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Um diese Zeit lagen die Frauen des Königs von Durasso weinend und jammernd in dem Ausgang des unterirdischen Weges, von dem Dunkel des Waldes umhüllt und lauschten dem verhallenden Getümmel, welches von der Veste her durch die Berge schallte. Nur Semona weinte nicht, keine Thräne netzte ihre eingefallene Wange, keine Klage, kein Seufzer entstieg ihren bleichen Lippen, still und stumm wie eine Bildsäule stand sie außerhalb der Höhle an eine Palme gelehnt und hielt ihre Hände auf ihr Herz gepreßt. Plötzlich, wie von einem Entschluß durchzuckt, verließ sie den Platz, wo sie so lange unbeweglich gestanden hatte, eilte, von ihren Leidensgefährten unbemerkt, durch den Wald dahin und hatte bald darauf die schroffen Abhänge erreicht, auf denen das Grab Durasso's, des Königs der Annagu's, durch eine zum klaren Aether aufsteigende schwarze Rauchsäule bezeichnet wurde. Semona blickte hinauf und blickte um sich, nirgends war ein lebendes Wesen zu sehen, sie schritt rasch weiter, um den Weg zu erreichen, der nach der Stadt hinaufführte, wo sie ihren Buardo, ihren Einziggeliebten, ihr Leben, ihre Seligkeit, zwischen den rauchenden Trümmern suchen wollte; sie mußte ihn noch einmal sehen, noch einmal sollten ihre Arme den theuren Mann umschließen, noch einmal sollte ihr Mund seine kalten Lippen berühren, und dann wollte sie ihm folgen in den Himmel, den er selbst ihr ja erschlossen hatte. Auf dieser Welt hatte sie ja Nichts mehr zu suchen, jeder Gedanke, der sie an das Leben fesselte, gehörte ja Buardo und jeder Pulsschlag, der ihr Herz bewegte, ging von ihrer Liebe zu ihm aus. Aber sehen mußte sie ihn noch einmal, damit sie ihren Körper, mit dem seinigen vereinigt, in dieser Welt zurücklassen könne. Plötzlich hörte sie wilde Siegesrufe auf der Höhe des Berges, welche ihr verkündeten, daß noch nicht alle Feinde die Stadt verlassen hatten. Sie trat horchend an ein Felsstück, um sich dahinter zu verbergen, als sie plötzlich mehrere erschlagene Amazonen vor sich liegen sah, die von dem steilen Abhang herabgestürzt zu sein schienen. Sie sah deren blanke Waffen umherliegen, sie. erinnerte sich ihres an Buardo gegebenen Versprechens, an seiner Seite zu kämpfen; vielleicht, vielleicht lebte er noch, vielleicht focht er noch gegen jene Feinde, deren Stimmen sie hörte! – Schnell warf sie ihre Kleidung von sich, vertauschte dieselbe mit dem blutigen Rock und dem Beinkleid einer der Amazonen, schnallte deren Patrontasche um ihren Leib, bewaffnete sich mit deren Schwert, nahm alle Munition der andern Kriegerinnen zu sich und wählte sich das beste Gewehr aus. Dann verbarg sie all ihren Schmuck in der Tasche ihres Rocks, beschmutzte ihr Antlitz und ihren Körper mit dem rothen Staub der Erde, und eilte nun fliegenden Fußes nach dem Wege und auf ihm hinauf nach der Stadt. Sie rannte durch das Thor in der Straße zwischen den rauchenden Trümmern der Häuser hin und erreichte den Marktplatz, wo noch ein Schwarm von Amazonen beschäftigt war, sich mit dort umherliegenden Gütern zu bepacken.
»Dort kommt auch noch Eine, die man leer ausgehen lassen wollte; nur heran im Namen des Königs von Dahomey, der uns alle Schätze der Annagu's zugesagt hat. Komm heran, hier findest Du noch mehr, als Du tragen kannst,« rief Eine der Kriegsweiber der nahenden Semona zu, und wies auf die Zeuge und Stoffe, die um sie auf dem Boden lagen.
»Ich suche nicht nach den Schätzen der Annagu's, ich suche nach einer reichern Beute, ich suche nach dem Leichnam Buardo's, des Königssohns, und will ihn nach Abomey tragen, um die Augen des Königs von Dahomey mit dessen Anblick zu ergötzen,« entgegnete Semona mit bebender Stimme, und ein kalter Todesschauer lief ihr durch die Glieder.
»Du Schlaue, so gescheut wie Du bist, sind wir auch; wenn Buardo eine Leiche wäre, so würden wir nicht auf Dich gewartet haben, um sie fortzutragen. Buardo ist gefangen und frisch und gesund, denn unsere Waffen haben ihm nur die Haut geritzt. Der König wird seine Freude mit ihm haben. Suche Dir etwas Anderes, dort liegt schönes rothes Zeug, nimm einen Ballen davon und laß uns eilen, damit wir das Heer einholen und nicht noch am Ende herumstreifenden Annagu's in die Hände fallen; sie haben schon genug von unsers Königs tapfersten Kriegerinnen erschlagen,« rief eine andere der raubgierigen Amazonen und hing einen schweren Ballen an ihrem Gewehr über die Schulter.
Semona hörte Nichts weiter, als »Buardo gefangen und frisch und gesund« und wie Festmelodieen der himmlichen Heerschaaren durchtönten diese Worte ihre Seele. Sie erbebte, ließ ihr Gewehr ans den Boden sinken und faltete ihre zitternden Hände zum Dankgebet über dessen Lauf. »Er lebt und ist unverletzt!« klang es in ihrem Herzen wieder und ihre Kniee wollten sich vor dem gütigen Gotte beugen, der ihr den Heißgeliebten erhalten hatte.
»Nun, worauf besinnst Du Dich? Faß zu, wir haben keine Zeit zu verlieren. Oder bist Du verwundet, Dein Rock ist mit Blut getränkt, Du scheinst dicht zwischen den Annagu's gewesen zu sein. Frisch, greif zu!« rief wieder eine der Amazonen und weckte Semona aus ihrem Gedankenfluge, indem sie dieselbe beim Arme erfaßte.
»Ich will Nichts von der Beute, ich bin ermüdet,« entgegnete diese rasch und zu sich kommend, und neues Leben, neue Kräfte strömten durch ihre Glieder. »Fort!« schrie sie den Amazonen zu, »fort, laßt uns dem Heere nacheilen, das Land wimmelt von racheschnaubenden Annagu's, wir haben keinen Augenblick zu verlieren!«
Sie rief diese Worte mit so drohender Stimme und ihr Blick glänzte so wild und entschlossen, daß der ganze Schwarm der Amazonen zusammenfuhr, die Beute schulterte und eiligen Schrittes Semona auf dem Fuße folgte. Sie eilte nach dem Thore zurück durch die Reihen der verstümmelten Leichen, und manches befreundete Gesicht hätte sie darunter erkennen können; sie sah sie nicht, sie sah die rauchenden Trümmer der Häuser nicht, sie sah nur Buardo im Geiste vor sich und hatte nur einen Gedanken, den: ihn zu retten, oder mit ihm zu sterben.
Fort ging es den Berg hinab und in dem Thale auf der sonndurchglühten steinigen Straße hin, daß die beladenen Amazonen unter ihrer Last keuchten und dieselben Semona wiederholt anriefen, nicht so zu eilen. Kaum war es ihr möglich, ihre Schritte zu mäßigen und doch wollte sie nicht allein in dem Heere erscheinen, immer wieder trieb sie ihre Begleiterinnen zur Eile an und rief ihnen die schrecklichen racheschnaubenden Annagu's ins Gedächtniß zurück. So stürmten sie fort, doch das Heer hatte großen Vorsprung vor ihnen und die Sonne war bereits hinter den Bergen versunken, als in weiter Ferne von ihnen eine Staubwolke die marschirenden Truppen bezeichnete.
Wie drängte es Semona, davon zu fliegen, um den Geliebten zu erreichen, wie pochte ihr das Herz, wie schlugen ihre Pulse und wie beseligend zuckte es durch ihre Nerven bei dem Hinblick auf die Staubwolke, die auch ihren Buardo in sich verbarg! Dennoch dankte sie ihrem Schöpfer, daß er sie bis zur einbrechenden Nacht von ihm fern gehalten hatte, da sie fühlte, wie unmöglich es ihr gewesen sein würde, ihre Gefühle zu meistern und sich nicht vor den Amazonen zu verrathen. Dieser Aufschub, namentlich im Angesicht des Heeres, gab ihr Zeit, ihre Gedanken zu sammeln und ihr bevorstehendes Handeln zu überdenken. In ihrer Tracht, mit ihrer Bewaffnung war sie vollständig sicher vor jedem Verdacht der Kriegsweiber, denn dieselben waren aus den verschiedensten entferntesten Provinzen des Dahomeylandes zusammengekommen, und jetzt auf dem Heimwege war sicher von einer Ordnung in ihrem Marsch keine Rede. Sie fühlte, daß sie sich Buardo bei Tage nicht zeigen dürfe, damit er sich in seiner Ueberraschung und Freude nicht selbst verrathe, und beschloß, sich ihm nur in der Dunkelheit zu nähern und die Gelegenheit zu erlauern, wo sie ihm ihre Gegenwart ohne Gefahr verrathen könne.
Jetzt mäßigte sie absichtlich ihre Schritte, sie klagte über Müdigkeit und auch ihre Begleiterinnen hatten nun keine Eile mehr, weßhalb sie die Entfernung bis zu dem Heere auch nicht mehr verkürzten. Bald darauf legte sich aber die Nacht über das Thal, die Schaaren der Dahomey's erreichten einen Palmenwald, und als Semona mit ihren Gefährtinnen in demselben anlangte, fand sie das Heer damit beschäftigt, sich dort zu lagern. Auch die Amazonen, mit denen Semona gekommen war, warfen ihre Bürde unter einem Baume nieder, zündeten ein Feuer an, und Einige von ihnen brachen auf, um den Platz aufzusuchen, wo die Lebensmittel vertheilt wurden. Semona folgte ihnen nach, ließ aber ihren spähenden Blick nach allen Richtungen hin fliegen, um den Geliebten ihres Herzens aufzufinden. Sie sah ihn nirgends. Die Weiber hatten sie aber bald zu dem Ufer eines Baches geführt, wo ein großes Feuer brannte und wo die Nahrungsmittel ausgegeben wurden. Auch sie empfing, wie die andern Amazonen, ihr Theil davon, und füllte an dem Bache ihren Flaschenkürbis, der an ihrem Gürtel hing. Dann wanderte sie mit ihren Begleiterinnen wieder zurück zu deren Lager und legte sich dort unter einem Baum nieder. Auch auf dem Rückweg hatte sie Buardo nicht auffinden können. Bald loderten nun nach allen Richtungen hin Lagerfeuer auf, so daß der ganze Wald wie mit Tageshelle beleuchtet wurde. Es war ruhiger geworden, die Amazonen lagen um ihre Feuer her, labten sich an Speise und Trank, wühlten in den erbeuteten Sachen, spielten, schliefen und gingen einzeln umher, um Wasser zu holen, oder Bekannte aufzusuchen. Ein Feuer leuchtete besonders hell durch den Wald und zwar an dem fernsten Ende desselben. Dorthin war Semona noch nicht gekommen, es zitterte ihr durch die Seele, dort müsse der Geliebte sein, sie stand auf, nahm ihr Gewehr unter den Arm und ergriff den Flaschenkürbis, als gehe sie, um Wasser zu holen.
Langsam und anscheinend unbekümmert wanderte sie hin und her durch den Wald und warf im Vorübergehen ihren suchenden Blick in jedes Lager, hielt aber ihren Schritt nach dem großen Feuer hin gerichtet. Sie kam näher und näher, deutlicher traten die Gestalten in der Nähe des flackernden Lichtes aus dem Dunkel der Büsche hervor, noch einen Schritt, sie sah einen Mann in einiger Entfernung von dem Feuer auf der Erde hingestreckt liegen – Himmel – es war Buardo, der Geliebte, der Angebetete ihres Herzens, der regungslos dort lag und dessen Fesseln an Händen und Füßen sie jetzt erkannte!
Semona zitterte heftig, der Athem versagte ihr und sie mußte sich an einem Baum halten, um nicht in die Kniee zu sinken. Er war's, gebunden auf nackter Erde, – vielleicht verwundet und ohne Trank! Das Herz wollte dem liebenden treuen Mädchen aus der Brust springen. Thränen füllten ihre Augen und nur mit Gewalt konnte sie den Jammer unterdrücken, der sich auf ihre Lippen drängte. Doch nur für wenige Minuten ließ sie sich von ihrem Gefühl überwältigen, dann ermannte sie sich: ihr Geliebter lebte, und das war genug, sie konnte ihn befreien, oder mit ihm sterben! Sie faßte all ihre Kräfte zusammen und schritt langsam und wie ermüdet, bei dem Feuer vorüber. Buardo lag auf der Seite, sein Kopf ruhte auf der Erde und seine Augen waren geschlossen. Nur wenige Schritte von seinem Haupte sank das Ufer in den rauschenden Bach hinab, während in der Richtung seiner Füße das Feuer brannte, um welches ein Dutzend Amazonen gelagert war. Unter ihnen befand sich die Anführerin des Heeres, Agamahi, der oberste Officier der Leibgarden des Königs von Dahomey. Agamahi lag auf einem Teppich hingestreckt und ruhte ihren Oberkörper auf einem rothen Kissen, während sie den Dampf aus einer kurzen Pfeife über sich in die Luft blies. Sie hatte den blutigen Rock Semona's bemerkt, als diese bei dem Feuer vorüber nach dem Wasser schritt, und ihr Auge blieb auf sie gerichtet, so lange sie sich am Bache mit Füllen ihrer Kürbisflasche aufhielt. Semona füllte und trank abwechselnd, wobei sie ihren Blick auf den gefangenen Geliebten heftete, doch länger durfte sie nicht verweilen, wollte sie keine Aufmerksamkeit unter den Amazonen erregen. Sie erhob sich langsam, befestigte dann die Flasche an ihrem Gürtel, nahm ihr Gewehr vom Boden auf und wischte es mit ihrem Rock ab, nur um noch einen Augenblick länger ihren Buardo ansehen zu können. Dann ging sie langsam, immer noch an ihrem Gewehr putzend, zurück, und als sie sich neben Agamahi befand, sagte diese mit theilnehmender Stimme zu ihr: »Dein Rock bezeugt, daß Du nicht die Letzte im Kampfe warest. Hast Du gegessen?«
Semona fuhr erschrocken zusammen, doch ein Blick auf Buardo gab ihr Muth.
»Nein,« antwortete sie mit tiefem verstellten Ton.
Gottlob, Buardo rührte sich nicht, er hatte Semona's Stimme nicht erkannt!
»So iß; dort steht Brod und Fleisch. Du kannst hier beim Feuer liegen bleiben, denn Du wirst nicht Viele Deiner Kameraden auffinden,« sagte Agamahi und wandte sich dann, während Semona nach dem bezeichneten Platz ging, an die beim Feuer liegende Amazone und fuhr fort:
»Sie gehört zu dem Regiment aus dem Lande Seandi, den tapfersten Kriegerinnen des Königs; ich kenne sie an dem rothen Saum, der ihren Rock umgiebt. Das Regiment ist beinahe ganz aufgerieben, es war das erste beim Sturm auf dem Wege nach der Stadt hinauf, wo es viele Leute durch die herabstürzenden Felsen verlor, beim Sturm über den Dornenwall war es abermals das erste, und während des Kampfes in der Stadt wurde es beinahe gänzlich vernichtet. Alle seine Officiere sind geblieben und seine Kriegerinnen haben sich jetzt hier und dort unter die andern Regimenter gemischt. Der Verlust dieser Tapfern wird den König schmerzen.«
Eine Pause trat ein, die Agamahi durch stärkeres Rauchen ausfüllte, während die andern Amazonen, wie es schien sehr ermüdet, zurück auf die Buschhaufen sanken, die sie sich unter die Schultern gelegt hatten.
Kein Wort der Feldherrin entging Semona, doch beugte sie sich über die Speisen und aß, weil es ihr noch eine Gelegenheit bot, in der Nähe des geliebten Jünglings zu verweilen. Endlich aber mußte sie aufbrechen, sie erhob sich, nahm ihr Gewehr unter den Arm und wollte sich schweigend entfernen, als Agamahi ihr von ihrem Lager aus abermals zurief:
»Wie heißest Du?«
Semona erschrak wieder heftig, doch rasch und entschlossen antwortete sie:
»Adah,« und hielt bangend ihren Blick auf Buardo geheftet. Er schien sie aber nicht gehört zu haben.
»Du kannst hier bleiben, Adah; Dein Volk ist treu, tapfer und wachsam. Hier liegt der Sohn des Königs der Annagu's, dessen Gefangennehmung Deinem Regiment so viele Leute gekostet hat; halte Dein Auge offen, wenn die anderen sich geschlossen haben und wache über den Gefangenen. Ich werde Deinen Namen dem König nennen.«
Semona fühlte, wie ihre Glieder bebten, und hörte die Schlage ihres eigenen Herzens, aber ohne ein Wort zu sagen, schritt sie im Kreise um das Feuer zu Buardo und setzte sich mit dem Gewehr auf ihrem Schooße dicht neben ihm nieder, und zwar hinter seinen Rücken, das Gesicht von Agamahi abgewandt. Dort saß sie bewegungslos wie eine Statue und Nichts in ihrem Aeußern verrieth den Sturm der Gefühle, die ihr Inneres durchwogten; nur ihr Auge spiegelte bald den ungeheuren Schmerz, der ihre Brust zerreißen wollte, bald das unbegrenzte Glück, dem geliebten theuren Buardo nahe zu sein, bald die beseligende Hoffnung, ihn zu retten. Er lag regungslos da, nur zuckte er von Zeit zu Zeit krampfhaft unter dem Schmerz, den ihm die Fesseln verursachten, mit denen seine Hände auf seinem Rücken zusammengebunden waren. Und Semona durfte ihm nicht helfen, ihm nicht den Schmerz erleichtern – sie durfte ihm nicht einmal sagen, wie nahe sie seinem Herzen war, wie sie bereit sei, sein Unglück, ja den Tod mit ihm zu theilen. Sie fühlte sogar, daß er die Amazone, die sie augenblicklich vorstellte, hasse, ja verwünsche, und doch fand sie eine Beruhigung in diesem Gedanken, da sie sich sicher vor seinem Blicke fühlte; denn, hätte er sich plötzlich umgewandt, so waren sie Beide unwiderruflich verrathen gewesen.
Immer noch redete Agamahi, obgleich die Antworten der anderen Amazonen beim Feuer immer spärlicher wurden. Semona wagte es nicht, umzublicken, erst mußte die Feldherrin verstummen. Das Feuerlicht wurde aber augenscheinlich matter und die Hoffnung, daß es ganz erlöschen und die Amazonen in Schlaf sinken möchten, loderte immer lebendiger in Semona's Seele auf. Nach und nach wurde es still im Walde, die Stamme der Bäume glänzten nicht mehr so hell und das Laubdach über den ruhenden Kriegerinnen verlor das frische, vom Feuerschein erhellte Grün. Nur die unheimlich lachenden Stimmen hungriger Hyänen, das Heulen von Wölfen und Panthern tönte von Außen her durch den Wald und hier und dort flatterte mit kühlendem Flügelschlag ein Vampyr über einer der schlafenden Amazonen. Semona sah sich um. Agamahi war zurück auf das rothe Kissen gesunken, ihre langbewimperten Augen waren geschlossen, ihr rabenschwarzes reiches Haar lag in langen Locken über ihrem Busen und auf ihren zarten Schultern lehnte ihr schöner Kopf hinten über, und zwischen den frischen vollen Lippen ihres halb geöffneten Mundes glänzten zwei Reihen der prächtigsten Zähne. Agamahi war ein schönes schlankes Weib von einigen zwanzig Jahren, ihre hellbraune Hautfarbe verrieth gekreuztes Blut in ihren Adern, und ihr Wesen war mild, theilnehmend und freundlich. Niemand, der sie im gewöhnlichen Leben sah, konnte sie für die gefürchtete Kriegerin halten, die eigenhändig schon Hunderte von Feinden gefangen genommen oder getödtet hatte, wenn auch die vielen Narben, die ihren schönen, zart gebauten Körper bedeckten, bekundeten, daß sie in mancher Schlacht gefochten hatte.
Sie war eingeschlafen, Semona hielt ihren Blick lange Zeit, als zähle sie ihre Athemzüge, auf die Kriegerin geheftet, dieselbe rührte sich aber nicht, ja, sie schien immer fester in Schlaf zu sinken, denn die Pfeife, die sie immer noch in der Hand gehalten hatte, war jetzt derselben entfallen. Noch fester und unbekümmerter schliefen die übrigen Amazonen bei dem Feuer, welches nach und nach zusammenfiel und nur noch mitunter in Heller Flamme aufflackerte.
»Rühre Dich nicht, die leiseste Bewegung von Dir würde es verrathen, daß ich keine Amazone bin,« flüsterte Semona jetzt leise, wie ein Hauch, in Buardo's Ohr und dieser zuckte zusammen, wie von einem electrischen Funken berührt. »Um Gotteswillen, rühre Dich nicht und rede nicht,« fuhr Semona schnell fort und neigte sich noch näher zu dem Geliebten. »Ich bin es, Buardo, Deine Semona, die treue Geliebte Deines Herzens. Rühre Dich nicht, bei unserer Liebe, bei unserm Leben. Ich will Dich retten, oder mit Dir sterben.«
Dabei warf sie einen fliegenden Blick nach dem erlöschenden Feuer, wo die Amazonen schliefen, zog ein kleines Messer aus ihrem Rocke hervor und war im Begriff, das Seil zu durchschneiden, welches Buardo's Hände fesselte, da schritt schweigend und kaum hörbar auf dem anderen Ufer des Baches die dunkele Gestalt einer Amazone langsam vorüber, und der matte Schein des Feuers spiegelte sich auf dem blanken Laufe des Gewehres, welches sie im Arm trug. Semona schreckte zusammen und wischte, sich aufrichtend, mit der Hand über die Augen, als habe sie sich im Schlafe nach vorn geneigt und sei so eben erwacht. Der Wachtposten schien sie aber nicht bemerkt zu haben und war nach wenigen Augenblicken zwischen den Büschen und Bäumen verschwunden. An der anderen Seite des Feuers aber hinter Agamahi ging jetzt eine Amazone mit dem Gewehr im Arme vorüber, und sah mit ihren großen glänzenden Augen nach Semona her. Auch dieser Posten schritt vorbei und Alles war wieder ruhig und unbewegt, doch wagte es Semona jetzt noch nicht, etwas zur Befreiung ihres Geliebten zu unternehmen. Sie lauschte und spähete eine Zeit lang nach allen Richtungen hin, dann neigte sie sich wieder zu Buardo und flüsterte ihm zu:
»Wir werden bewacht, Buardo, ich darf Deine Fesseln noch nicht zerschneiden; ich will sie Dir aber lockern, damit sie Dich nicht so sehr schmerzen. O, könnte ich sie Dir doch schon abnehmen, mein einzig Geliebter, mein Leben!«
Abermals zog jetzt die Schildwache an der anderen Seite des Baches vorüber und bald darauf zeigte sich auch die wieder, welche hinter Agamahi ihren Auf- und Niedergang hatte. Semona merkte sich die Zeit der Zwischenräume, in welcher die Posten wiederkehrten, neigte sich schnell zu Buardo und lockerte die Knoten, womit das Seil um dessen Hände geschlungen war und zitternd drückte der Jüngling ihr zum Dank die Hand. Semona sah ein, daß hier nicht der Ort sei, wo sie Buardo befreien könne, sie mußte es für eine andere Gelegenheit aufschieben, denn durch den Bach zu flüchten, würde Geräusch verursachen und in den Wald hinein waren allenthalben die Amazonen gelagert.
Jetzt bewegte sich Agamahi und hob, wie im Erwachen, ihre Hand vor die Stirn; schnell sprang Semona zu dem Kohlenfeuer, warf einige Stücke Holz darauf und blies die Flammen an. Agamahi schlug die Augen auf und sah, was Semona that.
»Man sieht Dir an, Adah, daß Du in Seandi geboren bist, dort schlafen die Krieger nur mit einem Auge. Es ist mir lieb, daß Dich der Zufall zu mir führte, nun sollst Du auch bei mir bleiben. Ich denke Du wirst dem Könige gefallen. Wie alt bist Du?« sagte die Feldherrin, indem sie sich auf den Arm stützte und Semona aufmerksam betrachtete, deren schöne Formen jetzt hell von dem auflodernden Feuer beschienen wurden.
»Achtzehn Jahr,« antwortete Semona beklommen und schürte das Feuer.
»Wie ich Dir sage, Du wirst bei mir bleiben, auch während des Marsches, und wenn es Dir an irgend Etwas fehlen sollte, so mußt Du es mich wissen lassen. Der König wird Dich wahrscheinlich zu sich in seinen Palast nehmen,« fuhr die Feldherrin fort, als Buardo sich krampfhaft bewegte und unverständliche Worte ausstieß. Semona blickte sich erschrocken nach ihm um, wandte sich dann aber schnell an Agamahi und sagte:
»Die Fesseln des Gefangenen sind zu fest gebunden, er wird es nicht bis nach Abomey ertragen, sie schneiden ihm in das Fleisch, was seinen Tod zur Folge haben könnte. Ich glaube nicht, daß dem Könige ein Gefallen damit geschähe.«
»Um keinen Preis der Welt möchte ich dies erleben. Sieh Du danach, Adah, Ihr von Scandi wißt wohl mit Gefangenen umzugehen; ich mache Dich für ihn verantwortlich, sorge Du für ihn und liefere mir ihn in Abomey wohlbehalten ab.«
»Du magst Dich auf mich verlassen; sage aber Deinen Leuten, was Du mir befohlen hast, damit ich ungehindert danach handeln kann. Mein Kopf bürgt Dir für den Gefangenen,« entgegnete Semona, warf noch ein Stück Holz auf das Feuer und ging dann zu Buardo zurück, neben welchem sie sich niederließ und nun die Fesseln an seinen Füßen lockerte, damit sie ihn nicht mehr drücken konnten. Dann sagte sie mit lauter barscher Stimme zu ihm:
»Willst Du trinken, Buardo?«
Diesem erstickte die Antwort auf den Lippen, er wandte nur seinen Kopf nach dem geliebten treuen Mädchen um und bejahte ihre Frage mit einem dankbaren beseligten Blick. Semona ergriff ein Trinkgefäß, welches neben dem Feuer stand, füllte es mit den kühlen Wasser des Baches und reichte es Buardo hin. Dann holte sie Blätter von den Riesenpflanzen, die an dem Ufer standen, bereitete daraus ein Lager und rollte mehre derselben zu einem Kopfkissen für ihn zusammen. Als er weich gebettet war, wusch sie seine Wunden mit kühlem Wasser und flüsterte ihm dabei manch leises Wort der Liebe und der Hoffnung zu. Wohl wachte sie während der Nacht über den Gefangenen, um ihn zu erhalten, aber nicht für den König von Dahomey, sondern für ihr eigenes heiß und innig liebendes Herz.
Erst gegen Morgen sank sie, von Müdigkeit überwältigt, in Buardo's Nähe auf die Erde nieder und fiel in einen tiefen wonnigen Schlaf, denn sie träumte von dem Geliebten, den sie befreit hätte.
Agamahi hatte sich erhoben und gab ihre Befehle für den heutigen Marsch aus, als ihr Blick auf den Gefangenen und dessen sorgsam bereitetes Lager fiel.
»Seht her!« sagte sie zu den umstehenden Amazonen, »so behandelt man in Seandi werthvolle Gefangene. Adah hat während der ganzen Nacht gewacht und auch mein Feuer erhalten, während Ihr sämmtlich ununterbrochen geschlafen habt. Bereitet mit Eurem Frühstück zugleich das für jene Kriegerin. Ich habe ihr den Gefangenen zur Bewachung und Verpflegung übergeben; was sie in dieser Beziehung anordnet, soll geschehen; merkt Euch dies.«
Dann betrachtete die Feldherrin einige Augenblicke mit sichtbarlichem Interesse die schöne schlafende Semona und sandte darauf mehrere ihrer Officiere in das Lager mit dem Befehl, schnell zu frühstücken und sich dann marschbereit zu halten.
Bei dem Feuer, neben welchem Buardo und Semona ruhten, wurde jetzt Maisbrod gebacken und Fleisch geröstet, ersteres dadurch, daß man den Teig, auf einen glatten Stein gedrückt, vor der Kohlengluth aufstellte und letzteres, daß man es an hölzernen Spießen vor derselben in die Erde pflanzte. Agamahi ließ sich wieder auf dem Teppich nieder, um ihre Mahlzeit einzunehmen, und als die Amazonen sich auch herzusetzten, sagte sie:
»Weckt Adah auf, so daß sie mit uns speise.«
Die Amazonen warfen mißliebige Blicke nach der Schlafenden, eine von ihnen erhob sich aber, und folgte dem Befehle der Feldherrin.
Semona fuhr erschrocken empor, ihr ängstlicher Blick fiel sogleich auf Buardo, und als sie diesen ruhig neben sich liegen sah, stand sie auf und folgte der Einladung zum Essen, welche Agamahi jetzt selbst an sie richtete. Sie hatte schnell ihre Mahlzeit beendigt, nahm dann Brod und Fleisch, begab sich damit schweigend zu Buardo und weckte ihn mit barscher lauter Stimme auf.
»Hier ist Dein Essen,« sagte sie, die Speisen bei ihm niederlegend und empfing dagegen von ihm einen flüchtigen Blick, der ihre Seele mit Wonne erfüllte; dann löste sie ihm die Hände, holte frisches Wasser, um ihn durch einen kühlen Trunk zu erquicken, und wusch ihm dann auch seine Wunden.
Bald darauf gab Agamahi das Zeichen zum Aufbruch, die Trommeln und Hörner erklangen und ein Regiment Amazonen zog in verworrener Masse bei der Heerführerin vorüber durch den Wald der Straße zu. Semona hatte Buardo die Fesseln von den Füßen genommen, die Hände dagegen wieder gebunden, als einige der Amazonen herzutraten, um ihm zwei Stricke um den Hals zu schlingen und ihn auf dem Marsche daran zu leiten. Semona aber wies sie gebietend zurück und sagte:
»Der Gefangene ist meiner Sorge übergeben und mein Kopf bürgt für ihn. Einer Seandikriegerin entspringt ein Gefangener nicht, auch wenn er nicht gefesselt ist.«
Dabei richtete sie sich stolz auf und schlug an den Lauf ihres Gewehres. Agamahi hatte der Verhandlung zugehört und gab durch ihr Schweigen ihre Zustimmung zu Semona's Verfahren. Diese winkte jetzt Buardo mit der Hand, und deutete ihm an, den vorüberziehenden Amazonenschaaren zu folgen. Dann schulterte sie ihr Gewehr und schritt ihm leichten Trittes auf dem Fuße nach. Dicht hinter ihr kam Agamahi mit ihrem Gefolge, und dann wogte der Rest des Heeres der Straße zu, auf welcher der ganze Zug bald in eine dichte Staubwolke eingehüllt war. Gegen Mittag erreichten sie die erste Stadt in dem Lande Mahi, wo die Feldherrin dem Cabozir derselben den Befehl gab, mit den Häuptlingen der Umgegend und allen deren Kriegern einen Raubzug in das Land Annagu zu machen. Alle Schätze, die sie dabei erbeuten würden, sollten ihr Eigenthum und alle Annagu's, deren sie habhaft würden, ihre Sclaven sein. Sie versicherte ihnen, daß die besten Krieger in Annagu erschlagen wären und daß sie dort nun Nichts zu fürchten hätten. Diesen Befehl gab sie in jedem Orte, welchen sie auf dem Marsch berührte und er wurde von den Mahi's mit Freuden aufgenommen. Nur hier und dort an einem frischen Wasser machte das Heer eine kurze Rast und setzte sich dann gleich wieder in Bewegung. Die Sonnengluth war sengend und der Staub beengte das Athmen auf eine fast unerträgliche Weise. Semona fühlte, wie ihre Kräfte nachließen, die schwere Last, die sie zu tragen hatte, schien sie erdrücken zu wollen, sie hätte aber Buardo nicht verlassen, bis sie todt zusammengebrochen wäre, denn es würde sogleich eine andere Wache für sie eingetreten sein, und dann war es zweifelhaft, ob der Gefangene ihr später wieder übergegeben worden wäre. Sie hielt ihren Blick und ihre Seele auf ihn geheftet, als sammle sie bei ihm immer neue Kräfte, und wankte dicht hinter ihm in der Staubwolke mit der Masse vorwärts. Endlich neigte sich die Sonne, ihre Strahlen verloren an Gewalt, ein frischer erquickender Luftzug trieb den Staub zur Seite und der Wald, in welchem übernachtet werden sollte, stieg vor den Truppen auf. Oft sah sich Buardo mit mitleidigem, schmerzerfüllten Blick nach dem treuen Mädchen um, er durfte ihr ja aber die Last nicht abnehmen, ja er durfte ihr sein Mitleid, sowie seine heißen Dankgefühle nicht einmal aussprechen; denn unmittelbar in ihrer Nähe hielten Amazonen gleichen Schritt mit ihnen. Doch auch das letzte saure Stück des Weges ward zurückgelegt, und Semona schlich ihrem geliebten Gefangenen nach in den kühlen schattigen Wald hinein, wo Agamahi bald an klarem Bache ihren Lagerplatz erwählte. Mit einem tiefen Athemzug, der wie»Gottlob« klang, legte Semona Gewehr und Waffen nieder, und zwar in möglichst weiter Entfernung von der Stelle, wo der Teppich für Agamahi ausgebreitet ward. Unmittelbar vor einem dichten Gebüsch bereitete sie nun ein Lager für den Gefangenen, ließ ihn sich darauf niederlegen, und fesselte dann seine Füße mit lockeren Banden.
»Wecke mich zum Essen, ich muß jetzt schlafen, um während der Nacht wachen zu können,« sagte Semona zu Agamahi und streckte sich unmittelbar neben Buardo nieder, dem sie einen Strick um den Arm und dessen anderes Ende sie sich um die Hand geschlungen hatte, als wolle sie sicher sein, daß er während ihres Schlafs ihr nicht entweichen könne. Sie war so entkräftet, daß sie sofort in tiefen Schlaf versank. Wohl zwei Stunden ruhte sie, ohne sich zu regen, doch die übermäßige Müdigkeit hatte sie kaum verlassen, da fuhr sie plötzlich empor, als wäre sie bange gewesen, einen Augenblick zu lange zu schlafen. Sie sprang auf, löste das Seil von ihrer Hand, erfrischte sich bei dem Wasser und reichte dann Buardo einen frischen Trunk.
»Heute Nacht, Buardo, müssen wir fliehen, Gott mag uns gnädig dabei beschützen!« flüsterte Semona dem Geliebten kaum hörbar zu und band dann das Ende des Seiles, welches noch an seinen Händen hing, an den Busch, vor welchem er hingestreckt lag. Agamahi hatte sie mit Wohlgefallen beobachtet und rief sie jetzt zu dem Feuer, um mit ihr zu speisen. Semona folgte der Aufforderung und betheiligte sich bei dem Mahl, sie war sich aber kaum bewußt, was sie that, und hörte nicht auf die Unterhaltung der Amazonen neben sich; denn ihre ganze Seele war mit der Befreiung Buardo's beschäftigt, die sie in dieser Nacht auszuführen wagen wollte. Sie erkannte die Schwierigkeit und die Gefahr des Unternehmens nur zu wohl, und wußte, daß, wenn der Versuch mißlang, an eine Rettung des Geliebten nicht mehr zu denken sein würde; aber dann wollte sie ihn lieber in ihren Armen sterben sehen und mit ihm aus der Welt gehen, als ihn nach Ahomey führen und dort zu Tode martern zu lassen. Schnell hatte sie ihre Mahlzeit beendet, nahm Brod und Fleisch für Buardo, und verließ schweigend, wie sie gekommen war, das Feuer. Sie ließ ihn essen, labte ihn mit einem Trunk, und fesselte ihn wieder an den Busch. Mit dem Gewehr auf ihrem Schooß, setzte sie sich dann in seiner Nähe an dem Stamm einer Palme nieder, so daß sie den Gefangenen im Auge hatte, dem Blicke Agamahi's aber nicht begegnen konnte; denn sie bangte immer, dieselbe möchte einmal Fragen an sie richten, die sie nicht zu beantworten im Stande sein würde.
Die Unterhaltung bei dem Lagerfeuer verstummte heute bald, die großen Anstrengungen während der letzten Tage machten sich durch Müdigkeit bei den Kriegerinnen geltend, und auch der helle Schein des Feuers verblich nach und nach. Dennoch wagte es Semona nicht, sich nach Agamahi umzusehen und spähete nur durch den Wald vor sich nach den Wachtposten, deren Erscheinen die Feldherrin wohl erst abwarten möchte, ehe sie sich dem Schlaf überlassen würde. Jetzt sah sie eine Bewegung in den Büschen, und die Schattengestalt einer Amazone schritt in ziemlich großer Entfernung vor ihr vorüber. Das Feuer war bis auf die Kohlengluth niedergebrannt, der neue Mond aber stand schon hoch und warf seinen noch matten Schein durch die rauschenden Wipfel des luftigen Waldes zitternd auf die Erde nieder.
Semona blickte jetzt um, sah die Amazonen, so wie Agamahi in tiefen Schlaf versunken ausgestreckt um die matt leuchtenden Kohlen liegen, und in einiger Entfernung den zweiten Wachtposten vorüberziehen, der mit dem ersten an der andern Seite gleichen Schritt hielt. Ihr Herz schlug hörbar, jetzt sollte es gewagt, jetzt sollte die Lebensfrage entschieden werden! Die Wachtposten waren verschwunden, noch einmal wollte sie Semona vorübergehen lassen, weil sie auf diesem Hingang längere Zeit vom Lager entfernt blieben; sie legte das Gewehr nieder, schlich lautlos zu dem Flecke, wo die Speisen und die, zu deren Transport benutzten Säcke lagen, füllte einen derselben mit Brod und Fleisch und kehrte zu Buardo zurück, um das Wiedererscheinen der Posten zu erwarten.
Mit unterbrochenem heftigen Pulsschlag lauschte sie nach den Schritten der Amazonen, als zähle sie die Augenblicke bis zu deren Rückkehr, da schreckte sie die Stimme Agamahi's aus ihrer Spannung, wie ein Blitz glitt sie zu dem Kohlenfeuer und ergriff trocknes Reisig, um die Flamme damit anzufachen; doch Agamahi hatte die Augen noch nicht geöffnet, sie warf sich auf die andere Seite, ihr erhobener Arm sank wieder neben ihr nieder; sie mußte im Schlafe geredet haben. Semona blieb mit dem Reisig in der Hand niedergekauert bei dem Kohlenhaufen sitzen und lauschte den Athemzügen der Feldherrin, die wieder ruhig und regelmäßig wurden. Jetzt hörte sie den Tritt der Wachtposten, sie schlich zu dem Baume zurück und setzte sich in dessen dunkeln Schatten nieder, als die beiden Amazonen langsam vorüberzogen. Der Augenblick der Entscheidung war gekommen.
»Jetzt, Buardo, jetzt mag uns Gott helfen!« sagte sie leise zu dem Geliebten und löste mit bebenden Händen dessen Fesseln.
Er sprang auf, ergriff das Gewehr, Semona reichte ihm das Schwert, warf den Beutel mit Speisen über ihre Schulter und glitt mit den Worten »mir nach, Buardo!« durch die Büsche und über den Pfad, auf dem die eine Schildwache ihren Gang hatte. Mit Blitzesschnelle flohen sie durch den Wald dahin, der bald lichter wurde, und erreichten an dessen Saume eine steinige, hier und dort mit Gras bedeckte Fläche. Das Mondlicht war noch hell genug, um ihrem Tritt Sicherheit zu gewähren und die Schnelligkeit ihrer Flucht zu begünstigen; doch Buardo unterbrach dieselbe für einen Augenblick, umschlang, von Liebe und Dankbarkeit überwältigt, die in ihrer Seligkeit zitternde Semona, und preßte sie stürmisch an sein Herz. Dann nahm er ihr den Gürtel mit der Patrontasche und der Wasserflasche ab, befestigte denselben um seinen Leib, ergriff den Beutel mit den Lebensmitteln und eilte nun an der Seite der Geliebten durch das Halbdunkel der Nacht nach Osten fort. Ohne sich umzusehen, waren sie einige Meilen dahingeflohen und hatten mit banger Spannung von Minute zu Minute gefürchtet, den Wald hinter sich von dem Kriegsgeschrei der Amazonen ertönen zu hören; noch aber war alles ruhig geblieben und ihre Flucht konnte noch nicht bemerkt worden sein. Die Flüchtlinge hatten setzt steinige Höhen erreicht, die sich in einer Hügelreihe nach Süden hinzogen und deren höchsten Rücken sie bald erklommen. Hier standen sie still, um sich einen Augenblick zu erholen, und schauten über das weite düstere Thal nach dem dunkeln, in dem Nebel der Ferne verschwimmenden Wald zurück.
»Noch ist ihnen unsre Flucht nicht bekannt, der Himmel wird uns gnädig sein und unsre Feinde noch lange in ihrem Schlafe halten. Meine Semona, mein treues, geliebtes Mädchen, wird mein Leben hinreichen, Dir jemals einen Theil meiner Schuld durch treue innige Liebe abzutragen?« sagte Buardo und hielt die Geliebte an sein Herz gedrückt.
In diesem Augenblick zuckten glühende Blitze aus dem fernen Wald hervor, und wenige Augenblicke später rollte« der Donner von Gewehrfeuer durch das Thal zu der Höhe herauf, auf der die Liebenden standen. Zugleich zeigten sich jetzt blinkende Lichter in dem Walde, und erschreckt faßte Buardo die Hand der treuen Geliebten mit den Worten:
»Wir sind verrathen, Semona, fort, laß uns eilen, denn bald wird die ganze Gegend von den Amazonen durchschwärmt werden. Gottlob, wir haben einen bedeutenden Vorsprung gewonnen!«
Fort eilten jetzt die Fliehenden, bergauf, bergab, über Stock und Stein durch mannshohes Gras und durch Dornen- und Stachelgebüsche, doch Nichts hielt sie in ihrem Rettungslauf zurück, und Meile auf Meile ließen sie hinter sich.
Der Tag begann vor ihnen aufzudämmern und die wilden Thiere flohen vor seinem Lichte, um sich in den verborgenen Schatten der Wälder und der Felsen zu ruhen. Buardo und Semona aber gönnten sich noch keine Rast, der Gedanke an die mitleidlosen Amazonen hielt ihre Kräfte aufrecht, und Hand in Hand wanderten sie mit beflügeltem Schritt vorwärts, um den höheren, vor ihnen liegenden, theilweise bewaldeten Bergzug zu erreichen, über welchem jetzt die Sonne blitzend und blendend emporstieg. Je näher sie aber diesem ersehnten Ruhepunkt kamen, desto schneller nahmen Semona's Kräfte ab, und bald versagten ihre Füße die Dienste.
»Fliehe Du, Einziggeliebter, laß mich zurück, der Gott, der uns die Freiheit gab, wird mich beschützen, rette Dich und sorge nicht für mich,« sagte Semona niedersinkend und preßte mit flehendem Blick ihre Lippen auf die Hand des theuren, geliebten Jünglings.
»Semona, beste Semona, was sagst Du da – weißt Du nicht, daß Du mein Leben, mein Glück, meine Seligkeit bist – ich sollte Dich verlassen – sollte mir ein Leben erhalten, welches ohne Dich lebendiger Tod wäre? – Komm, süßestes, treuestes Mädchen, noch habe ich Kräfte für Dich – Du weißt es ja, daß jeder Pulsschlag, jeder Athemzug, jeder Nerv in mir Dir gehört. Komm, lege Deine lieben Arme um meinen Nacken, ich trage Dich auf meinen Schultern.«
Mit diesen Worten neigte sich Buardo zu Semona nieder, hob sie auf seinen kräftigen Rücken und schritt, mit ihrer kleinen Hand an seinen Lippen, eilig den ersehnten Bergen zu.
Die Sonnenstrahlen brannten unbarmherzig auf die Liebenden nieder, Buardo ermattete immer mehr unter seiner theuren Bürde, sein Schritt wurde langsamer und wankender, dennoch aber blieb er im Gehen, und der Gedanke daran, wie viel mehr Anstrengung das geliebte Mädchen für ihn auf dem Marsch ertragen hatte, hielt ihn aufrecht. Endlich hatte er die ersten Höhen erstiegen und zwischen einem Dickicht von Stachelgewachsen einen feuchten Platz erreicht, der, wie es schien, das Wasser aus der höher liegenden Schlucht im Walde erhielt. Buardo konnte aber nicht weiter gehen, er ließ die Geliebte von seinen Schultern gleiten und sank selbst in der Sonnengluth erschöpft auf den feuchten Grund nieder. Sein Blut stürmte in Fiebereile durch seine Adern, es sauste ihm wie ein Sturm vor den Ohren, und vor seinem Blick verwirrten sich die Bilder. Sein Haupt sank in das Gras und seine Arme fielen machtlos an seiner Seite auf den Boden.
»Buardo, mein Buardo!« rief Semona, sich bei ihm niederwerfend, hob seinen Kopf in ihrem Arm an ihr Herz und bedeckte seinen Mund mit ihren Küssen, mit ihren Thränen. Doch Buardo hörte sie nicht mehr, regungslos lag er da und die geschwollenen Adern vor seiner Stirn deuteten auf die Gluth, die ihm die Sinne raubte. Entsetzt und von Verzweiflung getrieben, ließ Semona seinen Kopf aus ihrem Arm an die Erde sinken, riß das Schwert aus seinem Gürtel, sprang etwas weiter in der Schlucht hinan, wo der Grund noch viel feuchter zu sein schien, und grub mit dem Stahl in den Boden hinein, um dort feuchte kühle Erde zu suchen. Kaum hatte sie einen Fuß tief gegraben, als das Wasser sich in der Vertiefung sammelte und sie ihre hohlen Hände mit demselben füllte. Sie lief zurück zu dem Geliebten, wusch sein Antlitz und seinen Nacken mit dem kühlen Wasser und benetzte seine Lippen damit. Dann schob sie ihren Arm unter seine Schultern, hob ihn an ihre Brust und zog ihn nun nach dem Wasser hin. Die Angst, die Verzweiflung gab ihr Kräfte, bald ruhte der Geliebte an dem erstrebten Platze und Semona konnte ihm nun das Haupt kühlen und ihm einen Trunk einflößen. Mit bebender Hand schöpfte sie das sich sammelnde Wasser wieder und wieder, um es über Buardo's brennende Stirn zu gießen, bis er endlich die Augen öffnete und seinen rettenden Engel wieder erkannte. Unter Semona's Liebkosungen und benetzt mit ihren Freudenthränen erholte er sich bald und es trieb ihn nun, diesen, den sengenden Strahlen der Sonne ausgesetzten Platz gegen den Schatten des nicht fernen Waldes zu vertauschen. Er erhob sich, von der Geliebten unterstützt, sie nahm ihm das Gewehr und die Lebensmittel ab, und nun wankten sie einander führend, der Höhe zu, die sie, wenn auch nur langsam, endlich erreichten. Dort fanden sie den Quell, der ihnen das Wasser zur Rettung gesandt hatte, frisch und klar unter einer mächtigen schattigen Eiche hervorrinnen und sanken in dem kühlen Waldschatten nieder, um sich vollends von ihren übernatürlichen Anstrengungen zu erholen.
Der Tag verstrich, die Liebenden hatten sich durch Speise und Trank erquickt und waren Arm in Arm lange Zeit von tiefem Schlaf umfangen gewesen, als plötzlich der Krach eines abgefeuerten Gewehrs sie aus ihren süßen Traumen schreckte und Buardo emporspringend das Gewehr ergriff. Der Schuß war an dem Fuße des Berges gefallen, gleich darauf ertönte das Kriegsgeschrei einer Amazone in nicht sehr großer Entfernung, und weiterhin in dem Thale wurde dasselbe beantwortet. Ein zweiter, ein dritter Schuß fiel jetzt in südlicher Richtung in der Ferne, und auch von dorther schallten die wilden Stimmen der nach den Flüchtlingen suchenden Kriegerinnen.
Buardo stand lauschend und in der Schlucht nach dem Platz hinabspähend, wo Semona Wasser für ihn gegraben hatte, als er eine einzelne Amazone sich dem Fleck nahen sah und dieselbe augenscheinlich den Fußtritten folgte, die dorthin führten. Bei der frisch gegrabenen Vertiefung angelangt, blieb die Kriegerin überrascht stehen, beugte sich zur Erde nieder und untersuchte umsichtig die Stelle. Buardo aber hatte das Gewehr an Semona gegeben, war mit dem Schwert in der Hand mit Blitzesschnelle in der Schlucht hinuntergesprungen und hatte die niederknieeende Amazone bis auf wenige Schritte erreicht, als dieselbe ihn gewahrte und mit einem gellenden Kriegsschrei aufsprang. Es blieb ihr jedoch keine Zeit mehr, das Gewehr, welches neben ihr im Grase lag, aufzuheben, sie riß das Schwert aus ihrem Gürtel und führte einen wüthenden Streich auf Buardo, der den Stahl mit dem seinigen auffing. Im nächsten Augenblick hatte die Amazone ihren Gegner umschlungen und hielt dessen bewaffneten Arm mit solcher Kraft an ihre Brust gedrückt, daß er nicht im Stande war, von seinem Schwert Gebrauch zu machen, doch ergriff er mit seiner Linken den Hals des wüthenden Weibes und umklammerte ihn so fest, daß sie keinen Hülferuf von sich zu geben vermochte. Sie stürzten Beide nieder und Buardo rang vergebens, seinen rechten Arm zu befreien, als eine zweite Amazone in der Schlucht herauf gesprungen kam und mit geschwungenem Säbel ihrer Gefährtin zu Hülfe eilte. Nur noch wenige Schritte lagen zwischen ihr und den Ringenden, als ein Schuß sie zu Boden streckte und Semona, die denselben abgefeuert hatte, mit dem Gewehr in der Hand auf den Kampfplatz sprang. In demselben Augenblick befreite Buardo seine Rechte von dem Arm seiner Gegnerin und stieß ihr das Schwert durch die Brust, daß sie lautlos sterbend in das Gras zurückfiel.
Semona hatte das Gewehr fallen lassen und warf sich dem geretteten Geliebten in die Arme, der sie mit überwogenden Gefühlen der Liebe und Dankbarkeit an sein Herz drückte. Dann lauschten und späheten sie um sich, Alles war still und stumm und nur weiter nach Süden hin wiederholten sich die Signalschüsse und die Kriegsrufe der umherstreifenden Amazonen, durch welche sie sich Zeichen gaben, um einander nicht zu verlieren. Buardo beraubte die beiden getödteten Kriegerinnen ihrer Munition und ihrer Kürbisflaschen, zog sie in das Dickicht hinein, und eilte dann mit Semona zu dem Lagerplatz zurück. Beide fühlten sich durch den Schlaf gekräftigt, die Gluth des Tages war vorüber und die Sonne warf ihren letzten feurigen Blick über die wüste weite Landschaft, als sie abermals ihre Wanderung antraten und in dem zunehmenden Lichte des Mondes nach Osten hin durch den Wald schritten.
Die Besorgniß, daß die Amazonen nun noch ihre Spur auffinden und ihnen folgen möchten, wurde jetzt geringer, denn dieselben hatten sich offenbar weiter nach Süden gewandt. Eine andere Gefahr aber erwartete sie auf ihrer Flucht, die sie noch mehr bedrohte, als die Kriegsschaar der Dahomeys. Sie befanden sich in dem Lande der Mahis, welche dem Könige von Dahomey unterthan und welche durch Agamahi gegen die Annagu's in's Feld gerufen waren. Fielen sie in deren Hände, so wußten sie, daß sie ohnfehlbar nach Ahomcy würden ausgeliefert werden, und dies zu vermeiden und die vielen Niederlassungen der Mahis so weit zu umgehen, daß sie deren Bewohnern nicht begegneten, war eine schwierige Aufgabe für Fremde in diesem Lande. Buardo beabsichtigte, sich nach den am Nigerfluß gelegenen Städten zu begeben und die dort herrschenden Könige gegen den Tyrannen von Dahomey um Hülfe anzusprechen, da es ihm bekannt war, daß man denselben dort haßte und die Vergrößerung seiner Macht mißtrauisch und neidisch beobachtete. In gerader Richtung nach Osten mußte Buardo auf dem kürzesten Wege aus dem Bereich der Mahi's kommen, welchen Charakter aber die Landstriche trugen, die er zu durchwandern hatte, war ihm unbekannt. Die unsichtbare gnadenreiche Hand, die ihn und Semona bis jetzt so wunderbar aus allen den großen Gefahren gerettet hatte, hofften Beide jedoch, würde auch fernerhin über sie wachen, und mit Vertrauen und Entschlossenheit schritten sie ihrer Zukunft entgegen. Mehrere Tage hintereinander wanderten sie von dem ersten Grauen des Morgens bis die Sonne ihre Gluth entwickelt hatte, und wieder Abends spät in die Nacht hinein, bis ihnen die Kräfte schwanden, und ruhten dann unter rauschenden Palmen, umweht von dem gewürzigen Duft der Blumen, womit die Waldstriche geschmückt waren, oder sie sanken auf kühlem Boden unter einem Felsstück nieder, welches ihren Ruheplatz vor den Sonnenstrahlen geschützt hatte. Die Lebensmittel, womit sie sich bei ihrer Flucht aus dem Lager der Amazonen versorgt, waren bereits verbraucht, doch es war Buardo geglückt, mit dem unsichern Schuß seiner Muskete eine Antilope zu erlegen, deren Fleisch sie für einige Zeit mit Nahrung versorgte; denn sie hatten einen Theil davon in dünne Streifen geschnitten und dieselben in der Sonne getrocknet. Auch fanden sie bis jetzt das Land von Waldstrichen durchzogen, in deren Schatten sie häufig Quellen und kleine Gewässer antrafen und die ihnen reichlich süße, saftige Früchte boten. Das Land vor ihnen zeigte ihnen aber jetzt ein anderes Bild: die Hügel und die Wälder waren vor ihren Blicken verschwunden, eine weite sandige Ebene, aus der nur hier und dort eine, einsame Palme, eine Aloe neben glühend heißem Gestein emporragte, lag vor ihnen ausgebreitet und deren unabsehbares Ende verschwamm in zitterndem Sonnengeblende mit dem Himmel. Vertrauungsvoll aber und unverzagt betraten die beiden Wandernden auch die Einsamkeit dieser Sandwüste und hielten ihre Blicke nach Osten auf den, in dem Duft der Ferne bebenden Horizont geheftet, um neue Berge, neue Wälder in ihm aufsteigen zu sehen. Von dem Wasser, welches sie in drei Flaschen mit sich führten, machten sie so spärlich als möglich Gebrauch, und ihren Fleischvorrath behandelten sie mit gleicher Sparsamkeit; aber Beides ging nach wenigen Tagen zur Neige, und der letzte Trunk war nach einem abermaligen langen Marsch durch den sengend heißen Sand kaum noch hinreichend, ihre Lippen zu benetzen. Auch das letzte Stück Fleisch theilten sie an diesem Abend und sanken dann ermattet auf den durchglühten leichten Boden nieder, auf dessen endloser Fläche mit dem hellen Lichte des Mondes eine Todtenstille ausgebreitet lag. Nur für Augenblicke weckte von Zeit zu Zeit das Geheul einer hungerigen Hyäne die beiden Ruhenden aus ihrem Schlafe, bald sanken sie jedoch immer wieder von Müdigkeit überwältigt Arm in Arm auf ihr heißes, sandiges Bett nieder und vergaßen die Schrecken und Gefahren der Wüste, in der sie sich befanden. Dem anbrechenden Morgen schritten sie dennoch schon wieder entgegen, die Herzen voll Hoffnung, voll Sehnsucht, voll Verlangen nach einer Veränderung des Bildes vor sich. Vergebens blickten sie in der Gluth des Mittags um sich nach dem Schutz einer schattigen Palme, eines emporstrebenden Felsens, um sich darunter vor der Sonne zu verbergen, nirgends war die Fläche, so weit das Auge reichte, durch die leiseste Erhöhung unterbrochen. Semona fühlte sich sehr ermattet, sie hatte sich während der letzten Tage, gegen das Wissen Buardo's, noch mehr als dieser der Speise und des Tranks enthalten, um dem Geliebten den größeren Theil davon zukommen zu lassen, und der Mangel an Nahrung machte sich jetzt bei ihr durch große Hinfälligkeit bemerkbar. Sie sanken Beide auf den Sand nieder, die heiße Luft, die sie athmeten, gab ihnen keine Erquickung, so hoch sich auch die Brust hob, ihre Lippen und ihr Gaumen waren trocken und lechzten nach einem Trunk, und das Verlangen nach Speise wurde immer stärker. Semona klagte nicht, ja sie sah den Geliebten mit einem Lächeln an, als wolle sie ihm Muth und Hoffnung dadurch einflößen, es lag aber eine Wehmuth, eine Ergebung in diesem Lächeln, die mehr auf einen baldigen, letzten Abschied, als auf eine Rettung aus dieser Noth deutete. Umsonst bemühte sich Semona, ihre Thränen zurückzuhalten, oder sie an der Brust des Geliebten zu verbergen, er erkannte das Elend, das sie Beide bald erwartete, und sah mit blutendem Herzen die Kräfte des geliebten Mädchens schwinden. Mit Verzweiflung schaute er nach der Sonne auf, die über seinem Haupte stand und ihre Strahlen senkrecht auf ihn niederschoß, und sann, auf welche Weise er die Geliebte dagegen schützen solle. Da fiel sein Blick auf den Sack, in welchem er die Lebensmittel getragen hatte, er trennte ihn in der Nath auf, so daß das Stück Zeug, welches aus einem Bastgeflecht bestand, die doppelte Größe erhielt, stach dann das Schwert neben Semona in den Sand, stieß auf ihrer andern Seite den Ladestock des Gewehrs in den Boden, befestigte das eine Ende des Gewebes auf diesen beiden Stützen und warf dessen anderes Ende sich selbst über den Kopf, indem er sich hinter Semona niedersetzte. Auf diese Weise spannte er den aufgetrennten Sack über der Geliebten aus und bildete dadurch ein Sonnendach über ihr, welches bald seinen wohlthätigen Schutz dadurch kund that, daß sie in Schlaf fiel und ruhiger zu athmen begann. Buardo schloß seine Augen nicht, so ermüdet er auch war, und saß, auf das treue Mädchen niederblickend, unbeweglich da, um das Sonnendach über ihr ausgespannt zu halten und sie durch keine Bewegung in ihrer Ruhe zu stören. Mit verzweifelnder Ungeduld sah er von Zeit zu Zeit nach dem furchtbaren Feinde über sich und folgte ihm mit dem Blick in seinem langsamen Lauf am hohen klaren Himmel. So langsam hatte er aber die Sonne niemals sich bewegen sehen. Endlich, endlich senkte sie sich dem westlichen Ende der Wüste zu und ein leichter Lufthauch kam von Osten heran gezogen. Semona erwachte und fühlte sich durch den Schlaf gestärkt. Sie mahnte selbst an die Fortsetzung ihrer Reise und richtete sich an dem Arm des Geliebten auf. Der leichte Wind, der ihnen entgegenkam, kühlte und erfrischte sie, und abermals erwachte der Gedanke an Rettung in Beider Seelen. Sie wanderten vorwärts und waren noch nicht weit gegangen, als sie einige Cactuspflanzen in der Ferne bemerkten, von denen sie wußten, daß sie saftige, eßbare Frucht trügen. Sie verdoppelten ihre Schritte und ihre Hoffnung sollte nicht getäuscht werden, denn schon von Weitem erkannten sie die Beeren, die an den stachelichten Gewächsen hingen. Es waren zwar nur wenige derselben vorhanden, dennoch gewährten sie den Schmachtenden Labung und Erquickung, und die Hoffnung, noch mehr dieser Pflanzen auf ihrem Wege anzutreffen, gab ihnen neuen Muth. Noch war die Sonne nicht ganz versunken, als Buardo's scharfer Blick plötzlich einen blauen Streifen über dem Horizont entdeckte und denselben jubelnd als einen Wald bezeichnete. Auch Semona erkannte ihn, mehr und mehr beeilten sie ihre Schritte, und als die Sonne hinter ihnen versank, sahen sie die Umrisse des ersehnten Waldes deutlich vor sich aufsteigen. Ihre Müdigkeit war verschwunden, sie fühlten im Geiste schon das frische Quellwasser über ihre trockenen Lippen rinnen, sie sahen die süßen, saftigen Früchte vor sich an Büschen und Bäumen hangen und erkannten die feiste Antilope im hohen Grase, die Buardo mit einem Schusse niederstrecken sollte. Es war auch keine Täuschung, denn die hohen Palmenwipfel des Waldes traten bald vor dem, hinter denselben aufsteigendem Monde deutlich hervor und schienen den beiden nahenden Fremdlingen Willkommen zuzuwinken. Jetzt bedeckte sich der Boden mit feinen Schlinggewächsen und Gras, wodurch der Fuß einen festern, leichtern Tritt bekam, immer schneller wurden die Schritte Buardo's und immer fester hing sich Semona an dessen Arm, um mit ihm fortzueilen. Der Mond stand schon hoch am Himmel, als sie in den ersehnten Wald eintraten und mit hoffnungerfüllten Herzen zwischen den schlanken Palmen hinwankten; denn daß dieselben Wasser in ihren Schatten bergen würden, darüber konnte kein Zweifel sein, das bekundete der üppige, kräftige Wuchs der Bäume und der einzelnen saftigen Pflanzen unter ihnen. Spähend ließ Buardo seinen Blick nach allen Richtungen hin über den, mit Gras bedeckten, beschatteten Boden schweifen, auf dem die tausend Lichter bebten, die der Mond durch das hohe Laubdach auf die Erde warf, als ihm plötzlich ein heller Silberglanz entgegenspiegelte und er eine Wasserfläche erkannte, auf der das Mondlicht ruhte. Mit einem Freudenschrei begrüßte er die Rettung, die ihm dies Wasser sicherte und seinen Arm um die treue geliebte Gefährtin schlingend, eilte er, sie halb tragend, mit ihr nach dem Ufer. Es war klares, kühles Quellwasser, welches hier einen kleinen Teich bildete, und auf seiner unbewegten Oberfläche das Bild des Mondes, wie in einem Spiegel zeigte. Ihren Dank schweigend zum Himmel sendend, sanken die beiden durstigen Wanderer an dem flachen, begrasten Ufer nieder und führten mit ihren Händen schnell den Labetrunk zu ihren lechzenden Lippen, bis sie neu belebt sich in die Arme fielen und nun unter Thränen laut ihrem Schöpfer für die Gnade, für die Rettung dankten. Sie hatten sich in kurzer Entfernung von dem Wasser in dem Schatten der Palmen an einem von deren Schaften zusammen niedergesetzt und Buardo ließ die Geliebte in seinem Arm ruhen, um so mit ihr den Morgen zu erwarten. Er hoffte, daß er dann Früchte zu ihrer Nahrung finden, oder daß sich Wild dem Wasser nahen würde, welches er erlegen könnte, denn der Hunger folterte sie jetzt Beide auf das Peinlichste. Buardo hatte das Gewehr in seinem Schooße liegen, um es zur Hand zu haben, wenn sich vielleicht noch in der Nacht eine Antilope an dem Wasser blicken lassen sollte; das Ufer war hell von dem Monde beleuchtet und der Platz, wo Buardo mit Semona saß, lag im Schatten einer Gruppe von vielen Palmen, die sich um sie erhoben. Semona war an der Brust des Geliebten eingeschlummert und diesem fielen von Zeit zu Zeit die Augen zu, doch ermannte er sich immer wieder und kämpfte gegen den Schlaf an, damit er keine Gelegenheit verlieren möchte, um dem treuen geliebten Mädchen Nahrung zu verschaffen. Die Natur forderte aber ihre Rechte, und abermals hatte Buardo die Augen geschlossen und seine Wange ruhte auf dem weichen Lockenhaar seiner Geliebten, als ihn ein Geräusch weckte und er die Augen aufschlug. Sein erster Blick seitwärts traf auf eine haushohe schwarze Riesengestalt, die sich langsam neben ihm vorüber nach dem Wasser bewegte und in der er einen kolossalen männlichen Elephanten erkannte. Regungslos drückte er Semona fester an seine Brust und schmiegte sich enger an den Schaft der Palme an, um dem Blick dieses Riesenthiers zu entgehen. Der Elephant verweilte einen Augenblick, ehe er in das helle Mondlicht hinaustrat, als wolle er sich vorher davon überzeugen, daß ihm dort keine Gefahr drohe. Kaum aber trat er aus den Palmen hervor, von denen er die Kronen der kleinern mit seinem Rücken streifte, als Buardo schon den Kopf eines zweiten solchen Ungeheuers gewahrte, das dem ersten auf dem Fuße folgte. Er schaute sich nun langsam um und erblickte weithin durch den Wald eine unabsehbare Reihe von Elephanten, die hintereinander her dem Wasser zuschritten. Zu andern Zeiten würde Buardo sicher nicht, ohne zu feuern, den zweiten Elephanten erwartet haben, wenn er die kolossalen Zähne des ersten erkannt hätte, aber jetzt, wo die Sicherheit, das Leben der Geliebten dadurch in Gefahr kommen konnte, ließ er das Gewehr ruhig in seinem Schooße liegen und blickte ängstlich und besorgt nach den schwarzen Kolossen auf, die in so kurzer Entfernung bei ihm vorüberzogen. Und doch konnte er den Wunsch nicht ganz unterdrücken, eins dieser Thiere zu erlegen, denn dessen kostbares Fleisch würde Semona sofort wieder neue Kräfte geben und es war ja ungewiß, ob sich eine andere Gelegenheit bald darbieten würde, ein Stück Wild zu erlegen, und bald, ja bald mußte Nahrung geschafft werden. Einige zwanzig Elephanten waren schon bei ihm vorübergezogen und standen in dem Teich und auf dessen Ufer zusammengedrängt, während sie das Wasser mit dem Rüssel aufsogen und dasselbe sich selbst, oder ihren Kameraden über den Rücken spritzten, daß es im Mondlicht wie Cascaden und Regenschauer von Brillanten glänzte und spiegelte. Immer noch traten andere dieser ungeheuren Thiere aus dem Halbdunkel des Waldes hervor und begaben sich zu ihren spielenden Kameraden, als Buardo das Ende des Zuges erblickte und einen einzelnen riesigen Elephanten in einiger Entfernung hinter demselben langsam und schwerfällig heranschreiten sah. Ein Blick auf die ermattete Geliebte in seinem Arm brachte ihn zum Entschluß; hatte er ja doch schon so oftmals eins dieser Ungeheuer mit einem Schuß todt zu Boden gestreckt, und in so kurzer Entfernung war es ja nicht möglich, daß er den tödtlichen Fleck fehlen konnte. Leise ließ er Semona aus seinem Arm, von seiner Brust gegen den Baum sinken, weckte sie mit einem Kuß und flüsterte ihr zu, daß er schießen werde und hob sich dann mit dem Gewehr an der Schulter langsam auf das Knie empor.
Der letzte Elephant in dem Zuge war unter den Palmen hervorgetreten und stand bereits zwischen seinen Gefährten in dem Wasser, als der Nachzügler sich bedächtig nahete und mit seinem ungeheuren Rücken die Palmenwipfel theilte. Er blieb von Zeit zu Zeit stehen, als ob er sich besinne, riß hier und dort eine junge Palme mit seinem Rüssel vor sich aus der Erde, warf sie zur Seite und stieß einen schnaubenden Ton aus, daß es weithin durch den stillen Wald schallte. Jetzt hatte er die Palmengruppe erreicht, in der Buardo auf dem Knie lag, und er blieb stehen und blickte diesen an, als ob ihm der Glanz des Mondlichts auf dem blanken Lauf des nach ihm gerichteten Gewehrs verdächtig schien. In diesem Augenblick drückte Buardo ab und das Feuer blitzte krachend aus der Muskete hervor. Wie das Herabstürzen eines Berges donnerte und brach es über Buardo und Semona, die sich aneinandergeschmiegt zu Boden drückten; der ganze Wald über ihnen schien in Splittern zu zerbrechen, die Palmenstämme, zwischen denen sie lagen, trachten und flogen durcheinander, es wurde finster über ihnen, eine riesige schwarze Masse stürzte dröhnend über sie hin dem Teiche zu und mit einem Schlag, als ob ein Fels vom Himmel gedonnert sei, stürzte der Elephant in das Wasser, daß die Fluth wie schäumende Krystallwände um ihn im Mondlichte aufstieg. Die Erde bebte und der Wald dröhnte unter den Donnertritten der fliehenden Elephantenschaar und das erlegte Ungeheuer wälzte sich in dem Teiche und warf das Wasser weit um sich über die Palmen hinaus. Buardo hatte die Geliebte ergriffen, hob sie aus dem Gewirre der zersplitterten Bäume auf seinem Arm hervor und floh mit ihr in fliegendem Lauf in den Wald hinein, um der Wuth des angeschossenen Thieres zu entgehen, wenn es sich noch einmal erheben sollte. Dessen Toben und Wüthen verhallte aber nach und nach, es wurde still im Walde und ein dumpfes Röcheln von dem Wasser her verkündete Buardo, daß die Gefahr vorüber sei. Triumphirend und jauchzend eilte er nun mit Semona zu dem Kampfplatz zurück und erkannte in der Mitte des hellen Wasserspiegels in dem schwarzen Hügel, der sich dort aus der glänzenden Fläche erhob, den getödteten Elephanten.
Semona nahm nun Zunder aus der Patrontasche, fachte schnell ein Feuer an und Buardo sprang mit dem Schwert und dem Messer bewaffnet in das Wasser zu dem erlegten Riesenwildpret, um aus dessen colossalem Körper die zartesten Stücke herauszuschneiden. In kurzer Zeit kehrte er mit Fleisch beladen zu dem auflodernden Feuer zurück, Semona breitete dasselbe vor der Gluth aus und bald hatten die glücklichen Liebenden alle Noth, alle Sorgen vergessen. Die aufsteigende Sonne fand sie noch in dem Schatten des Waldes in tiefem Schlafe, um sie bald durch ihre eigenen heißen Blicke zu erwecken. Es war aber ein seliges Erwachen, denn Beide fühlten sich gestärkt und von Hoffnung neu belebt und freudig beschlossen sie, einige Tage an diesem Rettungsplatze zu verweilen und ihre Kräfte ganz wieder herzustellen. Der Wald bot ihnen die herrlichsten Früchte in reicher Fülle, sie fanden viele frische kühle Quellen und Buardo erlegte eine junge feiste Antilope, deren zartes Fleisch er trocknete, um während der Weiterreise mit Semona davon zu leben. Zugleich hatte Buardo aus der Haut der Antilope für die Gefährtin und auch für sich selbst neue. Sandalen verfertigt, weil die bis jetzt getragenen abgenutzt waren, und er bereitete den Rest der großen Haut zum Mitnehmen vor, damit er dieselbe gelegentlich für Semona als Sonnendach gebrauchen könne.
Die Tage der Ruhe und Erholung verstrichen in ungetrübtem Glück, und abermals trat Buardo mit der Geliebten die Wanderung nach Osten an. Mehrere Wochen lang setzten sie die Reise fort, während welcher Zeit sie auf verschiedene Niederlassungen stießen, von denen sie nicht wußten, ob sie von den Mahi's oder von andern Volksstämmen bewohnt waren. Sie vermieden aber sorgfältig, mit deren Einwohnern in Berührung zu kommen und umgingen sie in weiter Entfernung Nachts, damit auch der Zufall sie nicht mit den Leuten zusammenführen möchte. Das Land wurde wieder hügelig und häufig von Waldstrichen durchzogen und größere Flußbette, wenn auch vollständig ausgetrocknet, zeigten nach Osten hin. Diese mußten zweifelsohne zu den Regenzeiten ihre Gewässer nach dem Nigerfluß führen, und Buardo beschloß, einem dieser Strombette zu folgen. Nach einer Wanderung von mehreren Tagen an dem steinigen Ufer desselben bemerkten die Reisenden, daß dieses in der Ferne vor ihnen mit hohem Schilf bedeckt war und schlossen daraus, daß dort Wasser vorhanden sein müsse. Zu ihrer Freude fanden sie bald diese Vermuthung bestätigt und gelangten an den Wasserspiegel, der sich zwischen dem Rohrdickicht der Ufer ausbreitete. Die klare Fluth hatte aber hier noch durchaus keine Bewegung und Buardo war darüber in Zweifel, ob sie nicht weiter nach Osten sich wieder in dem Sande des Flußbettes verlieren würde, doch schon am folgenden Tage bemerkte er bei Fortsetzung der Wanderung eine Strömung nach Osten. Jetzt war er sicher, der Fluß müsse sich in den Niger ergießen und er beschloß nun, die Weiterreise zu Wasser zu beginnen. Nach ungestört verbrachter Nacht begab sich Buardo an die Arbeit, um ein Schiff für sich und seine treue Gefährtin zu verfertigen, welches sie Beide ihrem Ziel zutragen sollte. Er hieb zu diesem Ende eine große Menge von zwölf Fuß langen Rohrstöcken, wozu er die stärksten Schüsse wählte und verknüpfte sie nebeneinandergelegt fest mit einem Gesiecht von biegsamem Reisig. Auf diese Unterlage packte er nun einige Fuß hoch Rohr, von dem er die großen Blätter nicht entfernte und befestigte diese Schicht an das untere Rohrgeflecht abermals durch schwanke Gerten. Nun stach er auf allen vier Ecken dieses Baues einen starken Stock in denselben und verband diese in einer Höhe von einigen Fuß mit langem Rohr, so daß ein Geländer rund um über dem Schiff gebildet wurde. Dasselbe lag unmittelbar an dem Wasser fertig und Buardo schob es nun mit Semona's Hülfe in die klare Fluth hinein, wo es sich zu ihrer großen Freude leicht und über dem Wasserspiegel erhöht schaukelte. Bald waren die wenigen Reiseeffecten darauf befördert, Buardo bildete von Rohrzweigen ein Laubdach über dem Schiff, damit Semona nicht von der Sonnengluth zu leiden habe, und nachdem diese darunter Platz genommen hatte, stieß er mit einer langen Rohrstange das Floß in die Strömung hinaus. Langsam, wie dieselbe sich bewegte, glitten die Reisenden mit der ruhigen Fluth dahin und freuten sich, den Mühseligkeiten und Gefahren des Wanderns überhoben zu sein. Oft gelang es Buardo, Morgens in der Frühe oder am späten Abend im Vorüberfahren an dem Ufer ein Stück Wild zu erlegen, von dessen Fleisch Semona während kurzen Aufenthalts am Lande ein Mahl bereitete, welches sie dann Beide wieder für einige Zeit mit Nahrung versorgte. Der Fluß wurde von Tag zu Tag breiter und tiefer, so daß Buardo manchmal mit der Rohrstange den Grund nicht erreichen konnte, doch die Strömung war ruhig, und es kam nicht darauf an, ob das Fahrzeug mit der einen oder der andern Seite vorangekehrt fuhr.
Der Mond stieg jetzt erst gegen Mitternacht am Himmel auf und vor dieser Zeit war die Nacht sehr dunkel, weshalb die Reisenden spät Abends ihr Fahrzeug dem Ufer zulenkten, um dort bis zu eintretender Helligkeit zu verweilen. Sie hatten bei einem kleinen Feuer Fleisch gerostet und auch einige Früchte, die sie im Laufe des Tages am Ufer gesammelt hatten, verzehrt, als der Mond in seiner Majestät über fernen Waldstrichen aufstieg und der Wasserspiegel in seinem Schein erglänzte. Bald waren die Schiffer wieder unterwegs und zwar mit der Hoffnung, nun sehr bald den Niger zu erreichen, dessen Lauf ihnen der ferne Wald anzudeuten schien. Der Fluß hatte hier eine große Breite und in seiner Mitte erhoben sich häufig Rohrdickichte, welche von seichten Stellen in dem Wasser zeugten. Es war aber so hell, daß Buardo diese Inseln schon von Weitem erkennen und sein Fahrzeug vor einem Zusammenstoß mit ihnen bewahren konnte. Im glückseligen Genusse der Gegenwart beredeten die Liebenden ihre Zukunft, da Buardo nicht an dem Gelingen seines Planes zweifelte und überzeugt war, die an den Ufern des Nigers herrschenden Könige würden ihn in Schutz nehmen und ihm Hülfe gegen den Tyrannen von Dahomey angedeihen lassen. Ruhig und wiegend glitt das Rohrschiff mit den Hoffnung erfüllten Schiffern auf der glänzenden Fluth hin, als plötzlich das Floß von unten einen so furchtbaren Stoß bekam, daß nur das Geländer die beiden Reisenden davor bewahrte, über Bord zu stürzen. In demselben Augenblick schien der ganze Wasserspiegel um sie sich zu erheben, thürmte sich in weißen Schaumbergen auf und zwischen ihnen schossen schwarze Colosse, riesig wie Elephanten, brausend um das schwankende Floß. Es war eine Schaar von Flußpferden, mit welchen das Fahrzeug in Berührung gekommen und wodurch die Wuth dieser Wasserungeheuer angefacht worden war. Das leichte Schiff flog auf und nieder, hin und her, der emporgeworfene Gischt stürzte in dichten Massen über die entsetzten Schiffer und rund um hoben sich die wutschäumenden Unthiere aus den Wogen und zeigten in ihren weit aufgerissenen Rachen ihre furchtbaren Zähne. Dabei schnaubten und brüllten sie und stürmten gegen das zerbrechliche Fahrzeug an, daß es bald auf der einen, bald auf der andern Seite umzuschlagen drohte. Semona lag auf dem Rohr hingestreckt und klammerte sich an demselben fest und Buardo kniete entsetzt über ihr und richtete in seiner Verzweiflung das Gewehr auf den offenen Rachen eines der Ungeheuer, welches seinen riesigen Kopf nach dem Floß erhob. Buardo drückte ab, das Feuer flog dem furchtbaren Thier in den Rachen hinein, dasselbe überschlug sich, warf aber zugleich das Floß mit den Schiffern aus dem Wasser in die Höhe, wohl vierzig Flußpferde thürmten bei dem Krach des Gewehrs die Fluth wie Wassersäulen über sich auf und Buardo und Semona wurden von den Wogen verschlungen. Beide aber tauchten im nächsten Augenblick wieder über dem noch wogenden Wasserspiegel empor, mit wenig Zügen hatte der Jüngling die Geliebte erreicht und schwamm mit ihr eilig dem Ufer zu, während in weiter Ferne auf dem Flusse hinunter die hochaufschäumenden Wellen die eilige Flucht der erschreckten Riesenthiere bezeichnete.
Buardo hob die treue Gefährtin aus dem Strome auf das Ufer und Beide blickten niedergeschlagen und wehmüthig auf die Wasserfläche, die sich wieder geglättet hatte und unter welcher alle Mittel begraben lagen, die ihnen die Möglichkeit zur Erreichung ihres Zieles boten.
Schweigend hielt Buardo die Geliebte in seinen Annen und sie verbarg ihre Thränen an seiner Brust, aller Muth, alle Hoffnung hatte sie verlassen, wie vernichtet standen sie Beide da in einer Wildniß voll Gefahren ohne Mittel, sich ferner gegen dieselben zu schützen. Buardo war der Erste, der das Schweigen dumpfer Verzweiflung brach und, seinen Blick nach Osten auf den fernen Wald richtend, die Möglichkeit aussprach, daß derselbe die Ufer des Nigers bedecke und die Niederlassungen an demselben nicht mehr fern wären. Semona aber gab sich keiner Hoffnung mehr hin, mit Ergebung in ein unerbittliches Schicksal folgte sie der Aufforderung Buardo's zur Fortsetzung der Reise und hielt seinen Arm fest umschlungen, denn ihr einziger Trost lag noch in dem Gedanken, an der Seite des Geliebten zu sterben. Sie wanderten während der ganzen Nacht in dem Lichte des Mondes und hörten von Zeit zu Zeit das Schnauben und Brausen der entsetzlichen Flußpferde, die in so wenigen Augenblicken alle ihre Hoffnungen zerstört hatten. Bei Anbruch des Tages lenkten sie ihre Schritte dem Ufer des Flusses zu, um sich durch einen frischen Trunk zu stärken und in dem Dickicht, welches dasselbe bedeckte, nach Früchten zu suchen. Sie fanden deren reichlich und hatten sich unmittelbar am Wasser niedergelassen, um sich zu ruhen, ehe sie ihren Marsch fortsetzten, als plötzlich ein Geräusch den Fluß herauf zu ihren Ohren drang, in dem Buardo bald den Schlag von Rudern erkannte. Ein neuer Hoffnungsstrahl fuhr Beiden durch die bekümmerte Seele, sie horchten mit gespannter Aufmerksamkeit, das Geräusch kam näher und näher, bald hörten sie Menschenstimmen und jetzt schossen um die nächste Biegung des Flusses drei mit Lebensmitteln und Waaren beladene leichte Schiffchen, ein jedes von zwei Negerinnen geführt, gegen die Strömung an. Nach wenigen Minuten kamen sie in nicht großer Entfernung vor den beiden Schiffbrüchigen vorüber und Buardo rief ihnen aufspringend zu, einen Augenblick zu verweilen und ihm Auskunft über die Gegend zu geben. Er fragte, wie weit es noch nach den Ufern des Nigers und welches dort die nächste große Stadt sei? Die Negerinnen sahen ihn verwundert an, als könnten sie nicht begreifen, daß Jemand hier nach Auskunft über das Land verlange und äußerten sich auch in dieser Weise, indem sie sagten, daß sich zahlreiche Ortschaften in der Nähe befänden, daß dies ja der weit und breit bekannte Menayfluß sei, dessen Ufer weiter hinab dicht bevölkert wären und der sich dort in den Niger ergieße, wo sich die Stadt Boussa auf dessen Ufern ausbreite. Auf die Frage, wie weit es noch nach dieser Stadt sei, erhielt Buardo die Antwort, daß er ganz leicht noch vor Sonnenuntergang dahin gelangen könne. Dann ließen die Negerinnen sich nicht weiter in ihrer Fahrt zurückhalten, winkten dem verlassenen Paar ein Lebewohl zu und ruderten mit der frühern Eile den Strom hinan.
Diese Auskunft wirkte auf die niedergeschlagenen Wanderer wie eine Rettungsbotschaft, sie fielen sich in die Arme, priesen Gott, der sie abermals vor Untergang bewahrt hatte und schritten nun muthig und freudig darauf los, um so früh als möglich die Stadt Boussa zu erreichen.