie sich in gezügeltem Gleichmaß bewegten, oder er wählte sich auf der Diele das gröbste Stück Arbeit aus und scharwerkte mit aller Leibeskraft grimmig darauf los, daß ihm der Schweiß von der Stirn troff. Mit dem härtesten Holz, mit dem schändlichsten Ärger ward er dann fertig, und wenn er müde war, war er auch frei.
Diesmal aber nützten dem Meister seine Hausmittel nichts, Was jetzt an seiner Seele hing, das saß zu tief und zu fest. Den Bescheid, den er seinem Sohn Arnold gegeben hatte, bereute er nicht, aber er war gerecht genug, die schuldlose Tochter des Freiböttchers aufrichtig zu beklagen, die durch das Vergehen ihres Vaters um eine Lebenshoffnung betrogen war. Selbst Arnold bedauerte er bis zu einem gewissen Grade, und würde dies noch mehr getan haben, wenn dieser sich nicht zu trotzig und drohend ihm gegenüber benommen hätte. Nun gähnte das Zerwürfnis wie ein klaffender Spalt zwischen Vater und Sohn, über den eine Brücke zu schlagen keiner von beiden eine Hand regte. Sie sprachen nichts miteinander, als was zur Arbeit unumgänglich nötig war, und dieses traurige Verhältnis lastete empfindlich auf allen Hausgenossen; Frau Johanna namentlich litt unsäglich darunter. Sie versuchte, auf jeden der beiden Entzweiten mit Vorstellungen und Bitten versöhnlich zu wirken, jedoch vergeblich, jeder blieb auf seinem harten Kopfe bestehen. Auch die Gedanken an die Zukunft der Stadt erfüllten den Meister mit ernsten Sorgen. Gewisse Zeichen, die sich besser fühlen als erklären ließen, sagten ihm, daß in Lüneburg nicht alles sei, wie es sein sollte, und daß die äußere Ruhe nur die Stille vor einem Sturm sei, der über kurz oder lang mit unberechenbarer Gewalt und aus noch unbekannter Richtung über die Stadt losbrechen würde. Je mehr sich ihm diese Mahnungen aufdrängten, desto düsterer ward er, eingedenk des großen Gewichtes, das er mit Wort und Tat in die Waagschale zu werfen hatte. Denn er wußte, daß beim ersten Schritt zu einem Kampfe aller Augen auf ihn blicken, viele seinem Beispiel folgen würden, und ihm bangte schon vor dem Tage, an dem er sich mit der ganzen Verantwortlichkeit seines Gewissens vor der Notwendigkeit einer entscheidungsschweren Wahl befinden würde.
Von diesen Sorgen ahnten die Seinigen nichts und schoben daher seinen schweigenden Mißmut lediglich auf seinen Unwillen über Arnold. Der Meister wieder hielt die Befangenheit der anderen nur für den Schatten seiner eigenen Schwermut, aus der sich der tatkräftige Mann diesmal nicht herausreißen konnte. Daß jene auch noch andere Gründe dazu hatten, dachte er nicht und sah nicht die Gespenster, die in seinem Hause umgingen und in jeder Kammer und aus den Wänden traten.
Der blonden Ilsabe war das Gerücht zu Ohren gekommen, natürlich wieder durch den Allerwelts-Geschichtenträger Daniel Spörken herumgebracht, Balduin Viskule bewürbe sich um die Hand der Frau Walpurg Grönhagen; auf einem Gastmahl bei Frau Katharina Mandelsloh hätten sich alle Gäste von dem heimlichen Einverständnis der beiden überzeugen können, dessen öffentliche Kundgebung jeden Tag zu erwarten stünde. Ilsabe konnte es nicht fassen, geschweige denn glauben. Jede Fiber ihres Wesens sträubte sich gegen die Annahme nur der Möglichkeit, daß Balduins Liebe, obwohl er sie ihr noch mit keinem Wort gestanden hatte, einer anderen als ihr gehören könnte, und doch zitterte sie in einer unbeschreiblichen Angst, ihm entsagen zu müssen. Seit vollen acht Tagen hatte sie ihn nicht mit Augen gesehen, hatte daher keine Beobachtung seines Benehmens gegen sie anstellen, sich kein Urteil über seine Gesinnung bilden können. Den ganzen Tag saß sie oben in ihrem Schwalbennest, unfähig, etwas anderes zu tun, als zu sinnen und zu sorgen, und blickte träumerisch sehnsüchtig über Dächer und Giebel hinaus in die Ferne, in die sie mit ihm, mit ihm entfliehen möchte, weit weg aus diesen Mauern, wo ihr eine andere den Heißgeliebten streitig machte. Wenn sie dann draußen in der Heide sich etwas bewegen sah, ohne zu erkennen, ob es Mann oder Weib, ob es zwei oder mehrere waren, so dachte sie, dort gingen Walpurg und Balduin, tauschten Schwüre der Treue, bauten Pläne der Zukunft und zögen selbander in ein Paradies des Glückes und der Liebe. Bei Tisch horchte sie, ob nicht einem der Ihrigen eine Andeutung von jenem ihr qualvollen Gerücht über die Lippen käme, und suchte mit Gilbrecht öfter allein zu sein, um ihm Gelegenheit zu einer Äußerung darüber zu geben. Aber nichts dergleichen erfolgte. Sie hätte Hildegund, ja sie hätte Balduin selber fragen können, aber sie konnte sich nicht so verstellen, daß sie nicht ihr ganzes Herz mit allem, was darin bangte und bebte, dabei verraten hätte, wie immer die Antwort auch ausfallen möchte. Schrecklich war ihr die Ungewißheit, mit der sie ruhelos sich trug, schrecklicher aber war die Vorstellung, mit einem Worte die Wahrheit hören zu sollen und damit vielleicht alle Hoffnung schwinden zu sehen, die sie noch an einem dünnen Faden hielt.
Gilbrecht nun, in seinem ihm aufgedrungenen und längst überdrüssigen Müßiggange, hatte Zeit genug, seinen Gedanken nachzuhängen, und wußte mehr als alle anderen im Hause. Er allein vermutete für Ilsabes stille Seufzer noch einen tieferen Grund als ihre von allen geteilte Betrübnis über den Vater und Arnold, und es ward ihm nicht schwer, den wahren, stärkeren Grund dafür zu finden. Es fiel ihm ein, daß sich Balduin in letzter Zeit etwas von ihnen zurückgezogen hatte. Geschäftliche Arbeit konnte den Freund von einem Besuch im Böttcherhause nicht abhalten, denn dazu ließ Herr Viskule seinem Sohn zuviel freien Willen. Die Ursache seines Fernbleibens konnte nur eine Wendung seines Herzens sein, und das schmerzte Gilbrecht um seiner lieben Schwester willen, für die er einen aufrichtigen Trost nicht hatte.
Aber er wußte noch etwas anderes, wovon seine Eltern und Ilsabe nichts ahnten, und wovon sein Mitwissen auch Arnold verborgen war. Das war das schwere Geheimnis von dem schon zum Ausbruch reifen Gesellenaufstande. Ihm hatte man den Plan geflissentlich verschwiegen, vielleicht weil er bei keinem Meister als Knecht in Lohn und Brot stand, wahrscheinlich aber weil man ihm nicht traute, und in letzterem Falle konnte die strenge Geheimhaltung gegen ihn nur auf den Rat und das ausdrückliche Verlangen Arnolds erfolgt sein. Hätte nicht zufällig Timmos trunkener Mund ihm die Verschwörung verraten, so wüßte er heute noch nichts davon. Er würde sich der aufrührerischen Bewegung schwerlich angeschlossen, doch nicht aus Zaghaftigkeit die Aufforderung dazu abgelehnt haben, sondern aus Pflichtgefühl, aus Gehorsam gegen die Handwerksordnung und aus liebevoller Rücksicht gegen seinen Vater, welche guten Regungen und Gefühle Arnold unbegreiflicher- und bedauerlicherweise trotzig zurückgewiesen hatte. Leichtsinn war aber Arnolds Fehler nicht. Sollte der Groll über das Fehlschlagen seiner Hoffnungen ihn bis zur Rachsucht gegen den eigenen Vater treiben, daß er die Brandfackel der Empörung in eine schon anderseitig von mächtigen Gegnern bedrängte und in ihrem Frieden bedrohte Stadt schleuderte, um die althergebrachte Ordnung umzustoßen und seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen? Ein solcher Entschluß hatte schwerlich in Arnolds ernstem und gemessenem Sinn und Wesen seinen Ursprung gehabt, der mußte von fremder Hand hineingepflanzt und Arnold zu dem waghalsigen Unternehmen verführt sein. Gilbrecht kannte nicht die Forderungen und Klagen der Gesellen gegen ihre Meister, kannte überhaupt nicht Zweck und Ziel des Aufstandes, aber nach den Anstiftern brauchte er nicht weit zu suchen. Hatte er an jenem Abend nach dem Streit mit dem Vater seinen Bruder nicht mit Sengstake, Dalenborg und Timotheus Schneck in den Ratsweinkeller schlüpfen sehen? Diese drei, der unruhige, vorwitzige Krauskopf aus Darmstadt, sein Wandergesell durch die Heide, und die beiden Vorfechter der Prälaten und Angreifer des Rates, von denen der eine, Sengstake, noch dazu Meister Gotthards erbittertster Feind war, die waren die Hetzer und Verführer, und dort im Ratsweinkeller bei dem guten, alten Ambrosius von dem Rhyne hatten sie die verbrecherischen Pläne geschmiedet, mit denen sie erst Arnold und dann alle anderen Handwerksknechte der Stadt umgarnten.
Was nun beginnen? Arnold fragen? Unnütz! Denn da war kein Zweifel; ihn warnen? Umsonst! Wen Sengstake umstrickt hielt, der konnte sich nur selber, den konnte kein anderer befreien. Auch fühlte sich Gilbrecht wenig geneigt, sich in des älteren Bruders Vertrauen zu drängen, das ihm dieser seit kurzem absichtlich zu verweigern schien. Arnold wähnte ihn von den Eltern bevorzugt, weil sie, wie er sich steif und fest einbildete, Gilbrecht in das vermeintlich abgeschlossene Verlöbnis Ilsabes mit Balduin eingeweiht hatten, und ihn nicht. Außerdem witterte er auch noch etwas von des Bruders Liebe zu Hildegund und sah hier eine zweite Verbindung entstehen, welche die Eltern begünstigten. Gilbrecht hatte ihm weder über die eine noch die andere ein Wort des Vertrauens gegönnt, und da senkte sich in des mit seinen Herzenswünschen Abgewiesenen Brust mit dem kränkenden Gefühl der Zurücksetzung auch das der Mißgunst, ja des Neides, das ihn verbitterte und eine Entfremdung zwischen ihm und seinen Geschwistern herbeiführen mußte. So kam es, daß Gilbrecht nicht den Mut oder nicht die Lust hatte, den sich kalt und schroff von ihm abwendenden Bruder zu bekehren. Auch Jakob mochte er nicht nach dem Aufstande fragen, um ihn nicht in Verlegenheit zu bringen oder nicht in Dinge zu verwickeln, die man vielleicht seinet-, Gilbrechts, wegen auch jenem verschwiegen hatte.
Aber was tun? Als Sohn eines Handwerksmeisters, zumal eines Amtsmeisters, und als Sohn dieser Stadt, deren Ruhe und Sicherheit auf dem Spiele stand, hatte Gilbrecht die unabweisliche Pflicht, von der Gesellenverschwörung wenigstens seinem Vater Mitteilung zu machen, dem er dann alles weitere überlassen konnte. Er hatte ihr Vorhandensein nicht wie ein heimlicher Kundschafter erlauscht und erschlichen, aber mit der Meldung wurde er doch der Ankläger und Verräter seines Bruders, und das ging ihm gegen seinen ehrlichen, geraden Sinn. Wie schrecklich auch würde die Nachricht auf seinen Vater wirken, wenn der pflichttreue, gestrenge Amtsmeister, der an altem Herkommen so unverbrüchlich festhaltende Mann, einen Aufrührer und Empörer in seinem eigenen Sohn entdeckte! Was sollte dann erst aus der Zwietracht zwischen den beiden werden, wenn eine solche Erfahrung noch dazu kam! Gilbrecht führte einen heißen Kampf mit sich, ob er sprechen oder schweigen sollte. Endlich entschied er sich dafür, mit der Anzeige wenigstens noch zu warten. Erst am Donnerstag, also von heute in zwei Tagen, wollten die Gesellen auf grüne Heide gehen; bis dahin konnte ja irgendein unerwarteter Zwischenfall das Vorhaben entweder ganz vereiteln oder zur Kenntnis eines anderen Handwerksmeisters bringen, und dann war doch er nicht der Angeber gewesen. Es war freilich nur ein schwacher Trost, und Ruhe fand er darin nicht.
Das einzige, was ihn für kurze Stunden über seinen Kummer hinweghob, war seine Liebe zu Hildegund. Der bloße Gedanke, von ihr wiedergeliebt zu werden, versetzte ihn in einen Zustand von Glückseligkeit, in dem er das Aussichtslose einer Verbindung mit ihr völlig vergaß. Wenn er sie sah, mit ihr sprach und seine Augen sich an ihr satt tranken, so füllte sich auch sein ganzes Herz mit neuer Hoffnung. Könnte er die Geliebte sich erkämpfen – welchen Namen hatte die Tat, die er nicht für sie vollbringen würde?
Grübelnd saß er heute nachmittag oben in seiner Kammer, als er Ilsabe die noch höheren Treppen herabstürmen hörte; es folgte ein Schlag gegen seine Tür und der Ruf: »Hildegund kommt!« Dann sauste die Schwester die noch übrigen Treppen hinab. Er natürlich eilig hintendrein. Ilsabe hatte aus ihrem Schwalbennest die Freundin um die Straßenecke biegen sehen, worauf sie ihr entgegeneilte, und in demselben Augenblick, als Hildegund in die Wohnstube trat, sprangen Ilsabe und Gilbrecht zugleich zu der anderen Tür herein, die nun keiner von beiden schloß. Hildegund hatte einen hochroten Kopf und verweinte Augen und warf sich ohne zu sprechen an Ilsabes Brust.
»Was ist dir, Hildegund? Was ist geschehen?« fragte Ilsabe besorgt.
»Ich soll ins Kloster!« kam es endlich mit ersticktem Weinen von ihren bebenden Lippen.
»Was sollst du?« stieß Gilbrecht heftig heraus und ballte unwillkürlich beide Fäuste, wie um den auf der Stelle zu erwürgen, der Hildegund in das Kloster bringen wollte. Frau Johanna und Ilsabe bemühten sich, die am ganzen Körper Zitternde zu beruhigen und zur geordneten Mitteilung des Vorgefallenen zu bewegen. Da erzählte sie, daß es mit der Base Barbara nicht mehr auszuhalten wäre. Das alte Fräulein quälte sie Tag für Tag mit endlosen Andachtsübungen und mit Lesen von überspannt frommen, dunkelsinnigen Schriften, daß ihr davon ganz wirr und wüst im Kopf wäre. Daran knüpfte Barbara dann die verschrobensten Betrachtungen, die abgeschmacktesten, unverständlichsten Fragen und geriete in eine Art Verzückung, daß ihr manchmal himmelangst dabei würde. Daß die Base nach einer Zelle im Kloster Lüne strebe, wüßte sie längst, seit einiger Zeit aber hätte jene erst mit leisen und dann mit immer stärkeren Andeutungen es ihr nahegelegt, doch mitzukommen und mit Barbara zugleich ihr Leben Gott und den lieben Heiligen zu weihen. Mit wachsender Begeisterung hätte sie immer dringendere Gründe für einen so gottgefälligen Schritt angeführt, immer neue Überredungskünste angewandt, so schrecklich aber wie heute ihr noch nie damit zugesetzt, daß sie davor gar nicht mehr aus noch ein gewußt hätte.
Nur um loszukommen, wäre sie scheinbar darauf eingegangen, hätte es nicht ganz von der Hand gewiesen, es sich zu überlegen versprochen und so weiter. Da wäre plötzlich wie auf Verabredung der Propst von Lüne ins Zimmer getreten, und ihm hätte die Base nun voller Freude berichtet, daß Hildegund so gut wie entschlossen wäre, mit ihr in Lüne den Schleier zu nehmen. Sie wäre ganz starr geworden, das zu hören, wäre aber gar nicht zu Worte gekommen vor den salbungsvollen Reden und frommen Lobeserhebungen der beiden anderen, und der Propst hätte so getan, als hätte er schon ihr feierliches Gelübde und sie mit einem wahren Übersturz von Segenssprüchen als Tochter der heiligen Kirche und Braut Christi willkommen geheißen. Da wären ihr fast die Sinne geschwunden, sie hätte, alles über sich ergehen lassend, wie gelähmt dagesessen und in heißen Tränen Erlösung gesucht. Als der Propst endlich gegangen, wäre sie hierhergeeilt, und da wäre sie nun, trostlos, unglücklich, verraten und verkauft.
Mit Erstaunen und inniger Teilnahme hatten die Geschwister und ihre Mutter der schier Verzweifelten zugehört. Ilsabe stampfte mit dem Fuß auf und sprach trotzig: »Hildegund, ich weiß nicht, was ich an deiner Stelle täte; aber ich will euch helfen, die Barbara zu ärgern, daß sie schwarz wird und macht, daß sie aus dem Hause kommt. Wir wollen sie auf den Schub bringen nach Kloster Lüne, und wenn der Katzenbuckel von Propst kommt, so schlagen wir ihm die Tür vor der Nase zu. Sieh, so!« Und sie warf die Tür, die sie bei ihrem eiligen Eintritt mit Gilbrecht offengelassen hatte, mit solcher Gewalt zu, daß die Fensterscheiben klirrten und die Mutter samt Hildegund erschreckt zusammenfuhr.
»Weiß dein Vater von diesem Getreibe, liebe Hildegund?« fragte Frau Johanna nach einem leise vorwurfsvollen Blick auf ihre zornglühende Tochter.
»Nein, der hat ja nicht Zeit, sich viel um uns zu kümmern.«
»Und Balduin?« fragte Gilbrecht.
»Ach, Balduin! Der hat anderes im Kopfe.«
»Mein liebes Kind«, sprach Frau Johanna, »sei guten Mutes! So schnell geht das nicht. Ohne die Zustimmung deines lieben Vaters können sie dich nicht ins Kloster schleppen. Das nächste, was du zu tun hast, ist, daß du es ihm sagst, in welcher Weise du gequält wirst und was die beiden mit dir vorhaben. Du sollst mal sehen, wie er dazwischenfahren und die Bahn reinfegen wird.«
»Nein, nein«, erwiderte Hildegund, »dem Vater mag ich damit nicht kommen, er hat ohnehin schon Sorgen genug.«
Sie redeten ihr herzlich zu, und es gelang ihnen, sie zu trösten und aufzuheitern, obgleich sie noch oft die Augen mit dem Tuche trocknen mußte.
»Hildegund, wenn du ins Kloster gehst –«, sagte Gilbrecht.
»So gehst du wohl auch ins Kloster?« lachte sie noch unter Tränen.
»Nein! Dann hole ich dich wieder heraus, und wenn ich einen Mord darum begehen müßte!«
»Gilbrecht!« sprach die Mutter.
»Ja, Mutter! Das tu' ich, so wahr ich dein und meines Vaters Sohn bin!«
»Und ich helfe Gilbrecht dabei!« rief Ilsabe mutvoll entschlossen.
Der liebesselige Blick, der Gilbrecht aus Hildegunds Augen traf, der glaubte ihm seinen Schwur.
Jetzt kam Meister Gotthard von der Werkstatt in die Wohnstube, um die Tochter seines alten Freundes zu begrüßen, an der er wie an seiner eigenen stets die innigste Freude hatte. Seine finsteren Züge hellten sich bei ihrem Anblick auf, und Frau und Kinder freuten sich, ihn einmal wieder lächeln zu sehen. Er hatte beim Eintreten Gilbrechts letzte Worte gehört und fragte: »Was willst du tun, Gilbrecht, so wahr du mein Sohn bist?«
»Hildegund aus dem Kloster befreien, wenn sie erst einmal darin ist«, erwiderte Gilbrecht.
»Hast du denn so große Eile, in ein Kloster zu kommen, Hildegund?« lächelte der Meister.
»Ach nein! Ich nicht; aber Base Barbara kann die Zeit nicht abwarten, bis wir beide Nonnen sind.«
Hildegund sagte das schon getroster und in einem mehr scherzenden Tone.
Und schon, um ihr auch den letzten Rest von Angst zu nehmen, erzählten sie dem Meister nun mehr lachend als besorgt von der wunderlichen Zumutung des bekehrungswütigen Fräuleins. Aufgeräumt sagte der Meister: »Ja, wenn du auch mit Gewalt ins Kloster gebracht wirst, so kannst du dich auch mit Gewalt wieder daraus befreien lassen. Da hat Gilbrecht ganz recht.«
»Seht ihr wohl?« rief Gilbrecht. »Hildegund, verlaß dich auf mich! Und wenn mir der Propst einmal in die Hände gerät, so könnte er leicht blaue Flecke davontragen.«
»Soll ich ihm das vielleicht bestellen?« fragte sie schelmisch.
»Meinetwegen!« lachte der Freund.
Hildegund ging, von den Geschwistern bis an die Haustür, von Gilbrechts Blicken noch über die Straße geleitet.
»Ein herziges Mädchen!« sagte Meister Gotthard zu seiner Frau. »Die, und ins Kloster!« Wahrhaftig, er lachte wieder! Mit einem schweren Herzen voll Angst und Sorgen und mit weinenden Augen war Hildegund in ein Haus voll Sorgen gekommen, und mit lachendem Mund und erleichtertem Herzen ging sie wieder daraus hinweg, liebe, treue Menschen, ihre besten Freunde, ließ sie darin zurück.