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Tod und Wiedergeburt im indischen Licht

I

›Wiedergeburt‹, dieses ›Donnerwort der Ewigkeit‹, dieses ›Licht vom unerhörten Lichte‹ ist vom indischen Genius so vielfältig bewegt worden, wie kaum vom Geist einer anderen Kultur. Indien hat der Welt die Vision des Samsāra geschenkt, des zeitlosen Kreislaufes durch Tode und Wiedergeburten ohne Zahl; was dieses Indien von vorarischen Zeiten her über die Idee der Wiedergeburt in widersprechendsten und einmütigen Symbolen sich zugeeignet hat, fände wohl im Rahmen einer mehrbändigen Darstellung angemessene Behandlung. Ein Vortrag kann aus diesem tiefen Born nur einen Becher voll schöpfen.

Die jüngere vedische Überlieferung hält einen wunderbaren Weg der Wiedergeburt ins Jenseits von Geburt und Tod für den eingeweihten Wissenden bereit, der um sein geheimstes Wesen weiß und den Hütern der Weltsphären mit den rechten Antworten zu dienen vermag. Dieser Weg ist ein esoterischer Bestandteil des Totenrituals und knüpft später an Rauch und Flamme des Scheiterhaufens an, auf dem der Tote verbrannt wird. So sehr diese Geheimlehre mit der allbeherrschenden Symbolik des Feueropfers verwoben und in die ritualistische Vorstellungswelt des jüngeren vedischen Denkens eingebettet ist, sie ragt doch wie aus einer anderen Sphäre in den Raum der vedischen Opfertheologie und Spekulation über Götter und heilige Silben hinein. In der älteren Überlieferung noch nicht greifbar, wird sie bei der Auflösung alter Strenge sichtbar, um dann mitsamt dem ganzen Wissen vedischer Opfertheologie abzusterben: sterilisiert und überrundet vom Gedankengut des frühen Hinduismus, der sich weitgehend aus vorarischer Überlieferung speist und statt ›Wiedergeburt‹ und magischem Ritual ›Verwandlung‹ ins Selbst (ātman) und Yoga als Wege der Vollendung lehrt.

Da steht zwischen Lehren über die Zauberkraft der Silbe OM, die den Sängerpriestern des Sāmaveda besonders heilig ist, unvermittelt ein Muster für die Reden des Toten an alle Kräfte des Makrokosmos, die bei seiner Auflösung ihr Teil an seinem Mikrokosmos in sich heimzunehmen drohen Jaiminīya-Upanishad-Brāhmana III. 20. I. Vgl. The Jaiminīya or Tālavakāra Upanishad Brāhmana, Text, Translation and Notes by Hanns Oertel, in: Journal of the American Oriental Society, Vol. XVI. Part. I. 1894, dazu Contributions from the Jaiminīya Brāhmana to the history of the Brāhmana Literature by Prof. Hanns Oertel, in: Journal of the American Oriental Society, Vol. XIX. 1898. Dieser Text ist der brahmanischen Überlieferung in nachvedischer Zeit ganz aus Gebrauch, ja aus der Erinnerung geschwunden, blieb aber im Gegensatz zu viel anderem vedischen Überlieferungsgut, das bei gleichem Schicksal völlig verloren ging, handschriftlich erhalten und wurde in Amerika kritisch herausgegeben. Er fehlt in der weitgespannten Sammlung von 9 mal 12 Upanishads, die, von den Veden zu den Tantras reichend, Indien geläufig ist ( One hundred and eight Upanishads, Nirnaya Sagara Press, Bombay 1925), wie in Deußens Sechzig Upanishads des Veda, die in ihrem Bestande Anquetil Duperrons Oupnek'hat folgen und 1897 augenscheinlich ohne Kenntnis der amerikanischen Veröffentlichung von 1894 erschienen sind. Merkwürdig ist, daß Deußen auch in der 2. Auflage, in der er die amerikanische Ausgabe des Gopatha-brāhmana für seine Wiedergabe der Pranava-Upanishad herangezogen hat, Oertels Text des Jaiminīya-Upanishad-Brāhmana, der für mehrere wichtige Upanishadtexte seiner Sammlung wertvolle Varianten bietet, ignoriert hat., es bezeichnet den Aufstieg durch sie alle zur ewigen Wiedergeburt:

»Du bist geheim, du bist ein Gott«, so fängt es an und wendet sich zunächst an die Erde, »du bist anwehend, – wehe an wer uns feind ist und wem wir feind sind. Du bist groß, bist vielfältig, bist weit« usw. ... »du bist der zusammenwerdende Gott, – möchte ich zusammenwerden, du bist Anwerden, – möchte ich anwerden, du bist Werden, – möchte ich werden. Welche Geschöpfe dir zugewiesen sind, die umspanne ich nicht, – die weise ich dir zu. Mein ist Name, mein ist Leib, mein ist Halt. Das von mir ist in dir, das nimm mir nicht weg!« so sprach er zur Erde. – Wie er ankommt, heißt ihn die Erde willkommen: ›diese Welt ist dein, Erhabener! uns beiden gemein ist diese Welt.‹ – ›Wahrlich, was meines bei dir ist, das gib mir wieder.‹ ›Was von dir ist bei mir?‹ fragt sie. – ›Mein Name, mein Leib, mein Halt, das von mir ist bei dir, das gib mir wieder‹, sagt er. – Das gibt ihm die Erde wieder. – Er sagt zu ihr: ›Trage mich weiter!‹ – ›Wohin?‹ fragt sie. – ›Zum Feuer.‹ Sie trägt ihn zum Feuer. Er spricht zum Feuer: ›Obsiegend bist du, – möchte ich obsiegen; welt-ersiegend bist du, – möchte ich die Welt ersiegen! Esser bist du, – Essen möchte ich essen. Essens-Esser wird, wer dich als solchen weiß.‹«

So setzt sich der Tote dem Wesen der Gottheit, der er naht, in allen Dingen gleich; er preist ihre Kräfte: damit gewinnt er sie; er zeigt, daß er um ihr Geheimnis weiß, so kann sie ihm, als ihresgleichen, nicht ausweichen, ihm seinen Wunsch zu erfüllen. Es folgen dieselben Formeln vom Zusammenwerden und Werden und von den Geschöpfen der Gottheit. Dann bezeichnet der Tote sein eigenes Teil: »›Glut ist mein, Glanz ist mein, Essen ist mein, Sprache ist mein. Das von mir ist in dir, das nimm mir nicht weg!‹ so sprach er zum Feuer. – Ihn, der kommt, heißt das Feuer gleichermaßen willkommen: ›diese Welt ist dein, Erhabener! uns beiden gemein ist diese Welt.‹ – ›Wahrlich, was meines bei dir ist, das gib mir wieder!‹ sagt er. – ›Was von dir ist bei mir?‹ fragt er. – ›Meine Glut, mein Glanz, mein Essen, meine Sprache; das von mir ist bei dir. Das gib mir wieder!‹ – Das gibt ihm das Feuer wieder. – Er sagt zu ihm: ›trage mich weiter!‹ – ›Wohin?‹ fragt er. – ›Zum Winde.‹« – So geht die Reise weiter.

Beim Winde holt sich der Tote seinen Aushauch und Einhauch und sein ›Gelerntes‹ (sein heiliges Wissen). Vom Winde geht es zum ›Raum zwischen Himmel und Erde‹, der muß ihm das ätherische Raumelement (ākāsha) wiedergeben. Die Weltrichtungen, die den Raum ausspannen, geben ihm das Gehör, denn der Raum ist Träger des Schalls, Tag und Nacht geben ihm, »daß er nicht weniger wird« (akshiti). Bei ihnen ist er in die Reihe kreisender Zeitphasen gelangt, deren Rhythmus den Wechsel alles Vergänglichen beherrscht: er kommt weiter zu den halben Monaten wachsenden und abnehmenden Mondes; bei denen sind seine ›kleinen Gelenke‹, die müssen sie ihm wieder zusammenfügen, wie danach die ganzen Monde die großen Gelenke, und die Jahreszeiten (ritu) seine größten Gelenke.

Nun langt er beim Jahr an, dem großen Sinnbild des Ganzen, Umfassenden, dessen Umkreis Entstehen und Vergehen der Natur umschließt, – »›Wahrlich, was meines ist bei dir, das gib mir wieder!‹ – ›Was von dir ist bei mir?‹ fragt das Jahr. – ›Dieses mein Selbst (ātman) hier. Das ist bei dir, das gib mir wieder.‹ – Dieses Selbst gibt das Jahr ihm wieder.«

Jetzt könnte der Tote allmählich schon ganz sein, denkt man, denn was die unteren Sphären kreisend vergänglichen Lebens von ihm an sich nahmen, bekam er zurück, dazu jetzt als Schlußstein den Kern des Selbst. Beim Jahr ist er in die obere Sphäre des Wandellosen gelangt, – aber die Reise geht weiter. Mit seiner neu integrierten Natur läßt sich der Wiedererstandene zu den himmlischen Gandharven tragen, den Seligen der Oberwelt, die sich in unerschöpflichen Liebesspielen mit den Apsaras, den Himmelsfrauen, vergnügen. Von ihnen verlangt er als das Seine ›Duft, Freude und Entzücken‹, von den Himmelsfrauen ›Lachen, zärtliches Spiel und Liebeslust‹. Wie alle göttlichen Wesen zuvor, wollen die himmlischen Liebenden ihre Welt mit ihm teilen. Da er sich als ihresgleichen gibt, was kann er sich Besseres verlangen, als mit ihnen zu hausen, in ihrer Sphäre glücklich befangen. »Verweile doch, – es ist so schön.« In jeder Sphäre ist es unausgesprochen aber bestrickend – wie eine Versuchung. Genügen zu finden an ihrer übermenschlichen Kraft und Größe: am Feuer, am Äther, am kreisenden Jahr; aber der Eingeweihte kennt kein Verweilen, den Wissenden hält nichts auf.

So gelangt er zum Himmel – ›Dyaus‹, das ist etymologisch ›Zeus‹ – der fragt: »Was von dir ist in mir?« und der Mensch antwortet: »Genügen« – ›tripti‹ das ist: Sättigung, ein Erfülltsein, das, grenzenloses Behagen, in sich selber ruht. Das ist das Wesen des fleckenlosen Himmelsschildes, über alle Ränder gewölbt, mit perlmutternem Schimmer in sich spielend.

Und weiter geht es zur Sonne, der alten Stätte dauernder Unsterblichkeit, dem wandellosen Quell verzehrender Kraft. Der Totengott Yama ist der Sohn des Sonnengottes Vivasvant, des »nach allen Seiten Ausstrahlenden«, beide Gestalten ragen aus gemeinsamer indisch-altpersischer Vorzeit in die Überlieferung der Veden wie des Avesta. Die Sonne ist Stätte oder Tor des Lebens ohne Tod. Aber hier verwirrt sich das Schema, dessen Vielgliedrigkeit ohnehin auf Einschübe und Überarbeitung deutet: die Sonne ist nicht das letzte Ziel. Von ihr empfängt der Verwandelte Lebenskraft (ojas), Leibeskraft (bala) und Gesicht, und läßt sich weitertragen zum Monde! Das Mondhafte aber ist ein Prinzip, das er längst unter sich gelassen hat.

Wie die Sonne zum Jahr, gehört der Mond zu den halben Monaten seines Zu- und Abnehmens und zum ganzen Monat. Trabant der Erde, bildet er die erdnächste Sphäre im Kosmos, er begrenzt die ›sublunare Welt‹ kurzlebiger Vergänglichkeit. Er schafft Ebbe und Flut, wirkt das wechselnde Wetter, ist der Herr des Regens, er gibt den mondlichen Monatsrhythmus des Weiblichen an: »ritu«, die »Regelzeit«. Er ist der Herr des vegetativen Lebens in seinem kurzwelligen Rhythmus. Im Indischen heißt er der »Herr der Pflanzen und Kräuter«, er ist der lebenspendende »Schutzpatron« der Natur. Er führt die erquickende Nacht herauf, in der die Kreatur von verzehrender Sonnenglut und aufreibender Geschäftigkeit des Tages ausruht, indes ihr vegetatives Teil sich erneuert und aufbaut. Mit seinen milchweißen Nektarstrahlen des Tranks der Todlosigkeit, den die Götter aus ihm, ihrer Trinkschale, schlürfen, die sich immer von selbst aufs neue füllt, speist er allnächtlich die todgeweihte Erdenwelt.

Der Mensch spricht zu ihm: »›Der Pfad des wahrhaft Seienden (satya) verläßt dich nicht. Der Pfad des Todlosen verläßt dich nicht. Neu und immer neu wirst du geboren. ›Träger‹ mit Namen, ein Brahmane, übst du Verehrung. Darum tragen dir die wahrhaft Seienden beide: Götter und Menschen, Essen zu. Ein Essens-Esser wird, wer um dich als solchen weiß ... Gemüt ist mein, Samen ist mein, Nachkommenschaft ist mein, Wieder-Zusammenwerden ist mein, das von mir ist bei dir, das nimm mir nicht weg!‹« So erhält er Gemüt, Samen, Nachkommenschaft und Wieder-Zusammenwerden, lauter Dinge, die Einer sich vom Schutzpatron der Kreaturen verlangen kann, wenn er auf Erden im Fleische wiedergeboren sein will, nicht aber, wenn er schon die Gemeinschaft mit dem Jahr, dem Himmel und der Sonne überwachsen hat. Diese Güter – Samen und Nachkommenschaft, menschliches Gemüt und Wiedergeburt als Kreatur – sind das Ziel des kürzeren Weges, wenn der Tote nur bis zum Monde gelangt und sich durch diese Gaben rhythmischer Vergänglichkeit, die nur für die sublunare Zone Sinn haben, den weiteren Aufstieg zu unvergänglicher Höhe verscherzt, indem er sie verlangt und entgegennimmt.

Darum geht das Schema auch eigentümlich aus. Der Mensch will weitergetragen werden zur höchsten Sphäre: zur Welt des Brahman, des Unbedingten.

Aber der Mond – trägt ihn zur Sonne. Denn für den Mond ist das Sonnenhafte der Inbegriff des Unbedingten gegenüber seinem bedingenden Wechselspiel. Bei der Sonne aber ist der Mensch ja schon gewesen, darum sagt er zu ihr: »trag mich weiter!« – »Wohin?« – »Zur Welt des Brahman«, sagt der Mensch wieder, wie er zum Monde eben gesagt hat. Aber die Sonne tut es nicht, sie trägt ihn wieder zum Monde. »So wandert er«, heißt es, »hin und her zwischen diesen beiden Gottheiten. Das ist das Ende. Ein Weitertragen darüber hinaus ist nicht.«

Der Mensch weiß also um die Welt des Höchsten Unbedingten, kann sie aber nicht erlangen. Darüber aber ist keine Klage. Es wird weiter kein Wort darüber verloren. Vielmehr wird der Mensch auf den Besitz aller bisher durchlaufenen Welten verwiesen: »Alle Welten von hier unten aufwärts, von denen wir gesprochen haben, hat er erlangt, hat er ersiegt; in ihnen allen bewegt er sich nach Gefallen, wer Solches weiß. Wenn er den Wunsch hegt, ›hier auf Erden will ich wiedergeboren werden‹, auf welche Familie er seine innere Schau sammelt, – die Familie eines Brahmanen oder Fürsten, – in ihr wird er geboren. In eben die Welt (nach der ihn verlangt) geht er wieder voll-bewußt aufsteigend. Dazu sagte Shātyāyani: ›von vielen Leiden geplagt ist diese Welt oft. Um sie reden und plagen sich die Leute. Wer aber, der sie von sich geworfen hat, sollte wieder zu ihr kehren mögen oder hier in ihr sein?‹

Diese Schlußbemerkung pessimistischer Daseinskritik verwirft den alten, hier überlieferten Wiedergeburtsweg, der auf der Reise durch die Weltsphären dem Menschen zur Integration seiner Natur verhilft und damit zur wahlweisen fröhlichen Urständ in der guten Gesellschaft der brahmanisch-arischen Feudalkultur. Der Weg zu den höheren kosmischen Sphären der Unvergänglichkeit, der nicht über den Mond aber über die Monate zur Sonne führt, bleibt von dieser Kritik unberührt. Wie man zum Unbedingten, dem Brahman gelangt, weiß dieser altertümliche Text noch nicht zu melden.

Die Reise von der Erde aufwärts zu Sonne und Himmel könnte, wenn ihre Sphären mit etwas anderen Größen besetzt werden, gut in einem gnostischen Wiedergeburtsschema stehen: dort fährt die Seele aus der materiellen Erdwelt auf durch die Sphäre unterm Monde, die von den niederen Geistern bevölkert ist, verläßt durch den Mond die sublunare Zone, steigt durch die Planetensphären zum Fixsternhimmel, läßt diesen Bereich der Sterngeister und des Äthers hinter sich und schwebt am ›überhimmlischen Ort‹ durch die Sphäre der reinen Ideen, und kehrt durch den Logos zum höchsten überweltlichen Urquell ihrer selbst und aller Welt: zu Gott zurück. Dieser Weg kann genau das Umgekehrte meinen, wie jener indische: daß die Monade bei jeder Sphäre, die sie durchqueren muß, ablegt und zurückläßt, was sie beim Niederstieg vom Urquell zur Erde an Planetenkräften und Erdenschwere empfangen hat. Aber die Gnosis kennt auch diesen Weg der Integration: die Seele, die zum Höchsten heimkehrt, bereichert sich in jeder Sphäre mit den höheren Kräften, die sie der göttlichen Allmacht verwandter machen. Epiphanius, Bischof von Salamis auf Cypern († 404 a. D.) berichtet in seiner Schrift gegen die Häretiker (26, 13):

»Die Gnostiker zitieren ein gefälschtes Evangelium, das unter dem Namen des heiligen Apostels Philippos geht und lehrt: ›Der Herr offenbarte mir, was die Seele sagen muß, wenn sie zum Himmel aufsteigt, und wie sie jeder der oberen Mächte antworten muß: ›Ich habe mich selbst erkannt und mich selber gesammelt aus allen Weltrichtungen und ich habe dem Archôn (dem Herrn dieser Welt) keine Kinder geboren. Aber ich habe seine Wurzeln entwurzelt und die verstreuten Glieder gesammelt und ich weiß, wer du bist. Denn ich bin einer von denen, die von oben stammen. Aber wenn eine Seele erfunden wird, daß sie einen Sohn geboren hat, wird sie unten behalten, bis sie imstand ist, ihre Kinder wieder zu bekommen und sie für sich selbst zu erziehen!‹«

Fortpflanzung ist hier, wie im Manichäismus, schuldhafte Abspaltung vom göttlichen Lichtfunken des eigenen Wesens. Die zeugend versprühten Funken müssen wieder heimgebracht, einverleibt, integriert werden, ehe die Seele den Integrationsgang, die verstreuten Glieder zu sammeln, vollenden und aufsteigen kann. Von diesem interessanten Evangelium Philippi zu Ende des 2. Jahrhunderts a. D. ist leider nicht mehr zu vermelden, aber genügend andere gnostische Texte lehren ja Verwandtes.

Der indische Text des Jaiminīya-Upanishad-Brāhmana ist gewiß ins 7. bis 8. Jahrhundert v. Chr. hinaufzurücken. Mehr als ein Jahrtausend trennt beide Traditionen, aber sie sind Zweige eines Stammes. Ein anderer Zweig, zeitlich vermittelnd, und wenn man Bachofen glauben darf, die große griechisch-orientalische Lehre des Altertums, die in der Gnosis ihre Wiedergeburt erfuhr, ist die Orphik. In einem Alterswerk, als ihm sein Bild antiker Religions- und Symbolgeschichte längst feststand, hat dieser Grandseigneur der Altertumskunde zehn Jahre vor seinem Tode, 1867, ein Belegstück der orphischen Wiedergeburtssymbolik interpretiert, das mit der indischen Quelle und ihren gnostischen Entsprechungen auf die gleiche Grundanschauung zurückgeht. Seine Unsterblichkeitslehre der orphischen Theologie auf den Grabdenkmälern des Altertums, nach einer Anleitung einer Vase aus Canosa im Besitz des Herrn Prosper Biardot in Paris erklärt den polychromen Schmuck eines unteritalischen Grabgefäßes des 2. oder 1. Jahrhunderts v. Chr. Canusium liegt im Land der apulischen Daunier; das Hypogeum, dem das Gefäß entstammt, zeigt eine Inschrift aus der Zeit des Pompejus (687 nach Gründung der Stadt), Umstände des Fundes verweisen das Gefäß in den Ausgang des 2. Jahrhunderts v. Chr., rund in die Zeit des zweiten punischen Kriegs.

In der durchsichtigen Symbolik farbiger Reliefzier zeigt diese Grabbeigabe – seelengeleitend und Unterpfand der Heilserkenntnis – den Aufstieg der Seele durch die oberen Sphären des Kosmos zur ewigen Wiedergeburt am höchsten Orte, dem sie entstammt: Licht vom höchsten Lichte. Zu unterst die lunare Welt, dargestellt – nach Bachofens eigenen Worten Zitiert nach dem verdienstvollen Neudruck Johann Jakob Bachofen, Gesammelte Schriften herausgegeben von W. Keiper, 5. Band, p. 16 ff., Berlin 1938 im W. Keiper Verlag. – durch »des Mondes ernst freundliches volles Antlitz, das reiche Haar von der Farbe einer glühenden Kohle, darüber der Silberschein, der das Gestirn der Nacht zu umsäumen pflegt; ... den Körper des Mondes befähigt zu seinem ätherischen Gange ein mächtig erhobenes Flügelpaar (die ›alae Lunae‹ des Manilius, deren auch der Homerische Hymnus gedenkt); ...« darüber schwebt »das Gespann der vier weißen wiehernden Sonnenpferde mit dem Purpurwagen, den zwei rasch sich umschwingende Räder tragen (die ›equi anheli‹ des Manilius) ... neben diesen beiden herrschenden Himmelslichtern ... die fünf übrigen Planeten, zuerst zwischen Sonne und Mond Mars-Pyroeis, an dem safran-umsäumten Feuerkreise erkennbar, alsdann zur Seite des purpurnen Sonnenwagens Venus-Eosphoros gräulichen Dämmerscheins, ferner Merkurius -Stilbon ... in seiner Doppelnatur weiß und nachtblau zugleich, endlich auf der oberen und untern Grenze der länglichen Seitenhöhlung Saturnus-Phainon und Jupiter-Phaeton, jener in höchster Bahn sich schwingend, letzterer gleich dem Monde ein dem Menschen wohlgewogenes Gestirn: diese Siebenzahl der Planeten, – denn Sonne und Mond hat das gesamte Altertum zu den Wandelsternen gezählt – ist auf den ersten Blick klar und zweifellos ...

In der Mitte dieses ewig bewegten planetaren Kosmos erscheint, in mächtiger Entfaltung seiner dreifachen Natur den Seitenraum ganz erfüllend, ein Hippocamp« – ein Fabeltier, ein ›Seepferd‹ – »der schon durch sein überragendes Größenverhältnis die Hoheit der ihm beigelegten Bedeutung bekundet. In Kraft und Behendigkeit der Bewegung wetteifert er mit den Lichtkörpern, die ihn umgeben; ja die vereinten Mittel dreifacher Natur« – Wassertier, Pferd und Flügelwesen – »leihen seinem unaufhaltsam raschen Gange noch größere Lebendigkeit. In den beiden begleitenden Darstellungen, dem Delfine und dem Merkurius-Planeten, hat der Künstler uns die Möglichkeit gegeben, diese Tier-Hieroglyphe zu enträtseln. Denn als treue liebevolle Geleiter scheidender Seelen sind beide bekannt, sowohl das schnellste unter den Tieren des Meeres, der vorzugsweis poetische, durch und durch mystische Delphin als der göttliche Mittler der höhern und tiefern Welt« – nämlich Merkur-Hermes-Thot – »der auf andern Vasenbildern mit dem Delphin in der Hand, auf Gemmen als astrales Wesen auf demselben stehend dargestellt ist.

Der Anblick dieser beiden Funerärzeichen setzt die Beziehung des geflügelten Hippocamps zu der aus dem Kerker des Leibes befreiten Seele außer Zweifel. ›Von Wonne erfüllt entflieht er dem Leibe‹, wie Plato im Timaeus redet. Nicht weniger sprechend ist die Darstellung des Seepferdes selbst. Gleich dem Delphine dem Bilderkreise der hieratischen Sepulcraltradition« (zu deutsch: der Gräbersymbolik) »entlehnt, verkündet sie durch den genauen Anschluß des Pferdteils an das Vorbild des Sonnengespanns, des Flügelpaars an die Gestalt und Farbenverteilung der Mondschwingen die Verwandtschaft Psyches mit Sol und Luna, den beiden Beherrschern der planetaren Welt, welchen die höheren Bestandteile des menschlichen Wesens entstammen« nach der indischen Formel: ›das von mir, ist in dir.‹ – »Der bildliche Inhalt unseres Vasengemäldes ist also zweifellos. Es stellt die Rückkehr der aus dem Grabe des Leibes befreiten Seele zu ihren kosmischen Ursprüngen, oder, um mit den Neuplatonikern zu reden, das ›Aufsteigen zur beseelten Gestalt‹ vor Augen. Daher jenes freudige Siegesgefühl, das alle Teile des dreifach gestalteten Hippocamps belebend durchdringt. Gefallen sind die Fesseln; seiner ursprünglichen Natur zurückgegeben eilt der unsterbliche Teil unseres Ichs (volucer animus) mächtigen Fluges nach seiner Heimat zurück: die Sehnsucht nach dem Monde, der uranischen Leuke, dem himmlischen Aufenthalt der Seelen, beflügelt seinen Gang. Dahin geleiten ihn Merkurius und Delphin, die behenden wohlgewogenen Psychopompen der alten Religion. Sie alle richten ihr Streben nach diesem Himmelskörper, der als das nächste Ziel ihrer Anstrengung im Mittelpunkt der Frontseite eine hervorragende Stellung erhalten hat ... Der Kosmos der Wandergestirne erscheint als Grundlage einer Seelenlehre, durch welche die Hoffnung des jenseitigen Daseins ihre Begründung erhalten soll.«

Man muß Bachofen selber hören, den geborenen Meister und Eingeweihten im Lesen alter Bilder- und Mythenschriften; seine Deutung des kosmischen Seelenwegs zur Wiedergeburt, so prägnant wie seelenvoll beschwingt, läßt sich nicht knapper fassen. – Der Oberteil des Gefäßes, von turmartigen Röhren bekrönt, die keinerlei Gebrauchswert haben, aber Sinnzeichen sind wie sein ganzer Reliefschmuck, vollendet die Symbolik dieser Grabbeigabe als Abbild des Kosmos und des kosmischen Weges der Seele zu ihrer höchsten Heimat. Sie stellen »den ›Turm des Sonnengottes‹ pythagorischer Orphik dar«, der »von Proclus zu ›Timaeus‹ als ›Spitze und zugleich als Mitte‹ beschrieben wird«. Zwei tiefere »Seitenöffnungen sind die sogenannten Tore, durch welche Sol in den zwei Solstitien seinen Durchgang hält, die längliche Mündung endlich, welche in mittlerer Höhe von dem Hauptturme nach der Rückseite des Gefäßes sich erstreckt, entspricht der Galaxias« – d. i. der Milchstraße – »die das Altertum in zirkusförmiger Gestalt, umgeben von dem höchsten Äther und durch die Portae Solis begrenzt, sich denkt ... Die Entwicklung der Seelenlehre wäre ohne sie ein halbverständliches Fragment geblieben. Denn an die Sonnentore und die Milchstraße knüpfen sich die psychogonischen Ideen, die das Schicksal der Seele, bei ihrem Durchgang durch die planetaren Zonen, sei es im Niedergang zu der Geburt, sei es in der endlichen Rückkehr zu den ersten Ursprüngen bestimmen ... Wo das Gesetz der Unsterblichkeit seinen Anfang nimmt«, – an der lunaren Sphäre als der unteren Grenze zur Todlosigkeit – »da beginnt auch der Bilderkreis der Vase. Beschränkt auf diejenigen Sphären, in welche der Tod nicht hinreicht, verkündet er als Summe der Lehre die Zuversicht eines aus dem Verfall des Leibes sich entwickelnden uranisch-kosmischen Daseins.«

Die Seele gibt auf diesem Wege heimwärts zum höchsten Licht, den Planeten, deren Sphären sie durchquert, an Kräften und Lasten zurück, was sie, zur Erde absteigend als Elemente ihrer Individuation, als Bindungen und Begrenzungen ihrer göttlichen Allheit empfing.

Bachofens Darstellung des orphisch-pythagorischen Erlösungsweges, dessen orientalischer Ursprung bekannt ist, weist darauf hin, woher die jungvedische Wiedergeburtssymbolik letztlich stammt, so sehr die erhebliche Originalität brahmanischen Denkens das alt-gemeinsame Ursprungsschema schöpferisch abgewandelt hat.

Der indische Weg des Menschen zu seiner Integration nach dem Tode, wie er vielgliedrig, aber ohne rechten Anfang und Ort im Ritual und mit eigentümlichem Schluß im ›Jaiminīya-Upanishad-Brāhmana‹ gelehrt wird, hat ein Geschwister in einer Geheimlehre des ›Jaiminīya-Brāhmana‹ selber, zu dem der ›Upanishad‹ genannte Text den üblichen Anhang bildet. Dort ist von der zwiefachen Wiedergeburtsmöglichkeit des Menschen die Rede: in der sublunaren Zone zeugender sterblicher Kreatur durch den Schoß eines Weibes, und in der unvergänglichen Sphäre jenseits, durch den Schoß des heiligen Spendenfeuers, dessen Flamme Bote und Zwischenträger von den Menschen zu den Göttern ist. Dort heißt es Vgl. Contributions from the Jaiminīya Brāhmana usw. (s. Anm. 1), p. 115 ff. daselbst englische Übersetzung. Deutsche Übersetzung (mit Verweis auf E. Windischs Interpretation) bei Johannes Hertel Die Weisheit der Upanischaden, München 1921, p. 150 ff.:

»Zwei Mutterschoße fürwahr gibt es: den Schoß der Götter und den Schoß der Menschen. Denn zweierlei Welten gibt es: das eine ist die Götterwelt, das andere die Menschenwelt. Was der menschliche Schoß ist, das eben ist die Menschenwelt, das ist das gebärende Teil am Weibe, aus ihm kommt die Nachkommenschaft zur Geburt. Darum soll einer sich eine vortreffliche Frau wünschen: (in dem Gedanken) ›vortrefflich soll mein Selbst erstehen (zusammenwerden)‹. Darum soll er seine Frau auch sorgsam behüten, (in dem Gedanken): ›in meinem Schoße, meiner Welt soll kein Anderer erstehen (zusammenwerden)‹. Wenn er nun ersteht, dann gehen allererst seine Lebenskräfte (Lebenshauche: prāna) vorauf, danach wird der Same ergossen. Er kehrt seine Lebenskräfte, seine Ätherkräfte (ākāsha) auf (den Schoß) zu; davon wird er – wo doch der Same an sich bei allen gleich ist, – als der geboren, der er ist.

Ebenso ist der Götterschoß die Götterwelt. Das Spendenfeuer (āhavanīya-agni, das unter den drei Feuern des vedischen Rituals das Tor zur Götterwelt bildet, wie das Südfeuer zu den Mächten des Todes und der Vernichtung, indes das Hausvaterfeuer dem irdischen Dasein dient) ist der Schoß der Götter, die Götterwelt. Wer daher seine Spende ins Hausvaterfeuer gießt, von dem darf man denken: er macht sich hier auf Erden (er will auf Erden wiedergeboren werden). Wer die Spende darbringt und es richtig macht (d. h. sie ins Spendenfeuer gießt), der ergießt damit sich selbst in den Götterschoß. Sein Selbst ersteht dort oben in der Sonne. Wer solches weiß hat zweierlei Selbst, zweierlei Schoß, nur ein Selbst, einen Schoß hat, wer solches nicht weiß.

Wenn wer solches weiß aus einer Welt weiterwandert, dann geht zunächst sein Lebenshauch oben hinaus. Er vermeldet den Göttern: soviel ist eine Guttat, soviel sein Übles. Dann steigt er selber mit dem Rauch des Leichenfeuers oben hinaus und aufwärts. Die Regelzeiten (ritu) sind die Hüter der Schwelle eben dieser Sphäre. Die soll er mit diesem Spruche anreden – (jetzt kommt zuerst der Spruch des Menschen, der nicht »solches weiß«, der vielmehr nur ein Selbst, einen Schoß hat und sich unwillkürlich als Kind der sublunaren Sphäre sterbendwiedergeborener Vegetation weiß, dem Regelgange des Mondes und der Jahreszeiten (ritu) Untertan, und daher, wie der Uneingeweihte des ›Tibetischen Totenbuchs‹ unwillkürlich nach neuer Wiedergeburt im Schoße der Kreatur verlangt): ›Her vom Herrlich-Scheinenden ward der Same gebracht, ihr Regelzeiten, halbmonatlich vom Neugeborenen, dem die Väterwelt gehört‹.«

Der ›Herrlich-Scheinende‹ ist der Mond, das Göttergefäß unsterblichen Lebenssaftes, allmonatlich ›neugeboren‹. Ihm ›gehört die Väterwelt‹: er ist sie, zu ihm steigen die Toten auf und zehren auf Zeit vom Trank der Todlosigkeit, bis sie im ewigen Wechsel wieder zur Erde müssen und neugeboren werden, wie er selber hinschwindet und als neuer Mond aus dem Verborgenen hervortritt. ›Sichel des neuen Mondes, schnell anschwellend‹ (shishu) ist im Sanskrit ein geläufiges Wort für das Kleinkind mit seinem schnellen Wachstum; noch Tagores »Kinderlieder« heißen »Shishu«, ›schnell schwellender junger Mond‹ auf englisch »The Crescent Moon«.

Weiter spricht der Tote zu den Regelzeiten: »Sendet mich hier vorwärts in einen Mann als Macher, gießt mich vom Mann als Macher in eine Mutter ein.« So setzt sich, wer es in seiner Kreatürlichkeit nicht besser ›weiß‹, den wechselnden Monden gleich und bleibt in der Wechselsphäre von Tod und irdischer Wiedergeburt.

Der Wissende aber weiß um die wandellose Sphäre jenseits lunaren Ebbens und Flutens und spricht: »Ich hier bin ein Hinzugeborener, hinzugeboren, dem dreizehnten (dem Schalt-)Monat vergleichbar, vereint mit dem Zwölferhaften (Jahr).« Er fügt sich dem Wandellosen in Gestalt des Sonnenjahres ein, vergleichbar dem dreizehnten Schaltmonat, der den zwölf kurzen Mondmonaten hinzugefügt werden muß, damit das volle Sonnenjahr sich ergibt. So erhebt er sich über die lunare Sphäre zur unvergänglichen Sonnenwelt des Sonnenjahrs. »Hinzugeboren« (upajāya) und »Hinzugeborener« (upajāyamāna), nämlich zu denen, die schon in der Sphäre der neuen Geburt vorhanden sind, bedeutet auch »wiedergeboren«. Der »Wiedergeborene« fährt fort und spricht bekräftigend zu den Regelzeiten: »›Dessen bin ich inne, dessen bin ich gewiß. So führt denn mich, den Kömmling, zum Todlosen, ihr Regelzeiten!‹ Da führen ihn die Regelzeiten wie ein Wissender den Nichtwissenden, wie ein Erkennender den Nichterkennenden, so führen ihn die Regelzeiten. Sie bringen ihn hinüber.

Da kommt er zu dem, ›der da oben glüht‹ (– das ist die Sonne). Der fragt ihn, wenn er kommt, ›wer bist du?‹ – Der sagt sich ihm an mit Namen oder Vatersstamm und spricht: ›Das Selbst von dir, das bei mir war, das steht hier vor dir.‹« Der Wiedergeborene ist seines sonnenhaften Selbst innegeworden, ist seiner unvergänglichen Sonnennatur gewiß, und wie der Abgeschiedene auf jener anderen Reise durch die Götterwelten sagen durfte »Was von mir bei dir ist, das gib mir wieder!«, und die Gottheit sagte, »diese Welt ist dein, – uns beiden ist sie gemein«, so kehrt er in das Seine heim: ein Funken der unsterblichen Sonnenkraft zu seinem Quell.

Aber die Mächte der Unteren Zone ewigen Wandelsspiels in Werden und Vergehen wollen den zum Wandellosen Wiedergeborenen noch nicht frei geben; von unten her haschen sie nach ihrem Opfer, ihrem alten Besitz, der sich nach oben entrückt: »Ihm, der zu seinem Selbst gelangt ist, sausen die Regelzeiten nach, packen ihn bei den Füßen und schleifen ihn fort. Da treten Tag und Nacht an seine Stelle (und die Regelzeiten müssen von ihm ablassen). Dann soll er zu IHM sprechen: ›Ich bin KA (das ist WER, ein Name des ›Herrn der Geschöpfe‹), du bist SUVAR (das ist etymologisch Helios, Sol, Soleil: Sonne als Stätte der Seligen, daher Sonne und Himmel zugleich). Zu dir, der am Himmel geht, in der Sonne befindlich ist‹ (svar-gya), bin ich als Sonne gegangen (svar agām).‹ Denn, ›KA‹ ›Wer‹ ist der ›Herr der Geschöpfes darum ist wer solches weiß ›SUVAR-Ga‹ (zur Sonne gehend, in der Sonne befindlich, Himmel). Denn ein solcher geht zur Sonne. – Zu ihm sagt ER (der Sonnenherr): ›Was du bist, das bin Ich, was Ich bin, das bist Du. Komm!‹«

Das ist die Assumption, das große »Komm« der Überwelt an ihr Geschöpf, das, weil es weiß, zu ihr heimkehren darf. Das Ziel aller Gnosis, – in der Apokalypse auf christlich umschrieben: »Und ich Johannes sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, ... bereitet als eine geschmückte Braut ... und hörte eine große Stimme von dem Stuhl, die sprach: ›Siehe da die Hütte Gottes bei den Menschen, und er wird bei ihnen wohnen und sie werden sein Volk sein. Und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein ... – Und ich bin Johannes, der solches gesehen und gehört hat. Und da ich's gehöret und gesehen, fiel ich nieder anzubeten zu den Füßen des Engels, der mir solches zeigte. Und er sprach zu mir: ›Siehe zu, tu es nicht, denn ich bin dein Mitknecht und deiner Brüder, der Propheten und derer, die da halten die Worte dieses Buchs ...‹ – Und der Geist und die Braut sprechen: ›Komm!‹ Und wer es höret, der spreche »Komm!‹ Und wen dürstet, der komme, und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst ... Es spricht, der solches zeuget: ›Ja ich komme bald. Amen. Ja komm, Herr Jesu!‹«

Was noch am Wiedergeborenen indischer Einweihung von irdischer Vergangenheit hängt, legt er ab: »Er kommt zum Saft seiner guten Werke. Seine Söhne treten seine Erbschaft an, seine Vorväter seine guten Werke.« Indes die toten Ahnen in der Mondwelt vom Schatz ihrer Guttaten zehren und wieder auf die Erde hinabmüssen, wenn er erschöpft ist, verschenkt der zur Sonne Wiedergeborene dieses kostbare Gut, das anzuhäufen ein Hauptmotiv anständigen Erdenwandels ist (neben der Angst vor dem Kadi und der Eitelkeit, zu den Guten und Gerechten zu zählen), – er bedarf dieses Guthabens nicht. Am unversieglichen Quell der Kraft zehrt man nicht vom Kapital seiner Tugenden. Durch das Wissen um sein wahres unvergängliches Selbst verwandelt, in seinem verborgenen Wesen erleuchtet, ist er nun jenseits von Gut und Böse wie von Tod und Wiedergeburt; gute und schlimme Tat haftet an dem Göttlichen Wissenden so wenig, »wie ein Wassertropfen an einem Lotosblatt«.

II

Ein Totenritual des Jaiminīya-Brāhmana Jaiminīya-Brāhmana I. 49 bei H. Oertel, Journal usw., p. III ff. daselbst englische Übersetzung. Deutsche Übersetzung bei J. Hertel, p. 153 ff. – S. Anm. 1 und 3. bietet den gleichen Verlauf mit einigen bemerkenswerten Varianten.

Der Tote geht mit dem Rauch des Scheiterhaufens in die Nacht ein, aus der Nacht in den Tag, aus diesem kurzlebigsten Paar sublunaren Wechselspiels gelangt er zum höheren: in die Monatshälfte abnehmenden Mondes und von ihr (wie aus der Nacht in den Tag) in die lichtvollere des zunehmenden Mondes, von dort in die höhere Einheit beider: in die Sphäre des ganzen Mondmonats. »Daselbst vereinigen sich«, heißt es, »die beiden: das unvergängliche Teil seines Leibes (shārīra) und der Lebenshauch (asu).« ›Asu‹, das Lebensprinzip, gehört etymologisch zu ›animus, anima‹, griech. ›anemos‹ der Wind, es ist eine ältere Bezeichnung für das, was später mit ›prāna‹ Lebenshauch, Lebenskraft angesprochen wird. »Da steigt Einer von den Regelzeiten (im Sanskrit männlichen Geschlechts), einen Hammer in der Hand« – eine steinzeitlich alte Waffe: göttliche Wesen sind konservativ in Kleidung und Gerät – »auf einem Lichtstrahl herab auf ihn zu und fragt: ›Wer bist du?‹ – ›Purusha‹ (der Mann, das Wesen) sagt er.« Er antwortet ihm mit fast den gleichen Strophen wie im anderen Ritual. Dabei sagt er, wenn er ein ›Wissender‹ ist, von seiner sonnenhaften unvergänglichen Natur: »›Ich hier bin ein Wiedergeborener (upajāya), – wiedergeboren als zwölfter zusätzlicher Monat im Dreizehnhaften«, d. h. er bezeichnet sich als den an vorletzter, zwölfter Stelle eingeschobenen Schaltmonat, durch den das Mondjahr zum Sonnenjahr wird.

Die beiden Wege zu Mond und Sonne und die verschiedenen Möglichkeiten der Wiedergeburt, die sie in sich schließen, erscheinen wie ein älteres und ein neueres. System von Astronomie und Kosmologie; das solare Prinzip überwindet das altertümlich lunare. Mit der Sonne als Quell unvergänglicher Kraft jenseits des altverehrten Lebenspenders und Zeitenreglers, der ständig hinschwindet und wiedergeboren wird, eröffnet sich dem Blick des Menschen auf sein Schicksal nach dem Tode der Ausblick auf eine Unvergänglichkeit, von welcher der mondgläubige, mondgebundene ältere Mensch noch nichts weiß, bald glücklich befangen, bald angstbeklommen im unentrinnbaren Kreislauf kreatürlicher Wiedergeburten.

Ein erklärendes Einschiebsel sagt: »Der ist der Dreizehnhafte, ›der dort oben glüht‹ (die Sonne).« Wie anderseits von den Mondgebundenen gesagt wird: »daß sie hier auf Erden dem Herrlich-Scheinenden König Sorna (dem Mond als Rauschtrank der Unsterblichkeit) Spenden darbringen, das ist eben das«, d. h. mit diesen Spenden an den Mond, verbindet einer sein Selbst der lunaren Machtsphäre: er geht mit seinem Selbst in den Mond ein, um nach seinem Tode vom Monde durch einen menschlichen Schoß im Rhythmus mondhafter Regelzeit empfangen und wiedergeboren zu werden.

Der Eingeweihte aber fährt fort: »›Dessen bin ich inne, dessen bin ich gewiß. So führt mich denn zum Todlosen, ihr Regelzeiten, den zwölfhaften Lies im Text statt ›dvādasha trayodashena‹, dvādasham trayodashena‹. durch den dreizehnhaften Vater, durch diese Mutter, diesen Glauben, diese Nahrung, dieses Wirkliche. Der Tag ist mein Vater, die Nacht ist Mutter, das Wirkliche bin ich. Als solchen führt mich zum Todlosen, ihr Regelzeiten.‹ ... Ein Solcher, der solches weiß, ist kein Mensch. Einer von den Göttern ist ein solches Wissender. Ihm eilen gedankenschnell Väter und Vorväter entgegen (die in der Mondsphäre weilen, die er aufwärts geleitet durchquert) und fragen: ›Was hast du uns von dort (unten) mitgebracht?‹ Ihnen soll er antworten: ›Alles Gute, das ich tat, das sei euer.‹ Seine Söhne treten seine Erbschaft an, seine Väter seine Guttaten, seine Feinde seine Übeltaten. Nachdem er so das alles dreifach ausgeteilt hat, geht er ein zur Gemeinschaft der Welt mit dem ›der da oben glüht‹.«

Einige Upanishads, die im Gegensatz zu den Texten der Jaiminīya-Schule das geschichtliche Glück gehabt haben, klassisches Überlieferungsgut zu werden, haben diese Einweihungslehre zu sonnenhaft-himmlischer Wiedergeburt weiter entwickelt. Das ganze Material übersetzt und ansprechend kommentiert bei Deußen 60 Upanishads, p. 23 ff. (KaushTtaki-Upanishad), p. 137 ff. (Chāndogya-Upanishad mit Vergleich der Paralleltexte in Shatapatha-brāhmana und Brihad-Aranyaka-Upanishad) und p. 505 ff. (Brihad-Aranyaka-Upanishad). Vgl. auch J. Hertel Weisheit der Upanischaden p. 74 ff. und 148 ff., und A. Hillebrandt Aus Brāhmanas und Upanishads, p. 67.

Sie alle unterstreichen, daß diese Lehre kein alt-brahmanisches Überlieferungsgut, aber dem Fürstenadel geläufig sei. Der junge Brahmane Shvetaketu, der von seinem zwölften bis zu seinem vierundzwanzigsten Jahr bei seinem Lehrer den ›Wandel im brahman‹ geführt und die ganzen weitschichtigen Überlieferungsmassen aller vier Veden eingesogen hat, muß verstummen, als ein Fürst ihn über die zwei Wege der Wiedergeburt befragt, um sein Wissen zu prüfen. Sein Vater Uddālaka Āruni, aus dem uralten Seher- und Priestergeschlecht der Gautamas, der seinen Sohn selbst unterrichtet hat und einer der epochalen Denker der Upanishadepoche ist, – das berühmte TAT TVAM ASI wird ihm in den Mund gelegt, – muß dem enttäuschten Sohn bekennen, daß er von der ›Zwei-Weg-Lehre‹ auch nie was gehört hat.

Aber Ārunis Erkenntnisdurst kennt keine Hemmung: er erniedrigt sich willig: der gefeierte Lehrer und Eingeweihte kommt als Schüler zum Fürsten, der eigentlich nur zu seinen Füßen sitzen dürfte, um vom Angehörigen der geringeren Kaste zu lernen, und der Fürst gesteht ihm, daß diese Lehre nie zuvor einem Brahmanen zuteil ward. Sie gehört nicht zum Schulwissen der Opfertheologie des älteren Veda, ist ein Teil des indischen Gedankenguts, das mit den Upanishads, von bahnbrechenden Denkern wie Āruni anerkannt und anverwandelt, in die heilige Schultradition seinen Einzug hält. Das Indien, in das diese vedische Schultradition der einwandernden Arier sich einsiedelte, um sich vergeblich gegen die neue geistige Umwelt abzukapseln, ist vielfältig befruchtet von der sumerisch-babylonischen Kultur, nicht nur die Funde der Induskultur (Mohenjo-Daro) im zweiten Jahrtausend und der Stil der Plastik von Barhut im zweiten Jahrhundert v. Chr. Vgl. L. Fabri Mesopotamian and early Indian Art, comparisons in Etudes d'Orientalisme, publiées par le Musée Guimet à la mémoire de Raymonde Linossier, Paris 1932. beweisen das, die Belege aus Kosmologie und Symbolik verschiedenster indischer Räume und Zeiten ließen sich häufen, den Einfluß Alt-Mesopotamiens auf das vorarische Indien zu erhärten, Vgl. u. a. H. Zimmer Die vorarisch-altindische Himmelsfrau in Corolla, Festschrift f. L. Curtius, Stuttgart 1937. In diesem Band S. 57-63. – ein gegenteiliges Verhältnis beider Kulturkreise zueinander wäre ja auch sehr verwunderlich.

Diese jungvedisch-gnostische Wiedergeburtslehre vom ›Wissenden‹, der sich kraft seiner Gnosis der sublunaren Zone und ihrem Kreislauf von Tod und Wiedergeburt entrückt, wird ihre letzten Wurzeln im Zweistromland haben: sumerisch-babylonisches Geistesgut, nach Osten ausgestrahlt und schöpferisch anverwandelt, wie es aus der alten Wiege so vieler Dinge, die bis heute über uns mächtig sind, nach Westen wandernd zur griechischen Orphik wurde, und schließlich, aufs neue von den alten Kräften des vorderasiatischen Mutterbodens genährt, als Gnosis seine Auferstehung feierte.

Die Kaushītaki-Upanishad lehrt: »Alle, die aus dieser Welt abscheiden, gehen allesamt zum Monde; von deren Lebenskräften (prāna) schwillt er an in der ersten Hälfte des Mondmonats, dann bringt er sie durch die Hälfte des abnehmenden Mondes zur Geburt« – sie werden auf Erden neu empfangen und geboren. »Aber der Mond ist auch das Tor zur Himmelswelt: wer ihm Antwort zu geben vermag, den läßt er über sich hinaus, wer ihm nicht zu antworten vermag, den regnet er, zu Regen geworden, hier auf die Erde herab« und er wird als irgendeine Art Tier oder Mensch wiedergeboren, je nach seinen Taten (karman) und nach seinem Wissen. Wenn einer zum Mond kommt, fragt er ihn, »wer bist du?« – hier ist der Mond an die Stelle der Regelzeiten als Prüfer der Seele getreten, – aber der Eingeweihte antwortet ihm mit den alten Strophen an die Regelzeiten. So gelangt er auf den ›Götterweg‹ und steigt durch die Welt des Feuers und des Windes, der Götter Varuna und Indra und des ›Herrn der Geschöpfe‹ zur Welt Brāhmas auf.

Dort fließt der Strom ›Alterslos‹, wächst der Baum ›Erquickung‹, ragt der Palast ›Unüberwindlich‹, der Götterkönig Indra und der ›Herr der Geschöpfe‹ sind die Hüter seiner Schwelle. Darin steht die Ruhestatt ›Unermessene Kraft‹ bereitet und zwei schöne Frauen warten des Vollendeten: Die ›Geistig-Gemüthafte‹ (mānasī) und ihr ›Gegenbild‹, die ›Augenhafte‹ (cākshushī), »mit Blumen in Händen weben sie die Welten«: die geistig-innerliche und die sinnlich-anschauliche Welt. Hier ist auch das Reich der Mütter, der Himmelsfrauen ›Ambā‹ und ›Ambāyavī‹, d.i. Mutter und Mütterchen, und der mütterlichen Ströme des Alls, die ›Ambayā‹, Mutterwesen heißen. »Zu dieser Welt gelangt, wer solches weiß.« Brahmā, der Herr dieser Welt, sendet dem Eingeweihten fünfhundert Himmelsfrauen zum Empfang entgegen: »Eilt ihm entgegen, denn kraft meiner Herrlichkeit (die kraft des Einweihungswissens in ihm ist und ihn zu Brahmās Gleichen erhebt) ist er zum Strome ›Alterslos‹ gelangt, wahrlich er wird nicht altern.« Der Strom ›Alterslos‹ ist der Grenzfluß rings um das Paradies der Todlosigkeit, wie der Styx den Hades und der Flammenstrom »Ohne Furt« (Vaitaranī) die indische Unterwelt begrenzt.

Der Empfang gestaltet sich, – wie das bei solchen ›Zauberflöten‹ für Eingeweihte von jeher üblich ist, – als Große Oper. Chor und Ballett umringen den Helden: fünfhundert Himmelsfrauen mit Früchten, ihn zu erfrischen, mit Salben und Kränzen, Gewändern und Parfümpuder. Sie »schmücken ihn mit dem Schmuck des Brahman.« Solchermaßen neu und gesellschaftsfähig eingekleidet »geht er, mit dem Schmuck des Brahman geschmückt, um das Brahman wissend, auf das Brahman zu«. »Er kommt (vermutlich vorher) an den See ›Āra‹ (Sturmflut), den überschreitet er mit dem Gemüt. Wer zu diesem kommt und nur von Heut und Jetzt weiß, der ertrinkt. Er kommt zum Flusse ›Alterslos‹, den überschreitet er wieder mit dem Gemüte.« Hier ist die Grenze, denn hier läßt er, neu eingekleidet, seine alten Sachen zurück: das ist das unerläßliche negative Ritual der Investitur zum neuen Stande: »er schüttelt seine Guttaten und Übeltaten von sich. Seine Lieben und Verwandten treten den Besitz seiner Guttaten an, seine Feinde den seiner Übeltaten. Und wie Jemand, der zu Wagen dahineilt, auf die beiden Räder zugleich herabblickt, so blickt er auf Tag und Nacht hernieder, so auf Guttat und Übeltat und auf alle Paare von Gegensätzen.« Der Brahman-Wisser ist der Ganze, ist ganz geworden durch Integration des Unterschiedlichen. Er ist jenseits der Gegensätze von Du und Ich, von Ich und Welt, Innen und Außen, Freund und Feind, Leid und Lust. »Bar der Guttaten, bar der Übeltaten, um das Brahman wissend, geht er auf das Brahman zu. Er kommt zum Baum ›Erquickung‹: der Duft des Brahman durchdringt ihn, er kommt zur Stadt Sālajya: der Geschmack des Brahman durchdringt ihn, er kommt zum Schlosse ›Unüberwindlich‹: die sonnengleich blendende, strahlende Glutkraft Brahmās durchdringt ihn. Er kommt: und die beiden Hüter der Schwelle, Indra und der ›Herr der Geschöpfes nehmen vor ihm Reißaus. Er kommt in die Halle ›Vibhu‹ (alldurchdringende göttliche Weite): die Herrlichkeit des Brahman durchdringt ihn. Er kommt zur erhöhten Thronestrade ›Herrlich scheinend‹« – das ist der Name, mit dem schon der Mond in den Strophen angeredet wurde, er meint zugleich »weit ringsum schauend«, denn Sehen ist für den Inder kein empfangendes Spiegeln, aber ein ausgreifendes Ausstrahlen, das nach den Dingen langt, – »diese (Thronestrade) ist Erkenntnis, denn kraft Erkenntnis schaut er weit ringsum. Er kommt zum Lager ›Unermessene Kraft‹: es ist Lebenskraft (prāna: Lebenshauch). Gewesenes und Was sein wird sind seine vorderen Füße, strahlende Schönheit (shrī) und strömende Erquickung (irā) seine Füße rückwärts, ... strahlende Schönheit sein Polster; auf ihm sitzt Brahmā.«

Der Eingeweihte, der kraft seines Wissens selbst Brahman geworden ist, naht ihm nicht kniefällig als Untertan, aber wie ein Herrscher dem anderen: »Zu ihm steigt, wer solches weiß, den Fuß voransetzend, hinauf. Brahmā fragt ihn: ›wer bist du?‹ Er soll ihm antworten: ›Regelzeit bin ich, von den Regelzeiten stamme ich. Aus dem Schoße des Weltraums (Äther: ākāsha) ward ich zusammen, als Samen dem Weibe‹« – das ist sein lunarer Ursprung, den er hinter sich ließ, – zugleich aber weiß er sich Licht vom Unerschöpften Lichte: »›strahlender Glanz des Jahres bin ich, bin das unvergängliche Selbst (ātman) aller Wesen. Du bist das Selbst aller Wesen, – Der Du bist: der bin Ich.‹

Brahmā fragt ihn: ›Was bin ich?‹ – er soll ihm zur Antwort geben: ›die wahrhafte Wirklichkeit‹ (satyam). – ›Was ist die Wirklichkeit?‹ – ›Was von den Göttern und den Lebenskräften (aller Kreatur: prāna) verschieden ist, das ist »wirklich« (sat), die Götter und Lebenskräfte sind, ›yam‹: »Keit«. Das wird durch dieses Wort ›satyam‹ »Wirklichkeit« ausgesprochen; diese Beiden sind das All hier.‹« – Welt und Überwelt, Kosmos und Transzendenz bilden das Ganze, bilden die entfaltete Vergänglichkeit und das wahrhaft Wirkliche jenseits, das ihr Quell ist; – »›Dieses All hier – bist Du‹, so spricht er da zu ihm.«

Und der Höchste vollzieht (nach einem weiteren Frage- und Antwortspiel) die Assumption: »ER sagt: ›Mein sind die Urwasser des Lebens, diese Welt da ist deine Welt hier.‹« So kehrt der Eingeweihte in den Quell aller Götter und Wesen heim, in die Wasser, die aller Schöpfung vorauf sind, ins Fruchtwasser des Kosmos, in dem Brahmā als golden-unvergänglicher Keim entsteht (Hiranya -garbha), als goldenes Weltei schwillt, dessen halbe Schalen Himmel und Erde bilden und dessen Inhalt sich zu allen Göttern und Kreaturen entfaltet, – in die Wasser des Lebens, in die bei jedem Weltuntergang alle Gestalt, die sich aus ihnen geballt hat, wieder auflöst, wie alle gestaltige Form des Bewußtseins im traumlosen Schlaf zergeht und in der Entrückung des Yogin ins Brahman.

Es sind dieselben Wasser des Lebens, die unsere gnostische Apokalypse durch den Mund des Logos als Born der Wiedergeburt in Gott verheißt: »Und der Geist und die Braut sprechen: › ... Komm! und wen dürstet, der komme; und wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst.‹«

Unter den klassischen Upanishads bieten die beiden größten Brihad-Āranyaka- und Chāndogya-Upanishad Brihad-Āranyaka-Upanishad 6, 2, 1, und Chāndogya-Upanishad 5, 3, 1 schließlich zwei ziemlich gleichlaufende Versionen einer erweiterten Lehre, die nicht bloß die zwei Wege der Wiedergeburt des Menschen in der sublunaren und der supra-solaren Brahman-Sphäre lehren, sondern auch die Herabkunft des Menschen aus der Göttersphäre auf die Erdenwelt. Die beherrschenden Größen des vedischen Ritualdenkens: Opferfeuer und Feuerspenden, geben noch dieser Geheimlehre am Ausgang vedischen Denkens Symbolik und Gliederung: der Mensch entsteht auf Erden dank einer fünffältigen Feuerspende der Götter in fünffacher Verwandlung und Wiedergeburt.

Das erste Opferfeuer, in das die Götter ihre Spende opfern, ist die obere Welt. Sein Brennholz ist die Sonne, ihre Strahlen sind sein Rauch, der Tag ist seine Flamme, die Weltrichtungen seine Kohlen und die Zwischenrichtungen seine Funken. In dieses Feuer opfern die Götter als Spende den Glauben – shraddhā – d. h. die unbedingte Gewißheit, die, des wahrhaft Wirklichen habhaft, fromme Wahrhaftigkeit ist: sich selber treu und voll letzter hingebender Entschlossenheit. Aus dieser Spende entspringt – er ›wird zusammen‹ – der König Soma: der Mond, das Elixier der Unsterblichkeit, der Göttertrank Todlos. Ihn gießen die Götter als Spende ins zweite Feuer: das ist der Regen, nach dem Regengott Parjanya benannt, ein Name, der, schon dem Sanskrit vorauf, der gemeinsamen ›indokeltischen‹ Sprachmaterie und -epoche eigen gewesen ist, im Litauischen erscheint er als ›Perkunas‹, altnordisch als ›Fjörgyn‹. Das Jahr ist sein Brennholz, die Wolken sein Rauch, der Blitz seine Flamme, der Donnerkeil seine Kohlen, die Hagelschlossen seine Funken. Damit ist der Abstieg des göttlichen Keimstoffs ins mittlere Bereich zwischen Himmel und Erde (antariksha) gelangt, hinab in die Wolkenatmosphäre.

In diesem ›Feuer‹ opfern die Götter den König Soma und seine Flüssigkeit verwandelt sich (wie zu erwarten) in Regen. Das nächstfolgende Feuer, das eine Art alchymischer Verwandlung des göttlichen Lebensstoffes bewirkt, den die Götter ihm einflößen, ist die Welt hier unten. Bei diesem Feuer ist die Erde das Brennholz, sein Rauch ist das Feuer, seine Flamme die Nacht, seine Kohlen der Mond, und seine Funken sind die Sterne. Hier ist die sublunare Sphäre von der Erde bis an den Mond und den nächtlich sprühenden Sternhimmel als irdische Einheit begriffen. In diesem Feuer opfern die Götter den Regen, und aus dieser Spende entsteht das »Essen« (die Vegetation als Nahrung).

Das vierte Opferfeuer ist der Mensch, das heißt: der Mann (purusha). Sein aufgetaner Mund ist das Brennholz, sein Atem ist der Rauch, seine Stimme ist die Flamme, seine Augen sind die Kohlen und seine Ohren die Funken. In diesem Feuer opfern die Götter das Essen, und aus dieser Spende entsteht der Same. Das letzte Opferfeuer ist das Weib, sein Brennholz ist der Schoß und die Lust sind seine Funken. In diesem Opferfeuer opfern die Götter den Samen des Mannes und aus dieser Spende entsteht der Mensch auf Erden als letzte fünfte Wandlungsform des göttlichen Stoffs ›shraddhā‹.

Das ist die eigentümliche Lösung für eine der Rätselfragen, auf die der junge Shvetaketu keine Antwort wußte: »Bei der wievielten Spende wenn sie geopfert wird, werden die Wasser mit Menschenstimme begabt, stehen auf und reden?« Von diesen Wassern als Ausgangsstoff der fünffachen magischen Wandlung war am Anfang des alchymischen Prozesses nicht die Rede, dagegen von ›shraddhā‹: ›Glauben‹ als dem Stoff der ersten Spende. ›Shraddhā‹ muß also dieses Wasser sein, freilich nicht das Wasser des Regens in der mittleren Atmosphäre, das erst als dritte Wandlungsform aus dem Mondelixier der Unsterblichkeit wird, sondern das überhimmlische Wasser des Lebens, der göttliche Urstoff der Welt, der sich in alles und jedes Lebendige verwandelt und dessen lebensträchtigste Formen der Mond als göttlicher Saft der Todlosigkeit und der Same des Menschen sind. Mit dieser Vorstellung, daß die Lebenswasser ›shraddhā‹ sind, trägt der Begriff ›shraddhā‹: wahrhafter Glaube im Innesein des wahrhaft Wirklichen, eine urvedische Vorstellung weiter: daß die Urwasser des Alls ›rita‹ sind, das heißt das wahrhafte Element und die Ordnung aller Dinge, das wahrhaft Wirkliche, der ursprünglich ewige Stoff der Welt, allumfassend als Lebensmeer, rings allgegenwärtig, allwissend in Zeitlosigkeit, da allen Lebensgestalten vorauf, die vergängliche Wandlungsform dieser Wasser sind, in ewigem Bestände allein wahrhaft seiend, daher Hüter der Wahrhaftigkeit, eidhütende und Verrat strafende Gottheit.

So opfern die göttlichen Gewalten, die dem Kosmos in allen seinen Sphären als wirkende Kräfte inne sind, die Ursubstanz des Alls, die Wasser, in die verwandelnde Kraft des heiligen Feuers, das (wie die Wasser) viele Formen in den verschiedenen Schichten des Kosmos hat, angefangen von der oberen Welt bis zum Schöße des Weibes, –: lauter Stätten der Wiedergeburt.

»In eben dieses (fünfte) Feuer«, sagt der Text, »gießen die Götter den Samen als Spende.« Diese Götter sind offenbar die ›Gottheiten in unserem Leibe‹, die den Mikrokosmos analog zu den Sphären des Makrokosmos in allen seinen Teilen durchwalten Vgl. zu dieser Anschauung meinen Vortrag »Zur Bedeutung des indischen Tantra-Yoga«, Eranos-Jahrbuch 1933, p. 51-55. In diesem Band S. 107-111.. »Aus dieser Spende entsteht der Mensch. So aber werden die Wasser bei der fünften Opferspende mit menschlicher Stimme begabt. In die Eihaut gehüllt ruht der Keim zehn oder neun Mondmonate lang innen, dann wird er geboren. Er lebt, solange er lebt. Wenn er dann stirbt, nehmen sie ihn zum (Leichen-) Feuer. Dieses Feuer ist eben ein Feuer (ein richtiges gewöhnliches Feuer), sein Holz ist Holz, sein Rauch ist Rauch, seine Flamme ist Flamme, seine Kohlen Kohlen und seine Funken sind Funken. In dieses Feuer schütten die Gottheiten den Menschen als Spende; aus dieser Spende entsteht ein lichtfarbener Mann (oder Mensch: er ›wird zusammen‹).

Solche nun, die alles das wissen, und jene anderen, die in der Waldsamkeit den Glauben (shraddhā) als das wahrhaft Wirkliche in Andacht und Sammlung verehren, die gehen ein in die Flamme des Feuers, aus der Flamme in den Tag, aus dem Tag in die lichte Monatshälfte des sich füllenden Mondes, aus der Monatshälfte des sich füllenden Mondes in die sechs Monde (das Halbjahr), in denen die Sonne nordwärts geht (d. h. ins steigende Jahr zwischen Winter- und Sommersolstiz, wo die Sonne zwischen kürzestem und längstem Tag ihren Auf- und Untergangspunkt täglich weiter nach Norden verschiebt und einen immer weiteren, höheren Tagbogen beschreibt).

Von dort gelangen sie in die Götterwelt, von der Götterwelt in die Sonne, von der Sonne in die Sphäre des Blitzes. Dort naht ihnen ein geistiger Mann (oder, nach der anderen Version: »ein Mann, der kein Mensch ist«) und geleitet sie in die Brahmanwelten. In diesen Brahmanwelten bewohnen sie die jenseitigen höchsten Fernen, von diesen ist keine Wiederkehr. Das ist der ›Götterweg‹.«

Hier ist keine Rede mehr von den Regelzeiten als Hüter der Schwelle, oder vom Mond als Tor zur Oberwelt, wo der Wissende Rede stehen muß, ob er ganz der erdhaft lunaren Sphäre und ihrem zeitlosen ›Stirb und Werde‹ verfallen ist, oder aber, ob er sich als ›Licht vom unerschöpften Lichte‹ bekennen und in den höchsten Lichtquell kosmischer Kräfte heimkehren darf. Auch die Sonne ist nicht mehr Prüfer der Seelen, aber die Blitzsphäre, als höchstes Himmelslicht, bemächtigt sich wortlos der Wissend-Berufenen und führt sie heim ins obere Jenseits: dort »bewohnen sie die jenseitigen höchsten Fernen«: ›parāh parāvatah‹.

Wer dieses ›Wissen‹ um die Wiedergeburt am höchsten Quell nicht besitzt, noch die shraddhā als wahrhafte Ursubstanz, als Wasser des Lebens in Andacht verehrt, bleibt im sublunaren Zirkel befangen. Erwirbt er sich durch Vollzug des brahmanischen Opfer-Rituals, durch Mildtätigkeit und Askese Himmelslohn, so gelangt er zum Monde. Der Weg ist – in dieser späteren Lehre – von Anbeginn an ein anderer als zur Brahmanwelt. Er führt über die minderen, lichtärmeren Stufen: statt in die Flamme des Totenfeuers in ihren Rauch, weiter durch die Monatshälfte abnehmenden Mondes, durch die Jahreshälfte des kürzer werdenden Sonnenbogens. So gelangt der Tote in die ›Väterwelt‹ und in den Mond: das ist der ›Väter-‹ oder ›Ahnenweg‹.

Dort werden die Toten als ›Essen‹ wiedergeboren, dort nähren sich die Götter von dieser himmlischen Substanz, indem sie den Mond, den ›König Soma‹ verzehren nach dem Wort »schwill an und nimm ab!«. »Und wenn dieser kreisende Vorgang mit ihnen vorüber ist, gelangen sie (die Seligen im Monde) in den Äther, vom Äther in den Wind, aus dem Wind in den Regen, vom Regen in die Erde. In die Erde gelangt, werden sie Essen, und wiederum werden sie als Spende ins Feuer des Mannes gegossen und von da im Feuer der Frau geboren, wiederauferstehend zu den Welten kehren diese auf ebendiese Weise immer wieder. Welche aber um diese beiden Pfade nicht wissen, werden zu dem, was kreucht und fleucht und beißt.« Dieser Schluß über die Wiedergeburt auf Erden nach Brihad-Āranyaka-Upanishad 6, 2. 16; das Voraufgehende nach derselben Version und Chāndogya-Upanishad 5, 3, 1-9. Daselbst heißt es über die Rückkehr aus dem Monde, in dem die Seelen als Essen den Göttern gedient haben: »dort wohnen sie bis sie (den erworbenen Himmelslohn, ihr gutes karman) bis zur Neige geleert haben, dann kehren sie denselben Weg, wie sie ihn gegangen sind, wieder zurück: in den Äther, aus dem Äther in den Wind. Wind geworden wird er Dunst (d. i. ›Rauch‹), Dunst geworden wird er Wolke, zu Wolke geworden, regnet er herab. Diese werden hier auf Erden als Reis und Gerste, Kräuter und Bäume, Sesam und Bohnen geboren. Aus diesen (Existenzformen) heraus zu gelangen ist freilich äußerst schwierig: immer wenn einer Essen ißt und Samen ergießt, davon ersteht Jemand neu. Welche nun hier auf Erden lieblichen Wandels sind, für die besteht Aussicht, daß sie in einen lieblichen Schoß gelangen, in einen Schoß der Brahmanen-, Adels- oder Vaishyakaste; die aber hier stinkenden Wandels sind, für die besteht Aussicht, daß sie in einen stinkenden Schoß gelangen: in einen Hunde-, Schwein- oder Tschandālaschoß. Aber auf keinem dieser beiden Wege sind jene winzigen Lebewesen, die in einemfort immer wiederkehren nach der Devise ›Stirb und Werde‹ (wörtlich: ›werde geboren und stirb‹). Dieses ist der dritte Stätte. Das ist der Grund, warum jene Welt da oben nicht voll wird. (Eine der Fragen, die Shvetaketu dem Fürsten nicht beantworten konnte, war: »weißt du, wieso jene Welt da oben nicht voll wird?«) Darum soll man sich in acht nehmen. Dazu gilt der Vers: ›Wer Gold stiehlt, Branntwein trinkt, im Ehebett des Guru schläft oder einen Brahmanen erschlägt, –: die vier stürzen in den Abgrund, und als fünfter, wer mit ihnen umgeht.‹ Aber wer um jene fünf Feuer (als verwandelnde Kräfte fünffacher Wiedergeburt in den fünf Sphären des Kosmos) weiß, der wird fürwahr, auch wenn er sich mit all diesem abgibt, von keinem Übel befleckt; rein und heilig, ein Glied der reinheiligen Welt ist er, der solches weiß.«

Der ›Väter-‹ oder ›Ahnenweg‹, der Kreislauf in der sublunaren Zone ist der ältere Gang. Einst war der Mond mit seiner ständigen Neugeburt aus völligem Hinschwinden das tröstliche Zeichen dafür: der Tod sei nur ein Durchgang, wie die mondlos schwarze Nacht, zur Wiedergeburt der schmalen Kleinkind-Sichel, die rasch zu voller Pracht anschwillt, nach dem Worte »schwill an und nimm ab«. Das Spiel der Mondphasen war das greifbare Unterpfand ewig erneuter Wiedergeburt. Aber dieses lunare Weltalter des Menschengeistes mit seiner Unsterblichkeitshoffnung ewigen Wechselspiels, ward vom solaren Weltalter abgelöst, das dem durch ›Wissen‹ Eingeweihten die wandellose Ewigkeit sonnengleichen Daseins verhieß. Was einst im Zeichen des Mondes höchster Trost und sichtbare Hoffnung war, ward zum beklemmenden Zirkel ›Stirb und werde‹, aus dem allein ein esoterisch ›Wissender‹ den Ausgang ›wußte‹: nach oben, in ein höheres Jenseits. Der lunare Zirkel schafft die tiefe Lebensverdrossenheit des Samsāra, den bitteren Geschmack ziellos-zeitlosen Wandelspiels der Lebensgestalten, der Indiens Spezifikum ist von uralt her:

»Unablässig an jedem Fleck, in jeder Himmelsrichtung, im Wasser und am Festen, wird geboren und wird gestorben: wie Blasen im Wasser.«

Diese Kritik an Wiedergeburt und Unsterblichkeit im sublunar-stofflichen Kreislauf äußerte schon jener Shātyāyani des Jaiminīya-Brāhmana: »von vielen Leiden geplagt ist diese Welt oft. Wer, der sie von sich geworfen hat, sollte wieder zu ihr kehren mögen oder hier in ihr sein?«

Das ist gut gnostisch. Die mittelalterliche Sekte der Katharer (der ›Reinen‹ – ein anspruchsvoll-anstößiger Name), die zusammen mit den Albigensern um Christi willen mit Feuer und Schwert ausgerottet wurden, weil sie gnostischen Irrlehren anhingen, vertraten die Lehre: »die einzige Hölle, die es gibt, ist die sublunare Welt hier«. Das ging zu weit, –: das ist gut indisch. So sehr die mittelalterliche Kirche in schöner Unbefangenheit das irdische Menschenleben als Jammertal der Tränen und Prüfungen lehrte, – war nicht durch Christi realen Opfertod die Welt ›losgekauft‹ und gereinigt? Das neuere Abendland hat sich die sogenannte schöne Erde nie durch solche gnostisch-indischen Sprüche auf die Länge verekeln lassen, und die kollektiven Menschengewalten, die das sublunare Erdendasein jeweils zur Hölle zu machen drohen, indem sich in ihnen die Bestialität der Menschen organisiert und mit vorgehaltenen Idealen ein gutes Gewissen gibt, einander zu vergewaltigen und zu verbrennen, auszuplündern und auszutreiben, – bald Mutter Kirche, bald Vater Staat, bald Bruder Volksgenosse – diese dämonisch kollektiven Gewalten wenden sich entschieden gegen die extra ›reinen‹ Mäkler, die von der Warte einer höheren Einweihung aus auf das Stirb- und Werdespiel der sublunaren Hölle, auf die Wollust des Samsāra in Krampf und Lust, Blut, Asche und Tränen herabzusehen sich erlauben. Darum schlägt alle indische Weisheit, so sehr man sich in westlichen Zirkeln für sie interessiert, so selten wahrhaft Wurzel bei uns.

Das Wissen des Menschen um sein ewiges Teil, zu dem er wiedergeboren sein will, erhebt sich über die sichtbare Sonnenwelt zur ungreifbaren Region des Brahman, der heiligen Kraft, die Götter und Seher eint und in heiligem Brauch, Wort und Wissen lebendig ist: Inbrunst und Glaube des Eingeweihten. Wer dem Bannkreis sublunarer und solarer Zone als ›Wissender‹ (also im Besitz der ›Gnōsis‹) zu entschreiten vermag, und in die Brahma-Sphären eingeht, die ›parāh parāvatah‹: ›jenseitige höchste Fernen‹ sind, ist nach gnostischer Anschauung ein ›Perate‹, er ist kraft seines Wissens, seiner ›gnōsis‹, ins ›Peras‹, ins obere Jenseits der Welt gelangt. Ihm ist das ›Perān‹ gelungen: das Überschreiten des Bannkreises der Wiedergeburten und der unteren Welt.

Hippolytos, Bischof von Ostia, um 200 n. Chr. handelt in seiner »Elenchos«-Schrift gegen die Häresien seiner Zeit unter den gnostischen Lehren an zweiter Stelle die Sekte der ›Peraten‹ ab, die sich rühmen, allein imstande zu sein, »die Vergänglichkeit zu ›überschreiten‹ (perān)«. Ihre Eingeweihten haben glücklich das Rote Meer überschritten: das Wasser der Vergänglichkeit, welches Kronos ist (kreisende Zeit und Tod) und sind der Sklaverei in Ägypten entronnen, dem Leben im Leibe, der sublunaren Stirb- und Werdewelt, sie sind jenseits der Schöpfung gelangt: dank ihrer Gnosis, ihrem ›Wissen‹, da sie »die Notwendigkeit in der Schöpfung erkannt haben und die Wege, auf denen der Mensch in die Welt kam«. Vgl. H. Leisegang Die Gnosis, Leipzig, Kröners Taschenausgaben Bd. 32, p. 142: Hippolytus berichtet nach den Originalquellen der Peraten: »Sie nennen sich aber Peraten, da sie glauben, daß keine Kreatur dem von Geburt an den Geschöpfen bestimmten Schicksal entfliehen könnte. Denn wenn etwas ›geboren ist, muß es auch wieder zugrunde gehen‹, wie es auch die Sibylle meint. Wir allein aber, die wir die Notwendigkeit in der Schöpfung erkannt haben und die Wege, auf denen der Mensch in die Welt kam, haben es auch gründlich gelernt, hindurch zu wandern und sind allein imstande, die Vergänglichkeit zu überschreiten.« »... Der Tod erfaßt die Ägypter im Roten Meere samt ihren Streitwagen; alle Unwissenden – d. h. die nicht die Gnosis haben – sind Ägypter. Und das ist die Bedeutung des Auszuges aus Ägypten, nämlich des Auszuges aus dem Körper; denn ein kleines Ägypten ist nach ihrer Ansicht der Körper; und das Rote Meer überschreiten heißt das Wasser der Vergänglichkeit überschreiten, welches der Kronos ist; und jenseits des Roten Meeres sein heißt jenseits der Schöpfung gelangen; und in die Wüste kommen, das heißt außerhalb der Schöpfung sein, wo zugleich alle Götter des Verderbens und der Gott der Erlösung sind. Die Götter des Verderbens aber sind die Sterne, die den Geschöpfen die Notwendigkeit sich wandelnder Geburt auferlegen.«

So sind sie heimgekehrt ins Land der Verheißung, ins gelobte Land, das die Apokalypse die Braut oder das Himmlische Jerusalem oder den Geist, den Logos nennt. Schon Philon von Alexandria ist der Begriff des ›perān‹ geläufig, desgleichen der Sekte der Naassener, die den Peraten verwandt ist, – aber sind nicht alle Gnostiker, und ihnen verwandte Mystiker und alle Erlösungslehrer, die einen kosmischen Aufstieg der befreiten Seele in ein Jenseits, ein fernes oberes ›Peras‹ lehren, – Peraten? Man könnte ›Peraten‹ zum Gattungsbegriff für sie alle wählen; die pythagoräischen Orphiker, die Bachofens Gefäß von Canosa bezeugt, sind so gut Peraten wie die jungvedischen Eingeweihten der ›Fünf Feuer‹ und ›Zwei Wege‹; die Welten ›parāh parāvatah-‹ sind Laut für Laut das gnostische ›peras‹.

Die orientalisch-antike Kosmologie, die den realen Rahmen des Aufstiegs der Seele zur höchsten Wiedergeburt bildet, gehört für uns Heutige ins Bereich erhabener Symbolik; das göttliche Welttheater, durch dessen Schnürboden die Seele real aufwärts fuhr, ist heute geschlossen. Moderne Physik und Astronomie haben den Kosmos entgöttert: bei den vorsokratischen Denkern, den vorptolemäischen Naturforschern der Griechen fing es an, Galilei und Kepler griffen es auf, Einstein und Planck, Eddigton und Dirac treiben es weiter.

Was pythagoräischer Orphik, christlicher und jungvedischer Gnosis kosmische Wirklichkeit war, ist vor den Teleskopen von heut, die hinter die Milchstraße langen und unser Sonnensystem mit dem Krümchen Erde darin zum lokalen Karussell, zum dörflichen Rummelplatz in asiatischer Sternenweite verzwergen, geworden zu dem, was es immer war: zum Sinnbild seelischer Bereiche und Vorgänge.

Was der Mensch von der Steinzeit bis zum Rand der Gegenwart an Bildern und Ahnungen seiner Tiefe auf die schimmernde Filmleinwand des Alls projizierte, es zu beleben, ist wieder in ihn zurückgeströmt.

Indien hat das Wesen solcher Kosmologien und Wege der Wiedergeburt durch ihre Sphären schon vor mehr als zwei Jahrtausenden als Projektionen der Psyche auf den Weltraum außen begriffen, und diese Erkenntnis frühzeitig am schärfsten im Mahāyāna-Buddhismus formuliert. Es brauchte dazu nicht Astronomie und Mathematik, noch Physik und immer schärfere Linsen und Methoden, die einzigartige praktische Psychologie des Yoga hat allen gnostischen Möglichkeiten mit ihren kosmischen Seelenwegen in Indien ein frühes Ende gemacht. Die Aufhellung des inneren Seelenkosmos bis in seine Tiefen entzauberte die Projektionen dieser quellenden Tiefe, deren selbstgeschaffene Bilder außen Auge und Gemüt des Menschen im Bann ihrer Māyā halten. Yoga mit vorarisch alten Wurzeln durchschaut alle gnostische Weltlehre als sinnbildliche Seelenwirklichkeit; die ›Zwei-Wege-Lehre‹ ist mit der brahmanischen Rituallehre vom Feueropfer zum tauben Bestände verholzter Überlieferung geworden. Das Höchste Jenseitige (para, peras), das Brahman ist als innerstes Selbst (ātman) dem Menschen und allem Wesen inne: von hier entspringt alle Māyā von Welt und Ich, und alle Zonen des Weges zu ihm liegen in uns, im inneren Kosmos.

Ein großer lebender Weiser Indiens, der Heilige Shrī Ramana Maharshi von Tiruvannamalai (geb. 1879) hat diesen Weg nach Innen, den der Hinduismus wie keine andere Kultur methodisch ausgebildet hat, in Formeln des Vedānta-Yoga neu gelehrt, wie er ihn neu erfahren hat: als Suche nach dem Selbst:

»Mitten in der Höhle des Herzens leuchtet all-einig das reine Unbedingte, das Brahman, als ›ICH-ICH‹ offenbar in Gestalt des Selbst, des ātman. Laß dein Gemüt sich selbst erforschen, laß es hinab- und im Herzen untertauchen und finde angehaltenen Atems deinen Stand im Selbst Diese von Shri Ramana verfaßte Strophe steht in T  Ganapati Shāstri's Ramana-Gītā II. 2 als Quintessenz seiner Lehre; die beiden folgenden Strophen in den 40 Lehrversen Shrī Ramanas Nr. 28 und 30 (Sat-Darshana-Bhāshya Vers 30 und 32, Truth Revealed, Sad-Vidyā 28 und 30). Das Schlußwort steht in Shrī Ramanas Anubandbam  (Supplement to Sad-Vidya II/12 (in Truth Revealed, Sad-Vidyā p. 33). Die Lehrgespräche, Lehrreden und Merksprüche Shrī Ramana Maharshis sind in einer Reihe kleiner Hefte und Bücher im Shrī Ramanasramam Book Depot, Tiruvannamalai, South India, veröffentlicht. Eine Gesamtausgabe derselben auf Deutsch mit biographischer Einleitung und Anmerkungen befindet sich in Vorbereitung. Anm. des Hrsgs: Erschienen u. d. T.: Der Weg zum Selbst von Heinrich Zimmer. Zürich 1943 1. Shri Ramana starb 1950.

»Wie ein Taucher, der finden will was ins Wasser fiel,
Mußt du gesammelten Gemütes einwärts tauchen,
Mußt Atem, Rede und jede Regung hemmen,
Um die Stätte zu finden, aus der das Ich,
Das aufsteigt, seinen Urstand nimmt.

Wenn das Gemüt, einwärts forschend ›Wer bin ich‹
Ans Herz gelangt, offenbart sich von selbst ein ›ICH-ICH‹,
Vor dessen Gegenwart das Ich sich neigt und auslöscht.

Trotzdem es so sich offenbart, hat es keine Ichnatur, Es ist Vollkommenheit und nichts anderes als das Selbst.«

 

Statt Jenseitswanderung der Seele nach dem Tode, Verwandlung bei Lebzeiten, Erlösung bei Lebzeiten (jīvanmukti):

»Wer zum Kern des Selbst, dem alle Schichten des Ich, alle Sphären der Welt entsteigen, wer zu seinem ersten Ursprung heimfindet mit der Frage ›von wannen bin ich?‹ – wird geboren und wiedergeboren. Wisse: wer so geboren wird, ist der Weiseste der Weisen, – jeden Augenblick seines Lebens wird er neu wiedergeboren.«


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