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James Russell Lowell.

Der Dichter.

Ode.

I.

In lang verklungner Zeit, am Menschheitsmorgen,
      War noch das Lied des Dichters wahr und rein;
Er schaute das Geheimniß, tief verborgen
      Unter des Alltagslebens trübem Schein.
Nichts galt ihm flücht'ge Zeit und eitle Zierde,
      Des Ew'gen Richtmaß lenkte sein Geschick;
Und nicht mit Leidenschaft und Ruhmbegierde,
      Nein, ruhig schaut' er drein mit Götterblick.
Er seufzte nicht an todter Helden Bahren,
      Am Sarg der »goldnen Zeit« von Schmerz verzehrt.
Und hielt, die Charon übern Styx gefahren,
      Alleinzig nicht der Liedesfeier werth.
Er traute der Verheißung ja von morgen,
      Und fühlte den erhabnen Sinn des Heut;
Sein war ein tiefrer Glaub' an heil'ge Sorgen,
      Als den ein Scheinverlust der Welt zerstreut.
Pflicht war's ihm, aller Dinge Geist zu kennen.
      Die ganze Welt für ihn im Sang erscholl;
Und wiederstrahlt' aus seiner Augen Brennen
      Des Weltalls Seele groß und schönheitsvoll.
Er sah, was in und außer ihm sich regte,
      Der Zeit rastlose Fluthen schaut' er fliehn,
Und Ruhm und Größe rings sein Herz bewegte,
      Und weckte zu Prophetenworten ihn.
Furchtloser war denn Alle er und freier,
      Und Jubelruf dem Hörerkreis entbrach:
»Den heil'gen Seher schaut, den Prophezeier,
      Der mit dem ungesehnen Gotte sprach!«
Er zog mit opferfreudigem Umarmen
      Das ganze Leid der Menschheit an sein Herz,
Und diesem Keim entwuchs mit Riesenarmen
      Der Weisheit Baum beschirmend himmelwärts.
Die wunderbaren Stimmen konnt' er deuten,
      Die oft der friedlich stillen Seele nahn;
Er wußte, daß sich Gottes Augen freuten
      Am Mückentanz wie an der Sterne Bahn.
Voll milder Demuth waren seine Züge,
      Doch majestätisch zog sein Lied dahin,
Wenn er voraussah, wie das Werk der Lüge
      Zerschellen müßt' am freien Mannessinn.
Und wenn von all der Lieblichkeit der Erde,
      Von Himmelslust ihm schier das Herz zersprang,
Dann strömte, Gott an jedem niedern Herde
      Lebendig weisend, machtvoll sein Gesang.
Gerüstet stets, mit ernstem Muth zu künden:
      Die Wahrheit des Gedankens sei die That,
Schuf er den Anker in des Zweifels Schlünden
      Der Welt mit starkem Arm und sicherm Rath.
So gab er seinen Theil am All, dem hehren,
      Auch dem Geringsten, der nach Freude ruft;
Und Alle zollten ihm des Schöpfers Ehren,
      Und bauten Tempel ihm auf seiner Gruft.
Unsterblich schwebt noch heut, was er gesungen,
      Hin durch den großen Seelenocean
Der Menschheit, ungetrübt und unverklungen,
      Ein Stern dem Wandrer auf der nächt'gen Bahn.

 

*

 

II.

Jetzt ist der Dichter nur ein leerer Reimer,
      Der, müßig hingestreckt im Sommergras,
Sein Liedchen fügt, ein schlauer Verseleimer,
      Den Launen jedes Horchenden zupaß.
Nicht seins das Lied, das in geweihten Fluthen
      Gleich der Gestirne ew'ger Musik schwellt,
Das den Tyrannen peitscht mit Zornesruthen,
      Den Niedern hebt, und Kerker licht erhellt.
Nicht Schöpfer mehr – Zerstörer sollt' er heißen,
      Denn Der zerstört, der nicht, die ihm bescheert,
Die Kraft entfaltet: Jeglichem zu weisen
      Des Leibes Unwerth und des Geistes Werth.
Erwache, großer Geist vergangner Zeiten!
      Von deiner Harfe reiß das Nebeltuch,
Und wieder leih die Schwingen du, die breiten,
      Der Menschenseele zu erhabnem Flug!
O prophezei nicht mehr den Glanz von morgen,
      Die Wahrheit kühn zu fodern, zaudre nicht;
Auf ihren Altar lege Wünsch' und Sorgen,
      Der Jugend Hoffnung, Gluth und Zuversicht!
O prophezei nicht mehr des Schöpfers Kommen,
      Sag nicht, du hörtest seinen Schritt von fern,
Als hättest du's wie Flügelschlag vernommen,
      Unheimlich rauschend auf entlegnem Stern.
Sei länger nicht Prophet – o sei der Dichter!
      Dies Sehnen ward dir nur, daß du dereinst,
Wenn aller Schönheit Meister du und Richter,
      Die höchste Schönheit in dir selbst vereinst.
O du, verzehrt von stürmischem Verlangen,
      Dem eine dunkle Geisterstimme rief,
Deß Seele voll von ungestümem Bangen,
      Von Lieb' und Furcht, von Zweifeln, hehr und tief,
Du mit der nervigen Hand und straffen Sehnen
      Und mit der Seele, freiheitsdurstgenährt,
In der sich kühne Heldengeister dehnen
      Und noch der alte Drang nach Freiheit gährt:
Wach auf! befrei dein Herz in Musikbächen,
      Das Meer entfeßle, daß es stürmisch rollt!
Laß deine Hoffnung, Furcht und Liebe sprechen,
      Und künde deiner Zeit, was sie gewollt!
Wo nur die Brüder noch im Kampf sich tödten,
      Wo nur ein Unrecht dräut die Welt entlang,
Sind Märtyrer, Apostel noch vonnöthen,
      Ist Stoff noch zu unsterblichem Gesang.
Von Jahr zu Jahr erkennt des Geistes Streben
      Ein höhres Ziel und schaut mit hellerm Blick,
Und was die große Vorwelt dir gegeben,
      Erbst du, erkiest zu freierem Geschick.
So throne du, wo hoch in Sonnenhelle
      Die stillen Firnen dein Parnaß erhebt;
Ström' aus dein Lied gleich einer frischen Quelle,
      Draus Jeder trinkt und Jeden Ruh umschwebt.
O sing! und Erd' und Himmel sollen schweigen –
      Kein Ton, der rings das heil'ge Graun durchdringt!
Denn lauschend selbst die Engel froh sich neigen,
      Wenn Engeln gleich ein sterblich Wesen singt.

III.

Ich schau' umher im Rund der armen Erde
      Nach Einem, den des Schöpfers Name ehrt,
Und der des mächt'gen Redens Stimme werde,
      Die jegliches Jahrhundert heiß begehrt.
Ach, Sitt' und Reichthum unsre Sänger bannen!
      Wer Zunge sein will diesem weiten Land,
Muß ehrne Saiten auf die Harfe spannen,
      Muß schlagen sie mit arbeitsbrauner Hand, –
Ein Mann, mit der Natur geheimstem Weben
      Vertraut, der Weisheit lernt' aus ihrem Buch;
Deß Seel' in Eins verschwamm mit ihrem Leben,
      Deß Antlitz aufweist aller Schönheit Zug;
Der nicht den Leib entehrt, den Geist beflecket,
      Der wie der scharfe Westwind kühn und frei;
Den nimmerdar der Formen Mühsal schrecket,
      Dem nur Gesetz des Höchsten Wille sei;
Deß Auge, gleich dem Früh- und Abendrothe,
      Lieblichen Anblick beut zu jeder Stund';
Der Gottes Meer nicht mißt mit ird'schem Lothe,
      Und schnöden Staub nur findet auf dem Grund;
Der, unbeirrt vom Wahn der niedern Menge,
      Dem einen sichern Wind der Höhe traut,
Und unterm trübsten Antlitz im Gedränge
      Den Tempel noch von Lieb' und Andacht schaut;
Der alle Stern' im glänzenden Gewimmel
      Den festen Pol des Alls umkreisen sieht,
Allwo die Seele wie ein heitrer Himmel
      Den wunderbaren Ring des Seins umzieht;
Der fühlt, daß Gott und Himmel Jedem näher,
      In dessen Brust die Nächstenliebe schlägt;
Den nicht der eignen Seele Freiheit eher,
      Als die der Brüderschaar, zum Kampf bewegt;
Der um so treuer für das Recht entbrennet,
      Weil er das Unrecht sanft zu dulden weiß;
Der im Verbrecher noch den Bruder kennet,
      Und dessen Lied vom Blut der Liebe heiß –
Dies, Dies ist Er, den rings die Völker heischen,
      Zu singen ihrer Herzen mächt'gen Drang!
Zu lang begnügten sie sich mit dem Kreischen
      Verstimmten Rohrs, und nannten es Gesang.
Ihm soll die Menschenseele lächelnd lauschen,
      Von ihrer Dornenkrone Last befreit,
Und Aug' um Auge sollen wieder tauschen
      Den freudetrunknen Blick der Seligkeit.
Sein Lied, es wandle mit erhabnem Gange,
      Von einer stolzen Melodie durchbebt,
Gelernt vom Himmel, Sturm und Wogendrange
      Und allem Großen, Schönen, was da lebt.
Erwache denn, zu unserm Heil erlesen,
      Laß fühlen uns der Seele Herrlichkeit –
Allzu unendlich ist ja unser Wesen,
      Sich zu bescheiden mit dem Lug der Zeit.
Heb an! und sieh – im All, dem klängevollen,
      Ein staunend Schweigen, das zu athmen scheut,
Wie wenn ein Donnerschlag mit lautem Grollen
      Des Himmelszeltes heitres Blau zerstreut.

 

*

 

Ständchen.

Durch die Fensterläden kein Lichtstrahl wallt,
Die Nacht ist finster, die Nacht ist kalt,
Die Tannen seufzen, es bebt der Thurm,
Mein Haar durchwühlt der herbstliche Sturm,
Vor deinem Fenster sing' ich allein,
Allein, alleine, ach, ganz allein!

Schwarz wird und schwärzer das Dunkel schon,
Die Scheiben klirren mit ängstlichem Ton,
Kaum lugt ein Stern am Himmel hervor,
Nur schaurige Klage berührt dein Ohr,
In deinem Kämmerlein sitzt du allein,
Allein, alleine, ach, ganz allein!

Die Welt ist glücklich, die Welt ist weit,
Voll freundlicher Herzen, zur Liebe bereit;
Was liegen so kalt wir, vom Sturm umgellt,
Allein in der Muschel der großen Welt?
Warum doch bleiben wir länger allein?
Allein, alleine, ach, ganz allein!

O, 's ist ein bitter und traurig Wort,
Bei dessen Klange das Herz verdorrt!
Wir sind Beide jung, haben Beid' ein Herz,
Was quält uns denn ewiger Trennungsschmerz?
Ach, bleiben wir immer und immer allein?
Allein, alleine, ach, ganz allein!

 

*

 

Lied.

O Mondlicht, wunderbares,
      Ein Jahr ist's, seit im Hag
Dein Leuchten schien, dein klares,
      Mir zum Verlobungstag!

O dunkellaub'ge Rüstern,
      Noch rauscht von Baum zu Baum
Der Winde sanftes Flüstern,
      Und klingt in meinen Traum!

O Strom im Dämmerweben,
      Laß blinken deine Fluth,
Ein Theil von meinem Leben
      In deinem Schooße ruht!

O Sterne, unsre Liebe
      Habt ihr allein belauscht,
Als heißer Sehnsucht Triebe
      Zwei Herzen hold getauscht!

O sel'ge Nacht, gieb wieder
      All' ihre Küsse mir;
Wo nicht, so send' ihr nieder
      Vielsüßen Traum von mir!

 

*

 


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