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Eine indische Fabel
In Indien erzählt man sich von einem tugendhaften König, der mit viel Vernunft regierte. Er hielt sich von weisen Männern umgeben und hörte auf ihren verständigen Rat, er setzte vernünftige Beamte über seine Lande, die das Volk zu Vernunft anleiten und in der rechten Ordnung halten sollten. Wahn und Wirrsal waren ihm ein Greuel. Aber wer kann wider das Geschick? Eines Tages trat sein Sterndeuter vor seinen Thron und vermeldete ihm mit allen Zeichen des Schreckens, er habe in den Sternen gelesen, alsbald werde ein giftiger Regen vom Himmel fallen und alle Brunnen und Quellen, Bäche, Flüsse und Teiche, aus denen die Menschen sich Wasser schöpften, vergiften. Ein großer Wahn werde alles Volk ergreifen, wenn es von dem Wasser tränke.
Der König war bestürzt und befahl unverweilt, den Brunnen seines Palastes abzudecken, daß kein Regen hineinfalle, und sandte reitende Boten in alle Lande, überall ein Gleiches anzubefehlen. Allein was half es? Schon fiel der giftige Regen vom Himmel und verwandelte das Wasser der Quellen und Bäche, Ströme und Teiche, aus denen Volk zu trinken schöpfte. Ein allgemeiner Wahn brach aus und erfüllte mit seinem Wirrsal das Reich; nur der König mit den Weisen seines Palastes blieb einstweilen nüchtern und vernünftig. Umsonst versuchte er dem unsinnigen Treiben, das von nah und weit sein Eiland der Verständigkeit umbrandete, Einhalt zu gebieten, indem er zum Volke redete und ihm zusprach, – »er ist verrückt, er ist wahnsinnig!« scholl es ihm entgegen, und des Lachens über ihn war kein Ende.
Schließlich begriff er, daß ihm nicht anderes übrig bliebe, als sich dem unerforschlichen Willen des Himmels zu beugen und auch von dem Wasser zu trinken, das der Tau des Himmels verwandelt hatte. So tat er mit seinen Weisen und sie wurden alle wie die Übrigen. Da hatte er das Zutrauen Aller wieder und der Aufruhr legte sich. Es heißt, daß seine Herrschaft auf der neugeschaffenen gemeinsamen Grundlage weiterging wie auf der alten, vergangenen; eigentlich merkte niemand, wie sehr sich Alles verändert hatte; höchstens ein seltener Fremder, den Zufall oder Wißbegier in das Reich führte, verwunderte sich über das Treiben daselbst. (Verfaßt vermutlich Ende 1937.)