Ernst von Wolzogen
Die Kinder der Excellenz
Ernst von Wolzogen

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel.

In welchem der alte Muz den unglücklichsten Geburtstag seines ganzen Lebens feiert.

Der Major von Muzell kehrte in ausgezeichnet guter Laune von seinem gewohnten Spaziergang zurück. Zwar kam er arg pustend und keuchend wie immer an, aber die gewöhnliche Fluchsalve über die »Satanshimmelsleiter«, die drei Treppen zu seiner Wohnung in der Zietenstraße, ward heute nicht abgegeben, denn er hatte sich erst heute früh beim Erwachen selber das Versprechen abgenommen, daß er zur Feier seines achtundfünfzigsten Geburtstages nun endlich einmal ernstlich daran gehen wollte, die schwere Kunst des »Maulhaltens« zu erlernen.

Ja, das war das Unglück des trefflichen alten Herrn von jeher gewesen: er hatte immer sein Herz und so zu sagen auch seinen Kopf auf der Zunge gehabt und, trotzdem er sonst durch und durch Soldat war, niemals die militärische Tugend des »Maulhaltens« sich aneignen können. Man sagte dem alten Grimmbart nach, er habe bereits als milchwangiger Degenfähnrich »räsonniert, daß das Ende von weg war!« Seine Vorgesetzten hatten niemals seinen Diensteifer und seine ungewöhnliche Befähigung verkannt, aber freilich auch die Unbotmäßigkeit seiner scharfen Zunge nicht ungerügt und ungeahndet lassen können. Höchst komisch war es, daß er, obwohl er sich seiner Untugend wohl bewußt war, nichts weniger vertragen konnte, als wenn sich ein Untergebener ihm selbst gegenüber in ähnlicher Weise verging. Eine kleine Rede, die er während der Schlacht von Spichern an sein Bataillon gehalten haben sollte, war als geflügeltes Wort in der ganzen Armee herumgekommen. Als nämlich die erste Granate in sein noch in der Reserve stehendes Bataillon einschlug und zwei unglücklichen Füsilieren die Beine wegriß, wandte er sich auf deren durchdringenden Schmerzensschrei mit seinem Rosse um und rief: »Kerls, wer räsonniert hier? Wer stirbt, stirbt ruhig! – Hier hat keiner zu reden, wie ich – verstanden?«

Ja, ruhig zu sterben, das hätte auch der alte Muz unter allen Umständen fertig bekommen; aber ruhig zu leben, ohne jederzeit und jedermann seine ehrliche Meinung ins Gesicht sagen zu dürfen, das ging ihm zu sehr wider den Strich – und so war es eben gekommen, daß sein alter, lieber Waffenbruder Lersen bereits die Generalsstreifen an die Hosen nähen lassen konnte, als er sich zum drittenmal bei der Beförderung zum Oberstlieutenant übergangen sah. Da hatte er denn doch wohl oder übel seinen Abschied einreichen müssen und er sagte selber, daß das betreffende Schriftstück »nicht ganz von Pappe gewesen sei«, aus welchem Grunde man ihm das bescheidene Sternchen selbst als Trost im Ruhestande versagt hatte.

Da er übrigens noch eine recht wohlhabend gewesene alte Tante zu verzehren hatte, so litt unser guter Major in seinem Ruhestande durchaus keinen Mangel, wenn er auch gerade nicht viel zurücklegen konnte. In das dritte Stockwerk war er nur aus Gesundheitsrücksichten gezogen und das tägliche Treppensteigen gehörte mit zu seiner Entfettungskur. Er wohnte recht hübsch und seine Einrichtung war ganz stilgerecht, militärisch und hagestolz. Ein Gewehrschrank, ein Bücherspind, französische, österreichische und dänische Waffen und Uniformstücke als Kriegstrophäen an den Wänden, Gruppenbilder von Kameraden und Mannschaften, an die zwanzig Jahrgänge, einige galante Kupferstiche, Photogramme von dekolletierten Dämchen und über dem erzbehaglichen Rückendiwan das Porträt seines innigstgeliebten Schlachtrosses »Cassilde« in Oel gemalt von einem mehr strebsamen als genialen jungen Künstler. Lautenschläger, sein letzter Bursche, den er als Diener mit in den Ruhestand genommen hatte, und welcher die selige »Cassilde« noch zu bedienen das Glück gehabt hatte, Lautenschläger verrichtete jeden Morgen beim Staubwischen seine stille Andacht vor dem Bildnis der verblichenen Fuchsstute. –

»Heute habe ich einen Bärenhunger mitgebracht, Lautenschläger, mein Jungchen. Besorge mir 'mal schnell ein opulentes Frühstück,« so redete der alte Muz seinen Diener beim Betreten des Wohnzimmers an. »Ist Herr von Eckardt vielleicht schon dagewesen?«

»Nein, Herr Major,« antwortete jener in strammer Haltung. »Aber Briefe sind noch ein paar angekommen zu Herrn Major seinen Geburtstag.«

Während der alte Muz die Gratulationen durchlas, trug Lautenschläger den begehrten Imbiß auf: Zwei Dampfbrötchen, drei Scheiben Schlackwurst und die Butterdose. Dann schenkte er noch ein Glas Rotwein ein und meldete: »Herr Major, es ist serviert.«

»Das nennt der Kerl ein opulentes Frühstück!«

»Herr Major kriegen nicht mehr, denn Herr Major haben in den letzten acht Tagen zu- statt abgenommen.«

»Unmensch, Jungchen, willst du mir nicht einmal eine einzige Sardine gönnen zu meinem Wiegenfeste?«

»Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer,« erwiderte treuherzig-pfiffig der brave Lautenschläger. »Aber eine Sardine für den Herrn Major das wäre wie Giftgrün für die Wanzen! Morgen wiegen der Herr Major drei Centner, wenn ich das riskieren thäte.«

Der Major knurrte spaßhaft zornig, während er an seinem Wurstbrötchen kaute: »Hast du auch genau gewogen, ob sie ja nicht über fünfundsiebzig Gramm sind, diese Brötchen?«

»Es stimmt aufs Haar. Herr Major können sich darauf verlassen, daß ich mir nicht verwiegen thue.«

»Na, dann gib mir wenigstens noch ein Glas Rotspohn zur Feier des Tages.«

»Kann ich nicht genehmigen, Herr Major.«

»I, du verwegenes Jungchen, du, willst du gleich die Bouteille hergeben!«

»Kann ich nicht, Herr Major – ist gegen die Instruktion!« Und dabei stellte sich der wackere Lautenschläger militärisch stramm vor dem Buffett auf und drückte die Weinflasche mit der Rechten gegen seine Flanke, als ob »Stillgestanden – Gewehr auf!« kommandiert worden wäre.

»Ach was! Scher dich zum Deibel mitsamt deiner dämlichen Instruktion!«

»Zu Befehl, Herr Major! Aber Herr Major haben mir selbst die dämliche Instruktion von wegen die Entfettung erteilt!«

»Rührt euch! Raus mit dir – und zur Strafe kippst du das Fläschchen allein aus! Auf meine Gesundheit, verstanden?«

»Zu Befehl, Herr Major! Wird Herrn Major auch besser bekommen, als wenn Herr Major sie austrinken . . .«

»Maul halten! Holla da klingelt's. Wenn das der Herr von Eckardt ist, gleich rein mit ihm!«

»Nein, es ist der Herr Lieutenant von Lersen,« meldete der Diener einen Augenblick später und ließ Bodo eintreten.

Der alte Muz ging ihm entgegen und drückte ihm kräftig die Hand: »Tag, Bodo, mein Jungchen! Wo hast du denn deine Damen gelassen? Sind doch nicht etwa krank?«

»Nein, sie sind ganz munter und kommen später. Ich habe nachher Dienst, da wollte ich dir doch meine Glückwünsche . . .«

»Na das freut mich sehr – dank' dir schön, Bodochen – setz dich, steck dir einen Tabak an und sei gemütlich. Lautenschläger! – Nu rücke 'mal das Flacon wieder 'raus!«

Aber der pflichteifrige Bursche hatte sie bereits, dem Befehl, gemäß, auf die Gesundheit seines Herrn geleert und es mußte eine neue Flasche geholt werden.

Der Herr Lieutenant saß inzwischen mit einem so wehleidigen Gesichte da, als ob er sehr eines stärkenden Schluckes bedürftig sei.

»I Bodo, was ist das mit dir? Laß doch die Cigarre nicht ausgehen – oder hast du Atemnot? Du bist ja so weiß wie 'ne Gipskatze!« rief er in seinem unverkennbaren Ostpreußisch seinen jungen Freund aufmunternd an.

Der aber zerrte seine Handschuhe in die Länge, blickte auf seine Stiefelspitzen hinunter und sagte hastig: »Du erwartest wohl heute vormittag noch andern Besuch?«

»O ja – wieso?«

»Ich möchte dir, ehe wir gestört werden . . . Onkel Muz, bist du heute guter Laune?«

»Danke, es geht. Ich habe heute geschworen, mir das verdammte Räsonnieren abzugewöhnen, und ich hoffe sehr, daß du mich nicht in Versuchung führen willst, meinen Schwur zu brechen.«

»Ja, ich fürchte, lieber Onkel, du wirst mir sehr böse sein, aber . . .«

»Verflucht noch eins! Was kostet der Scherz?« rief der alte Herr in drolliger Entrüstung und holte mit heftigem Stirnrunzeln seine seidene Börse aus der Tasche hervor. »Wenn ein Lieutenant oder ein Student schon so anfängt, dann geht's immer ans Portemonnaie.«

Und nun kam die ganze, böse Geschichte heraus, wie sie die arme Excellenz schon kannte. Doch glaubte Bodo dem grimmigen Major gegenüber kürzer zu verfahren, wenn er seinen Leichtsinn gar nicht zu beschönigen versuchte. Er war auf eine furchtbare Bußpredigt gefaßt gewesen; aber einen so niederschmetternden Ausbruch der Entrüstung, wie er ihn jetzt über sich ergehen lassen mußte, hatte er doch nicht für möglich gehalten. Der Major war erst dunkelrot, dann kreidebleich geworden, und sein weißer, weicher Schnurrbart zeigte das Erzittern seiner Lippen an, bevor er nach einer langen Pause zu reden anhob. Der schöne, geschmeidige Körper des jungen Offiziers bebte und zuckte zusammen unter den strafenden Worten, wie unter schmerzhaften Geißelhieben. Schon einmal hatte der Major, um der Mutter die Sorge zu ersparen, stillschweigend eine nicht ganz unerhebliche Schuld für Bodo bezahlt, und nun, da der leichtsinnige Sohn von dem Vorhandensein der dreißigtausend Mark gehört, hatte er sich Hals über Kopf in diese neuen Schulden gestürzt! Das empörte den alten Muz, der allezeit so väterlich und wohlmeinend sich dieses Sausewindes angenommen, ganz besonders.

»Die kleine Mitgift deiner Schwestern, die für dich sparen und entbehren helfen, setzest du auf die Karte, du . . .«

»Die Mitgift meiner Schwestern?« fiel Bodo rasch ein, es war das erste Wort, das er zu erwidern wagte. »Mama sagte mir, mit diesem Gelde hätte mein Vater eine alte Schuld bezahlen wollen, oder – ich weiß nicht, wie sie sich ausdrückte – sage mir doch, was . . .«

»So? Das hat die Mama also verraten?« unterbrach ihn Muzell, ohne auf den Schluß seiner Einrede zu hören: »Schön! Dann will ich dir auch verraten, daß ich über jene Summe zu bestimmen habe, und daß ich nicht dulden werde, daß du auch nur einen Groschen davon anrührst. Meine eigne Tasche halte ich gleichfalls zu – das habe ich dir damals bei deinem ersten Streiche versprochen – und davon gehe ich nicht ab, mein Jungchen. Richte dich danach!«

»Dann bin ich verloren! – Dann ist alles aus!« stöhnte der Unglückliche auf und verbarg verzweiflungsvoll sein Gesicht in den Händen.

»Du mußt die Folgen deines unverantwortlichen Frevels tragen! Mitleid mit dir wäre eine Sünde gegen die Deinen und auch gegen die Armee Seiner Majestät. Ein Offizier, der die Würde und den Ernst seines Standes so wenig begreift, ist ein Hohn auf den fleißigen Bürger, der mit seinen Steuern den Schmarotzer ernähren muß.«

Bodo sprang auf und durchmaß mit großen, schwankenden Schritten das Zimmer. »Wenn das meinem Vater gesagt worden wäre,« brauste er auf, »der auch nicht verstanden haben soll, mit Geld umzugehen! An dem hätte die Armee doch wohl etwas zu verlieren gehabt.«

Und der Major erwiderte ironisch auflachend: »Ja wenn du dich so ohne weiteres für einen ebenso genialen Offizier hältst, wie dein Vater, dieser Feuergeist, einer gewesen ist, dann müßte ich dich freilich um Entschuldigung bitten. Aber ich habe von dir noch keine Thaten gesehen, die irgendwie unmenschlich bedeutend gewesen wären.«

Der Dragoner lief noch einigemal hin und her und dann trat er vor den alten Freund und sprach: »Lieber, alter Muz, wie oft hast du nicht selbst geschimpft auf die hunderttausend Musse, die uns jungen Offizieren wie die Blutegel an den dünnen Geldbeutel gesetzt werden – deine eignen Worte, Onkel! Ehrengaben, Feste, Liebesmähler, Musiksteuer und so weiter. Uebrig bleiben kann doch nichts! Und wenn man nun als junger, lebenslustiger Kerl endlich mal aus seiner kleinen Garnison in die Residenz kommt, ist es da so unverzeihlich . . .?«

»Ja, unter deinen Verhältnissen ist es unverzeihlich! Und wenn ich wirklich das von den Blutegeln gesagt habe – das kommt eben von meinem verdammten Räsonnieren her, und hat gar nichts mit der Sache zu thun! Der Offizier dient um die Ehre seinem Könige und seinem Vaterlande; nicht ums Geld. Hat er selbst 'was von Hause, na, dann mag er's meinetwegen verjubeln und zum Ruhme des Offiziercorps den Noblen spielen, hat er aber nichts, dann ist es seine verfluchte Pflicht und Schuldigkeit, mit nichts auszukommen – Basta! Oder er hängt eben den bunten Rock an den Nagel und wird sonst 'was Gutes.«

Jetzt war die Reihe bitter aufzulachen an Bodo: »Sonst 'was Gutes! Wenn man nur wüßte, was! Ach – Onkel, magst du mich auch einen Windhund oder gar einen schlechten Kerl schelten, ich fühl's doch zu bestimmt in mir, daß ich noch etwas mehr vom Vater geerbt habe, als nur die Geschicklichkeit im Geldausgeben. Wenn doch bald ein frischer, fröhlicher Krieg kommen möchte, da wollte ich dir schon zeigen, ob ich ein echter Lersen bin oder nicht; aber bei den niederträchtigen, faulen Friedenszeiten kann unsereins ja vor Langerweile die Mondsucht kriegen.«

Der tolle Thatendrang, die ungestüme Jugendkraft, die aus solchen Worten sprachen, stimmten den alten Räsonnierer wider Willen milder gegen den Uebelthäter. Er strich sich den grimmigen Schnauzbart und sagte nach kurzem Besinnen: »Nu, nu, halb so wild! Nicht auf den lieben Frieden geschimpft. Es gibt gerade heutzutage höllisch viel zu thun für junge Männer voll Wagelust und soldatischer Entschlossenheit. So ein Mordskerl von Afrikareisendem, der mit einer Handvoll unzuverlässiger Schwarzer in das unbekannte Land voll Gefahren hinauszieht, wo hinter jedem Kaktuskraut der Tod auf ihn lauern kann, imponiert mir beinahe noch mehr, als der Offizier, der im Granatengeplätscher ohne Regenschirm spazieren geht. Ich will dir 'was sagen, mein Jungchen: Ich kenne zufällig ein paar Herren von der Ostafrikanischen Gesellschaft; die sucht jetzt junge schneidige Offiziere, um ihre Kolonisten hinauszuführen, um die ersten Ansiedelungen zu befestigen und nötigenfalls zu verteidigen. Das wäre 'was für dich, Bodo, wenn du dich eine Weile hinsetzest und tüchtig büffelst, um dich gehörig vorzubereiten. Da unten in Usagra und wie die Raubstaaten alle heißen, gibt's weder Kasinos noch Operettensängerinnen – da kannst du deine Dittchens hübsch zusammenhalten – noblens, Koblenz!«

In diesem Augenblicke öffnete Lautenschläger die Thür und meldete: »Herrn Lieutenant von Eckardt« an; denn es ging über sein Begriffsvermögen hinaus, daß ein kavaliermäßig ausschauender junger Herr etwas andres als Offizier sein könne. –

Der Besuch wurde vom Major auf das herzlichste willkommen geheißen. Lautenschläger setzte drei Gläser auf den Tisch und schenkte Rotwein aus der vom Keller neu heraufgeholten Flasche ein. –

»Für Herrn Major auch eins?« fragte er mit bedenklichem Nachdruck.

»Natürlich, Esel! Hol der Kuckuck den Schweninger, wenn man nicht einmal seinen Aerger runterspülen dürfen soll!« brummte der Alte.

»Aerger, Herr von Muzell? Was ist Ihnen denn widergefahren?« erkundigte sich der Amerikaner.

Bodo räusperte sich laut, und der Major, darauf aufmerksam gemacht, daß er sich beinahe dem Fremden gegenüber verplaudert hätte, redete sich damit heraus, daß er behauptete, in seinen Jahren ärgere man sich naturgemäß über jeden neuen Geburtstag.

Bodo versuchte seine Aufregung zu bemeistern und möglichst unbefangen zu erscheinen, indem er ein gleichgültiges Gespräch in Gang brachte.

»Haben Sie sich Berlin schon ordentlich angesehen, Herr von Eckardt? Wie finden Sie unsre Reichshauptstadt? – Großartig, was?«

»O ja, fängt an,« – antwortete jener gleichmütig. »Hat sich noch nicht recht an ihre Großartigkeit gewöhnt, sitzt ihr noch somewhat steif, wie ein neuer Anzug.«

»O! da drüben bei Ihnen in New York wundert man sich wohl über gar nichts mehr?«

»Wozu? Das muß doch alles so sein, wie es geworden ist. Wir kennen nur die Gegenwart.«

»Aber die Theater, die Konzerte, die Ausstellung, Museen? Auch schon alles gesehen, nichts Besondres dran gefunden?«

»O ja! Cirkus Renz ist ein sehr gutes Theater.«

Bodo lachte krampfhaft über diesen Kanadier.

»Im Opernhause waren Sie wohl noch nicht?«

»O gewiß, die Musik war sehr schön und sehr laut; auf der Bühne standen Menschen mit roten Köpfen und sperrten den Mund auf. Gehört habe ich nichts; aber man sagte mir, bei Wagner käme es mehr auf das Orchester an: darum wollten wohl die Sänger nicht stören.«

Der Major fand diese unbewußt schlagende Kritik seines ungefirnißten Schützlings köstlich. »Haben Sie auch den neuesten Stern, die Grigori im Walhallatheater, gehört? Ich rate Ihnen, sie unvergleichlich zu finden, sonst bekommen Sie es mit diesem jungen Herrn zu thun!«

»Oh very good taste indeed,« wandte sich Eckardt an den Dragoner. »Sie haben ein sehr gutes Geschmack – ich finde diese Dame auch sehr angenehm. Kommen Sie, schütteln Sie Hände! Ich werde Miß Grigori von Ihnen grüßen und sagen, daß der hübsche, blaue Offizier ein sehr gutes Geschmack hat.«

Der Lieutenant war fast starr vor Erstaunen. »Sie kennen Fräulein Grigori bereits persönlich?«

»O ja! Da sie mir so gut gefiel, habe ich ihre Wohnung nachgefragt und ihr am andern Tage meinen Besuch gemacht mit einem Kistchen sehr schöner Pflaumen, die für die Kehle so gut sind.«

»Und sie hat sie angenommen?«

»Ich wundere, warum sie nicht sollte! Sie lachte sehr mit vielen, weißen Zähnchen. ›Aber, mein Herr, wie komme ich dazu, von Ihnen Geschenke anzunehmen?‹ ›O‹, sagte ich, ›nehmen Sie nur: Sie haben mir Vergnügen gemacht, so mache ich Ihnen wieder Vergnügen – they will do you good!‹ Und dann schüttelte ich ihr die Hand und ging wieder nach Hause.«

»Na, das ist aber sehr gut!« rief der erstaunte Bodo und lachte unmäßig. Innerlich aber ärgerte er sich gewaltig, daß dieser naive Schlossergeselle und Musterknabe ihm in so unverfrorener Art zuvorgekommen war. Er besann sich bald, daß er in den Dienst müsse und verabschiedete sich mit möglichster Grazie.

»Ueberlege dir das mit den Kaffern!« rief ihm der Major noch nach.

»Na, hören Sie 'mal, das muß ich sagen,« sagte der Major, als sie allein waren. »Sie sind ein komischer Kauz, lieber Eckardt. Vor ein paar Tagen erklären Sie mir, daß Asta von Lersen den tiefsten Eindruck auf Sie gemacht habe, daß Sie bei der nächsten Gelegenheit um ihre Hand anhalten wollten, und nebenbei laufen Sie gegen das Herz der schönen Grigori mit türkischen Pflaumen Sturm und erzählen das obendrein noch ganz gemütlich dem Bruder Ihrer Angebeteten. Haben Sie es sich mit Asta etwa anders überlegt?«

Der Amerikaner machte ein sehr langes Gesicht: »Anders überlegt? O nein, warum? Ich bin gekommen, weil Sie mir gesagt haben, daß ich Miß Asta heute hier treffen würde, und weil ich sie fragen will, ob sie Misses Eckardt werden möchte. Aber Fräulein Grigori will ich doch nicht heiraten! Ich habe nur meine Bewunderung durch ein kleines Geschenk ausgedrückt, und nun ist es gut, die Sache ist fertig.«

»Ja, aber was wird Asta dazu sagen? Wenn sie Sie liebt, muß sie doch eifersüchtig werden auf diese gefährliche Operettenprinzessin.«

»O nein – so dumm ist Miß Asta nicht,« versetzte Rudolf kaltblütig. »Eifersucht ist Dummheit, und danach sieht die wunderschöne Miß nicht aus.«

Der Major mußte seinem neuen Freunde lachend recht geben und er benutzte die Gelegenheit, seinen Liebling Asta nach Kräften herauszustreichen. Er verschwieg ihm jedoch auch nicht, daß sie früher die Männer durch etwas übermütig zur Schau getragene Geringschätzung ihres Geistes, durch witzige Verspottung ihres lediglich in herkömmlichen Wendungen verlaufenden Gespräches oft ebensosehr verletzt, wie sie sie durch ihre Schönheit entzückt habe. Aber trotz ihrer Verachtung des faden Lieutenantstones und geschniegelten Lieutenantswesens sei sie doch an beides so sehr gewöhnt gewesen, daß ihr bei Männern von freierem Geiste und freieren Formen wieder die Abwesenheit jener bequemen Normaltugenden als ein verstimmender Mangel erschienen sei.

Rudolf hörte mit der vergnügtesten Miene von der Welt diese Auseinandersetzung zu Ende und sagte dann mit ruhiger Ueberzeugung, während er die Asche seiner Cigarre mit dem kleinen Finger abstreifte: »Nun, da werde ich gerade der Richtige für sie sein. Geben Sie mir nur Gelegenheit, ordentlich mit ihr zu sprechen. Geld hat sie nicht, nicht wahr?«

»Nicht einen roten Heller, soviel ich weiß.«

»Dann hat sie ja gar keinen Grund, mich abzuweisen. Trinken wir auf meine Frau Gemahlin!«

»Prost!«

»Prost!«

Der alte Muz lachte, bis ihm die Augen übergingen.

Zehn Minuten später traten die Lersenschen Damen ein, sonntäglich, aber äußerst einfach gekleidet, und überbrachten ihre frommen Wünsche und kleinen Gaben. Asta schenkte ihm einen Notizblock zur täglichen Aufzeichnung seines Gewichtes, auf dessen Deckel sie ein sehr drolliges Bildchen gemalt hatte: die bekannte Räuberhauptmannsfigur des Reichsdoktors Schweninger im Kostüm des Shylock fuchtelte mit wilden Augen und blankem Schlachtmesser vor einem ungeheuer korpulenten Kaufmann von Venedig herum, welcher eine entfernte Ähnlichkeit mit dem alten Muz aufwies, um ihm auf die bekannte grausame Art mehrere Pfunde Fett zu entziehen. Der Major, weit entfernt, diesen Spaß übelzunehmen, sah ihn vielmehr für ein erfreuliches Zeichen heiterer Gemütsstimmung bei Asta an. Trudi hatte ein Täschchen mit Rosen und Vergißmeinnicht bestickt.

»Zur Aufbewahrung von Verlobungsanzeigen,« erklärte sie selbst seinen Zweck.

»Hoho!« lachte der alte Muz. »Meinst du, daß mir, auf meine alten Tage noch so viele Verlobungen bevorstehen, daß ich einer eignen Mappe dafür benötigte.«

»Wir werden unser Möglichstes thun, sie zu füllen,« sagte Trudi mit einem drolligen Knicks.

Die Excellenz wandte sich an Herrn von Eckardt und verwickelte ihn in ein Gespräch über seine Berliner Eindrücke. Seine mit größter Unbefangenheit zum besten gegebenen Urteile und komischen Vergleichungen machten Frau von Lersen das größte Vergnügen und auch Asta setzte sich und nahm herzlich lachend und lebhaft fragend und plaudernd an der Unterhaltung teil.

Der alte Muz zog indes die Trudi zu sich an das Fenster und fragte neckend: »Du sag 'mal, Trudi, ernsthaft – hast du Absichten?«

»Ja, Onkelchen – ganz solide Absichten,« flüsterte sie mit komisch ehrbarer Miene zurück.

»Nur so im allgemeinen oder . . .«

»Nein, ganz im speziellen. Er ist nämlich Spezialist für Säugetiere, besonders Affen – kann noch 'mal wirklicher geheimer Affenschädelvermessungsrat werden.«

»Aha – kommst du mir so! Also der Doktor Hans Lohengrin?« Dabei pustete der Major seinen Schnauzbart auf und zog die buschigen Brauen in die Höhe.

»Nicht Doktor – Professor Hans! Ich nehme ihn erst, wenn er Professor geworden ist.«

»Hat er denn schon etwas gesagt?«

»Keine Silbe!«

»Und doch so gewiß? Woher weißt du denn, ob er will?«

»Das weiß man immer, Onkelchen, wenn man ein gescheites Mädel ist! Neulich äugte er mich gar lange mit seinen blauen Lichtern an und dann öffnete er den Mund, schnappte nach Luft und sagte: ›Fräulein Trudi, ich . . . weiß nicht – lieben Sie die See mehr oder das Gebirge?‹ Und dann seufzte er tief. Ach! er liebt mich rasend, der süße Hans. – Magst du ihn nicht auch gern leiden?«

»Hm! J – o – ja – ja! Für so einen Professor gar nicht übel!« brummte der Alte und freute sich über Trudis ärgerliches Gesichtchen.

»Ach du! Brauchst gar nicht so herablassend gnädig zu thun. Lerne ihn nur erst näher kennen, da wirst du schon sehen, was an ihm ist.«

»Na, ich kann ja auch 'mal mit ihm baden gehen,« neckte der Major, indem er seine pfiffigste Miene aufsetzte.

»Uh,« schmollte Trudi, – »mit dir kann man als junges Mädchen gar nicht reden, du gräßlicher alter Muz!«

»O weh! Also bis nach der Hochzeit sind wir Schuß?«

»Schuß!« Und damit schnitt sie dem alten Freunde eine schreckliche Grimasse und setzte sich zu den andern. – –

»Ich weiß nicht, Bodo wollte doch auch gratulieren kommen,« wandte sich die Exzellenz an den Major.

»Er war heute früh schon hier,« sagte jener mit einem bedeutungsvollen Blick.

»Ich hätte gern Bodos wegen mit Ihnen gesprochen, lieber Freund, aber . . .«

Herr von Eckardt erhob sich und machte Anstalt, das Feld zu räumen. Doch Muzell nahm ihm sogleich den Hut wieder aus der Hand und sagte: »Aber junger Freund, Sie werden doch nicht davonlaufen! Da müßten unsre beiden Fräuleins glauben, sie hätten Sie vertrieben! Ich ziehe mich mit Frau von Lersen ein paar Minuten ins andre Zimmer zurück und Sie leisten den jungen Damen Gesellschaft.«

Der Major hielt die Thür für die Excellenz offen und gab Rudolf einen leicht verständlichen Augenwink, bevor er selbst folgte.

Herr von Eckardt wollte als echter Amerikaner geradeswegs auf sein Ziel losgehen; aber dennoch fühlte er sich von einiger Befangenheit nicht ganz frei, als er sich nun so plötzlich vor die Aufgabe gestellt sah, so ganz ohne die Begeisterung eines berauschenden Augenblicks, so zu sagen auf den nüchternen Magen, einen Heiratsantrag zu machen. Er nahm wieder bei den Damen Platz, beschaute sich das Futter seines neuen, grauen Hutes und suchte nach einem schicklichen und doch deutlichen Anfang.

Trudi, dieser Kobold, merkte aus seinem nachdenklichen Schweigen sofort, daß die Atmosphäre zwischen den beiden elektrisch gespannt sei und hatte ihre heimliche Freude daran.

»Cassilde war doch ein süßes Geschöpf,« rief sie ganz plötzlich, innerlich kichernd, mit einer verhimmelnden Geste gegen das Bildnis des von Muzellschen Leibrosses gewendet. »Schwärmen Sie auch für Pferde, Herr von Eckardt?«

»Schwärmen? – Pferde? Ich? – nein! Ich schwärme überhaupt nicht!« Rudolf zog seine Stirn in ärgerliche Falten. »Entschuldigen Sie, Miß, Sie haben mich untergebrochen.«

»Unterbrochen? – Sie haben ja gar nichts gesagt.«

»Nein, aber ich dachte eben über etwas nach, was ich Ihrer Schwester sagen wollte.«

»I beg your pardon, Mister of Eckardt – Sie hören, ich kann auch sehr schön englisch! – Wieviel Zeit brauchen Sie noch zum Nachdenken?«

Sie erhob sich und stellte sich, die Hände auf dem Rücken verschränkend, vor die altmodische Stutzuhr, die auf dem Gewehrschrank stand.

Rudolf mußte lachen. »O, ich denke es wird besser sein, wenn ich ohne Nachdenken sage, was ich will – wenn es auch nicht schön gesagt sein wird; denn mir ist die deutsche Muttersprache etwas fremd geworden da drüben, ich muß mich oft auf ganz gemeine Worte besinnen.«

»Dann thun Sie allerdings besser, sich gar nicht zu besinnen,« lachte Asta.

Und Trudi neckte: »Da gehe ich wohl lieber hinaus?«

»Nein, Sie können ruhig bleiben. Was ich Fräulein Asta zu sagen habe, ist gar kein Geheimnis,« entgegnete Rudolf ganz gelassen, da er nicht merkte, daß die Mädchen ihm seinen Sprachirrtum aufmutzen wollten.

»Ich wüßte auch nicht, was für Geheimnisse . . .« begann Asta etwas unsicher und blickte Rudolf groß an.

»Doch, doch, Miß,« fiel jener lebhaft ein. »Wir haben auf dem Bazar etwas miteinander abgemacht und Sie haben mir die Hand darauf gegeben, wissen Sie nicht mehr?«

»Ach, Sie meinen, daß ich Ihnen meinen Beistand versprach in Ihren Bemühungen, eine Frau zu finden?«

»Ei, das ist interessant,« jauchzte Trudi höchst drollig, setzte sich geschwind nieder und zog den Stuhl ganz dicht an den Tisch.

»Haben Sie sie vielleicht gefunden – meine Frau, Miß Asta?« Er rückte der Schönen näher und sein warmer, ernster Blick suchte dem ihren zu begegnen.

»Leider nein,« sagte Asta, leicht errötend. »Ich sagte Ihnen ja gleich, daß Sie an mir eine sehr schwache Verbündete haben würden. Wir kommen fast gar nicht unter Menschen. Neue Bekanntschaften, wenigstens unter jungen Mädchen, haben wir nicht gemacht, und von unsern alten Freundinnen paßt wirklich keine für Sie.«

Rudolf lehnte sich in seinen Stuhl zurück, ließ den Schnurrbart durch seine Finger gleiten und sprach: »Das müßte ich eigentlich bedauern, denn ich habe keine Zeit, noch lange zu suchen. Heute haben wir den zwölften Mai; wenn ich am ersten Juli nicht zurück bin, so verliere ich meinen Platz bei Jefferson and Jenkins, Buffalo. Und da die Ueberfahrt, wenn das Wetter recht günstig ist, doch vierzehn Tage nimmt, so habe ich nur noch vier Wochen Zeit zum Heiraten – inklusive Verlieben und Verloben.«

Asta lachte, äußerst belustigt durch seine geschäftsmäßige Darstellung, leise vor sich hin und Trudi klatschte in die Hände und rief übermütig: »Na denn nu 'mal aber ein bißchen Trrrab! Das Verlieben geht übrigens furchtbar schnell, kann ich Ihnen sagen, Herr von Eckardt!«

»O ja, ich weiß! Das ist mir gar nicht schwer geworden!«

»Also in der Beziehung sind Sie schon so weit. Vom Verloben verstehe ich zwar noch nichts; aber für einen Mann kann das doch gar nicht so schwer sein.«

»Schwerer als ich glaubte – ich – ich – Miß Asta, Sie sollen mir sagen, ob die Dame, die ich liebe, die Rechte für mich ist, oder ob . . .«

»Oder ob er sich vorbei verliebt habe,« ergänzte die naseweise Trudi und blickte mit Augen, die vor Uebermut förmlich Funken sprühten, zwischen den beiden hin und her.

»Wie kann ich denn so etwas sagen,« meinte Asta verlegen. »Kenne ich denn die Betreffende überhaupt?«

»Sehr gut sogar – I guess,« versetzte Rudolf und rückte doch etwas verlegen mit seinem Stuhle hin und her. Ein flüchtiger Blick traf auch Trudi.

Und sie verstand sofort diesen Blick, führte in großer Hast ihr Taschentuch an die Nase und rief in weinerlichem Tone: »Ujeh! – so schreckliches Nasenbluten – schnell, schnell!« Und damit lief sie spornstreichs zum Zimmer hinaus.

»Ich danke sehr, Miß Trudi!« rief Rudolf dem drolligen Mädchen nach und dann zu Asta gewendet: »Ja, sie hat recht, die kleine Schwester – so etwas kann man nicht vor Zeugen herausbringen. – Fräulein von Lersen! – ich habe die Frau, die ich mir mitnehmen möchte da hinüber, schon gefunden. Die wunderschöne Holländerin aus dem Rathaussaale habe ich Tag und Nacht nicht mehr aus dem Sinn bekommen. Erinnern Sie sich noch, was wir da zusammen gesprochen haben? Ich weiß noch jedes Wort und ich hätte Sie am liebsten gleich über den Tisch hinüber mit den gestickten Sachen gefragt: I say, Miss, would you mind becoming mistress Eckardt? Aber ich habe es nicht gethan, weil ich leider gar nicht leichtsinnig bin, weil ich immer alles überlege und berechne, was ich thun will. Und da habe ich gedacht: Ralph, old fellow, dont be silly, look about first. Well – ich habe mir angesehen so viele Damen ich konnte: ich habe gar nichts gethan, wie immer Damen anzusehen; schöne, junge Fräulein, schwarze, blonde, kluge, dumme, reiche, arme, tugendhafte und – im Gegenteil; aber diese Miß Asta stand immer neben mir, mit dieser stolzen Nase und diesen lächelnden Lippen – gerade wie Sie da sitzen, so standen Sie in meiner Einbildung immer neben mir! – und wenn ich so eine schöne Miß bewonderte und dachte: oh, she is rather nice after all! dann machte Ihr Gespenst an meiner Seite nur immer so mit dem Kopf und – die Miß war entlassen von mein Kopf und mein Herz.«

»O, Herr von Eckardt, ich . . . Sie beschämen mich . . . ich . . .« schaltete Asta verlegen ein.

»Unterbrechen Sie mich nicht, Miß. Sie verderben meine Rede,« rief Rudolf mit einer abwehrenden Handbewegung. »Ich spreche gerade so sehr gut deutsch. – Von allen diesen Damen blieben Sie die einzige, die mir zu begreifen schien, daß zum Leben wie zum Heiraten etwas mehr gehört, als nur dressing, flirting und so weiter! Meine Ansichten wissen Sie ja vom Heiraten, und was ich von Ihnen noch nicht wußte, hat mir unser guter Major gesagt. Sie haben Ihr Geld alles verloren, ich habe mir meins mit diesen Händen verdient, und will jetzt für meine schöne, liebe Frau noch viel mehr verdienen. Das Geld, das man sich sauer verdient, macht viel größere Freuden, als das, welches man von seinen Ahnen ererbt hat. Mein Vater ist vor Gram gestorben, weil ein leichtsinniger Jugendfreund ihn um das kleine Vermögen gebracht hat, das er mir einmal hinterlassen wollte – er hat mir das auf dem Totenbett gesagt und ich habe den Mann, den ich nicht kannte, tausendmal verdammt, wie ich von der Schule und von der Heimat fort mußte in die Neue Welt, ohne Kadettenkorps mit Freistellen für arme Adlige – wo ich mit meinen kleinen, weißen Händen um mein bißchen Brot so sauer arbeiten mußte, daß mir am Abend alle Knochen wie zerklopft waren. Aber jetzt bin ich dem Schicksal gar nicht mehr böse, Fräulein Asta, denn ich hab's durch eigne Kraft so weit gebracht, daß ich jetzt meine Hände wieder pflegen darf und mit dem Kopfe arbeiten kann, mehr vielleicht, wie so ein studierter deutscher Maschineningenieur. Ich bin jetzt Werkstattdirektor bei Jefferson and Jenkins, Buffalo – Gas-, Wasser- und Kanalisationsanlagen. Warum fahren Sie zusammen, Miß Asta? Es ist ein sehr gutes Geschäft, und ich kann mir so viel zurücklegen, daß ich vielleicht selbst einmal eine Fabrik gründen werde.«

Er machte eine kleine Pause und atmete tief und erregt, während er sein Auge voll sehnsüchtiger Bewunderung auf ihrem von lieblicher Röte übergossenen Antlitz ruhen ließ. Als sie aber den Mund öffnete, um zu reden, machte er wieder seine abwehrende Bewegung und fuhr mit leise bebendem Tone fort: »Sie wissen, Miß, ich bin herübergekommen, um mir eine deutsche Frau zu holen. Ich habe unterwegs auf dem Steamer ein paar deutsche Bücher gelesen. Liebesgeschichten, weil ich sehen wollte, wie man im alten Lande Liebe macht. Ich weiß nicht, ob Sie das auch sehr schön finden, was in diesen Novellen von Liebe steht. Mir kam es wie großer Humbug vor. Diese unwiderstehlichen deutschen Liebhaber haben alle den kleinen Katechismus schlecht gelernt, wo doch drin steht: Du sollst nicht schwören, zaubern, lügen oder trügen im Namen Gottes – oder im Namen der Liebe, was alles dasselbe ist. Ich will nichts schwören, liebe Miß, ich kann Sie auch nicht bezaubern, wie die schönen Offiziere in den bunten Uniformen – aber lügen und trügen kann ich noch viel weniger. Ich bin wahrscheinlich anders, wie alle jungen Herren, die Sie kennen – und Sie sind anders, wie alle jungen Damen, die ich kenne; ich wäre so glücklich, Sie zu besitzen und wollte so sehr gerne Sie auch glücklich machen, und darum glaube ich – daß ich Sie lieb habe, Asta! – Nun können Sie sprechen.« –

Sie war tief bewegt und vermochte nicht sogleich zu antworten. Sie erhob sich und trat langsam ans Fenster. Rudolf folgte ihr und blieb zwei Schritte hinter ihr stehen, seines Schicksals harrend.

Da wendete sie sich zu ihm. Ihre Augen glänzten feucht und sie streckte ihm beide Hände entgegen. »Lassen Sie uns einander die Hände drücken, wie gute Freunde, damit wir uns recht verstehen,« sagte sie mit innigem Tone. Und dann holte sie tief Atem und fuhr fort, während ihre Hände noch ineinander ruhten: »Ihr Antrag ehrt mich – nein: er macht mich froh und stolz, Herr von Eckardt; denn von einem Manne mit Ihrem klaren Blick, Ihrem warmen Herzen so geschätzt zu werden, muß ein Mädchen stolz machen. Aber Sie überschätzen mich auch; ich würde Ihnen nicht das sein können, was Sie von einer Frau erwarten. Ich kann auch nicht leichtsinnig sein – in dem Punkte sind wir uns ähnlich. Ich kenne mich zu gut; ich weiß, daß früher oder später ein Tag kommen würde, an dem Sie erkennen müßten, daß Sie eine falsche Wahl getroffen haben. Die Stellung, welche die Frau in Amerika einnimmt, ist mir bisher als ein Ideal erschienen. Und Sie wollen gerade eine deutsche Frau haben, mit all der Selbstverleugnung, der Anspruchslosigkeit, der beglückten Hingabe, welche man uns nachrühmt – und eine solche bin ich gar nicht! Man hat mich leider zu einer Dame der großen Welt erzogen, ich möchte sagen: international verbildet. Meinen Platz in dieser Welt, in der vornehmen Gesellschaft, der ich ja auch mit allen ererbten Gesinnungen angehöre, werde ich nun zwar nicht mehr einnehmen können, da ich arm bin, wie Sie wissen. Das muß ich als meine Strafe hinnehmen. Aber Sie, der Sie es so ehrlich mit mir meinen, Sie dürfen nicht darunter leiden. Meine Zukunft wird sich vielleicht traurig öde gestalten, aber ich will nicht davor in Ihre Arme fliehen, mit dem Bewußtsein, daß meine Gegenwart Ihre Kraft nur lähmen würde, die Sie doch zum Kampfe mit dem Leben so nötig haben.«

Rudolf hatte seine Hände längst aus den ihren gezogen. Mit heftig arbeitender Brust stand er vor ihr und sagte: »Und Sie würden Ihre ver . . . Ihre vornehmen Gesinnungen nie aufgeben können, nie Republikanerin werden und . . .«

»Ich glaube nicht daran, daß fertige Menschen sich so ändern können, und ich war schon frühe ein fertiger Mensch,« erwiderte Asta abgewandten Blickes. »Nur eins wirkt vielleicht manchmal ein solches Wunder: – eine große Leidenschaft.«

»Und die fühlen Sie natürlich nicht für mich!«

»Nein, Herr von Eckardt. Ich habe Sie durch unsre kurze Bekanntschaft schon schätzen gelernt, wie keinen Mann vorher – außer unserm lieben Major vielleicht – aber eine heiße Leidenschaft muß doch etwas ganz andres sein.«

»Diese heiße Leidenschaft können Sie nur für einen Ihrer schönen Grafen oder Gardeoffiziere empfinden – nicht wahr?«

»Sie würde wenig nach Rang und Stand fragen. Aber ohne solche Leidenschaft könnte ich allerdings nur einem Manne angehören, der an Bildung und Stand mir ebenbürtig wäre, und dessen Reichtum die enge Vertraulichkeit, welche beschränkte Mittel fordern, aufheben könnte.«

»Das verstehe ich nicht, mein – gnädiges Fräulein!«

»Nun, wenn sehr reiche Leute merken, daß ihre Ehe keine wirklich glückliche werden kann, dann erlauben ihnen eben ihre Mittel Schranken, Entfernungen zwischen sich zu legen, die jeden Zusammenstoß unmöglich machen, und bei denen sich das sogenannte Dekorum vor der Welt bewahren läßt.« –

Rudolf machte ein fast entsetztes Gesicht. Dann lachte er bitter auf und fragte spöttisch: »Ah! Wieviel müßte ich denn nach Ihrer Rechnung wert sein, wenn ich von Ihnen ohne Leidenschaft geheiratet sein wollte?«

»Sie wollen mich mißverstehen, lieber Freund. Es ist gut, daß wir unterbrochen werden.« –

Die Thür des Nebenzimmers öffnete sich und Frau von Lersen, die Spuren eben erst vergossener Thränen noch in den Augen, trat, vom Major gefolgt, wieder ein.

»Wir müssen gehen, Asta,« redete sie ihre Tochter an. »Wo ist denn Trudi?«

»Das Fräulein bekam leider Nasenbluten,« rief Rudolf in unnatürlich lautem Tone.

Die Excellenz blickte voll Erstaunen und Angst von ihm auf Asta. Doch faßte sie sich rasch und brachte einige Entschuldigungen wegen ihrer langen Abwesenheit vor.

»O, bitte sehr, Frau Baronin,« versetzte Rudolf ironisch, »Miß Asta und ich haben uns sehr gut unterhalten.«

»Vielleicht haben wir auch das Vergnügen, Sie bald einmal in unsrer bescheidenen Häuslichkeit zu sehen, Herr von Eckardt?«

»Ich bedaure sehr, aber ich glaube . . .«

In diesem Augenblick stürmte Trudi durch die andre Thür hinein: »So, es ist alles wieder gut!« rief sie lustig. »Ich habe mein zartes Geruchsorgan unter die Wasserleitung gehalten und Lautenschläger hat mir dabei die Geschichte von Cassildens letzten Stunden noch einmal erzählt. Es war furchtbar rührend.«

Niemand vermochte zu lachen, so daß Trudi sich mit langem Gesicht im Kreise umsah. Das kluge Mädchen hatte sofort die Sachlage richtig erfaßt und stimmte ihre frohe Laune gleich den übrigen zu höflicher Kühle herab, als man Abschied nahm.

Rudolf erklärte, daß er sehr bald wieder heimkehren müsse. Man bedauerte ungemein, verbeugte sich förmlich gegeneinander und dann geleitete der Major die Damen hinaus. –

Als er zurückkehrte, stand Rudolf am Tische und stürzte eben das dritte Glas Rotwein hinunter.

»Nichts?« fragte der alte Muz.

»Nichts!« gab Rudolf zurück und goß sich zum viertenmal das Glas voll.

»Was Teufel! Kann Sie etwa das Mädel nicht ausstehen?«

»O, doch! Miß Asta fühlte sich hochgeehrt! Aber da mir noch einige Cents an der Million fehlen . . .«

»Ih, daß dich! Das ist ja ganz unmöglich.«

»Lassen Sie sich's doch von der jungen Dame selbst erzählen. Ihr Wein ist sehr gut – ich habe großen Durst bekommen. Hahaha! Ohne Liebe hätte sie mich vielleicht auch genommen, aber nicht unter zehntausend per annum. Und ich habe nur dreitausend! Abhandeln wollte ich ihr nichts, denn ich konnte mich doch nicht selbst unterschätzen! Wie, Herr Major?«

»So schlag doch gleich ein heiliges Kreuzbombendonnerwetter drein!« fluchte der alte Muz und die Zornesader auf seiner Stirn schwoll dick auf.

»Jawohl, zusammenschlagen!« knirschte der Amerikaner und ballte seine starken Fäuste drohend zusammen: »Einen Amboß möcht' ich hier haben und das ganze alte Eisen zusammenschlagen mit dem schwersten Schmiedehammer, daß die Funken ihnen nur so um die vornehmen Nasen tanzen sollten! Internationale Verbildung hat sie es genannt! Dummheiten sind's – alt Eisen – bang, dang! immer drauf! Major, haben Sie nichts zu zerbrechen hier? I'm afraid, I'm getting tremendously nervous!«

»Rudolf, Jungchen! Du bist mein Mann! Hier den Stuhl opfern wir. Krach! krach! So ist's recht – laß mir nur auch was übrig, du Teufelskerl! – So, da! Knick, knack! Da liegt der Plunder. Das Räsonnieren habe ich abgeschworen; jetzt mach' ich mich an das Möblement! Teurer zwar, aber gründlicher!«

Da standen die beiden heißblütigen Männer und betrachteten mit wildfunkelnden Blicken die am Boden zerstreuten Glieder ihres unglücklichen Opfers, eines armen, unschuldigen Rohrstuhles.

Und dann trocknete sich der alte Muz die Stirn und seufzte schwer auf: »Meine arme, arme Excellenz! Der Sohn macht Schulden wie ein Major und die Tochter . . . Das ist ja, um gleich Muselmann zu werden.«

»Der Sohn macht Schulden?« warf Rudolf aufhorchend ein.

»Jawohl. Hält Pferde, spielt und macht der Grigori den Hof.«

»Wer hat seine Wechsel?«

»Weiß ich nicht. Ich bezahle sie nicht!«

»Aber ich!«

»Was Tausend! Mann, Sie werden doch nicht?«

»Ja, ich werde! Und heute abend noch bringe ich der Grigori eine neue Kiste Pflaumen, aber in Banknoten eingewickelt!«

»Mensch! Bist du verrückt?«

»Death and starvation, no! Geld oder die große Leidenschaft hat die Baronesse Asta gesagt. Thunderbolt and rattle-snakes! Die große Leidenschaft ist da! – Was thu' ich mit dem Geld? Haha! Ich will lustig sein in dem verdammten, alten Lande! Ich will schwören, zaubern, lügen oder trügen: ich will angebetet werden, Herr Major, für mein schönes Geld! Und wenn das zu Ende ist, dann will ich wieder hinüber und den großen Blasebalg treten und dann immer mit dem großen Hammer bang, dang! aufs alte Eisen. – I wish you good morning, Sir!«

Und damit ging er hinaus und warf die Thür kräftig hinter sich ins Schloß.

Der alte Muz war noch kochgar vor Zorn. Er schüttelte den großen grauen Kopf und brummte schier verblüfft: »Na, du bist mir ja ein rechter, biederer Beamter!«

Und dann steckte Lautenschläger ganz vorsichtig den Kopf zur Thür herein, sah die Trümmermasse auf dem Boden, und sagte schließlich harmlos grinsend: »Herr Major, haben 'mal Ihren Geburtstag recht lustig gefeiert?«

»Jawohl, du Esel, verdammt lustig! Aufhängen möcht' ich dich zur Feier des Tages, wenn's nur die Nägel in dem faulen Mörtel aushalten könnten. Da hast du einen Thaler. Laß mir den Stuhl da wieder flicken, wenn's geht. Und wenn du künftig merkst, daß mir das Räsonnieren ankommt, dann hältst du mir geschwind das Ding hin, verstehst du? damit ich's dir gleich um die Ohren schlagen kann, mein Jungchen, mein süßes!«

»Zu Befehl, Herr Major!« grinste Lautenschläger ganz vergnügt.


 << zurück weiter >>