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Lu Isheim war seit einigen Tagen nicht wiederzuerkennen. Ihre Unbefangenheit und Lebensfreude waren einer gereizten Unruhe gewichen, und nur den geschäftlichen Sorgen, über die ihr Mann jetzt ständig klagte, konnte man es zuschreiben, daß ihm die auffallende Veränderung in ihrem Wesen völlig entging. Blaß und verstört, unter den Augen dunkle Schatten, schlich Lu in den geräumigen Zimmern des Isheimschen Besitzes umher, und die Dienerschaft bemühte sich, nach Möglichkeit unsichtbar zu bleiben, da niemand Lust verspürte, den Sündenbock für ihre Launen abzugeben.
James, das Faktotum des Hauses, machte sich seine eigenen Gedanken über die Ursachen dieser Mißstände. Seiner Würde bewußt, behielt er aber, wenn die übrige Dienerschaft sich in Mutmaßungen über die Zerrüttung der einst so glücklichen Ehe erging, seine Meinung für sich. Höchstens erlaubte er sich dabei ein feines Lächeln, das wohl ein überlegenes Wissen ahnen ließ, jede neugierige Frage aber von selbst verbot.
Das Gesicht in ernste Falten gelegt, klopfte er eben vorsichtig an die Tür von Lus Zimmer. Als sich nichts rührte, drückte er auf die Klinke und trat, zum Entsetzen der sein Tun mit Spannung verfolgenden Diener und Mägde, kurz entschlossen ein.
Lu lag zigarettenrauchend auf dem Sofa und warf sich bei seinem Eintritt wütend herum. Ihre Augen funkelten zornig, als sie empört hervorstieß:
»Was erlauben Sie sich, James?! Ich will nicht gestört sein!«
Das Gesicht James' blieb kalt und ausdruckslos.
»Der gnädige Herr läßt die gnädige Frau bitten, sofort im blauen Salon zu erscheinen«, sagte er sehr bestimmt. »Es ist ein Gast da.«
»Es ist gut«, sagte Lu kurz. »Machen Sie, daß Sie mir aus den Augen kommen.«
Sekundenlang schien es, als wollte James auffahren, aber er bezwang sich. Die Blicke, mit denen er Lu betrachtete, als sie eine knappe Viertelstunde darauf in einem lichtblauen Seidenkleid an ihm vorbeirauschte, schienen aber wenig Gutes zu verheißen.
Beim Eintreten Lus erhob sich Isheim und sagte zu seinem Gast gewandt:
»Gestatten Sie, daß ich Ihnen meine Frau vorstelle. Lu, das ist Herr von Gorny, ein Geschäftsfreund von mir.«
Lu kam mit kurzen, leichten Schritten, ein freundliches Lächeln auf den Lippen, näher. Kaum aber hatte sie das Gesicht des Gastes erblickt, als sie unmerklich zusammenzuckte und in jähem Schreck ihr feine Batisttaschentuch an die Lippen preßte.
»Was ist dir? Um Gotteswillen, Lu ...« In plötzlich erwachtem Mißtrauen hob Isheim den Kopf und sah prüfend zu seinem Gast hinüber. Von Gornys Gesicht aber blieb unverändert und zeigte ein gleichmäßiges, freundliches Lächeln.
»Nichts, nichts«, stotterte Lu verwirrt. »Ein plötzliches Unwohlsein, weiter nichts.« Mit einem matten Lächeln streckte sie dem Besucher ihre Rechte entgegen.
»Seien Sie willkommen in unserem Hause, Herr von Gorny«, fuhr sie tonlos fort. Dann begann sie, einer Eingebung folgend, eifrig zu plaudern. Da war von Gorny so recht in seinem Fahrwasser. Die Unterhaltung plätscherte leicht und seicht dahin, und der etwas schwerfällige Fabrikant fand nur selten Gelegenheit, ein Wort einzustreuen. Er hörte auch nur mit halbem Ohr zu. Er fühlte es mehr, als es ihm zum Bewußtsein kam, daß hier etwas nicht ganz in Ordnung war. Die beiden sprachen gerade so, als wenn sie sich schon längst kannten.
Der Eintritt James' kam ihm in diesem Augenblick sehr gelegen.
»Der gnädige Herr werden am Fernsprecher verlangt. Bankdirektor Jakobson ist am Apparat«, meldete er.
Isheim erhob sich rasch.
»Entschuldigen Sie bitte. Bin im Augenblick wieder da!«
Eine Weile herrschte Schweigen im Raume.
»Lu, du bist eine dumme Gans!« sagte von Gorny plötzlich mit einem verächtlichen Zucken um die Mundwinkel. »Keine Spur von Selbstbeherrschung!«
Lu atmete schwer.
»Ich konnte doch nicht wissen ...« verteidigte sie sich. »Es kam mir so unerwartet ...«
Von Gorny lachte spöttisch auf.
»Glaubst du vielleicht, – mir nicht? Ich werde hierher geschickt, um Isheims Frau, eine der Unsrigen, kennenzulernen ...«
»Was redest du da?« rief Lu entsetzt. »Du bist einer von den ...«
»Jawohl«, versetzte von Gorny gleichmütig. »Ich bin einer von den ... Na, du weißt schon. Genau so wie du! Aber das kannst du mir glauben, als ich hierher kam, ahnte ich nicht, daß dies Mitglied der Unsrigen, das ich kennenlernen sollte, die kleine Lu sein würde, deren Eigensinn mir seinerzeit beinahe einige Jährchen Aufenthalt im Zuchthaus eingebracht hätte. Halt! Isheim scheint schon Schluß zu machen ... Morgen abend um 9 Uhr kommst du zu mir ...«
»Nein, nein! Wo denkst du hin ...«
»Morgen abend kommst du zu mir«, wiederholte er sehr nachdrücklich, »hier ist meine Karte. Übrigens, weißt du auch, daß der Diener vorhin ebenfalls ...«
»Was?«
»... einer der Unsrigen ist? Sei vorsichtig!«
»Ich werde ihn auf der Stelle entlassen!«
»Du wirst dich hüten! Er könnte ...« von Gorny brach ab, da Isheim bereits eintrat.
»Nur Ärger!« brummte er. »Dieser Jakobson erkundigt sich, ob die Aktien meiner Gesellschaft sicher seien. Ich kann es mir selbst nicht erklären, warum sie heute um weitere drei Punkte gefallen sind. Nur Ärger und Sorgen! Ach entschuldigen Sie ... Oh, Sie wollen schon gehen? Also, was das Geschäft betrifft ... Ich werde Ihnen in etwa drei, vier Tagen Bescheid geben ...«
Während die üblichen Abschiedsworte gewechselt wurden, merkte niemand, auch der schlaue von Gorny nicht, wie sich ein Türvorhang beiseite schob, und eine schmächtige Gestalt aus dem Zimmer huschte. Es war der Diener James.
Von Gorny schritt in Gedanken versunken durch die hell erleuchteten Straßen. Einige Male blieb er stehen und sah nach der Uhr. Schlag zehn Uhr klopfte er an eine Tür, deren blankes Messingschild die Aufschrift »Anna Schmidt-Lindner« trug.
Gleich darauf sah er sich in einem kleinen, gemütlichen Salon, dessen Einrichtung von dem guten Geschmack seiner Besitzerin zeugte. An einem japanischen, geschnitzten Rauchtisch saßen in nachlässiger Haltung zwei Damen. Eine von ihnen, Frau Schmidt-Lindner, erhob sich bei seinem Eintritt.
»Darf ich bekannt machen? Meine Freundin Nina Holm, Herr von Gorny, ein guter Bekannter und Geschäftsfreund, mit dem ich voriges Jahr eine Zeitlang in London arbeitete.«
Von Gorny machte eine tadellose Verbeugung.
»Wir sind hier ganz unter uns!« fuhr die Hausfrau fröhlich fort. »Nina ist auch eine der Unsrigen!«
»Das ist ja reizend!« Von Gorny setzte sich, wobei er peinlich auf die Lage seiner Bügelfalten bedacht war. Dann erst blickte er auf. Er sah in zwei weitgeöffnete, dunkle Mädchenaugen, die ihn mit dem Ausdruck des Staunens anstarrten. Er wußte sofort, daß er auf dieses Mädchenherz einen tiefen Eindruck gemacht hatte, und während er die beiden Damen geschickt in ein Gespräch verwickelte, ließ er unauffällig seine Augen an ihr entlang gleiten; betrachtete die etwas herben, nicht unschönen Gesichtszüge des Mädchens und zog unwillkürlich Vergleiche zwischen ihr und der Gastgeberin, die durchweg zugunsten Ninas ausfielen.
»Sie müssen uns helfen, Herr von Gorny!« sagte jetzt Frau Schmidt-Lindner. »Nicht wahr, Nina, wir können doch Herrn von Gorny vertrauen und ihn in unser Geheimnis einweihen?«
»Ja, gewiß«, meinte Nina etwas hastig.
»Sie helfen uns doch, nicht wahr?« bat die Gastgeberin.
»Aber selbstverständlich«, versicherte von Gorny. »Schießen Sie mal los!«
»Es handelt sich um einen Auftrag der Unbarmherzigen. Diebstahl! Soweit also unser Fall. Aber es ist eigentlich ein Einbruchsdiebstahl, und dann sind auch die ganzen Umstände etwas ungewöhnlich.«
Von Gorny lächelte.
»Da versagen wohl wieder einmal die üblichen Methoden?« sagte er heiter. »Also, los! Ganz ungeniert, bitte!«
»Es ist Einbruch, Raub, wenn Sie wollen. Scheint nicht ganz ungefährlich!«
»Da gehören ein paar stramme Jungen dazu, und nicht ... Aber ganz gleich! Weiter!«
»Im Metropol-Theater gelangt am Freitag der Film ›Die Unterwelt Berlins‹ zur Vorführung. Spätestens in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag muß der Film in unseren Händen sein.«
Von Gornys Blicke waren starr.
»Einen Film stehlen? Kinners, so was ist mir doch noch nicht vorgekommen. Ich bin sprachlos!«
Frau Schmidt-Lindner zuckte die Achseln.
»Mir ist so etwas auch noch nicht vorgekommen. Kann mir auch keinen Reim darauf machen. Aber darum handelt es sich ja gar nicht. Die Befehle der Unbarmherzigen verlangen unzweideutig den Raub. Wird also gemacht! Fragt sich aber – wie?«
Von Gorny hatte sich bereits gefaßt. Er spürte, daß hier irgend etwas verborgen war, dessen Kenntnis ihm Vorteile verschaffen konnte. Und sobald er einen Vorteil witterte, war er sehr ruhig.
»Wie kommt es, daß man gerade Sie mit einer solchen Aufgabe betraut?« erkundigte er sich.
»Drei Knacker sitzen. Zwei sind krank. Die übrigen haben keinen Dunst vom Film und so!«
Von Gorny nickte gewichtig.
»Und Sie? Sie haben Dunst? Nicht wahr?«
»Ich gehe oft ins Kino«, stimmte sie zu. »Und mein Onkel war einmal Amateurphotograph.«
»Bravo! Die Vorbedingungen zu einem erstklassigen Filmraub sind erfüllt.«
»Glauben Sie nicht?«
»Hm ...« Von Gorny wurde plötzlich ernst. »Um wieviel Uhr wollen Sie rein?«
»Um halbvier Uhr nachts.«
»Und wie?«
»Der Portier ist gekauft.«
»Schlüssel?«
»Alle – insgesamt vier Stück – beschafft!«
»Wieviel lebende Wesen zwischen Außentür und Objekt?«
»Nur ein Hund. Wird vom Portier eingeschläfert.«
»Gut! Belebte Straße?«
»Ja. Hat aber nichts zu sagen. Zum Kino geht's durch einen Hof.«
»Aber das ist doch fabelhaft! Warum dann die Sorge?«
»Ich weiß nicht recht ... Wie finde ich nur die Rolle? Ich habe mit solchen Dingern nie zu tun gehabt!«
Von Gorny hob kaum merklich die Augenbrauen.
»Aber Sie gehen doch oft ins Kino?«
»Nun und?«
»Und Ihr Onkel war einmal Amateurphotograph!« ergänzte von Gorny todernst.
Frau Schmidt-Lindner lächelte.
»Aber Nina! Du redest ja gar nicht mehr! Bitte doch Herrn von Gorny! Er weiß in solchen Dingen Bescheid!«
»Bitte, helfen Sie uns!« sagte das Mädchen leise und wurde bis unter die Haarwurzeln rot.
»Gemacht!« Von Gorny schlug sich auf die Schenkel und sprang lebhaft auf. »Heute haben wir Dienstag. Bis Donnerstag abend acht Uhr werde ich ausbaldowern, wie das Ding aussieht, und wo es steht. Wenn alles andere klappt – daran soll der Plan gewiß nicht scheitern! So, und jetzt wollen wir mal das Geschäftliche hübsch beiseite lassen und uns zu dritt einen recht gemütlichen Abend machen!«
Und es wurde auch wirklich ein sehr gemütlicher Abend, denn von Gorny verstand es wie kein anderer, seine Mitmenschen zu unterhalten. Besonders, wenn er wollte. Und diesmal wollte er. Nina gefiel ihm, und er hatte seine Pläne mit ihr.