Julius Wolff
Der Sülfmeister
Julius Wolff

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Siebzehntes Kapitel

Zu Hause war Gotthard Henneberg völlig unverändert, als wäre nichts geschehen, was sein und der Seinigen tägliches Leben irgendwie aus dem altgewohnten Geleise bringen könnte. Wenn die Ereignisse der letzten Tage besprochen und einzelne Vorfälle daraus erzählt wurden, so hörte der Meister ruhig zu, flocht ein paar gleichmütige Bemerkungen ein, sagte aber nichts von seinen nächsten Absichten und Plänen und verriet überhaupt mit keinem Wort, daß der rasche Umschwung der Dinge ihn näher anging als jeden anderen Bürger der Stadt.

Ilsabe schaute ihren Vater an, als müßte ihr die Krone auf seinem Haupte endlich sichtbar werden, die ihm, dem Retter und Lenker der Stadt, ihrer Meinung nach mit Fug und Recht gebührte, und unwillkürlich zog sich eine leise Schranke zwischen dem Meister und seiner Familie. Nicht die Herzlichkeit der Gefühle erlitt durch seine gebietende Stellung eine Einbuße, aber die im Goldenen Ei sonst waltende frohe Vertraulichkeit wagte sich nicht mehr so unbefangen gegen ihn hervor. Seinen lieben Hausgenossen war es, als säße da in der Kleidung eines Böttchermeisters ein Reichsgraf oder mindestens ein worthabender Bürgermeister mit ihnen zu Tisch, mit dem man anders umgehen, anders sprechen, dem man anders aufwarten und dienen müßte als dem Gatten und Vater, der ihnen bisher so nahegestanden hatte wie kein anderer Mensch in der Welt, und der nun mit einem Male ein Herr über Leben und Tod geworden war.

Meister Gotthard bemerkte davon nichts oder wollte nichts davon bemerken und behandelte die Seinigen mit der alten Liebe, soviel seine Zeit und seine Stimmung jetzt zuließen, sich mit ihnen zu beschäftigen, denn er hatte den Kopf voll ernster Gedanken. Gegen Abend desselben Tages, an dem der Aufstand begonnen und beendet war, trieb es ihn zu seinem Freunde Heinrich Viskule, und er sagte zu seinem ältesten Sohne: »Arnold, ich werde in den nächsten Tagen öfter außer dem Hause sein müssen und werde bei der Arbeit nicht viel schaffen können; derweilen kannst du hier den Meisterknecht machen, und Gilbrecht sei dein zweiter Geselle. Ich werde das dem Amte gegenüber zu verantworten wissen, und kein Wardierer soll mich darum schelten.«

»Werd's besorgen, Vater!« sprach Arnold vergnügt. »Es soll an nichts fehlen hier, und Gilbrecht wird froh sein, daß er helfen darf.«

Heinrich Viskule empfing seinen Freund aufs herzlichste und mit einer gewissen Feierlichkeit. »Gotthard«, sprach er, des Böttchers Hand in seinen beiden haltend, »im Namen von ganz Lüneburg möcht' ich dir danken, daß du uns von der Schmach und Schande erlöst und das Bubenregiment mit einem Schlage weggefegt hast. Du hast unserer Stadt ihre Ehre gerettet und hast auch uns Eingesperrte befreit, alles du und immer du!«

»Ich wollte nur, wir hätten es ein paar Wochen früher getan«, versetzte der Meister.

»Wer weiß, ob es dann so gut geglückt wäre«, sagte der Ratsherr. »Wie nenn' ich dich denn nun in deiner Macht und Würde?« fragte er lächelnd.

»Wie du mich dein Leben lang genannt hast«, erwiderte der Meister, »die Würde soll mich hoffentlich nicht lange drücken. Ich denke euch sobald wie möglich in alle eure Ehren und Würden wieder einzusetzen auf dem Rathause.«

»Das kannst du allein nicht ins Werk richten«, sprach Viskule, »das muß die gesamte Mannheit gemeiner Bürgerschaft tun, mußt uns bitten und gute Worte geben. Oder der Herzog muß kommen und uns die Stühle wieder zurechtrücken.«

»Der Herzog!« lachte Gotthard. »Warum nicht gar der Kaiser?«

»Wäre auch nicht zuviel«, sagte Viskule. »Ich werde es mit den anderen bereden, glaube aber nicht, daß sie alle im Eide bleiben wollen. Erst mit Undank, Unrecht und Gewalt vom Stuhle gestoßen und eingesperrt und dann wieder zu Gnaden angenommen, um das gescheiterte und geplünderte Schiff wieder flott zu machen – wer soll dazu Lust haben?«

»So ist's nicht gemeint«, sprach Meister Gotthard. »Ihr sollt das Schiff genau wieder so haben mit seiner vollen Ladung von Gütern und Schulden, wie ihr es verlassen habt. So lange bleib' ich hier, bis ich euch das Regiment der Stadt übergeben kann, ungeschwächt und ungekränkt an Ehre und Rechten, an Briefen und Besitz wie ehedem.«

Da sprang der Ratsherr in freudiger Bewegung auf. »Gotthard, das willst du? Das glaubst du zu schaffen?« rief er. »Oh, daran erkenne ich unseren Sülfmeister, daß er nichts halb tut von dem, was er auf sich nimmt! Und wenn wir Geschlechter dir helfen können, so sag es nur; es soll dir keiner seine Tür verschließen, wenn du anklopfst!«

»Wollen sehen, wie die Wirtschaft da oben steht«, entgegnete der Meister, »ich fürchte, ich finde starken Mausefraß an den Pergamenten, und der Säckel wird auch wohl einige Löcher gekriegt haben, die wir zustopfen müssen. Gehab dich wohl! Ich komme einmal wieder und sage dir Bescheid.«

Am anderen Morgen war Meister Gotthard wieder früh in der Werkstatt und übte sein Handwerk nach wie vor. Vor der festgesetzten Stunde aber, zu der er den Stadtschreiber auf das Rathaus bestellt hatte, wollte er Rokswale besuchen und machte sich bald auf den Weg. Schon in der Haustür kehrte er noch einmal um und sagte: »Arnold, heute zum Abendbrot bringe uns deine Ursula her.«

Arnold nickte ein freudiges Ja.

Der Meister ging zu Rokswales stattlichem Hause an der Münze, das sich durch über der Tür und zwischen den Simsen angebrachte tönerne Hopfenranken mit den regelmäßig und zierlich gelappten und gezackten Blättern und den rundlichen Fruchtkapseln schon äußerlich als Brauhaus kennzeichnete. In der sehr geräumigen Diele, wo unter der in halber Höhe laufenden durchbrochenen und geschnitzten Galerie Braupfannen und große Maischbottiche standen, deren neuester aus der Werkstatt Gotthard Hennebergs stammte, traf er den Brauer.

»Nun? Du kommst wohl, um zu sehen, ob dein Gefangener auch fein zu Hause ist, Herr Stadtvogt?« fragte Rokswale nicht eben freundlich, als der Böttcher eintrat.

»Darum komme ich nicht, Rokswale!« erwiderte Meister Gotthard ernst. »Ich komme, um meinen Frieden mit dir zu machen, wenn du willst. Siehst doch wohl ein, daß ich nicht anders konnte; ihr seid nicht so glimpflich mit den Ratsherren verfahren, habt sie in die Türme geworfen, und –«

Und verhungern lassen, wollte er sagen, verschluckte das Wort aber.

»Meine Schuld ist es nicht, Henneberg! Das weißt du wohl«, entgegnete der Brauer, indem er den unverhofften Besuch in die Wohnstube führte. »Sei mir willkommen zum guten Frieden, hier ist meine Hand! Laß vergessen sein, was zwischen uns lag!«

»So soll es sein!« sagte Gotthard und schlug ein. »Dein Einlager wird nicht lange dauern, und die Schöffen werden über euch Amtsmeister den Stab nicht brechen, denn es ist bekannt genug, daß ihr an dem Schandregiment wenig mehr Anteil gehabt habt, als der leere Krug da auf deinem Tisch.«

»Soll ich ihn füllen, Henneberg? Von meinem besten Bräu?« fragte Rokswale schnell statt einer Antwort auf die beschämende Bemerkung seines Gastes, daß er und seine Genossen nur Nullen im Rate gewesen waren.

»Nein, nein! Danke!« lachte Meister Gotthard. »Eine Anspielung sollte das nicht sein.«

So kamen die beiden ehemaligen Gegner über die Peinlichkeit ihres ersten Zusammentreffens hinweg und waren bald in ein ernsthaftes Gespräch vertieft. Rokswale forschte nach den Maßregeln, mit denen Henneberg sein eigenmächtiges, unbeschränktes Regiment zu führen gedächte, und erhielt darauf zur Antwort, daß er von seinen Mitbürgern zum höchsten Vertrauen Berufene es als seine erste Pflicht erachte, durch alles einen dicken Strich zu machen, was der Rat unter Dalenborg getan und beschlossen, verfügt, verhandelt, bewilligt und genehmigt hatte, gleichwie, als wenn es gar nicht geschehen wäre und jener unrechtmäßige Rat niemals auch nur eine Stunde lang in Lüneburg bestanden hätte.

»Willst du etwa auch die neuen Rollen den Ämtern wieder nehmen, die solche kürzlich vom Rate erhalten haben?« fragte Rokswale unwillig und besorgt.

»Von Wort zu Wort, das versteht sich!« sprach Gotthard Henneberg.

»Das wird böses Blut geben«, sagte Rokswale, »und du wirst dir Feinde machen.«

»Daran hat es mir selten gefehlt«, erwiderte Gotthard, »und ich habe nie danach gefragt, tue es auch heute nicht. Ich habe mir gelobt, dem künftigen Rat alles wieder in dem Zustande zu übergeben, in dem ihr es gefunden habt, als ihr euch mit Dalenborg und Sengstake auf die Stühle der Vertriebenen niedersetztet.«

Vergeblich bemühte sich Rokswale, Gotthard Henneberg zur klugen Wahrnehmung der glücklichen, so nie wiederkehrenden Gelegenheit, dem Handwerk Förderung und Vorteile zu verschaffen, zu bereden. Er fand an der Festigkeit des Sülfmeisters einen unbezwinglichen Widerstand und machte ihm nun andere Vorschläge zugunsten gemeiner Bürgerschaft und gegen den Stadtadel. Er verlangte, Gotthard Henneberg solle nicht zugeben, daß der neue Rat wieder aus lauter Geschlechterherren bestünde und sich selber ergänzte, sondern er solle aus der freien Wahl der gesamten Bürgerschaft hervorgehen, damit endlich auch Handwerksmeister mit im Eide säßen.

Auch dies lehnte Meister Gotthard ab und entschied kurz und bündig: »Es bleibt alles bei dem Gewohnheiten, die wir von alters her haben.«

Und so geschah es. Als der Stadtschreiber Nikolaus Stoketo auf das Rathaus kam, mußte er nach den Angaben Gotthard Hennebergs ein Schriftstück aufsetzen, in welchem alle Verordnungen und Verhandlungen jenes Zwischenregiments unter Dalenborg, welcher Art und welchen Inhalts sie auch seien, für gänzlich null und nichtig und jeglicher Folgen und Verbindlichkeiten quitt, los und ledig erklärt wurden. Meister Gotthard ließ ein paar Mönche aus dem Marienkloster holen, die diesen seinen ersten Erlaß, mit des Sülfmeisters schwerfälligen Namenszug unterzeichnet, mehrmals abschreiben mußten. Dann ward er an das solchem Zweck dienende Brett am Rathaus und an alle Kirchtüren auf derselben Stelle angeschlagen, auf der in noch unvergessenen Tagen die Bulle des Papstes gesessen hatte.

Auch die Ämter erhielten gleichlautende Schreiben, in denen alle Zugeständnisse Dalenborgs oder Schuppers ausdrücklich zurückgenommen wurden. Ein gleiches geschah den Kirchen und Klöstern der Stadt wegen ihrer erschlichenen Befreiungen von Schoß, Gülten und Beden.

Der Ausschuß der Sechziger ward aufgelöst.

Endlich mußte der Magister einen Brief an den Herzog Friedrich in Celle schreiben, worin dieser von dem Wandel der Dinge in Lüneburg gebührendermaßen in Kenntnis gesetzt und bedeutet wurde, daß von einer Abtretung des Blutbannes an den Herzog nun und nimmer die Rede sein könne, unter keiner Bedingung, und daß die darüber gepflogenen Verhandlungen völlig wertlos wären und seitens der Stadt als niemals angeknüpft betrachtet würden; die letztere wäre durchaus nicht gewillt, sich eines einzigen ihrer verbrieften Rechte und Privilegien zu begeben, bestünde vielmehr mit allem Ernst auf ihren althergebrachten Freiheiten, Ehren und Gerechtsamen, ohne Verfängnis von des gnädigsten Landesfürsten Amt und Lehen und des Reiches Gesetz, Gewalt und Herrlichkeit.

Auch diesen Brief mit angehängtem Stadtsekret unterschrieb der entschlossene Mann stolz und fest:

 
In Vollmacht gemeiner Bürgerschaft der Stadt Lüneburg

Gotthard Henneberg,
Böttchermeister.
       

Ein reitender Diener trabte mit dem Schreiben zum Tor hinaus, um es dem Herzog zu überbringen.

Um den immer noch nicht beendigten Zwist der Stadt mit den sülzbegüterten Prälaten kümmerte sich Meister Gotthard nicht, sondern wollte dessen Austrag dem künftigen Rat überlassen. Dieser würde, so rechnete er, in seiner neuen Zusammensetzung zum Teil aus Männern bestehen, die durch keinen früheren Beschluß gebunden und in den Streit nicht so hartnäckig verbissen wären wie der gesamte alte Rat, so daß sich nun schon eher ein friedlicher Ausgleich mit den Gegnern anbahnen ließe. Das Abkommen Dalenborgs und Schuppers mit dem Legaten war durch deren Beseitigung natürlich hinfällig geworden. Der Meister hatte auch anderes, Dringenderes zu tun, was seine Zeit noch für eine Reihe von Tagen in Anspruch nahm.

Zunächst dachte er daran, den Familien Springintgut und Töbing für das ihnen an Geld und Kostbarkeiten Geraubte gebührlichen Abtrag zu tun und wollte ihnen alles zurückerstatten, was ihm Ludolf Töbing und ein Bruder des Bürgermeisters, der Bardowieker Domherr Sander Springintgut, nach den Angaben der Witwe als weggenommen bezeichneten. Er ließ die Wohnungen Dalenborgs, Schuppers und Sengstakes durchsuchen und alle dort vorhandenen Gelder und Wertsachen einziehen; aber die kostbarsten Stücke des reichen Springintgutschen Silbergerätes waren weder auf dem Rathause noch sonstwo zu finden. Überhaupt machte die Ermittlung, um wieviel jene drei gewissenlosen Menschen die Stadt betrogen und bestohlen hatten, große Schwierigkeiten, und der Magister Stoketo hatte viel Mühe mit der nur ungefähren Feststellung der Verluste.

Inzwischen hatte sich Marquard Mildehövet erboten, der sterblichen Hülle des Bürgermeisters Springintgut eine würdige Bestattung zu bereiten. Das Begräbnis war überaus großartig und feierlich. Unter Teilnahme eines endlos langen Trauergefolges der Stadtgeschlechter und sämtlicher Gilden und Brüderschaften mit brennenden Lichtern, unter Glockengeläut und Mönchsgesang wurde der Leichnam in einer Kapelle der die Siegeszeichen der Ursulanacht bewahrenden Sankt-Johannes-Kirche beigesetzt, und Marquard Mildehövet übernahm es, zu ihren vierzig Nebenaltären mit einhundertundsechzig Stiftungen noch einen, mit dem Bildnis des Verewigten geschmückten über dessen Grab erbauen zu lassen und ihm ein Seelgerät zu erwirken, wonach Gott zu Lobe, den nachgelassenen Freunden zu Ehren und dem gemeinen Volk zum ewigen Gedächtnis täglich eine Messe für die Ruhe der ohne Sakramente dahingegangenen tristen Seele gelesen werden sollte.

Der Turm aber, in dem der Bürgermeister gestorben war, erhielt im Volke den Namen »der Springintgut«.

Nach den Exequien begab sich Meister Gotthard wieder auf das Rathaus, und hier sollte ihm nun eine ihn hocherfreuende Genugtuung zuteil werden.

Zwölf Bürger der Stadt – die drei Ratsherren Viskule, Töbing und Mildehövet, drei andere Geschlechterherren aus der Sankt-Theodori-Gilde der Sülfmeister und sechs Amtsmeister, die außer Hans Laffert und Schnewerding den vormals aufständischen Gilden zugehörten – kamen zu Gotthard Henneberg, um ihm namens der Stadt ihre Befriedigung und ihren Dank für die weise, gerechte und tatkräftige Führung seines Regimentes auszusprechen, ihn noch einmal des allseitigen Vertrauens der ganzen Bürgerschaft zu versichern und ihn zu bitten, noch eine Weile darin auszuharren. Heinrich Viskule teilte dem Freunde mit, daß unter den früheren Ratsherren bereits Verhandlungen über eine Neubesetzung des Ratsstuhles stattfänden und die Stadt in geringer Frist wieder Bürgermeister und Rat haben könnte.

Gotthard Henneberg fand sowohl Maß und Richtschnur wie Beruhigung und Lohn für sein Handeln in seinem eigenen Gewissen. Dennoch machte ihm die ehrenvolle Anerkennung seitens seiner Mitbürger die innigste Freude. Rokswale hatte also nicht recht behalten; Gotthards Verordnungen hatten nicht böses Blut erzeugt, und die Ämter, denen er die von Dalenborg bewilligten Vorrechte genommen hatte, erkannten seine Gerechtigkeit, die nicht zuließ, daß eine Gilde gegen die andere bevorzugt würde.

Eine fast größere Überraschung bereitete dem Meister der folgende Tag.

Er saß einsam und allein im Sitzungssaal des Rathauses und dachte über die Obliegenheiten seiner Verwaltung nach, als jemand durch die nur wenig geöffnete Tür den Kopf hereinsteckte und eine den Meister bekannt dünkende Stimme schüchtern fragte: »Ist es erlaubt, Herr Bürgermeister?«

»Hier ist kein Bürgermeister«, antwortete Gotthard, »aber nur näher, wenn's beliebt!«

Der Fremde kam herein, ging mit zögernden Schritten auf den Meister zu und legte mit einer tiefen, etwas linkischen Verbeugung ein ziemlich umfangreiches Bündel vor jenen auf den Tisch. Dann trat er ein wenig zurück und schaute den Meister mit einem prüfenden Blick schweigend an.

Gotthard Henneberg mußte sich besinnen, wo er dieses kecke und schlaue Gesicht schon gesehen hatte. Plötzlich dämmerte es ihm auf, und er rief lachend aus: »Sieh da! Der Herr Schusterknecht aus Darmstadt!«

»Zu Gunst und Gnaden, ja!« sprach Timmo, indem er sich mit schon größerer Sicherheit noch einmal verneigte.

»Dir muß es gut gefallen in Lüneburg, daß du wieder herkommst, wo deiner doch kein erfreulicher Habedank wartet«, sagte der Meister.

»Gut gefallen hat mir's freilich hier«, erwiderte Timmo; »aber wer weiß, ob ich wiedergekommen wäre – wenn – wenn das da nicht gewesen wäre.« Und er wies nach dem Bündel auf dem Tisch.

»Was hast du denn da?« fragte Gotthard.

»Gestohlen Gut, Herr Sülfmeister«, gab Timmo zur Antwort.

»Gestohlen Gut? Mensch! Und das bringst du mir?« fuhr der Meister heraus.

»Ja, ich hab' es nicht gestohlen, Meister«, sagte Timmo ganz vergnügt, »es ist das Bündel vom seligen Sengstake, das er mitgenommen hatte, als ich mit ihm – als ich ihn ein Stückchen begleiten wollte; Euer Sohn Gilbrecht hat es Euch vielleicht erzählt.«

Schnell öffnete Meister Gotthard das Bündel. Da blitzten ihm Gold- und Silbergefäße entgegen; es waren die schönsten Stücke aus dem Springintgutschen Familienschatz. Gotthard Henneberg blickte den Schuster freundlich verwundert an.

»Zum Dieb wollt' ich nicht werden, Meister«, sprach Timmo; »drum bring' ich's Euch wieder. Es blieb im Boot liegen, als Herr Sengstake über Bord fiel und versoff. Es gehört gewiß zu eines hochedlen Rates Silberzeug.«

»Schusterknecht, bist ein ehrlicher Kerl!« sagte der Meister Gotthard. »Geh zu deinem Meister Daniel Spörken, und frag ihn, ob er dich wieder herbergen und hausen will; mußt ihm aber sehr gute Worte darum geben.«

»Das will ich tun, Herr Sülfmeister!« sprach Timmo und drehte seinen Filz in den Händen, ohne sich vom Fleck zu rühren.

»Nun?« fragte Gotthard. »Warum gehst du nicht?«

»Herr Sülfmeister – ich bringe noch was«, erwiderte Timmo.

»So? Noch was? Dann nur her damit!«

»Herr Sülfmeister, es ist eine wichtige, eine sehr wichtige Nachricht für die Stadt, aber ich sage sie Euch nur, wenn Ihr mir volle Straffreiheit gelobt«, sprach Timmo unverfroren.

»Straffreiheit? Wofür?« fragte der Meister.

»Für – weil ich – weil ich Herrn Sengstake rudern geholfen habe.«

»Ja so!« lachte Meister Gotthard. »Höre Schuster – wie nennst du dich doch gleich?«

»Timmo, Timmo Schneck aus Darmstadt!« antwortete der Schalk mit einem Kratzfuß.

»Höre, Timmo Schneck aus Darmstadt«, sagt der Meister, »verhandeln lasse ich nicht mit mir, und versprechen tue ich auch nichts; aber ich habe dich schon einmal durchschlupfen lassen, als du die Handwerksknechte auf grüne Heide gelockt hattest –«

»Daran war Sengstake schuld«, unterbrach ihn Timmo schnell.

»Schon gute!« lächelte der Meister. »Ich will dir etwas sagen, Timmo Schneck: Wenn deine Nachricht soviel wert ist, wie du meinst, so will ich sehen, was ich mit meiner Fürsprache für dich tun kann. Also?«

»Der Herzog kommt nach Lüneburg!« spielte nun Timmo seinen Trumpf großartig aus, indem er sich in die Brust warf und den Meister siegesstolz anblickte.

»Der Herzog kommt nach Lüneburg«, wiederholte der Meister ruhig und bedächtig. »Woher weißt du das?«

»Ich habe es gestern auf der Hasenburg gehört; es ist ganz sicher.«

»Die Ilmenau hinabgefahren und nach der Hasenburg gekommen?« fragte Meister Gotthard ungläubig.

»Meister«, sprach Timmo, »ich bin die ganze Woche um die Stadt herumgeschlichen wie die Katze um den heißen Brei, um auszukundschaften ob ich mich hereinwagen dürfte. Da habe ich in dieser letzten Nacht auf der Hasenburg geschlafen und dort erfahren, daß der Herzog sich beim Ritter hat ansagen lassen auf seinem Zuge gegen Lüneburg.«

»Natürlich! Wer als Feind gegen uns heranzieht, den herbergt der Ritter von Boltessen auf der Hasenburg. Mit wieviel reisig Volk kommt der Herzog?«

»Das weiß ich nicht«, erwiderte Timmo; »morgen abend will er auf der Burg eintreffen.«

»Timmo Schneck, deine Nachricht ist gut«, sprach der Meister, »ich danke dir! Jetzt geh, und laß mich allein.«

Timmo ging, ging nach der Löwengrube auf der Techt.

»Gott ehr' ein ehrbar Handwerk! Guten Tag, Meister und Frau Meisterin! Da bin ich wieder!« rief er fröhlich und verwegen, als er in die Stube trat.

Wie eine Erscheinung glotzten ihn die drei dort an. Gesche fand zuerst die Sprache wieder. »Herr meines Lebens! Wo kommst denn du her?« fragte sie.

»Wo ich herkomme?« sprach Timmo. »Ja, seht mich nur an, Meisterin! Wie ich hier vor Euch stehe, so habe ich die Stadt Lüneburg vor einem grausamen, feindlichen Überfall, einem fürchterlichen Blutbad gerettet! Der Herr Sülfmeister läßt Euch einen freundlichen Gruß sagen, Meister! Und Ihr solltet mich fortan ganz besonders gut halten und hegen; ich hätte es wacker verdient um die Stadt. Er wollte mich durchaus selbst herbringen, aber das habe ich nicht gelitten. Er wird aber jedenfalls heute oder morgen herkommen und mich besuchen und fragen, wie es mir hier geht.«

»Daniel!« sagte Gesche.

»Gesche!« sagte Daniel.

»Hans!« sagte Timmo. »Einen Schluck Wasser! Ich habe einen elenden Durst!«

»Warte, Hans!« rief die Meisterin. »Hier! Eimbecker von der Hombrokschen!« Und drückte dem Jungen Geld in die Hand.

Hans schnitt ein Gesicht, wie es auch seine besten Freunde unter den Lüneburger Schusterjungen noch nicht von ihm gesehen hatten, und sprang mit der Zinnkanne davon.

»Wo hast du denn die Zeit über gesteckt?« fragte Gesche.

»– Wollt ihr's auch keinem Menschen weitersagen? – Ich war in geheimer Sendung des Herren Sülfmeisters auf Kundschaft gegen den Herzog«, sprach Timmo in einem Befehlshaberton.

»Und hast die Stadt gerettet?« fragte Daniel höchst erstaunt.

»Hab' ich! Könnt ruhig schlafen! Auf meine Verantwortung!«

»Gott im Himmel!« rief Daniel. »Was bist du für ein Mensch! Timmo, was bist du für ein Mensch! – Gib ihm die Hand, Gesche! Gib unserem Timmo die Hand, sag' ich!«

Daniel schüttelte ihm die rechte und Gesche die linke Hand, und Timmo schüttelte wieder, stand mitten zwischen beiden und sah bald die eine, bald den anderen mit einem Adlerblick an.

Die drei waren wieder ein Herz und eine Seele.


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