Ernst von Wolzogen
Die Kinder der Excellenz
Ernst von Wolzogen

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Zehntes Kapitel.

In welchem der alte Muz deutsch redet, der Musikdirektor eine geniale Idee hat und Trudi einen Kuß auf der Treppe bekommt.

Während die beiden Mädchen noch bei Tische saßen – die Mutter war nicht erschienen, sondern mit Schreiben in ihrem Zimmer beschäftigt – während sie noch bei Tische saßen, ohne freilich viel genießen zu können in ihrer Herzensangst, wurde draußen stark, ungeduldig geklingelt. In der aufgeregten Stimmung, in welcher sie sich heute befanden, dünkte den armen Mädchen jedes Glockenzeichen, jeder nahende Tritt als ein Signal für eine neue Schreckensbotschaft. Sie waren aufgesprungen und hatten erschrocken Messer und Gabeln beiseite geschoben, als sich die Thür öffnete und mit kurzem, rauhem Gruß der Major von Muzell auf der Schwelle erschien.

»Wo ist eure Mutter? Ich muß sie sofort sprechen!«

»Mama hat sich in ihrem Zimmer eingeschlossen – ein wichtiger Brief . . .«

»Hm! War Bodo heute schon hier?«

»Ja!«

»Ist die Mutter mit ihm fortgewesen?«

»Ja!«

»Aha! Dacht' ich mir's doch!«

Ein Schlüssel schnappte mit leichtem Knack zurück und Frau von Lersen öffnete halb die Thür ihres Zimmers.

»Sie haben mit mir zu reden, Major – bitte, kommen Sie herein!«

Ohne die jungen Damen noch eines Blickes zu würdigen, stampfte er eilfertig quer durch das Zimmer und verschwand im Nebengemache.

Und gleich darauf vernahmen die Schwestern von drinnen die mühsam gedämpfte, zornige Stimme des alten Muz und das Aufschluchzen der Mutter. Ihre schlimme Ahnung hatte sie also nicht betrogen; das Ungewitter, das Jahre gebraucht hatte, um sich über ihren Häuptern zusammenzuziehen, sollte sich an diesem einen Unglückstage Schlag auf Schlag entladen.

»Ach, Asta, ich ertrage es nicht länger,« schluchzte Trudi auf, »nicht wahr, du bist mir nicht böse, wenn ich dich verlasse – wenn ich mich zu meinem Hans flüchte?« Und sie drückte ihr Tüchlein gegen die überquellenden Augen und ging.

»Du Glückliche!« flüsterte Asta hinter ihr drein. Sie rief dem Mädchen, daß es rasch den Tisch abräumen möge und warf sich dann im Schlafzimmer, das hinter dem Eß- oder sogenannten Berliner Zimmer nach dem Hofe hinaus lag, halbentkleidet auf ihr Bett; denn der Tag war heiß und schwül und ihr Kopf schmerzte sie zum Zerspringen. – –

Im Wohnzimmer, das nach der Straße hinaus lag, waren gegen die sengenden Strahlen der Mittagssonne die Jalousieen herabgelassen. Es war dunkel im Zimmer, aber doch heiß und dumpf. Die Excellenz saß an ihrem Schreibtisch, das Haar immer noch in Unordnung wie vorhin, und sie starrte mit verweinten Augen auf den halb beschriebenen Briefbogen hin, auf welchem sie bis jetzt vergebens versucht hatte, Bodo von der plötzlich veränderten Lage der Dinge in Kenntnis zu setzen und ihm die Auszahlung des erhaltenen Geldes zu verbieten.

Und der Major ging immer noch mit schweren Schritten hin und her, trocknete sich die Perlen mit einem bunten seidenen Tuche von der Stirn und suchte sich Luft zu schaffen, indem er mit dem Zeigefinger zwischen Kragen und Hals herumfuhr.

Sie hatte ihm alles erzählen müssen, die alte Freundin, wie es Bodo gelungen war, sie zum Treubruch an dem letzten Willen ihres Gatten zu überreden, und wie sie bei ihrer Rückkehr die Töchter im Besitze des so lange sorgsam gehüteten Geheimnisses gefunden habe.

»So so, die Mädels wissen's also?« begann der alte Muz nach einem längeren, peinigenden Stillschweigen. »Nun, da bedanken Sie sich nur allerschönstens bei Fräulein Grigori, Verehrteste! Der Himmel meint es immer noch unverdient gut mit Ihnen. Sie sitzen am Wegrande wie angeklebt und sehen Ihr Ziel vor sich, zum Greifen nahe; und da jammern Sie, daß Sie nicht hinkommen können und denken beileibe nicht daran, hübsch aufzustehen und ein Füßchen vors andre zu setzen. Nein, Sie warten ab, bis Ihnen der Himmel ein freundliches Donnerwetter über den Hals schickt, daß Ihnen Hagelkörner wie die Wallnüsse groß um die Nase fliegen und Sie im Hurra davonjagen und dahin, wo Sie hingehören! – Nehmen Sie mir's krumm oder g'rad', verehrte Excellenz, aber was zu arg ist, ist zu arg! Und wenn ich jetzt noch nicht räsonnieren sollte, da müßte ich Schlagsahne statt Galle im Leibe haben!«

Er hatte den Gerichtsvollzieher auf der Straße abgefangen, als er Bodos Wohnung verließ, und als jener ihm mitgeteilt, mit welcher Kaltblütigkeit der Lieutenant ihm geheißen, heute nachmittag um vier das Geld abzuholen, gleich richtig geschlossen, daß er, auf die Schwachheit seiner Mutter bauend, sie zur Entnahme des Geldes aus der Reichsbank zu bewegen suchen werde.

»Sie wußten ja, daß ich eine schwache Frau bin; warum haben Sie Ihre Hand so ganz von mir abgezogen? Ich mußte doch an Ihnen irre werden, lieber Freund!«

»Ei du – Gift und 'perrment noch 'mal! – eine famose Logik!« wütete der Major und machte einen unglücklichen Versuch zu lachen. »Haben Ihre Excellenz denn so ganz und gar vergessen, was ich hochdenselben an meinem Geburtstage vorzutragen die Ehre hatte? Habe ich Ihnen nicht haarklein die schönen Folgen Ihrer Nachgiebigkeit gegen Bodo aufgezählt, habe ich Ihnen nicht jeden Schritt vorgezeichnet, den Sie zu thun hatten, um das Schlimmste abzuwenden und Ihr gutes Gewissen zu bewahren? Ich habe Ihnen einen Rat als Freund gegeben, weil Sie ihn verlangten – habe ich denn sonst ein Recht über Sie? Kann ich Sie denn zwingen, meine Vorschläge auszuführen? Ich wollte nur sehen, ob es Ihnen endlich einmal Ernst war. Und gerade weil ich Ihre Schwachheit kenne, weil ich weiß, daß Sie alles, was verfluchte Pflicht und Schuldigkeit heißt, mit goldner Rücksichtslosigkeit zu behandeln lieben, bis die himmelsackermentsche Not Sie zwingt, darum habe ich für ein bißchen Not gesorgt, ein bißchen eingeheizt, damit Ihnen der moralische Dampf nicht ausgehen sollte! Ich zog mich zurück, damit ihr sehen solltet, daß es mir verdammter Ernst mit meinen Ratschlägen gewesen, denn sonst haltet ihr ja auch das heiligste Kreuzdonnerwetter bloß für eine Redeblume, ein façon de parler, und lacht über den drolligen alten Muz! War das also freundschaftlich von mir gehandelt oder nicht?«

»Sie haben es gewiß nicht anders gemeint,« versetzte Frau von Lersen, mit niedergeschlagenen Augen. »Aber Sie müssen doch auch zugeben, daß Bodo nicht ganz unrecht hatte, wenn er . . .«

»Wenn er verspricht, das Geld ganz solide wieder zu erwetten, zu erreiten – zu erknobeln womöglich,« brauste der Alte ungeduldig auf. »Oha! Sie würden es am Ende auch äußerst lobenswert finden, wenn der hoffnungsvolle junge Mann, da er keine gewöhnliche Tante zu beerben hat, Wechsel auf seine Tante Pharao ziehen wollte. Was man alles an feinen Damen erleben muß, es ist wirklich der Zeitung gleich!«

Die gute Baronin mußte allerdings fühlen, daß sie dem zornmütigen alten Muz reichlichen Grund zum Toben und Schelten gegeben habe, aber dennoch war es menschlich, daß sie sein bissiger, schulmeisterlicher Ton kränkte und zum Widerstand reizte. Und in echt weiblicher Weise begegnete sie seinen Vorwürfen durch eine regelrechte – Retourkutsche! »Es ist wirklich sehr leicht für euch Männer, die Schwäche einer Frau, einer Mutter so zu verhöhnen. Ich weiß nicht, ob es besonders rühmlich ist! Wir Frauen sind viel öfter genötigt, gegen die Stimme unsers Herzens unsre Pflicht zu thun, als ihr Männer, die ihr immer so erhaben von kleinlichen Vorurteilen sprecht, wenn es sich um Erfüllung einer Pflicht handelt, die unsern Neigungen unbequem ist. Haben Sie nicht selbst stets über Ihre Pflicht räsonniert, solange Sie Soldat waren? Haben Sie jemals irgend ein brennendes Herzensbedürfnis aufgegeben, um einer einfältigen Pflicht zu folgen?«

Sie hatte sehr erregt gesprochen und das Haupt herausfordernd zu ihm erhoben. Jetzt blieb der Major stehen, wendete sich rasch zu ihr, trat einige Schritte auf sie zu und sah sie mit einem Blick an, der sie zwang, ihre Augen rasch niederzuschlagen. Sie errötete über und über, und diese Zauberfarbe unschuldiger Scham ließ die Vierzigerin um zehn Jahre jünger erscheinen.

»Das fragen Sie mich?« sagte der alte Muz leise und fast wehmütig. Und nach einer längeren Weile erst, während deren seine grauen Aeuglein zärtlich auf ihrer zerzausten Haarfrisur geruht hatten, nahm er seinen Rundgang wieder auf, kehrte aber bald wieder zu dem Schreibtisch zurück, an welchem die Baronin gesenkten Hauptes saß, und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter.

»Heute dürfen Sie es ja erfahren, wenn Sie es noch nicht gewußt haben,« sagte er, eigen lächelnd: »Ich habe Sie geliebt, Mathilde, von dem Tage, an dem ich Sie zuerst als Braut meines Kameraden Lersen sah! Ganz toll und unvernünftig geliebt hab' ich Sie – und doch nicht gemuckt, wie der Soldat im Gliede, wenn's stillgestanden heißt und ihm die Gnitzen in die Nase kriechen wollen. Na, und inzwischen ist der Korpus fetter und das Herz vielleicht ein bißchen magerer geworden – aber ich bin doch immer noch der alte hagestolze Onkel Muz geblieben, der zur Belohnung für seine hoffnungslose Liebe zur Mama nun wenigstens an den Kindern ein bißchen Freude erleben möchte. Wenn's ihm aber so sauer gemacht wird, dann ist's ihm auch nicht zu verdenken, wenn er 'mal ein bißchen spektakelt.«

Frau von Lersen trocknete sich die frischen Thränen aus den Augen. Dann erhob sie sich rasch, reichte dem Major beide Hände und sagte lächelnd: »Seien Sie mir nicht zu böse, lieber Freund! Und sagen Sie nicht, daß Ihr Herz mager geworden sei: ich hätte Ihr treues starkes Herz jetzt nötiger als je! Noch nie im Leben habe ich mich so elend, schwach und hilflos gefühlt, wie in den Tagen, wo Sie sich so grollend von uns abgewendet hatten.«

Der Major zog ihren Arm in den seinigen und führte sie so in ihrem eignen Zimmer spazieren. Sein Gesicht war in lebhafter Bewegung, seine guten Augen blitzten unter den buschigen Brauen bald energisch auf, bald nahmen sie wieder einen sinnenden Ausdruck an. Er hatte offenbar die größte Lust, etwas zu sagen, etwas ganz Überraschendes, vielleicht herzlich Willkommenes, vielleicht Lächerliches. Aber schließlich gab's in seinen fetten Zügen einen sichtbaren Ruck; sein Verstand hatte gemahnt: Wir sind zu alt, um unvernünftig zu sein! Und dann blieb er stehen und sagte, zu einem andern Gegenstande überspringend: »Der Gerichtsvollzieher wird heute nachmittag nicht zu Bodo kommen – Sie werden sich das Geld von ihm wiedergeben lassen und die vollständige Summe sobald wie möglich Herrn von Eckardt zustellen. Und aus alter Freundschaft will ich Ihnen zur Erleichterung der unangenehmen Aufgabe sogar noch eine Lüge erlauben, wenn Sie sich mit der ganzen Wahrheit nicht heraustrauen. Sie dürfen sagen, Sie hätten erst durch Fräulein Grigori erfahren, daß er derjenige Eckardt sei, welcher. . . . Daß ich alles gewußt und die Bekanntschaft mit Asta absichtlich eingeleitet habe, das brauchen Sie nicht zu verraten.«

»Aber glauben Sie, daß er sich das nicht selber zusammenreimt? Nein! Sie sollen sehen, daß ich jetzt wirklich meinen Kelch bis zur Neige leere. Wenn ich nur wüßte, wie Sie dann zu Ihrem Gelde kommen sollen!«

Der Major nahm in einem Lehnstuhle Platz. »Hm! Hm! Lassen Sie uns einmal nachdenken!« sagte er lächelnd und lud auch die Baronin zum Sitzen ein. – –

Im ersten Stockwerk bei »Professor Diedrichsen und Vater«, wie der Alte sich und seinen Hans immer stolz vorstellte und anmelden ließ, wurde gleichzeitig ebenso erregt und eifrig beratschlagt wie oben im dritten Stock. Trudi saß neben ihrem Verlobten auf dem Sofa der guten Stube. Er hatte den Arm um ihre Hüfte gelegt, sie schmiegte ihr Köpfchen an seine Schultern. Der Herr Musikdirektor a. D. war natürlich auch dabei wie immer! Der gute Schwiegerpapa litt so zu sagen am thätlichen Verfolgungswahnsinn; das heißt: er hatte die krankhafte Neigung, das Brautpaar auf Schritt und Tritt zu verfolgen! Er war in dieser Beziehung fast schlimmer als selbst die korrekteste Tante; jedoch nicht wie eine solche aus Schicklichkeitsfanatismus, Mißgunst oder Neid, sondern lediglich aus Vaterwonne! Da er nun doch einmal nicht, oder doch nur auf Minuten höchstens, los zu werden war, so hatten die Liebenden gar bald, alle Bande frommer Scheu zerreißend, sich daran gewöhnt, den Papa als Luft anzusehen, sobald sie das Bedürfnis empfanden, sich zu kosen und zu herzen. Und der wunderliche kleine Herr war überglücklich, wenn er bei solchen, oft recht langwierigen pantomimischen Vorstellungen in der höheren Küß- und Kosekunst Zeuge sein durfte. Er pflegte dann in die gegenüberliegende Ecke des Zimmers zu flüchten, sich wie ein wachhabender Papa Storch auf ein Bein zu stellen, mit atemloser Spannung das Schauspiel durch die goldene Brille zu genießen und nach Beendigung jedes Aktes mit Begeisterung zu applaudieren und bis! da capo! noch einmal! zu rufen, bis die verliebten Lippen sich gehorsam wieder vereinigt hatten.

So war er denn auch heute im Bunde der dritte und hörte voller Teilnahme, als für ihn mitbestimmt, Trudis Erzählung mit an.

Das gute Kind hatte sich zu seinem Geliebten geflüchtet, um dem bedrückten Herzen Luft zu machen, aber nicht bedacht, was von all dem Traurigen, das sich heute offenbart hatte, etwa mitteilbar sei und was nicht. So kam es, daß Trudi fortwährend in ihrer Erzählung stolperte und stecken blieb. Von der schweren Schuld, die der selige Vater gegen die Familie auf sein Gewissen geladen, konnte sie auch dem Bräutigam nicht reden – der Gedanke allein erfüllte sie mit einer Angst und Scham, als sollte sie von sich selbst ein schmähliches Verbrechen bekennen. Sie selbst, die ihren Vater schier angebetet hatte, war überzeugt, daß er nur schwach, nicht schmachvoll gehandelt haben konnte; aber was mußten Fremde davon denken!

Sie sagte also nichts, als was sich auf das Verhältnis zwischen Asta und Adriane bezog, sie sprach von sich selbst und der Mutter gar nicht, sondern gab nur ihrer Besorgnis um die Schwester Ausdruck. Die Diedrichsens wußten, daß Herr von Eckardt vergebens um Astas Hand geworben hatte; Trudi hatte ihnen auch nicht ihre Ueberzeugung vorenthalten, daß die Schwester trotz, oder vielleicht gerade nach der Zurückweisung, die lebhafteste, innerlichste Teilnahme für den Amerikaner hegte, eine Teilnahme, die nun durch die Eifersucht auf die einstige Freundin leicht in helle Liebesflammen auflodern mochte. Schon mehrmals hatten die drei Verlobten (den Musikdirektor nämlich immer mit eingerechnet) ernstlich in Erwägung gezogen, ob man nicht auf unauffällige Weise eine neue Annäherung zwischen Asta und dem ungetreuen, anscheinend so tröstbaren Freier herbeiführen könnte. Bei Gelegenheit jenes Besuches bei der alten Fürstin hatte die Grigori auf Trudi einen sehr guten Eindruck gemacht. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie diese feingebildete, so gar nicht halbweltlich auftretende Dame des Umganges mit ihrer Schwester so unwürdig sein sollte. Sie erkannte an, daß der Beruf der Künstlerin einen freien Verkehr mit Männern mit sich brachte, und eben daraus schloß sie ganz richtig, daß durchaus nicht etwa ein leidenschaftliches Verhältnis zwischen der Operetten-Diva und Herrn von Eckardt zu bestehen brauche, und daß Bianka Grigori unter Berufung auf Adriane Grigorescu wohl gar zu bewegen sein dürfte, das Werk der Versöhnung zwischen Asta und Rudolf selbst fördern zu helfen. Auch Professor Diedrichsen und Vater hatten diese Hoffnung geteilt und sich erboten, Herrn von Eckardt, falls sie sich ihm unauffällig nähern könnten, zur »Wiederaufnahme des Verfahrens« anzureizen. Nach dem heutigen Auftritt zwischen den einstigen Freundinnen schien jedoch Diedrichsens eine Versöhnung kaum mehr denkbar und die Befürchtung durchaus gerechtfertigt, daß die wirklich schwergekränkte Sängerin nunmehr alle Künste der Verführung ins Treffen führen würde, um sich Rudolfs Alleinbesitz zu sichern und sich an der Niederlage der Gegnerin zu weiden.

»Ach, ihr hättet nur sehen sollen,« sagte Trudi, »wie Asta mich am Arme packte und von der Thür wegzog, als ich der Grigori nachlaufen wollte! Und sie verdiente so sehr ein entschuldigendes, freundliches Wort. Der erste Eindruck, den ich von einem Menschen hatte, täuschte mich bis jetzt noch nie. Die Grigori ist keine unwürdige Person, ganz gewiß nicht! Und sie kam Asta so liebevoll entgegen – wenn sie ein böses Wort gesagt hat, so ist sie durch zehn schlimmere dazu gereizt worden. Wißt ihr, ich hätte die größte Lust, noch heute das Fräulein aufzusuchen und sie für Astas Heftigkeit um Verzeihung zu bitten.«

»Trudi, Liebchen! Wo denkst du hin?« rief der Professor Hans.

»Warum nicht? Eine Dame, die Herrenbesuche empfängt, wird ja wohl auch Damenbesuche empfangen!« scherzte das Mädchen. »Und vielleicht treffe ich gar zufällig den Amerikaner dort, da könnte ich ihm gleich ein bißchen zu verstehen geben, daß . . .«

»Aber Kind! Die stolze Asta würde dir so etwas nun und nimmermehr verzeihen. Bedenke doch . . .«

»Ach was! Wenn es hilft, würde sie's schon verzeihen; denn jetzt liebt sie ihn über die Maßen. Wegen eines gleichgültigen Menschen gerät kein Mädchen in so blinden, eifersüchtigen Zorn. Ich würde mir auch gar kein Gewissen daraus machen, der Grigori ihren Liebhaber wieder abzujagen; wenn eine Operettensängerin einen sicheren und sehr anständigen Prinzen in petto hat, wird sie sich schon zu trösten wissen! Uebrigens hat sie kein Wort darüber verloren, ob Herr von Eckardt sie etwa auch so unsinnig liebt oder gar heiraten will, wie der brave Führingen.«

»Aber gutes Trudchen,« beharrte der Professor, »du bist doch sonst nicht so naiv! Wenn der Prinz wirklich dergleichen Andeutungen gewagt hätte, er würde sich hüten und sie wahr machen! Aber es gibt eben genug junge Damen, die hinter jeder nichtssagenden kleinen Anspielung gleich einen Heiratsantrag wittern. Nein, mein Kind, schlage dir diese unglückliche Idee aus dem Sinn. Es ist ganz unmöglich, daß du dieser Dame in solcher Weise nachläufst!«

»Aber Kinder, so gehen wir doch alle drei hin,« rief der Musikdirektor und schlug sich laut aufs Knie. »O, ich sage euch, ich verstehe mit den Theaterdamen umzugehen – ich habe doch nicht umsonst fünf Jahre hintereinander die Opernsaison in Pasewalk dirigiert! Die Sache will ich schon deixeln.«

Diedrichsen Sohn bemühte sich, Diedrichsen Vater gutmütig auszulachen; sein Lachen verriet jedoch deutlich genug, daß er sich recht herzlich ärgerte über den thörichten Vorschlag seines Papas, welcher an Naivetät den der klugen kleinen Baronesse entschieden weit übertraf.

»Nun, dann lassen wir's also bleiben!« entschied die verweinte kleine Braut etwas schmollend: »Unser Herr Professor ist heute sehr unzugänglich und hartherzig. Hat sich gewiß am Vormittag mit Krustentieren beschäftigt. Ich will mich nur hinter den alten Muz stecken, der kann wenigstens dem Herrn von Eckardt zu verstehen geben, daß noch nicht aller Tage Abend sei. Ich habe so eine Ahnung, als müßte etwas ganz Trauriges geschehen, wenn man den dummen Verliebten nicht rechtzeitig Mut macht. An mir soll es nicht liegen, wenn es so geht, wie in der Komödie, wo die Leute immer krampfhaft das rechte Wort zu sagen vermeiden, bloß damit das Stück noch einen Akt mehr kriegt. – Adieu, Professor Diedrichsen und Vater – ich muß mich sputen, damit ich den Major noch antreffe.«

Sie huschte flink zur Thür hinaus, Hans Lohengrin eiligst hinter ihr drein. Und draußen in dem dunklen Vorflur schloß er sie noch einmal in die Arme und küßte sie wunderschön ab! Gar nicht wie ein so würdevolles, gelehrtes Ungetüm, sondern wie ein ganz gemeinverständlicher Mensch und Liebhaber. Und wunderbar: der Schwiegerpapa kam zum erstenmal, seit sie verlobt waren, nicht hinterdrein gelaufen, um den Abschiedskuß als enthusiastischer Zuschauer mitzugenießen, sondern blieb still im Zimmer sitzen, auf dem nämlichen Fleck, auf welchem er bislang gesessen hatte und blickte vor sich hin, offenbar ganz in seine weltbewegenden Gedanken verloren. –

Als Trudi eben die letzte Treppe hinaufsteigen wollte, kam ihr der alte Muz entgegen, pustend und mit einem recht sehr roten Kopfe. Und sie machte sofort kehrt, hing sich in seinen Arm und stieg langsam mit ihm hinunter, indem sie ihn dabei schmeichelnd über die Ursache seiner Erregung, über die geheimnisvolle Angelegenheit zwischen Bodo und der Mutter auszuforschen suchte. Aber der Major hielt heute dicht wie ein Patentverschluß und sagte nur: »Nichts für kleine neugierige Marjells!«

Dann aber begann er umgekehrt sie auszufragen über alles, was die Grigori gesagt hatte, und Trudi verschwieg ihm nichts und fügte ihrem Bericht noch die herzliche Bitte hinzu, doch ja das Seinige dazu beizutragen, daß Rudolf sich Asta wieder nähere, denn sie glaube dafür einstehen zu können, daß er sich keinen zweiten Korb holen würde.

Der alte Muz blieb stehen – es war auf dem untersten Treppenabsatz – sah Trudi an, kratzte sich hinter dem linken Ohr, ließ einige unklare Grunzlaute hören, sah wieder das Baroneßchen von oben bis unten an und nahm es dann plötzlich fest beim Kopf, um ihm einen höchst biederen Majorskuß auf die erschrockenen Lippen zu drücken. Trudi hatte in der Ueberraschung einen kleinen Schrei ausgestoßen.

»Sei still, Kind« flüsterte der alte Muz. »Wenn du mir die Leute zusammenschreist, dann sag' ich's öffentlich, daß du der einzige vernünftige Kerl in der ganzen Familie Lersen bist. Adieu – und grüß deinen Schatz von mir.«

Damit stampfte er eiligst die letzten Stufen hinunter und zum Hause hinaus.

Trudi blickte ihm nach, seufzte, lächelte und klomm dann wieder leicht und federnd wie ein Alpenkind die drei Treppen zu ihrer Wohnung empor. Vor Diedrichsens Thür machte sie nicht Halt, denn sie fühlte sich vorderhand genug geküßt.


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