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Die Erschaffung Adams

Daß es bei der Entstehung der Welt nicht ganz so zugegangen sein kann, wie es in der Schöpfungsgeschichte steht und wir in der Schule lernen mußten, war manchen von uns schon auf der Schule klar, aber die Rücksicht auf den Herrn Pfarrer, der die Details der sieben Tage so ernst nahm wie den Sündenfall gleich danach und alles was sich daraus für uns und ihn an Zukunftsaussichten und Umgangsformen mit dem Guten und Bösen ergab, gebot uns zu schweigen und verwehrte uns, eigenmächtig angemessenere Phantasien über den fernliegenden Gegenstand auszuspinnen. Später lernten wir diese Rücksicht, diesen Takt, durch den Kinder sich oft von Großen unterscheiden, vermissen; in Person und auf dem Papier begegneten uns Stimmen, die unsere stillen Einwände gegen den biblischen Schöpfungsbericht teilten, es aber nicht taktlos fanden, mit schneidender Ironie oder humorlosem Pathos gegen die Rippe Adams anzugehen, aus der Gottvater die Eva schuf, und Tempo oder Reihenfolge des Siebentageplans zu bekritteln.

Solche wissenschaftlich aufgezäumte Kritik, oft von geheimer Rachsucht oder hohler Überheblichkeit befeuert, blieb eigentlich langweilig, da unschöpferisch, und schoß daneben; mit Argumenten und Theorien der Biologie oder Geologie und anderer Fächer kann man einem alten Mythos so phantasievoll wie irgend eine Schöpfungsgeschichte der Inder oder Indianer, Eskimos oder Südseeleute in ihrem schnurrigen Tiefsinn augenscheinlich nicht beikommen, – höchstens den Pastoren und Archimandriten, die immer noch aufs Kanzelpult pochen, »das sollst du für eben so wahr halten, wie den Wetterbericht und die Weltgeschichte!« Aber was besagen Wetterberichte? Was ist Weltgeschichte? –: die goldene Legende der Sieger, die Gedächtnislosigkeit der Überlebenden, Sensationslust der Nachwelt und Langeweile der Schulknaben.

Natürlich ist die Welt anders entstanden, als Zarathustra und die Irokesen, Moses und die Kamtschadalen es sich ausgemalt haben. Wie es dabei zugegangen ist, darüber werden sich die Fachgelehrten erfolgreich streiten, solange wir sie noch haben, wie frühere Zeiten an ihrer Stelle tanzende Medizinmänner, Priesterkönige und Seher hatten, um ihnen zu sagen, wie es eigentlich um alle Vorgänge und Kräfte der Welt und ihre Herkunft bestellt sei. Möglich, daß dabei die Pointe ihrer Schöpfungstheorien gar nicht soweit abliegt vom vielfältigen dunklen Hintersinn der alten Mären und Rhapsodien ursprünglicher Phantasie. Da unsere Gelehrten aber im Streit ihrer Theorien nie an ein Ende kommen werden – das nennt man gottlob den Fortschritt der Wissenschaft, – und sich andererseits aller aktiven Beteiligung unserer laienhaften Wißbegier hinter den Spezialschwierigkeiten ihrer Fächer und Methoden entziehen, bleibt dem Einzelnen, dem an der Schulweisheit des Siebentagewerkes einiges kraus erscheint, nicht anderes übrig, als frei nach dem Muster der Eskimos oder Algonquins seine Phantasie sprechen zu lassen. Freilich kann man nicht gleich auf Anhieb eine blitzneue Schöpfung vom in sich brodelnden Nichts bis zum vielfarbig schimmernden All entwerfen, – das bleibt Göttern und Sehern überlassen, aber man darf sich über Dies und Jenes seine Gedanken machen und kann versuchen, ein paar quere Details richtig zu stellen.

Es wird Zeit, den Frauen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen: Eva war zuerst da. Das Weib ist älter und ursprünglicher als der Mann. Damit das Leben sich fortspinne, bedarf es der Spaltung der Geschlechter so wenig wie etwa der Sprache; diese Spaltung scheint vielmehr nur eine reizvolle Komplikation des Lebensvorganges zu sein, der auch ohne sie durch Teilung und Neubildung fortzuschreiten vermöchte.

Eva war früher als Adam. Sie ahnte nichts von seiner Möglichkeit und verlangte nicht nach ihm; auch Gottvater dachte nicht daran, dieses komische Geschöpf, den ersten Mann, zu schaffen. Eva war die Krone seiner Schöpfung; auf sie war es angelegt im liebenden Vaterherzen des alternden Junggesellen, auf sie fiel sein strahlend selbstzufriedener Blick, als er am ersten Weekend, sich die Schöpferhände reibend, durch seinen Garten wandelte, – und sie bereitete ihm den ersten Kummer.

Eva langweilte sich und verhehlte es nicht. Schwindeln lag ihrer Natur fern, sie lernte es erst in der Behandlung Adams. Sie langweilte sich, denn diese ganze Schöpfung sagte ihrem naiven Frauenverstand nichts. Wozu so viele verschiedene Bäume? und wozu diese blöden Tiere? warum so unsinnige, groteske Figuren? wie mochte Gott nur darauf gekommen sein, den Giraffen diesen verrückten Hals zu geben, den Fischen aber gar keinen? und der Elefant mit seinem Rüssel: wozu mußte er seine Nase in den Mund stecken!

Sie fand die Schöpfung blöd und verbarg es nicht. Langeweile, wie nur das Gesicht einer schönen Frau sie zeigen kann, stand auf ihren Zügen, als Gottvater sie beifallheischenden verliebten Blickes streifte. Er stutzte und blieb stehen: das hatte er nicht gewollt. Ohne Evas Gefallen war die Schöpfung mißlungen; in ihren Augen sollte sich die Freude der Welt über ihr eigenes Dasein spiegeln. Aber Eva zog auf seine Frage, warum sie so verdrossen blicke, nur eine kleine Lippe. Sie mopste sich, und nichts vermochte sie zu unterhalten.

Gottvater war betreten, – womit konnte er Eva aufheitern? Er fühlte sich am Ende seiner Erfindsamkeit, nachdem er Walfisch und Heuschrecke, Sternenzelt und Blumenwiese wie nichts hervorgebracht hatte. Er stand und grübelte, dann heiterte sich seine Braue auf; er hatte einen Einfall: »Ich will noch etwas schaffen, das wird dich unterhalten.«

Eva blickte ihn ohne viel Zuversicht an, – wollte er einen Elefanten mit Flügeln oder eine Giraffe des Meeres schaffen? Gottvater erriet ihre weibliche Skepsis und verwand den Hieb, der seine selbstverliebte Schöpferphantasie aus ihrem kühlen Blick getroffen hatte; er straffte sich und wiederholte mit Nachdruck: »Ich will etwas schaffen, das dir Freude machen wird. Es wird dir ganz ähnlich sein.« – Evas Züge zeigten keine Aufhellung: wozu sie selber noch einmal? – »Aber«, fuhr der Alte mit einem listigen Schmunzeln fort, »es wird etwas haben, was du nicht hast: oben im Hirn und unten am Leib. Damit wird es spielen und dich unterhalten.«

So schuf Gott den Adam. Eva bemerkte sogleich, daß er ihr sehr ähnlich sei und ein wenig anders: er hatte mehr Hinterkopf und hatte unten am Leibe was sie nicht hatte. Aber sie blieb verdrossen, denn beides schien ihr nicht weiter bemerkenswert.

Bemerkenswert aber war, wie dieser Adam sich angesichts der Schöpfung benahm. Er schien nicht von Evas nüchterner Art; ganz unsachlich breitete er beide Arme in den leuchtenden Himmel und riß die strahlenden Augen auf, je mehr er von der Schönheit der Welt gewahrte. Er lief umher und konnte sich nicht satt sehen, und Eva, die zu diesem merkwürdigen Zwilling eine Art mütterlicher Neigung in sich keimen fühlte, folgte seinen Schritten und sah mit Verwundern, welches Entzücken er Blumen und Sternen, Quelle und Wald bezeigte. Der Anblick der vielen verschiedenen Tiere gar machte ihn ganz toll: fabelhaft diese Giraffe, und phantastisch der Elefant! Gottvater blickte gerührt auf seinen Sohn: so hatte er sich die Freude des Menschen am Wunderwerk seiner Schöpfung vorgestellt. Er erlaubte Adam, den Tieren Namen zu geben, und jetzt setzte eine fieberhafte, enthusiastische Geistestätigkeit im ersten Manne ein: er eignete sich die Tiere, ja die ganze Welt ringsum durch die Sprache zu und gab ihr eine phantasievolle Ordnung mit Worten. Durch Adams Mund erwachte die Welt aus ihrer stummen Schönheit und fing zu sprechen an, ihre Gestalt ward Sinn und sprach auch zu Eva.

Eva war Adams verrücktem Beginnen anfangs mit dem tiefen Mißtrauen und der angeborenen Kühle ihrer Natur gefolgt, aber sein schöner Ernst, die arglose Besessenheit, mit der er ans Werk ging, fesselten sie. Daß er sie selbst über all den Tieren und Geschöpfen gar nicht beachtete, störte sie nicht. Plötzlich aber wandte er sich seiner Begleiterin zu, sah sie leuchtenden Auges an, schien sie jetzt erst zu gewahren, nannte sie, einer reizenden Eingebung folgend, »Eva« und rief, »Eva, – du bist schön!« – Damit war die Schönheit des Weibes in die Welt getreten, und es fuhr wie ein stummer Jubelschauer durch alle Schöpfung. Eva aber stand verdutzt, »Ach geh',« sagte sie, »was redest du da?« Aber Adam blieb bei seiner Behauptung; er wiederholte, »Eva, wie bist du schön!« und ward nicht müde, es zu wiederholen.

Eva wußte noch immer nicht recht, was das heißen sollte, aber Adam versuchte, es ihr klar zu machen, indem er ihr mit zart tastenden Fingern ihre runden Schultern, die reizenden Brüste, den Schwung der Hüften zu Gemüte führte und sie bat, vergleichsweise – wobei er ihre Finger seinen eigenen Formen entlangführte, – der hinreißenden Schönheit ihrer eigenen Person inne zu werden. Sie konnte seinem Enthusiasmus zunächst nicht recht folgen; gewiß war sie etwas anders als er geformt, hier und dort etwas voller und schwellender, dafür fehlte ihr anderwärts eine komische Winzigkeit, – aber war das ein Grund zu so begeisterter Aufregung?

Aber Adam blieb dabei, er konnte sich nicht satt wundern an Evas Reizen, ward nicht müde, ihr von ihnen vorzuschwärmen, – und das unterhielt Eva. Ließ er einmal nach, unversehens von Tieren oder Bäumen erheblich abgelenkt, so spürte sie jenen Verdruß urgründlicher Langeweile, den er so glücklich vertrieben hatte. Aber seine Zauberformel »Eva, wie bist du schön« erwies sich im Ganzen als wirksam: Eva war von der Langenweile ihrer Natur erlöst, die ihr als Blödheit der Paradieseswelt erscheinen mußte, da sie in ihrem weiblichen Gemüt keinen Anlaß nahm, über sich selber nachzudenken, und Adam war von seiner Formel ganz gefangen, daß ihm kaum mehr etwas anderes einfiel; die übrige Schöpfung trat bei ihm vor dieser kapitalen Entdeckung stark in den Hintergrund.

Eva blieb nüchtern und klarblickend genug, zu sehen, all die Schönheit der Welt wie ihre eigene sei ja nur Adams Erfindung; im Grunde fand sie die Giraffe noch genau so blöd und den Elefanten einen dummen Witz, aber sie mochte Adam schon zu gern, um ihm Kummer zu machen, und bewunderte im stillen das Spiel seiner rätselhaften Phantasie. Im Grunde fand sie an ihren reizenden Formen weiter nichts Besonderes, sie waren einmal so, aber daß Adam sie so schön fand, schuf ihr doch eine zärtliche Beziehung zu ihnen. Sie liebte sie um des lieben Adam willen und um seiner Freude an Allem. Wirklich ward er nicht müde, ihr die Reize ihrer Schönheit einzureden, sie begriff schon nicht mehr, wie sie ohne dieses Wissen hatte sein können; sein Mund goß einen strahlenden Schimmer über Welt und Weib, – hatte Gottvater ihn dazu geschaffen und ausgestattet, mit seiner schöpferischen Phantasie dem nüchternen Weibssinn der Natur das Leben zu verklären, und wohnte dieser sonderbare Vogel, den der gute Adam augenscheinlich hatte, dort oben in seinem schön ausladenden Hinterkopf?

Der phantasievolle Adam war immer beschäftigt, vor allem machte er sich – darauf legte Eva größten Wert – gottlob an Eva zu schaffen. Ihre Ähnlichkeiten und Unterschiede waren ein unerschöpflicher Stoff und ergaben ein fesselndes Spiel, daran Eva ihrer selbst inne wurde und zu sich erwachte. Auch was Adam Unterschiedliches aufzuweisen hatte, beschäftigte sie: es war grotesk und bißchen wie ein Elefantenrüssel, zugleich aber war es lieb wie ein Vöglein und drollig wie Adam selbst, – Adam noch einmal auf klein. Es dauerte ein Weilchen, bis beide begriffen, warum Gott sie verschieden geschaffen hatte und wozu das gemeint sei, – dann aber fühlte Eva sich wirklich unterhalten und alle Langeweile war weg. Fröhlichen Auges blickte sie auf die Schöpfung, die sie anfangs verdrossen hatte, – daß Adam sich dabei unterhielt, verstand sich von selbst, er hatte ja schon vorher keine Anlage gezeigt, sich zu langweilen.

So verwandelte Adams schöpferische Phantasie die langweilende Paradiesesschöpfung wirklich in ein Paradies für Eva. War das der Grund, daß Gottvater verstimmt ward, beide hinauswarf und den Garten zuschloß? War er gekränkt, daß Eva das Paradies gar nicht nötig hatte, da Adams Geist ihr die Welt belebte und durch seine Phantasie verklärt ihr zum Genusse schenkte, und daß Adam es nötig hätte, ganz von Eva gefesselt, durch eine Welt abgelenkt zu werden, die kein Paradies war, um seine schöpferischen Geisteskräfte auch an anderen Aufgaben zu entwickeln, als an der Verklärung dieser von Gott im Grunde ganz durchschnittlich entworfenen fabelhaften Eva, – so durchschnittlich und fabelhaft wie Elefant und Giraffe? Stieß Gott unsere Ureltern aus dem Garten in die Welt, daß beide der ganzen Fülle ihrer Anlagen inne würden? daß Adam die Vielfalt seiner schöpferischen Phantasie am Widerstand der Welt bewähre, Eva aber die Tiefe des Gefühls ausschöpfe, das Adam durch seinen verklärenden Blick ihr eingegeben hatte, damit zu Lust und Freude der Sturz in die Abgründe der Verzweiflung und Eifersucht, des Verzichts und der Trostlosigkeit käme und die Schöpfung wirklich rund und ganz würde in der Synthese der Gegensätze, deren elementarste Verschmelzung Adam und Eva spielend gefunden hatten, – und darin vollkommener als die Welt am siebenten Tage war, die Gottvater gefallen aber Eva gelangweilt hatte, bis Adam ins Licht trat?


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