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Frau von Lersen hatte ein paar schlaflose Nächte und einige Tage voll banger Sorge, voll nagenden Kummers hinter sich. Die entschiedene Weigerung des Majors, auch nur einen Finger zu rühren, um Bodo noch einmal aus seiner Bedrängnis zu helfen, seine eindringliche Mahnung, den leichtsinnigen jungen Mann diesmal seinem Schicksal zu überlassen und so zum Aufgeben der militärischen Laufbahn zu zwingen, hatte sie dermaßen erschüttert, daß sie sich seitdem geistig und körperlich wie gelähmt fühlte. Und nun mußte auch noch Asta, ihre geliebte, verständige Asta, ihr den bösen Streich spielen, aus lauter Verständigkeit die frohe Hoffnung zu zerstören, mit der sie einer Verbindung mit dem ausgezeichneten Amerikaner entgegengesehen hatte. Ach, und was hatte das unbegreifliche Mädchen ihr auf ihre zärtlichen Vorwürfe geantwortet! Welche leidenschaftliche Verbitterung war da aus der stolzen Seele der Tochter hervorgebrochen, wie ein lang fortwühlendes, inneres Feuer durch einen plötzlichen Zugstoß zur hochlodernden Flamme angefacht! Welche unbarmherzigen Anklagen gegen die Eltern, die so eitel auf sie gewesen, und die nun, durch ihren Eifer dem hochbegabten Mädchen alle Schätze moderner Bildung zugänglich zu machen, ihr die Anwartschaft auf eine glänzende Stellung unter den Auserwählten ihres Geschlechtes zu verschaffen, die schwere Schuld auf sich geladen haben sollten, ihr die Fähigkeit zu beglücken geraubt zu haben! Die arme Excellenz fühlte sich unfähig, einen Entschluß zu fassen. Der alte Muz ließ sich nicht mehr bei ihr sehen und zweimal war sie bei ihm gewesen, ohne ihn zu treffen. Er sei mit Herrn von Eckardt ausgegangen hieß es beidemal. Auf einen Brief hatte er ihr gar nicht geantwortet. Auch Bodo war seit dem letzten Familiensonntage nicht wieder bei ihr gewesen. Allerdings konnte er von ihr keine Hilfe mehr erwarten, nachdem sie ihm eröffnet hatte, daß die in der Reichsbank niedergelegten dreißigtausend Mark nicht ihr gehörten. Aber es hätte den Sohn doch treiben sollen, in seiner verzweifelten Lage bei der Mutter Trost und Teilnahme zu suchen! Der Major hatte es ihr zur Gewissenssache gemacht, all ihren Einfluß aufzubieten, um Bodo zum Aufgeben seiner Offizierslaufbahn zu bewegen, und zwar sofort, aus freien Stücken, ehe er vielleicht mit schimpflichem Zwange daraus entfernt wurde. Und sie hatte wirklich bereits den Versuch gemacht, an Bodos Oberst zu schreiben, um ihm unter möglichst milder Darstellung der leichtsinnigen Streiche seines Lieutenants zu erklären, daß sie außer stande sei, ferner für den Sohn aufzukommen und ihn bitten müsse, dessen Abschiedsgesuch zu unterstützen. Aber sie hatte den angefangenen Brief wieder zerrissen, weil das Gefühl der Angst vor der Verantwortung, welche sie durch diesen entscheidenden Schritt auf sich lud, sie zu mächtig erfaßte. Wenn es doch noch einen Ausweg aus der Not gegeben hätte, der dem armen Jungen das Verbleiben in einem Berufe ermöglichte, für den er geboren, dem er mit ganzer Seele ergeben war – hatte er sie dann nicht mit noch weit größerem Rechte als Asta der Zerstörung seines Lebensglückes anklagen müssen?
Astas Vorwürfe wegen der heillosen Folgen der sogenannten »standesgemäßen« Erziehung gingen der Excellenz Tag und Nacht im Kopfe herum. Ja, tausendmal ja mußte sie nach den jüngsten traurigen Erfahrungen zu allem sagen, was ihre scharfdenkende, weltkluge Tochter vorgebracht hatte. Vermögensgemäß sollte man leben und seine Kinder erziehen; nicht danach fragen, was die Würde des Standes, den man selbst innehat, den Leuten zu erfordern scheint, sondern nur danach, was die Zukunft mit Sicherheit unseren Nachkommen zu gewähren haben wird. Frau von Lersen hatte freilich ihrem Manne eine ansehnliche Mitgift mitgebracht; aber der größte Teil derselben war schon in den ersten Jahren ihrer Ehe für die Bezahlung seiner drängendsten Lieutenantsschulden geopfert worden, und auch später hatte weder der Major, noch der Oberst, noch der General von Lersen jemals die schwere Kunst gelernt, sich mit seinen Ausgaben streng innerhalb des Etats zu halten. So war zu der Zeit, als er Excellenz wurde, das Kapital vollständig verbraucht. Das große Gehalt erlaubte ihnen zwar auch ohne Zubuße aus dem Eignen auf ziemlich großem Fuße zu leben, aber sie wußten auch, daß nach dem Tode des Generals nur die Pension übrig bleiben würde; und trotzdem thaten sie nichts, um die Kinder an diesen Gedanken zu gewöhnen. Und nun hatten sie es erreicht, daß Bodo durch die einseitige Bildung des Kadettenhauses allerdings ein recht brauchbarer junger Offizier geworden war, dem aber die Möglichkeit, einen andern Beruf zu ergreifen, nicht nur ungebührlich erschwert, sondern vermöge seiner fest eingewurzelten Geistesrichtung geradezu als undenkbar erschien. Und aus Asta war eine Dame von höchster aristokratischer Vollendung geworden, voll hoheitsvoller Grazie, unbedingter Beherrschung der gesellschaftlichen Formen und äußerst feiner Geistes- und Geschmacksbildung – eine Prinzessin, welche jedem Throne Europas, inklusive Japans, zur Zierde gereicht hätte, in das Haus eines anspruchslosen Mannes mit bescheidenen Mitteln aber durchaus nicht paßte.
Welch ein Glück, daß wenigstens Trudi von dem Teufelssegen der standesgemäßen Erziehung bewahrt wurde durch das Herzensbedürfnis der zärtlichen Eltern, ihr Nestküken bei sich zu behalten, um unter den Liebkosungen des süßen Schmeichelkätzchens die Entbehrung der älteren Kinder zu vergessen. Ihre Lehrerin war ein ganz junges, lebenslustiges und erzgescheites Mädchen aus guter Familie gewesen, die ihr spielend beibrachte, soviel sie selber wußte und im übrigen nicht sowohl ihre gestrenge Gouvernante, als vielmehr ihre ältere Freundin war, deren eigne Entwickelung sich in glücklicher Harmonie mit der ihrer Schülerin vollzog. Beide Schwestern hatten sich ohne Klage, mit wirklich vornehmer Selbstverleugnung in die veränderte Lage gefügt, aber Astas schöne Augen schienen die Mutter stets wie mit stillem Vorwurf anzublicken, während Trudis Augen lachten und wärmten wie die liebe Sonne selbst, und auch trostreich wie diese, wenn sie über kalte Mauern, durch finstere Höfe in die Kammern der Darbenden und Siechen dringt. Und noch etwas andres quälte die Baronin und verfolgte spukhaft ihr Denken bis in die Träume der Nacht hinein. Das war die Frage, was nun aus jenen dreißigtausend Mark werden sollte. Der Leser wird längst richtig vermutet haben, daß dies unantastbare Vermächtnis des Generals das Eigentum unsers wunderlichen Amerikaners war. Dies Geld hatte eine verhängnisvolle Rolle gespielt in den Beziehungen ihres Gatten zu seinem einstigen Freunde und Kameraden, dem älteren Herrn von Eckardt, eine Rolle, die ihren Kindern für immer ein Geheimnis bleiben sollte, damit das Andenken des geliebten Vaters ihnen nicht entweiht werden möchte. Nun war die Auffindung des Knaben Rudolf, um welche sich der General so viele Jahre hindurch vergebens bemüht hatte, durch einen glücklichen Zufall dem alten Muz gelungen, sein Plan, durch die Vereinigung der beiden Kinder die Schuld des Vaters zu tilgen, die Geister der Verstorbenen zu versöhnen, der Verwirklichung so nahe gewesen – und da mußte Asta selbst ihn wieder zerstören! Welche unerträgliche Demütigung, ihm jetzt, unmittelbar nach diesem neuen, vielleicht schmerzlicheren Leide, das die Familie Lersen ihm zugefügt, jene Summe überreichen zu müssen! Er mußte ja aus der Verzögerung der Uebergabe sofort merken, daß man auf ihn – spekuliert, vielleicht gehofft habe, er werde, im Besitze von Astas Hand, großmütig auf das Geld verzichten. Die aufbrausende, ein wenig uncivilisierte Art und Weise, mit welcher er die Ablehnung seines Antrages entgegengenommen hatte, ließ das Schlimmste befürchten; sein Betragen konnte es ihr unmöglich machen, den Kindern gegenüber das Geheimnis zu bewahren. Und in dieser Befürchtung beschloß die schwache Frau, falls nicht der alte Freund Muzell mit einem bessern Rat ihr beispringen sollte, Rudolfs Rückkehr nach Amerika abzuwarten und ihm später das Geld dorthin zu senden. –
Kein Wunder, wenn die Aengste und Sorgen dieser bösen Tage sich auf dem Gesichte der Excellenz auch für andre wahrnehmbar machten. Zwar gab sie den Töchtern auf ihre besorgten Fragen nach ihrer Gesundheit beruhigende Antwort, doch ohne damit etwas andres zu bewirken, als nur noch erhöhte Aufmerksamkeit. Auch ihrem liebenswürdigen Hauswirt, dem kleinen Musikdirektor, war ihre krankhafte Blässe, ihre nervöse Unruhe bei Gelegenheit der Singstunden aufgefallen, die er Trudi regelmäßig einen Tag um den andern erteilte. Seiner Anregung war es zu danken, daß sie sich endlich den auf sie eindringenden Bitten und Vorstellungen fügte und darein willigte, am nächsten schönen Tage mit den Diedrichsens einen kleinen Ausflug zu unternehmen. –
Es war in Berlin ziemlich spät Frühling geworden. Schon mehrmals hatte der hartgesottene Sünder von einem Wintergreis die ungeduldig sich hervorwagenden jungen Sprossen und Knospen mit der bereiften Besenrute unsanft auf die Köpfe geklopft, bis es endlich um Mitte Mai den vereinten Kräften der grünen Schar gelungen war, den unwirschen alten Kerl endgültig aus dem Lande zu verdrängen. Es war wirklich Lenz geworden, jener Berliner Lenz, den Arno Holz, der hinreißendste und modernste Lyriker des »jüngsten Deutschland« für alle Zeiten mustergültig besungen hat:
»O, wie so anders als die Herren singen,
Stellt sich der Lenz hier in der Großstadt ein!
Er weiß sich auch noch anders zu verdingen,
Als nur als Vogelsang und Vollmondschein,
Er heult als Südwind um die morschen Dächer
Und wimmert wie ein kranker, Komödiant,
Bis licht die Sonne ihren goldnen Fächer
Durch Wolken lächelnd auseinanderspannt . . . .
Doch draus vorm Stadtthor rauscht es in den Bäumen,
Dort tummelt sich die fashionable Welt,
Und junge Dichter wandeln dort und träumen
Von ew'gem Ruhm, Unsterblichkeit – und Geld.
Rings um die wieder weißen Marmormäler
Spielt laut ein Kinderschwarm nun Blindekuh,
Und heimlich gibt der Backfisch dem Pennäler
Am Goldfischteich das erste Rendezvous.
Es tritt der Strohhut und der Sonnenknicker
Nun wieder in sein angestammtes Recht,
Und kokettierend mit dem Nasenzwicker
Durchstreift den Park der Promenadenhecht.
Das ist so recht die Schmachtzeit für Blondinen,
Und ach, so mancher wird das Herzlein schwer;
Ein Duft von Veilchen und von Apfelsinen
Schwingt wie ein Traum sich übers Häusermeer.«
u.s.w. u.s.w.
Lersens und ihre beiden Beschützer hatten sich eine offne Droschke erster Klasse vergönnt, um bei einer Fahrt durch den lichtgrün prangenden Tiergarten dieses wirklichen und wahrhaftigen Maiensonntages froh zu werden. Der große Doktor Hans hatte sich bequemen müssen, auf dem Bocke Platz zu nehmen und ärgerte sich furchtbar, wenn er Fräulein Trudi im Wagen hinter seinem Rücken so laut auflachen hörte, ohne daß er bei dem die Ohren durchbrausenden Sonntagsgetöse verstehen konnte, worüber sie denn so äußerst vergnügt war. Sie fuhren um den neuen See herum, und dann auf der Landstraße nach Charlottenburg und weiter bis nach Westend hinauf. Unterwegs erst erfuhren sie, daß heute großes Frühjahrs-Meeting auf der Westender Rennbahn sei. Zu Lebzeiten des Generals, der in jüngeren Jahren selbst ein leidenschaftlicher und ausgezeichneter Reiter gewesen, waren die Lersenschen Damen auf dem Turf von Hoppegarten bekannte Erscheinungen, kannten die Stammbäume der berühmtesten Rennpferde, und wußten sich mit den Besitzern solcher Prachttiere »fachmännisch« zu unterhalten. In ihren jetzigen Verhältnissen wäre der Besuch der Tribüne ein fabelhafter Luxus gewesen, aber die Lust, einmal wieder das lang entbehrte Schauspiel einer vornehmen, eleganten Kavalkade an sich vorüberziehen zu lassen, bewog die Mädchen, die Mama und die Herren zum vorläufigen Haltmachen zu veranlassen. Sie wollten in dem Garten an der Ecke der Ahornallee und der Spandauer Landstraße echt spießbürgerlich ihren Kaffee trinken und die Rückkehr des Wagenzuges von der Rennbahn auf diesem günstigen Beobachtungsposten erwarten. –
»Sagen Sie 'mal, Herr Professor,« neckte Trudi ihren blondbärtigen Anbeter. »Sie müssen doch als Zoologe auch 'was von Pferden verstehen, nicht wahr?«
»Gewiß. Im übrigen bemitleide ich dies edle Tier zu sehr, als daß ich für den Sport besondres Verständnis haben könnte.«
»Da haben Sie wohl nie auf einem Pferde gesessen?«
»O doch, in jüngeren Jahren habe ich sogar recht fleißig ein sehr berühmtes Rennpferd geritten: Pegasus heißt es!«
»Kenn' ich!« rief Trudi und machte die schelmischen Augen groß auf: »Fuchswallach von ›Othello‹ und der ›Meermaid‹, der Siegerin von Epsom. Ein riesig feudaler Gaul – und den haben Sie geritten? Alle Achtung.«
Hans Diedrichsen beugte sich näher zu ihr und flüsterte ihr lächelnd zu: »Ja, Fräulein Trudi – und ich würde vielleicht sogar jetzt noch mit meinen steifen Docentengebeinen ein kleines Handicap riskieren, wenn Sie mir nur in den Sattel helfen wollten.«
»Wie soll ich denn das anstellen?« erwiderte das Mädchen und schlug dabei mit so lächelnder, wissender Miene und doch zugleich voll inniger Lockung den blauen Blick zu ihrem Lohengrin auf, daß dieser vor verliebter, freudiger Bestürzung errötete, soweit auf seinem dicht bewaldeten Antlitz noch freies Feld zum Erröten gelassen war, und ihr rasch zuflüsterte: »So zum Beispiel – ich danke Ihnen, Fräulein Trudi –«
Der Papa Diedrichsen störte das verheißungsvolle Gespräch durch die laut hingeworfene Bemerkung, daß er nur für ein Pferd auf der Welt schwärme, nämlich für das Roß Grane.
»Das verstehe ich nicht,« sagte Asta. »Der gute Grane leistet doch weiter nichts, als daß er die Brünnhilde aus dem Takt zu bringen versucht.«
»Was ihm manchmal auch gelingt – ja allerdings,« gab der Musikdirektor zu. »Aber denken sie bloß, meine Damen, was ist das für ein hochbegnadetes, auserwähltes unter den Rossen, das sich statt des gemeinen ›Hottohü!‹ mit dem göttlichen ›Hojotoho!‹ anfeuern lassen darf!«
Und der eifrige kleine Wagnerianer sang die fünf Töne des herrlichen Walkürenjauchzers so laut heraus, daß sich die Leute an den Nebentischen nach ihm umdrehten, mit jenem spezifisch berlinischen Ausdruck im Blick, welcher, ins Mündliche übersetzt, ein großes: »Nanu!!??« ergeben würde. Doktor Hans fügte erklärend hinzu, daß sein Papa mit diesem übermütigen »Hojotoho!« alle Feierstunden seines Daseins seiner Umgebung kundzugeben pflege.
Der erste überfüllte zweistöckige Pferdebahnwagen, welcher bald darauf mit gefährlich aussehender Hast den steilen Abhang des Spandauerberges hinunterrollte, zeigte das Ende des Rennens und den Beginn des großartigen Wagenkorsos an.
Auch die beiden Diedrichsens, welche keinerlei Sportinteresse hatten, ergötzten sich an dem farbenreichen, lebensvollen und modetollen Schauspiel, das sich hier vor ihren Augen im wahren Sinne des Wortes entrollte, und selbst die Excellenz Mama vergaß auf kurze Zeit ihren Kummer. Asta und Trudi standen Arm in Arm an der Hecke, die den Kaffeegarten umschließt, und tauschten bald laut, bald flüsternd ihre Bemerkungen aus.
Da erschienen als Vortrab einige reitende Kommis, reiche Kaufmannssöhne und Patentfexe vom reinsten Wasser. Dann folgten in zahllosen Droschken und eignen Fuhrwerken die Familiengruppen, welche weniger aus Sportbegeisterung, als weil es zum vornehmen Stil gehört, die Rennen besuchten; höhere Staatsbeamte mit Gattin und Töchtern in etwas steifer Haltung, jüdische Kommerzienräte, welche die gelben oder blauen Eintrittskarten auf den weißen Westen flattern ließen, die sich mit erbaulicher Glätte dem stattlichen Embonpoint anschmiegten, und welche mit behaglichem Schmunzeln die elegante Welt umher einzuladen schienen, doch ja ein Auge zu haben auf die exotische Farbenpracht der glutäugigen Schönen, die sich mit ihnen auf den weichen Polstern der lautlos dahinschwebenden Landauer wiegten; zahlreiche Wagenladungen voll junger Herren in unanständig kurzen Paletots und auffallend gemusterten Beinkleidern, oder auch voll extrafeiner Gardeeinjährigen. Dann weiter ältere Stabsoffiziere mit unansehnlichen, einfachen Gattinnen und den hoffnungsvollen Kadettlein auf dem Rücksitz. Geschminkte Dämchen mit durchsichtig blassen Wangen und glänzenden Augen, in extravaganten Toiletten, unfehlbar zu zweien daherfahrend, zum Teil in zweifelhaft aussehenden Kaleschen mit mürrisch dreinschauenden älteren Kutschern; manche schier erdrückt von wahrhaft monströsen Hüten, zu deren Befiederung mindestens je ein halber Vogel Strauß verbraucht worden war. Bescheidene Infanterie- und Artillerieoffiziere in Droschken, oft zu fünfen. Einzelne hocharistokratische Greise in grauen Cylindern und untadelhaften Glacés, mit fürstlicher Grazie zurückgelehnt. Kremser voll johlender Lehmanns, Piefkes und Zademaks aus Berlin S., O. oder N. Und auch in eigner Equipage so mancher Bäcker- und Schlächtermeister mit arg pomadisiertem Sonntagshaar, die schmelzbestickte, aber stets verräterisch stillose »Olle« an der Seite. Nun erst wurden die eigentlichen Sportsleute zahlreicher bemerkt; da diese es mit der Abfahrt nicht so eilig, sondern meist noch mit Kauf und Verkauf von Pferden, Wettberichtigungen und dergleichen zu thun zu haben pflegen. Ah! Oh! Die flinken Trabergespanne, die ängstlich wippenden Gigs, Tandems, Tilburys und wie all die zweiräderigen Spezialitäten heißen mögen!
»Sieh doch, Trudi, der Graf Witzenburg kutschiert jetzt auch Tandem,« sagte Asta. »Ob das noch dieselben Rappen sind, mit denen er uns damals gefahren hat?«
Eine hohe, gelbe Stagecoache, von einem prachtvollen Viergespann gezogen, rollte vorüber. Die Diener saßen im geschlossenen Coupé, die Damen auf dem hohen Dach bei den Herren, lauter Gardekavalleristen. Die Lersens kannten einige der Offiziere.
»Sieh 'mal, da ist der kleine Lasa,« rief Trudi. »Der hat sich ja inzwischen auch verheiratet. Ob die dürre Amazone, mit der er da spricht, seine Frau ist?«
Asta hatte im stillen auch schon die Bemerkung gemacht, daß die hübschesten, elegantesten Offiziere so ganz reizlose, wenn nicht gar garstige Frauen an ihrer Seite hatten. Ja, die bösen Schulden und das schöne Geld! Sie kannte den fatalen Lieutenantsroman recht gut. Und nach so langer Abwesenheit von dieser glänzenden Welt fiel es ihr heute auch recht unangenehm auf, daß gerade von den hübschen jüngeren Frauen der Gesellschaft so viele in Kleidung und Haltung, sei's absichtlich oder unabsichtlich, jenen paarweise auftretenden Dämchen der Halbwelt erschreckend ähnlich sähen. Und die Excellenz Mama sagte sich, daß ihre Asta gewiß als die vornehmste von allen erschienen wäre, wenn sie plötzlich auch ihre Schwingen ausgebreitet hätte, um stolzen Fluges zwischen diesen flatternden Tagpfauen und nervösen Motten hindurchzuschweben.
»Ist das nicht der Prinz Führingen, der dort den prachtvollen Viererzug lenkt?« wandte sie sich jetzt an Asta. Sie bejahte; und da eben eine Stockung eingetreten war, hielt der Prinz die Peitsche zum Zeichen für die folgenden Wagen empor und parierte sein Fuchsgespann. Er war eine äußerst elegante Erscheinung in solidem Civil. Der dunkle Bart, nach dem neuerdings wieder hochmodernen niederländisch-spanischen Stil zugestutzt, stand ihm vortrefflich und ließ die nicht eben geistvollen, aber edlen Züge noch »distinguierter« erscheinen.
»Mama! Sieh doch!« rief Trudi ziemlich laut. »Da auf dem Dache von Prinz Führingens Coach sitzt ja auch Bodo. Da, er hält das lange Tutrohr in der Hand. Wo der sich auch überall heranschlängelt.«
In diesem Augenblick brach eine Droschke erster Klasse weiter hinten aus der Reihe und fuhr in scharfem Trabe an der festgeklemmten Wagenwand vorüber.
»Das ist ja der Amerikaner vom Bazar!« rief der alte Diedrichsen aus, als der Wagen dem Standorte der Lersens schon ganz nahe war.
Und Hans Diedrichsen setzte hinzu: »Tausend, der scheint aber Glück bei den Damen zu haben! Das ist ja eine höchst pikante Erscheinung an seiner Seite da!«
Asta hatte diese Dame auch gesehen und auf den ersten Blick, einen halb empörten, halb leidenschaftlich zugespitzten Blick – erkannt. »Weißt du, wer das war?« flüsterte sie mit bebenden Lippen der Mutter zu. »Adriane – die Grigori!«
Trudi hatte nichts davon gehört und sagte nun verächtlich: »Du, der hat sich aber rasch getröstet! Wer mag die Person sein? Prinz Führingen grüßte mit der Peitsche, und . . . da, jetzt spricht er zu Bodo hinüber.«
Die beiden Vorderpferde wurden unruhig und der Prinz mußte ihnen seine ganze Aufmerksamkeit widmen. Dann setzte sich der ganze Zug wieder in Bewegung und – ein ander Bild! Ruck um Ruck wie ein Kaleidoskop.
»Ob Bodo uns nicht gesehen hat?« sagte Trudi, beantwortete sich aber die Frage gleich selbst und leise für sich: »Er wird sich hüten und uns sehen!«