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Zur Zeit des römischen Imperiums ist es nur noch zwei spätantiken Kulten gelungen, größeren Einfluß auf die Menschen zu gewinnen; und zwar gerade deshalb, weil im Mittelpunkt beider die Ekstasis stand, wenn sie sich auch nicht mehr wie in älteren Zeiten rein an der Symbolkraft uralter Mythen entzündete, sondern auch die der Zeit angemessene Begriffssprache und mancherlei Praktiken aus der von der Zauberei her gebräuchlichen »Technik« mitbenutzte. Es handelt sich um die aus Ägypten als letztes Kultgeschenk an die alte Welt sich ausbreitenden Isismysterien, in deren Mittelpunkt die mütterliche Isis steht, neben der Osiris für die Öffentlichkeit ganz in den Hintergrund tritt. Die spätägyptische Religion trägt einen im wesentlichen ekstatischen Charakter, sagt Reitzenstein, ihr bester Kenner unter den klassischen Philologen. Und zweitens um den aus Persien immer mehr nach Westen vordringenden Mithrakult. In dem ersten halben Jahrtausend nach Christi Geburt gab es im römischen Reich Zeiten, wo es zweifelhaft sein konnte, ob diese Kulte nicht vielleicht sogar den Kult der Christianer besiegen oder wenigstens neben dem Christentum noch für damals unabsehbare Zeit weiterbestehen würden. Erst als die Herren von Byzanz und Rom aus dem altchristlichen Kult eine Staatskirche machten, war es aus mit Isis und Mithras. Der letzte Isistempel auf der Nilinsel Philae wurde erst 560 n. Chr. auf Befehl Kaiser Justinians geschlossen.
Die wichtigste Quelle für die Isismysterien im Römerreich ist das letzte Kapitel des Romans des römischen Rechtsanwalts Apulejus, der aus Madaura, heute Mdaurusch in Algier, stammt. Er selbst nannte seinen Roman »Metamorphosen«, bei uns ist er bekannter als »Der goldene Esel«. Sein Held Lucius wird in ihm durch eine falsch benutzte Zaubersalbe in einen Esel verwandelt, hat als solcher die mannigfachsten Abenteuer zu bestehen und seine liebe Not, bis er durch Isis Hilfe wieder zum Menschen wird. Zum Dank dafür weiht sich Lucius nach einigem Widerstreben dem Dienst der Isis, nimmt seine Wohnung innerhalb der Tempelmauern, hat teil an ihrem öffentlichen Kult und begehrt auch »in die Geheimnisse der heiligen Nacht eingeweiht zu werden«. In diesem Romankapitel setzt sich dann endgültig der Autor selbst an die Stelle seines Helden Lucius, und es besteht nirgends ein Zweifel, daß dieses Kapitel darstellt, was Apulejus als Jünger der Isis und ihr Myste erlebt hat, deren süße Zärtlichkeiten einer Mutter er preist, die sie den Unglücklichen in ihren Schicksalsschlägen bezeigt. Das klingt schon fast an Madonnenverehrung an, und es ist jedenfalls beachtenswert, daß diese in der christlichen Kirche um dieselbe Zeit ihren ersten Aufschwung nimmt, als der Isisdienst wieder verschwindet und damit offenbar eine Lücke gelassen hat, die nun Maria auszufüllen beginnt. War doch Isis im Lauf der Zeit sogar die Beschützerin der Keuschheit geworden und schließlich, wie es auf einer Inschrift in Capua heißt: »Die eine, die alles ist.« Als Apulejus nach der ersten Weihe den Tempel der Isis verlassen muß, wirft er sich vor ihrem Standbild nieder, küßt die Füße und spricht unter Tränen, von häufigem Schluchzen unterbrochen:
» Du heilige, du ewige Erhalterin des Menschengeschlechts, immer freigiebig, um die Sterblichen zu erquicken ... Kein Tag, keine einzige Ruhestunde, ja selbst kein winziger Augenblick geht leer an deinen Wohltaten vorbei, ohne daß du zu Wasser und zu Lande die Menschen beschützest, die Stürme des Lebens vertreibst, die rettende Hand darreichst, mit der du selbst die unentwirrbar verschlungenen Fäden des Schicksals lösest, des Geschickes Toben mäßigst und der Sterne verderblichen Lauf hemmst! Dich ehren die Himmlischen, dir dienen die Götter der Unterwelt, du drehst die Erde im Kreise herum, entzündest das Licht der Sonne, beherrschst die Welt, trittst auf den Tartarus. Dir antworten die Gestirne, wechseln die Jahreszeiten, jauchzen die Götter, dienen die Elemente. Auf deinen Wink atmen die Lüfte, nähren die Wolken, keimen die Samen, sprießen die Keime. Vor deiner Hoheit schauern die Vögel, die den Himmel durchfliegen, die wilden Tiere, die im Gebirge umherirren, die Schlangen, die versteckt am Boden liegen, die Ungetüme, die auf dem Meere sich wiegen. Doch ich bin zu schwach an Geist, dein Lob zu singen, zu arm an Gut, dir würdige Opfer zu bringen. Fülle der Worte gebricht mir zu sagen, was ich von deiner Hoheit empfinde, und dazu würden auch nicht tausend Münder, nicht tausend Zungen, nicht ein ewiger Fluß unermüdlicher Rede genügen. So will ich denn nur das, was ein zwar Frommer, doch sonst Armer vermag, zu vollführen suchen: Ewig werde ich dein göttliches Antlitz und deine allerheiligste Macht im Innern meines Herzens bewahren und ewig vor Augen halten.«
Ein weiter Weg von der altägyptischen Isis, der »großen Magierin«, die Re von einer Schlange beißen läßt, damit er ihr im Schmerz seinen geheimen Namen verrät, bis zu diesem Hymnus des römischen Rechtsanwaltes Apulejus, der einer Marienlitanei schon recht ähnlich sieht. Aus Ekstasis quillt eine schon fast mystische Inbrunst, die hier vernehmbar rauscht.
Wir wissen, daß dieser Rechtsanwalt sich von jeher stark für alles, was mit Zauberei zusammenhängt, interessiert hat. Auch legte er auf Träume großen Wert. Hätte ihn ein heutiger Nervenarzt untersucht, würde er ihn sicher als Sensitiven bezeichnet haben, und die Parapsychologen hätten am Ende auch mit ihm als medial veranlagtem Menschen zu experimentieren begehrt. Im Tempel der Isis widerstrebt Apulejus zunächst dem Tempelschlaf, weil er sich vor Befehlen der Göttin im Traum fürchtet, deren Dienst ihm zu schwer ist. Aber in einer bestimmten inneren Verfassung, nämlich im Verlangen nach den »Mysterien«, gibt ihm Isis doch im Traum die entscheidenden Befehle. Es ist bezeichnend, daß der Oberpriester der Isis nur den zu Mysterien zuläßt, der solche Träume gehabt hat. Überhaupt werden längst nicht mehr Männer und Frauen in Scharen angenommen, sondern nur noch einzelne, und auch der einzelne erst dann, wenn er im Traum den Befehl der Göttin dazu erhalten hat. Heute würden wir sagen, daß der Priester daran die sensitive Veranlagung erkennt und nur noch einen so Veranlagten zu den Weihen zuläßt. Die Mysterien sind exklusiv geworden und haben mit einem Staatskult wie etwa einst in Eleusis nichts mehr zu tun. Auch vollzieht sich die Weihe offenbar in verschiedenen Graden. Zwar unterschieden sich schon in Eleusis die Epopten (Schauenden) von den Mysten (Schweigenden), aber wir wissen nur mit einiger Bestimmtheit, daß zwischen den beiden ein äußerlicher Zeitunterschied bestand, so daß nach einem Jahr, wie es scheint, ohne weiteres aus dem Mysten ein Epopte werden konnte. Bei Apulejus ist ein Gradunterschied. Nicht nur, daß zu einer zweiten und dritten Weihe jedesmal ein besonderer Traumbefehl der Isis nötig ist, dem der Priester nicht vorgreift, sondern bei dem dritten Grad gesellt sich zu dem Mysterium der Isis noch das des Osiris, offenbar der »höchste« Weihegrad, zu dem es wieder einer besonderen »Berufung« bedurfte.
Hier haben wir wieder den Tempelschlaf, von dem schon gesprochen wurde, wovon Hippokrates einmal meinte, die Medizin der Träume sei die beste. Diesmal nicht, um ein körperliches Leiden zu heilen, sondern ein seelisches. Ein Zeitgenosse des Apulejus hat einen Traum beim Tempelschlaf genau beschrieben, Aristeides, der durch ihn von einem Nervenleiden frei zu werden suchte. Er erzählt, daß ihm Asklepios in seinem Tempel in Smyrna im Traum das Genesungsmittel zeigte, und sagte dann, woher er wußte, daß Asklepios es war:
» Mir schien, als ob ich ihn berührte und fühlte, daß er selbst da war, als ob ich zwischen Schlaf und Wachen schwebte und ausschauen wollte und mich ängstigte, daß er zuvor verschwinden möchte, daß ich die Ohren spitzte und hörte, teils wie im Traum, teils wie im Wachen, mein Haar sträubte sich, ich weinte mit Freude ... Welcher Mensch wäre imstande, dies mit Worten darzutun? Wenn jemand aber zu den Eingeweihten gehört, so weiß er davon und versteht es.«
So kann Plutarch den Schlaf die kleinen Mysterien des Todes nennen und das Sterben selbst mit den großen Mysterien vergleichen. »Im Sterben widerfährt der Seele dasselbe wie denen, welche in die großen Weihen eingeführt werden, weshalb auch das Wort dem Worte und die Tatsache des Sterbens (teleustan) und des Eingeweihtwerdens (teleistai) entspricht. (Wir sprechen in ähnlichem Sinn heute von »vollenden«.) Die Einzuweihenden erwarten dasselbe wie die Sterbenden. Zuerst Irrungen und ermüdende Umläufe und inmitten der Finsternis gewisse verdächtige und nicht zum Ziele führende Gänge und sodann vor dem Vollzug der Weihe selbst alles Schreckliche, Schaudern und Zittern und Schweiß und Entsetzen. Darauf aber strahlt ein wunderbares Licht entgegen, und reine Orte und Wiesen nehmen sie auf mit Stimmen und Reigentänzen und der Majestät gottgeweihter Gesänge und hehrer Erscheinungen.«
Wir sehen hier zum erstenmal, und zwar bei spätantiken Schriftstellern, Schlaf, Traum, Tod und Mysterien in eine »Entsprechung« gebracht, weil ihnen allen nach Ansicht dieser Autoren etwas gemeinsam ist, was Proklus »aus sich selber tretend sich ganz den Göttern hingeben« nennt, kurz eine Ekstasis. Uns fällt dazu noch Paulus ein, der an die Korinther schreibt: »Ich weiß von einem Menschen in Christo, daß vor vierzehn Jahren (ob es im Körper war, weiß ich nicht, ob es außer dem Körper war, weiß ich nicht, Gott weiß es) ein solcher bis zum dritten Himmel entrückt wurde. Und ich weiß von einem solchen Menschen, daß er (ob im Körper oder außer dem Körper, weiß ich nicht, Gott weiß es) bis zum Paradies entrückt wurde und unaussprechliche Worte hörte, welche es einem Menschen nicht vergönnt ist zu sagen.« Und der Kirchenvater Tertullian schreibt: »Es befindet sich eine Schwester bei uns, der die Gnadengaben der Offenbarungen zuteil geworden sind, welche sie in der Kirche während des Gottesdienstes am Sonntag durch die Ekstase im Geiste empfängt Sie unterhält sich mit den Engeln, ja mit dem Herrn selbst, und sieht und hört Geheimnisse (Sakramente) und durchschaut die Herzen mancher Personen und gibt denen, welche es verlangen, Heilmittel an.«
Aus dem Vergleich, den Plutarch zwischen Sterben und Einweihung bis in alle Einzelheiten zieht, und dem, was wir aus den Schriften christlicher Apologeten dieser Jahrhunderte über die Mysterienfeiern erfahren, können wir uns jetzt eine etwas klarere Vorstellung von ihrem Verlauf machen, als es bisher der Fall war. Theosophische Schriftsteller schließen von hier aus gern zurück auf die ältesten, etwa die altägyptischen Mysterienfeiern, was hier nicht geschieht. Einmal liegt dafür zuwenig eindeutiges Material aus Altägypten vor, und zweitens konnte der Verlauf bei den ältesten Mysterien ja schon deshalb ein ganz anderer und weniger verwickelt sein, weil als Rest magischer Fähigkeiten die Bildsichtigkeit ja noch größer und die Symbolsprache damit noch verständlicher war als in späteren Zeiten, in denen noch eine bestimmte Technik wirksam werden mußte, um, wenn auch nicht mehr bei allen, so doch noch bei einem engeren Kreis sensitiv veranlagter Menschen das begehrte Ziel zu erreichen. Der Vorgang wurde komplizierter, als er früher war. Wie immer gehen als Vorbereitung Fasten, Opfer und verschiedene Reinigungszeremonien voraus. Wie immer wurde der Mythos tanzend agiert als eine Art Pantomime, wie immer wurde »Heiliges« (Symbole) gezeigt, aber das Sterben des Gottes, das Suchen der Isis, das Auferstehen des Osiris, der Raub der Persephone aus der Ober- in die Unterwelt, die Klagen der Demeter, das Wiederfinden der Geraubten wurde dadurch noch anschaulicher gemacht, daß der zu Weihende durch finstere Gänge, wie durch den Tod, getrieben wurde, in ihnen schreckenerregenden Proben ausgesetzt war (Wasser, Feuer) und erst nach Überwinden von alledem wieder neues Leben und Licht auftauchen sah. Zu Tanz, Musik, Räucherwerk (Rauschgiften) treten noch andere Aufregungsmittel, zu denen auch »Legomena« (Gesagtes) und »Aporreta« (Geheimnisvolles) gehört, also Formeln geheimer Götternamen, die in der Spätzeit um so geheimnisvoller klangen, je unverständlicher sie waren, also möglichst aus Fremdsprachen genommen wurden, wofür in Griechenland und Rom auch hebräische Namen besonders beliebt waren. »Ich habe gefastet, ich habe den Kykeon (einen Mischtrank, das erste, was Demeter nach ihrem Umherirren wieder genoß) getrunken, ich habe es (die heiligen Symbole) aus der Kiste (Cista mystica) genommen, und nachdem ich gearbeitet hatte, habe ich es in den Korb gelegt und aus dem Korb in die Kiste«, lautet eine Bekenntnisformel des Eingeweihten, des Mysten, die wir nun einigermaßen verstehen können.
Man ließ es sich also recht sauer werden. Das Motiv tritt in der Literatur der Zeit ganz deutlich zutage. Die Unsterblichkeit der Seele war durch die Popularphilosophie, dies Danaergeschenk jedes Rationalismus, für weite Kreise ernstlich in Frage gestellt. Nicht jeder war imstande, sich dabei zu beruhigen und damit abzufinden. Da die Eingeweihten von solchen Zweifeln nicht geplagt wurden, suchte man desselben Erlebnisses teilhaftig zu werden. Da aber die heimischen Mysterien dazu vielen nicht mehr genügten, weil sie zu sehr rationalisiert waren, lief man den ausländischen Mysterien nach, wie es heute ja wieder geschieht, wo alles Heil bald von Buddha, bald vom Tischrücken oder was sonst immer erwartet wird. In dem Roman von Klemens von Rom wird das ganz deutlich gesagt. Der Held will Aufschluß über das Schicksal der Seele nach dem Tod. Er sagt:
» Ich will nach Ägypten reisen, will mit den Hierophanten (Mysterienpriestern) und Propheten der Heiligtümer mich befreunden, will einen Magier suchen und, wenn ich ihn gefunden, ihn mit vielem Geld überreden, eine Seele heraufzubeschwören, was man Nekromantie nennt, unter dem Vorgeben, daß ich sie nach einer bestimmten Sache fragen will. Durch die Frage will ich erfahren, ob die Seele unsterblich sei. Die Antwort der Seele aber, daß sie unsterblich sei, werde ich nicht aus Reden oder Hören entnehmen, sondern allein durch das Sehen, auf daß ich, mit meinen eigenen Augen sie sehend, einen ausreichenden und genügenden Beweis nur aus ihrem Erscheinen erhalte, daß sie besteht. Was ich aber mit den Augen gesehen habe, werden auch undeutliche Worte, die zu meinen Ohren dringen, nicht mehr umstürzen können.«
Da aber die Isismysterien aus dem frommen, geheimnisvollen Ägypten kamen, war die Teilnahme an ihnen besonders begehrt. Lange Zeit durften sie im Interesse der Staatskulte nur außerhalb der römischen Stadtmauern begangen werden. Dann drangen sie auch in die Mauern Roms ein, und spätere Kaiser waren ihre treuen Anhänger. Selbst christliche Apologeten, sogar Tertullian und Augustin, welche die Mysterien bekämpften, lobten doch die Enthaltsamkeit ihrer Priester, Isis als Beschützerin der Keuschheit, und daß in den »geheimen Zeremonien Lehren zur Inachtnahme der Tugend gegeben werden«. Nur einmal kam es zu einem Skandal, von dem aber nur der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus berichtet, der in diesem Punkt für unzuverlässig gilt. Auf Veranlassung des Kaisers Tiberius wurden infolgedessen im Jahre 19 n. Chr. die Isispriester verfolgt. Sonst erfreuten sie sich hohen Ansehens.
Als Apulejus endlich im Tempelschlaf dem Befehl der Isis, sich weihen zu lassen, nachkam, schildert er den Vorgang seiner Weihe folgendermaßen:
» Der freundliche Alte (der Priester) legte seine Rechte auf mich, führte mich sofort zu den Flügeltüren des geräumigen Tempels, verrichtete nach feierlichem Brauch das Amt der Eröffnung und holt nach Darbringung des Morgenopfers aus dem verborgenen Teil des Heiligtums einige in unverständlichen Buchstaben geschriebene Bücher, welche, teils in allerlei Tierfiguren, kurzgefaßte Sätze (Hieroglyphen) in einer Formelsprache ahnen ließen, teils durch verknotete und radförmig gewundene und wie die Verästelungen der Weinranken ineinander gedrängte Schriftzüge vor profaner Neugier geschützt waren. Daraus gibt er mir an, was zum Zweck der Weihe vorzubereiten war. Sofort sorge ich mit Eifer und noch viel freigiebiger dafür, daß dies durch mich selbst und meine Gefährten gekauft wird. Als die Zeit es gebot, wie der Priester sagte, führte er mich in Begleitung der heiligen Schar (der schon Geweihten) zum nächsten Bade. Nachdem er mich zu den gebräuchlichen Waschungen übergeben hatte, flehte er die Götter um Einwilligung an, wusch mich ab mit reiner Übersprengung und führte mich wieder zum Tempel zurück, als bereits zwei Drittel des Tages vergangen waren. Er stellte mich unmittelbar vor der Göttin Füße, trug mir insgeheim einiges auf, was ich nicht mitteilen darf, und befiehlt mir laut vor allen Zeugen, die folgenden zehn Tage nacheinander die Eßlust einzuschränken, kein Tierfleisch zu essen und ohne Weingenuß zu bleiben.
Nachdem ich dies in ehrfürchtiger Enthaltsamkeit nach Brauch erfüllt, war auch schon der Tag da, an dem ich auf göttlichen Befehl zu erscheinen hatte, und in schräger Bahn zog die Sonne den Abend herbei (es wurde also Nacht). Siehe, da stürmen von allen Seiten die Scharen der Geweihten heran, nach altem Brauch mit Geschenken mich ehrend, dann, nach der Entfernung aller Ungeweihten, faßt mich, den mit einem groben Leinengewand bedeckten, der Priester bei der Hand und führt mich zum Innersten des Heiligtums.
Vielleicht möchtest du, geneigter Leser, mit gespannter Erwartungfragen, was ferner gesagt, was getan sei. Ich würde es sagen, wenn es erlaubt wäre, es zu sagen, und du würdest es vernehmen, wenn es vergönnt wäre, es zu hören. Aber in gleichem Maße würden Ohren und Zunge, diese gottloser Schwatzhaftigkeit, jene vermessener Neugier sich schuldig machen. Dennoch will ich, da du vielleicht von religiösem Verlangen getrieben wirst, dich nicht mit langgespannter Erwartung quälen. So höre denn, aber glaube, was wahr ist:
›Ich ging bis zur Grenze des Todes; ich betrat Proserpinas ( Persephones) Schwelle, und nachdem ich durch alle Elemente ( Wasser, Feuer) gefahren, kehrte ich wieder zurück. Um Mitternacht sah ich die Sonne mit hellweißen Lichtstrahlen, vor die unteren und oberen Götter trat ich hin, von Angesicht zu Angesicht, und betete sie aus nächster Nähe an.‹«
(De Jong).
Nach allem bisher Gesagten kann der Leser den durch den Druck besonders hervorgehobenen Aussagen des Apulejus über sein Erlebnis jetzt hoffentlich einigermaßen folgen, für dessen Erzielung ein zehntägiges vorbereitendes, lindes Fasten kultische Vorbedingung war. Aus der antiken Mysteriensprache in die Begriffssprache eines modernen Nervenarztes verdeutscht, würde es heißen: »Patient, durch zehntägiges Fasten geschwächt, geriet in einen Zustand höchster Nervenüberreizung und hatte als solcher Visionen und Halluzinationen, deren Bilder er aus dem ihm geläufigen Vorrat an religiösen Vorstellungen entnahm.« Forscher wie de Rochas und Durville würden dazu erklären, daß ihre Experimente sie gelehrt haben, daß Sensitive, in Tiefschlaf versetzt, Ähnliches erleben. Weltreisende für Völkerkunde würden dazu von ähnlichen Praktiken mit ähnlichen Resultaten bei allen möglichen »Naturvölkern« sowie in Indien und China erzählen. Einiges besonders Interessante aus den Erlebnissen solcher Reisender hat de Jong in seinem ausgezeichneten Werk über das antike Mysterienwesen zusammengestellt. Uns interessiert hier in erster Linie, daß in diesem Fall der Zustand der Ekstase augenscheinlich nicht nur durch äußere Mittel und eine entsprechende äußere Technik wie etwa bei Mänaden und ihren von da aus mehr oder weniger apollonisierten Hilfsmitteln erreicht wurde; sondern im Verlauf der langen Nacht, welche die Einweihung des Apulejus nach seinen eigenen Aussagen beanspruchte, entstand aus dem Zustand äußerer Erregtheit ein solcher innerer Versunkenheit, welche durch die den äußeren Erregungszuständen folgende Erschöpfung erleichtert wurde. Die Alten kennen sie und beschreiben sie häufiger als kataleptisch, mit Visionen und Halluzinationen verbunden. Erinnern wir uns an Melampus. Zauberpapyri sprechen deutlich von Einschläferung durch Verbalsuggestion, und in den »Wespen« des Aristophanes weiß sogar der Sklave Xanthias vom korybantischen Schlaf (Tiefschlaf) zu sprechen, als sein Kamerad Josias nicht gleich wach werden will.
Im Abendland mußte einmal eine Ekstasis ohne äußere Hilfsmittel und technisches Training die Sehnsucht vieler werden, je mehr die Menschheit sich vergeistigte und entseelte. Die großen Treiber solcher Ekstasis waren Platon und das Christentum. Der Myste dieser jüngsten Art wurde nicht nur stumm allen gegenüber, die nicht geweiht waren, sondern vor allem sich selbst gegenüber, einer, der in sich selbst versank. Da haben wir den Mystiker, wie wir ihm in den letzten zweitausend Jahren häufiger in der Geschichte begegnen. Auch er gerät »außer sich« wie der in Eleusis Geweihte und wird der Fesseln des durch das Gehirn an den Leib gebundenen Geistes (Verstandes) ledig. Aber nicht mehr durch phrygische Flöten, Tanzpantomimen, Rauschgifte, narkotische Salben und dergleichen, sondern durch Meditation, Versenkung in sich selbst. Das Ziel ist dasselbe wie bei alten antiken Mysterien, nur daß es mit anderen Mitteln erreicht wird, das Ziel ist ein magisches oder, um zur Abwechslung einmal mit Hegel zu reden: das »schauende Wissen«, die Befreiung der Seele, »des Alles durchdringenden, nicht bloß in einem besonderen Individuum Existierenden«.
Hielten sich an die Isismysterien die feiner organisierten Naturen (die für unsere Begriffe aber noch recht grob organisiert sein konnten, denn z. B. Apulejus schreibt Isis nicht nur seine kosmischen Gewißheiten, sondern auch seinen wachsenden Reichtum zu), insbesondere auch die Frauen, so waren die Mithrasmysterien zunächst für grobnervigere Menschen, die doch nicht auf alles Höhere verzichten wollten, was in der alten Welt nur wenig Leute über sich brachten. So wurde Mithras bald der Gott der römischen Legionen, die seinen Kult und seine Kultbauten überallhin brachten, wohin sie selbst kamen, bis tief hinein nach Germanien und bis zu den Küsten Englands.
Der Mithrasmythos kommt aus Persien, hat, als Persien Herr über Assyrien wurde, babylonische und beim weiteren Vordringen über Alexandrien nach Westen in griechisch-hellenistische Zivilisationsgebiete auch Elemente von hier angenommen. In dieser Form, wie er dann auch für das römische Imperium maßgebend wurde, lautete der Mythos ungefähr so: Das erste lebende Wesen, das Jupiter-Oromazdes (persisch Ohrmazd) schuf, war das Urrind (Stier). Ihm begegnete Mithra (Sonnenheros) auf der Weide, griff es bei den Hörnern und schwang sich hinauf. Es galoppierte davon, aber bald erlahmte seine Kraft. Da griff Mithra es bei den Hinterbeinen und zog es rückwärts in einen Stall. Es gelang ihm aber, wieder auszubrechen. Das sah die Sonne und schickte den Raben mit dem Befehl an Mithra, das Urrind zu töten. Er verfolgte mit seinem Hund die Spur, entdeckte das Rind in einer Höhle, und indem er es mit einer Hand an der Schnauze greift, stößt er ihm mit der anderen das Jagdmesser in die Seite. Aus der Wunde des Rindes entsprossen alle Kräuter und Pflanzen und aus seinem Blut der Wein, kurz alles fruchtbare Leben. So ist Mithra als Töter des Urrindes (Mithra der Stiertöter) der Schöpfer alles Guten. Inzwischen ist das erste Menschenpaar fertig geworden, das Mithra zu bewachen hat. Unter seinem Schutz können ihm die Mächte der Finsternis nichts anhaben. Aber schließlich gelingt Ahriman (dem Bösen) doch die große Flut, vor der sich nur ein einziger Mensch in ein Boot rettete. Nachdem noch ein Feuerbrand die Erde verwüstet, sind die Leiden zu Ende, die Menschen mehren sich, und Mithras Mission auf Erden ist erfüllt. Noch ein Abschiedsmahl hält er mit den Göttern, dann steigen sie alle in den Himmel hinauf. Von hier steigen die Seelen auf die Erde nieder und beleben die Körper der Menschen. Wenn die Seele nach bestimmter Zeit den Körper wieder verläßt, streiten sich die Mächte der Finsternis und des Lichtes um ihren Besitz. Ein Urteilsspruch entscheidet. Ist die Seele des Paradieses unwürdig, wird sie zu tausend Qualen in die Hölle geschleppt. Ist das Urteil ihr günstig, wandert sie durch die sieben Sphären (Planeten) des Himmels. Vor jeder Tür steht ein Hund des Ormazd als Wächter, den nur die Eingeweihten durch geheime Formeln zu bändigen vermögen. Bei jedem Planeten entkleidet sich die Seele einer Leidenschaft, dem Mond hinterläßt sie ihre Ernährungskraft, dem Merkur ihre Habsucht, der Venus die Erotik, dem Mars den kriegerischen Mut, dem Jupiter den Ehrgeiz, dem Saturn die Trägheit, um schließlich ganz begierdelos in der achten Sphäre mit den Göttern zu leben. Und wie Mithra bei dem Urteil über die Seele den Vorsitz führt, so geleitet er sie auch durch alle Sphären des Himmels.
Der Mythos zeigt deutlich mancherlei babylonisch-astrologische Anklänge und ist auch schon mit philosophischen Spekulationen verschiedenster Art und bewußt mit Moral durchsetzt, ständiger Kampf gegen das Böse. Die Kulthandlungen vollzogen sich in Felsenhöhlen in Wäldern oder in besonders errichteten Grottenbauten bei Lampenbeleuchtung. Namentlich in Deutschland (Heddernheim, Friedberg, Mainz, Neuwied, Saalburg, Bonn, Köln usw.) sind so viele Überreste solcher Bauten gefunden worden, daß sich der Blick in einen solchen leicht rekonstruieren läßt:
Das, worauf das Auge sofort fällt, ist auch in Wahrheit die Hauptsache, nämlich die Hinterwand mit dem Kultbild. Eines der schönsten unter den erhaltenen Kultbildern wurde bei den Ausgrabungen des »Mithräums« (Mithraheiligtum) in Heddernheim bei Frankfurt am Main gefunden, wie es auf Seite 337 abgebildet ist. Im Mittelpunkt sehen wir Mithra, wie er dem von seinem Hund angefallenen Stier (im Avesta: Urrind) das Jagdmesser in die Seite stößt. Wie meist steht auch hier rechts und links von ihm je ein Kind, das eine mit erhobener, das andere mit zur Erde gesenkter Fackel (auf- und untergehende Sonne, Leben und Tod), die sogenannten Dadophoren. Die zwölf Felder darüber zeigen die Bilder des Tierkreises. Das Feld darüber gibt Szenen aus dem Mythos vom Urrind. Die oberste Leiste zeigt links Helios (neben ihm Mithra), wie er zu Berg fahren will. Rechts fährt der Wagen wieder zu Tal. Die Medaillons in den vier Ecken stellen die vier Winde dar. Die anderen Seitenreliefs scheinen mir noch nicht so recht gedeutet zu sein. Wenn das für gewöhnlich verhängte Kultbild enthüllt wurde, war das ein besonders feierlicher Augenblick, der durch Läuten von Glöckchen angekündigt wurde, wie sie sich in Heddernheim ebenfalls fanden. Auf dem Altar davor brannte das ewige Feuer, das von den Priestern unterhalten wurde, die auch morgens, mittags und abends ein Gebet an die Sonne zu richten hatten und Opfer für die Götter der Ober- und Unterwelt brachten. Selbstverständlich gab es auch Gesang und Musik. Besondere Festtage waren der 16. jedes Monats, das Hauptfest am 25. Dezember (Wiederkehr der Sonne). Überblicken wir jetzt noch einmal die Reliefs dieses Kultbilds, nachdem sie soweit als möglich erklärt worden sind, so wird man erkennen, daß sie keine Symbolsprache mehr reden, sondern eine Begriffssprache. Sie sind Allegorien, ja Illustrationen geworden, Verstandesprodukte, die nach einem bestimmten Schema hergestellt wurden. Die Römer, unter denen der Mithrakult seinen größten Aufschwung nahm, waren ja auch die wenigst bildsichtigen unter den alten Völkern. Ihre Sprache war logisch, für Begriffe wie gemacht, aber ungeeignet für jede Symbolsprache. Man braucht da nur Vergil mit Homer zu vergleichen.
Der Mithrakult unterschied sich denn auch sehr wesentlich von allen anderen antiken Mysterien, griechischen wie ägyptischen. Hier wird die Ekstasis in ein System gebracht, und die Einweihung hat sieben Grade, entsprechend den sieben Planeten. Zu einer Mithrafeier ist nicht jedermann zugelassen wie etwa im alten Ägypten zur Osirisfeier oder in Griechenland zu den Eleusinien. Auch genügt nicht der Wille des einzelnen wie bei der Orphik oder ein Traumbefehl wie bei den Isismysterien. Es müssen unter priesterlicher Leitung eine Anzahl von Prüfungen vorausgegangen sein, bevor einer auch nur den niedersten Grad der Mithraweihen erhält, und jeder höhere Grad setzt weitere Prüfungen voraus. Über die Einzelheiten wissen wir leider nicht viel, aber sie müssen strapaziös gewesen sein, denn Frauen wurden überhaupt nicht zugelassen. Wir kennen jedoch die Namen der verschiedenen Grade der Einweihung. Vom niedrigsten bis zum höchsten hießen sie: Rabe, Verborgener, Soldat, Löwe, Perser, Sonnenläufer und Vater. Die Geweihten trugen auch bei ihren Feiern Gewänder und Abzeichen, welche diesen Graden entsprachen. Ein Christ des vierten Jahrhunderts spottete: »Die einen schlagen mit den Flügeln wie Vögel und ahmen die Stimme des Raben nach, die anderen brüllen wie Löwen. Da sieht man, wie die, welche sich weise nennen, schimpflich zum Narren gehalten werden.« Die folgende Abbildung rechts zeigt ein Relief, wo solches dargestellt wird. Da sitzen zwei Väter beim Mahl, wie einst Mithra ein Abschiedsmahl hielt, bevor er mit den Göttern die Erde verließ. Vor dem Tisch ein Dreifuß, auf dessen Platte vier Brote liegen. Jedes Brot ist mit einem Kreuz gezeichnet. Links steht einer mit einer phrygischen Mütze, also ein »Perser«, und hebt den beiden ein Trinkhorn zu. Hinter ihm ein »Rabe«. Zur Seite des Dreifuß lagert links ein »Löwe«, und rechts ruht ein Stier (Urrind). Die Zeichen des Tierkreises spielen eine große Rolle. Wir befinden uns in einer stark intellektuellen Atmosphäre, die bald die Gebildeten bis zum Kaiser hinauf sehr ansprach. Auch ausgesprochen philosophische Köpfe. Nur war die Philosophie damals keine Philosophie im Sinne Kants, sondern galt in erster Linie der Erforschung aller geheimen kosmischen Kräfte, so daß wir sie richtiger Theosophie nennen würden. Selbst Artistoteles ist ja erst durch die Arbeit der Araber, die ihn dem Mittelalter nahebrachte, ein Philosoph in unserem Sinn geworden.
Der Mithrakult bedient sich zum Erreichen der Ekstasis schon ausgesprochen psychologischer Mittel, deren es bis dahin gar nicht bedurfte. Albrecht Dietrich glaubte aus den schon erwähnten Zauberpapyri eine Mithraliturgie zusammenstellen zu können, welche das deutlich zeigt. Inwieweit Dietrichs Arbeit aus rein philologischen Gründen anfechtbar ist, berührt uns hier nicht, wo uns nur die Sache selbst interessiert. Die Liturgie gibt einem Neuling genaue Vorschriften, damit er »den Himmel beschreite und alles erschaue«, also seiner Unsterblichkeit durch kosmische Schauung in der Ekstasis gewiß werde. Die Seele wird in der Ekstasis durch die Sphäre der sieben Planeten geführt. Im Mithräum in Ostia bei Rom sind sie auf dem Boden durch sieben aufeinanderfolgende Halbkreise dargestellt. Plastisch gedacht gehört zu jedem ein geöffnetes Tor, hinter dem der Repräsentant des betreffenden Planeten sichtbar wird, aus dem die zweimal sieben Vertreter der Fixsternsphäre heraustreten. Dann erst erscheint Mithra. Das scheint im Kultraum zuweilen auch durch sieben Tore in sieben verschiedenen Metallen dargestellt worden zu sein, wovon sich Abbildungen oder Nachbildungen bis jetzt leider nicht gefunden haben. Was der Mithrapriester lehrte, hat die Seele des Mithragläubigen also in der Ekstasis an Hand der Liturgie zu schauen, zu erleben. So bringt die Ekstasis die Gnosis, Wissen, Erkennen, das durch Schauen erworben, für den Verstand nicht angreifbar ist, das auch noch in der alten christlichen Kirche eine Hauptrolle spielte. Da es sich um eine uns durchaus fremdartige Lehre handelt, sei das zum Verständnis unbedingt Nötige in Klammern in nüchternster Begriffssprache beigesetzt.
Der Neuling (Neophyte) stieg also aus der Vorhalle des Mithräums in die tiefer liegende Grotte (Krypta) hinab. Er sah nun an der Rückwand des durch Lampen erleuchteten Heiligtums (vergleiche die Abbildung Seite 336) hinter dem Altar mit dem ewig brennenden Feuer das Bild der stiertötenden Mithra (Bild Seite 337). Priester in seltsamen Gewändern empfingen ihn. Andere Götterbilder tauchten auf und verschwanden wieder in Dämmerung. Auf den Steinbänken zu beiden Seiten sammelten sich im Halbdunkel die Geweihten, knieten, beteten. Lichteffekte blitzten auf, der Neuling bekam einen Rauschtrank, und nun vollzog sich die Ekstasis nach Anleitung der Liturgie (des Rituals). Sie beginnt mit einem langen, eindringlichen Gebet aus dem Vorstellungs- und Sprachschatz dieses Kultes, der den Neuling unzweifelhaft in eine starke seelische Erregung und Spannung versetzt. Dann heißt es:
» Hole von den Strahlen Atem, dreimal einziehend, so stark du kannst (Atemgymnastik), und du wirst dich sehen aufgehoben und hinüberschreitend zur Höhe, so daß du glaubst, mitten in der Luftregion zu sein (die Luftregion ist die nächste über der Erde). Keines wirst du hören, weder Mensch noch Tier, aber auch sehen wirst du nichts von den Sterblichen auf Erden in dieser Stunde, sondern lauter Unsterbliches wirst du schauen, denn du wirst an diesem Tag zu dieser Stunde schauen die göttliche Ordnung, die tagbeherrschenden Götter (Planeten) hinaufgehen zum Himmel und die anderen hinabgehen. Der Weg der sichtbaren Götter wird durch die Sonne erscheinen, den Gott, meinen Vater. (Man sieht, wie der Weg der Planeten durch die Sonne geht.) Ähnlich wird auch sichtbar sein die sogenannte Röhre, der Ursprung des diensttuenden Windes. (Nach Anaximandros haben Sonne und Mond Öffnungen, durch welche das Feuer wie durch einen Schlauch strömt. Hier tun das die Winde.) Du wirst es von der Sonnenscheibe wie eine herabhängende Röhre sehen, und zwar gen Westen unendlich als Ostwind ... Sehen wirst du, wie die Götter (Planeten) dich ins Auge fassen und gegen dich anrücken. Lege sogleich den Zeigefinger auf den Mund und sprich: Schweigen! Schweigen! Schweigen! (Beschwörungsformel.) Darauf pfeife lang, dann schnalze und sprich. (Es folgt eine Reihe von Vokalen als magische Formel, ein letzter Rest davon noch in unserem Alleluja, Osianna, Sela. Heute verstehen nur noch unsere Jäger durch Pfeifen oder Schnalzen Tiere zu locken oder zu verscheuchen. Damals verstand jeder, daß damit Sympathietiere der Götter und dadurch sie selbst gelockt und böse Dämonen verscheucht werden sollten.) Nun wirst du sehen, wie die Götter (Planeten) gnädig auf dich schauen und nicht mehr gegen dich heranrücken, sondern an die Stelle ihrer Tätigkeit gehen. Wenn du nun die obere Welt (den Luftraum) rein siehst und einsam und keinen der Götter oder Engel herankommen, erwarte zu hören gewaltiges Krachen, so daß du erschüttert wirst. Sprich du aber wiederum: Schweigen! Schweigen! (Gebet: Ich bin ein Stern, der mit euch seine Wandelbahn geht und aufleuchtet aus der Tiefe.) Wenn du das gesagt hast, wird sich sofort die Sonnenscheibe entfalten ... Pfeife zweimal und schnalze zweimal, und sogleich wirst du von der Sonnenscheibe Sterne herankommen sehen, fünfzackig, sehr viele und erfüllend die ganze Luft. Sprich du wiederum: Schweigen! Schweigen! (das vertreibt den Sternenschwarm) und wenn sich die Sonnenscheibe geöffnet hat, wirst du einen unermeßlichen Kreis sehen und feurige Tore, die abgeschlossen sind.«
Die Seele hat bei ihrer Himmelfahrt jetzt den Luftkreis hinter sich und einen unermeßlichen Lichtkreis mit noch verschlossenen Toren vor sich. Nun schreibt die Liturgie ein neues Gebet vor, das dreimal zu wiederholen ist: Sage sogleich das folgende Gebet, deine Augen schließend:
» Erhöre mich, höre mich, den N. N, den Sohn des N. N, Herr, der du verschlossen hast mit dem Geisthauch die feurigen Schlösser des Himmels, Zweileibiger (es folgen 3mal sieben Namen für ihn, die im Original weniger einen rationalen Sinn als durch Wort- und Silbenstellung eine suggestive Wirkung, Verbalsuggestion, hervorrufen wollen, was sich in deutscher Sprache nicht wiederholen läßt), Feuerwaltender, Feuerschöpfer, Feuerzeugender, Feuermutiger, Geistleuchtender, Feuerfreudiger, Schönleuchtender, Lichtherrscher, Feuerleibiger, Lichtspender, Feuersäender, Feuertosender, Lichtlebendiger, Feuerwirbelnder, Lichterreger, Blitzstoßender, Lichtruhm, Lichtmehrer, Feuerlichthalter, Gestirnbezwinger, öffne mir, weil ich anrufe um der niederdrückenden und bitteren und unerbittlichen Not willen die Namen, die noch nie eingingen in sterbliche Natur (die geheimen Götternamen), die noch nie in deutlicher Sprache ausgesprochen wurden von einer menschlichen Zunge oder menschlichem Laut oder menschlicher Stimme, die ewig lebendigen und hochgeehrten Namen ...« (wieder eine ganze Reihe von reinen Vokalwörtern).
Nun soll der Myste »den Geisteshauch in sich ziehen«, und der Pförtner der noch verschlossenen Tore zeigt sich. Es ist Helios, jugendlich schön, in weißem Gewand mit scharlachrotem Überwurf, einen feurigen Kranz auf dem Haupt. Er öffnet der Seele die Tore, durch die ihr weiterer Aufstieg geht. Es folgen neue Gebete mit der Weisung: »Erhebe ein langes Gebrüll (›Löwe‹), pressend deinen Leib, damit du miterregst die fünf Sinne, so lange, bis du absetzen mußt.« Die psychische Steigerung wird durch körperliche Technik noch erhöht. So geht der Aufstieg bis zu Mithra selbst. Nachdem die Seele auch ihn geschaut hat, schließt das Ritual mit diesem Gebet:
» Herr über mich, den N. N, bleibe bei mir in meiner Seele, verlaß mich nicht ... Herr, sei gegrüßt, Herrscher des Wassers; sei gegrüßt, Begründer der Erde, sei gegrüßt, Gewalthaber des Geistes. Herr, wiedergeboren, verscheide ich, indem ich erhöht werde, und da ich erhöht bin, sterbe ich. Durch die Geburt, die das Leben zeugt, geboren, werde ich in den Tod erlöst und gehe den Weg, wie du ihn gestiftet hast, wie du ihn zum Gesetz gemacht hast und geschaffen hast das Mysterium.«
Dies Schlußgebet zeigt den Mithramysten an mehreren Stellen durchaus in mystischen Regionen. Was er erlebt, ist im wesentlichen dasselbe, was spätere christliche Ekstatiker (Visionäre) als unio mystica (Einswerden mit Gott) bezeichnen. Auch sie preisen es als höchstes Erlebnis. Aber auch sie stets in Bildern und Gleichnissen, die natürlich dem christlichen Mythos entnommen sind. In der Begriffssprache läßt es sich auch bei ihnen nicht ausdrücken. Wie schon jeder Traum visuell, nicht intellektuell ist, weshalb es auch nie erfolgreich sein kann, Traumanalyse zu betreiben, als gehe es um Verstandesanalyse, so ist natürlich erst recht jede Ekstasis visuell, die Muttersprache der Seele. Selbst Meister Ekkehard, Dominikaner und großer Lateiner, konnte seinen mystisch-ekstatischen Erlebnissen nicht in lateinischer Sprache, der Sprache der Logik und der Juristen, einen ihn befriedigenden Ausdruck geben. Er mußte sich zu dem Zweck seiner deutschen Muttersprache bedienen. Versuchte er es aber doch einmal mit Lateinisch, so ist alle Mystik verflogen und nur noch Scholastik übrig. Die Sprache der Seele ist eben grundsätzlich von der des Verstandes verschieden; und die erstere wäre für jeden heutigen Menschen unverständlich, wenn der Sympathikus nicht auch heute noch seine Ausläufer in das Gehirn triebe, um es wieder einmal physiologisch auszudrücken. Ist doch das Gehirn letzten Endes nur eine Ausstülpung des Sympathikus, die sich nur vorübergehend bei Vorderhirnhypertrophie von ihm emanzipieren kann, ohne den Menschen in seiner ihm von der Natur gesetzten Entelechie zu zerstören.
Es sind genug Anzeichen dafür vorhanden, daß die Vorderhirnhypertrophie ihren Höhepunkt überschritten hat. Noch vor fünfzig Jahren wäre es unmöglich gewesen, zum Verständnis für das Wesen der Magie und ihre Symbolsprache naturwissenschaftliche Forschungen über Träume, Hypnose, Suggestion, Somnambulismus, Physiologie, Parapsychologie oder gar die Paläontologie eines Dacqué in so reichlichen Ausmaßen heranzuziehen, wie es hier geschehen konnte. Man vergleiche dazu nur das dürftige naturwissenschaftliche Material, welches Schopenhauer bei seinem »Versuch über das Geistersehen und was damit zusammenhängt« und in seinem Kapitel über Magie zur Verfügung stand.
Wenn nun auf den ersten Seiten dieses Buches die drei Weltbilder, das magische, das mystische und das rationalistische, nach Möglichkeit begrifflich auseinandergehalten und jedes fein säuberlich für sich pärariert wurden wie drei tote Muskeln im anatomischen Lehrsaal, so geschah das, wie jetzt deutlich sein dürfte, ebenfalls nur aus Lehr- und Lerngründen. Um von den Weltbildern zunächst einen Begriff zu geben, wie man sagt, womit man im Zeitalter des Verstandes nun einmal anfangen muß. Zu diesen »Begriffen«, die an sich tot sind, gesellte sich dann ein möglichst umfassendes Anschauungsmaterial aus Zeiten, in denen Magie noch lebendig war, mag sie auch schon in den letzten Zügen gelegen haben, um daraus eine Vorstellung von dem zu gewinnen, was Magie ist oder wenigstens einmal war. Auch wurde versucht, dies Anschauungsmaterial aus Babylon, Ägypten und Griechenland noch weiter durch Beobachtungen und Wahrnehmungen aus neuester Zeit zu beleben. Jetzt kann man wohl sagen, ohne mißverstanden zu werden, daß die so säuberlich auseinanderpräparierten drei Weltbilder in der Natur nie so völlig getrennt wirksam gewesen sind, sondern seit dem Diluvium miteinander gelebt haben. Die rudimentär werdenden Organe des einen Weltbildes sind ja nicht tot, wenn die des anderen sie auch eine Weile zurückdrängen, und wenn es sich dabei um hunderttausend Jahre und mehr handelt. So trat das Magische zurück vor dem Mystischen und beides dann vor dem Rationalistischen. Das Vorderhirn hat heute noch seine hohe Zeit. An die Stelle der Namen und Formeln magischer, der Bilder und Gleichnisse mystischer Zeiten immer ausschließlicher Begriffe zu setzen, daran arbeitet der Verstand seit mehreren tausend Jahren. Reine Verstandeswissenschaft kann aber gar nicht das Wesen erforschen, sondern nur den Mechanismus, dessen es sich bedient. Heute sind wir soweit, besondere Befriedigung darüber zu empfinden, wenn wir für einen Begriff ein lateinisches Wort gefunden haben. Wie es einst den griechischen Zauberer und seine Kundschaft außerordentlich befriedigte, wenn er für einen Namen oder eine Formel ein babylonisches oder gar ein hebräisches Wort gefunden hatte. Heute eine Doktorarbeit gewisser philosophischer Schulen zu verstehen, ist kaum weniger schwierig, als den Sinn griechisch-ägyptischer Zauberpapyri zu enträtseln. Ist ein Weltbild erst so weit gekommen, geht es mit seiner Sonderaufgabe im Haushalt der Natur zu Ende. Auch das ist eine »Entsprechung«.
Aber der Mensch ist im Unterschied zu anderen Säugetieren nicht nur Geschöpf (natura naturata), sondern immer noch natura naturans, Schöpfer. Nicht, weil er mit Verstand begabt ist, wie die Rationalisten meinen, denn als solcher ist er nur ein mehr oder minder belangreicher Mechaniker und Techniker, sondern weil ihm vor anderen Lebewesen ein plastisches Vermögen, eine spezifisch seelische Fähigkeit, eigen ist; und zwar deshalb, weil die Seele ihrer metaphysischen Natur nach dem All, dem Kosmos, den Göttern, den Dämonen, Gott, oder wie man es sonst nennen will, zuhört. Ein Mediziner wie Professor Schleich, ein wirklicher Wohltäter der Menschheit, denn ihm verdankt sie als Beweis für die Richtigkeit seiner physiologischen Theorie die »Lokalanästhesie« (die schmerzlose Operation), belegt die schöpferische, plastische Fälligkeit der Seele bezeichnenderweise durch die Hysterie, weil diese, wie er sich drastisch ausdrückt, »Gewebe aus Ideen produzieren kann«. In diesem Buch wurden noch andere Belege dafür gegeben.
Als beseeltes Wesen wird der Mensch, wenn das Bedürfnis dazu wieder stark genug ist, worauf manches hindeutet, magische Fähigkeiten, die lange brachgelegen haben, wieder lebendig werden lassen, denn die physiologischen Voraussetzungen dafür sind ja nicht verschwunden. Dabei kann gerade der hochentwickelte Verstand von heute förderlich sein, wie hie und da schon ein Naturwissenschaftler zeigt, der seinen geistigen Haushalt nicht mehr allein mit dem Rationalismus zu bestreiten vermag. So gelangt Professor Dacqué in seinem neuen, bedeutungsvollen Werk über »Natur und Seele« zu dem Ausspruch: »Es wird das Zeitalter einer magischen Naturbetrachtung kommen. Unsere Forschungsepoche treibt notwendig entweder zu einem Priestertum der schwarzen oder zu einem der weißen Magie.« Der hochentwickelte Verstand von heute kann geradesogut einer Menschheit mit wiedererwachten, neu geübten magischen Fähigkeiten zum letzten Verderben werden, wie es einst der eben erwachte Verstand bei schwindender Natursichtigkeit zu werden drohte. Deshalb konnte der bedeutende englische Gelehrte Sir Richard Gregory schon 1924 schreiben: »Wir stehen auf der Schwelle von Entwicklungen, durch die Mächte entfesselt und Kräfte erlangt werden, weit über unser jetziges Vorstellungsvermögen hinaus. Falls man jedoch diese Gaben mißbraucht, wird die Menschheit von diesem Planeten verschwinden.«
Auf solche Entscheidung hat die Natur den Menschen letzten Endes angelegt, das ist seine Entelechie. Wir wissen ja, daß sie kein Kleinbürger ist, der Katastrophen unter allen Umständen aus dem Wege geht. Die Masse Mensch wird sich eines Tages wieder der Führung ihrer Weisen und Erleuchteten anvertrauen müssen, wie sie es vor Jahrtausenden schon einmal getan hat, oder zugrunde gehen. Geschichtlich angesehen, ist dazu bei uns nur ein neu beseeltes, johanneisches Christentum fähig statt des zu stark begeisteten paulinischen, das heute wie so vieles einst Lebendige nicht ohne Schuld der dogmatisierten Kirchen ein dürres Abstraktum, bestenfalls ein kunstvolles Präparat, um besser zu schlafen, ein Opiat geworden ist. Nur so könnte die klägliche Losung, die schon Schopenhauer erbittert hat »Entweder Katechismus oder Materialismus«, wieder verschwinden. In der Symbolsprache ergäbe das dann den »neuen Himmel und die neue Erde«, was in der Begriffssprache das vierte Weltbild der Vernunft genannt wurde. Wir wissen jetzt, daß Vernunft weder dasselbe ist wie Verstand, noch dasselbe wie Seele, sondern die Harmonie zwischen Verstand und Seele, zwischen Großhirn und Sonnengeflecht, die beiden wichtigsten Apparate, durch die Verstand und Seele den Menschen bewegen und beleben, logisch denken und vorlogisch schauen. So sind wir wieder bei dem Ausgangspunkt unserer Darstellung angelangt, womit ihr Kreis geschlossen ist.