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Am anderen Tage hielt Kriminalkommissar Weigand seinem Chef Vortrag. Der Regierungsrat hörte mit Interesse zu und nickte befriedigt. Er billigte alle bisherigen Maßnahmen und stellte dem Kommissar Geldmittel und Hilfskräfte zur Verfügung. Auch das, was Weigand zunächst zu tun beabsichtigte, fand seine Zustimmung, und er war ganz dessen Meinung, daß man äußerst vorsichtig, gewissermaßen Schritt für Schritt vorgehen und jede übereilte Handlung streng vermeiden mußte, um nicht die Hauptakteure des Dramas vor der Zeit aufzuschrecken. Man durfte sie vorderhand noch nicht stören, um ihnen nicht die Zeit zu geben, die Beweismittel des Verbrechens zu beseitigen und sich selbst in Sicherheit zu bringen. Nein, es mußte immer das Endziel im Auge behalten werden, die Werkstätte der Falschmünzer aufzuspüren und der Hauptverbrecher und ihrer Werkzeuge habhaft zu werden.
Unmittelbar nach der Unterredung mit seinem Chef schritt Weigand zur Verhaftung der drei ihm von Barth genannten Mitschuldigen: des Schmidt und der beiden Möller, Vater und Sohn. Am liebsten hätte er ja die Verhaftung noch hinausgeschoben, aber er sagte sich, daß die Staatsanwaltschaft, der er das mit Barth aufgenommene Protokoll ja hatte einreichen müssen, die Inhaftnahme der drei an der Verausgabung des Falschgeldes Beteiligten doch angeordnet hätte. Er hoffte aber, daß diese Maßnahme ihm keinen Schaden bei der weiteren Aufhellung des Verbrechens verursachen würde; denn die drei waren jedenfalls wie Barth von untergeordneter Bedeutung und die Kunde von ihrer Verhaftung würde kaum bis zu den Urhebern und Teilern des Falschmünzerverbrechens gelangen.
Die Haussuchung in der Schmidtschen und in der Möllerschen Wohnung ergab nichts Belastendes. Nur bei Schmidt wurde eine kleinere Anzahl von falschen Fünfmarkscheinen gefunden, das war alles. Daß Schmidt die falschen Scheine von Barth erhalten hatte, wußte Weigand bereits und der Verhaftete bestritt diese Tatsache auch weiter nicht. Die beiden Möller waren schwieriger zu behandeln. Aus ihnen war zunächst nichts herauszubringen und sie hatten das Falschgeld, falls sie solches noch besaßen, so schlau zu verstecken gewußt, daß die Beamten es nicht fanden. Beide leugneten jede Teilnahme an dem Verbrechen und jede Mitwisserschaft, und erklärten Barths Angaben für Lüge und Schwindel. Wer weiß, von wem er das falsche Geld erhalten hätte!
Natürlich gab sich der Kommissar mit diesen Angaben nicht zufrieden und sandte noch an demselben Tage eine Anzahl von Schutzleuten aus, um Personalbeschreibungen der Verausgeber falscher Scheine von all den geschädigten Geschäftsleuten einzufordern, die solche angemeldet hatten. Diejenigen Geschäftsinhaber, die auf Möller, Vater und Sohn, passende Beschreibungen gegeben hatten, wurden nach dem Büro des Kommissars bestellt und hier mit den Verhafteten konfrontiert. Beide Möller wurden von mehreren Geschäftsleuten mit voller Bestimmtheit als die Verausgeber der falschen Fünfmarkscheine rekognosziert. Der alte Möller blieb trotzdem bei seinem Leugnen und erwiderte höhnisch, die Zeugen wollen sich nur wichtig machen, und wenn ihnen ein anderer gegenübergestellt würde, würden sie auch den »wiedererkannt« haben. Es könne ja jeder kommen und behaupten, er habe das und das verbrochen; es sollte mal erst bewiesen werden, daß er wirklich der Schuldige sei.
Der junge Möller aber war noch nicht so im Kampfe ums Dasein gehärtet und abgestumpft. In ihm war noch Scham und Ehrgefühl zurückgeblieben.
Nun ja, er gebe es zu, er habe sich verleiten lassen, die falschen Scheine zu vertreiben. Was hätte er denn anderes tun sollen? Jeder andere hätte in seiner Lage nicht anders gehandelt. Wenn einer monatelang ohne Arbeit sei und die eigenen Eltern einem fortwährend in den Ohren lägen, Geld zu schaffen, und einem mit dem Hinauswerfen drohten, dann müßte man ja von Stein und ohne jedes Gefühl sein, wenn man nicht schließlich mürbe würde und der Versuchung, die sich einem listig näherte, nachgäbe. Was er getan, habe er in der Verzweiflung getan und es läge eigentlich Notwehr vor – Notwehr gegen Hunger und Elend, die ihn straffrei machen müsse.
Wenn der Kommissar nun auch zu dieser eigenartigen Beweisführung der Schuldlosigkeit des jungen Verbrechers lächelte und sie nicht gelten lassen wollte, so erklärte er jedoch, daß dieser Umstand allerdings als Milderungsgrund geltend gemacht werden könnte. Auf sein freundliches Zureden erklärte sich Hermann Möller schließlich zu einem offenen, rückhaltlosen Geständnis bereit. Die falschen Fünfmarkscheine habe er von einem Mann erhalten, von dem er im übrigen nichts wisse. Mit diesem Manne pflegte er sich von Zeit zu Zeit, jedoch nur auf bestimmte Verabredung, auf der Königs-Chaussee zu treffen, in der Gegend der Belforter Straße, und bei dieser Gelegenheit rechneten sie dann ab und empfing er neue Scheine.
Das klang alles sehr unbestimmt und wenig glaubwürdig.
Drohend erhob der Kommissar den Finger.
»Möller, machen Sie mir doch keinen blauen Dunst vor! Das Märchen von dem großen Unbekannten ist nun doch schon zu abgebraucht – da hätten Sie schon etwas besseres erfinden sollen. Also mal heraus mit der Wahrheit! Warum wollen Sie Ihren Verführer schonen? Wie heißt der Mann?«
Aber der Verhaftete zuckte mit den Schultern.
»Und wenn Sie mich gleich totschlagen, Herr Kommissar: ich weiß es nicht. Ich habe ihn nur in einer Kneipe, bei Schindler in der Straßburger Straße, kennengelernt. Seinen Namen kenne ich nicht, und was er sonst ist, wo er wohnt usw., davon habe ich ebenfalls keinen Schimmer. Wenn ich mal gelegentlich eine Frage danach tat, hat er sie überhört, das heißt, mit Absicht, und hat dabei die Stirn kraus gezogen. Nur einmal, als ich hartnäckig war und meine Frage wiederholte, gab er mir Antwort: Mein Lieber, sagte er zu mir, es ist für uns beide besser, wir wissen von einander so wenig als möglich. Da habe ich dann meine Neugier gebändigt, was blieb mir auch weiter übrig? Mich hatte er ja freilich gründlich ausgeholt, bevor er mir den ersten falschen Schein zu sehen gab; aber er war natürlich schlauer als ich. Und hatte er nicht recht gehabt? Wenn er mir seinen Namen gesagt hätte, ich würde ihn Ihnen wahrhaftig verraten haben.«
Kommissar Weigand war halb überzeugt. Der junge Mann sah ihn mit seinen blauen, nicht unintelligent blickenden Augen, so offen und fest an, und es war ja auch kein Grund zu sehen, warum er den Andern schonen sollte, nun, da er selber bereits gefaßt war. Es war ja nach seinen kriminalistischen Erfahrungen die Regel, daß Anfänger auf der Verbrecherlaufbahn ihre Mitschuldigen, und besonders ihre Verführer, ohne weiteres, ja, mit einer gewissen Beflissenheit und Genugtuung anzugeben pflegten. Nur ganz routinierte, gewerbsmäßige Verbrecher bewiesen gegeneinander nicht selten einen gewissen Korpsgeist.
Daß Möller aber noch völlig unbescholten und noch nicht mit dem Strafgesetz in Kollision gekommen war, hatte der Kommissar beim Revierbüro bereits feststellen lassen.
»Aber Sie können mir doch eine Beschreibung von dem Unbekannten geben, Möller?« fragte der Beamte weiter.
»Jawohl. Er mag etwa 4O Jahre alt sein. Ein kräftiger, untersetzter Mann, mittelgroß, mit blondem, kurz geschnittenem Haar und starkem Schnurrbart, an den Enden herunterhängend.«
»Und wie war er gekleidet? Reduziert?«
»Nein, gar nicht. Er trug einen dunklen Jakettanzug, einen neuen blauen Überzieher mit Samtkragen und einen niedrigen, steifen Filzhut.«
»Also den Namen wissen Sie wirklich nicht, Möller?«
Der Kommissar heftete einen eindringlichen Blick auf den ihm Gegenüberstehenden.
»Überlegen Sie sich's noch einmal genau, Möller!«
Doch der junge Mann besann sich nicht einen Augenblick. Er legte mit einer impulsiven Geste seine rechte Hand auf die linke Brustseite.
»Den kenne ich nicht, Herr Kommissar, so wahr ich ein verlorener, unglücklicher Mensch bin.«
Er erging sich nicht weiter in Reden und Beteuerungen, er weinte nicht, wie es Barth getan hatte; über sein Gesicht war ein Hauch tiefer Melancholie gebreitet und in seinen Mienen und in seiner ganzen Haltung prägte sich Verzagtheit und Trauer aus. Sein späteres, trauriges Ende bewies, daß noch ein Rest von Ehrgefühl in ihm war, daß die Schuld an seinem Fehltritt wohl mehr der Ungunst der Verhältnisse und der Einwirkung seiner Eltern zuzuschreiben war, als einer besonderen Charakteranlage.
»Gut, ich glaube Ihnen –« versetzte der Beamte freundlich. »Sie wissen also nicht, wo der Unbekannte wohnt?«
»Nein, Herr Kommissar; aber ich habe ihn wiederholt aus der Saarbrücker Straße herauskommen sehen, wenn ich auf ihn wartete und auf der Königs-Chaussee hin- und herging.«
Der Kommissar machte sich eine Notiz.
»Sie trafen sich also nie auf Verabredung an bestimmten Tagen?«
»Nein, Herr Kommissar. Wenn ich ihn fragte, wann soll ich wieder neue Scheine holen? – antwortete er immer: Wenn sie alle sind – oder in ein paar Tagen.«
Auch diese Angabe, an deren Richtigkeit der Kommissar keinen Augenblick zweifelte, konnte als Beweis gelten, daß der Unbekannte kein Neuling war, wie sein verhafteter Mitschuldiger, sondern daß er erfahren und schlau alle Eventualitäten erwog und mit großer Vorsicht seine Handlungsweise demnach einrichtete.
Das Nächste, was nach diesen dürftigen Aussagen zu tun blieb, war, Nachforschungen in der Saarbrücker Straße anzustellen. Zum Glück war es nur eine kleine Straße mit etwa 50 Häusern. Dennoch war es eine mühselige und zeitraubende Arbeit, jede der großen vierstöckigen Mietskasernen mit den Seitenflügeln und Hinterhäusern abzusuchen. Aber es war der einzige Anhalt, der wenigstens die Möglichkeit bot, die Spur des Unbekannten, auf dessen Bekanntschaft Weigand sehr begierig war, zu finden. Der Kommissar verteilte also seine Leute auf die verschiedenen Häuser und diese ließen sich von den Hausbesitzern oder den Vizewirten die Liste der Mieter vorlegen und ihre Personalbeschreibung geben. Er selbst beteiligte sich an den Nachforschungen, gebrauchte aber dabei die Vorsicht, in die einzelnen Mietswohnungen zu gehen, und zwar zu Tagesstunden, wo die Männer ihrem Berufe nachgingen. Er erkundigte sich nach irgend einer fingierten Persönlichkeit und verwickelte die redseligen Frauen in längere Gespräche, wobei er mit Leichtigkeit, ohne daß die Geschwätzigen es merkten, die Signalements der übrigen Mieter des Hauses aus ihnen herauslockte.
Auf diese Weise stieß er endlich auf eine Persönlichkeit, die vielleicht in Betracht kommen konnte. Wenigstens entsprach die Beschreibung, die ihm Hermann Möller gegeben hatte, ziemlich genau dem Signalement, das er von einer der Frauen des betreffenden Hauses erhalten hatte. Es war ein Handelsmann, namens Kaumann, der im Hinterhause wohnte, über den die Frau aber keine weiteren Angaben zu machen wußte, als daß er ziemlich viel außer dem Hause war. Allzu angelegentlich und auffällig durfte der Beamte natürlich nicht fragen, um nicht die Aufmerksamkeit der Frau zu erregen und sie vielleicht zu veranlassen, Kaumann davon Mitteilung zu machen.
Aber sein Interesse für den Unbekannten fachte sich nicht wenig an, als Weigand bei seinen Nachfragen auf dem Polizeirevier erfuhr, daß Kaumann ein vorbestrafter Mensch war. Und als er seine Strafakten einsah, ergab sich, daß er in Kaumann einen alten Bekannten zu begrüßen hatte, mit dem er schon wiederholt amtlich in Berührung gekommen war. Freilich, an einem Münzverbrechen war Kaumann noch nicht beteiligt gewesen, und es war auch nicht der mindeste Umstand vorhanden, der etwa darauf hindeutete, daß dieser nunmehr bekannte »Unbekannte« des jungen Möller je mit Lomnitz verkehrt oder überhaupt in Berührung gekommen war.
Weigand stellte nun sofort zwei seiner geschicktesten Unterbeamten an, die den Kaumann genau beobachten sollten. Zufällig befand sich gerade gegenüber dem zu beobachtenden Hause ein Schanklokal, was die Observationen bedeutend erleichterte. Der eine Beamte mußte sich fast den ganzen Tag in dem Lokal aufhalten und das Haus unausgesetzt im Auge haben, um sich die Leute anzusehen, die das Haus betraten und ihnen eventuell, wenn sie etwas Verdächtiges an sich hatten, nachzuschleichen. Der andere Beamte aber hatte die Aufgabe, dem Kaumann, sobald er das Haus verließ, überallhin zu folgen. Der Kommissar stattete selbst in Begleitung eines seiner Leute in der Dämmerstunde der Königs-Chaussee täglich Besuch ab. Es war wohl vorauszusehen, daß Kaumann auch noch an andere Personen die falschen Geldscheine weitergab; freilich war kaum anzunehmen, daß er so unvorsichtig sein würde, sie alle nach demselben Rendezvousort zu bestellen. Um nicht an der angegebenen Stelle in der Nähe der Saarbrücker Straße, unweit der Bötzelschen Brauerei, aufzufallen, nahmen der Kommissar und sein Begleiter oft Verkleidungen vor.
Einmal kostümierten sie sich als Bierkutscher, ein andermal als Dienstmänner und ein drittes Mal sogar als Pennbrüder. In dieser Maske legten sie sich in den Chausseegraben, holten Brot und Wurst hervor, um anscheinend ihr Vesperbrot zu verzehren und unterließen, getreu dem Charakter ihrer Rolle, nicht, die Schnapsflasche von einem zum andern wandern zu lassen.
Ein paarmal fuhr Weigand auch mit einer geschlossenen Droschke an der Stelle, wo die Saarbrücker Straße in die Königs-Chaussee mündet, langsam vorüber und ließ ein paar Schritte davon halten, emsig und vorsichtig spähend. So vergingen anderthalb Wochen ohne jedes Resultat. Der Kommissar mußte daraus wohl schließen, daß Kaumann die Verhaftung seines Spießgesellen Möller in Erfahrung gebracht hatte und sich nun hütete, die Rendezvousstelle, an der ihn Hermann Möller zu erwarten pflegte, zu betreten. Vielleicht ahnte er sogar, daß er beobachtet würde und hatte deshalb die Verausgabung der falschen Geldscheine vorläufig ganz eingestellt. Eine andere Möglichkeit aber war noch vorhanden, nämlich die, daß man überhaupt auf einer falschen Fährte war, und daß die Ähnlichkeit des Signalements auf einem Zufall beruhte, und daß Kaumann mit den Münzverbrechern überhaupt nichts zu tun hatte. Freilich, diese letztere Erklärung des Mißerfolges schien dem Kommissar wenig zutreffend, denn die Beobachtung des Kaumann hatte ergeben, daß er zurzeit keinerlei Erwerb betrieb und dennoch gut lebte.
Der energische, tatenlustige Kriminalbeamte beschloß, keine Zeit weiter zu verlieren, sondern zum Angriff vorzugehen und direkte Verbindung mit Kaumann anzuknüpfen.
Mit dieser wichtigen Aufgabe, von der der weitere Erfolg abhing, betraute der Kommissar seinen Polizeiagenten Feldau. Der war zwar noch ein sehr junger Mann und erst seit kurzem im Dienst der Kriminalpolizei, aber er hatte bereits Proben einer außergewöhnlichen Kombinationsgabe und einer großen Geschicklichkeit abgelegt.