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Boussa war ein Ort von ohngefähr zwanzigtausend Einwohnern und der dort herrschende König hatte bedeutende Macht. Dies war Buardo bekannt und gleichfalls wußte er, daß alle die Herrscher an den Ufern des Niger mit dem Könige von Dahomey in nicht freundlichem Vernehmen standen. Jedenfalls glaubte Buardo dort vor den Verfolgungen jenes Tyrannen sicher zu sein und Zeit und Gelegenheit abwarten zu können, um in sein eignes Land zurückzukehren und demselben seine Freiheit wiedererkämpfen zu helfen.
Nach kurzer Wanderung erreichten sie eine Niederlassung, die an dem Ufer des Flusses lag und an ihren andern Seiten von reichen Feldern umgeben war, auf denen Mais, Reis, Hafer, Bohnen, Erbsen und viele andere Bodenerzeugnisse in großer Ueppigkeit prangten. Buardo und Semona aber hielten sich nicht auf, sondern eilten an dem Städtchen vorüber mit sehnsüchtigem Verlangen nach dem Ziel ihrer Reise. Noch viele kleine Ortschaften ließen sie im Laufe des Tages unberührt, obgleich sie ihr Weg nahe daran vorüber führte. Nur einmal in der Mittagszeit kehrten sie in einer Hütte an der Straße ein und baten deren Bewohner um eine Erfrischung. Sie wurden freundlich, obgleich mit Verwunderung willkommen geheißen, man reichte ihnen Haferschleim, gekochten Mais, süße Kartoffeln und Früchte' und labte sie noch beim Abschied mit einem Trunk Palmwein. Sie wanderten frohen Muthes weiter und noch stand die Sonne am Himmel, als sie die Stadt Boussa erreichten.
Ermüdet schritten sie durch das Thor, wo ihnen eine große Anzahl von Landleuten begegnete, die in der Stadt zu Markte gewesen waren, wie die leeren Körbe, Säcke und ausgehöhlten Kürbisse zeigten, welche sie auf dem Kopfe trugen. Buardo schritt, mit Semona an der Hand, in der breiten Straße hin, ohne daß einer der vielen Vorübergehenden sie zu bemerken schien. Er fragte nach dem Marktplatz, weil er wußte, daß er dort den König selbst, oder einen von dessen höchsten Beamten antreffen würde, der den Verkauf überwachte, indem von allen Gegenständen, die in den Städten des westlichen Afrika verkauft wurden, dem betreffenden Herrscher eine Abgabe entrichtet werden mußte. Buardo folgte der ihm bezeichneten Richtung und erkannte schon von Weitem den großen Marktplatz an den zahlreichen Menschen, die dort geschäftig sich hin- und herdrangten. Außer den Landleuten, die Lebensmittel zur Stadt gebracht hatten, befanden sich in der Menge auch viele von weiter herkommende Waarenhändler, welche Güter aller Art hier zum Verkauf boten und dagegen Elfenbein, Goldstaub und Sclaven einhandelten; denn Boussa war einer der bedeutendsten Sclavenmärkte im Innern des Landes. Nicht allein der König dieses Reiches und dessen Krieger verhandelten hier die, auf ihren Raubzügen in benachbarte feindliche Lande gemachten Gefangenen, an deren Zahl die Streiter immer einen gewissen Antheil hatten, sondern auch die befreundeten Nachbarstaaten sandten die in gleicher Weise erbeuteten Menschen hierher zum Verkauf, weil sich hier immer Käufer für dieselben vorfanden. Die großen Sclavenhändler an der Küste besuchten die hiesigen Markte häufig, und Kaufleute, die mit Waaren aus dem fernen Osten hierherkamen, vertauschten diese gegen Sclaven und führten dieselben dann nach der Meeresküste, um sie dort wieder zu verhandeln. Rund um den großen Marktplatz waren Zelte und Hütten von Rohr und Laubwerk aufgeschlagen, in denen die fremden Kaufleute ihre Waaren zur Schau auslegten und allenthalben sah man Pferde und Kameele, die zum Transport der Güter dienten. Geschäftig wogte die bunte Menge durch einander hin; auf dem Rücken oder auf dem Kopfe wurden Körbe und Ballen ab- und zugetragen, hier und dort waren Sclaven aufgestellt, deren Eigenthümer sie mit lauter Stimme zum Verkauf ausboten, und andere wurden, mit langen Stricken zusammengebunden, davon geführt.
Buardo und Semona betrachteten im Vorübergehen an dem Platze das lebendige Treiben und näherten sich bald einem großen Zelte, welches, wie viele andere, aus schweren bunten Teppichen errichtet war, und vor dem man sich, wie es schien, mit Einpacken von Gütern beschäftigte. Buardo wollte sich hier nach dem Aufenthalt des Königs, oder dessen höchsten Beamten erkundigen und schritt, mit Semona an der Hand, um das Zelt nach dessen Eingang, als sie plötzlich in unmittelbarer Nähe vor Sarszan, dem Händler, standen. Ueberrascht fuhr dieser sowohl, als die beiden Ankömmlinge zurück und sie hefteten ihre erstaunten Blicke aufeinander, bis Sarszan das Wort ergriff und sagte:
»Ist es möglich – Buardo und Semona?«
»Wir sind es, Sarszan, wenn auch in einer andern Stimmung, als zu jener Zeit, in der wir uns zuletzt gesehen haben. Ich bin ein heimathloser Flüchtling, der den hiesigen König um Schutz und Hülfe ansprechen will. Der Tyrann von Dahomey, dem Du Semona verkaufen wolltest, hat mein Land mit Krieg überzogen, hat Zogalo in einen Schutthaufen verwandelt, meinen Vater erschlagen und viele tausend der besten Krieger der Annagu's gemordet. Ich wünsche den König hier bald zu sprechen, kannst Du mir sagen, auf welche Weise ich am schnellsten zu ihm gelange?« entgegnete Buardo, indem er Sarszan gedrückt und niedergeschlagen die Hand reichte.
»Von dem Kriegszug des Königs von Dahomey gegen Dein Volk habe ich gehört, und auch davon, daß keine Gefangene gemacht, sondern daß Alles, was vor die Waffen kam, getödtet worden ist; daß Du aber entkommen seist, wurde mir nicht gesagt, man glaubte, Du allein wärest gefangen genommen worden,« sagte der Händler und hielt seinen finstern Blick nachdenkend auf Buardo geheftet.
»Ich war gefangen, die treue Semona aber hat mich befreit; ich danke ihr mein Leben!« sagte Buardo und hob die Hand derselben an seine Lippen.
»Doch sage mir, Sarszan,« fuhr er dann fort, »wo finde ich den König?«
»Den kannst Du heute nicht mehr sprechen, Du mußt bis morgen warten, dann will ich selbst Dich zu ihm führen,« antwortete der Händler und setzte nach einer kurzen Pause noch hinzu: »Du kannst die Nacht bei mir in meiner Wohnung zubringen, denn außer mir wirst Du wohl keine Freunde hier haben. Dort ist mein Haus, ich war gerade im Begriff mich hinzubegeben. Du bist mir als Gast willkommen und so ist es Semona auch.«
Bei diesen Worten deutete Sarszan nach mehreren, durch eine hohe Mauer verbundenen Lehmhäusern seitwärts vom Platze und führte seine beiden Gäste denselben zu.
In dem Eingang zu dem kleinen Vorhof dieser Gebäude standen zwei, mit Flinten bewaffnete Diener des Händlers und hinter ihnen in dem Hof lagen einige vierzig Negerweiber und Kinder auf dem staubigen Boden umher.
Sarszan leitete Buardo und Semona durch mehrere Räume, die alle mit Negerinnen angefüllt waren, in ein größeres Gemach, welches reich mit Teppichen und Seidenstoffen prangte. Hier kam ihm Corzaris entgegengeeilt und wurde durch den Anblick der beiden Bekannten sehr überrascht. Sarszan bat seine Gäste, auf dem Teppich des Fußbodens Platz zu nehmen und entschuldigte sich, sie auf einige Augenblicke allein lassen zu müssen, da er noch einige Geschäftsanordnungen zu treffen habe. Er verließ das Zimmer, und auf seinen Wink mit den Augen folgte ihm Corzaris.
»Sorge für ein gutes Mahl für heute Abend und bereite den Hatchy für Buardo viermal stärker, als den für mich,« sagte er zu der Sclavin, legte, wie zum Zeichen des Schweigens, den Finger auf den Mund und wandte sich dann wieder zu dem Gemach zurück, wo sich seine Gäste befanden.
»Ich werde bald von hier abreisen und da habe ich denn immer noch Vieles zu besorgen. Nun aber ist des Tages Arbeit vollbracht und wir wollen den Abend nicht ohne uns unsres Wiedersehens zu freuen, vergehen lassen. Corzaris sorgt für ein gutes Mahl, so wie für den besten Hatchy,« sagte Sarszan, zog eine kleine silberne Schelle und streckte sich auf den Teppich vor einem hohen Sammetkissen aus. Der Ton der Glocke hatte mehrere Sclavinnen eiligst in das Zimmer gerufen, denen der Händler nun den Befehl ertheilte, die Pfeifen für ihn und für seinen Gast zu bringen. Bald stiegen die mit Opium geschwängerten Dampfwolken aus den Pfeifen zu der Decke des Zimmers empor, unter welcher sich eine, künstlich aus Messing verfertigte, blank geputzte Lampe hin und her schwang, denn eine der Sclavinnen hatte sie so eben angezündet. Die Ruhe auf weichen Kissen that Buardo wohl und Semona schmiegte sich ruhend fest an seine Seite, ohne dem Blick Sarszans zu begegnen, der ihr lästig und unheimlich war, und sie an die Zeiten erinnerte, in denen er sie sein Eigenthum nannte.
»Es ist ein Glück für Dich, Buardo, daß Du mich getroffen hast, ehe Du Dich dem Könige hier vorstelltest und ihn um Hülfe anriefest; denn er würde Dich in Deinen Erwartungen sehr getäuscht haben,« begann Sarszan nach einer Weile; »wie kannst Du glauben, daß er eine so günstige Gelegenheit unbenutzt vorübergehen lassen würde, um einen großen Verdienst zu machen – weißt Du nicht, daß der König von Dahomey irgend einen Preis für Deine Person zahlen würde? Danke es Deinem guten Glücke, daß Du Dich nicht bei ihm gemeldet hast, er hätte Dich sicher sofort nach Abomey verkauft.«
Buardo und Semona erschraken und erstarrten bei den Worten des Händlers, die Pfeife sank dem jungen Negerfürsten aus der Hand und unwillkührlich schlang er den Arm um die Geliebte. Das Erkennen einer so großen Gefahr war zu plötzlich und zu unerwartet, als daß er derselben hätte die Stirn zeigen können. Semona bebte und verbarg ihren thränenschweren Blick an des Geliebten Brust, und dieser stierte den Händler an, als habe derselbe ihm sein Todesurtheil verkündet.
»Sei ohne Sorgen, Buardo, es kennt Dich ja Niemand hier und Du bist unter des Freundes Dach. Sei froh, daß es so gekommen ist, und daß Du nun der Gefahr, die Dich hier bedroht, ungehindert entgehen kannst. Ich werde Dir ein Pferd und Waffen, so wie Lebensmittel geben, damit Du schnell dies Land verlassen und in Deine Berge zurückkehren mögest, wo Dich weder dieser König, noch der von Dahomey erreichen wird,« sagte Sarszan tröstend zu Buardo, als er dessen Schreck gewahrte. Dieser aber sprang auf, warf sich neben dem Händler nieder und küßte ihm die Hände, indem er laut und auf das Tiefste ergriffen seinen Dank hervorstammelte.
»Laß sein, laß sein, Buardo, wir sind ja Freunde und müssen uns in der Noth beistehen; Du würdest ja ebenso gehandelt haben, hätte mich der Zufall in Deine Gewalt gegeben,« sagte der Händler mit einem unstäten Blick und wehrte die Danksagungen des Jünglings von sich ab. Dann fuhr er mehr freundlich und theilnehmend fort: »Nun laß uns fröhlich sein und laß mich die Freude genießen, die mir unser Wiedersehen bietet. Du mußt Dich mit Deiner geliebten Semona erst bei mir pflegen und Ihr sollt Euch von Euren Anstrengungen erholen, und dann schaffe ich Euch über die Grenze aller Gefahren. Wie gesagt, unter meinem Dache giebt es keine Gefahren für Euch, und denen, die Euch außerhalb drohen könnten, sollt Ihr nicht ausgesetzt bleiben. Ich bürge für Eure Sicherheit.«
Bei diesen Worten sank Sarszan auf sein Polster, zurück, auch Buardo ergriff, an der Seite seiner Semona, ruhend, abermals die Pfeife und mit jeder Dampfwolke, die er von seinen Lippen blies, erleichterte sich sein beklommenes Herz und seine Seele füllte sich wieder mit Vertrauen und Hoffnung.
Jetzt erschien Corzaris mit mehreren Sclavinnen, welche das Abendessen herbeitrugen und dasselbe auf den Teppich zwischen dem Händler und dessen Gästen niedersetzten. Die Leibsclavin bediente diese nach ihrem Herrn und reichte ihnen dann den heißen starken Kaffee. Die Pfeifen wurden durch dieselbe frisch mit Opiumtaback gefüllt und angezündet, und in wonnigem Wohlbehagen sanken die Raucher auf ihre weichen Lager nieder. Auch Semona hatte sich wieder etwas beruhigt, dennoch wollte sie das unheimliche beängstigende Gefühl nicht verlassen, welches sich ihr bei dem Gedanken aufdrängte, daß Buardo und sie selbst sich so ganz unbedingt in der Gewalt des Händlers befanden, von dessen Gefühllosigkeit und unbegrenztem Eigennutz sie in früheren Zeiten so manchen entsetzlichen Beweis erhalten hatte. Sie schmiegte sich nahe an den Geliebten ihres Herzens an, und warf nur von Zeit zu Zeit einen verstohlenen mißtrauischen Blick auf den Händler.
Corzaris trat bald darauf mit zwei silbernen Bechern in das Gemach und stellte dieselben vor den Männern nieder. Beide Gefäße waren mit dem berauschenden Hatchy gefüllt, doch trug die Flüssigkeit in Buardo's Becher eine viel dunkelere Farbe, als die, welche Sarszan credenzt war.
»Nun labe Dich und erfreue Deine Seele mit Bildern aus dem Zauberreiche der Phantasie,« sagte Sarszan zu Buardo, und hob seinen Becher zu den Lippen, hielt aber seinen ernsten Blick beobachtend auf den Jüngling geheftet. Dieser folgte dem Beispiel des Händlers, führte den silbernen Pocal zu seinem Munde und that einen tiefen Zug daraus. »Im ganzen Morgenlande findest Du solch kostbaren Trank nicht; ich ließ ihn selbst in Mekka unter meiner Aufsicht bereiten,« sagte Sarszan mit einem Ausdruck von Zufriedenheit, als er sah, daß Buardo den Becher halb geleert hatte.
Jetzt öffnete sich die Thür eines anstoßenden Gemaches, der Klang einer Zither und mehrerer Maultrommeln wurde dort laut, und in süßen melancholischen Weisen wogten die leise rauschenden Töne in das Zimmer, wo der Händler mit seinen Gästen ruhte. Die Schöpferinnen dieser geheimnißvollen Klänge blieben unsichtbar, Corzaris aber, von luftigem weißen Flor wie von einer Wolke umhüllt, schwebte herein und sank mit einem glückstrahlenden Lächeln neben ihrem Herrn auf weichen Kissen nieder.
Buardo fühlte sich leicht und wonnig bewegt, es strömte heiß und belebend durch seine Adern, die Melodieen, die ihn umwogten, klangen immer lieblicher, immer süßer zu seinem Ohr, alle düstern, finstern Gedanken flohen aus seiner Seele vor dem himmlischen Strahlenlichte, welches immer heller, immer klarer vor seinem geistigen Auge aufstieg, und in beseligendem Zauberrausche ließ er sich an das Herz der Geliebten sinken.
»O wie glücklich, wie selig sind wir doch jetzt, meine Semona!« flüsterte er im Uebermaße seines Wonnegefühls dem schönen Mädchen zu und hob seinen, in seltsamer Gluth glänzenden Blick zu ihr auf. »Hier sind wir weit aus dem Bereiche der Menschen, Nichts kann nun mehr unsere Liebe, unser Glück stören, und unsere Seelen dürfen sich der endlosen Freude und Seligkeit überlassen, die uns umgiebt. Hörst Du die Zaubertöne, die aus dem schattigen Orangenhain im Thale zu uns heraufschweben, fühlst Du den kühlen duftigen Hauch des Abendwindes, wie er um unsere Schläfe spielt, siehst Du den Wasserfall, wie er von der steilen Bergwand herabsinkt und wie sein Staub in dem Mondlicht blitzend und funkelnd durch das Thal schwebt?«
»Buardo, bester Buardo, Du irrst Dich, besinne Dich, wo Du bist!« fiel ihm Semona ängstlich in die Rede und suchte ihn aufzuheben, doch er sah wonnetrunken und lächelnd zu ihr auf, drückte ihre kleinen Hände an seine Lippen und fuhr in glücklicher Begeisterung fort:
»Und wie schön, wie süß, wie lieb bist Du, Semona, und wie glücklich, wie selig macht mich Deine Liebe! Sieh nur, jetzt fliegen wir nach jener Bergspitze hinüber und wie leicht, wie kühl ist hier die Luft; laß uns nie wieder auf die Erde hinuntersinken, wir sind hier oben ja viel glücklicher!«
»Buardo, mein Buardo, ich bitte Dich, komme zu Dir, ermanne Dich, wir sind ja bei unserem Freunde Sarszan, von dessen Hatchy Du getrunken hast. Komm, richte Dich auf, geh mit Deiner Semona in die freie Luft, dort wird Dir besser werden!« sagte diese mit gesteigerter Angst und versuchte, den Geliebten aufzuheben, doch er schlang seinen Arm um sie und sagte mit matter schläfriger Stimme:
»Wie die Wellen uns schaukeln, um uns spielen und wie weich und kühl wir auf ihnen ruhen!« Dabei schloß er die Augen und sank machtlos in Semona's Arm nieder, während diese sich umsonst bemühte, ihn zu erwecken.
Sarszan hatte seinen Blick nicht eine Secunde von dem Jüngling abgewandt, mit Verlangen hatte er diesem Zustand vollkommener Bewußtlosigkeit entgegengesehen; jetzt blitzte hämische Freude aus seinen dunkeln Augen und ein triumphirendes Lächeln zuckte um seine dünnen Lippen. Da begegneten ihm Semona's große Augen, sie sah flehend und bittend nach ihm hinüber und hielt ihm ihre kleinen Hände gefaltet entgegen. Doch Sarszan erhob sich mit einem finsteren unheilverkündenden Blick auf die schöne Negerin, befahl ihr, mit Corzaris das Zimmer zu verlassen, und zeigte mit der Hand nach der Thür. Semona aber folgte seinem Befehle nicht, sie warf sich über den schlafenden Geliebten hin, als wolle sie ihn mit ihrem Körper vertheidigen und winkte Sarszan abwehrend von sich zurück.
»Fort, sage ich, Sclavin!« schrie der Händler mit wüthender Stimme und wollte Semona von dem Jüngling hinwegreißen, als sie mit Blitzes Schnelle nach Sarszan's Lager sprang, dessen Schwert und die lange Pistole ergriff, die dort auf dem Teppich lagen, und, zu Buardo eilend, ausrief:
»Nur der Tod trennt mich von ihm!«
Betroffen war der Händler zurückgetreten, sein Zorn machte sich jetzt aber mit einem boshaften Lachen Luft und, rasch nach dem Ausgang des Zimmers schreitend, rief er dem entschlossenen Mädchen zu:
»Wart, schwarzes Thier, ich mache Dich zahm!«
Er hatte mit Corzaris das Zimmer verlassen und Semona war neben Buardo auf ihre Kniee gesunken, rief ihn beim Namen, rüttelte ihn bei der Schulter, aber umsonst, er lag wie in Todesschlaf versunken da, und hörte die Stimme des treuen Mädchens nicht.
Jetzt schallten eilige Männertritte von Außen her in das Zimmer, Semona sprang auf, stellte sich vor Buardo, spannte die Pistole, und heftete ihren wilden Blick auf die Thür.
»Zurück, bei Eurem Leben!« schrie sie den Männern zu, die nun in dem Eingange erschienen, doch diese drängten sich herein, das Feuer blitzte aus der Pistole in Semona's Hand, und einer der Diener Sarszan's sank tödtlich getrosten zu Boden. Seine Gefährten drängten zurück nach dem Ausgang, als des Händlers wüthende Stimme sie wieder vorwärts trieb und sie Semona entgegenstürzten. Wie ein schützender Engel stand diese jetzt über dem schlafenden Geliebten, schwang das Schwert hoch durch die Luft und spaltete dem Vordersten der Männer den Kopf, daß er vor ihren Füßen zusammenbrach. Umsonst hob sie die Waffe abermals empor, denn jetzt hatten die Diener ihren Arm erfaßt, schnell das Schwert ihrer Hand entwunden und warfen sie zu Boden, wo sie ihr Hände und Füße zusammen banden. Vergebens rief sie den Geliebten in« ihrer Verzweiflung beim Namen, sie wurde aus dem Zimmer getragen, und Sarszan sandte ihr Flüche und Verwünschungen nach und schwur ihr furchtbare Rache. Den erschossenen Diener, so wie den schwer am Kopfe verwundeten entfernte man aus dem Gemache, worauf Sarszan Ketten hereinbringen und Buardo damit fesseln ließ. Er wurde dann in einen kleinen Raum getragen und daselbst auf den Lehmboden niedergelegt. Dort hielt ihn der tiefe beglückende Zauberschlaf umfangen, bis der Tag zu grauen begann. Matt und halb erwacht, fühlte er, daß die Bewegung seiner Glieder gehemmt war, er dehnte sich hin und her, schlug die Augen auf, und blickte um sich; es war finster, die schweren eisernen Ketten aber sagten ihm, was mit ihm geschehen sei. Er wollte sich aufraffen, er riß an seinen Fesseln, er knirschte mit den Zähnen und stieß ein furchtbares Wuthgeheul aus, Niemand aber antwortete ihm, Niemand kam ihm zu Hülfe. Bald drang das Licht des Morgens durch die Oeffnungen in dem Dache über ihm und zeigte ihm die vier Lehnwände seines Gefängnisses, so wie die blanken, viel gebrauchten Ketten, die seinen herkulischen Kräften Trotz boten. Seiner Wuth, seinen Anstrengungen, sich zu befreien, folgte bald eine tiefe Ermattung und Hinfälligkeit, mit geschlossenen Augen warf er sich auf sein Gesicht nieder und ließ seine Gedanken von der ungeheuren Größe seines Unglücks erdrücken. Lange hatte er, geistig erstarrt, so gelegen, als er seinen Namen rufen hörte und die Stimme des Händlers erkannte. Er vergaß seine Fesseln, wollte aufspringen und den Verräther mit seinen Zähnen zerreißen, seine Ketten aber hielten ihn laut klirrend zurück und mit wuthflammendem Blick auf Sarszan fiel er auf den Boden nieder.
»Diesmal sind Deine Jäger nicht bei Dir, die mich damals am Zirmifluß in Deine Gewalt gaben; das Glück hat sich gewandt, Heute ist mein Tag!« sagte der Händler in boshaftem Triumph und begegnete lächelnd dem blutstrahlenden Blicke Buardo's. »Ich komme, um Dir Dein Schicksal zu verkünden, und Du wirst sehen, daß ich immer noch nachsichtig mit Dir verfahren will. Ich führe Dich an die Meeresküste und verkaufe Dich dort an einen Sclavenhändler, der Dich nach Amerika verschiffen wird. Fürchte nicht, daß ich Dich, oder Semona an den König von Dahomey Überliefern werde, denn derselbe würde Euch Beide als sein Eigenthum erklären, und mir keine Zahlung für Euch bewilligen. Schweige darum über Deinen Stand und Deinen Namen, denn hörte der König denselben, oder den Semona's, so wäret ihr Beide dem fürchterlichsten Martertode verfallen. Bist Du ruhig und verschwiegen, so verkaufe ich Dich mit Semona zugleich und sorge dafür, daß ihr auch in Amerika nicht getrennt werdet. Du hast jetzt Dein Geschick in eigener Hand und hast zwischen einer Fahrt mit Semona über den Ocean und dem Tode mit ihr in Abomey zu wählen.«
Buardo blieb stumm, die Ketten rasselten an seinen, vor Wuth bebenden Gliedern, und als der Händler das Gefängniß verlassen hatte, fiel er in dumpfer Verzweiflung abermals auf sein Gesicht nieder.
Sarszan schritt nun in einen geräumigen Hof hinaus, der, von hohen Mauern umgeben, hinter den Gebäuden lag. Dort befanden sich einige hundert Negermänner und Negerknaben, die der Händler hier auf dem Markt gegen seine Waaren eingetauscht hatte. Sie trugen sämmtlich einen eisernen Ring um den Hals, an welchem eine Kette hing, deren Ende wieder an den Ring eines zweiten Negers befestigt war. An sechs bis zwölf Neger hingen in dieser Weise verbunden aneinander fest, so daß ein Fluchtversuch ihnen nicht einfallen konnte.
Zwischen diesen Gefangenen gingen bewaffnete Aufseher in dem Hofe auf und ab, und bestraften jede Störung der Ruhe mit Peitschenhieben. Sarszan schritt, ohne die Sclaven eines Blickes zu würdigen, nach einem kleinen Lehmgebäude am andern Ende des Hofes, öffnete dessen Thür und trat hinein. Hier lag Semona auf dem Boden zusammengekauert und schien sein Eintreten nicht bemerkt zu haben.
»Ich will barmherzig mit Dir verfahren, Semona;« sagte der Händler und blieb an der Thür stehen, worauf das Mädchen mit einem Blick zu ihm aufsah, in dem stumme Verzweiflung und tiefste Verachtung lag. Die Kette, die von ihrem zarten Nacken hing und an einem großen Stein befestigt war, zitterte mit ihrem Körper und die bleichen Lippen des unglücklichen Mädchens bebten, als schwebten Worte auf ihnen, die sie nicht auszusprechen vermochte.
»Du sollst nicht von Buardo getrennt werden, wenn Du thust, was ich Dir rathe. Verschweige seinen Namen und auch den Deinigen, dann sollt Ihr zusammen nach Amerika wandern und auch dort zusammen bleiben. Werden Eure Namen bekannt, so fallt Ihr in die Hände des Königs von Dahomey, und dann weißt Du, was mit Euch geschehen würde. Sei darum vernünftig und folge meinem Rath. Heute Abend treten wir die Reise nach Whydah an.«
Auch Semona gab dem Manne keine Antwort, sie kannte dessen eisernes gefühlloses Herz zu gut, als daß sie durch Bitten oder Flehen eine Aenderung in seinem Beschlüsse herbeizuführen hätte hoffen dürfen. Sie folgte ihm mit ihrem starren Blick, als er aus der Thür schritt, bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und sank mit einem Schrei der Verzweiflung nieder.
Während des Tages herrschte große Geschäftigkeit vor den Wohnungen Sarszan's, die Kameele wurden mit Waaren und Lebensmitteln beladen, Kisten und Ballen wurden von dem Marktplatz in die Häuser geschafft, und als die Sonne sich neigte, war alles zur Abreise fertig.
Der Händler übergab einem alten Diener die Aufsicht über die Wohnung und die darin verbleibenden Waaren, bestieg mit Corzaris eins der Kameele, und gab das Zeichen zum Aufbruch. Die Sclaven waren in größerer oder kleinerer Zahl aneinander gekettet, und folgten, dicht zusammengedrängt, ihrem Besitzer, während zu ihren beiden Seiten bewaffnete Männer sie überwachten und ihnen ihre Befehle mit der Peitsche verkündeten. Der Zug wurde durch die schwer bepackten Kameele und deren Führer beschlossen. Es waren beinahe dreihundert Sclaven, die Sarszan folgten und der Grenze ihres Vaterlandes zuschritten, um als Handelsartikel nach einem fremden Welttheil verschifft zu werden. In ihrer Mitte gingen Semona und Buardo doppelt gefesselt, denn außer der Kette, die zwischen ihren Nacken hing, hielten sie sich mit ihren Armen umschlungen, als wollten sie sich nun nie wieder trennen. Sie weinten nicht, sie klagten nicht, ja, sie schienen in ihrem grenzenlosen Elend doch noch ein hohes Glück in ihrem Zusammensein zu besitzen, an das sie sich auf Leben und Tod anklammerten. Alle Beschwerden, alle Entbehrungen trugen sie gern zusammen, sie munterten sich gegenseitig auf, sie theilten die kärgliche Nahrung, die man ihnen reichte, miteinander, und beredeten ihre verschleierte Zukunft.
Sarszan führte die Karavane bei Boussa über den Menayfluß, verließ bald darauf den Niger und schlug die dicht bevölkerte Straße über Wava und Kiama nach der Meeresküste ein.
In starken angreifenden Märschen eilte er vorwärts und nur in der Gluth des Mittags erlaubte er den Wandernden sich zu ruhen und einen Schatten zu suchen. Nachts wurden sie auf einen Platz zusammengetrieben, die Ketten der einzelnen Abtheilungen untereinander befestigt, und es den Müden dann überlassen, sich nach Belieben zu betten. Nach Verlauf von einem Monat erreichte der Zug die Stadt Whydah an der Küste der Bay von Benin. Es war Abend, als die Karavane seitwärts von der Stadt auf einer sandigen Höhe anhielt, von wo aus man das Meer überblicken konnte. Die Sonne tauchte glühend in die Fluth hinab, ihre letzten Strahlen schossen wie goldene Flügel an dem blutrothen Himmel auf und das Meer spiegelte dessen Purpur auf seinen schaumgekrönten Wogen, deren Häupter in dem scheidenden Lichte wie Kronen von Brillanten blitzten. Zwei schlank bemastete Schiffe schaukelten sich in dem Hafen vor Whydah auf den tanzenden Wellen und weithin auf dem, im Feuerscheine wogenden Meere stieg über einem kaum zu erkennenden Dampfschiff eine schwarze Rauchwolke zum klaren Himmel auf. Die Sclaven fielen erschöpft auf den heißen Sand nieder, die Kameele wurden von ihrer Ladung befreit, die Zelte für Sarszan, so wie für dessen Diener und für die, dem König von Dahomey zugedachten Sclavinnen wurden aufgeschlagen, und dann begab sich der Händler nach der Stadt, um die Kaufleute dort und den Cabozir von seiner Ankunft zu unterrichten.
Buardo und Semona waren auf den Sand gesunken, hielten ihre Hände fest ineinander und blickten über das dunkelnde Meer nach dem rothen Streif am westlichen Himmel, wo die Sonne verschwunden war.
»Dort liegt unsre Zukunft, Semona, fern von unserm Vaterlande, in einer fremden Welt, unter fremden Menschen, an die wir als Sclaven verkauft werden sollen. Uns bietet das Leben kein anderes Glück mehr, als das unsres Zusammenseins, und dies hängt von der Laune unsers künftigen Herrn ab. Man wird uns trennen und unsre Herzen werden fern von einander verbluten. Wir sterben glücklicher, wenn wir zusammen sterben, laß uns hier in heimathlicher Erde unserm freudenlosen Leben ein Ende machen, ich habe keinen Muth mehr, mit dem Schicksal zu ringen und zu erwarten, daß man Dich von mir losreiße,« sagte Buardo zu der Geliebten und preßte ihre Hand gegen sein Herz.
»Muth, Buardo, schlimmer als hier, kann es uns nicht ergehen. Wenn wir uns unsre Liebe nur treu bewahren, die uns die Menschen ja nicht nehmen können, so sind wir doch glücklich, auch selbst, wenn sie uns trennen sollten. Laß uns hoffen, laß uns vertrauen, der Gott, der uns zusammenführte und uns die Seligkeit unsrer Liebe gab, wird unsre Herzen nicht in Jammer vergehen lassen; ein andres Land, andre Menschen, andre Schicksale. – Wer kann sagen, welch hohes Glück für uns noch in der Zukunft verborgen liegt? – das Vaterland bietet uns nur Schmach und Untergang. Komm, mein Buardo, fasse Muth, die treue Liebe Deiner Semona kann Dir Niemand nehmen!«
Mit diesen Worten schlang das liebende Mädchen ihren weichen Arm um den Jüngling und drückte ihn zärtlich an ihr Herz.