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I. Johannes Labia

Von Gottes Gnaden apostolischer Protonotarius dem ehrwürdigen Manne Magister Ortuin Gratius aus Deventer, seinem vielgeliebten Bruder hunderttausend Scheffel Grüße nach der neuen Grammatik.

Vorgestern habe ich, verehrtester Herr, ein Buch erhalten, welches Ew. Herrlichkeit mir von Köln aus gesandt hat. Es führte oder führt sotanes Buch den Titel »Briefe von Dunkelmännern«. Heiliger Gott! wie freute ich mich in meinem Herzen, als ich dieses Buch sah, das so viel Schönes enthält, Verse und Prosa untereinander. Auch war es eine große Freude und süßer Jubel für mich, daß Ihr viele Anhänger, Poeten, Rhetoren und Theologen habt, welche mit Euch in schriftlichem Verkehr stehen und Eure Freunde gegen den Johannes Reuchlin sind. Wir hatten gestern eine Gasterei; es waren auch einige Personen vom Hofe, Leute von viel Erfahrung und gewandter Praxis, bei mir, und ich legte jenes Buch auf den Tisch. Nachdem sie nun da und dort darin gelesen hatten, erhob ich einen Zweifel und sagte: »Meine Herren, was ist Eure Ansicht; Warum hat doch Magister Ortuin dieses Buch »Briefe von Dunkelmännern« betitelt, seine Freunde und Anhänger Dunkelmänner genannt?« Da antwortete ein Priester aus Münster, der ein guter Jurist ist: »dunkel« werde in vielerlei Bedeutung genommen, wie z. B. in »I. Ita fidei sqq. de Jure Fisci« Antw. I am Ende. Er sagte: es könne Eigenname irgend einer Familie sein; so stehe z. B. geschrieben: Diokletian und einige andere Regenten seien von »dunkeln« Eltern geboren. Da stieß ich ihn und sagte: »Mit Erlaubnis, mein Herr, das gehört nicht zum Thema.« Und unmittelbar darauf fragte ich einen angesehenen Theologen, welcher mit uns trank – er ist vom Orden der Karmeliter und aus Brabant gebürtig –; dieser sagte mit großer Wichtigkeit: »Vortrefflichster Herr Protonotar, da es, wie Aristoteles sagt, nicht ohne Nutzen ist, in einzelnen Fällen dem Zweifel Raum zu geben, deshalb hat Ew. Vortrefflichkeit mir eine Frage vorgelegt: warum Magister Ortuin, als er die neue Briefsammlung drucken ließ, sie »Briefe von Dunkelmännern« betitelte? Mit Erlaubnis dieser Herren will ich meine Meinung sagen. Magister Ortuin, der ein gar grundgelehrter und spekulativer Mann ist, hat seine Freunde in mystischem Sinne Dunkelmänner genannt; ich habe nämlich einmal eine klassische Stelle gelesen, daß die Wahrheit im Dunkel versteckt sei. Daher sagt auch Hiob: »Er öffnet die finstern Gründe«; ebenso lesen wir Micha im siebenten: »So ich im finstern sitze, so ist doch der Herr mein Licht;« und hinwiederum Hiob Kap. XXVIII.: »Die Weisheit wird aus der Verborgenheit hervorgezogen«. Daher sagt auch Virgil: »Wahrheit wirrt sie mit Dunkel«, wie ich von anderen gehört habe. Auch wird zu verstehen gegeben, daß Magister Ortuin und seine Freunde Männer sind, welche die Geheimnisse der Schriften und die Wahrheit und die Gerechtigkeit und die Weisheit erforschen, die von niemanden begriffen werden kann, als voll denen, welche vom Herrn erleuchtet sind. Daher es auch Könige Kap. 13 8 heißt: »Die Finsternis ist nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag; Finsternis ist wie das Licht«. Nachdem obengenannter Religiose also gesprochen hatte, blickten alle auf mich, ob ich zufrieden wäre. Ich aber dachte darüber nach. Sodann war auch Bernhard Gelf, ein Magister aus Paris, da, noch ein junger Mann, doch höre ich, daß er gute Gaben hat, auch fleißig studiert und in den freien Künsten schöne Fortschritte macht, auch in der Theologie ein en guten Grund gelegt hat. Er schüttelte, nach seiner gewohnten Weise, den Kopf bedächtig und sagte mit einem finstern Blicke: »Wißt, meine Herren, es ist dies eine wichtige und wohl zu überlegende Sache: Magister Ortuin hat dies aus Demut getan. Wie Ihr nämlich wissen könnt, obgleich Ihr es auch nicht wissen könnt, doch anzunehmen ist, daß Ihr es wisset, so hat Johannes Reuchlin, als er vor drei Jahren eine Briefsammlung seiner Freunde drucken ließ, dieselbe »Briefe von berühmten Männern« betitelt. In Erwägung dessen, und viel darüber nachdenkend, hat Magister Ortuin bei sich selbst gesagt: Ei, ei, Reuchlin glaubt, außer ihm habe niemand Freunde; was will er machen, wenn ich den Beweis liefere, daß auch ich Freunde habe, und wohl würdigere als er, und die da bessere Gedichte und- Aufsätze zu machen verstehen, als seine Freunde? Und deshalb gab er zu seiner Beschämung jene Briefe zum Drucke, und betitelte sie »Briefe von Dunkelmännern,« wie der Psalmist sagt: »Er ließ Finsternis kommen und machte es finster.« Das aber hat er aus Demut getan, indem er sich gering und niedrig machte, um mit dem Psalmisten sagen zu können: »Herr, mein Herz ist nicht hoffährtig, und meine Augen sind nicht stolz.« Darum wird Gott der Herr, der seine Demut ansiehet, ihm einst Gnade verleihen, daß er große Werke tun und sie auch mit großen Titeln ausstatten wird. So sagt auch Hiob: »Nach der Finsternis hoffe ich wieder auf das Licht.« Ich sehe nicht ein, daß jene Briefsammlung der Freunde des Magister Ortuin nicht kunstgerecht abgefaßt sein soll; würden ja doch die Freunde des Johann Reuchlin in ihrem ganzen Leben nichts Besseres zustande bringen, und wenn sie ihre Köpfe darüber verlieren müßten. Das habe ich aber deshalb gesagt, weil sie doch noch Ausgezeichneteres in petto haben, und ich hoffe, daß wir mit Gottes Gnade große Dinge sehen werden. Weil Magister Ortuin keinen Wert auf prunkende Titel legt, darum spricht er also: »Der Herr ist mein Licht und mein Heil, vor wem sollte ich mich fürchten?« Weiß er doch, daß er, indem er sich erniedrigt, dereinst wird erhöhet werden-, denn die Schrift sagt: »Wer sich erhöhet, der wird erniedrigt werden.« Auch ist Sirach am zwanzigsten zu lesen: »Wer sehr pranget, der verdirbt darüber, wer sich aber drücket, der kommt empor.« Dies ist prophezeiet durch den Propheten Nahum, der da sagt: »Aber seine Feinde verfolget er mit Finsternis.« Da ich sie mir nicht zu Feinden machen, auch nicht haben wollte, daß mir nur ein einziger böse würde, wenn ich sagte: »Du oder Du bist scharfsinniger,« so führte ich den Horaz an, wo er an einer Stelle sagt: »Und es schwebt der Prozeß vor Gericht noch. « Wenn ich nämlich einmal ans Schreiben komme, so will ich den Magister Ortuin ersuchen, mir den Grund anzugeben. Und nun habt Nachsicht mit mir, wenn ich Euch beschwerlich gefallen bin. Und hiermit hatte der Streit ein Ende, obgleich Magister Bernhard sagte, er wolle bis zum Feuertode streiten, daß das Eure Meinung sei. Derowegen bitte ich Euch freundlichst, Herr Ortuin, Ihr wollet mir wenigstens insoweit antworten, was Ihr doch dabei vorhattet, daß Ihr jener Briefsammlung den Titel »Briefe von Dunkelmännern« gabet. Und hiermit lebet wohl und gesund in allen Ehren!

Gegeben in der Römischen Kurie.


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