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Dreizehntes Kapitel.

Ein unerwarteter Zwischenfall

An einem der nächsten Morgen sahen zwei Landleute, die mit Gemüsewagen nach der Stadt fuhren, auf dem freien Felde unweit der Chaussee einen Mann liegen. Einer der zum Markt Fahrenden stieg ab, um sich zu überzeugen, ob hier ein Unglücksfall oder ein Verbrechen vorliege, oder ob es sich um einen Schlafenden handelte. Seine heftigen Gebärden, seine Rufe, bewiesen bald, daß etwas Entsetzliches geschehen sein mußte. Die neugierig Herbeieilenden stellten nun gemeinsam fest, daß hier ganz offenbar ein Mord verübt worden war. Der Tote war über und über mit Blut besudelt, das aus einer Wunde in der Herzgegend geflossen war. Neben dem Toten lag ein dolchartiges Messer.

Auf dem nächsten Polizeirevier-Büro, an dem der Weg der zur Markthalle Fahrenden vorüberführte, wurde die Anzeige erstattet, die telefonisch sofort an das Polizeipräsidium weitergegeben wurde.

Die sogenannte Mordkommission, die aus dem Chef der Kriminalpolizei, zwei Kommissaren, darunter Weigand, einem Kriminalwachtmeister und dem Polizeiarzt bestand, begab sich flugs nach der Mordstelle. Auch der Staatsanwalt und der Untersuchungsrichter stellte sich bald darauf ein.

Weigand hatte, bevor er aufbrach, einer plötzlichen Eingebung folgend, einen Kriminalbeamten nach der Belforter Straße gesandt, um Feldau den Befehl zu überbringen, sofort nach der bezeichneten Stelle an der Königschaussee zu kommen.

Der Kommissar selber war nicht wenig erstaunt, als er in dem Toten einen alten Bekannten rekognoszierte, seinen ehemaligen Vigilanten Kerner, den »Assessor«.

Er erinnerte sich der Angaben, die ihm Feldau über Kerner, dessen Besuch bei Spangenberg, seiner Teilnahme an dem Harsardspiel der Bäcker und der Verausgabung eines falschen Fünfmarkscheins gemacht hatte.

Nun lag Kerner leblos, starr, offenbar das Opfer eines Meuchelmörders, vor ihm. So hatte also der ehemalige Zuchthäusler geendet, der eine Reihe von Verbrechen und sonstigen gemeinen Handlungen, darunter den Verrat seines Freundes Licht, auf dem Gewissen hatte!

Wer konnte der Täter sein? War es vielleicht Licht, der bei einer günstigen Gelegenheit Rache genommen hatte? Aber nein, der büßte ja noch die Zuchthausstrafe ab, zu der er wegen des Einbruchs im Pelzgeschäft verurteilt worden war.

Kommissar Weigand gab über die Identität des Ermordeten Auskunft, ohne jedoch von dessen Teilnahme an, dem noch immer nicht genügend aufgeklärten Münzverbrechen zu berichten. Er gab auch seiner Vermutung Ausdruck, daß der Mörder aller Wahrscheinlichkeit nach in Verbrecherkreisen, unter den Freunden des Kerner, zu suchen sein würde. Sicherlich handelte es sich um einen Racheakt oder um einen Streit, in dessen Verlauf es zu Tätlichkeiten gekommen war. Auffallend war, daß das Mordinstrument kein gewöhnliches Messer, sondern eine elegante Waffe war aus damasziniertem Stahl und mit einem mit Silber ausgelegten Griff. Noch mehr frappierte es die Untersuchenden, daß sich in des Toten Hosentasche ein Portemonnaie mit über sechs Mark vorfand. Diese Tatsache konnte wohl als Beweis dafür angesehen werden, daß Weigands Vermutung, Rachegelüst oder Streit sei die Ursache des Mordes gewesen, zutreffend war. Immerhin erschien es merkwürdig, daß der Genosse des ehemaligen Zuchthäuslers nicht, wie einer der Herren scherzend bemerkte, das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden und dem Ermordeten nach geschehener Tat die Taschen visitiert hatte.

War der Mörder vielleicht hinterher über seine Tat entsetzt gewesen, daß er in der Aufregung an eine Plünderung seines Opfers nicht gedacht hatte? Oder hatte er es verschmäht, dem Toten die Taschen nach Beute zu durchsuchen? Im übrigen lag der Fall einfach. Außer ein paar Schlüsseln, einem Taschentuch und einem Taschenmesser wurde bei dem Toten nichts vorgefunden. Das Mordinstrument wurde von dem Untersuchungsrichter beschlagnahmt.

Die Herren waren eben im Begriff, die Mordstelle zu verlassen, als Feldau quer über das Feld herankam. Er meldete sich bei seinem Vorgesetzten, dann, einen Blick auf den Toten werfend, ließ er einen halb unterdrückten Ruf der Überraschung hören. Der Untersuchungsrichter, der von Weigand über die Persönlichkeit seines Polizeiagenten kurz aufgeklärt worden war, näherte sich Feldau.

»Sie kennen den Toten?«

»Jawohl, Herr Landgerichtsrat.«

»Was wissen Sie von ihm?«

»Ich habe ihn im Verdacht gehabt, falsches Geld verausgabt zu haben, habe Herrn Kommissar Weigand darüber Mitteilung erstattet; als er aber verhaftet werden sollte, war er plötzlich verschwunden.«

»Und Sie haben inzwischen nichts von ihm gehört?«

»Nein, Herr Landgerichtsrat.«

»Haben Sie auf irgend jemand Verdacht?«

Die Blicke des Fragenden ruhten interessiert auf dem ihm Gegenüberstehenden.

Feldau zögerte ein paar Sekunden mit der Antwort und schien nachzudenken. Für einen kurzen Moment richteten sich seine Augen auf den hinter dem Untersuchungsrichter stehenden Kommissar. Dann kam die kurze, knappe Antwort: »Nein, Herr Landgerichtsrat.«

Zuletzt beugte sich der Polizeiagent, während die übrigen Herren noch ein paar letzte Worte mit einander wechselten, über die Leiche und ließ seine Blicke forschend auf dem Erdboden haften. Plötzlich bückte er sich, hob etwas Glitzerndes auf und betrachtete es, während ein Aufleuchten über sein Gesicht ging, angelegentlich.

»Was haben Sie da?« fragte Weigand, der ihn beobachtet hatte, näher herantretend.

Der Polizeiagent erwiderte nichts, sondern reichte seinem Vorgesetzten das Gefundene. Es war eine elegante, kostbare Krawattennadel, ein Herz aus einem Rubin, das mit Diamantsplittern umgeben war. Staunend blickte der Kommissar auf das funkelnde Schmuckstück, schüttelte verwundert mit dem Kopf und zuckte verständnislos mit den Schultern. Interessiert traten die übrigen Herren, die auf den Vorgang aufmerksam geworden waren, hinzu. Lebhafte Ausrufe und Bemerkungen wurden laut.

»Wie kommt der arme Teufel zu solch einem Wertstück? Es war sicherlich nicht sein Eigentum!«

Allerdings, wenn man auf den ärmlich und nachlässig gekleideten Körper des Ermordeten blickte und dann die kostbare Krawattennadel in Augenschein nahm, mußte man die Annahme, daß beides zusammengehört haben könnte, weit von sich weisen.

»Wahrscheinlich war das Ding Eigentum des Mörders und er hat es bei der Tat verloren –« äußerte einer der Herren.

Ein anderer aber schüttelte zweifelnd mit dem Kopf.

»Der wird sich doch kaum in besseren Umständen befunden haben, als sein Opfer, und sicherlich nicht eine Krawattennadel von solchem Wert getragen haben.«

»Was meinen Sie, Weigand?« wandte sich der Chef der Kriminalpolizei an den Kommissar.

»Allem Anschein nach gehörte die Nadel zu einer Diebesbeute, die die beiden zwischen sich geteilt haben. Dabei ist es dann wohl zu dem Streit gekommen, der für den einen den tödlichen Ausgang genommen hat. Der Mörder mag bei dem Kampf die Nadel verloren und nachher nicht wiedergefunden haben.«

Der Chef nickte beipflichtend und die Herren verließen das Feld, nachdem der Untersuchungsrichter auch dieses neue Beweisstück zu sich gesteckt hatte, und kehrten zu den auf der Chaussee haltenden Autodroschken zurück. Weigand nahm indes seinen Polizeiagenten zur Seite.

»Sie haben noch etwas, Feldau,« sagte er, den neben ihm Schreitenden mit durchdringendem Blick anschauend. »Ich sehe es Ihnen an.«

»Ich glaube den Mörder zu kennen, Herr Kommissar,« versetzte der Gefragte mit halblauter Stimme.

»Ah! ... Also?«

»Spangenberg, Herr Kommissar! –«

Weigand blieb überrascht, erstaunt stehen.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Die Krawattennadel ist Spangenbergs Eigentum.«

»Ah! ... Und Sie irren sich auch nicht, Feldau?«

»Nein, Herr Kommissar. Eine solche Nadel sieht man doch nicht alle Tage. Übrigens kann auch meine Braut, der die Nadel auch bei Spangenberg aufgefallen war, meine Angabe bestätigen.«

Der Kommissar nickte befriedigt.

»Dann wollen wir doch gleich –« er war im Begriff, dem Untersuchungsrichter nachzueilen, als ihn der Polizeiagent zurückhielt.

»Herr Kommissar! –«

Weigand drehte sich zu dem Rufenden um.

»Was denn?« ... Ach so! Allerdings!«

Er hielt seine Schritte an und ging langsam, überlegend, an Feldaus Seite weiter.

»Dann wird Spangenberg verhaftet, und wir haben damit die Möglichkeit, durch ihn zu dem Falschmünzer und seiner Werkstätte zu gelangen, verloren ... Also schweigen! Übrigens handelt es sich doch bei Ihnen nur um eine Vermutung. Also, wie gesagt: Schweigen wir vorläufig davon! Und nehmen wir von nun an Spangenberg in eine schärfere Observation. Ich werde Ihnen noch einen Beamten beigeben ... A propos, wie lange haben Sie denn Spangenberg gestern beobachtet?«

Der Polizeiagent schlug betreten die Augen nieder, und ein Ausdruck der Verlegenheit huschte über sein Gesicht.

»Bis halb neun Uhr, Herr Kommissar,« antwortete er kleinlaut.

»Nur bis halb neun?« fragte Weigand scharf zurück.

»Meine Braut ist krank, und da bin ich denn noch des Abends zu ihr gegangen, um zu hören, wie es ihr ginge, Spangenberg war um acht Uhr aus einem Restaurant nach Hause gekommen. Um halb neun wurde es dunkel in seinem Zimmer, und da nahm ich an, daß er bei seinem Schwager in der Familie wäre und nicht mehr ausgehen würde. Zu so später Zeit konnte ich auch nicht annehmen, daß er noch Besuch bekommen würde und so –«

»Es ist gut,« unterbrach der Kommissar. »Also Spangenberg wird von jetzt ab nicht eine Sekunde lang aus den Augen gelassen. Sie dürfen Ihren Posten nicht verlassen, bevor Sie Ablösung erhalten haben. Verstanden?«

»Sehr wohl, Herr Kommissar.«

In derselben Nacht sah Feldau, der in der Nähe des Hauses in der Belforter Straße in der Kleidung eines Strolches patrouillierte, wie sich – es war in der zwölften Stunde – die Haustür öffnete und wie Spangenbergs hohe, hagere Gestalt auf die Straße schlüpfte. Der Verbrecher blieb eine Weile abwartend im Hausflur stehen und lauschte auf die Straße hinaus. Ein halb Betrunkener torkelte vorüber, ein Ehepaar kam von der Weißenburger Straße her – der Verbrecher wartete, bis die bei ihm Vorübergehenden in ihren Häusern verschwunden waren.

Feldau stand in einem der gegenüberliegenden Häuser eng an die Seitenwand des Eingangs gedrückt, und beobachtete jede Bewegung des abwartend Stehenden. Jetzt setzte sich Spangenberg in Bewegung. Feldau folgte in einiger Entfernung auf dem gegenüberliegenden Trottoir. Aber so behutsam er auch auftrat, des Verbrechers scharfes, argwöhnisches Gehör vernahm die ihm nachhuschenden Schritte. Plötzlich blieb er stehen und drehte sich um, nach dem näherkommenden Strolch hinüberblickend. Offenbar hatte er die Absicht, den Herankommenden vorüberzulassen, bevor er seinen Weg fortsetzte.

Dem Polizeiagenten blieb nichts übrig, wollte er nicht den Verdacht des Verbrechers erregen und diesen zur Rückkehr in seine Wohnung veranlassen, als auf der anderen Seite der Straße den immer noch Wartenden zu überholen und in die nächste Querstraße einzubiegen. Hier langsam weiter schlendernd, vernahm er, wie Spangenberg endlich seinen Weg fortsetzte. Nach einer Weile schlich sich der Pseudostrolch zur Straßenecke zurück und lugte nach dem Verbrecher aus. Dieser schritt die Straße hinab, die in die Königs-Allee mündete.

Feldau glaubte erraten zu können, wohin Spangenbergs Weg führte. Ihm nachzugehen war unmöglich, denn er bemerkte wohl, daß der Verbrecher alle paar Schritte stehen blieb und lauschend nach rückwärts schaute. Kurz entschlossen kehrte Feldau in die Nebenstraße zurück und hier eilte er im Laufschritt weiter. Einige hundert Schritt vor der Belforter Straße betrat er die Königs-Allee, die fünf Minuten später sich zur Chaussee erweiterte.

Spangenberg mußte wohl sehr langsam gegangen sein, denn seine hohe, weit sichtbare Gestalt zeigte sich noch nicht, und so konnte der Polizeiagent ungesehen den Chausseegraben erreichen. Hier duckte er sich und lief so in gebückter Haltung, von dunkler Nacht umgeben weiter. An der Mordstelle vorbei lief er noch etwa hundert Schritt vorüber, um hier in hockender Stellung die Annäherung Spangenbergs zu erwarten.

Es dauerte nicht lange, als er vorsichtig lugend, die unverkennbare Gestalt des Verbrechers auf der Chaussee daherkommen sah. Er hatte jetzt, wo weit und breit kein Geräusch zu hören war und eine Verfolgung nicht zu befürchten schien, eine schnellere Gangart angeschlagen. Auf der Höhe der Mordstelle angelangt, bog er von der Chaussee ab, übersprang den Graben und trat auf das freie Feld hinaus.

Feldau fühlte, wie ihm das Herz gegen die Rippen pochte. War es die fieberhafte Spannung, die in ihm glühte, war es das Bewußtsein der großen Gefahr, in der er schwebte?

Er sah, wie Spangenberg eine elektrische Taschenlampe hervorzog und mit Hilfe derselben den Erdboden absuchte. Gewiß hatte er den Verlust seiner kostbaren Krawattennadel wahrgenommen, und nun hatte er die Nacht abgewartet, um ihrer ungesehen wieder habhaft zu werden. Der Polizeiagent lächelte höhnisch und mit Genugtuung vor sich hin. Da konnte er lange suchen. Die Nadel war in sicherem Gewahrsam und würde, wenn die Zeit gekommen war, den Verbrecher des von ihm begangenen Mordes überführen.

Spangenberg suchte noch immer emsig. Der von einer Stelle zur andern hüpfende Lichtpunkt erweckte hier, auf dem einsamen, dunklen Felde, den Eindruck, als ob Leuchtkäfer hin- und herschwirrten. Jetzt trat der Mörder an den Leichnam seines Opfers heran. Dem Lauscher war es, als ob er Stöhnen vernahm. Quälten den hartgesottenen Verbrecher Gewissensbisse? Aber Feldau mußte sich wohl geirrt haben, denn im nächsten Moment vernahm er die Stimme des Mörders, der zweimal, mit deutlich erkennbarem Haß, die Verwünschung ausstieß: »Schuft!«

Feldau richtete sich höher empor und in der fieberhaften Spannung, die die interessante, nächtliche Szene in ihm erzeugte, vergaß er für einen Moment die gebotene Vorsicht. Bei seiner lebhaften Bewegung rollte einer der am Rande der Chaussee aufgeschichteten Steine in den Graben. Sogleich fuhr Spangenberg in die Höhe. Das Licht der Taschenlaterne verschwand plötzlich und eine merklich zitternde Stimme rief nach der Chaussee hin: »Wer ist da?«

Feldau verhielt sich natürlich mäuschenstill und biß sich, ärgerlich über sich selbst, auf die Lippen; in peinlicher Spannung erwartete er das Weitere.

Spangenberg machte ein paar hastige Schritte in der Richtung der Chaussee, blieb etwa zwanzig Schritte vom Graben stehen und ließ seine Stimme, diesmal fester und energischer, ertönen:

»Ist da jemand?«

Feldau verharrte lautlos, die Lippen entschlossen aufeinander gepreßt, die Augen auf die dunklen Umrisse der straff emporgereckten Gestalt des Verbrechers gerichtet, in der Hand den rasch aus der Tasche gezogenen Revolver. Er wußte wohl, daß, wenn der Mörder ihn entdeckte, es zu einem Kampf auf Tod und Leben kommen würde.

Spangenberg stand eine Minute wie ein Gebild aus Stein und lauschte angestrengt, dann ließ er einen unartikulierten Laut hören, drehte sich um und verschwand eilig in die Dunkelheit des Feldes.

Feldau wartete noch eine Weile, und erst, als die Schritte des davoneilenden Verbrechers verklungen waren, richtete er sich aufatmend in die Höhe, streckte die schmerzenden Glieder und machte sich auf den Heimweg.


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